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Kommt es auf die Stimme an? Determinanten von Teilnahme und Nichtteilnahme an politischen Wahlen Steffen Kühnel In parlamentarischen Demokratien sind Wahlen für die Bürger die zentrale Mglichkeit, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Gleichzeitig legitimieren allein Wahlen die politische Macht von Regierung und Politikern. Betrachtet man die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen, so stieg die Beteiligung von 78,5% bei der ersten Bundestagswahl 1949 rasch auf Werte zwischen 86,0% (1953) und 91,1% (1972) an. Ab Mitte der achtziger Jahren ging die Wahlbeteiligung allerdings deutlich zurück. Bei der Bundestagswahl 1987 betrug die Wahlbeteiligung nur 82,3%, bei der Bundes- tagswahl 1990 in den alten Lndern 78,6% und in den neuen Lndern 74,5% (Ritter und Niehuss 1991: 100-104). In den letzten Jahren ist auf der Bundes- ebene wieder ein leichter Anstieg der Wahlbeteiligung zu beobachten. Mit Werten von 79,1% bei der Bundestagswahl 1994 und 82,2% bei der Bundes- tagswahl 1998 liegt sie allerdings immer noch weit unter dem früheren Niveau. Ein Rückgang der Wahlbeteiligung ist auch auf der Ebene der Landes- und Kommunalparlamente zu verzeichnen, die von vornherein geringere Beteiligungsraten aufwiesen. Die Vernderungen der Wahlbeteiligung haben eine intensive Forschung über die Gründe von Wahlbeteiligung bzw. Nichtwhlen initiiert. 1 Erklrt wird der Rückgang in erster Linie durch den Rückgang der Partei- identifikation (Kaase und Kaase-Bauer 1998) und eine nachlassende Wahl- norm (Krimmel 1997; Rattinger und Krmer 1995). Beide Gren knnen ihrerseits als Folge einer durch Modernisierungsprozesse ausgelsten zunehmenden Individualisierung (Beck 1986) gedeutet werden, durch die die Bedeutung herkmmlicher Bindungen an Gruppen und soziale Normen ge- schwcht wird. Individualisierung bedeutet auch, da sich die Individuen bewut für oder gegen Handlungsalternativen entscheiden müssen. Die Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einer Wahl ist dann als Folge eines rationalen Abwgungsprozesses zu deuten. Sptestens seit der klassischen Arbeit von Anthony Downs aus dem Jahre 1957 wird versucht, Wahlverhalten und Wahlbeteiligung im Rahmen des Rational-Choice- Ansatzes zu erklren. Dabei stellt sich allerdings das Problem, da es aus der Sicht des rationalen Whlers angemessener wre, sich nicht an Wahlen zu 1 Zu nennen sind hier - ohne Anspruch auf Vollstndigkeit - die Arbeiten von Armingeon 1994, Eilfort 1994, Falter und Schumann 1994, Feist 1994, Kleinhenz 1995, Kaase und Kaase-Bauer 1998.

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Kommt es auf die Stimme an? Determinanten von Teilnahme und Nichtteilnahme an politischen Wahlen Steffen Kühnel

In parlamentarischen Demokratien sind Wahlen für die Bürger die zentrale Möglichkeit, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Gleichzeitig legitimieren allein Wahlen die politische Macht von Regierung und Politikern. Betrachtet man die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen, so stieg die Beteiligung von 78,5% bei der ersten Bundestagswahl 1949 rasch auf Werte zwischen 86,0% (1953) und 91,1% (1972) an. Ab Mitte der achtziger Jahren ging die Wahlbeteiligung allerdings deutlich zurück. Bei der Bundestagswahl 1987 betrug die Wahlbeteiligung nur 82,3%, bei der Bundes-tagswahl 1990 in den alten Ländern 78,6% und in den neuen Ländern 74,5% (Ritter und Niehuss 1991: 100-104). In den letzten Jahren ist auf der Bundes-ebene wieder ein leichter Anstieg der Wahlbeteiligung zu beobachten. Mit Werten von 79,1% bei der Bundestagswahl 1994 und 82,2% bei der Bundes-tagswahl 1998 liegt sie allerdings immer noch weit unter dem früheren Niveau. Ein Rückgang der Wahlbeteiligung ist auch auf der Ebene der Landes- und Kommunalparlamente zu verzeichnen, die von vornherein geringere Beteiligungsraten aufwiesen.

Die Veränderungen der Wahlbeteiligung haben eine intensive Forschung über die Gründe von Wahlbeteiligung bzw. Nichtwählen initiiert.1 Erklärt wird der Rückgang in erster Linie durch den Rückgang der Partei-identifikation (Kaase und Kaase-Bauer 1998) und eine nachlassende Wahl-norm (Krimmel 1997; Rattinger und Krämer 1995). Beide Größen können ihrerseits als Folge einer durch Modernisierungsprozesse ausgelösten zunehmenden Individualisierung (Beck 1986) gedeutet werden, durch die die Bedeutung herkömmlicher Bindungen an Gruppen und soziale Normen ge-schwächt wird. Individualisierung bedeutet auch, daß sich die Individuen bewußt für oder gegen Handlungsalternativen entscheiden müssen. Die Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einer Wahl ist dann als Folge eines rationalen Abwägungsprozesses zu deuten. Spätestens seit der klassischen Arbeit von Anthony Downs aus dem Jahre 1957 wird versucht, Wahlverhalten und Wahlbeteiligung im Rahmen des Rational-Choice-Ansatzes zu erklären. Dabei stellt sich allerdings das Problem, daß es aus der Sicht des rationalen Wählers angemessener wäre, sich nicht an Wahlen zu

1 Zu nennen sind hier - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - die Arbeiten von Armingeon

1994, Eilfort 1994, Falter und Schumann 1994, Feist 1994, Kleinhenz 1995, Kaase und Kaase-Bauer 1998.

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beteiligen. Dieses Paradox des Nichtwählens wird von Kritikern des Rational-Choice-Ansatzes als Hauptargument gegen den Rational-Choice-Ansatz angeführt (vgl. Green und Shapiro 1994; Mensch 1996).

Tatsächlich verliert der Rational-Choice-Ansatz seinen Anspruch, eine allgemeine Verhaltenstheorie bereitzustellen, wenn es nicht gelingt, Wahl-beteiligung und Nichtwählen als Folge rationaler Entscheidungen zu erklären. Aufbauend auf einer früheren Arbeit (Kühnel und Fuchs 1998) soll daher anhand der Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissen-schaften (ALLBUS) 1998 untersucht werden, welchen Beitrag der Rational-Choice-Ansatz leisten kann, die Wahlbeteiligung zu erklären. Im theoreti-schen Teil wird zunächst die klassische Theorie des rationalen Wählers und das Paradox des Nichtwählens vorgestellt. Anschließend werden Lösungs-möglichkeiten des Paradoxon diskutiert. Die Diskussion führt zu einer begrenzten Zahl von Faktoren, die letztlich die Wahlentscheidung determi-nieren sollten. Ob dies zutrifft, wird im empirischen Teil des Beitrags untersucht.

In Umfragen ist die beabsichtigte und berichtete Wahlbeteiligung stets deutlich höher als die tatsächliche Wahlbeteiligung. Am Beginn des empiri-schen Teils wird daher zunächst nach Hinweisen gesucht, ob Umfragedaten trotz dieser Abweichung Aussagen über die Wahlbeteiligung erlauben. Anschließend werden empirische Korrelate der Wahlbeteiligung vorgestellt und es wird der Frage nachgegangen, ob die Korrelate mit der Theorie des rationalen Wählens vereinbar sind. Der empirische Teil schließt mit einer multivariaten Analyse der Wahlbeteiligung.

1. Wahlbeteiligung in der Theorie des rationalen Wählers

Wie bei jeder Anwendung des Rational-Choice-Ansatzes basiert auch die Theorie des rationalen Wählens auf der Grundannahme, daß Akteure stets die Handlungsalternative vorziehen, deren Vorteile relativ zu allen alternativen Handlungsmöglichkeiten größer bzw. deren Nachteile geringer erscheinen. Bezogen auf die Wahlbeteiligung stellt sich somit die Frage, welchen Vorteil oder Nutzen das Wählen für einen Wahlberechtigten mit sich bringt und welche Nachteile oder Kosten durch die Wahlbeteiligung entstehen.2 In der ökonomischen Theorie des Wählens von Downs (1957) ist es das zukünftige Regierungshandeln, das den Wählern einen mittelbaren Nutzen aus ihrem Wahlverhalten einbringt. Wählen wird hier als eine Zukunftsinvestition betrachtet, deren Ertrag darin besteht, daß die von einem Wähler gewählte Partei oder der gewählte Kandidat aus der Sicht des Wählers eine bessere

2 Da es nur die beiden Handlungsalternativen Wahlbeteiligung oder Nichtwählen gibt, ist es

hinreichend, nur eine Alternative zu betrachten, da der Nutzen einer Alternative als Kostenfaktor für die zweite Alternative aufgefaßt werden kann und umgekehrt.

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Politik betreibt als jede andere Partei oder jeder andere Kandidat. Aus dieser Sicht folgt unmittelbar, daß ein Wähler sich nur dann an einer Wahl beteiligt, wenn die Parteien in seinen Augen unterschiedliche Politik betreiben. Darüber hinaus muß aber auch gelten, daß die Stimme des Wählers die Wahl entscheiden kann. Würde nämlich der Sieg der favorisierten Partei auch ohne Wahlbeteiligung sichergestellt sein oder wäre es aussichtslos, daß die favori-sierte Partei gewinnt, dann gäbe es für den rationalen Wähler keinen Anlaß, sich zu beteiligen. Angesichts der hohen Zahl von Wahlberechtigten ist die Wahrscheinlichkeit, daß eine einzige Stimme den Wahlausgang entscheidet, fast vernachlässigbar. Da der Nutzen des Wählens mit dieser geringen Wirkungswahrscheinlichkeit der einzelnen Stimme zu gewichten ist, ist der investive Nutzen des Wählens in der Downsschen Theorie sehr gering.

Auf der anderen Seite entstehen durch die Wahlbeteiligung jedoch unvermeidbare Kosten. Hierbei kann zwischen Entscheidungs- und Opportunitätskosten unterschieden werden. Die Entscheidungskosten be-stehen im wesentlichen aus dem Aufwand für die Suche, Beschaffung und Analyse von Informationen, die die Chancen der �richtigen� Wahl-entscheidung verbessern. Die Höhe des Aufwands ist variabel, dürfte aber angesichts des geringen Nutzens ebenfalls eher gering sein. Daher ist zu erwarten, daß ein rationaler Wähler eher schlecht als gut informiert ist. Unabwendbar sind Opportunitätskosten, das ist die Höhe des Nutzens, der jemandem dadurch entgeht, daß er sich an der Wahl beteiligt, statt die dafür notwendige Zeit für andere Tätigkeiten zu verwenden. Da Wahlen in der Bundesrepublik nicht an Werktagen stattfinden und der zeitliche Aufwand nicht sehr hoch ist, dürften die Opportunitätskosten im Durchschnitt nicht sehr hoch sein.3

Werden Kosten und Nutzen der Wahlbeteiligung gegenübergestellt, scheint sich das Wählen für den rationalen Wähler nicht zu lohnen. Zwar sind die Kosten der Wahlbeteiligung gering zu veranschlagen. Da in den Nutzen jedoch die Wahrscheinlichkeit eingeht, mit der eigenen Stimme die Wahl zu entscheiden, dürfte der Nutzen noch geringer sein. Nach der Theorie des rationalen Wählers sollte dieser also paradoxerweise gerade nicht wählen. Da selbst bei geringer Wahlbeteiligung noch sehr viele Wahlberechtigte zur Wahl gehen, scheint die Theorie des rationalen Wählers empirisch widerlegt zu sein.

Als eine Lösung des Paradoxon des Nichtwählens führte bereits Downs (1957) einen zusätzlichen Nutzenfaktor ein, den er in dem langfristigen Nutzen aus dem Bestehen eines demokratischen Systems sah. Da nur eine hinreichende Wahlbeteiligung den Fortbestand der Demokratie sichert, ein demokratisches System aber in den Augen der meisten Bürger einem nicht-demokratischen System vorzuziehen ist, gibt es einen vom Ausgang der Wahl 3 Einen Hinweis in diese Richtung geben die Antworten in der Wahlbeteiligungsstudie von

Dieter Ohr und mir auf die Frage, ob die Teilnahme an der anstehenden Landtagswahl von wichtigeren Dingen abhalte. Gut 92% der Befragten antworteten, daß dies gar nicht zuträfe (Kühnel und Ohr 1996:114).

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unabhängigen Anreiz zur Wahlbeteiligung. Zusammen mit dem investiven Nutzen kann so auch bei Berücksichtigung der Kosten des Wählens der Nutzen der Wahlbeteiligung über dem Nutzen des Nichtwählens liegen. Der von William Riker und Peter Ordeshook (1968) als Bürgerpflicht (Duty) bezeichnete zusätzliche Nutzenfaktor ist jedoch ein sogenanntes Kollektivgut, von dessen Nutzen niemand ausgeschlossen werden kann. Ein rationaler Wähler mag daher die Neigung verspüren, als Trittbrettfahrer die Produktion dieses Gutes anderen zu überlassen (Olson 1965). Das Motiv, den Fortbestand der Demokratie zu sichern, ist daher ein zunächst wenig überzeugendes Nutzenargument. Im Sinne der Entstehung sozialer Normen nach James Coleman (1990) kann jedoch argumentiert werden, daß es zur Erreichung des Kollektivguts �Aufrechterhaltung der Demokratie� sinnvoll ist, andere zum Wählen zu ermuntern und Nichtwählen öffentlich zu mißbilligen. Dies kann zu einer sozialen Norm im Sinne eines Teilnahmedrucks durch das soziale Umfeld führen. Wenn eine solche Norm über eine längere Zeit besteht, kann sie auch im Sozialisationsprozeß internalisiert werden.

Einen anderen Ausweg aus dem Paradox des Nichtwählens sehen Geoffrey Brennan und Loren Lomaski (1993) durch die Postulierung eines expressiven Nutzens der Wahlbeteiligung. Der expressive Nutzen besteht darin, eine Präferenz auszudrücken. Danach drückt der Wähler durch seine Wahl aus, daß seine favorisierte Partei oder sein favorisierter Kandidat an der Regierung beteiligt oder im Parlament vertreten sein sollte. Da dieser Nutzen bereits durch den Akt des Wählens realisiert wird, ist es für das expressive Wählen irrelevant, daß die eigene Stimme einen praktisch vernachlässigbaren Einfluß auf den Wahlausgang hat. Ein Wähler bestätigt sich durch sein Wählen gewissermaßen selbst, daß er �auf der richtigen Seite� steht.4

Neben der Berücksichtigung von zusätzlichen Nutzenargumenten besteht eine weitere Möglichkeit zur Lösung des Paradoxon des Nichtwählens darin, das Berechnungskalkül des instrumentellen Nutzens in Frage zu stellen. So ist es denkbar, daß die Wähler den Einfluß der eigenen Stimme überschätzen. In der Wahlbeteiligungsstudie von Dieter Ohr und mir haben immerhin 39,0% der Befragten bei der Frage nach der �Bedeutung Ihrer Stimme für den Ausgang der Landtagswahl am 14. Mai� (in Nordrhein-Westfalen 1995) die Antwortvorgabe �eine große Bedeutung� genannt, während sich nur 7,3% für die Antwort �fast keine Bedeutung� und 3,2% für die Antwort �überhaupt keine Bedeutung� entschieden haben (Kühnel und Ohr 1996: 114).

Die vermeintliche Überschätzung des objektiven Einflusses der eigenen Stimme kann aber auch Folge davon sein, daß die Frage nach der Bedeutung der eigenen Stimme nicht im Sinne der Herbeiführung des Wahlausgangs 4 Ein expressives Moment könnte auch darin bestehen, sich nicht an einer Wahl zu

beteiligen und damit zum Ausdruck bringen zu wollen, von allen Parteien nichts zu halten. Allerdings erscheint es mir wenig wahrscheinlich, daß eine Person in erster Linie deswegen nicht wählt, um nach Schließung der Wahllokale das Gefühl der Befriedigung zu erfahren, nicht gewählt zu haben.

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interpretiert wird, sondern als ein Beitrag, der nur zusammen mit den Beiträgen der übrigen Wähler in einem Wahlergebnis resultiert. Für diese Vermutung spricht, daß in einer Analyse von Dieter Fuchs und mir die Frage nach der Bedeutung der eigenen Stimme zusammen mit der Zustimmung zu der Meinung �Durch meine Stimme bei der Landtagswahl bestimme ich mit, welche Politik im Landtag gemacht wird� einen gemeinsamen Faktor bildet. Wir haben diesen Faktor im Sinne eines generalisierten Nutzens des Wählens interpretiert (vgl. Kühnel und Fuchs 1998: 347). Bei dieser Interpretation besteht der Nutzen der Wahlbeteiligung in der Beteiligung an der Produktion eines Kollektivguts. Dieser Nutzen ist einerseits instrumentell, weil er ein Beitrag zur Erreichung des Wahlziels der favorisierten Partei ist. Die Wähler wissen jedoch, daß dieses Ziel nur gemeinschaftlich erreicht werden kann. Die erwähnte Kollektivgutproblematik wird dadurch gelöst, daß durch das Wählen gleichzeitig ein expressiver Nutzen realisiert wird.

Allen Lösungsversuchen des Paradoxon des Nichtwählens ist gemeinsam, daß sie letztlich die Deutung des Wählens als eine rein ökonomische Investi-tionsentscheidung verwerfen. Die Wahlbeteiligung kann danach nur dann über eine rationale Entscheidung erklärt werden, wenn die Vorstellung eines egoistischen, instrumentellen Nutzenmaximierers um nicht-ökonomische Nutzenargumente erweitert wird. Diese Erweiterung bedeutet jedoch keines-wegs, daß es gewissermaßen beliebig ist, welche Nutzenargumente verwendet werden. Vielmehr kristallisieren sich fünf Faktoren heraus, die zusammen die Wahlbeteiligung bestimmen:

− der Aufwand des Wählens, − der Teilnahmedruck durch wichtige Bezugspersonen oder Bezugs-

gruppen, − die intrinsische Befriedigung beim Befolgen einer verinnerlichten Wahl-

norm bzw. das Vermeiden von Gewissensbissen beim Nichtbefolgen der verinnerlichten Wahlnorm,

− die intrinsische Befriedigung, durch das Wahlverhalten die eigenen poli-tischen Vorstellungen zum Ausdruck bringen zu können,

− die Möglichkeit, durch das Wahlverhalten Einfluß auf politische Entscheidungen zu nehmen.

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Wenn dies tatsächlich die einzigen Faktoren sind, die die Teilnahme oder Nichtteilnahme an einer Wahl determinieren, dann sollten sich alle empirisch auffindbaren Korrelationen mit der Wahlbeteiligung auf diese fünf Nutzen-argumente zurückführen lassen.

2. Gefährdet die Überschätzung der Wahlbeteiligung in Umfragedaten deren Gültigkeit?

Empirische Forschungen zur Wahlbeteiligung basieren auf Umfragedaten. Untersucht wird dann der Zusammenhang zwischen denkbaren Erklärungs-größen und der beabsichtigten Teilnahme an einer zukünftigen Wahl bzw. dem berichteten Verhalten bei einer vergangenen Wahl. Die tatsächliche Wahlbeteiligung wird jedoch durch die beabsichtigte oder berichtete Beteili-gung deutlich überschätzt. Als Beispiel zeigt die obere Kurve in Abbildung 1 die Höhe der Beteiligungsabsicht bei einer Bundestagswahl in den seit 1980 regelmäßig durchgeführten ALLBUS-Umfragen. Die untere Kurve zeigt die tatsächliche Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen.5 Zwischen den beiden Kurven besteht eine deutliche Differenz. In den Umfragedaten wird danach die Wahlbeteiligung um ungefähr fünf bis zehn Prozentpunkte überschätzt.

Die Diskrepanz zwischen Umfragedaten und amtlicher Wahlstatistik wirft die Frage auf, ob die Umfragedaten überhaupt Aussagen über die tatsächliche Wahlbeteiligung erlauben. Wenn Nichtwähler auch die Beteiligung an Umfragen verweigern sollten oder Nichtwähler sich in Umfragen als vermeintliche Wähler darstellen, dann ist es in der Tat möglich, daß Umfragen in Hinsicht auf das tatsächliche Verhalten verzerrte Ergebnisse liefern. Die Forschung über Ausfälle und Antwortverweigerungen ist zu dem Ergebnis gekommen, daß es keinen harten Kern von Verweigerern gibt, die sich grundsätzlich nicht befragen lassen (Schnell 1997). Insofern ist auch nicht damit zu rechnen, daß sich Nichtwähler prinzipiell nicht befragen lassen.6 Über den in einigen Staaten erlaubten Vergleich der amtlichen

5 Die gestrichelte Verbindung zwischen den Ergebnissen der ALLBUS-Umfragen von 1990

und 1991 weist darauf hin, daß sich zwischen diesen Erhebungen die Definition der Grundgesamtheit änderte, da in der Basisumfrage 1991 erstmals die Bevölkerung in den neuen Bundesländern berücksichtigt wurde. Bis 1990 wurden zudem Befragte aus West-Berlin nicht berücksichtigt. Bei den Angaben zur tatsächlichen Wahlbeteiligung sind für 1990 zwei Werte eingetragen. Der obere Wert (78,4%) bezieht sich auf die Wahlbeteiligung in den alten Bundesländern ohne West-Berlin, der untere Wert (77,8%) auf Gesamtdeutschland.

6 Allerdings ist damit nicht ausgeschlossen, daß die Wahrscheinlichkeit, eine gültige Antwort auf die Frage nach der Wahlabsicht zu geben, bei Nichtwählern geringer ist als bei Wählern.

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Abbildung 1: Tatsächliche Beteiligung bei Bundestagswahlen und beabsichtigte Teilnahme an Bundestagswahlen

Quellen: Tatsächliche Wahlbeteiligung: Statistisches Bundesamt Beteiligungsabsicht: ALLBUS-Umfragen (ab 1991: mit OST-WEST-Gewichtung)

Wählerverzeichnisse mit Umfragedaten gibt es stattdessen Hinweise darauf, daß ein Teil derjenigen, die sich in Umfragen als Wähler bezeichnen, tatsächlich nicht wählt (Granberg und Holmberg 1991; Swaddle und Heath 1989). Für die Bundesrepublik konnte Michael Eilfort (1994) in seiner Studie zur Wahlbeteiligung im Stuttgarter Raum belegen, daß sich etwa 30% der Nichtwähler in seiner Umfrage als Wähler bezeichnet hatten. Der überhöhte Anteil der Wähler in Umfragen scheint also darauf zurückzuführen zu sein, daß eine Reihe von Befragten ihre geäußerte Teilnahmeabsicht nicht reali-sieren oder sich nicht mehr korrekt an ihr Verhalten erinnern.7

Welche Auswirkungen ergeben sich daraus, daß sich tatsächliche Nicht-wähler als Wähler bezeichnen? In Studien, bei denen die tatsächliche Wahl-beteiligung erfaßt wurde, zeigten sich keine gravierenden Auswirkungen. Danach verhalten sich vermeintliche Wähler in Umfragen tendenziell wie tatsächliche Wähler (Granberg und Holmberg 1991; Hill und Hurley 1984; Swaddle und Heath 1989). Einen indirekten Hinweis, daß Umfrageergebnisse das tatsächliche Beteiligungsverhalten widerspiegeln, gibt auch der tenden-ziell ähnliche Kurvenverlauf der Beteiligungsabsicht und der tatsächlichen

7 Denkbar ist auch, daß die Befragten in Umfragen bewußt falsche Antworten zu ihrem

Wahlverhalten geben. Die Methodenforschung über Interviews kommt allerdings zu dem Ergebnis, daß bewußte Falschaussagen nicht oder nur selten vorkommen (vgl. Sudman et al. 1996).

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Abbildung 2: Berichtete und tatsächliche Wahlbeteiligung nach Bundesland und

Erhebung

Quellen: Tatsächliche Wahlbeteiligung: Statistisches Bundesamt Berichtete Wahlbeteiligung: ALLBUS 1984, 1986, 1990, 1991, 1994, 1998 Wahlbeteiligung in Abbildung 1. Um diesen Zusammenhang etwas direkter zu prüfen, habe ich die tatsächlichen Wahlergebnisse der Bundestagswahlen 1983, 1987, 1990 und 1994 in den einzelnen Bundesländern auf die für die entsprechenden Wahlen berichtete Teilnahmeerinnerung in den ALLBUS-Umfragen 1984, 1986, 1990, 1991, 1994 und 1998 regrediert.8 Da zwischen den verschiedenen Wahlen und den einzelnen Bundesländern eine deutliche Variation besteht, sollte sich diese auch in Antworten auf die Frage nach der Beteiligung bei der letzten Bundestagswahl zeigen. Wie Abbildung 2 zu entnehmen ist, besteht in der Tat ein Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Beteiligung und der aggregierten berichteten Teilnahme. Der unstandardisierte Regressionskoeffizient liegt mit einem Wert von 0.91 in der Nähe des zu erwartenden Wertes 1.0. Mit einem Wert von 0.46 besteht auch eine deutliche Korrelation zwischen den tatsächlichen Wahlergebnissen und den über Wahlen und Bundesländer aggregierten Umfragewerten. Schon allein aufgrund der geringen Fallzahlen in den Bundesländern ist nicht mit

8 Die bei einer Analyse von Prozentwerten unvermeidliche Heteroskedastizität wurde

dadurch berücksichtigt, daß anstelle einer einfachen Kleinstquadratschätzung (OLS) eine gewichtete Kleinstquadratschätzung (GLS) verwendet wurde.

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einer perfekten Korrelation zu rechnen. Die Ergebnisse weisen daher darauf hin, daß die ALLBUS-Daten Aussagen über das Teilnahmeverhalten bei Wahlen erlauben.

3. Korrelate der Wahlbeteiligung

Im ALLBUS 1998 beziehen sich mehrere Fragen auf die Wahlbeteiligung. Neben der Frage nach dem beabsichtigten Wahlverhalten, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, wurde die Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl, der letzten Landtagswahl und der letzten Europawahl erhoben. In den folgenden Analysen werden bei der Frage nach der Wahl-absicht nur diejenigen Befragten berücksichtigt, die entweder eine Partei nannten oder sich explizit als Nichtwähler bekannten. Bei den Wahlrück-erinnerungsfragen wurden entsprechend nur diejenigen Befragten berück-sichtigt, die sich entweder an ihre Wahlteilnahme oder an ihre Nichtteilnahme erinnern konnten.

In der Literatur zur Wahlbeteiligung wird eine Reihe von Größen auf-geführt, die mit der Wahlbeteiligung korrelieren. So steigt die Wahl-beteiligung mit dem Alter zunächst an, sinkt jedoch bei sehr hohem Alter wieder ab. Tabelle 1 ist zu entnehmen, daß sich dieses Muster auch bei den Daten des ALLBUS 1998 zeigt. Einzige Ausnahme ist die Wahlbeteiligungsabsicht in den neuen Bundesländern, wo die jüngste Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen eine höhere Beteiligungsneigung äußert als die nächstältere Gruppe der 30- bis 44-jährigen. Beim berichteten Teilnahmeverhalten weist die jüngste Altergruppe dagegen wie im Westen die geringste Wahlbeteiligung auf. Die geringere Wahlbeteiligung der jüngeren Altersgruppen korrespondiert mit einem geringeren politischen Interesse, der geringeren Bindung an politische Parteien und einer geringen Wahl-beteiligungsnorm der jüngeren Wahlberechtigten (Falter und Gehring 1998: 469). Im Rahmen der Theorie des rationalen Wählers kann der leicht kurvilineare Verlauf des Zusammenhangs zwischen Wahlbeteiligung und dem Alter auch durch die unterschiedlichen Kosten des Wählens erklärt werden. Da jüngere Personen in ihrer Freizeit aktiver sind, sind in diesen Alters-gruppen die Opportunitätskosten des Wählens höher als bei den Älteren. Da bei sehr hohem Alter der subjektive Aufwand des Wählens als Folge körperlicher und mentaler Schwächen steigt, sinkt die Wahlbeteiligung in den höchsten Altersgruppen wieder ab.

Beim Geschlecht lassen sich kaum Unterschiede hinsichtlich der Wahl-beteiligung festmachen. In den neuen Bundesländern liegen die berichteten Beteiligungsquoten bei weiblichen Befragten und in den alten Bundesländern bei männlichen Befragten geringfügig höher. Die Unterschiede sind allerdings

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praktisch vernachlässigbar. Etwas deutlicher sind die Geschlechtsunterschiede bei der Wahlabsicht. Hier äußern im Westen wie im Osten Frauen eine geringere Beteiligungsabsicht. Aber auch dieser Unterschied ist wie beim berichteten Wahlverhalten bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% nicht signifikant von null verschieden. Es ist also durchaus möglich, daß die Unterschiede bei der Wahlbeteiligung von Frauen und Männern nur durch die Zufälligkeiten der Stichprobe aufgetreten sind und in der Grundgesamtheit nicht existieren.

Wie das Alter, so hat auch die Bildung einen positiven Effekt auf die Wahlbeteiligung. Personen ohne Schulabschluß weisen durchgängig die geringsten Beteiligungsraten auf. In den alten Bundesländern steigt die Wahl-beteiligung bei höheren Schulabschlüssen. Bei Personen mit Hochschul-abschluß sinkt die Wahlbeteiligung bei einer Bundes- und Landtagswahl allerdings wieder etwas ab. In den neuen Ländern weisen zudem Befragte mit mittlerer Reife oder einem vergleichbaren Abschluß eine geringere Wahl-beteiligung auf als Befragte mit Hauptschulabschluß. Tendenziell steigt aber auch in den neuen Ländern die Wahlbeteiligung mit der Bildung an. Wie beim Alter ist der Zusammenhang zwischen Bildung und Wahlbeteiligung bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% bei allen Indikatoren der Wahl-beteiligung signifikant von null verschieden. Der Bildungseffekt läßt sich in der Theorie des rationalen Wählers darauf zurückführen, daß Personen mit höherer Bildung eher in der Lage sind, politische Informationen aufzunehmen und zu bewerten. Infolgedessen sollten sie auch eher Unterschiede zwischen den Parteien wahrnehmen, was dazu führt, daß der expressive wie der instru-mentelle Nutzen des Wählens steigt. Gleichzeitig sinken die Entscheidungs-kosten.

Der Rückgang der Wahlbeteiligung wird gelegentlich damit in Verbindung gebracht, daß sich neue und alternative Partizipationsformen etabliert haben, die von den Bürgern möglicherweise als geeigneter angesehen werden als die konventionelle Form der Wahlbeteiligung. Tatsächlich zeigt sich in der Analyse von Max Kaase und Petra Kaase-Bauer (1998: 101) eine geringe negative Korrelation zwischen der Wahlbeteiligung und einem Index der Beteiligungsbereitschaft an legalen unverfaßten politischen Aktionen. Der geringe Zusammenhang läßt die Autoren jedoch zu dem Schluß kommen, daß dieser Faktor zu vernachlässigen sei (Kaase und Kaase-Bauer 1998: 100). Wird im Unterschied zu Kaase und Kaase-Bauer statt der Beteiligungsbereitschaft die berichtete Nutzung anderer Partizipationsformen erfaßt, ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild. Tabelle 2 ist zu entnehmen, daß die Wahlbeteiligung nicht nur mit konventionellen Partizipationsformen, sondern auch mit neueren legalen Partizipationsformen steigt.9 Mit Ausnahme der Wahlbeteiligungsabsicht in 9 Die konventionellen Partizipationsformen beziehen sich auf die alltägliche politische

Kommunikation und parteienorientierte Aktivitäten. Im ALLBUS 1998 wurde dazu gefragt, ob ein Befragter seine Meinung geäußert hat, an öffentlichen Diskussionen teilgenommen hat, in einer Partei mitgearbeitet hat oder einen Kandidaten unterstützt hat.

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den neuen Bundesländern sind die Beziehungen bei einer Irrtumswahrscheinlickeit von 5% signifikant von null verschieden. Aus der Sicht der Theorie des rationalen Wählers sind die positiven Beziehungen der Wahlbeteiligung mit anderen konventionellen und mit unverfaßten legalen Partizipationsformen durchaus zu erwarten, da diese Partizipationsformen darauf hinweisen, daß ein Befragter ein hohes Maß an politischem Engage-ment aufweist und mit anderen Personen verkehrt, für die gleiches gilt. Ähnlich wie bei höher gebildeten Personen ist bei diesem Personenkreis daher damit zu rechnen, daß leichter und häufiger politische Informationen aufgenommen werden. Außerdem ist damit zu rechnen, daß dieser Personenkreis eher einen äußeren Teilnahmedruck durch seine Umwelt wahrnimmt und möglicherweise auch eine verinnerlichte Wahlnorm aufweist.

Eine ähnliche Argumentation ließe sich auch für Personen anführen, die illegale Partizipationsformen ausgeübt haben.10 Tatsächlich weisen die Angehörigen dieser Gruppe nur in Westdeutschland und nur bei der Wahl-absicht eine höhere Beteiligungsabsicht auf als Personen, die sich nicht an illegalen Protestformen beteiligt haben. Ansonsten weisen Personen, die auch an illegalen Aktionen teilgenommen haben, eher eine geringere Beteiligungs-neigung auf. Dies gilt vor allem für Befragte aus den neuen Ländern.11 Die Unterschiede sind allerdings bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% nicht signifikant von null verschieden. Der Unterschied zwischen legalen und illegalen Partizipationsformen kann möglicherweise darauf zurückzuführen sein, daß Personen, die illegale Partizipationsformen ausgeübt haben, eine eher negative Haltung zum politischen System aufweisen und Wählen somit vermutlich weder mit instrumentellem noch mit expressivem Nutzen verbinden.

Die höhere Wahlbeteiligung von Personen, die konventionelle oder legale unkonventionelle Partizipationsformen ausüben, weist evtl. darauf hin, daß das soziale Umfeld einen Einfluß auf die Wahlbeteiligung hat. Dies hat sich auch in anderen Datensätzen gezeigt (vgl. Kühnel und Fuchs 1998). So ist es nicht mehr allzu überraschend, daß sowohl die Mitgliedschaft in Interessen-organisationen wie auch die Mitgliedschaft in Freizeitvereinigungen eine positive und signifikante Korrelation mit der Wahlbeteiligung aufweist (vgl.

Die neuen legalen Partizipationsformen beziehen sich dagegen auf unverfaßte legale Einflußnahmen wie die Mitarbeit in einer Bürgerinitiative, die Teilnahme an einer genehmigten Demonstration und die Teilnahme an einer Unterschriftensammlung.

10 Als illegal gewertet wurde die Teilnahme an einer ungenehmigten Demonstration, an einer Besetzungsaktion oder einer Verkehrsblockade, das Einschüchtern politischer Gegner, die Anwendung von Gewalt gegen Personen sowie der etwas unklare Stimulus �Krach schlagen bei einer Demonstration�.

11 Da es kaum Befragte aus den neuen Ländern gibt, die schon einmal an einer illegalen Aktion teilgenommen haben, sind die Zahlen für diese Gruppe mit einer größeren Unsicherheit behaftet.

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Tab. 3). Die Wahlbeteiligung steigt auch, je höher der Anteil der Freunde ist, die politisch aktiv sind.12 Im Sinne der Theorie des rationalen Wählers steigt durch die Mitgliedschaft oder durch politisch aktive Freunde die Chance, daß über Politik gesprochen wird und dabei politische Informationen vermittelt und gleichzeitig auch eine Beteiligungsnorm aktiviert wird.

Eine positive Beziehung kann auch zwischen der Wahlbeteiligung und dem politischen Interesse vermutet werden. Tabelle 4 verdeutlicht, daß sowohl die generelle Frage nach dem politischen Interesse wie auch die Fragen nach dem Interesse an politischen Magazinen im Fernsehen und an dem politischen Teil von Zeitungen positiv und signifikant mit der Wahl-beteiligung korrelieren. Die drei Fragen sind Indikatoren dafür, daß ein Befragter sich intensiv mit Politik beschäftigt und daher eine größere Chance aufweist, politisch informiert zu sein.

Mit einer steigenden Wahlbeteiligung ist auch zu rechnen, wenn eine Person positive Meinungen zu Parteien und zu Politikern und insgesamt eine hohe Demokratiezufriedenheit aufweist. Der ALLBUS 1998 enthält aller-dings keine der in der Wahlforschung üblichen Fragen zur Parteineigung und zur Problemlösungskompetenz der Parteien. Stattdessen wird für ver-schiedene Parteien gefragt, ob die jeweilige Partei die Interessen des Befragten vertritt. Wenn es mindestens eine Partei gibt, die die Interessen des Befragten vertritt, wird dies als ein Indikator gewertet, daß der Befragte beim Wählen eher einen instrumentellen oder expressiven Nutzen realisieren will.13 Tabelle 5 ist zu entnehmen, daß die Wahlbeteiligung tatsächlich signifikant steigt, wenn es eine Partei gibt, die die Interessen des Befragten vertritt. Mit einem steigendem Nutzen der Wahlbeteiligung ist auch zu rechnen, wenn Politiker in den Augen der Befragten die Interessen der Bevölkerung vertreten und wenn Befragte mit der Demokratie in Deutschland zufrieden sind. Zustimmung zu diesen Indikatoren kann als Hinweis gedeutet werden, daß die Befragten der Ansicht sind, Einfluß auf politische Entscheidungen nehmen zu können. Tatsächlich steigt die Wahlbeteiligung mit steigender Demokratiezufriedenheit und steigender Zustimmung zu der Aussage, daß Politiker die Interessen der Bevölkerung vertreten. Bei der höchsten Zustimmung und der größten Demokratiezufriedenheit sinkt die Beteiligungsquote allerdings wieder ab. Bei der Zustimmung zu der Aussage, daß Politiker die Interessen der Bevölkerung vertreten, ist der Rückgang allerdings nur bei der Rückerinnerung von Befragten aus den alten Bundesländern an die letzte Bundes-

12 Wenn eine befragte Person keine Freunde hat oder nicht weiß, ob die Freunde politisch

aktiv sind, ist diese Person der ersten Gruppe derjenigen zugeordnet, bei der niemand im Freundeskreis aktiv ist.

13 Ein Problem dieser Operationalisierung ist, daß sich der Indikator nur auf die im Frage-bogen erfaßten Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Republikaner und PDS bezieht. Es ist nicht möglich, aus den Items eine Rangordnung der Parteinähe zu bilden, da nur die drei Antwortkategorien �vertreten meine Interessen�, �weder noch/neutral� und �stehen meinen Interessen entgegen� vorgegeben sind.

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tagswahl signifikant. Auch bei der Demokratiezufriedenheit ist der Rückgang nur bei einem Indikator für die Wahlbeteiligung signifikant. Hier ist es die Rückerinnerung von Befragten aus den neuen Bundesländern an die letzte Europawahl.

Für die rationale Theorie des Wählens ist die Einschätzung der Bedeutung der eigenen Stimme von großem Interesse. Im ALLBUS 1998 wurde gefragt, in welchen Maße ein Befragter glaubt, durch sein Wählen persönlich Einfluß auf die Politik nehmen zu können. Wird von keinem statt von einem sehr starken Einfluß ausgegangen, dann ist die Wahlbeteiligung um bis zu 58 Prozentpunkte geringer (vgl. Tab. 6). Besonders deutlich zeigt sich die Beziehung zur Wahlbeteiligung bei Personen aus den neuen Bundes-ländern. Inhaltlich läßt sich die Frage als Indikator für die Beeinflußbarkeit des politischen Systems (Efficacy) interpretieren. Die Frage erfaßt somit vermutlich eher nicht die Wahrscheinlichkeit, daß die eigene Stimme den Wahlausgang entscheidet. Aus der Sicht der Theorie des rationalen Wählers handelt es sich eher um eine Messung des generellen Nutzens des Wählens.

Der Rückgang der Wahlbeteiligung wird in der Literatur auch auf einen Rückgang der Wahlbeteiligungsnorm zurückgeführt, wobei diese im Sinne einer Bürgerpflicht zur Wahlbeteiligung interpretiert wird. Im ALLBUS 1998 wird in einer entsprechenden Frage nach der Zustimmung zu der Aussage �In der Demokratie ist es die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an den Wahlen zu beteiligen� gefragt. Erwartungsgemäß weisen die Antworten auf diese Frage einen starken Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung auf. Unter denjenigen, die der Aussage voll zustimmen, ist die Wahlbeteiligung sehr viel höher als unter denen, die der Aussage gar nicht zustimmen. Im Sinne der klassischen Theorie des rationalen Wählers von Downs kann diese Frage als Indikator für den langfristigen Nutzen des Wählens durch das Fortbestehen der Demokratie gedeutet werden. Personen, die dieser Aussage zustimmen, haben eher eine verinnerlichte Wahlnorm.

Die vorgestellten Korrelate der Wahlbeteiligung weisen darauf hin, daß es eine Vielzahl von Größen gibt, die mit der Wahlbeteiligung zusammen-hängen. Aus der Perspektive des Rational-Choice-Ansatzes lassen sich jedoch alle Größen den oben vorgestellten Nutzenargumenten bei einer Wahl-entscheidung zuordnen. Der Vorteil einer solchen Zuordnung besteht darin, daß die einzelnen Größen in einen systematischen Zusammenhang gestellt werden, der es erlaubt, die Korrelate danach zu bewerten, ob sie auf die Wahlbeteiligung einen direkten Effekt, einen indirekten Effekt oder nur einen scheinbaren Effekt haben, der durch eine Größe hervorgerufen wird, die sowohl das Korrelat wie die Wahlbeteiligung beeinflußt.

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4. Ein multivariates Modell zur Erklärung der Wahlbeteiligung

Wenn es eine Vielzahl von Größen gibt, die alle eine geringe bis mittlere Korrelation zur Wahlbeteiligung aufweisen, führt dies zu der Frage, ob es nicht stattdessen auch wenige zentrale Größen gibt, die hinreichend sind, um die Wahlbeteiligung zu erklären. Nach der Theorie des rationalen Wählers sollte dies der Fall sein. In einer früheren Arbeit wurde dazu ein Struktur-gleichungsmodell zur Erklärung der Wahlbeteiligung präsentiert, bei dem nur vier Konstrukte 73% der Variation in der Teilnahmeabsicht erklären können (vgl. Kühnel und Fuchs 1998). Der Datensatz basierte auf einer Umfrage anläßlich der Landtagswahl 1995 in Nordrhein-Westfalen, bei der alle Erklärungsgrößen einen direkten Bezug zur Theorie des rationalen Wählers aufwiesen. Abbildung 3 zeigt das Modell als Pfaddiagramm. Die gerichteten Pfeile können als kausale Effekte gedeutet werden. Die angegebenen Werte sind die standardisierten Regressionskoeffizienten. Sie geben die Richtung und relative Stärke der Effekte an. In dem Modell wird die Teilnahmeabsicht direkt nur durch zwei Größen erklärt, zum einen durch den Teilnahmedruck der sozialen Umwelt, gemessen über die perzipierte Wahlbeteiligung im sozialen Umfeld, und zum anderen durch die Bedeutung der eigenen Stimme. Die Bedeutung der eigenen Stimme haben wir als generellen Nutzen des Wählens interpretiert. Indirekte Effekte weisen darüber hinaus unter-schiedliche Bewertungen der Parteien und der langfristige Beteiligungsnutzen auf.

Es stellt sich die Frage, ob sich die in dem Modell aufgezeigten Be-ziehungen auch bei der Verwendung der Daten des ALLBUS 1998 bestätigen lassen. Eine direkte Schätzung des Modells ist jedoch nicht möglich, da die im ALLBUS verwendeten Fragen nicht mit den Fragen aus der von Kühnel und Fuchs verwendeten Wahlstudie übereinstimmen. Tendenziell läßt sich aber im ALLBUS 1998 zu jedem Konzept aus Abbildung 3 eine Frage finden, die einen ähnlichen Inhalt erfaßt. Anstelle der Wahlbeteiligung im sozialen Umfeld können die politischen Aktivitäten der Freunde verwendet werden.14 Die Interessenvertretung durch mindestens eine Partei ist Indikator für das

14 In der Wahlstudie zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wurden hier zwei Indikatoren

verwendet, die erfassen, ob die Mehrheit der nahen Verwandten bzw. die Mehrheit der Freunde wählt.

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Abbildung 3: Kausalmodell zur Erklärung der Teilnahmeabsicht

(NRW-Wahlstudie 1995)

Quelle: Schaubild 4 in Kühnel und Fuchs (1998: 343)

generelle Parteiendifferential,15 die Wahlbeteiligungsnorm Indikator für den langfristigen Beteiligungsnutzen16 und der politische Einfluß durch Wählen Indikator für die Bedeutung der eigenen Stimme.17 Anstelle der Teilnahme-absicht bei Bundes- und Landtagswahl wird schließlich die berichtete Teilnahme bei der letzten Bundes- und bei der letzten Landtagswahl eingesetzt. Aus den Antworten auf diese sechs ALLBUS-Fragen sind, getrennt für die neuen und die alten Bundesländer, die polychorischen Korrelationen und deren Standardfehler und geschätzten Kovarianzen

15 In Abbildung 3 basiert das generelle Parteiendifferential auf drei Fragen: Hat eine befragte

Person eine langfristige Neigung zu einer Partei; gibt es eine Partei, die die wichtigsten Probleme am besten lösen kann; und gibt es eine Partei, die die politischen Vorstellungen und Interessen des Befragten am besten vertritt.

16 Bei der Wahlstudie in Nordrhein-Westfalen wurde zusätzlich zu der auch im ALLBUS 1998 enthaltenen Frage nach der Wahlbeteiligungsnorm die Zustimmung zu der Aussage erfaßt, daß eine geringe Wahlbeteiligung zu einer Gefahr für die Demokratie werden könne.

17 In der Wahlstudie wurde gefragt, ob die eigene Stimme bei der Landtagswahl eine große, eine mittlere, eine geringe, fast keine oder überhaupt keine Bedeutung für den Ausgang der Wahl habe. Ein zweiter Indikator für diesen Faktor war die Höhe der Zustimmung zu der Aussage, durch die eigene Stimme bei der Landtagswahl mitzubestimmen, welche Politik im Landtag gemacht wird.

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berechnet worden.18 Die Standardfehler und Kovarianzen bilden die Gewichte für eine verallgemeinerte Kleinstquadratschätzung von Strukturgleichungs-modellen für die Korrelationen.

In einem ersten Schritt wurde die Modellstruktur aus Abbildung 3 geschätzt. Da das spezifizierte Modell jedoch in den alten wie den neuen Ländern nur eine ungenügende Modellanpassung aufwies, wurde das Ausgangsmodell leicht modifiziert. In den alten Ländern wurde ein zusätzlicher Effekt der politischen Aktivitäten der Freunde auf den Einfluß durch Wählen und ein direkter Effekt der Wahlbeteiligungsnorm auf das berichtete Teilnahmeverhalten geschätzt. Dafür entfiel der nicht signifikante Effekt der politischen Aktivitäten der Freunde auf die Wahlbeteiligungsnorm. Das Modell für die neuen Länder weist im Vergleich mit Abbildung 3 nur den zusätzlichen Effekt von der Wahlbeteiligungsnorm auf das berichtete Teil-nahmeverhalten auf. Abbildung 4 zeigt die standardisierte Lösung des Endmodells für die alten Bundesländer und Abbildung 5 die standardisierte Lösung des Modells für die neuen Bundesländer.

Abbildung 4: Kausalmodell zur Erklärung der berichteten Wahlteilnahme in den

alten Bundesländern

Quelle: ALLBUS 1998 (eigene Berechnungen)

18 Die polychorischen Korrelationen berücksichtigen, daß die verwendeten Variablen nur

ordinales Meßniveau aufweisen.

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Betrachtet man die generelle Kausalstruktur, so weisen die auf den ALLBUS-Daten basierenden Modelle eine recht hohe Übereinstimmung mit dem Modell aus Abbildung 3 auf. Da bei den ALLBUS-Daten andere Indi-katoren verwendet wurden und mit Ausnahme der Wahlbeteiligung nur jeweils ein Indikator zur Verfügung stand,19 wäre eine perfekte Über-einstimmung sehr unwahrscheinlich. In den alten Bundesländern (Abbildung 4) besteht eine wesentliche Änderung gegenüber Abbildung 3 darin, daß die Wahlbeteiligungsnorm bei den ALLBUS-Daten einen direkten Effekt auf die Wahlbeteiligung aufweist. Dieser Effekt ist zudem größer als die Effekte der beiden anderen direkten Determinanten der Wahlbeteiligung. Umgekehrt ist der Regressionskoeffizient des Einflusses durch Wählen auf die berichtete Wahlteilnahme (Abbildung 4) deutlich geringer als der Effekt der Bedeutung der eigenen Stimme auf die Wahlabsicht (Abbildung 3). Dies mag daran liegen, daß der Einfluß durch Wählen kein besonders zuverlässiger Indikator für den generellen Nutzen des Wählens ist. Dies würde auch erklären, warum die Wahlbeteiligungsnorm noch einen zusätzlichen direkten Effekt auf das Teilnahmeverhalten benötigt. Niedriger als in Abbildung 3 ist auch die Erklärungskraft. Im Modell aus Abbildung 4 wird anstelle von 77% nur 41,2% (=1−0.588) der Varianz erklärt. Aber auch dieser Wert ist bei nur drei direkten Erklärungsgrößen recht hoch.

In den neuen Bundesländern weist das Endmodell (Abbildung 5) eine noch etwas größere Ähnlichkeit mit der formalen Struktur des Modells aus Abbildung 3 auf. Es gibt nur einen zusätzlichen Effekt von der Beteiligungs-norm auf das Teilnahmeverhalten. Generell sind die Effekte höher als in den alten Ländern. Daher wird auch mit 59,9% (=1−0.401) ein höherer Anteil der Variation bei der Wahlbeteiligung aufgeklärt. Überraschend ist allerdings der negative Effekt der politischen Aktivität von Freunden auf die Wahl-beteiligungsnorm. Möglicherweise schlägt sich hier die - verglichen mit den Bürgern der alten Länder - geringere Demokratiezufriedenheit und das geringere Vertrauen in die Politiker nieder.20

Insgesamt gesehen kann daher der Versuch, die Ergebnisse der Analysen von Kühnel und Fuchs (Abbildung 3) mit anderen Daten und anderen Indika-toren zu replizieren, als weitgehend erfolgreich bewertet werden. Die in der älteren Arbeit explorierte Grundstruktur der Beziehungen zeigt sich auch bei den ALLBUS-Daten. Wiederum ist es möglich, in einem sehr sparsamen Modell (mit nur drei direkten Determinanten) einen hohen Anteil der Unter-schiede in der Wahlbeteiligung zu erklären.

19 Dies hat die Konsequenz, daß zufällige Meßfehler nicht kontrolliert werden können, was

i.a. zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Effekte führt. 20 Die Daten des ALLBUS 1998 weisen darauf hin, daß in den neuen Ländern sowohl die

Demokratiezufriedenheit signifikant geringer als auch die Bewertung der Politiker signifikant schlechter ist als in den alten Ländern.

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Abbildung 5: Kausalmodell zur Erklärung der berichteten Wahlteilnahme in den

neuen Bundesländern

Quelle: ALLBUS 1998 (eigene Berechnungen)

5. Diskussion

Die Wahlbeteiligung ist eine Größe, die mit einer Vielzahl anderer Variablen korreliert. In solchen Situationen ist es hilfreich, wenn eine Theorie zur Ver-fügung steht, aus der sich Hypothesen ableiten lassen, auf welche Faktoren sich ein Erklärungsmodell stützen sollte. Bei der Analyse der Wahlbeteiligung habe ich auf die Theorie des rationalen Wählers zurückgegriffen. Danach läßt sich die Wahlbeteiligung durch die Teilnahmekosten in Form von Kosten zur Entscheidungsfindung und von Opportunitätskosten, durch die Existenz einer äußeren Norm zur Wahlbeteiligung, durch eine verinnerlichte Beteiligungsnorm, durch den erwarteten instrumentellen Nutzen bei einem Sieg der favorisierten Partei und durch den expressiven Nutzen erklären. In den im letzten Abschnitt vorgestellten Kausalmodellen sind die Teilnahmekosten nicht berücksichtigt. Dies liegt zum einen daran, daß im ALLBUS 1998 keine Indikatoren zur Erfassung der Kosten zur Verfügung stehen. In Analysen an einem anderen Datensatz hat sich zudem gezeigt, daß die Teilnahmekosten bei Kontrolle der übrigen Determinanten keinen direkten Effekt auf die Wahlbeteiligung haben (Kühnel und Fuchs 1998: 341). Dies liegt möglicherweise daran, daß in einem gegebenen institutionellen Setting Teilnahmekosten nur eine geringe

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Polit. Aktivitätvon Freunden

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Variation aufweisen. Teilnahmekosten können aber relevant sein, um Unterschiede bei der Wahlbeteiligung zwischen verschiedenen Staaten zu erklären.

Die Bedeutung einer äußeren Wahlnorm hatte sich bereits in früheren Analysen gezeigt und bestätigt sich auch bei der Verwendung der ALLBUS-Daten. Die verinnerlichte Wahlnorm kann auch im Sinne eines langfristigen Nutzens der Demokratie gedeutet werden. Entsprechend erfaßt der Indikator der Norm die Selbstverpflichtung, sich als Bürger eines demokratischen Regimes an Wahlen zu beteiligen. Ob die Wahlnorm einen eigenen direkten Effekt hat oder wie in Abbildung 3 nur einen indirekten Effekt aufweist, wird sich erst anhand weiterer Daten eindeutiger feststellen lassen. Nach der Theorie des rationalen Wählers wäre ein direkter Effekt nicht unplausibel.

Bei den ALLBUS-Daten ist es nicht möglich, eine expressive Nutzen-komponente von einer eher instrumentellen Nutzenkomponente zu unter-scheiden. Interessant ist, daß die Bevorzugung einer Partei in den Modellen nur einen indirekten Effekt auf die Wahlteilnahme hat, der über Wahlnorm und die Bedeutung des Wählens (Abbildung 4 und 5) bzw. die Bedeutung der eigenen Stimme (Abbildung 3) vermittelt wird. Der eigentlich überraschende empirische Befund ist die Bestätigung des deutlichen Effektes der Bewertung des politischen Einflusses durch das Wählen. Inhaltlich kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck, daß die Wähler die effektive Beeinflußbarkeit des politischen Systems für das sine qua non der Demokratie halten.

Für die Theorie des rationalen Wählers bedeutet dies, daß die These von Brennan und Lomaski (1993) vermutlich zu kurz greift, daß es in erster Linie der expressive Nutzen ist, der über die Wahlbeteiligung bestimmt. Die Wähler scheinen vielmehr der Auffassung zu sein, durch ihre Beteiligung politischen Einfluß zu nehmen. Dieser muß zwar nicht im Sinne einer Entscheidung des Wahlausgangs durch die eigene Stimme gedeutet werden, wohl aber im Sinne der Kooperation bei der Herstellung eines (politischen) Kollektivguts. Wähler wählen also, weil sie einen instrumentellen Nutzen aus der politischen Arbeit der von ihnen favorisierten Partei erzielen wollen. Sie wissen, daß dieses Ziel nur gemeinsam mit anderen Wählern erreicht werden kann, und empfinden einen expressiven Nutzen, wenn sie ihren Teil dazu beigetragen haben. Einen darüber hinausgehenden eigenen Effekt kann auch der Erwartungsdruck des sozialen Umfeldes haben, sich an einer Wahl zu beteiligen. Von einer Wahlbeteiligung wird dann umgekehrt abgesehen, wenn keine Hoffnung besteht, Einfluß auf die Politik nehmen zu können oder wenn es keine politische Alternative gibt, die vorgezogen wird. Als teilnahme-mindernd können sich auch fehlende Teilnahmeerwartungen des sozialen Umfeldes auswirken.

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