14
Paul Ferstl Die gute Küche der Spartaner *dbverlag

PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Ein Sommer in Wien. Nach monatelangem Warten hat Wolf nun endlich den erlösenden Anruf erhalten: „Das ist Ihr Chef, der Sie anruft“, sagte der Mann am anderen Ende. Den Job in der Tasche, müsste er eigentlich zufrieden sein. Stattdessen entpuppt sich das Wegfallen seines vermeintlich größten Problems als der Moment seiner größten Hilflosigkeit. § Hilflos ist auch der achtjährige Michael, der gerade mit Onkel und Tante schöne Ferien verbringen soll und krank wird. Was von außen wie eine harmlose Grippe wirkt, wird für Michael zu einer Ewigkeit aus Selbstvorwürfen, Fieber und Albträumen. Beider Umfeld glaubt an die Zukunft und sieht keine Schwierigkeiten. Doch im schnellen Wechsel der Perspektiven erleben wir, wie Kind und Mann in der Gegenwart um das Überleben kämpfen.

Citation preview

Page 1: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Paul FerstlDie gute Küche

der Spartaner

*dbverlag

Pau

l Fe

rStl

·

D

ie g

ute

Küch

e de

r Spa

rtane

r

Page 2: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner
Page 3: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Meinen Geschwistern

Page 4: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner
Page 5: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Das Handy klingelte. Die Nummer sagte ihm nichts. Er wurde sofort nervös.„Das ist Ihr Chef, der Sie anruft“, sagte der Mann am anderen Ende.Wolf bedankte sich.„Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, sagte der Chef, „aber jetzt ist es fix. Wir haben auch schon den Ver-trag. Können Sie in zwei drei Stunden hereinkommen und unterschreiben? Dann können Sie am Montag anfangen.“„Das kann ich“, sagte Wolf und bedankte sich noch einmal. Der Chef legte auf.Wolf atmete aus. Er hatte es geschafft. Acht Wochen Warte-zeit. Drei Monate arbeitslos. Jetzt nicht mehr. Kein Warten mehr. Kein Hoffen mehr. Aus.Er rief seine Freundin an. Sie hob nicht ab.Wolf zögerte, dann rief er seine Eltern an. Seine Mutter hob ab.„Was gibt es denn?“ fragte sie.„Ist der Papa auch da?“ fragte Wolf.„Ja“, sagte sie und reichte ihn weiter. So war es nicht gemeint gewesen. Er hatte nur wissen wollen, ob sein Vater auch dort war, um sicherzugehen, dass sie es beide gleichzeitig –

Page 6: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

„Ja?“ fragte sein Vater.„Ich habe den Job“, sagte Wolf.„Gratuliere!“ rief sein Vater, „das ist ja großartig! Gratuliere! Gratuliere!“„Gibst du mir die Mama noch einmal?“„Ja?“ fragte seine Mutter.„Ich hätte es auch dir gleich gesagt. Ich wollte nur... also, ich habe den Job.“„Das ist ja toll“, sagte seine Mutter. „Ist auch alles mit rech-ten Dingen zugegangen?“„Ja...“, Wolf zögerte, „wie denn sonst?“„Was weiß ich, wie das sonst geht.“Wolf schwieg.„Toll“, sagte seine Mutter, „toll. Aber unbefristet ist das nicht?“„Nein“, sagte Wolf, „das nicht. Ich habe ja schon erklärt, dass das...“ Er brach ab.„Gratuliere!“ rief sein Vater von hinten.„Ich rufe euch später noch einmal an“, sagte Wolf und legte auf.Karin hatte noch nicht zurückgerufen. Also tippte er ein SMS:Hab den job. Hurra!Zehn Sekunden später klingelte das Handy.„Du hast den Job?“„Ja, gerade hat er angerufen.“„Ich hab mir schon gedacht, shit, ein Anruf, ein SMS, da ist was passiert, hoffentlich ist das der Job. Ich freu mich so für dich!“

Page 7: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

„Ja...“, sagte Wolf. „Es ist ganz komisch, weißt du, irgend-wie... ich fühl mich wie erschlagen, komisch ist es, auf einmal ist das Warten aus, ich habs bekommen, alles gut und... ich fühl mich wie erschlagen. Überrollt.“„Das ist doch klar. Wenn das so plötzlich kommt. Und nach-dem es so lange gedauert hat. Und überhaupt. Ich hab dich lieb. Du wirst dich schon noch freuen, das kommt schon. Wann kannst du unterschreiben?“„Jetzt gleich.“„Das ist gut, dann ist auch alles fix. Ich meine, es ist ja jetzt schon alles fix, aber es schadet nicht, wenn man es unter Dach und Fach hat, unterschrieben und alles. Du, ich bin unterwegs, ich ruf dich am Abend noch mal an. Oder skype. Oder bist du unterwegs? Heut ist ja die Party dort, nicht? Sicher, du wirst ja feiern.“„Telefonieren wir.“„Ja bussi!“Das Rauschen der Leitung bis nach Rom riss ab. Wolf legte das Handy auf den Couchtisch und stand auf. Das Zimmer war dunkel, das Bett zerwühlt, die Vorhänge zu. Es war elf Uhr vormittags. Vor dem Bett lagen Haufen von Schmutz-wäsche. Daneben stand ein Plastiksack mit Müll. Das Bett war groß und in einen stabilen Rahmen eingespannt, der als Abstellfläche diente. Überall standen und lagen dort lee-re Bierdosen, Zigarettenpackungen, klare Glasflaschen, drei bauchige, überquellende Aschenbecher. Unter dem Couch-tisch stand ein halbvolles Glas mit Schimmelfäden in der Flüssigkeit auf einem schmutzigen Teller. Draußen fuhr ein Bus vorbei, und das Glas zitterte wimmernd auf dem

Page 8: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Porzellan. Wolf stand nackt vor der mit schmutziger Kleidung bedeckten Couch, starrte sein Bett an und dachte daran, dass er seit Tagen nichts mehr gegessen hatte.

Page 9: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Es war kein guter Sommer für ihn. Am Tag vor der Abreise hatte er sich zu Hause übergeben. Und als sie von dem See zurückkehrten, hatte er Fieber. Sein Onkel und seine Tante waren nicht erfreut. Mit einem kranken Kind waren sie in den Urlaub gefahren, und nun kehrten sie zwei Wochen später mit einem kranken Kind zurück. Seine Eltern hatten eine Reise geplant und fest damit gerechnet, ihn der Tante und dem Onkel mitzugeben. Also musste er fahren, Brechreiz hin oder her. Es würde schon vergehen. Fasten würde vielleicht helfen. Michael aß einen Tag lang nichts. Am Abend hatte er Durst. Sein Vater brachte ihm ein Glas Wasser ans Bett. Michael trank das Wasser, ein großes Glas voll. Eine Viertelstunde später spuckte er das Wasser wieder aus, in einem festen Strahl, den er nicht aufhalten konnte. Über die Bettdecke spuckte er das Wasser. Sein Vater kam ins Zimmer und war verärgert. Seine Mutter war nicht da.„Am besten trinkst Du nichts mehr.“Michael trank nichts mehr und übergab sich nicht mehr.Am nächsten Morgen brachte ihn sein Vater zu den Ver-wandten in der großen Stadt, wo es Häuser mit Aufzügen gab und fremden Papiercontainern im Gang, grün-rot und

§

Page 10: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

schmal. Alles war ein wenig anders als zu Hause, und das machte Angst und ein wenig Mut. Verlegen gestand der Vater der Tante und dem Onkel, dass sein Sohn ein wenig krank war. Michael schämte sich, weil er krank war. Sein Cousin spielte im Hof mit einem Fußball. Michael konnte nicht gut Fußball spielen. Sein Vater fuhr davon. Sein Onkel packte das Auto. Michael saß in einem Zimmer. Seine Tante brachte ihm einen Plastiksack. Michael dankte und meinte, es ginge ihm viel besser. Sie fuhren los. Sein Cousin hatte den Fußball auf dem Schoß. Michael hatte ein Buch mit, aber er traute sich nicht, es zu lesen. Er hatte Angst, es würde ihm schlecht werden. Auch so wurde ihm schlecht. Die Stadt, in dem die Tante und der Onkel lebten, kam ihm groß vor. Sie hatten die Stadt noch nicht verlassen, als er sich übergeben musste. Michael versuchte es zu verbergen und hinunterzuschlucken, aber es ging nicht. Die Tante merkte es, weil es zu sehr weh tat. Da er nichts mehr im Magen hatte, konnte er auch nichts erbrechen. Sein Magen wollte aber etwas erbrechen. Er spuckte gelbe Flüssigkeit aus, die sehr bitter roch. Er spuckte sie in den Plastiksack. Es war nur wenig. Darauf bildete sich Schaum. Michael sagte, dass sie ruhig weiterfahren könnten. Sein Onkel war aber nervös geworden. Die Tante erklärte, dass der Onkel es gar nicht gerne mochte, wenn sich Kinder erbrachen. Michaels Cousin beschwerte sich, dass Michael kotzte. Also hielten sie an einer Tankstelle, wo Michael in ein Waschbecken kotzen musste. Irgendwann konnte er nicht mehr. Er spülte sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab. Dann sagte er, dass sie weiterfahren könnten.

Page 11: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

„Bestimmt?“ fragte seine Tante.„Bestimmt“, sagte er.Sie fuhren weiter.Die Fahrt kam ihm lang vor. Sein Cousin wollte mit ihm ein Kartenspiel spielen, aber Michael lehnte ab. Der Cousin beschwerte sich, dass ihm langweilig sei. Der Onkel und die Tante ließen eine Geschichte durch die Lautsprecher laufen. Die Fahrt ging über Hügel, durch Täler, über Pässe durch Gebirge, über breite Straßen und schmale. Es war sehr heiß. Michael hatte Angst, sich erbrechen zu müssen. Gleichzeitig war ihm auch langweilig. Er hoffte, dass es bald vorbei sein würde. Sie kamen aber erst nach ein paar Stunden an.Dort war es schön, weil sie endlich da waren, und weil es woanders war. Die Luft war kühl geworden. Die Sonne stand schon tief. Der Gasthof bestand aus drei großen Gebäuden. Auf dem Platz dazwischen standen Bäume, eine Schaukel, Bänke und Tische auf Beton. Der Onkel ging ins Haus, um den Wirt zu suchen. Sein Cousin lief mit dem Ball auf die Wiese hinter dem Gasthaus. Michael sah Berge rundum, roch Diesel und Rost. Er hatte Hunger, obwohl ihm schlecht war. Die letzten Minuten Autofahrt auf engen Kurven waren gar nicht gut gewesen. Michael sah sich um. Seine Tante war nicht da. Er ging zu einer Bank, setzte sich, legte die Hände und dann den Kopf auf den Tisch davor.Dann öffnete er den Mund. Ein Stoß Flüssigkeit kam heraus, und er ließ ihn einfach laufen. Er öffnete nur den Mund. Es platschte zwischen seinen Knien hindurch auf den Beton. Michael gab keinen Laut von sich. Es lief und lief. Er

Page 12: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

wunderte sich, wo all das herkommen konnte. Gleichzeitig merkte er, wie es ihm etwas besser ging. Dann hörte er die Tante.„Michael!“Mit ein paar schnellen Schritten war sie bei ihm. Er konnte sich nicht recht rühren, mühte sich aber, den Kopf zu heben. Der Onkel steckte gemeinsam mit einem fremden Mann den Kopf aus der Tür.„Es tut mir leid“, sagte Michael.Seine Tante schob ihn zur Seite. Michael spürte, dass sie sich schämte. Sie verschwand im Nebenhaus und kehrte mit einem Kübel und Putzmittel zurück. Michael schämte sich, weil er ihr Arbeit machte. Außerdem wunderte er sich, dass sich die Tante hier so gut auskannte. Aber die Erwachsenen kannten sich immer aus. Er kannte sich nie aus. Die Tante stellte die Sachen neben ihm ab. Er bückte sich, um selbst zu putzen. Die Tante nahm ihm den Fetzen nicht unfreundlich aus der Hand.„Lass“, sagte sie.„Hat er wieder gekotzt?“ rief sein Cousin herüber.„Du bist ein ganz Schlauer“, sagte seine Tante.„Er hat sich übergeben“, verbesserte der Onkel.„Sind das beide Ihre?“ fragte der fremde Mann.„Nein“, sagte der Onkel und wies auf Michael, „der da ist mein Neffe.“Die Tante wischte die Kotze auf.„Geh in euer Zimmer und leg dich hin“, sagte sie.Michael wollte fragen, wo das Zimmer war, aber er traute sich nicht.

Page 13: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

„Soll ich etwas aus dem Auto hinauftragen?“ fragte er.„Nein“, sagte die Tante.Michael stand auf und blieb stehen. Seine Tante wischte Kotze in den Kübel. Schließlich sah sie auf.„Was ist denn?“ fragte sie.„Ich weiß nicht, wo das Zimmer ist.“Sie seufzte.„Dein Onkel zeigt es dir.“Michael ging zu seinem Onkel, den Blick auf den Boden gerichtet. Er zog das linke Bein ein wenig hinter sich her, weil er beim Aufstehen in seine Kotze getreten war, und er wollte sich den Schuh nicht vor dem Onkel und dem fremden Mann an der Haustür abputzen.Als er den beiden Männern ins Haus folgte, drehte sich der Fremde plötzlich um.„Du trägst mir ja das ganze Zeug ins Haus hinein“, sagte er laut.Michael blickte hinter sich und sah drei linksfüßige Abdrücke auf den Fliesen. Seine Tante kam schon mit dem Kübel her. Sein Onkel schickte ihn nach draußen, um sich die Füße ordentlich abzuputzen. Schweigend sahen ihm die drei dabei zu. Dann führte ihn der Onkel über zwei Treppen hoch, sah sich einmal um und führte ihn ins Kinderzimmer. Nachdem er Michael gesagt hatte, dass er sich sein Bett aus-suchen könnte, schloss er die Tür hinter sich.

Page 14: PAUL FERSTL - Die gute Küche der Spartaner

Pau

l Fe

rStl

·

D

ie g

ute

Küch

e de

r Spa

rtane

r

Ein Sommer in Wien.

Nach monatelangem Warten hat Wolf nun endlich den er-lösenden Anruf erhalten: „Das ist Ihr Chef, der Sie anruft“, sagte der Mann am anderen Ende. Den Job in der Tasche, müsste er eigentlich zufrieden sein. Stattdessen entpuppt sich das Wegfallen seines vermeintlich größten Problems

als der Moment seiner größten Hilflosigkeit.

§Hilflos ist auch der achtjährige Michael, der gerade mit Onkel und Tante schöne Ferien verbringen soll und krank wird. Was von außen wie eine harmlose Grippe wirkt, wird für Michael zu einer Ewigkeit aus Selbstvorwürfen, Fieber

und Albträumen.

Beider Umfeld glaubt an die Zukunft und sieht keine Schwierigkeiten. Doch im schnellen Wechsel der Perspek-tiven erleben wir, wie Kind und Mann in der Gegenwart

um das Überleben kämpfen.

*Originalausgabe

€11,95 (AUT)