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Paul Burkhard Paul Burkhard nimmt unter den Schweizer Kom- ponisten, ja unter den Komponisten der Gegenwart überhaupt, eine Sonderstellung ein. Obwohl er sich vom Anfang seiner kompositorischen Laufbahn an hauptsächlich der leichten Muse verschrieben hat, knüpfte er nicht an die Ausläufer der parfümierten und sentimentalen Wiener Operette an. Dagegen ist ein gewisser Einfluß des Meisters der klassischen Operette Jacques Offcnbacb unverkennbar. Nach seinen Studien am Zürcher Konservatorium fand Burkhard 1934 sein erstes Engagement am Stadttheater Bern. Die Atmosphäre des Theaters faszinierte ihn derart, daß er sich entschloß, neben seiner Tätigkeit als Dirigent und Korrepetitor ein Werk für die Bühne zu schreiben. So wurde der Kapellmeister zum Komponisten, und 1935 entstand innerhalb kurzer Zeit die Operette «Hopsa». Das von der in der Schablone erstarrten Operette völlig freie Werk ging über sämtliche Schweizer Bühnen mit größtem Erfolg und erweckte HolTnungen auf ein Weiterbestehen dieser Gattung. Auc h sein folgendes Werk «3 X Georges» (1937) , obwohl, wie Kaimans «Zirkusprinzessin», der Welt des fahrenden Volkes verschrieben, ging neue Wege: keine verlogene Salonsentimentalität, sondern echtes herzvolle s Emp- finden. Bezeichnend für Burkhards künstlerischen Weg ist, daß seine nächste und langjährige Station das Zürcher Schauspielhaus" war, dem er von 1939 bis 1944 angehörte. In diesen Jahren erlebte das Schau- spielhaus' seine Glanzzeit als Sammelpunkt hervor- ragender Kräfte und Insel des freien künstlerischen Ausdruckswillens. Paul Burkhard schrieb nun zu un- zähligen Werken die Musik mit einem ungewöhnli- chen Stilempfinden. Sein Bogen reicht von «Faust II» bis zu Brechts noch heute allen Besuchern im Ohr haftendem Landsknechtlied der «Mutter Courage», von Giraudoux* märchenhafter «Undine» bis zu Lope de Vega und Calder6n. Wer erinnert sich nicht der zauberhaften, leicht parodistischen Musik zu Gol- donis Komödie «Das Kaffeehaus» in unserer Garten- bauausstellung, an das köstliche Frauenterzett oder an die von südlichem Brio durchpulste Colombinen- szene? Burkhard verdankt, wie er selbst bekennt, dem Zürcher Schauspielhaus unendlich viel: «Seit ich diese Aufführungen erlebt und an ihnen mit- gearbeitet habe, kann ich nicht mehr für schlechtes Theater schreiben.» Burkhard geht in seinen Kompositionen immer vom Wort und von der Atmosphäre aus. Seine Musik ist nie Selbstzweck. Er unterstreicht die Stimmung, hebt sie auf feinfühlige Weise verdeutlichend hervor. So bildet seine Musik eine sinnvolle und harmonische Ergänzung zum Wort, zur Handlung, zum gesamten Werk. Und immer spricht aus seinem Schaffen der echte Humor, der Schalk. Seine Absicht. ist, uns zu unterhalten. Und doch bekundet er in jedem Takt Geschmack und Kultur, im nebensächlich Unter- spielten echt Menschliches. Trotz seinen großen- internationalen Erfolgen ist Burkhard stets einer der Unsrigen geblieben. Am deutlichsten tritt' dies in seinem unverwüstlichen «Schwarzen Hecht» zutage, dessen Lokalkolorit echt' schweizerisch ist, wie auch in der zurzeit mit größtem Beifall am Schauspielhaus wiederaufgeführten «Nie- derdorf-Oper». Eric Charell, der große Producer der Berliner Uraufführung des «Weißen Rößl», verhalf 1949 dem «Schwarzen Hecht», aus dem die erweitert orchestrierte Bearbeitung «Feuerwerk» wurde, zum Siegeszug über fast alle Bühnen der Welt, von Lon- don bis Paris, von Berlin bis Wien. Obwohl das schweizerische Kolorit, das Burkhard und Jürg Am- stein in Anlehnung an Emil Sautters Dialektstück «De sächzgischt Geburtstag» getroffen hatten, elimi- niert werden mußte, war es erfreulich, daß das Werk eines Schweizer Komponisten begeisterten Widerhall weit über die Grenzen unseres Landes fand. Nach der Verfilmung mit Lili Palmer und Romy Schneider griffen auch sämtliche deutsch- sprachigen Provinztheater nach dem sicheren Kassen- stück. Wie populär das «O mein Papa»-Chanson selbst in den entlegensten Dörfern und Städten des Auslandes ist, illustrieren folgende zwei Episoden: In einem Dorf bei Passau, so lesen wir in einer bayrischen Zeitung, Wurde ein Mitglied des Krieger- vereins mit den in Deutschland üblichen «militäri- schen Ehren» beigesetzt. Nachdem der Pfarrer ge- sprochen hatte, spielte die Kapelle das Lied vom «Guten Kameraden», und drei- Böllerschüsse krach- ten über das offene Grab. Dann aber wollten die Dorfmusikanten auch noch zum Ausdruck bringen, daß der Verblichene nicht nur ein erfolgreicher Krieger, sondern auch ein treusorgender Familien- vater war. Und deshalb stimmten sie als Trauer- Choral Paul Burkhards «O mein Papa» an. «In der Trauergemeinde blieb kein Auge trocken», so schließt der Zeitungsbericht. Die andere Begebenheit trug sich vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten zu: Als ein Leut- nant der Schweizer Armee, Mitglied der Neutralen Repatriierungskommission in Korea, auf der Rück- reise nach der Schweiz in New York eines Abends eine Bar betrat, begann der Pianist plötzlich wie wild die «Marseillaise» zu spielen und erklärte am Schluß: «Meine Damen und Herren, wir haben die große Ehre, daß sich ein Held der französischen Armee in unserem Lokal aufhält . . Als das Miß- verständnis schließlich geklärt war, beeilte sich der Barpianist, die schweizerische Nationalhymne zu in- tonieren. Doch wie ging die nur? Plötzlich ging ein aufatmendes Lächeln der Erleuchtung über das Ge- sicht des Pianisten. Er setzte sich feierlich auf sei- nem Stuhl zurecht und lmb an «0 mein Papa...». Obwohl Burkhard mit dem «Schwarzen Hecht» und namentlich mit seinem Erfolgsschlager «0 mein Papa» weltweite Popularität gewonnen hat, ist er nicht, wie andere hochbegabte Operettenkompo- nisten, in die Banalität der Dutzendware abgeglitten. Von neuem fühlte er sich zum Sprechtheater- hin- gezogen. In anderthalbjähriger Zusammenarbeit mit Friedrich Dürrenmatt entstand die «Oper einer Pri- vatbank, Frank V.», vor einem Jahr im Schauspiel- haus uraufgeführt, die zurzeit VOn Autor und Kom- ponist in eine neue Fassung gebracht wird. Auf seinen Erfolgen nie ausruhend, stets neue Wege beschreitend, bleibt Burkhard sich selbst treu. Jürg Mcdicus Der Käferheilige Sankt Mang Mit der Pracht des Frühlings bricht auch die lustvolle Zeit aller Schädlinge an. Die Schnecken machen sich mit Ingrimm über das junge Grün her, die Blütenstecher fallen auf die blühenden Bäume ein, Raupen und Larven, Maden und Läuse gehen ans Werk, und die Maikäfer feiern Feste. Heute rückt der Mensch dem Ungeziefer mit chemischen Mitteln zu Leibe. Flugzeuge sprühen Gifte über die zum Fraß versammelten Käfer, sie vernichten auch alle nützlichen Insekten und leider auch die Insektenfresser, unsere lieben Singvögel. Unsere Ahnen waren nicht auf so unmenschliche Mittel angewiesen. Die Maikäfer waren schon dem hl. Isidor von Sevilla, der ums Jahr 600 lebte, bekannt Auf Schweizer Boden ist der Zürcher Chorherr Felix Hemmerli der erste, der von einer Maikäferbekämp- fung zu berichten weiß. Er schildert 1460 das 'ab- sonderliche. Verfahren, das gegen die Maikäfer in der Diözese Chur angewandt wurde. Danach stellte man die Schädlinge vor ein weltliches Provinzial- gericht. Ein Ankläger schilderte ihre Untaten. .Aber die Gerechtigkeit forderte auch einen Verteidiger. Dieser aber erreichte nur die Zubilligung mildern- der Umstände. Die Verurteilten wurden in eine öde und waldige Gegend verbannt. Ein gleicher Prozeß ist aus Lausanne unter dem Bischof Georg von Saluzzo (1440 bekannt. Dort wurden die Engerlinge durch einen Boten öffentlich vorgeladen. Nach ihrer Weigerung führte man drei Angeklagte unter großem theatralischem Aufwand gewaltsam vor das Gericht, gab ihnen eine letzte Frist von drei Tagen, innert welcher sämt- liche Engerlinge das Gebiet zu verlassen hätten, andernfalls sie im Namen Gottes und der Kirche verflucht würden. Da die Verwarnten die Frech- heit hatten, dem Befehle zu trotzen, wurden die vorgeladenen Engerlinge geköpft und alle andern in contumaciam verflucht. Das Volk war tief be- friedigt, daß endlich etwas Entscheidendes ge- schehen war. 1479 gelangten die Bewohner des Freiamts wegen der Maikäferplage an den Bischof von Konstanz. Dieser nun ging von der Annahme aus, es handle sich um eine Strafe Gottes und verordnete andere Mittel. Er übersandte einen großen Exorzismus, an den aber schwere Vorbedingungen geknüpft waren, wenn er wirken sollte. Männer und Frauen mußten zusammengerufen, und es mußte ihnen verordnet werden: «daß sy an allen Sontagen, ouch an allen Festen Gottes und der ußerwelten Heiligen alle offne Tanz fliehind und miedind, ouch alle Ehe- brecher und Ehebrecherin, item alle Huorerytriber, geistlich und weltlich, . von irer ergerlichen ver- botenen Huorery abstandend und ufhörend, deß- glichen niemand weder mit Würffei noch Karten oder ander ungebürend Sachen ode r Spil sich üebind.» Ferner sollten Kreuzgänge abgehalten und Votivmessen für das Gedeihen der Feldfrüchte ge- lesen werden. Zum Schlüsse mußte die Allerhei- ligenlitanei gebetet und dann die eigentliche Be- schwörung gegen die Engerlinge vorgenommen werden. Es leuchtet ein, daß der kluge Bbchof mit seinem Exorzismus wichtigere Schädlinge bekämp- fen wollte als die moralisch belanglosen Engerlinge. 1481 erbaten auch die Gemeinden am oberen Zürichsee ein solches Beschwörungsschreiben von Konstanz, und 1492 litt Uri so schwer unter der Plage, daß seine Bewohner ohne Vermittlung der Kirche eine Befreiung für unmöglich hielten und daher vom apostolischen Stuhl eine Engerlingsbulle erbaten. In Obwolden hört man 1559 zum erstenmal von den Schädlingen. Die Regierungsmänner sannen damals auf Abhilfe und vernahmen im Laufe der Beratung von jenem gewaltigen Exorzismus, den die Bewohner des Freiamtes von Konstanz erhalten hatten. Landammann Johann Wirz benutzte seine nächste Reise an die Tagsatzung nach Baden, um dem Text nachzuforschen, fand ihn und verschaffte sich eine sorgfältige Abschrift. Nach seiner Heim- kehr fibergab er das wertvolle Dokument, mit eigen- händiger Beglaubigung, sofort dem Landesarchiv, wo es wie ein Schatz gehütet und nur bei dringen- dem Bedarf an die kirchlichen Behörden aus- gehändigt wurde. Als besonderer Schutzpatron gegen die Enger- lingsplage galt von jeher der hl. Magnus. Damit tritt der mächtigste Gegner des Ungeziefers auf den Plan. Der. hl. Magnus oder Sankt Mang, wie er in alten Schriften heißt, war der Apostel des Allgäus. Er liegt in der eindrucksvollen romanischen Krypta des Klosters Füssen in Oberbayern begraben. Da er den Drachen des Unglaubens bekämpft hat, wird er mit einem Drachen oder Lindwurm abgebildet. Die Logik der Bauern rechnete sich aus, daß ein' Hei- liger, der es mit so gewaltigen Würmern aufnimmt, um so leichter mit kleinen fertig werden müsse; außerdem starben die Drachen langsam aus, so daß man den Heiligen mit weniger Bedenken gegen die verhaßten Erdwürmer, die Engerlinge, in Anspruch nehmen durfte . Die Herren von Bern erbaten sich 1511 vom Kloster St. Gallen einen Arm des hl. Magnus, damit die Felder mit der Reliquie gesegnet und von Engerlingen befreit werden könnten. Die gleiche Gunst wurde vom Kloster St. Gallen dem Lande Uri gewährt. In Willisau wurde schon zu Anfang des Jahrhunderts das Magnusfest als Fest des Engerlingvertilgers gefeiert und ein Opfer für die «Ingerkerze» aufgenommen. Auch die Kirchgenossen von Sarnen beschlossen, am Sonntag vor Verena für eine «Ingerkerze» das Opfer aufzunehmen und die Kerze bei jedem Amt während des ganzen Jahres brennen zu lassen. 1685 war die Engerling- plage in Obwaldcn wieder so verheerend, daß der Tag des hl. Magnus zum Feiertag erklärt werden mußte. Er wurde «Ingcrfirtig» genannt. Im Kloster St. Mang zu Füssen wird auch der Stab des hl.Magnus aufbewahrt, der als besonders wunder- tätig galt. Die Bauern des Allgüus bestürmten den Abt mit Bitten, er möge mit dem Stab ihre Felder segnen lassen. Die Mönche hatten mit der Reliquie ausgedehnte Reisen zu unternehmen. Der Ruf des Wunderstabes gelangte auch nach Sarnen, und auf dringende Bitten der Behörden brachte ihn ein Mönch bis ins entlegene Obwalden. Ein Pater Coeleritin Stadler zog mit dem Stab prozessions- weise über die Felder sämtlicher Gemeinden. Der obere Halbkanton war hierin, wie in allen frommen und rentablen Dingen; den Nidwaldncrn voraus. Aber bald wurde auch in Nidwaiden all- jährlich am Magnustag ein Kxeuzgang auf den All- weg abgehalten. Die dortige Kapelle war 1671 als Ersatz für eine baufällige frühere Kapelle erbaut worden zur Erinnerung an die Heldentat Strutan Winkelrieds, der das Land von einem Drachen befreit hatte. Sie wurde Winkelried- ode r Drachen- kapelle genannt und ist dem hl.Magnus geweiht. Der Heilige mit dem Drachen schien den alten Nidwaldnern der angemessene Patron für eine Drachenkapelle. Sofort übernahm aber Sankt Magnus auch seine neue Aufgabe als Bckümpfcr der Engerlinge und Maikäfer. Um die Jahrhundertwende waren di e Bittgänge nach «St. Mang auf dem All- weg» zur Gewohnheit geworden, ja die Begeisterung dafür schien schon abzuflauen, so daß die hohe Regierung 1708 die Bevölkerung zu vermehrter Teilnahme ermahnen mußte: «Weilen von ersühn- liehen Jahren hero zur Ausreüttung der schedlichen Ingern undt zur Erhaltung des lieben Viechs eine allgemeine Prozession zue St. Mang abgehalten, aber neuerdings wenig besuecht worden , soll die Prie- sterschaft von den Kanzlen herab das Volk dazuc gemahnen.» Besonders 1711, als die Engerlinge in Fülle großen Schaden stifteten, traf die Regierung Anstalten, durch Prozession und Benediktion dieses Ungeziefer zu bekämpfen . Da auch das Klo- ster Engelberg eine kleine Reliquie des hl.Magnus besaß, ersuchte der Wochenrat den gnädigen' Herrn, diese überbringen zu lassen, damit bei der «all- gemeinen Landsprocession zu dem Hl. Magno Uff dem Allweg die Benediction und Segen ertheilt und wir des Leidigen Unzüffers vermittelst gedachte Allgemeiner Andacht und Segen erledigt werden mögent». Die Prozession wurde denn auch abgehal- ten, und der beauftragte Pater segnete «mit St Mangs Heiligthum» die Felder, das Erdreich, das Wasser und die Asche. Wenige Wochen später vernahm man in Nid- walden, daß wieder ein Pater aus Füssen mit dem Magnus-Stab in Obwalden weile. Da beschloß der Wochenrat, diesen «Pater Frantz aus Fießen mit ge> dachtem wunderwürkhendem Staab» zu ersuchen, auch nach Nidwaiden zu kommen, damit «durch die Vorpitt des großgültigen H. Magni die lieben Erdfrüchte von solcher Schedlichkeit mögen übe- riert werden». Höchst feierlich sandte man die Spitzen der Regierung dem Pater bis an die Landes- grenze entgegen und empfahl dem ganzen Rat, dem wertvollen Gast während seiner Anwesenheit auf Landesboden Gesellschaft zu leisten. Nachdem der Mönch seine geistlichen Funktionen verrichtet hatte, überreichte ihm die hohe Regierung ein Dankesschreiben an den Abt von Füssen und ein Honorar von acht Louis d'or. Der Feiertag zu Ehren des hl.Magnus bestand in Nidwaiden bis 1858, in Obwalden, wie man ver- mutet, noch zwanzig Jahre länger. Dann wurden die alten frommen -Mittel von der Chemie abgelöst, die radikaler aber auch gefährlicher zu Werke geht Ob ihr Enderfolg erfreulicher ausfallen wird, mag die Zukunft weisen. HflM Man nehme . . Wenn die englischen Verleger die Listen ihrer Bestseller veröffentlichen, dann steht, neben der Bibel und Shakespeares Werken, seit hundert Jah- ren ein Buch an prominenter Stelle, von dem man im Ausland kaum den Namen kennt In England ist der Name der Autorin ein selbst- verständlicher Begriff, ganz so wie «La Tante Marie» in Frankreich und «Die Prato» in Oesterreich. Aus- wärtige Gäste, ob sie bei Freunden oder in Restau- rants essen, werden leider zur Anschauung kommen, die englische Küche sei langweilig, arm, phantasie- los sagen wir es ehrlich: recht schlecht. Hätten sie, aber das kann man von Gästen kaum verhingen, eine Viertelstunde mit dem Standardwerk Isabelle Beeton's: «Die Leitung, eines Haushaltes» verbracht, so' wüßten sie, daß man' eins t in England sogar aus- gezeichnet gekocht and opulent gegessen hat. Mrs. Beeton, wenn sie vielleicht hoch als Geist aus den Tagen 'der Königin Victoria durch Englands Küchen spukt, wundert sich wahrscheinlich selbst am mei- sten, wie es so weit hat kommen können. Der Geist der Frau Isabelle Beeton wird nicht erhört, obwohl sie keine von denen ist, deren Rezepte mit 16 Eiern, einer silbernen Schüssel, einer Flasche Sherry und einem halben Pfund Kaviar beginnen. Moderne Kochrezepte erscheinen in den Frauenzeitungen unter dem Namen Peggy, Jane, oder Mary Beaton. Neue Kochbücher, dünn, flach, stromliniert, sind so wie die Speisen, die sie empfehlen. Alle Tageszeitungen widmen täglich eine Spalte der Kochkunst. Rundfunk und Fern- sehen haben ihre wöchentlichen Kochstunden. Sie sind größtenteils unkundig abgefaßt, gehen an dem Essentiellen des Kochens vorbei und sind fast alle für die Katze. Davon verängstigt, öffnet die Haus- frau eine Büchse gebackener Bohnen und eine Büchse Spaghetti in Tomatensauce, legt beides auf Brot und unter den Toaströster und wendet sich träumerisch der Lektüre der Isabelle Beeton zu, so wie man sieb von einem Reisebuch in die Südsee entführen läßt Zwischendurch liest auch der Gatte mit und murmelt: «Das waren noch Zeiten!» Sie war keine «Kochtante», keine furchterregend tüchtige Hausfrau. Sie war eine junge Dame, die ihrem Gatten, einem Verleger, bei seinen Geschäf- ten half, eine ganz ausgefallene Sache in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und die In* ein Leben, das bloß achtundzwanzig Jahre währte, mehr hineinpreßte als viele ihrer Zeitgenossinnen, die Großmamas wurden. Ihr Vater war Sekretä r des Rennplatzes in Epsom, ein vermögender, kultivierter Mann, der über .eine Dienstwohnung im Zuschauerpavillon ver - fügte. Den großen Speisesaal installierte er als; Eß- zimmer der Familie, die Kinder spielten während der .toten Saison auf den Tribünen und auf der Rennbahn, und ums Derby herum wurden sie zu Freunden geschickt Da der gute Mr. Dorling ein- undzwanzig Kinder hatte, war offenbar wirklich ein Rennplatz nötig, um sie alle unterzubringen. Während der .Rennzeit hatten die Dorlings den Restaurantbetrieb unter sich, und möglicherweise gab diese Bewirtung im großen Stil Isabelle manche ihrer grandiosen Ideen für später. Mit 20 Jahren verliebte sie sich in den Verleger Sam Beeton und heiratete ihn ein Jahr später. Sam war ein unternehmungslustiger junger Mann. Er hatte mit dem Nachdruck von «Onkel Toms Hütte» eine Menge Geld gemacht, einem legal zulässigen literarischen Diebstahl, da die englischen Verleger damals das amerikanische Copyright nicht anerkannten. Beeton allerdings war eine Ausnahme; er druckte das Buch zwar wie alle andern ohne, die Erlaubnis der Autorin, aber nachher fuhr er nach Amerika und händigte Mrs. Harriet Beechcr Stowe einen Scheck auf 500 Pfund aus. Als er Isabelle heiratete, gab er «Boys' Own Journal-» heraus, eine Jungenzeitung, und einige Frauenmagazine. «Queen» und «Boys* Own» existie- ren noch heute. Isabelle begann sofort, ihm zu helfen. Zu einer Zeit, da Damen (zum Unterschied von Frauen; damals gab es noch einen klar definier- ten Unterschied) mit der «Beaufsichtigung» ihres Haushaltes voll beschäftigt waren, übersetzte Isa- belle aus dem Französischen, korrigierte Manu- skripte,- sorgte für den Umbruch, und richtete den ersten Schnittmusterdienst in England nach fran- zösischem Vorbild ein. Daß sie das Haus führte, Gäste empfing, vier Kinder gebar, von denen sie zwei ganz klein verlor, davon sprach man kaum. Aber man sprach von ihrem Standardwerk. Schon als junges Mädchen hatte diese klare, logische, systematische Frau ein verläßliches Buch vermißt, in dem man nachschlagen konnte, wie man Flecken aus einem Perserteppich entfernt, einen Braten zu- richtet, Kranke pflegt,' eine Köchin aufnimmt und ein Abendessen arrangiert Da es nichts 'dergleichen gab; schrieb sie es selbst und verlegte es bei ihrem Gatten,* zuerst in monatlichen ' Bändchen, dann 'ge- sammelt als Buch. Dazwischen all das in acht Jahren Ehe bis zu ihrem frühen Tod fuhr sie nach Heidelberg, wo ihre kleinen Schwestern im Pensionat waren, reiste nach Berlin, Biarritz, Irland und Brüssel. Aber wo immer sie war, die Arbeit reiste mit ihr: sie korrigierte Rezepte aus ihrem Leserkreis, die sie jedes einzeln ausprobierte, ließ Illustrationen anfertigen und sah die Druckfahnen durch. Sie und ihr Mann waren ständige Besucher in Paris, wo sie selbstverständlich nicht im Traum daran dachten, ihr e Eßgewohnheiten zu ändern. Sie begannen den Tag mit einem ordentlichen Frühstück mit Steaks und Koteletten, ein bißchen Fisch vielleicht und natürlich Orangenjam. Mittags aßen sie, zur Vcr- zweiflung ihrer Gastgeber, nur ein bißchen Suppe und Toast, und dann um Fünf verspeisten sie ein solides Abendessen mit fünf Gängen. Das Buch wurde sofort bei seinem Erscheinen ein. Riesenerfolg. Isahelles präziser Stil, ihre Samm- lung von Anekdoten über Brillat-Savarin, über Jenny Limit, die «schwedische Nachtigall», der sie eine Suppe gegen Halsweh verdankte, ihre 'Gabe, die Dinge zu erklären, ob sie nun über Hausmittel gegen eine Ohnmacht oder über Suppenküchen in Notzeiten schrieb, gefielen, und gefallen noch heute. Ihr «illustrierter» Wildschweinskopf, ihr getrüffelter Fasan, ihre hoch getürmten Torten in zwölf Schich- ten, ihre Eisbomben und pikanten Gelees wurden Schaustücke der englischen Haushalte. Und in der Originalausgabe (heute ein Sammlerstück, denn jede neue Auflage wird modernisiert) lesen wir mit ein wenig Sehnsucht von Einrichtungen, die es längst nicht mehr gibt: die Diät einer Amme, das Verhält- nis zwischen Köchin und Küchenmädchen, die Rei- nigung von Straußfedern und Reiheragraffen, das korrekte Verhalten bei offiziellen Besuchen... ihr praktischer Wert ist Vom Wind verweht. Aber als Sozialgcschichte dieser Zeit sind diese 1997 Seiten noch immer zum Greifen nahe. Einhundert Rezepte gab sie allein für Rindfleisch, fast ebenso viele für Lammfleisch. Wir lesen über Puddings, Gebäck, Brot, oft mit Zitaten von Keats, Byron, Shelley ver- quickt, und betrachten mit Entzücken die silbernen Tafcldekorationen mit Blumen und Kristall. Nicht zu vergessen ihre Vorbereitungen für ein Picknick zu vierzig Personen mit vier gebratenen Kapau- nen, zwei Enten, einem glasierten Schinken und einer Zunge , zu dem ausdrücklich drei Korkzieher ge- braucht wurden. Isabelles Nachkommen nehmen sechs Käsesand- wichs mit, wenn sie auf ein Picknick radeln, und sie sind meistens zu zweit oder zu viert. Vielleicht haben sie mehr Freunde am Leben als die Damen, die einen Teekessel mitnehmen mußten, Teetassen, kleine und große Teller und Besteck. Sie sind nette, muntere, unbeschwerte junge Frauen, aber ach, sie sollten siel; von den Mengen und vom Aufputz nicht abhalten lassen, Souffles ä la Marlborough zuzubereiten, Potage Solferino oder Poulet Marengo, in Oel und Weißwein gedünstet. Kochen ist, wenn man sich nur ein Herz nimmt, gar nicht so schwer. . q Neue Zürcher Zeitung vom 21.05.1960

Paul Burkhard...2017/12/18  · Choral Paul Burkhards «O mein Papa» an. «In der Trauergemeinde blieb kein Auge trocken», so schließt der Zeitungsbericht. Die andere Begebenheit

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Page 1: Paul Burkhard...2017/12/18  · Choral Paul Burkhards «O mein Papa» an. «In der Trauergemeinde blieb kein Auge trocken», so schließt der Zeitungsbericht. Die andere Begebenheit

Paul BurkhardPaul Burkhard nimmt unter den Schweizer Kom-

ponisten, ja unter den Komponisten der Gegenwartüberhaupt, eine Sonderstellung ein. Obwohl er sichvom Anfang seiner kompositorischen Laufbahn anhauptsächlich der leichten Muse verschrieben hat,knüpfte er nicht an die Ausläufer der parfümiertenund sentimentalen Wiener Operette an. Dagegen istein gewisser Einfluß des Meisters der klassischenOperette Jacques Offcnbacb unverkennbar.

Nach seinen Studien am Zürcher Konservatoriumfand Burkhard 1934 sein erstes Engagement amStadttheater Bern. Die Atmosphäre des Theatersfaszinierte ihn derart, daß er sich entschloß, nebenseiner Tätigkeit als Dirigent und Korrepetitor einWerk für die Bühne zu schreiben. So wurde derKapellmeister zum Komponisten, und 1935 entstandinnerhalb kurzer Zeit die Operette «Hopsa». Das vonder in der Schablone erstarrten Operette völlig freieWerk ging über sämtliche Schweizer Bühnen mitgrößtem Erfolg und erweckte HolTnungen auf einWeiterbestehen dieser Gattung. A u ch sein folgendes

Werk «3 X Georges» (1937), obwohl, wie Kaimans«Zirkusprinzessin», der Welt des fahrenden Volkesverschrieben, ging neue Wege: keine verlogeneSalonsentimentalität, sondern echtes herzvolles Emp-

finden.Bezeichnend für Burkhards künstlerischen Weg

ist, daß seine nächste und langjährige Station dasZürcher Schauspielhaus" war, dem er von 1939 bis1944 angehörte. In diesen Jahren erlebte das Schau-spielhaus' seine Glanzzeit als Sammelpunkt hervor-ragender Kräfte und Insel des freien künstlerischenAusdruckswillens. Paul Burkhard schrieb nun zu un-zähligen Werken die Musik mit einem ungewöhnli-

chen Stilempfinden. Sein Bogen reicht von «Faust II»bis zu Brechts noch heute allen Besuchern im Ohrhaftendem Landsknechtlied der «Mutter Courage», vonGiraudoux* märchenhafter «Undine» bis zu Lope deVega und Calder6n. Wer erinnert sich nicht derzauberhaften, leicht parodistischen Musik zu Gol-donis Komödie «Das Kaffeehaus» in unserer Garten-bauausstellung, an das köstliche Frauenterzett oderan die von südlichem Brio durchpulste Colombinen-szene? Burkhard verdankt, wie er selbst bekennt,dem Zürcher Schauspielhaus unendlich viel: «Seitich diese Aufführungen erlebt und an ihnen mit-gearbeitet habe, kann ich nicht mehr für schlechtesTheater schreiben.»

Burkhard geht in seinen Kompositionen immer vomWort und von der Atmosphäre aus. Seine Musik istnie Selbstzweck. Er unterstreicht die Stimmung, hebtsie auf feinfühlige Weise verdeutlichend hervor. Sobildet seine Musik eine sinnvolle und harmonischeErgänzung zum Wort, zur Handlung, zum gesamten

Werk. Und immer spricht aus seinem Schaffen derechte Humor, der Schalk. Seine Absicht. ist, uns zuunterhalten. Und doch bekundet er in jedem TaktGeschmack und Kultur, im nebensächlich Unter-spielten echt Menschliches.

Trotz seinen großen- internationalen Erfolgen istBurkhard stets einer der Unsrigen geblieben. Amdeutlichsten tritt' dies in seinem unverwüstlichen«Schwarzen Hecht» zutage, dessen Lokalkolorit echt'

schweizerisch ist, wie auch in der zurzeit mit größtem

Beifall am Schauspielhaus wiederaufgeführten «Nie-derdorf-Oper». Eric Charell, der große Producer derBerliner Uraufführung des «Weißen Rößl», verhalf1949 dem «Schwarzen Hecht», aus dem die erweitertorchestrierte Bearbeitung «Feuerwerk» wurde, zumSiegeszug über fast alle Bühnen der Welt, von Lon-don bis Paris, von Berlin bis Wien. Obwohl dasschweizerische Kolorit, das Burkhard und Jürg Am-stein in Anlehnung an Emil Sautters Dialektstück«De sächzgischt Geburtstag» getroffen hatten, elimi-niert werden mußte, war es erfreulich, daß dasWerk eines Schweizer Komponisten begeisterten

Widerhall weit über die Grenzen unseres Landesfand. Nach der Verfilmung mit Lili Palmer undRomy Schneider griffen auch sämtliche deutsch-sprachigen Provinztheater nach dem sicheren Kassen-stück. Wie populär das «O mein Papa»-Chanson

selbst in den entlegensten Dörfern und Städten desAuslandes ist, illustrieren folgende zwei Episoden:

In einem Dorf bei Passau, so lesen wir in einerbayrischen Zeitung, Wurde ein Mitglied des Krieger-vereins mit den in Deutschland üblichen «militäri-schen Ehren» beigesetzt. Nachdem der Pfarrer ge-sprochen hatte, spielte die Kapelle das Lied vom«Guten Kameraden», und drei- Böllerschüsse krach-ten über das offene Grab. Dann aber wollten dieDorfmusikanten auch noch zum Ausdruck bringen,daß der Verblichene nicht nur ein erfolgreicherKrieger, sondern auch ein treusorgender Familien-vater war. Und deshalb stimmten sie als Trauer-Choral Paul Burkhards «O mein Papa» an. «In derTrauergemeinde blieb kein Auge trocken», soschließt der Zeitungsbericht.

Die andere Begebenheit trug sich vor einigen

Jahren in den Vereinigten Staaten zu: Als ein Leut-nant der Schweizer Armee, Mitglied der NeutralenRepatriierungskommission in Korea, auf der Rück-reise nach der Schweiz in New York eines Abendseine Bar betrat, begann der Pianist plötzlich wiewild die «Marseillaise» zu spielen und erklärte amSchluß: «Meine Damen und Herren, wir haben diegroße Ehre, daß sich ein Held der französischenArmee in unserem Lokal aufhält . . .» Als das Miß-verständnis schließlich geklärt war, beeilte sich derBarpianist, die schweizerische Nationalhymne zu in-tonieren. Doch wie ging die nur? Plötzlich ging einaufatmendes Lächeln der Erleuchtung über das Ge-sicht des Pianisten. Er setzte sich feierlich auf sei-nem Stuhl zurecht und lmb an «0 mein Papa...».

Obwohl Burkhard mit dem «Schwarzen Hecht»und namentlich mit seinem Erfolgsschlager «0 meinPapa» weltweite Popularität gewonnen hat, ist ernicht, wie andere hochbegabte Operettenkompo-nisten, in die Banalität der Dutzendware abgeglitten.

Von neuem fühlte er sich zum Sprechtheater- hin-gezogen. In anderthalbjähriger Zusammenarbeit mitFriedrich Dürrenmatt entstand die «Oper einer Pri-vatbank, Frank V.», vor einem Jahr im Schauspiel-

haus uraufgeführt, die zurzeit VOn Autor und Kom-ponist in eine neue Fassung gebracht wird. Aufseinen Erfolgen nie ausruhend, stets neue Wegebeschreitend, bleibt Burkhard sich selbst treu.

Jürg Mcdicus

Der Käferheilige Sankt Mang

Mit der Pracht des Frühlings bricht auch dielustvolle Zeit aller Schädlinge an. Die Schneckenmachen sich mit Ingrimm über das junge Grün her,die Blütenstecher fallen auf die blühenden Bäumeein, Raupen und Larven, Maden und Läuse gehen

ans Werk, und die Maikäfer feiern Feste. Heuterückt der Mensch dem Ungeziefer mit chemischenMitteln zu Leibe. Flugzeuge sprühen Gifte überdie zum Fraß versammelten Käfer, sie vernichtenauch alle nützlichen Insekten und leider auch dieInsektenfresser, unsere lieben Singvögel. UnsereAhnen waren nicht auf so unmenschliche Mittelangewiesen.

Die Maikäfer waren schon dem hl. Isidor vonSevilla, der ums Jahr 600 lebte, bekannt AufSchweizer Boden ist der Zürcher Chorherr FelixHemmerli der erste, der von einer Maikäferbekämp-fung zu berichten weiß. Er schildert 1460 das 'ab-

sonderliche. Verfahren, das gegen die Maikäfer inder Diözese Chur angewandt wurde. Danach stellteman die Schädlinge vor ein weltliches Provinzial-gericht. Ein Ankläger schilderte ihre Untaten. .Aberdie Gerechtigkeit forderte auch einen Verteidiger.

Dieser aber erreichte nur die Zubilligung mildern-der Umstände. Die Verurteilten wurden in eine ödeund waldige Gegend verbannt.

Ein gleicher Prozeß ist aus Lausanne unter demBischof Georg von Saluzzo (1440 bekannt.Dort wurden die Engerlinge durch einen Botenöffentlich vorgeladen. Nach ihrer Weigerung führteman drei Angeklagte unter großem theatralischemAufwand gewaltsam vor das Gericht, gab ihnen eineletzte Frist von drei Tagen, innert welcher sämt-liche Engerlinge das Gebiet zu verlassen hätten,andernfalls sie im Namen Gottes und der Kircheverflucht würden. Da die Verwarnten die Frech-heit hatten, dem Befehle zu trotzen, wurden dievorgeladenen Engerlinge geköpft und alle andernin contumaciam verflucht. Das Volk war tief be-friedigt, daß endlich etwas Entscheidendes ge-

schehen war.

1479 gelangten die Bewohner des Freiamts wegen

der Maikäferplage an den Bischof von Konstanz.Dieser nun ging von der Annahme aus, es handlesich um eine Strafe Gottes und verordnete andereMittel. Er übersandte einen großen Exorzismus, anden aber schwere Vorbedingungen geknüpft waren,wenn er wirken sollte. Männer und Frauen mußtenzusammengerufen, und es mußte ihnen verordnetwerden: «daß sy an allen Sontagen, ouch an allenFesten Gottes und der ußerwelten Heiligen alleoffne Tanz fliehind und miedind, ouch alle Ehe-brecher und Ehebrecherin, item alle Huorerytriber,geistlich und weltlich,

. von irer ergerlichen ver-botenen Huorery abstandend und ufhörend, deß-

glichen niemand weder mit Würffei noch Kartenoder ander ungebürend Sachen o d er Spil sichüebind.» Ferner sollten Kreuzgänge abgehalten undVotivmessen für das Gedeihen der Feldfrüchte ge-

lesen werden. Zum Schlüsse mußte die Allerhei-ligenlitanei gebetet und dann die eigentliche Be-schwörung gegen die Engerlinge vorgenommenwerden. Es leuchtet ein, daß der kluge Bbchof mitseinem Exorzismus wichtigere Schädlinge bekämp-

fen wollte als die moralisch belanglosen Engerlinge.

1481 erbaten auch die Gemeinden am oberenZürichsee ein solches Beschwörungsschreiben vonKonstanz, und 1492 litt Uri so schwer unter derPlage, daß seine Bewohner ohne Vermittlung derKirche eine Befreiung für unmöglich hielten unddaher vom apostolischen Stuhl eine Engerlingsbulle

erbaten. In Obwolden hört man 1559 zum erstenmalvon den Schädlingen. Die Regierungsmänner sannendamals auf Abhilfe und vernahmen im Laufe derBeratung von jenem gewaltigen Exorzismus, den dieBewohner des Freiamtes von Konstanz erhaltenhatten. Landammann Johann Wirz benutzte seinenächste Reise an die Tagsatzung nach Baden, umdem Text nachzuforschen, fand ihn und verschafftesich eine sorgfältige Abschrift. Nach seiner Heim-kehr fibergab er das wertvolle Dokument, mit eigen-händiger Beglaubigung, sofort dem Landesarchiv,wo es wie ein Schatz gehütet und nur bei dringen-

dem Bedarf an die kirchlichen Behörden aus-gehändigt wurde.

Als besonderer Schutzpatron gegen die Enger-lingsplage galt von jeher der hl. Magnus. Damittritt der mächtigste Gegner des Ungeziefers auf denPlan. Der. hl. Magnus oder Sankt Mang, wie er inalten Schriften heißt, war der Apostel des Allgäus.

Er liegt in der eindrucksvollen romanischen Kryptades Klosters Füssen in Oberbayern begraben. Da erden Drachen des Unglaubens bekämpft hat, wird ermit einem Drachen oder Lindwurm abgebildet. DieLogik der Bauern rechnete sich aus, daß ein' Hei-liger, der es mit so gewaltigen Würmern aufnimmt,um so leichter mit kleinen fertig werden müsse;außerdem starben die Drachen langsam aus, so daßman den Heiligen mit weniger Bedenken gegen dieverhaßten Erdwürmer, die Engerlinge, in Anspruch

nehmen durfte.Die Herren von Bern erbaten sich 1511 vom

Kloster St. Gallen einen Arm des hl. Magnus, damitdie Felder mit der Reliquie gesegnet und vonEngerlingen befreit werden könnten. Die gleiche

Gunst wurde vom Kloster St. Gallen dem LandeUri gewährt. In Willisau wurde schon zu Anfang

des Jahrhunderts das Magnusfest als Fest desEngerlingvertilgers gefeiert und ein Opfer für die«Ingerkerze» aufgenommen. Auch die Kirchgenossen

von Sarnen beschlossen, am Sonntag vor Verenafür eine «Ingerkerze» das Opfer aufzunehmen unddie Kerze bei jedem Amt während des ganzen

Jahres brennen zu lassen. 1685 war die Engerling-plage in Obwaldcn wieder so verheerend, daß derTag des hl. Magnus zum Feiertag erklärt werdenmußte. Er wurde «Ingcrfirtig» genannt. Im KlosterSt. Mang zu Füssen wird auch der Stab deshl.Magnus aufbewahrt, der als besonders wunder-tätig galt. Die Bauern des Allgüus bestürmten denAbt mit Bitten, er möge mit dem Stab ihre Feldersegnen lassen. Die Mönche hatten mit der Reliquieausgedehnte Reisen zu unternehmen. Der Ruf desWunderstabes gelangte auch nach Sarnen, und aufdringende Bitten der Behörden brachte ihn einMönch bis ins entlegene Obwalden. Ein PaterCoeleritin Stadler zog mit dem Stab prozessions-

weise über die Felder sämtlicher Gemeinden.

Der obere Halbkanton war hierin, wie in allenfrommen und rentablen Dingen; den Nidwaldncrnvoraus. Aber bald wurde auch in Nidwaiden all-jährlich am Magnustag ein Kxeuzgang auf den All-weg abgehalten. Die dortige Kapelle war 1671 alsErsatz für eine baufällige frühere Kapelle erbautworden zur Erinnerung an die Heldentat StrutanWinkelrieds, der das Land von einem Drachenbefreit hatte. Sie wurde Winkelried- o d er Drachen-kapelle genannt und ist dem hl.Magnus geweiht.

Der Heilige mit dem Drachen schien den altenNidwaldnern der angemessene Patron für eineDrachenkapelle. Sofort übernahm aber SanktMagnus auch seine neue Aufgabe als Bckümpfcr derEngerlinge und Maikäfer. Um die Jahrhundertwendewaren d ie Bittgänge nach «St. Mang auf dem All-weg» zur Gewohnheit geworden, ja die Begeisterung

dafür schien schon abzuflauen, so daß die hoheRegierung 1708 die Bevölkerung zu vermehrterTeilnahme ermahnen mußte: «Weilen von ersühn-liehen Jahren hero zur Ausreüttung der schedlichenIngern undt zur Erhaltung des lieben Viechs eineallgemeine Prozession zue St. Mang abgehalten, aber

neuerdings wenig besuecht worden, soll die Prie-sterschaft von den Kanzlen herab das Volk dazucgemahnen.» Besonders 1711, als die Engerlinge inFülle großen Schaden stifteten, traf die RegierungAnstalten, durch Prozession und Benediktiondieses Ungeziefer zu bekämpfen. Da auch das Klo-ster Engelberg eine kleine Reliquie des hl.Magnusbesaß, ersuchte der Wochenrat den gnädigen' Herrn,diese überbringen zu lassen, damit bei der «all-gemeinen Landsprocession zu dem Hl. Magno Uffdem Allweg die Benediction und Segen ertheilt undwir des Leidigen Unzüffers vermittelst gedachteAllgemeiner Andacht und Segen erledigt werdenmögent». Die Prozession wurde denn auch abgehal-

ten, und der beauftragte Pater segnete «mit St MangsHeiligthum» die Felder, das Erdreich, das Wasserund die Asche.

Wenige Wochen später vernahm man in Nid-walden, daß wieder ein Pater aus Füssen mit demMagnus-Stab in Obwalden weile. Da beschloß derWochenrat, diesen «Pater Frantz aus Fießen mit ge>

dachtem wunderwürkhendem Staab» zu ersuchen,auch nach Nidwaiden zu kommen, damit «durchdie Vorpitt des großgültigen H. Magni die liebenErdfrüchte von solcher Schedlichkeit mögen übe-riert werden». Höchst feierlich sandte man dieSpitzen der Regierung dem Pater bis an die Landes-grenze entgegen und empfahl dem ganzen Rat, demwertvollen Gast während seiner Anwesenheit aufLandesboden Gesellschaft zu leisten. Nachdem derMönch seine geistlichen Funktionen verrichtethatte, überreichte ihm die hohe Regierung einDankesschreiben an den Abt von Füssen und einHonorar von acht Louis d'or.

Der Feiertag zu Ehren des hl.Magnus bestandin Nidwaiden bis 1858, in Obwalden, wie man ver-mutet, noch zwanzig Jahre länger. Dann wurdendie alten frommen -Mittel von der Chemie abgelöst,

die radikaler aber auch gefährlicher zu Werke gehtOb ihr Enderfolg erfreulicher ausfallen wird, magdie Zukunft weisen. HflM

Man nehme . .

Wenn die englischen Verleger die Listen ihrerBestseller veröffentlichen, dann steht, neben derBibel und Shakespeares Werken, seit hundert Jah-ren ein Buch an prominenter Stelle, von dem manim Ausland kaum den Namen kennt

In England ist der Name der Autorin ein selbst-verständlicher Begriff, ganz so wie «La Tante Marie»in Frankreich und «Die Prato» in Oesterreich. Aus-wärtige Gäste, ob sie bei Freunden oder in Restau-rants essen, werden leider zur Anschauung kommen,die englische Küche sei langweilig, arm, phantasie-

los sagen wir es ehrlich: recht schlecht. Hättensie, aber das kann man von Gästen kaum verhingen,

eine Viertelstunde mit dem Standardwerk IsabelleBeeton's: «Die Leitung, eines Haushaltes» verbracht,so' wüßten sie, daß man' einst in England sogar aus-gezeichnet gekocht and opulent gegessen hat. Mrs.Beeton, wenn sie vielleicht hoch als Geist aus denTagen 'der Königin Victoria durch Englands Küchenspukt, wundert sich wahrscheinlich selbst am mei-sten, wie es so weit hat kommen können.

Der Geist der Frau Isabelle Beeton wird nichterhört, obwohl sie keine von denen ist, derenRezepte mit 16 Eiern, einer silbernen Schüssel,einer Flasche Sherry und einem halben PfundKaviar beginnen. Moderne Kochrezepte erscheinenin den Frauenzeitungen unter dem Namen Peggy,Jane, oder Mary Beaton. Neue Kochbücher, dünn,flach, stromliniert, sind so wie die Speisen, die sieempfehlen. Alle Tageszeitungen widmen täglich

eine Spalte der Kochkunst. Rundfunk und Fern-sehen haben ihre wöchentlichen Kochstunden. Siesind größtenteils unkundig abgefaßt, gehen an demEssentiellen des Kochens vorbei und sind fast allefür die Katze. Davon verängstigt, öffnet die Haus-frau eine Büchse gebackener Bohnen und eineBüchse Spaghetti in Tomatensauce, legt beides aufBrot und unter den Toaströster und wendet sichträumerisch der Lektüre der Isabelle Beeton zu, sowie man sieb von einem Reisebuch in die Südseeentführen läßt Zwischendurch liest auch der Gattemit und murmelt: «Das waren noch Zeiten!»

Sie war keine «Kochtante», keine furchterregendtüchtige Hausfrau. Sie war eine junge Dame, dieihrem Gatten, einem Verleger, bei seinen Geschäf-ten half, eine ganz ausgefallene Sache in den 50erJahren des vorigen Jahrhunderts, und die In* einLeben, das bloß achtundzwanzig Jahre währte, mehrhineinpreßte als viele ihrer Zeitgenossinnen, dieGroßmamas wurden.

Ihr Vater war Sekretär des Rennplatzes inEpsom, ein vermögender, kultivierter Mann, derüber .eine Dienstwohnung im Zuschauerpavillon v e r-fügte. Den großen Speisesaal installierte er als; Eß-zimmer der Familie, die Kinder spielten währendder .toten Saison auf den Tribünen und auf derRennbahn, und ums Derby herum wurden sie zuFreunden geschickt Da der gute Mr. Dorling ein-undzwanzig Kinder hatte, war offenbar wirklich einRennplatz nötig, um sie alle unterzubringen.

Während der .Rennzeit hatten die Dorlings denRestaurantbetrieb unter sich, und möglicherweisegab diese Bewirtung im großen Stil Isabelle mancheihrer grandiosen Ideen für später. Mit 20 Jahrenverliebte sie sich in den Verleger Sam Beeton undheiratete ihn ein Jahr später.

Sam war ein unternehmungslustiger jungerMann. Er hatte mit dem Nachdruck von «OnkelToms Hütte» eine Menge Geld gemacht, einem legalzulässigen literarischen Diebstahl, da die englischenVerleger damals das amerikanische Copyright nichtanerkannten. Beeton allerdings war eine Ausnahme;er druckte das Buch zwar wie alle andern ohne, dieErlaubnis der Autorin, aber nachher fuhr er nachAmerika und händigte Mrs. Harriet Beechcr Stoweeinen Scheck auf 500 Pfund aus.

Als er Isabelle heiratete, gab er «Boys' OwnJournal-» heraus, eine Jungenzeitung, und einigeFrauenmagazine. «Queen» und «Boys* Own» existie-ren noch heute. Isabelle begann sofort, ihm zu

helfen. Zu einer Zeit, da Damen (zum Unterschiedvon Frauen; damals gab es noch einen klar definier-ten Unterschied) mit der «Beaufsichtigung» ihresHaushaltes voll beschäftigt waren, übersetzte Isa-belle aus dem Französischen, korrigierte Manu-skripte,- sorgte für den Umbruch, und richtete denersten Schnittmusterdienst in England nach fran-zösischem Vorbild ein. Daß sie das Haus führte,Gäste empfing, vier Kinder gebar, von denen siezwei ganz klein verlor, davon sprach man kaum.

Aber man sprach von ihrem Standardwerk.Schon als junges Mädchen hatte diese klare, logische,systematische Frau ein verläßliches Buch vermißt,in dem man nachschlagen konnte, wie man Fleckenaus einem Perserteppich entfernt, einen Braten zu-richtet, Kranke pflegt,' eine Köchin aufnimmt undein Abendessen arrangiert Da es nichts 'dergleichengab; schrieb sie es selbst und verlegte es bei ihremGatten,* zuerst in monatlichen

' Bändchen, dann 'ge-

sammelt als Buch.

Dazwischen all das in acht Jahren Ehe biszu ihrem frühen Tod fuhr sie nach Heidelberg,wo ihre kleinen Schwestern im Pensionat waren,reiste nach Berlin, Biarritz, Irland und Brüssel.Aber wo immer sie war, die Arbeit reiste mit ihr:sie korrigierte Rezepte aus ihrem Leserkreis, diesie jedes einzeln ausprobierte, ließ Illustrationenanfertigen und sah die Druckfahnen durch. Sie undihr Mann waren ständige Besucher in Paris, wo sieselbstverständlich nicht im Traum daran dachten,i h re Eßgewohnheiten zu ändern. Sie begannen denTag mit einem ordentlichen Frühstück mit Steaksund Koteletten, ein bißchen Fisch vielleicht undnatürlich Orangenjam. Mittags aßen sie, zur Vcr-zweiflung ihrer Gastgeber, nur ein bißchen Suppe

und Toast, und dann um Fünf verspeisten sie einsolides Abendessen mit fünf Gängen.

Das Buch wurde sofort bei seinem Erscheinenein. Riesenerfolg. Isahelles präziser Stil, ihre Samm-lung von Anekdoten über Brillat-Savarin, überJenny Limit, die «schwedische Nachtigall», der sieeine Suppe gegen Halsweh verdankte, ihre 'Gabe,die Dinge zu erklären, ob sie nun über Hausmittelgegen eine Ohnmacht oder über Suppenküchen inNotzeiten schrieb, gefielen, und gefallen noch heute.Ihr «illustrierter» Wildschweinskopf, ihr getrüffelterFasan, ihre hoch getürmten Torten in zwölf Schich-ten, ihre Eisbomben und pikanten Gelees wurdenSchaustücke der englischen Haushalte. Und in derOriginalausgabe (heute ein Sammlerstück, denn jedeneue Auflage wird modernisiert) lesen wir mit einwenig Sehnsucht von Einrichtungen, die es längst

nicht mehr gibt: die Diät einer Amme, das Verhält-nis zwischen Köchin und Küchenmädchen, die Rei-nigung von Straußfedern und Reiheragraffen, daskorrekte Verhalten bei offiziellen Besuchen... ihrpraktischer Wert ist Vom Wind verweht. Aber alsSozialgcschichte dieser Zeit sind diese 1997 Seitennoch immer zum Greifen nahe. Einhundert Rezeptegab sie allein für Rindfleisch, fast ebenso viele fürLammfleisch. Wir lesen über Puddings, Gebäck,Brot, oft mit Zitaten von Keats, Byron, Shelley ver-quickt, und betrachten mit Entzücken die silbernenTafcldekorationen mit Blumen und Kristall. Nichtzu vergessen ihre Vorbereitungen für ein Picknickzu vierzig Personen mit vier gebratenen Kapau-nen, zwei Enten, einem glasierten Schinken und einerZunge , zu dem ausdrücklich drei Korkzieher ge-braucht wurden.

Isabelles Nachkommen nehmen sechs Käsesand-wichs mit, wenn sie auf ein Picknick radeln, und siesind meistens zu zweit oder zu viert. Vielleicht habensie mehr Freunde am Leben als die Damen, die einenTeekessel mitnehmen mußten, Teetassen, kleine undgroße Teller und Besteck. Sie sind nette, muntere,unbeschwerte junge Frauen, aber ach, sie sollten siel;von den Mengen und vom Aufputz nicht abhaltenlassen, Souffles ä la Marlborough zuzubereiten,Potage Solferino oder Poulet Marengo, in Oel undWeißwein gedünstet. Kochen ist, wenn man sich nurein Herz nimmt, gar nicht so schwer. . q

Neue Zürcher Zeitung vom 21.05.1960