Upload
e-genth
View
215
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Z Rheumatol 2008 · 67:187–188DOI 10.1007/s00393-008-0277-6Online publiziert: 24. April 2008© Springer Medizin Verlag 2008
E. GenthRheumaklinik und Rheumaforschungsinstitut Aachen
Patientenschulung: Cui bono?
Einführung zum Thema
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Patentenschulung gilt als wesentlicher Bestandteil der Versorgung von chronisch Rheumakranken. Dies wird in zahlreichen Stellungnahmen und Empfehlungen internationaler Fachgesellschaften zu einer Vielzahl rheumatischer Erkrankungen immer wieder hervorgehoben [15, 16]. Über das ärztliche Gespräch und die problemorientierte Information hinaus ist Patientenschulung der systematische Ansatz, chronisch Kranke auf ihrem lebenslangen Lernprozess im Umgang mit ihrer Erkrankung zu unterstützen. Patentenschulung will Betroffene informieren, befähigen und beteiligen. Sie will Betroffene qualifizieren, am eigenen Behandlungsprozess teilzunehmen, um ihre Krankheit besser bewältigen zu können [4].
> Patientenschulung ist kein „nettes Extra“
Die wissenschaftliche Entwicklung der letzten 30 Jahre hat gezeigt, dass Patientenschulung kein „nettes Extra“ [7] ist. Sie bewirkt nachweisbare Veränderungen von kognitiven und psychosozialen Variablen, von krankheitsspezifischen Outcomes und von Gesundheitsverhalten. Die Zunahme von Wissen und von allgemeiner und problemspezifischer Selbstwirksamkeit führt zu messbaren Veränderungen im Selbstmanagement bei verschiedenen rheumatischen Krankheiten, wobei die alleinige Wissenszunahme keine relevanten Effekte verursacht. Beim Fibromyalgiesyndrom [5], bei rheumatoider Arthritis [2] und kürzlich in einer großen australischen Studie überwiegend bei Patienten mit Arthrose [11] wurde gezeigt, dass Selbstwirksamkeit nicht nur ein wichtiger Prädik
tor einzelner Wirkungen von Patientenschulung z. B. auf die Funktionskapazität im Alltag ist, sondern die Verbesserung der Selbstwirksamkeit durch Patientenschulung auch mit der Effektstärke in Bezug auf verschiedene Outcomes assoziiert ist [3].
Allerdings sind die Effektstärken bezogen auf OutcomeKriterien klinischer Studien gering und im Allgemeinen von kurzer Dauer. Bei der rheumatoiden Arthritis zeigten Riemsma et al. [12] in einer systematischen Übersicht randomisierter kontrollierter Studien (RCTs), dass nur Interventionen mit verhaltensändernden Techniken wirksam waren, am stärksten auf die Funktionskapazität im Alltag. Die Effekte auf Schmerzminderung oder Besserung der Funktionskapazität waren deutlich niedriger als die der medikamentösen Therapie mit Basistherapeutika oder Glukokortikosteroiden [12]. Verständlicherweise, da diese Outcomes stark von der Krankheitsaktivität bestimmt sind, die v. a. mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten vermindert werden kann.
Sind die Outcomes, wie sie in klinischen Studien verwendet werden, angemessen, um Wirkung und Nutzen von Patientenschulung ausreichend zu beurteilen? Eine Studie über Schulungen von Patienten mit ankylosierender Spondylitis in Deutschland, die im Kontext einer komplexen Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt wurde, belegt, dass eine Verbesserung der Selbstwirksamkeit auch 1 Jahr danach messbar und eine Verminderung der Arbeitsunfähigkeitszeiten auch noch Jahre danach nachweisbar war [8]. Dies dokumentiert einen wesentlichen Effekt auf die soziale Teilhabe, wie er auch in der Evaluationsstudie zur systemischen Vaskulitis in diesem Heft gezeigt werden konnte.
Für die niedrige Effektstärke und die kurze Wirkdauer der Patientenschulung in RCTs wurden verschiedene Fragen diskutiert [10]. Ist das Schulungsprogramm richtig konzipiert? Zu den Grundprinzipien der Entwicklung von Schulungsprogrammen gehört eine Analyse der Notwendigkeiten und Ziele, aber auch der Bedürfnisse der Betroffenen in Bezug auf Wissen, Fähigkeiten und soziale Unterstützung [13].
> Gesundheitsüberzeugung, Präferenzen und Lebensstile sind für die Durchführung einer Schulung wesentlich
Vorinformation, Gesundheitsüberzeugungen, Präferenzen und Lebensstile sind von Bedeutung und sind auch bei der Durchführung der Schulung wesentlich, wenn es darum geht, aktiv auf die Fragen und Bedürfnisse einer Schulungsgruppe oder einzelner Teilnehmer einzugehen. Wurden für das Schulungsprogramm die geeigneten Patienten ausgewählt? War der Zeitpunkt richtig gewählt? Viele der Studien wurden an Patienten mit schon längerer Krankheitsdauer durchgeführt. Unterschiede in der Erkrankungsdauer sind für Schulungsprogramme wesentlich, da von unterschiedlichen Lernerfahrungen auszugehen ist. Dies betrifft insbesondere Kranke mit neu diagnostizierter aktiver Erkrankung, für die z. B. Fragen zur medikamentösen Therapie wichtiger sein können als eine umfassende ergotherapeutische Funktionstherapie [9].
Dies ist bei der Umsetzung von Schulungsprogrammen in der Rheumatologie bisher noch unzureichend analysiert. Es bedarf weiterer Forschung, um zu klären, welche Patienten von einem Schulungsprogramm profitieren und welche nicht. Neben
Zeitschrift für Rheumatologie 3 · 2008 | 187
Studien mit RCTDesign sind andere Ansätze wie in einer kürzlich publizierten australischen Studie [11] erforderlich, die Effekte von Patientenschulung im realen täglichen Leben untersuchte. Hierdurch können Bedarfsorientierung und Effektivität erhöht werden.
Eine weitere wichtige Komponente der Patentenschulungen ist die soziale Unterstützung im alltäglichen Umgang mit konkreten Krankheitsproblemen. Problemorientierte Schulungsansätze bei Patienten mit hohem Unterstützungsbedarf vor endoprothetischem Gelenkersatz zeigten deutliche Besserungen mit einer signifikant kürzeren postoperativen Rehabilitation [6]. Dies betont, dass die Bedingungen und die Bedürfnisse ein wesentlicher Faktor für den Effekt von Schulungsmaßnahmen sind.
Welche Outcomes sind bei psychoedukativen Interventionen relevant? Die relevanten kognitiven Veränderungen wie Zunahme von Wissen, Selbstwirksamkeit, Selbstmanagement sind wesentlich zur Bewertung von allgemein gesundheitsheitsbezogenen oder krankheitsspezifischen Outcomes. Psychosoziale Outcomes und Veränderungen in der funktionalen Gesundheit und Teilhabe, wie sie z. B. in der internationalen Klassifikation von Aktivitäten (ICF) aufgeführt sind, erscheinen hier wesentlich [1].
EEin wichtiges Ziel von Schulungsprogrammen ist es, informierte Nutzer des Gesundheitssystems zu fördern.
In dieser Hinsicht ist ein weiteres Outcome aus dem OMERACTProzess wichtig, das effizientes Nutzerverhalten misst [14]. Dies ist insbesondere für die gesundheitsökonomischen Bewertungen von Patentenschulungen relevant. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass ein wesentlicher Nutzen von Schulungsprogrammen auch darin liegen kann, inadäquate Kosten zu vermeiden.
In Deutschland hat sich in den letzten Jahren in der Rheumatologie ein umfassendes und qualitätsgesichertes System von Patentenschulungen unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und der Deutschen Rheumaliga entwickelt. Neben einem allgemeinen Schulungsprogramm über Alltagsaktivitäten und Lebensperspektiven sind multimoda
le Schulungsprogramme für Patienten mit chronischer Polyarthritis, ankylosierender Spondylitis, systemischem Lupus erythematodes, systemischer Sklerose, Fibromyalgie, Osteoporose und für rheumakranke Kinder und Jugendliche entstanden. Die krankheitsspezifischen Programme werden überwiegend im klinischen Bereich in Akut und Rehakliniken eingesetzt. Nur ein kleiner Teil der Schulungsaktivitäten findet im ambulanten Bereich statt.
In diesem Jahr sind Aktivitäten zur Information und Schulung von Rheumapatienten Schwerpunkt der Arbeitsgemeinschaft regionaler kooperativer Rheumazentren der DGRh unter dem Leitmotiv „Der informierte Patient als Partner“. Ziel der Aktivitäten ist es, die bewährten Schulungsprogramme einer größeren Zahl von Patienten verfügbar zu machen, insbesondere im ambulanten Bereich, und darüber hinaus strukturierte Patienteninformation v. a. für Patienten mit neu diagnostizierter Erkrankung zu entwickeln. Hierzu haben sich 2 Arbeitsgruppen gegründet. Eine Vielfalt geeigneter Informations und Schulungsaktivitäten soll es ermöglichen, den Patienten vom Beginn seiner Erkrankung an und in verschiedenen Situationen mit geeigneten Informationen und Schulungsaktivitäten in der Bewältigung seines Alltags zu unterstützen. Dies ist eine wichtige Aufgabe der regionalen, kooperativen Versorgung von Rheumapatienten und der jeweiligen Rheumazentren in enger Kooperation mit den Patientenorganisationen. Die Kampagne zu einer verbesserten Wahrnehmung und Nutzung von Patientenschulung sollte auch zur Intensivierung der Forschung anregen, wie der Beitrag in diesem Heft zu den australischen Aktivitäten zeigt, um ihren Stellenwert in der Gesundheitsversorgung klarer zu definieren, und die Kostenträger in die Diskussion einbeziehen, um bei erkennbarem Nutzen eine bessere Integration von edukativen Maßnahmen in der Rheumatologie in die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung zu erreichen.
Ihr
E. Genth
KorrespondenzadresseProf. Dr. E. GenthRheumaklinik und Rheumaforschungs- institut AachenBurtscheider Markt 24, 52066 [email protected]
Literatur
1. Backman CL (2006) Outcome measures for arthri-tis care research: recommendations from the CARE III conference. J Rheumatol 33: 1908–1911
2. Brekke M, Hjortdahl P, Kvien TK (2001) Self-effica-cy and health status in rheumatoid arthritis: a two-year longitudinal observational study. Rheumato-logy (Oxford) 40: 387–392
3. Buckelew SP, Huyser B, Hewett JE et al. (1996) Self-efficacy predicting outcome among fibromyalgia subjects. Arthritis Care Res 9: 97–104
4. Burckhardt CS, Lorig K, Moncur C et al. (1994) Ar-thritis and musculoskeletal patient education stan-dards. Arthritis Foundation. Arthritis Care Res 7: 1–4
5. Burckhardt CS, Mannerkorpi K, Hedenberg L, Bjelle A (1994) A randomized, controlled clinical trial of education and physical training for women with fi-bromyalgia. J Rheumatol 21: 714–720
6. Crowe J, Henderson J (2003) Pre-arthroplasty reha-bilitation is effective in reducing hospital stay. Can J Occup Ther 70: 88–96
7. Curson D, Pimm TJ, Byron MA (1996) Patient edu-cation: treatment or nice extra. The British expe-rience [letter]. Br J Rheumatol 35: 805–807
8. Ehlebracht-König I, Bönisch A (2004) Patien-tenschulungen in der Rehabilitation von Pati-enten mit chronischen Polyarthritiden und Spon-dylarthritiden. Akt Rheumatol 29: 248–254
9. Hammond A, Freeman K (2004) The long-term outcomes from a randomized controlled trial of an educational-behavioural joint protection pro-gramme for people with rheumatoid arthritis. Clin Rehabil 18: 520–528
10. Li LC (2007) If knowledge is power, why don’t rheumatoid arthritis education programs show better outcomes? J Rheumatol 34: 1645–1646
11. Osborne RH, Wilson T, Lorig KR, McColl GJ (2007) Does self-management lead to sustainable health benefits in people with arthritis? A 2-year tran-sition study of 452 Australians. J Rheumatol 34: 1112–1117
12. Riemsma RP, Taal E, Kirwan JR, Rasker JJ (2004) Sys-tematic review of rheumatoid arthritis patient ed-ucation. Arthritis Rheum 51: 1045–1059
13. Taal E, Rasker JJ, Wiegman O (1996) Patient edu-cation and self-management in the rheumatic di-seases: a self-efficacy approach. Arthritis Care Res 9: 229–238
14. Tugwell PS, Wilson AJ, Brooks PM et al. (2005) At-tributes and skills of an effective musculoskeletal consumer. J Rheumatol 32: 2257–2261
15. Winfield JB (1989) Arthritis patient education. Effi-cacy, implementation, and financing. ACR/AHPA/AF/NAAB Task Force on Arthritis Patient Education. Arthritis Rheum 32: 1330–1333
16. Zhang W. Doherty M, Leeb BF et al. (2007) EULAR evidence based recommendations for the ma-nagement of hand osteoarthritis: report of a Task Force of the EULAR Standing Committee for Inter-national Clinical Studies Including Therapeutics (ESCISIT). Ann Rheum Dis 66: 377–388
188 | Zeitschrift für Rheumatologie 3 · 2008
Einführung zum Thema