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Personenbezogene Unterlagen militärischer Provenienz im Bundesarchiv 1. Einleitung Zum 31. Dezember 2005 wurde die Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs in Aa- chen-Kornelimünster (ZNS) nach längerem Vorlauf planmäßig aufgelöst. 60 Jahre nach Kriegsende und 50 Jahre nach ihrer Integration in das Bundesarchiv beendete damit eine Dienststelle ihre Tätigkeit, die für einen wesentlichen Teil der Überliefe- rung personenbezogener Unterlagen militärischer Provenienz verantwortlich war. Ihre ursprüngliche Aufgabe bestand darin, Beschäftigungs- und Versicherungsnachweise für Angehörige von Wehrmacht und Waffen-SS, aber auch von Reichsarbeitsdienst und Organisation Todt (bzw. deren Hinterbliebene) zu erstellen und sich bei Bedarf auch gutachtlich hierzu zu äußern 1 ; neben dieser individuelle Rechtsansprüche si- chernden Aufgabe stellte die ZNS Informationen für die Strafverfolgung von NS-Tä- tern zur Verfügung. Aufgrund ihrer besonderen Aufgaben gehörte die ZNS organi- satorisch zur zentralen Verwaltungsabteilung (Z) des Bundesarchivs, war allerdings der Fachaufsicht der Abteilung Militärarchiv (MA) unterstellt. In dem Maße, in dem mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Kriegsende die rechtlich relevanten Auf- gaben abnahmen, gewannen wissenschaftliche wie genealogische Benutzungen an Gewicht. Vor dem Hintergrund dieses Aufgabenwandels war bewusst, dass die Auf- gaben der ZNS auf Dauer keine eigene Außenstelle mehr rechtfertigten. Archivfachli- che Gründe sprachen bereits für eine Auflösung, spätestens mit der vom Bundes- rechnungshof durchgeführten "Prüfung der organisatorischen Auswirkungen der Deutschen Einheit" auf die ZNS aus dem Jahr 1994 wurde der Handlungsbedarf je- doch manifest. Die Auflösung der ZNS und die damit verbundenen Konsequenzen 2 geben Anlass, in diesem Beitrag auf die Vorgeschichte und bisherige „Verteilung“ der personenbezogenen Unterlagen militärischer Provenienz, auf die Erwartungen von Benutzern sowie auf den Quellenwert und Bewertungsfragen einzugehen. 1 Siehe Rudolf Absolon. Sammlung wehrrechtlicher Gutachten und Vorschriften. 22 Hefte, 1963-1984. 2 Die mit diesem Schritt verbundenen personalwirtschaftlichen Probleme sollen hier nicht unerwähnt bleiben; aufgrund der Altersstruktur der Beschäftigten der ZNS und der relativen Nähe zum Standort Koblenz konnten sie jedoch erfreulicherweise zügig gelöst werden. 1

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Personenbezogene Unterlagen militärischer Provenienz im Bundesarchiv

1. Einleitung

Zum 31. Dezember 2005 wurde die Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs in Aa­

chen-Kornelimünster (ZNS) nach längerem Vorlauf planmäßig aufgelöst. 60 Jahre

nach Kriegsende und 50 Jahre nach ihrer Integration in das Bundesarchiv beendete

damit eine Dienststelle ihre Tätigkeit, die für einen wesentlichen Teil der Überliefe­

rung personenbezogener Unterlagen militärischer Provenienz verantwortlich war. Ihre

ursprüngliche Aufgabe bestand darin, Beschäftigungs- und Versicherungsnachweise

für Angehörige von Wehrmacht und Waffen-SS, aber auch von Reichsarbeitsdienst

und Organisation Todt (bzw. deren Hinterbliebene) zu erstellen und sich bei Bedarf

auch gutachtlich hierzu zu äußern1; neben dieser individuelle Rechtsansprüche si­

chernden Aufgabe stellte die ZNS Informationen für die Strafverfolgung von NS-Tä­

tern zur Verfügung. Aufgrund ihrer besonderen Aufgaben gehörte die ZNS organi­

satorisch zur zentralen Verwaltungsabteilung (Z) des Bundesarchivs, war allerdings

der Fachaufsicht der Abteilung Militärarchiv (MA) unterstellt. In dem Maße, in dem

mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Kriegsende die rechtlich relevanten Auf­

gaben abnahmen, gewannen wissenschaftliche wie genealogische Benutzungen an

Gewicht. Vor dem Hintergrund dieses Aufgabenwandels war bewusst, dass die Auf­

gaben der ZNS auf Dauer keine eigene Außenstelle mehr rechtfertigten. Archivfachli­

che Gründe sprachen bereits für eine Auflösung, spätestens mit der vom Bundes­

rechnungshof durchgeführten "Prüfung der organisatorischen Auswirkungen der

Deutschen Einheit" auf die ZNS aus dem Jahr 1994 wurde der Handlungsbedarf je­

doch manifest. Die Auflösung der ZNS und die damit verbundenen Konsequenzen2

geben Anlass, in diesem Beitrag auf die Vorgeschichte und bisherige „Verteilung“ der

personenbezogenen Unterlagen militärischer Provenienz, auf die Erwartungen von

Benutzern sowie auf den Quellenwert und Bewertungsfragen einzugehen.

1 Siehe Rudolf Absolon. Sammlung wehrrechtlicher Gutachten und Vorschriften. 22 Hefte, 1963-1984. 2 Die mit diesem Schritt verbundenen personalwirtschaftlichen Probleme sollen hier nicht unerwähnt bleiben; aufgrund der Altersstruktur der Beschäftigten der ZNS und der relativen Nähe zum Standort Koblenz konnten sie jedoch erfreulicherweise zügig gelöst werden.

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2. Vorgeschichte und Verteilung personenbezogener Unterlagen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die auf dem Gebiet der damaligen

Bundesrepublik erhalten gebliebenen Personalunterlagen der früheren Reichswehr

und Wehrmacht zunächst in Dortmund, später im sog. Personenstandsarchiv II des

Landes Nordrhein-Westfalen in Aachen-Kornelimünster zusammengetragen. Im Jah­

re 1955 gingen die erhalten gebliebenen personenbezogenen Unterlagen der ehe­

maligen Angehörigen des deutschen Heeres und der Luftwaffe, der Waffen-SS, des

Reichsarbeitsdienstes und anderer Organisationen (z.B. Organisation Todt, Nach­

richtenhelferinnen) sowie das überlieferte wehrmachtgerichtliche Schriftgut aller

Wehrmachtteile an das Bundesarchiv über, das damit jedoch nur über eine „Teil­

menge“ der personenbezogenen Unterlagen militärischer Provenienz verfügte.

Die Unterlagen über Verwundung und Kriegsgefangenschaft sowie die Graborte

deutscher Kriegsteilnehmer verblieben in der Zuständigkeit der Deutschen Dienst­

stelle (WASt)3. Darüber hinaus wurde die WASt verantwortlich für die personenbezo­

genen Unterlagen von Angehörigen der Marine - jedenfalls bis zum Rang eines Kapi­

täns zur See, denn ab dem Dienstgrad der „Obristen“ wurden die Personalakten

ranghoher Offiziere aller Waffengattungen im Bundesarchiv-Militärarchiv unter der

Bestandsbezeichnung PERS 6 zusammengefaßt4. Ein maßgeblicher Grund für diese

„Selektbildung“ war wohl das seinerzeitige biographische Interesse seitens der mili­

tärgeschichtlichen Forschung.

Schließlich wurden die Krankenunterlagen von Angehörigen des preußischen Heeres

wie der Wehrmacht im sog. Krankenbuchlager zusammengefasst.5

Die in der ZNS zusammengeführten personenbezogenen Unterlagen waren überwie­

gend, jedoch nicht ausschließlich militärischer Herkunft, wie die Überlieferungen des

Reichsarbeitsdienstes und der Organisation Todt belegen. Und es gehörte ebenfalls

zu den Kriegsfolgen, daß auch die personenbezogenen Unterlagen ziviler Herkunft

3 In der Abkürzung „WASt“ lebt die frühere Bezeichnung „Wehrmachtsauskunftsstelle für Kriegerver­lust und Kriegsgefangene„ fort. Sie wurde gemäß einer Verwaltungsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin vom 9. Januar 1951 als Behörde des Landes Berlin geführt. Siehe http://www.dd-wast.de.4 Der Bestand PERS 6 umfaßt ca. 14.640 Akten. Weitere bisher getrennte Freiburger Personalakten­bestände eher geringen Umfangs (Veterinäre, Beamte, zivile Bedienstete) werden im Rahmen der Aufarbeitung der von der ZNS übernommenen Personalakten aufgelöst.5 Das Krankenbuchlager ist wie die WASt eine Einrichtung des Landes Berlin, siehe http://www.ber­lin.de/sengessozv/lageso/kbl.html.

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nicht "vollständig" vorlagen. Im früheren Berlin Document Center, das im Jahre 1994

in das Bundesarchiv integriert wurde, waren v.a. personenbezogene Unterlagen kon­

zentriert, die über Zugehörigkeit von Personen zur NSDAP sowie zu ihren Glie­

derungen und angeschlossenen Verbänden Auskunft geben6. Schließlich gab es im

Machtbereich des Ministeriums für Staatssicherheit ein sog. NS-Archiv, das neben

Sachakten auch umfangreiches personenbezogenes Schriftgut ziviler, aber auch mi­

litärischer Herkunft enthielt 7.

3. Aufteilung der ZNS-Bestände

Aus der Perspektive anfragender Bürgerinnen und Bürger fehlte und fehlt immer

noch die Transparenz, an welcher Stelle welche Unterlagen vorhanden und benutz­

bar sind8. Mit dem Zurücktreten des Aspekts der „Kriegsfolgen“ bekommt das Bun­

desarchiv jedoch Gelegenheit und Pflicht, die Transformation personenbezogener

Unterlagen, welche die längste Zeit für sekundäre Verwaltungszwecke benötigt bzw.

aus politischen Gründen separiert wurden, zu Archivgut abzuschließen – nach der

Integration des BDC und der Aufarbeitung des ehem. NS-Archivs der Stasi markiert

die Auflösung der ZNS einen weiteren wichtigen Schritt in diesem Prozess. Auf der

Grundlage vorbereitender Überlegungen aus dem Jahr 2003 wurde das in der ZNS

befindliche personenbezogene Schriftgut auf zwei Fachabteilungen Militärarchiv

(MA) und Reich (R) des Bundesarchivs und die Deutsche Dienststelle (WASt) gemäß

den jeweiligen Zuständigkeiten aufgeteilt9.

a) Abteilung Reich (R) des Bundesarchivs am Dienstort Berlin übernahm mit ca. 150

lfm den quantitativ geringsten Anteil. Es handelt sich dabei um personenbezogene

6 Siehe http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/abteilungen/abtr/5.pdf. Auf die „Nachkriegs­quellen“ - Spruchkammerakten in den Staatsarchiven, Spruchgerichte der Britischen Zone (Bundesar­chiv Bestand Z 42), Karteien und Überlieferung der Zentralen Stelle Ludwigsburg – , die aus Recher­cheperspektive ebenfalls mit heranzuziehen sind, sei an dieser Stelle nur kurz hingewiesen.7 Siehe Sabine Dumschat: Aufarbeitung des "NS-Archivs" des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Bundesarchiv. Vortrag auf dem 75. Deutschen Archivtag in Stuttgart am 28.9.2005 auf der Sitzung der Fachgruppe 1 (ergänzte Fassung): http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/abtei­lungen/abtr/8.pdf. Auch personenbezogene Unterlagen militärischer Provenienz wurden aus diesem Komplex herausgenommen und im Oktober 2005 an das Militärarchiv abgegeben. Da sich die Mehr­zahl der ca. 2000 Personalunterlagen (z.T. auch Personalakten) auf Unteroffiziere bezieht, werden diese nach entsprechender Sichtung an die WASt abgegeben.8 Für Dienstzeitnachweise siehe Hinweise und Adressen in: Gemeinsames Ministerialblatt (GMBl.) 2000, S. 434. Das Bundesarchiv-Militärarchiv gibt Anfragenden seinerseits in einem Formschreiben Hinweise zu den jeweils zuständigen Stellen.9 Die zugehörigen Karteien, die zum größeren Teil bereits bis 1945 entstanden sind, sowie die aus der Anfragenbearbeitung entstandenen Altablagen werden im folgenden nicht spezifiziert.

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Unterlagen folgender ziviler Organisationen, deren Überlieferung - soweit erhalten -

sich bereits in Obhut von Abteilung R befindet :

- Arbeits- und DAF-Mitgliedsbücher (58 lfm)

- Tages-, Marsch- und Einsatzbefehle der SS-Helferinnenschule

Oberehnheim/Elsaß (1 lfm),

- Organisation Todt und Transportgruppe Speer (41 lfm)

- Reicharbeitsdienst (10 lfm)

- Personalakten der RAD-Führer (41 Kartons)

b) Der quantitativ größte Anteil der ehemaligen ZNS-Unterlagen mit ca. 8.300 lfm

Umfang wurde der DD-WASt in Berlin übergeben. Dabei bilden die Wehrstammbü­cher der Mannschaften und Unteroffiziere mit knapp 7.100 lfm den stärksten Ein­

zelposten, während weitere Unterlagen von Angestellten und Arbeitern ca. 530 lfm

umfassen.

c) In die Abteilung MA des Bundesarchivs am Dienstort Freiburg gelangte Ar­

chivgut im Umfang von insgesamt ca. 2.650 lfm.10

- Einen großen Komplex stellen die 222.280 Personalakten der Offiziere von

Heer und Luftwaffe sowie der Wehrmachtsbeamten dar (1.500 lfm).

- Die ca. 180.000 wehrmachtgerichtlichen Akten bilden mit 1016 lfm den

zweiten gewichtigen Posten.

- Die verschiedenen Unterlagen über die Verleihung von Orden und Ehrenzei­

chen umfassen ca. 130 lfm.

Neben den Rationalisierungs- und Synergieeffekten für das Bundesarchiv insgesamt

folgen aus der Verlagerung fachliche Konsequenzen, die derzeit v.a. in der Abteilung

MA des Bundesarchivs zu bewältigen sind. Die beschriebene Aufteilung11 wird zu

einer Konsolidierung für den Bereich der eigentlichen Personalakten und der Wehr­

machtgerichtsakten führen, eine „definitive Gesamtlösung“ für die personenbezo­

10 Während der Transfer zu WASt und Abteilung R nach Berlin im November 2005 erfolgte, fand der Transport des für Abteilung MA bestimmten Archivgutes in zwei Abschnitten statt: Im März 2005 ge­langten nach Freiburg die Personalakten der Offiziere von Heer und Luftwaffe sowie der Wehrmachts­beamten, im Oktober folgten die wehrmachtgerichtliche Überlieferung sowie die Unterlagen über die Verleihung von Orden und Ehrenzeichen.11 V.a. aus Gründen des Überlieferungsumfanges wurde mit dem „Dienstgrad Leutnant“ eine pragma­tische „Trennlinie“ zwischen Abteilung MA und der WASt gezogen, aus Perspektive anfragender Bürger, denen der Dienstrang eines Angehörigen nicht selten unbekannt ist, macht sie jedoch keinen Sinn.

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genen Unterlagen militärischer Provenienz wird damit aber nicht erreicht sein. Die

Transformation von „Verwaltungsschriftgut“ zu Archivgut erfordert eine

benutzerfreundliche Erschließung, die mit minimalem Aufwand raschen Zugang zu

den gewünschten Informationen ermöglicht. Gerade hier liegen noch zu über­

windende Defizite. Zwar war die ZNS Teil des Bundesarchivs, die üblichen archiv­

fachlichen Standards der Ordnung und Erschließung wurden infolge der Beson­

derheit der Aufgabe, d.h. letztlich in der Kontinuität des Verwaltungshandelns, jedoch

nicht oder zumindest nicht konsequent angewandt. Im wesentlichen sind immer noch

jene Karteien als Findmittel in Gebrauch, die bereits zu Wehrmachtszeiten angelegt

wurden. Sie werden ergänzt durch weitere Karteien und sonstige Hilfsmittel, die in

der ZNS angelegt wurden. Mit einer IT-gestützten Erschließung wurde in den

neunziger Jahren begonnen, aber auch mit den beiden dabei entstandenen AC­

CESS-Datenbanken liegt kein fertiges Ergebnis vor, da sie jeweils nur Teilmengen

des Archivgutes betreffen12 und die Karteien weiterhin für die Beantwortung von

Anfragen unentbehrlich sind.

Eine adäquate Erschließung der wehrmachtgerichtlichen Überlieferung13 wie auch

der Personalakten ist daher dringend erforderlich. Damit in absehbarer Zeit eine

spürbare Verbesserung für Benutzer erreicht werden kann, sind Haushaltsmittel für

die Datenerfassung vorgesehen. Die Erfassung wird sich auf die Kernfelder

beschränken, über die eine Person identifizierbar wird. Des weiteren wird gewährleis­

tet sein, dass die gewonnenen Daten auch unter anderen organisatorischen Be­

dingungen weiter nutzbar sind.

4. Erwartungen von Benutzern

Personengeschichtliche Fragestellungen der historischen Forschung wie auch die

von der öffentlichen Erinnerungskultur beeinflußte private Spurensuche bestimmen

die Qualität von Anfragen in den letzten Jahren. Die „Verteilung der Überlieferung“

12 Zunächst wurde für die wehrmachtgerichtlichen Akten sowie für die Ordensverleihungen eine Daten­bank mit nur wenigen Feldern (Name, Vorname, Geburtsdatum, Signatur) angelegt, die ca. 2.000.000 Datensätze umfasst. Die Ordensverleihungen sind darin jedoch nur auszugsweise enthalten, so dass die Verleihungslisten selbst weiterhin für die Recherche unentbehrlich sind. Neben dieser älteren Da­tenbank gibt es eine neuere ausschließlich für die wehrmachtgerichtlichen Akten, die jdoch nur knapp 80.000 der insgesamt 180.000 Akten repräsentiert. Dem unvollständigen Erschließungszustand ent­spricht der unvollständige Ordnungszustand: Allein die erwähnten 80.000 Akten sind entsprechend dem Bundesarchivstandard signiert, nicht jedoch die restlichen 100.000.13 Siehe Manfred Messerschmidt: Die Wehrmachtjustiz 1933-1945. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Paderborn, München, Wien , Zürich, 2005.

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machte und macht es Benutzerinnen und Benutzern, seien es Familienforscher oder

Wissenschaftler, allerdings alles andere als leicht, wenn sie nach der Spur eines

Menschen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges fragen. Wenn sie aus dem Ausland

kommen oder dort bereits geforscht haben14, wundern sie sich nicht ganz zu Unrecht

über die Komplexität einer personenbezogenen Recherche in Deutschland, die in

nicht wenigen Fällen mit gut gemeinten „Verweisen“ begleitet wird, leider aber mit

enttäuschendem Ergebnis enden kann15.

Benutzerinnen und Benutzer fragen häufig nach „Schicksal“ und „Funktion“ eines

Angehörigen in der Wehrmacht oder Waffen-SS, nach dem Einsatzort, nach den Um­

ständen von Tod und Gefangenschaft, eventuell auch nach der Beteiligung an

Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mittlerweile geht es

eher um die Generation der Großväter, ein quantitativ gewichtiger Anteil betrifft aber

immer noch die Väter und Brüder. Menschen suchen dabei Klarheit über ihre

Herkunft in umfassendem Sinn. Gelegentlich wird auch noch – nach Jahrzehnten des

Schweigens und Verdrängens - der leibliche Vater gesucht, gerade von Anfragenden

aus Ländern, die während der Kriegszeit unter deutscher Besatzung standen.16

Die geäußerten Erwartungen stehen dabei in einem gesellschaftlichen Kontext, der

v.a. von TV-Dokumentationen geprägt ist17 - sie gehen allerdings manchmal auch

weit über das hinaus, was die bruchstückhaft erhaltenen Quellen hergeben können.

Es ist dann gerade Aufgabe des Archivs, die „Enttäuschung“ über die tatsächliche

Quellenlage ins Positive zu wenden, denn gerade das Verständnis personenbezo­

gener Quellen bedarf des historischen Zusammenhangs18, den andere Quellen oder

auch Publikationen vermitteln. In der Regel hilft der Verweis auf das „Kollektivschick­

sal“, wie es in historischen Darstellungen, v.a. auch in Divisionsgeschichten19 be­14 Siehe die benutzerfreundlichen Recherchemöglichkeiten des britischen Nationalarchivs http://ww­w.nationalarchives.gov.uk/militaryhistory/?homelink=main_military.15 Nur klare Verweise entlang der bekannten Zuständigkeiten sind wirklich benutzerfreundlich; leider werden immer wieder falsche Hoffnungen geweckt, die dann enttäuscht werden müssen.16 Diese Anfragen werden an die WASt verwiesen, siehe Deutsche Dienststelle. Arbeitsbericht 2002/2003/2004, S. 44.17 Ein Film wie der „Soldat Ryan“, in dem Steven Spielberg das Krieggeschehen gleichsam um eine einzelne Person herum konstruiert, könnte durchaus seinerseits Einfluss auf diese Erwartungshaltung genommen haben.18 Peter Müller: "War mein Opa eigentlich ein Nazi?" Familienforschung als Vergangenheitsbewälti­gung. In: Archivnachrichten. Sondernummer. September 2005, S. 32-34, weist zurecht darauf hin, dass auch die Nutzung der im Rahmen der Entnazifizierung entstandenen Einzelfallakten für famili­engeschichtliche Zwecke „freilich nicht unproblematisch“ ist (S. 33); ohne den allgemeinen zeithistori­schen Kontext könnten die exkulpierenden Wertungen, die in den seinerzeit entstandenen „Persil­scheinen“ enthalten sind, unkritisch übernommen werden. 19 Bei allen Vorbehalten gegenüber den historisch-politischen Wertungen, die in Divisionsgeschichten (geschrieben aus der Perspektive ehemaliger Soldaten) enthalten sein können, sind die Darstellungen

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schrieben wird; das Einzelschicksal läßt sich dann entweder einordnen oder doch zu­

mindest erahnen. Manchmal kann es auch hilfreich sein, wenigstens den Ort, an dem

ein Angehöriger getötet wurde, anhand eines Kartenausschnittes zu "identifizieren".

5. Quellenwert und Bewertung

Die Aussagekraft personenbezogenen Schriftguts ist differenziert zu betrachten.

Grundsätzlich sind diese Unterlagen aus der bürokratischen Aufgabe der „Perso­

nalverwaltung“ entstanden, ein „umfassendes Bild“ von einem Menschen können sie

im nachhinein nicht geben. Reguläre Personalakten von Offizieren besitzen ver­

gleichsweise die größte Aussagekraft: sie sind – soweit vollständig erhalten - formal

gleichartig aufgebaut und enthalten Lebenslauf, Zeugnisse, Beurteilungen und meist

auch ein Passbild. Sonstige personenbezogene Unterlagen über Soldaten sind eher

spärlich in ihrem Informationsgehalt. In der Regel gilt: je höher der Dienstrang, umso

vielfältiger und umfassender die erhaltenen Informationen. Gibt die Begründung zur

Verleihung eines Ritterkreuzes meist Angaben zum jeweiligen Kampfgeschehen

wieder, bieten Listen zur Verleihung „weit verbreiteter“ Orden wie des Eisernen

Kreuzes II. Klasse lediglich noch die Spur der Namensnennung.

Der Quellenwert wird jedoch nicht allein durch die innere Beschaffenheit des Schrift­

guts bestimmt. Die verheerende Zerstörung, die der Zweite Weltkrieg auslöste und

die letztlich auf Deutschland als Verursacher zurückschlug, ließ auch Kulturgut ein­

schließlich seinerzeitiges Archiv- und Registraturgut unwiederbringlich verloren ge­

hen. Selbstverständlich blieben personenbezogene Unterlagen ebenfalls nicht ver­

schont, zum Teil wurden sie – wie die Hauptmasse der Überlieferung des preußi­

schen Heeres - durch Kriegseinwirkung zerstört, zum Teil wurden sie bewusst vor

Kriegsende noch vernichtet. Was erhalten ist, kann also grundsätzlich nicht als eine

intakte „Grundgesamtheit“ betrachtet werden, aus der eine irgendwie definierbare

„Auswahl“ zu treffen wäre.

Eine Bewertungsentscheidung ist bisher lediglich im Fall des sog. Krankenbuch­

lagers getroffen worden, das Ergebnis war letztlich unbefriedigend20.

in aller Regel zuverlässig, soweit es um das operative Geschehen geht. „Kritische Darstellungen“ gibt es hier vergleichsweise wenige.20 Aufgrund des geringen Umfangs wurden die Krankenurkunden der Geburtsjahrgänge bis 1889 voll­ständig ins Bundesarchiv-Militärarchiv übernommen (Bestand PERS 9). Für die Geburtsjahrgänge

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Eine generelle „archivfachliche Bewertungsdiskussion“ über personenbezogene Un­

terlagen militärischer Provenienz aus der Weltkriegszeit hat im eigentlichen jedoch

nie stattgefunden21. Abgesehen von einem möglicherweise fehlenden fachlichen In­

teresse gab es nie den „geeigneten Zeitpunkt“ dafür, weil die „Freiheit“ dazu objektiv

fehlte. Sie verspätet führen zu wollen, wäre zwecklos, denn durch die Benutzungs­

praxis ist sie bereits entschieden. Die Sicherung von Rechtsansprüchen ebenso wie

die Strafverfolgung standen einer frühzeitigen Vernichtung entgegen, die private

Spurensuche im Kontext der Erinnerungskultur erübrigt eine solche Diskussion nun­

mehr endgültig. Die Realität ist somit über eine „fachliche Diskussion“ hinwegge­

gangen.

6. Erinnerungskultur und Perspektiven

Quellenwert definiert sich nicht als "absoluter Wert" sondern im vorliegenden Fall not­

wendigerweise auch über den "Marktwert" aus Perspektive der Benutzung. Die per­

sonenbezogenen Quellen, die gerade einer breiten interessierten Nutzerschicht zur

Verfügung stehen, mögen im Einzelfall karg und spärlich erscheinen, sie stellen aber

die wenigen Spuren einer großen Anzahl von Menschen in der Zeit des Zweiten

Weltkrieges dar und sind somit Kristallisationspunkte für Erinnerungsarbeit. Daraus

gewinnen diese Quellen ihre besondere Bedeutung.

Der Trend hin zur subjektiven (Er)Lebensperspektive einzelner Personen und insbe­

sondere der eigenen Vorfahren wurde in Veröffentlichungen der jüngsten Zeit immer

wieder besprochen22. Anders als in den Ländern der ehem. Alliierten, in denen Antei­

1890 bis 1899 wurde ganz offensichtlich aus Gründen der Raumknappheit eine „Auswahl“ festgelegt: archiviert wurden nur die Akten der in den Monaten Januar und Juli geborenen Militärangehörigen. Eine solche Auswahl genügt zweifellos für wehrmedizinische Fragestellungen (und in dieser Hinsicht werden die Akten durchaus genutzt), nicht aber für personenbezogene Nachweise. Akten „berühmter Persönlichkeiten“ – eine ansonsten durchaus übliche Ergänzung beim Auswahlverfahren - fielen dieser Auswahl ebenfalls zum Opfer mit der Konsequenz, dass z.B. die Krankenakte Ernst Jüngers vernichtet wurde. Die Geburtsjahrgänge 1900 bis 1905 werden in Kürze vom Krankenbuchlager an die WASt abgegeben mit dem Ziel, die Krankenunterlagen dort zusammenzuführen.21 In der Veröffentlichung "Archivischer Umgang mit Personalakten". Ergebnisse eines spartenüber­greifenden Fachgesprächs im Westfälischen Archivamt. Redaktion: Katharina Tiemann. Münster 2004 (Texte und Untersuchungen zur Archivpflege Band 16) bleiben die militärischen personenbezogenen Unterlagen gänzlich unerwähnt. 22 Siehe z.B. Peter Müller (wie Anm. 18) sowie den Beitrag von Axel Reimann über die Tätigkeit der WASt: "Was hat Opa eigentlich im Krieg gemacht?" In: Chrismon 04/2005, S. 29-32. Mit möglichen Auswirkungen auf die Archive beschäftigt sich auch Brage bei der Wieden: Die Wendung zum Subjekt und ihre Folgen für die Archive, in "Archivischer Umgang mit Personalakten" (wie Anm. 21), S. 117-119. Zwei der drei dort am Schluss formulierten Handlungsalternativen – temporäre Aufbewahrung oder Aushändigung an Betroffene oder Erben - sind inakzeptabel. Sie kommen einer Selbstaufgabe

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le von "Heldenverehrung" durchaus gegenwärtig sind23, geht es in der Bundesrepu­

blik jedoch in der Regel um eine eher "kritische" Familienforschung, die gerade auch

die mögliche Verstrickung eines Vorfahren in das NS-System klären will. Wie die

Anfragen im Bundesarchiv-Militärarchiv zeigen – und das sind allein ca. 3500 per­

sonenbezogene Anfragen im Jahr – ist ein "exkulpierendes" oder gar "he­

roisierendes" Interesse nur in absoluten Ausnahmefällen erkennbar.

Ob eine "Erinnerungsflaute", wie sie von der FAZ für das "Centre Mondial de la Paix"

in Verdun beschrieben wurde24 oder gar ein Ende der Erinnerungskultur bevorstehen

könnte, bleibt natürlich offen. Der besondere Stellenwert von Zweitem Weltkrieg und

Holocaust in der deutschen Öffentlichkeit im allgemeinen sowie der Aspekt millionen­

facher individueller Verstrickung ins NS-System im besonderen sprechen dagegen.

Edgar Büttner

Abdruck in: DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen,

Jahrgang 59 (2006), Heft 2, S. 143-146; Verlag F. Schmitt, Sieburg.

der Archive als Einrichtungen mit öffentlichem Auftrag gleich und konterkarieren im übrigen den An­spruch, „neue Nutzerschichten anzusprechen“. 23 Heldenverehrung hat hierzulande eindeutig „rechtfertigende Momente“, denn es gibt letztlich keine „wertfreie Erinnerung“ an „militärische Leistungen“, siehe die Veröffentlichungen von Florian Berger über Ritterkreuzträger, zuletzt: Ritterkreuzträger mit Nahkampfspange in Gold, 2005. 24 FAZ vom 7.10.2005.

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