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2020 03 SCHWERPUNKT: DIGITALISIERUNG IN DER LEHRE eMagazin für aktuelle Themen der Hochschuldidaktik BALTIC CRIME STORIES Digitales Lehr-Lern-Projekt mit Strafrechtsfällen zum Selbstlernen VIRTUELLE EXKURSION Interview mit Sven Reiß zur Umsetzung digitaler Exkursionen REMOTE KITCHEN OCEANOGRAPHY Praxisnähe dank digitaler Versuchsküche

PERSPEKTIVEN 01 2020 | Zukunftsorientierung · der digitalen Hochschullehre. Was nun daraus folgt, ist entscheidend für die digitale Lehre in der Zukunft. Die Bereitstellung von

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Page 1: PERSPEKTIVEN 01 2020 | Zukunftsorientierung · der digitalen Hochschullehre. Was nun daraus folgt, ist entscheidend für die digitale Lehre in der Zukunft. Die Bereitstellung von

2020

03

SCHWERPUNKT: DIGITALISIERUNG IN DER LEHRE

eMagazin für aktuelle Themen der Hochschuldidaktik

BALTIC CRIME STORIES

Digitales Lehr-Lern-Projekt mit Strafrechtsfällen zum Selbstlernen

VIRTUELLE EXKURSION

Interview mit Sven Reiß zur Umsetzung digitaler Exkursionen

REMOTE KITCHEN OCEANOGRAPHY

Praxisnähe dank digitaler Versuchsküche

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2 3PERSPEKTIVEN 03.20

Liebe Leser_innen,die Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) hat in den vergangenen Jah-ren aus ihren Fakultäten heraus und unter anderem in Zusammenarbeit mit Kolleg_innen aus dem Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe) zahlreiche innovative, didaktisch fundierte Digitalisierungsprojekte in der Lehre umgesetzt, meist ‚leise‘ und an einzelnen Lehrveranstaltungen konkret arbeitend.Die Covid-19-Pandemie hat nun für die Digitalisierung in der Lehre eine verstärk-te Dringlichkeit und Aufmerksamkeit bedeutet, bei der es zuvorderst zu reagie-ren galt: Lehrveranstaltungen mussten innerhalb kürzester Zeit vollständig auf digitale Formate umgestellt und neue Tools angewandt werden – dies sowohl in Vorlesungen mit mehreren hundert Teilnehmenden als auch in Kleingruppen-übungen. Die CAU hat zur Unterstützung dieser Maßnahmen im Frühjahr 2020 einen Zwei-Millionen-Fonds für Digitalisierung der Lehre auf den Weg gebracht und dabei sowohl die digitale Infrastruktur als auch die Lehre hands-on gefördert. Beratungsteams zur didaktischen und technischen Aufbereitung der Lerninhalte wurden gestärkt, um den zahlreichen und vielschichtigen Anforderungen an Leh-re wie Lehrende zu begegnen. Der Heterogenität der Ausgestaltung von Lehr-Lern-Szenarien in der di-gitalen Lehre und der Notwendigkeit einer neuen methodisch-didaktischen Auf-bereitungsweise sollen in diesem Heft Rechnung getragen werden. So möchten wir Ihnen zum einen engagierte Projekte von Lehrenden präsentieren, die sich bereits vor Corona auf den digitalen Weg gemacht hatten. Zum anderen stellen wir auf den folgenden Seiten bewährte Methoden und Tools vor, die durch die Pandemie verstärkt als Werkzeuge in der Lehre ihren Einsatz gefunden haben. Neben Best-Practice-Berichten und Experteninterviews vermittelt der kon-krete Erfahrungsaustausch, wie sich Interaktion und Praxisbezüge online herstel-len lassen oder wie digitale Prüfungen verlässlich durchgeführt werden können. Außerdem wagen in dieser Ausgabe Expert_innen und Lehrprofis einen vorsich-tigen Blick in die Zukunft. In zwei Punkten scheinen sie sich dabei einig zu sein: Online-Lehre wird auch nach der Coronavirus-Krise ein wichtiger Bestandteil der universitären Lehre wie Didaktik bleiben als reflektierte Ergänzung zur Präsenz. So gilt es nun, passgenaue Hybridansätze zu entwickeln, die die Vorteile beider Settings im Sinne von potenziertem Blended Learning miteinander vereinen.

Alle guten Wünsche

Janne Ferretti

PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Editor ial

eMagazin für aktuelle Themen der Hochschuldidaktik

Janne Ferretti

Geschäftsführung Servicezentrum Studium und Internationales

Leiterin des Geschäftsbereichs Qualitätsentwicklung

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4 5PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Inhalt

02 Editorial

06 Einleitung Von der Co-Evolution des Digital Turns

an Hochschulen

BEST PRACTICES

10 Baltic Crime Stories Strafrechtsfälle zum Selbstlernen

14 Forschungsbasierte Lehre digital Interdisziplinäre studentische Forschungsprozesse

digital begleiten

16 Plötzlich soll man Noten geben Die Bewertung von Schüler_innen digital

erforschen und trainieren

20 Praxisnähe dank digitaler Versuchsküche Remote Kitchen Oceanography

23 Appwechslungsreiche Geschichten Digitales historisches Lehren und Lernen

BESTANDSAUFNAHME: ENTWICKLUNGEN IN DER DIGITALEN LEHRE

26 Von Digital Offices und sozialen Komponenten des Studiums

Interview mit Stefan Pfänder, Strategische Digitalisierung, CAU

28 Linktipps Hilfreiches und Spannendes rund um die Digitalisierung

in der Lehre

INHALT AUSBLICK: INNOVATIVE ENTWICKLUNGEN

30 »Mein Podcast ist ein Startschuss« Über ein studentisches Projekt und sein Potenzial für das

Lehren und Lernen an Hochschulen

32 Von Multiple-Choice, Rechtsfragen und Telemedizin

Interview mit Claudia Bremer und Prof. Ingolf Cascorbi zur Zukunft des digitalen Prüfens

36 »In der digitalen Lehre gelten mitunter andere Gesetzmäßigkeiten«

Gespräch über Praxisbezüge und Interaktion im Online-Seminar

40 Virtuelle Exkursionen Interview mit Sven Reiß vom Kieler Seminar für Europäische

Ethnologie/Volkskunde

44 Die Kompetenzen der Zukunft Lehrende und Lernende entwickeln gemeinsam Ansätze für

die Lehre von morgen

48 Fern und doch so fachnah Studienorientierung in Zeiten der Pandemie

50 Recherchetutorien in der Studieneingangsphase

Ein neues Lehr-Lern-Konzept für die Recherchetutorien im Fach Geschichte

52 Studierende in Online-Sessions beteiligen Neue Methoden in Lehrformate integrieren

54 Lehr- und Lernprozesse in Online- Veranstaltungen sichtbar machen

Möglichkeiten und Tools zur Planung, Gestaltung und Durchführung von Online-Lehre

58 Methoden und Tools Übersicht der in den Artikeln vorgestellen Methoden und

Tools

60 Impressum

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44

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6 7PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Einleitung 76

VON DER CO-EVOLUTION DES DIGITAL TURNS AN HOCHSCHULEN

Die digitalen Möglichkeiten in der universitären Lehre sind vielfäl-tig. An der Gestaltung und Durchführung des viel zitierten Digital Turns arbeiten deutsche Hochschulen nicht erst seit dem Beginn der Corona-Pandemie, die in den letzten Monaten die Ordnung in Hörsälen und Univerwaltungen ordentlich durch- und wachrüttelte.

Blended Learning, Flipped Classroom, synchrone und asynchrone Lehre sind keine neuen Konzepte. Die Entwick-lung von Lernszenarien, die durch eine Auswahl geeigneter Medien die Selbst-lernphasen mit Präsenzunterricht ver-knüpfen, hat eine sehr lange Tradition. Früher war es der Fernunterricht in Ver-bindung mit einer strukturierten Post-korrespondenz. In den 90er und 2000er Jahren blühte das Konzept des Blended Learnings aber als Form des integrativen Lernens erst so richtig auf und wird seit-dem als hybrides Lernarrangement stetig weiterentwickelt.

Die Pandemie wirkte für die (Weiter-)Entwicklung solcher Konzepte als Kata-lysator und erhöhte die Reaktionszeit für die viel diskutierte Transformation von Lebens- und Arbeitswelten: Lehrende und Studierende haben viel Engagement, Offenheit und Mut in der Umstellung der Hochschullehre auf Online-Formate bewiesen. Unkonventionelle Maßnah-men wurden entwickelt, die eine kreative

Verwendung der bereitgestellten digita-len Tools zeigen. Entwicklungsfelder im Hochschulbetrieb wurden identifiziert und als Explorationsraum von den Be-teiligten genutzt, um mehr als nur prag-matische Lösungen zu entwickeln. Die Erkenntnis, auch gemeinsam mit seinen Studierenden scheitern zu dürfen, ermög-lichte wieder einen frischen Blick auf die damit verbundenen Gestaltungsfragen der digitalen Hochschullehre.

Was nun daraus folgt, ist entscheidend für die digitale Lehre in der Zukunft. Die Bereitstellung von Technologien stellt zwar eine wichtige Grundvoraussetzung für das Lehren und Lernen dar, die Ver-fügbarkeit regt aber noch keine Lern- und Bildungsprozesse an. In den aktuel-len Diskussionen zur Digitalisierung der Hochschulen werden deshalb verschie-dene Ebenen diskutiert, um den Weg für eine digitale Lehr- und Lernkultur zu ebnen: Strukturelle und hochschulpoli-tische Rahmenbedingungen sollen den Digital Turn ermöglichen und stärken.

Neue Anreizsysteme zur Gestaltung und Durchführung digitaler Lehre könnten zeitliche Ressourcen schaffen, damit Qua-lifizierungsangebote wahrgenommen und Studierende adäquat im Lernprozess begleitet werden können.

Die Zugänglichkeit zu Wissensbe-ständen und Forschungsergebnissen ge-winnt in den Konzepten Open Science, Open Educational Ressources und Open Educational Practices eine neue Qualität. Gefordert wird eine stärkere Transparenz für die Gesellschaft sowie transdisziplinä-re Formen der Zusammenarbeit.

Neue Online-Formate sollen die Stu-dierbarkeit erhöhen und lebenslanges Lernen ermöglichen. Damit verbunden ist die Forderung, Studierende dabei zu unterstützen, Flexibilität, neue kollabora-tive Strategien und Problemlösungskom-petenzen zu entwickeln. Die beruflichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind aufgrund ihrer Kom-plexität für das Bildungssystem aber nur bedingt absehbar. ➞

Text: Sabine Reisas & Julia Sandmann

PERSPEKTIVEN 03.20

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8 9PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Einleitung

Dennoch sollten Studierende auf den Umgang mit Unbestimmtheit in den Le-bens- und Arbeitswelten vorbereitet wer-den, um adäquat auf Veränderungen re-agieren zu können.

Aus didaktisch-methodischer Pers-pektive wird vor allem eine Auseinan-dersetzung mit den Lernergebnissen, den Lehr-Lern-Methoden und den Prüfungs-formaten gefordert (Constructive Align-ment). Grundlage dieser Überlegungen bilden die Tätigkeiten, die Studierende in dem jeweiligen Lernszenario durch-führen sollen. Die Medien werden zur Einbindung in den Lernprozess dahin-gehend überprüft, welche Nutzungs- und Gebrauchspotenziale sie anbieten und ob diese im Sinne des Constructive Align-ments angemessen sind (Affordanzkon-zept: vgl. Zillen, 2008).

Die direkte Umstellung von Präsenz-lehre auf Online-Formate oder hybride Lernarrangements ist aus dieser Per-spektive aber oft nicht möglich oder gar didaktisch sinnvoll. Die Hochschullehre braucht agile und skalierbare Lernum-gebungen, um professionelle Handlungs-formen mit Studierenden erproben zu

können: Sie sollten einen niedrigschwel-ligen Zugang ermöglichen, Arbeitsweisen reflektierter machen, den kritischen Dis-kurs fördern und den transdisziplinären Austausch anregen.

In ihrer Keynote zum digitalen Tag der Lehre 2020 der Universität Kiel ver-wies Frau Dr. Anja Centeno García auf die Wichtigkeit authentischer Forschungs- und Praxissituationen für Studieren-de, um eine diskursive und forschende Grundhaltung entwickeln zu können. Sie führte weiterhin aus, dass wissenschaft-liches Arbeiten hochgradig emotionale Momente hervorbringt. Herausforderun-gen und Erkenntnispotenziale solcher Prozesse werden erst im Handeln selbst erfahrbar. Begleitet von Reflexionspha-sen ermöglichen solche Situationen, ein wissenschaftsbasiertes Praxishandeln zu entwickeln.

An vielen Hochschulen im Bundes-land werden diese Ansätze bereits ver-folgt. Das Projekt Future Skills hat zum Ziel, Lehrenden und Lernenden aller schleswig-holsteinischen Hochschulen die Grundkompetenzen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu vermit-

BILDQUELLE: CONSTRUCTIVE ALIGNMENT

teln. Das Projekt ist ein dafür entwickeltes und bundesweit einmaliges Online-Lern-system. Aufbauend auf dem Future Skills Framework des Stifterverbands stellt die-se Lernumgebung Module bereit, die Stu-dierenden Grundkompetenzen und ein Verständnis vermitteln, was zum Beispiel KI für Lehre und Forschung und für die eigenen benötigten beruflichen und ge-sellschaftlichen Kompetenzen bedeutet (vgl. Future Skills – Diskussionspapier 1, Future Skills: Welche Kompetenzen in Deutschland fehlen. Essen 2018). Das Projekt bietet darüber hinaus die Chance, einen fachübergreifenden Diskurs über KI anzuregen, wissenschaftliche Annah-men in der Entwicklung von KI zu hin-terfragen und das Spannungsverhältnis zwischen Regelhaftigkeit und Unbe-stimmtheit zu diskutieren.

Mit einem Blick auf die komplexen Ziele universitärer Lehre wird deutlich, dass wir auf dem Weg sind, eine digitale Lehr-Lern-Kultur zu schaffen, die „au-thentisches Fachhandeln“ (vgl. Centeno) ermöglicht und das konstitutive Moment sozialer, kultureller und medialer Fakto-ren (vgl. Orlikowski, 2007) erleben und reflektieren lässt. ■

Weiterführende Literatur: Das Future Skills Framework

Biggs, J., Tang, C. (2011): Teaching for Qua-lity Learning at University. What the Student Does. 4th edition, Society for Research in Higher Education. New York.

Gherardi, S. (2009). Introduction: The Critical Power of the ‘Practice Lense‘. In: Management Learning. Vol. 40(2): 115-128.

Orlikowski, Wanda. (2007). Sociomaterial Practices: Exploring Technology at Work. Organization Studies - ORGAN STUD. 28. 1435-1448.

Wildt, J. & Wildt, B. (2011): Lernprozessori-entiertes Prüfen im „Constructive Align-ment”: In B. Berendt, H.-P. Voss & J. Wildt (Hrsg.), Neues Handbuch Hochschullehre, Teil H: Prüfungen und Leistungskontrollen. Weiterentwicklung des Prüfungssystems in der Konsequenz des Bologna-Prozesses (S. 1–46). Berlin: Raabe. Abrufbar hier

Zillien, Nicole. (2008). Die (Wieder-)Entdeckung der Medien - Das Affordanz-konzept in der Mediensoziologie. Sociolo-gia Internationalis. 46. 161-181. 10.3790/sint.46.2.161.

Constitutive entanglement

(Orlikowski, 2007)

Material

CulturalSocial

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10 11PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Balt ic Cr ime Stor ies

Sophie Albrecht, Wolfgang Pescatore und Gülcan Özakin-Petersen sind drei der über 20 Charaktere aus dem digi-talen Lehr-Lern-Projekt „Baltic Crime Stories“ von Frau Prof. Dr. Brüning, die miterleben, wie sich Menschen in ihrem Umfeld strafbar machen. Mit Steckbrie-fen versehen, erweckt sie das Projektteam zum Leben, schreibt ihnen Hobbys, Jobs und Familien zu. „Oft kommt es vor, dass Studierende beim Lernen von Fällen und Argumentationen direkt die Lösungen anschauen, wenn sie auf Probleme sto-ßen,“ erzählt Prof. Dr. Janique Brüning. Sie ist Lehrstuhlinhaberin für Straf-, Straf-prozess-, Wirtschafts- und Sanktionsrecht an der CAU und hat das Projekt angesto-ßen. Aus ihren Erfahrungen als Dozen-tin weiß sie, dass es bei Studierenden im Lernprozess an diesem Punkt häufig hakt und will mit den „Baltic Crime Stories“ Abhilfe schaffen.

In Deutschland werden Rechtsfälle nach dem Gutachtenstil bearbeitet. Um ihre Argumentation schlüssig darzule-gen, sollen Jurastudierende Lösungs-skizzen anlegen, in denen zum Beispiel der Sachverhalt und die einschlägigen Paragrafen stichpunktartig strukturiert notiert werden, bevor es ans Schreiben geht. Stößt man dabei auf Schwierigkei-ten, ist der Anreiz groß, sich direkt die Lösung zum Fall anzuschauen. Bei den „Baltic Crime Stories“ gibt es jedoch die Möglichkeit einer geführten Lösung, die mit Impulsen und Hilfestellungen zum

Weitermachen motiviert. „Die Studieren-den sollen durch das schrittweise Klicken den Gutachtenstil erlernen“, hofft die Pro-jektinitiatorin. Langfristig wünscht sie sich, dass die „Baltic Crime Stories“ zu besseren Klausurergebnissen bei den Stu-dierenden führen.

Auf die Idee dazu kam Janique Brü-ning schon zu ihrer Studienzeit durch die Saarheimer Fälle, ein Fallrepetitorium zum Staats- und Verwaltungsrecht. Dort gibt es ebenfalls rechtliche Sachverhalte, die in einen narrativen Zusammenhang mit wiederkehrenden Protagonist_innen ein-gebettet sind. Damit die „Baltic Crime Sto-ries“ jedoch realitätsgetreu sind, können sich nicht immer dieselben Figuren gegen-seitig strafrechtlich Relevantes antun. Die Protagonist_innen berichten deswegen von Taten ihrer Schüler_innen, Kund_in-nen oder Angestellten. Die geführte Lö-sung als Konzept lernte Frau Brüning in ihrer Zeit an der Bucerius Law School kennen, wo es ein weiteres inspirierendes Projekt, „Das digitale Fallbuch“, gibt.

„In erster Linie ist unsere Plattform tatsächlich für das Selbststudium ge-dacht“, erklärt die Initiatorin das Anwen-dungsgebiet des Projekts. „Zielgruppe sind dabei nicht nur meine Studierenden, sondern alle Jurastudierenden, die deut-sches Strafrecht lernen.“ Auch auf Stu-dieninformationstagen setzt die Pro-fessorin die „Baltic Crimes Stories“ ein, um Interessierten einen ersten Eindruck ➞

Die Baltic Crime Stories unterstützen Jurastudierende darin, Fälle nach Lösungsskizzen im Selbststudium zu bearbeiten. In den online aufbereiteten Geschichten tauchen verschiede-ne Protagonist_innen auf, die Strafrechtsfälle in Kiel erleben. Prof. Dr. Janique Brüning hat das Projekt aufgebaut und be-richtet, wie es dazu kam, was es braucht, und welche Hürden es bei der Planung und Umsetzung zu überwinden galt.

Text: Rebecca Such

»Die Stories sollen dabei helfen, die gedankliche Arbeit zu lernen«BALTIC CRIME STORIES: STRAFRECHTSFÄLLE ZUM SELBSTLERNEN

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12 13PERSPEKTIVEN 03.20 13

vom Fach zu vermitteln. Eine systema-tische Verknüpfung mit der Präsenzleh-re war ursprünglich nicht vorgesehen, zur Klausurvorbereitung oder in großen Strafrechtsübungen verweist Frau Brü-ning dennoch manchmal auf bestimmte Fälle als Beispiele. In Zeiten von Corona hat sich das Projekt allerdings als Glücks-fall herausgestellt.

„Im Sommersemester 2020 habe ich vier Fälle aus den ‚Baltic Crimes Stories‘

in einer Strafrechtsübung eingesetzt“, erzählt sie. Ju-ristische Übungen sind von Professor_innen angeleitete Fallanwendungen, bei de-nen mehrere hundert Stu-dierende gemeinsam mit der Lehrperson Stück für Stück die Lösung erarbei-ten. Statt einer rudimentä-ren Vorbesprechung wurde auf die entsprechenden Fälle online und auf deren geführte Lösungen verwie-sen. In der Übung selbst erhielten die Studierenden Zeit zur eigenen Anwen-

dung, und Frau Brüning konnte sich auf Anwendungstechniken und Formalia konzentrieren. Eine dauerhafte Verzah-nung von Projekt und Präsenzlehre ge-staltet sich jedoch schwierig, da das Er-stellen der Storys zeitlich sehr aufwendig ist. Zusätzlich fehlten der Dozentin die direkten Rückmeldungen der Studieren-den – die Klickzahlen auf der Website gingen zwar nach oben, aber ob wirklich alles verstanden wurde, kann sie auf die-sem Wege nicht unmittelbar prüfen.

Vor den „Baltic Crime Stories“ gab es am Kieler Lehrstuhl bereits das Pro-jekt „Der digitale Fall“, das in Ansätzen ein ähnliches Konzept auf niedrigerem Niveau verfolgte. Im Vorlauf entwickelte die Initiatorin mit ihren Mitarbeiter_in-nen einige Figuren und Geschichten und arbeitete auch die Erfahrungen aus „Der digitale Fall“ mit ein. „Um so ein Projekt zu machen, müssen Sie eine Af-finität zu und Spaß an der Lehre und am Design haben“, erklärt Janique Brü-ning. Eine gute Agentur, die bereit ist, sich in die Materie einzuarbeiten, und bei der visuellen Gestaltung hilfreich zur Seite steht, sei außerdem unerlässlich.

Aus ihren Arbeitserfahrungen im Bereich Juristisches Lernen hat die Projektgrün-derin viel über Didaktik gelernt, was sich für die „Baltic Crime Stories“ ebenfalls als Notwendigkeit und Gewinn herausstellte.

Ihre Kritik an Digitalisierungsprozes-sen ist allerdings, dass häufig in Funkti-onsstellen gedacht werde: „In erster Li-nie braucht man für so etwas jemanden mit Fachkenntnis, der einem Freiraum zum Beispiel in der Lehre schafft, sodass man sich dem Projekt widmen kann“, rät sie. Die Kosten seien außerdem nicht zu unterschätzen. Neben der von PerLe im Fonds für Lehrinnovation bewilligten Summe und den so durch den Fonds fi-nanzierten Hiwis sind mehrere tausend Euro aus eigenen Lehrstuhlmitteln einge-flossen. Die Weiterfinanzierung nach För-derende ist bisher noch ungeklärt, übliche Wege wie Werbung schalten sieht Janique Brüning kritisch: „Da ist das Problem, dass man dann sofort gelabelt ist – zum Beispiel, wenn wir Anzeigen von Groß-kanzleien schalten würden. Das Ganze soll ja unabhängig sein.“

Mittlerweile sind auf der Home-page sieben fertig konzipierte Fälle zum Durchklicken verfügbar. Alle zwei Mo-nate soll ein neuer Fall dazukommen, so das selbstgesteckte Ziel der Projekt-leiterin. Von Kolleg_innen gab es laut Janique Brüning unerwartet viele bestär-kende Rückmeldungen. Der Einsatz in der digitalen Präsenzlehre wurde auch von den Studierenden positiv gewürdigt, viele hätten gerne früher von den „Baltic Crime Stories“ gewusst. Janique Brünings Wunsch für die Zukunft ist es, die Fall-kartei auszubauen und Kolleg_innen aus anderen Rechtsgebieten für ihre Idee zu begeistern. ■

Dieses Projekt wurde durch den PerLe-Fonds für Lehrinnovation gefördert.

Links:Baltic Crime Stories

Saarheimer Fälle zum Staats- und Verwaltungsrecht

Das Digitale Fallbuch der Bucerius Law School

Protagonistinnen und Protagonisten

PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Balt ic Cr ime Stor ies

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15PERSPEKTIVEN 03.201414

Da der Forschungsgegenstand KI digital-medial er-fassbar ist und nicht unbedingt physische Anwesen-heit für zum Beispiel eine haptische Erfahrung erfor-dert, ließ sich das Thema problemlos in einer reinen Online-Veranstaltung bearbeiten. In mehreren Ses-sions beschäftigten sich der Dozent und die Studie-renden zunächst mit den technischen Grundlagen der KI sowie mit aktuellen Phänomenen und diskutierten über ethische Probleme in diesem Kontext. Dazu fand in fast jeder Session eine kollaborative 2 Arbeits-phase in Breakout-Räumen 3 mit gemeinsam zu

bearbeitenden Fragestel-lungen zu Alltagswissen, aktuellem Forschungs-stand, Forschungsprozes-sen und erkenntnistheore-tischen Grundlagen statt. Erste Forschungsvorha-

ben wurden skizziert beziehungsweise hypotheti-sche Forschungsberichte mithilfe des kollaborativen

Schreibens in OnlyOffice 4 geübt. Die Studierenden haben sich so weitestgehend selbständig die Gestal-tung eines Forschungszyklus auf wissenschaftstheore-tischen Grundlagen erarbeitet.

Praxisnah mit KI experimentiert haben die Teil-nehmenden beispielsweise mit dem Tool Teachable Machine 5 von Google, mit dem unter anderem ein Machine-Learning-Verfahren zur Erkennung von Gegenständen oder Personen mit der eigenen Webcam erfahren werden konnte. Auf diese Weise konnten die Studierenden KI, im Sinne künstlicher neuronaler Netze, in Bezug auf Möglichkeiten und Grenzen der Technologie explorieren.

Eine besondere Herausforderung für die Lehr-person ist es jedoch stets, Studierende in der Ent-wicklung einer forschenden Haltung zu unterstüt-zen – zumal wenn dies vorab noch nicht vorbereitet wurde. Dazu bedarf es Geduld und genügend Zeit. Es kann notwendig sein, bei den Studierenden also erst einmal ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass

Text: Philipp Marquardt

Im Sommersemester 2020 bot das Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe) mit dem Videokonferenztool Zoom 1 ein Fachergänzungsseminar im Format des forschenden Lernens an. Das Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI) empfahl sich für diese Lehrveranstaltung insofern, da KI aktuell in vielen ge-sellschaftlichen Diskursen präsent ist, aber bislang außerhalb der Informatik wenig erforscht wurde – obwohl es inter- und transdisziplinäre Forschung geradezu einfordert.

erste Forschungsergebnisse nur vorläufig sind und dass Forschung ein weiteres stetiges Befragen des Ge-genstands und die Reflexion der eigenen Fragen im Austausch miteinander notwendig macht. Vor diesem Hintergrund hatten die Teilnehmenden im Seminar zunächst die Aufgabe, sich über die Wissenschaftsge-schichte des eigenen Fachs und die Vita bedeutender Forscher_innenpersönlichkeiten und Forschungs-arbeiten zu informieren, die von Fortschritten aber auch von Fehlern, Missverständnissen und Irrwegen geprägt sind und dabei eine Inspirations- und Moti-vationsquelle darstellen können.

Kollaborativ haben die Seminarteilnehmenden beispielsweise eine Tabelle (in OnlyOffice) erarbeitet, die eine Übersicht über verschiedene Forschungsme-thoden, wissenschaftstheoretische Grundlagen, Ge-schichte, mögliche Forschungsgegenstände oder -pa-radigmen bot. So ist eine Übersicht entstanden, die vielfältig und interdisziplinär Forschungsparadigmen zur Orientierung der eigenen Erkenntnisinteressen gegeben hat. Da das Seminar im Rahmen der Facher-gänzung stattfand, waren verschiedene Fachrichtun-gen der Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch andere Fächer wie die Informatik vertreten. Die For-schungsarbeiten konnten nah am eigenen Fach, das heißt aus der eigenen Fachperspektive heraus, indivi-duell oder interdisziplinär kooperativ oder aber kolla-borativ durchgeführt werden. Die Arbeitsweise sowie die Arbeitszeiten und -orte durften die Studierenden frei wählen. Die Vor- und Nachteile der jeweiligen Arbeitsweisen haben sie jedoch vorab im Kontext der Fachtradition, anhand von Forschungsarbeiten aus dem eigenen Fach und der geforderten Kompetenzen des aktuellen Arbeitsmarktes in Wissenschaft und Wirtschaft diskutiert, da die Veranstaltung auch zur beruflichen Orientierung dienen sollte.

Die Studierenden erarbeiteten in hohem Maße selbstständig Forschungsfragen aus eigenem For-schungsinteresse heraus. Dazu stellten sie die For-schungsmethoden des eigenen Faches vor und ver-glichen und diskutierten diese mit denen anderer Fachrichtungen. Das stieß dann auch eine kritische Reflexion der eigenen Fachkultur an. Erste Ideen zu Forschungsfragen wurden iterativ durch Peer-Feedback anhand von Kriterien wie wissenschaftli-cher Qualität, Präzision der Fragestellung, Relevanz der Forschung, Innovativität oder Umsetzbarkeit entwickelt. Das Peer-Feedback erhielten die Teil-nehmenden einmal von Kommiliton_innen des gleichen oder eines benachbarten Fachs – und ein-mal von Seminarteilnehmenden aus einem Fach,

in dem ganz andere Methoden und Ansätze gängig sind. Insbesondere die Perspektive aus einer anderen Fach tradition heraus kann sich als bereichernd erwei-sen – auch deshalb, weil es viel herausfordernder ist, Forschungs- und Erkenntnisinteressen fachübergrei-fend darzustellen: Als selbstverständlich angenomme-ne Paradigmen, Methoden und Erkenntnisinteressen erweisen sich dabei erklärungs- und rechtfertigungs-bedürftig, müssen reflektiert und diskutiert werden.

Am Ende des Seminars stellten die Teilnehmen-den ihre selbst entwickelten Forschungsvorhaben inklusive Forschungsdesign und methodischem Vor-gehen im Plenum vor und diskutierten letzte Verbes-serungsvorschläge.

Als größte Herausforderung im Seminarkontext erwies es sich, die eigene Forschungsfrage zu präzi-sieren und das Forschungsvorhaben insbesondere im Umfang einzugrenzen, auch um es in der vorgesehe-nen Zeit absolvieren zu können. Hierzu sollten un-ter anderem exemplarische Forschungsarbeiten aus aktuellen Fachmagazinen sowie der Umfang der zu konsultierenden Literatur zum Thema vorab betrach-tet werden. Als wissenschaftstheoretische Fundierung kann mit den Studierenden zum Beispiel mit Thomas S. Kuhns Buch „Struktur wissenschaftlicher Revoluti-onen” gearbeitet werden.

Die Forschungsphase begann gegen Ende der Vor-lesungszeit und endete gegen Ende des Semesters. In dieser Phase wurden die Studierenden in individuel-len Sprechstunden betreut, um noch offene Fragen zu klären, die Reflexion des Prozesses zu begleiten oder Probleme zu lösen. Im Ergebnis zeigt sich, dass so so-wohl individuelle als auch kollaborative Arbeiten mit meist hohem Engagement, viel Kreativität und wis-senschaftlicher Güte entstanden. Das Spektrum der bearbeiteten Themen reicht von der Bilderkennung in der Kunst über die Mustererkennung in Forschungs-daten oder der Sprachverarbeitung zur Übersetzung bis hin zu politischen Themen wie zum Beispiel der Wahlbeeinflussung durch KI. ■

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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Überzeugen Sie sich selbst von ausgewählten studentischen Forschungsarbeiten

INTERDISZIPLINÄRE STUDENTISCHE FORSCHUNGSPROZESSE DIGITAL BEGLEITEN

PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Forschungsbasier te Lehre digital

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16 17PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digitalisierung in der Lehre ➝ Lehrer_innenbildung - Plattform zur Bewertung von Schüler_innen-Texten

Forschung mit digitalen BeurteilungssimulationenFür die Erforschung der pädagogischen Diagnostik set-zen wir in der Pädagogisch-Psychologischen Lehr- und Lernforschung in Kiel seit einigen Jahren Studierende vor den Bildschirm und lassen sie Aufsätze beurteilen oder virtuelle Schüler_innen unterrichten. Dabei kon-zentrieren wir uns vor allem darauf, wie Beurteilungen verfälscht oder verzerrt werden. So wird etwa ein Schü-ler, der sich häufiger meldet, oft als kompetenter einge-schätzt, auch wenn er tatsächlich nicht häufiger richtige Antworten gibt. Wer hingegen viele Rechtschreibfehler im Aufsatz macht, wird für den Inhalt oft vergleichswei-se schlechter benotet. Und wer in einer Klassenarbeit viele Ankreuzaufgaben nicht richtig beantwortet, erzielt regelmäßig weniger Punkte bei freien Antworten.

Aus dieser Forschung ergibt sich schnell ein Bild inkompetenter subjektiver Beurteilungen. Schaut man sich allerdings an, wie zuverlässig Lehrer_innen bes-sere und schlechtere Schülerarbeiten voneinander unterscheiden können und wie hoch Leistungs- und Kompetenzbeurteilungen durch Lehrer_innen mit standardisierten Leistungstests zusammenhängen, er-gibt sich ein anderes Bild. Die erreichte Zuverlässigkeit ist erstaunlich hoch, während das Ausmaß von Verfäl-schungen oder Verzerrungen im Vergleich eher gering ins Gewicht fällt.

Dennoch bleiben Verfälschungen – auch wenn sie im Durchschnitt eher kleine Ausprägungen haben –

hoch problematisch. Wenn zum Beispiel einzelne Schü-ler_innen es – etwa aufgrund von Stereotypisierung – regelmäßig nicht zu einem „sehr gut“ schaffen, sondern auf dem „gut“ verbleiben, dann gibt es Änderungsbe-darf. Außerdem gehen wir davon aus, dass einige Leh-rer_innen für Verzerrungen deutlich anfälliger sind als andere und so die Benachteiligung in einzelnen Fällen besonders groß ausfallen könnte. Wir erhoffen uns, dass Reflexion und Übung dabei helfen können, die subjek-tive Verfälschung von Beurteilungen zumindest zu re-duzieren.

Anknüpfung in der LehreAus diesem Grund werden die Studierenden mittler-weile nicht mehr allein zu Forschungszwecken vor den Bildschirm gesetzt, stattdessen arbeiten wir mit Kolleg_innen aus den fachdidaktischen Seminaren zusammen, um Beurteilungssimulationen für die Lehre zu erstellen (siehe z. B. Abb. 1). So können zum Beispiel im Fach Englisch Studierende bei uns am Institut für Pädago-gisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung (IPL) bereits eine Reihe von verschiedenen echten Schüler-aufsätzen beurteilen (Projekt ASSET). Sie werden dabei ausführlich auf die differenzierte Beurteilung relevan-ter Textmerkmale vorbereitet und erhalten Feedback dazu, wie ihre Einschätzungen im Vergleich zu Exper-teneinschätzungen und maschinellen Auswertungen dastehen. Das erfolgt vollautomatisch und direkt im Anschluss an die Beurteilungen. ➞

PLÖTZLICH SOLL MAN NOTEN GEBEN

DIE BEWERTUNG VON SCHÜLER_INNEN DIGITAL ERFORSCHEN UND TRAINIEREN

Was zeichnet einen guten Aufsatz aus? Wie weit ist Franziska in der Entwick-lung ihrer Schreibkompetenzen? Ist Leon ein kompetenter Schüler, obwohl er regelmäßig den Unterricht stört? Diese und viele weitere Fragen gehören zur all-täglichen Auseinandersetzung mit dem Werdegang von Schüler_innen. Sie be-treffen ihre Kompetenzen, Merkmale und ihr Verhalten. Deren Beurteilung durch Lehrer_innen fasst der Begriff pädagogische Diagnostik zusammen. Was aber zeichnet gute pädagogische Diagnostik aus? Und sind einzelne Lehrer_innen bessere Diagnostiker_innen als andere? Fragen wie diese stellen sich Bildungs-wissenschaftler_innen spätestens seit es Schulnoten gibt. Simulierter Unterricht und virtuelle Diagnostik helfen bei deren Beantwortung. Ein Bericht aus der Päd-agogisch-Psychologischen Lehr- und Lernforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.Text: Nils Machts

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18 19PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digitalisierung in der Lehre ➝ LehrerInnenbildung - Plattform zur Bewertung von Schüler_innen-Texten

Im Fach Biologie steht zudem ein simulierter Klas-senraum zur Verfügung (Projekt ProSIM). Die Studierenden unterrichten virtuelle Schüler_in-nen eine halbe Stunde lang zum Thema Evolution und sammeln dabei Informationen zu Kompeten-zen und unterschiedlichen Fehlvorstellungen der Schüler_innen. Im Anschluss erhalten die Teil-nehmenden auch im simulierten Klassenraum ein Feedback, das die eigenen Beurteilungen den tat-sächlichen Kompetenzen und Fehlvorstellungen der Schüler_innen gegenüberstellt.

AusblickIn den beschriebenen Fächern setzen die an der Ent-wicklung beteiligten Lehrenden die Beurteilungssimu-lationen bereits in ihrer Lehre ein. In vielen weiteren Fächern befinden wir uns in der Entwicklungsphase. Auf lange Sicht wird es eine Online-Plattform mit ei-nem einfachen Zugang zu unseren Simulationen für eine Reihe von Fächern im Lehramt geben. Lehrende sollen diese eigenständig in ihre Lehre einbinden kön-nen. Wir hoffen auf reges Interesse an unseren Instru-menten, sodass die pädagogische Diagnostik – digital und praxisnah zugleich – vermehrt Einzug in die uni-versitäre Lehre in Kiel halten kann. ■

➜ Fachspezifische Aufgabenstellung

➜ Digitalisierte Schüleraufsätze

➜ Beurteilung in unterschiedlichen Formaten, hier etwa: einzelne Textmerkmale, Gesamtbewertung, offene Rück-meldung, anschließendes Feedback der Beurteilung durch Experten

Screenshot – Schülerinventar

➜ Fachspezifische Unterrichtsstunde

➜ Digitalisierte Schüler_innenantworten

➜ Beurteilung in unterschiedlichen Formaten, hier etwa: Beteiligung am Unterricht, Leistungen im Unterricht, besondere Fehlvorstellungen, anschließendes Feedback zu eigenen Beurteilungen

Screenshot – Simulierter Klassenraum

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21PERSPEKTIVEN 03.2020 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ remote kitchen oceanography

REMOTE KITCHEN OCEANOGRAPHY

Der Start in das unerwartete Online-Semester Wie setzt man ein auf Praxisnähe und Hands-on ausgelegtes Seminar mit Online-Tools um? Diese Frage ließ sich zu Beginn des Sommersemesters 2020 gar nicht so einfach beantworten. Da die Übung von Dr. Martin nach wie vor als praktische Be-gleitung zur Vorlesung geplant war, wurde vorerst auf gängige Mittel zurückgegriffen. Es wurden wöchentlich Aufgabenblätter verteilt, die nun elektronisch wieder ein-gereicht und korrigiert werden mussten. Als besonders knifflig stellte sich dabei die Bearbeitung von mathematischen Formeln und Gleichungen heraus. Der Austausch mit den Studierenden beanspruchte mehr Zeit, ließ sich über Cloud- und Videokon-ferenzdienste letztlich aber problemlos or-ganisieren.

Neben der technischen Umsetzung bestand auch der Wunsch, Interaktion in einem Maße zu ermöglichen, wie sie ei-gentlich nur im analogen Seminarraum gegeben ist. Während die Studierenden zu Beginn der Online-Übung noch ein wenig gehemmt waren, frei zu sprechen, nahm die Beteiligung nach einer gewissen

Eingewöhnungsphase zu. Für Dr. Torge Martin war es zu Beginn hilfreich, Studie-rende direkt anzusprechen oder Präsentati-onsaufgaben im Voraus gezielt an Arbeits-gruppen zu verteilen. „Kommunikation in digitalen Räumen muss anfangs stärker moderiert werden als im klassischen Semi-narraum“, sagt der Dozent rückblickend.

Das Homeoffice wird zum Homelabor Nun ging es daran, das Hands-on-Prin-zip auch digital umzusetzen. Dr. Mirjam Gleßmer lud die Studierenden per Web-cam in ihre Küche ein. Ein rotierender Wassertank simulierte die Erdrotation, eine für die Kräftebalance im realen Oze-an wichtige Komponente. Zwei Kameras übertrugen dabei sowohl die Frontalan-sicht als auch die Vogelperspektive. Die Studierenden konnten durch Zurufe die Parameter des Versuchs beeinflussen, Fragen stellen und Erwartungen äußern. Parallel führten sie bei sich zu Hause den Versuch in einem nicht rotierenden Was-serbehälter durch. Die unterschiedlichen Beobachtungen konnten unterdessen dis-kutiert werden. ➞

PRAXISNÄHE DANK DIGITALER

VERSUCHSKÜCHE

Text: Phil Mertsching

Wie sich Wasser- und Luftmassen global bewegen, lässt sich mit komplizierten mathematischen Formeln und viel Theorie erklären. In der Lehrveranstaltung Atmosphären- und Ozeandynamik des Bachelorstudiengangs Physik des Erdsystems soll genau hierfür die Grundlage gelegt werden. Mit ihrem Lehrinnovationsprojekt wollten der Dozent Dr. Tor-ge Martin (GEOMAR) und die Referentin Dr. Mirjam Gleßmer (fascinocean) in der zur Veranstaltung gehörenden Übung Grundlagen der globalen Wasserströmung für Studierende praktisch zugänglich machen. Als dann die Entscheidung fiel, aufgrund der Covid-19-Pandemie das Sommersemester zu einem Online-Semester umzugestalten, mussten die beiden Lehrenden gleich doppelt innovativ werden.

oben: Dozent Dr. Torge Martin (GEOMAR), unten: Referentin Dr. Mirjam Gleßmer (fascinocean)

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22 23PERSPEKTIVEN 03.20

Tipps für die Aktivierung Studierender in digitalen Lehrveranstaltungen finden Sie im Einfach gute Lehre-Blog

INFOBOX

Versuche zur Ozeandynamik lassen sich mit simplen Mitteln zu Hause durchfüh-ren. Diese Mitmachexperimente dienten, so Dr. Torge Martin, in erster Linie der Motivation und dem Spaß am Verknüpfen theoretischer Inhalte aus der Vorlesung mit Beobachtungen im eigen Umfeld. So lässt sich Strömung ganz einfach anhand sich mit Wasser vollsaugenden Küchenpa-piers erfahrbar machen. Physik und theo-retische Beschreibung des Strömungsver-haltens können dabei im wahrsten Sinne des Wortes begriffen werden. Der Um-stand der Online-Lehre hatte sogar unge-plante positive Nebeneffekte. So begannen einige Studierende nach Strömungsquel-len in der eigenen Wohnung zu suchen, diese zu vermessen, und ihre Beobachtun-gen im Seminar zu teilen.

Erschwerte Interaktion kann auch Vorteile haben Für Dr. Torge Martin hatte das Online-For-mat vor allem strukturelle Vorteile. Durch die erschwerte spontane Interaktion muss-ten Lehrkonzepte überdacht und präziser organisiert werden. Für die Vorlesung, die Prof. Arne Biastoch nun ebenfalls online abhalten musste, entstand mit Unterstüt-zung Studierender aus dem Vorsemester ein Skript, von dem auch zukünftige Se-mester profitieren werden. Die Studieren-den erhielten indes mehr Zeit, sich auf die Präsentation ihrer Wochenaufgaben vorzubereiten. Außerdem erlaubten aufge-zeichnete Veranstaltungsparts den Studie-renden, ihr Lernen flexibler zu gestalten.

Gleichzeitig fehlte dem Dozenten je-doch die niedrigschwellige Interaktion im Seminar. Auch das Kennenlernen inner-halb eines relativ kleinen Studiengangs werde durch die Online-Lehre erschwert, resümiert Dr. Torge Martin. Somit falle es schwerer, persönliche Bezüge zwischen Dozierenden und Studierenden, aber auch zwischen den Studierenden untereinander zu schaffen.

Die Teilnehmenden beurteilten die Online-Übung größtenteils sehr positiv. Generell gab es für die Lehrenden mehr Feedback als sonst. Praxisorientierte Lehre online zu vermitteln, war auch für sie neu und bedeutete spontanes und schrittwei-ses Lernen sowie das Ausloten verschie-dener Methoden und Möglichkeiten – ein Prozess, der in enger Kommunikation mit den Studierenden vonstattenging. Im Wintersemester 2020/21 werden Vorle-sung und Übungen nach wie vor online umgesetzt. ■

Weiterführende Informationen zum Projekt finden Sie auf dem „Einfach gute Lehre“-Blog

Dieses Projekt wurde durch den PerLe-Fonds für Lehrinnovation gefördert.

»APPWECHSLUNGSREICHE GESCHICHTEN« FÜR ANGEHENDE GESCHICHTSLEHRER_INNEN ➞

DIGITALES HISTORISCHES

LEHREN UND LERNEN

23PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ remote kitchen oceanography PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Appwechslungsreiche Geschichten

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24 25PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Appwechslungsreiche Geschichten

(Video-)Spielen im Geschichtsunter-richt miteinander aus.

Ein Beispiel war der Einsatz von „Assassins Creed“ zur Reflexion des Kon struktcharakters von Geschichte, da es in dem Spiel den sogenannten „Animus“ gibt, der einen Erinnerungen längst verstorbener Personen nacherle-ben und dadurch in deren vermeintli-che vergangene Wirklichkeit eintauchen lässt. Während bei den Lehrenden vor allem das in Teilen kostenlose „Curious Expeditions 2“ punkten konnte, waren es bei den Studierenden vor allem die tödliche Story von „Battlefield 1“ und die Idee textbasierter Abenteuer, also in-teraktiver Bücher am Computer.

In dem Spiel „Curious Expeditions 2“ schlüpfen Spieler_innen in die Rolle von Forscher_innen, müssen verschie-dene Gebiete erkunden und dabei Auf-träge erfüllen. Diese Aufträge reichen von der Beschaffung von Artefakten bis hin zum Kontakt mit der indige-nen Bevölkerung. Dabei greift das Spiel auch elementare Punkte wie Rassismus, Plünderungen und Missionierung kri-tisch auf. Außerdem führt es den Spie-ler_innen den Konstruktcharakter von Geschichte sowie dessen Einfluss auf die eigene Lebenswelt durch Folgen des eigenen Handelns vor Augen. In einem Reisetagebuch werden alle wichtigen In-formationen festgehalten und könnten beispielsweise durch ein handschriftlich geführtes Tagebuch von den Lernenden ergänzt werden, welches abschließend zu einer Unterrichtsstunde präsentiert wird. Eine Altersbeschränkung ist nicht vorhanden, jedoch ist die Spielsprache hier Englisch.

Bei „Battlefield 1“ gilt ein Mindestal-ter von 16 (USK) bzw. 18 (PEGI), daher ist es, wenn überhaupt, in der Oberstufe einsetzbar. Die einzelnen Spielabschnit-te sind nicht das, was die Studierenden am meisten beeindruckt hat, vielmehr war es die Gestaltung, dass jeder Sol-dat am Ende der Mission, unabhängig vom Geschick der spielenden Person, stirbt und zum Teil auf Quellen basie-rende Einblendungen zu der verstorbe-nen Person beziehungsweise zum ersten Weltkrieg gezeigt werden.

Als deutlcih interessanter für den Unterrichtseinsatz haben sich wieder-um textbasierte Abenteuer wie der „RPG Maker“, „Twine“ oder „Curious Stories“ erwiesen. Alle drei bieten die Möglich-keit ein eigenes historisches Rollenspiel beziehungsweise Text-Adventure zu ge-stalten, sodass historische Narrationen von Lernenden als Spiel erstellt werden könnten. Eines der uns vorgestellten Beispiele war der „Altonaer Blutsonntag 1932“ bei dem man, je nach Entschei-dung der spielenden Person, an diesem Ereignis teilnahm oder aber dieses gar nicht erreichte, da man anderweitig in Altona unterwegs war. Bei diesen Spie-len ist es also möglich, dass Narrationen historischer Ereignisse als Spielformat konstruiert werden. Auch hier ist keine Altersbeschränkung vorhanden.

Die Folgesitzungen nach dem Be-such des GamingLABs standen zum einen unter dem Motto der Reflexion, zum anderen rückte hier die Betrach-tung weiterer Apps inklusive der Ge-staltung eigener Augmented-Reality- Arbeitsblätter in den Fokus (die App „HP Reveal“ ist mittlerweile nicht mehr auf dem Markt erhältlich). In der Refle-xion zum GamingLAB wurde zwar stets das fachdidaktische und motivationale Potenzial von historischen (Video-)Spie-len betont, jedoch immer mit dem Blick auf die benötigte Zeit, um diese im Un-terricht zu entfalten. Dementsprechend böten sich vor allem projektähnliche

Unterrichtsphasen zur Integration his-torischer (Video-)Spiele an, da in diesen ausreichend Raum zur Analyse und Re-flexion vorhanden sei.

Neben AR-Arbeitsblättern, sprich Arbeitsblättern, die unter Einbezug von Augmented Reality gestaltet worden sind, haben die Studierenden sich mit vielen weiteren Applikationen ausein-andergesetzt. So haben sie mit der App „Actionbound“ binnendifferenzierte Ar-beitsaufträge zur Bildanalyse formuliert und so einen weiteren Weg kennenge-lernt, das digitale historische Lehren und Lernen zu gestalten.

Insgesamt scheint es lohnend zu sein, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie, digitales histori-sches Lehren und Lernen noch stärker in den Fokus der universitären Lehre zu nehmen. Das Verweben von fachdidak-tischer Expertise mit dem digitalen Po-tenzial kann seinen Teil zur Förderung der angehenden professionellen Kom-petenz der Studierenden und somit eine weitere Facette zur Vorbereitung auf den Beruf der Lehrperson beitragen. ■

Im Wintersemester 2019/2020 fand die Lehrveranstaltung „Appwechslungsreiche Geschichten“ statt, in deren Rahmen die sieben beteiligten Studierenden unterschiedlichste Facet-ten des digitalen historischen Lehrens und Lernens kennen-lernten. Mit inbegriffen waren ein Praxistag im GamingLAB der Uni Hamburg und ein darauf vorbereitendes Seminar.

Das GamingLAB am Institut für Medi-enpädagogik und Ästhetische Bildung der Universität Hamburg bietet in ver-schiedenen Veranstaltungen die Mög-lichkeit, zu bestimmten Themen Spiele zu testen und in den Lernkontext einzu-binden. In einem darauf vorbereitenden Seminar lernten die Studierenden zu-nächst die Entwicklung und die bishe-rigen Einsätze des GamingLABs kennen ebenso wie das Vorgehen am Praxistag, also dem Besuch der Uni Hamburg. Be-sondere Aufmerksamkeit erregten die Verfügbarkeit für Unterrichtsklassen im Raum Hamburg und die damit ver-bundene Möglichkeit der Einbindung in das Unterrichtsgeschehen. Interessierte Lehrpersonen können Kontakt mit der Einrichtung aufnehmen und individuel-le Arrangements vereinbaren.

Im GamingLAB konnten die Stu-dierenden verschiedene geschichts-kulturelle Spiele auf unterschiedlichen Konsolen kennenlernen. Angefangen bei sogenannten „F2P-Spielen“ (Free-to-play) bis hin zu bekannten Spielen wie „Assassins Creed Odyssey“ (Antike) und „Battlefield 1“ (Erster Weltkrieg), konnten die Studierende Einblicke in das Gameplay erhalten und damit in mögli-che Lernpotenziale eines historischen (Video-)Spiels für den Geschichtsun-terricht. Diese Lernpotenziale bestehen neben dem Lebensweltbezug vor allem in der Möglichkeit der Reflexion des Spieles. So kann die zugrundeliegende Erzählung dekonstruiert werden hin-sichtlich Aspekten wie Belegbarkeit, Intention, Werte und Normen sowie Ästhetik. Nach jeweils einer halben Stunde Spielzeit fand ein kurzer reflek-tierender Austausch statt, in welchem Erfahrungen formuliert und eigene Schlüsse für einen möglichen Einsatz im Geschichtsunterricht von den Stu-dierenden notiert wurden. Danach fand ein Spielwechsel statt, und man ar-beitete sich in andere Titel ein.

Zum Abschluss des Praxistages re-flektierten alle gemeinsam ihre frisch gesammelten Erfahrungen und tausch-ten ihre unterrichtlichen Ideen eben-so wie die Herausforderungen und Grenzen im Einsatz von historischen

Dieses Projekt wurde durch den PerLe-Fonds für Lehrinnovation gefördert.

Text: Horst Schilling

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26 27PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Interview Stefan Pfänder

Im Interview fasst Stefan Pfänder, zuständig für das Projekt „Strategische Digitalisie-rung“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), Erfahrungen aus dem Corona- Sommersemester 2020 zusammen und wagt einen Ausblick.

Herr Pfänder, wenn Sie aus Ihren Erfahrun-gen im Corona-Semester 2020 drei zentrale Schlüsse ziehen sollten, welche wären das?

Stefan Pfänder: Es ist beeindruckend, in welch kurzer Zeit die Umstellung von Präsenzveranstaltungen in meist digitale For-mate gelungen ist. Von den Lehrenden und den unterstützenden Bereichen wurde bisher sehr viel geleistet, um einen Semester-betrieb zu gewährleisten. Jetzt müssen wir schauen, was gut lief und wie wir das in einen sinnvollen Mix aus digitaler Lehre und

Präsenzlehre für die nächsten Semester zusammenfügen kön-nen. Ich müsste lügen, wenn sich Corona nicht als Katalysator für die digitalen Themen an der CAU dargestellt hätte. Sowohl in der Verwaltung als auch im Lehrbetrieb wurden Dinge ermög-licht, die ohne die Erfordernisse von Corona mit Sicherheit viel länger gedauert hätten.

Und ich bin dankbar, dass die Studierenden auf der einen Seite Verständnis für die spezielle Situation hatten und auf der anderen Seite auch intensiv mitgewirkt haben, um überhaupt einen Semesterbetrieb zu ermöglichen.

Mit welchen drei Fragen rund ums digitale Leh-ren und Lernen waren Sie im Laufe des Som-mersemesters 2020 am häufigsten konfrontiert – und welche Antworten haben Sie und Ihre Kolleg_innen darauf bereits finden können?Stefan Pfänder: Erstens: Wie werde ich für die technische Ausstat-tung für die Umstellung meiner Vorlesungen auf digitale Forma-te – zum Beispiel Aufzeichnen oder Streamen – unterstützt? Mit dem Zwei-Millionen-Budget hat das Präsidium sehr schnell und unkompliziert Mittel zur Verfügung gestellt, um die dringendsten Bedarfe zu bedienen, die Lehrenden konnten zeitnah mit ihren Vorbereitungen beginnen.

Zweitens: Wie bekommen wir die unterschiedlichen Unter-stützungsmaßnahmen am besten koordiniert? Durch die Ein-richtung einer Arbeitsgruppe Digitale Lehre hatten wir die wich-tigsten Akteur_innen an einem Tisch zusammen und konnten so die verschiedenen Maßnahmen für Lehrende und Studierende schnellstmöglich koordinieren.

Drittens: Wie sollen wir denn die Prüfungen durchführen – und wie können die Prüfungen in digitale Formate überführt werden? Unser Lernmanagementsystem OpenOLAT bietet einige Möglichkeiten, Prüfungen in digitaler Weise durchzuführen. Wir werden versuchen, die Funktionen im OLAT für die kommenden Semester zu erweitern und für die fachspezifischen Anforderun-gen anzupassen. Es gibt jedoch Fächer, in denen sich die Prüfun-gen (mehr zum Thema „Online prüfen“ im Interview ab S. 32) nicht einfach so in ein digitales Format übertragen lassen. Hier müssen mit den jeweiligen Fakultäten entsprechende Lösungen diskutiert werden. Rechtliche Aspekte spielen ebenfalls eine Rolle, hierzu haben wir zur Unterstützung der Lehrenden eine Handrei-chung (für CAU-Angehörige abrufbar im OpenOlat) formuliert.

Was denken Sie, welche Hilfestellungen es für Studierende noch geben sollte, um sie beim digitalen Selbstmanagement oder beim digita-len Lernen ganz allgemein zu unterstützen? Stefan Pfänder: Nach dem Vorbild der Green Offices sind wir derzeit in der Planung eines „Digital Office“, in dem Studierende anderen Studierenden bei der Bewältigung der alltäglichen He-rausforderungen während der Corona-Zeit – und darüber hin-aus – helfen können. Dies reicht von der Vermittlung benötigter Hardware über Anleitungen und Hilfestellungen bei der Benut-zung von Tools bis hin zur Hilfe bei organisatorischen Proble-men im Corona-Alltag. Die Studierenden aus dem Digital Office können sich wiederum zu vielfältigen Unterstützungsangeboten der Uni schulen und weiterbilden lassen. Es ist uns ein beson-deres Anliegen, dass die Studierenden des ersten Semesters im Wintersemester 2020/21 ein speziell zugeschnittenes Angebot an Präsenzformaten erhalten, damit die soziale Komponente für un-sere „Neuen“ nicht zu kurz kommt.

Und welche Unterstützungsangebote für Lehrende im Zusammenhang mit digitalen Lehr veranstaltungen halten Sie für besonders sinnvoll?Stefan Pfänder: Ich denke, dass die bestehenden Unterstützungs-möglichkeiten durchaus ausreichend sind und, wie die Zahlen belegen, auch sehr zahlreich genutzt werden. Das zeigt einerseits, dass der Bedarf an Beratung und Support sehr hoch ist, anderer-seits haben wir hier auch das Potenzial und die Chance, neue in-novative Formate zur Verbesserung der digitalen Lehre oder zur Symbiose von Präsenz und Digital im Livebetrieb zu entwickeln und auszuprobieren – und dann eben gegebenenfalls in unse-ren Werkzeugkoffer zu übernehmen. Ziel ist es, die guten und positiven Aspekte aus der digitalen Lehre mit den Vorteilen der Präsenzlehre zu verbinden.

Vielen Dank für das Interview! ■

VON DIGITAL OFFICES UND SOZIALEN KOMPONENTEN DES STUDIUMS

STEFAN PFÄNDER

Ursprünglich kommt Stefan Pfänder aus Süd-deutschland von der Schwäbischen Alb, ist durch sein Studium an der FH Kiel im Norden gelandet. Nach über zwölf Jahren im Bankensektor in wech-selnden Positionen im Bereich IT freut er sich nun auf neue Strukturen, interessante Personen und digitale Herausforderungen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), wo er im Geschäftsbereich „Strategie und Planung“ strategi-sche Digitalisierungsprozesse verantwortet. Privat interessiert er sich für innovative Methoden wie Design Thinking, findet agile Arbeitsweisen span-nend – und spielt seit mehr als 20 Jahren „Pen & Paper“-Rollenspiele.

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29PERSPEKTIVEN 03.2028 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Linkt ipps

LINKÜBERSICHTEN & TOOLS FÜR DIE LEHRE

Kollaboratives Arbeiten in der digitalen Lehre

Aktivierung in digitalen Lehrveranstaltungen

Weiterführende Informationen und praktische Tipps zum Thema OER und OEP in der Hoch-schullehre finden Sie in diesem Blogartikel

Kurzdokumentation: Open Educational Resources in der Hochschullehre

Methodenvideos1 2

➜ In der Rubrik „Digitalisierung in der Lehre“ hält der „Einfach gute Lehre“-Blog der CAU Good-Practice-Beispiele, Tooltipps und Ideen für Sie bereit.➜ e-teaching.org ist ein nicht-kommerzielles Portal des Leibniz-Instituts für Wissensmedien.

Dort finden Sie umfangreiche Informationen rund um die Gestaltung von Hochschulbildung mit digitalen Medien. ➜ Das vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, dem CHE Centrum für Hochschulent-

wicklung und der Hochschulrektorenkonferenz initiierte und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Hochschulforum Digitalisierung hält ebenfalls umfangreiche Infor- mationen, Tipps und Links für Sie bereit.

Auch viele andere Universitäten präsentieren gelungene Beispiele digitaler Lehre, z. B.

➜ ETH-Zürich, Handreichungen für verschiedene Formen der Online-Lehre ➜ FH Potsdam ➜ Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Didaktische Anregungen für die digitale Lehre finden Sie beispielsweise

➜ auf den Seiten der Universität Hamburg,➜ den Seiten der Universität Stuttgart ➜ oder auf den Seiten digital gestütztes Lehren und Lernen in Hessen.

Es gibt zahllose Tool- und Linksammlungen im Netz, im Zusammenhang mit Corona haben viele Hochschulen eigene Empfehlungen rund ums Thema herausgegeben. Eine kleine Auswahl:

➜ Handreichung „Tutorien in virtuellen Räumen“ ➜ Übersicht Online-Ressourcen für Lehrende ➜ Handreichung zur Nutzung von Zoom der Universität Hamburg ➜ Rostocker Online Campus mit eigenem Toolglossar ➜ Tool-Empfehlungen der FU Berlin

PORTALE, NEWS & GOOD-PRACTICESLINKTIPPS RUND UM DIE DIGITALISIERUNG IN DER LEHRE

PERLE-VIDEOS

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30 31PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Podcast »Was steckt dahinter?«

»MEIN PODCAST IST EIN STARTSCHUSS«

Auf die Idee zum Podcast kam Liv Preßer durch ihr eige-nes Studium der Geschichte und Europäischen Ethnolo-gie/Volkskunde: „Mir ist oft aufgefallen, dass es sehr viele Vorurteile gibt in Bezug auf andere Fachbereiche“, erzählt sie. Die Entscheidung für ein Hörmedium ergab sich für die Podcasterin aus der Flexibilität, ihren journalistischen Vorerfahrungen und ihrer Vorliebe für Interviews: „Man kann sich als Hörer_in den Themen von überall nähern, zum Beispiel wäh-rend man am Strand liegt oder kocht“, erklärt sie. „Obwohl man dabei eigent-lich keine Zeit hat, kann man sich mit den Inhalten beschäftigen, weil man nicht an einen Ort gebunden ist, und es nicht die volle Aufmerksamkeit braucht. Darin sehe ich die größte Stärke eines Podcasts.“

Jede Episode von „Was steckt dahinter?“ hat die Teil-disziplin eines Faches zum Thema. In den ersten Folgen geht es zum Beispiel um Biologische Psychologie, die Ge-schichte Osteuropas oder auch um die Sensorik im Fach Elektrotechnik. Eine Expert_innenrunde bestehend aus Studierenden, Doktorand_innen und Professor_innen be-richtet in den Folgen vom jeweiligen Fach, Untersuchun-gen und den Möglichkeiten studentischer Forschung.

Mit dem Podcastthema befindet sich Liv Preßer nach eigener Aussage in einer Nische. Mit dem Ziel vor Augen muss sie die schwierige Balance zwischen Anspruch, Zu-gänglichkeit und thematischer Tiefe halten, dabei nicht zuletzt spannend für ihre Hörer_innen sein und vor al-lem das Interesse Studierender wecken. Klar ist aber auch: „Mein Podcast ist kein Beitrag zum aktiven Lernen, man bekommt einen Startschuss und wird ein bisschen ange-füttert, um sich mit den Themen selbst zu beschäftigen“, so Liv Preßer. Ein schöner Nebeneffekt: Durch ihren Podcast erfährt nicht nur die wissenschaftliche Gemeinschaft von Forschungsergebnissen. Allgemeinverständlich aufberei-tet sind die Themen in „Was steckt dahinter?“ für mehr Menschen zugänglich, und es wird sichtbar, was öffentlich finanzierte Forschungsgelder bewirken können.

Den Fokus auf Forschung erklärt die Podcasterin mit der Kraft wissenschaftlicher Prozesse, deren Vorgang und Ergebnisse Studierende dazu motivieren, sich mit Lehrin-halten zu beschäftigen: „Ich finde es sehr wichtig, For-schung so früh wie möglich in die Lehre zu integrieren“, so Liv Preßer. „Alles, womit wir uns ab dem ersten Semester inhaltlich beschäftigen, ist ja Forschung. Es wäre auch ein schönes Angebot, Studierende aktiver in Forschung mit-einzubeziehen. Meiner Meinung nach hilft das dabei, zu verstehen, womit sich Dozent_innen gerade beschäftigen, was für eine Arbeit in Forschung steckt und welche Prob-leme auftreten können.“

Aus ihren bisherigen Folgen hat die Podcasterin bereits einiges an praktischer Erfahrung gewonnen. „Was in sol-chen Hörformaten immer funktioniert, ist das simple Be-antworten von Fragen“, rät sie. Auch in der universitären Lehre binden Lehrende Hörformate in ihre Veranstaltun-gen mit ein. So produzierten beispielsweise Studierende am Historischen Seminar Radiobeiträge und Podcasts zu

sozialistischem Wohnen in Deutsch-land zwischen 1918 und 1989; in einer anderen Veranstaltung arbeiteten die Teilnehmenden an einem Podcast zur Hexenverfolgung in Moskau.

Hörmedien eignen sich ergänzend zu klassischen Lehrveranstaltungen, weil sie Lernenden mehr Medienviel-falt oder lebendigere Formate als ein reines Literaturstudium bieten. „Aus

meiner Erfahrung als Podcasterin würde ich allerdings sagen, dass es als Hörer_in schwierig ist einzuschätzen, wie qualitativ hochwertig die Inhalte wirklich sind, und ob man dem Gesagten vertrauen kann“, gibt Liv Preßer zu bedenken. Ihrer Ansicht nach könnten Dozent_innen dem entgegenwirken, indem sie selbst Empfehlungen geben.

Durch Covid-19 und die daraus resultierende rasche Digitalisierung der Lehre rücken alternative Unterrichts-formate zunehmend in den Fokus. Den bisherigen Auf-klärungsstand zu den inhaltlichen und technischen Mög-lichkeiten, Grenzen und Reizen von Podcasts in der Lehre bewertet Liv Preßer als mangelhaft, hofft aber, dass sich das aufgrund der aktuellen Situation bald schon ändert. Eigene Hörmedien zu produzieren, dabei selbst etwas zu lernen, seinen Hörer_innen und Studierenden Abwechs-lung zu bieten und neue Welten zu eröffnen, lohnt sich in den Augen der Podcasterin: „Natürlich sind Podcasts wesentlich arbeitsintensiver, als wenn ich einfach meine PowerPoint-Folien hochlade, aber ich finde es eigentlich nur modern.“ ■

In ihrem Studium merkte Liv Preßer schnell, wie wenig man als Student_in aus anderen Fachdiszipli-nen mitbekommt. Aus ihrer Neugier und dem Wunsch, eine Lücke zu schließen, entstand „Was steckt dahinter?“. Der Podcast soll Studierenden und Interessierten einen Einblick in verschiedene Fächer an der Universität bieten und sie animieren, über den Tellerrand des eigenen Studiums hinauszublicken.

ÜBER EIN STUDENTISCHES PROJEKT UND SEIN POTENZIAL

FÜR DAS LEHREN UND LERNEN AN HOCHSCHULEN

Text: Rebecca Such

Weiterführende Informationen

INFOBOX

➜ Mehr über Liv Preßers Podcast erfahren Sie in diesem Blogartikel ➜ Die fertigen Podcast-Episoden veröffentlicht

Liv Preßer auf Spotify, Apple Music, Deezer und der Podcast-Seite Podigee.

»Ich finde es sehr wichtig, Forschung so

früh wie möglich in die Lehre zu integrieren.«

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33PERSPEKTIVEN 03.2032 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Online-Prüfungen

VON MULTIPLE CHOICE, RECHTSFRAGEN UND

TELEMEDIZINEIN INTERVIEW ZUR ZUKUNFT DES DIGITALEN PRÜFENS

Für E-Learning-Expertin Claudia Bremer wäre es eine verpasste Chance, wenn das Thema „online Prüfen“ nur noch in Bezug auf Rechtsfragen behandelt würde und die didaktische Gestaltung in den Hintergrund träte. Der Studiendekan der medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Prof. Ingolf Cascorbi, schildert, wie seine Fakultät die Güte digitaler Prüfungsfragen sicherstellt. Gemeinsam wagen sie einen Blick in die Zukunft – denn Covid-19 hat durchaus auch im Bereich des digitalen Prüfens als Katalysator gewirkt.

Interview: Antonia Stahl

Herr Cascorbi, die durch Covid-19 notwen-dig gewordenen Umstellungen der Lehre auf Online-Formate haben der Digitalisierung einen erheblichen Schub verliehen. Trifft das auch auf den Bereich „online Prüfen“ zu?

Ingolf Cascorbi: In allererster Linie trifft es auf die Unter-richtsformate selbst zu. Bei einigen Seminaren sind bei uns in der Medizin aber auch kleine Online-Tests, zum Beispiel auf die Lernplattform OLAT gestellt worden. Das ist etwas Neues, was wir vorher nicht gemacht haben. Unsere großen Abschlussprü-fungen, die sogenannten zentralen Klausurwochen, finden im-mer am Ende des Semesters statt. Diese Multiple-Choice-Tests sind im Sommersemester auch wieder gelaufen, nur, dass wir diesmal auf mehrere Hörsäle verteilen mussten, um das Ab-standgebot zu wahren.

Frau Bremer, wie wird an deutschen Unis mo-mentan digital geprüft? Was ist populär – und wo liegen Grenzen, auch rechtlicher Natur?

Claudia Bremer: Wir haben zum einen die automatisiert bewertbaren Aufgaben wie Multiple-Choice-Tests, in denen zum Beispiel Zufallsfolgen und Aufgaben verschiedener Schwierig-

keitsgrade eingesetzt werden. Das kann auch bedeuten, dass die Studierenden keine Screenshots von den Aufgaben machen und hinterher teilen können, sondern alle gleichzeitig an den Auf-gaben arbeiten. Der Vorteil daran ist, dass man hinterher Da-ten hat, mit denen man die Güte von Aufgaben auswerten kann. Wenn gute Studierende bei einer bestimmten Frage zum Beispiel oft durchfallen, liegt es eher an der Frage und nicht an den Stu-dierenden. Und wir haben für Freitext-Aufgaben Proctoring- Ansätze 6 und Zeitbeschränkungen, um online Prüfungsset-tings durchzuführen.

Eine andere Variante, da geht der Weg hin – und mir ge-fällt das ganz gut – ist, dass es mehr Transferaufgaben gibt. Also Aufgaben, die in der vorgegebenen Zeit nicht unbedingt durch Spicken lösbar wären. Ganz mutige Hochschulen gehen sogar ganz in Richtung Open Book Exams, machen Projektarbeit und gehen auch mehr ins formative Assessment 7 , eventuell se-mesterbegleitend. Dabei kann man nicht automatisiert feedba-cken und muss auf die Prüfungsressourcen schauen. Wenn ich jeden einen kleinen Text schreiben lasse, statt Multiple Choice automatisierbar bewerten zu las-sen, habe ich ge-gebenenfalls viel mehr Arbeit. ➞

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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34 35PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Online-Prüfungen

Herr Cascorbi, wie lassen sich diese Ansätze aufs Fach Medizin übertragen?

Ingolf Cascorbi: Ich hatte ja schon erwähnt, dass die großen Prüfungen bei uns zentral und als Multiple Choice angelegt sind. Wir haben diese Formate inzwischen digitalisiert, die Prüfun-gen finden auf Tablet-PCs statt. Auf unserem Server werden au-tomatisch auch die Ergebnisse gespeichert. So können wir die Prüfungen unmittelbar der statistischen Auswertung zuführen, das heißt: Die Fragequalität wird direkt ausgewertet. Je besser die Qualität ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Einrichtung im nächsten Jahr auch finanzielle Unterstützung be-kommt.

Ein weiterer großer Vorteil der digitalen Prüfungen ist die graphische Darstellung am PC. Man muss sich vorstellen: In der Pathologie wird ein Gewebeschnitt gezeigt, da kann man aufzoo-men, Skalierung ist möglich. Man kann Zellen oder radiologi-

sche Befunde viel besser und schärfer darstellen, als es auf Papier möglich wäre. Darüber hinaus gehören wir seit einem Jahr zu einem großen Pool medizinischer Fakultäten – etwa zwei Drittel der medizinischen Fakultäten nehmen inzwischen daran teil – in dem wir auf die Fragen anderer Fakultäten zugreifen können, wenn wir möchten. Jede Fakultät kann für sich entscheiden, ob sie eine Frage geeignet findet oder nicht – und diese gegebenen-falls in die eigene Klausur mit einspeisen. Umgekehrt können wir auch eigene Fragen in den Pool einspeisen, damit verbunden ist natürlich auch eine Reflexion, ein Peer-Review.

Claudia Bremer Dürfte ich da eine Nachfrage stellen? Woran bemisst sich denn die Güte der Prüffragen? Es könnte ja passie-ren, dass die Anforderungen der Fragen absinken, damit mehr Leute bestehen?

Ingolf Cascorbi: Nein, das genau wäre etwas, wo man kein Geld bekäme. Es muss eine Art Gaußverteilung sein, es muss eine Diskriminierung stattfinden zwischen besten, besseren und schlechteren Studierenden, und es muss auch so sein, dass die

Zuverlässigkeit gegeben ist. Die Vergabe unterliegt Gütekriteri-en, die von einem Didaktik-Netzwerk entwickelt worden sind.

Frau Bremer, wo liegen denn aus Ihrer Sicht besonders zukunftsweisende Ansätze, im Zusammenhang mit dem digitalen Prüfen?

Claudia Bremer: Ich finde gut, was in der Medizin stattfindet. In Frankfurt haben wir auch lange vor Corona E-Prüfungen ein-geführt und die Studierenden sind dadurch viel schneller an ihre Prüfungsergebnisse gekommen. Früher mussten sie zwei bis vier Monate darauf warten, weil eben 600 Studierende gleichzeitig geprüft wurden. Sofort zu wissen, wo man eigentlich steht, war ein Riesenfortschritt für die Studierenden. Die Gefahr, die ich sehe, ist aber, dass solche Prüfungen überall mit Multiple Choice eingeführt werden, also mit automatisierbar bewertbaren Auf-gaben. Das wäre schade. In der Medizin kann man solche Prü-

fungen zum Beispiel auch mal damit verbinden, nicht nur einfache Fragen zu stellen, sondern ein Bild an-zuschauen und es zu analy-sieren. Solche Ansätze, wie Sie sie eben beschrieben haben, Herr Cascorbi, finde ich spannend. Dabei kann man auch Untersuchungen machen, wie Studierende je nach Leistungsniveau ein Bild anschauen. Wir haben solche Phänomene über Eye-Tracking erforscht.

Insgesamt würde ich es gerne sehen – immer mit Blick auf die Ressourcen –,

wenn wir wieder in Richtung formatives Assessment gehen und zum Beispiel Prüfungen nutzen, um den Workload der Studie-renden in das Semester zu ziehen und nicht diese Bulimieform des Lernens weiter unterstützen: Am Ende des Semesters geht’s hoch – und dann wird alles wieder vergessen. Stattdessen wün-sche ich mir zur Leistungsbewertung, auch auf Beteiligung und Aktivierung zu schauen, auf Studierende, die etwas einbringen. Mein Wunsch wäre, man kombiniert da, wo es das braucht, ver-schiedene Formen – also Gruppen- und Einzelleistungen, Frei-textantworten und Multiple-Choice-Tests. Gleichzeitig gibt es auch Fächer, wo wir während des Semesters Multiple-Choice-Tests machen könnten, das bisher aber gar nicht gemacht haben. Ich will da nichts verteufeln. In solchen Fällen hätten die Tests eher die Funktion, den Workload in das Semester zu ziehen und nicht am Ende zu ballen.

Mein Hauptwunsch wäre aber, Prüfungen in Kombination mit der Gestaltung der Lehrveranstaltung zu sehen, wo immer das möglich ist. Schade dagegen ist, wenn digitale Prüfformen nur noch unter Rechtsaspekten gesehen werden sowie mit Blick darauf, wie man sie technisch umsetzen kann.

Professor Dr. Dr. Ingolf Cascorbi ist Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie am Universitätskli-nikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Seit 2012 ist er zudem Studiendekan der Medizinischen Fakultät der CAU. In dieser Rolle war er stets auch mit Möglichkeiten und Grenzen digitaler Lehre in seinem Fach befasst, was sich im Sommersemester 2020 aus aktuellem Anlass noch einmal deutlich intensiviert hat: In der kli-nischen Lehre werden die Untersuchungstechniken auch an der Kieler Universität zunehmend digital vermittelt und an Modellen geübt. Zudem ist die Online-Übertragung von Patientenuntersu-chungen an spezielle Telematik-Arbeitsplätze zurzeit in Vorberei-tung und wird vermutlich bald zum Standard.

Claudia Bremer ist seit 1995 intensiv mit dem Thema E-Learning befasst. 1995 bis 2019 war sie an der Goethe-Universität Frank-furt tätig, baute dort u. a. die zentrale E-Learning Einrichtung und das studiumdigitale mit auf, koordinierte ein Projekt zur hoch-schulweiten Umsetzung von E-Learning und initiierte ab 2000 ein hochschulweites didaktisches Qualifizierungsprogramm für Lehrende. Zudem betreute sie zahlreiche Projekte zur Nutzung digitaler Medien in Bildungseinrichtungen, die Entwicklung sogenannter E-Learning-Strategien im Zusammenhang mit Open Educational Resources. Aktuell begleitet sie u.a. die Wilhelm Büchner Hochschule beim Aufbau eines Medienzentrums und in Sachen Digitalisierung der Lehre. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen E-Learning, Medienkompetenz und Orga-

Herr Cascorbi, mögen Sie anknüpfend da-ran auch einen kleinen Ausblick wagen, wie es bei Ihnen im Fachbereich weiter-gehen kann mit den Online-Prüfungen?

Ingolf Cascorbi: Die Klausuren, die ich gerade beschrieben habe, waren ja die Semesterendklausuren, an die wir aufgrund der Approbationsordnung gebunden sind. In der Pharmakolo-gie haben wir wöchentliche Seminare, in denen wir schon frü-her eingeführt haben, dass man Kurztests oder Zwischentests schreibt. Der Sinn war nicht, Wissen abzufragen, sondern die Studierenden dazu zu bewegen, sich auf das Seminar vorzube-reiten, um die Motivation zu erhöhen. Und das ist gelungen. Es hat sich auch gezeigt: Die guten Studierenden schneiden bei diesen Zwischentests häufig schon gut ab.

Zusätzlich habe ich in der nicht-asynchronenOnline- Vorlesung 6 ein paar kleine Fragetools eingebaut, zum Beispiel eine Multiple Choice Frage in den Raum gestellt. Die Studierenden konnten dann schnell über die E-Learning-Platt-form OpenOLAT darauf antworten. Das geht ganz toll. Man sieht auf dem Bildschirm, wie die anderen geantwortet haben und kann darüber anschließend noch einmal diskutieren.

Am Ende noch ganz kurz zum Stichwort Telemedizin: Das ist etwas, was wir für die Zukunft ganz stark planen. Wie kann ich also Patientenuntersuchungen an mehrere Arbeitsplät-ze übertragen, ohne dass sich Studierende den Patient_innen nähern müssen. Gerade jetzt in der Covid-Situation war ganz klar, dass die Studierenden nicht auf eine Intensivstation gehen oder sich um ein dreijähriges Kind versammeln können. Te-lemedizin ermöglicht, dass sich ärztliche Untersuchende Pati-ent_innen mit einer Kamera nähern. Die Studierenden können parallel sämtliche Patientendaten abrufen – Labor, Radiologie und so weiter. Das ist etwas, was wir bei uns aufbauen wollen, und natürlich auch etwas, das in Prüfungsformate mit einflie-ßen könnte. Erst einmal geht es um die Vermittlung von Wis-sen, Kenntnissen und Handlungskompetenzen, aber es birgt in Zukunft die Möglichkeit Patientenuntersuchungen prak-tisch virtuell durchzuführen. Das halte ich für eine ganz große Chance – und da wird die Entwicklung hingehen.

Frau Bremer, Sie möchten zu dem, was Herr Cascorbi gerade sag-te, noch etwas ergänzen …

Claudia Bremer: … Ja. Sie haben etwas über die „guten Stu-dierenden“ gesagt. Es gibt eine spannende Studie zum Thema Studienabbruch, nach der es mehrere Dimensionen von „gut“ gibt. Und bestimmte Prüfungsformate unterstützen immer auch bestimmte Studierendengruppen. Ich finde es spannend, dass man da mal tiefer geht und diesen Aspekt beforscht. Wie kann man beispielsweise Studierende, die eine geringere Stu-dienorganisationsfähigkeit haben, durch semesterbegleitende Prüfungsformate dabei unterstützen, rechtzeitig mitzulernen?

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch . ■

Insgesamt würde ich es gerne sehen – immer mit Blick auf die Ressourcen –, wenn wir wieder in Richtung for-matives Assessment gehen und zum Beispiel Prüfun-gen nutzen, um den Workload der Studierenden in das Semester zu ziehen und nicht diese Bulimieform des Lernens weiter unterstützen: Am Ende des Semesters geht’s hoch – und dann wird alles wieder vergessen.

Claudia Bremer

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37PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Praxisnah digital Lehren

»IN DER DIGITALEN LEHRE GELTEN MITUNTER ANDERE

GESETZMÄSSIGKEITEN«PRAXISBEZÜGE UND INTERAKTION ONLINE

Hands on, intensiver Austausch und praxisnahe Berufseinblicke: Das sind drei zen-trale Schlagworte, die Seminarleiter Mark Müller-Geers bei der Konzeption seiner berufsorientierenden Lehrveranstaltung »Nachhaltigkeit: Zukunft beruflich mitgestal-ten« im Kopf hatte. Doch im Corona-Semester musste er das berufsorientierende Lehrformat, das auf enge Zusammenarbeit mit Expert_innen aus der Praxis setzt, spontan ins Digitale übersetzen. Wie das geklappt hat, reflektiert er gemeinsam mit der Seminarteilnehmerin Julica Voigt und der Gastreferentin Lisa Buddemeier im Interview.

Interview: Antonia Stahl

Was hat Sie in der Lehrveranstaltung be-sonders überrascht oder beeindruckt?

Mark Müller-Geers: Wir haben in der Seminargruppe relativ zügig eine gute Bindung entwickelt, sodass der Austausch auch online gut funktioniert hat. Rein didaktisch braucht es aber ein paar Vo-raussetzungen, damit das funktioniert. Unter anderem gab es im Seminar meist eine ausführliche Einstiegsrunde, die möglichst alle Teilnehmenden mit einbezieht. In der Session mit Lisa Bud-demeier haben die Studierenden beispielsweise Ergebnisse einer Aufgabe vorgestellt, bei der sie selbstgewählte Beiträge des „Geil Montag“-Podcasts zu „Arbeit mit Sinn“ angehört haben. Dabei lernen sich alle auch untereinander ein Stück weit kennen. Mit etwa 17 Teilnehmenden war außerdem für eine gute Gruppen-größe gesorgt, um einen intensiven Austausch zu ermöglichen.

Lisa Buddemeier: Ja, das kann ich bestätigen. Überrascht war ich aber eher im Nachgang, weil die Teilnehmerin Julica Voigt und ich uns im Kurs kennengelernt und inzwischen viele neue Pro-jekte gemeinsam koordiniert haben – obwohl wir uns nicht ein Mal persönlich begegnet sind. Mich hat beeindruckt, welches

Vertrauen Julica Voigt offensichtlich zu mir gefasst hat, einfach aufgrund einer Online-Session.

Julica Voigt: Stimmt, es ist interessant, dass so ein rein digital ent-standener Kontakt so persönlich sein kann. Am meisten über-rascht hat mich aber, dass ich im Vorfeld dachte, drei Stunden Online-Seminar wären echt lang und würden anstrengend. Aber die Zeit ist dann doch schnell vergangen, und durch verschie-dene Methoden und interaktives Miteinander war es spannend – auch wenn man drei Stunden am Rechner saß.

Wie lässt sich das didaktisch-methodisch erklären?

Mark Müller-Geers: Ich glaube, dass da mehrere Sachen zu-sammengekommen sind – wenn die Mischung passt, schmeckt meist das ganze Gericht lecker. Natürlich steht und fällt so ein Seminar auch mit der rhetorischen Qualität der Referent_innen. Wenn dann noch die Erwartungshaltungen der Studierenden mit den eingebrachten Inhalten zusammenpasst, entsteht eine gute Kommunikationsgrundlage. ➞

Das fachübergreifend ausgerichtete Seminar „Nachhaltigkeit: Zukunft beruflich mitgestalten“ verbindet die Diskussion über die Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft mit individueller beruflicher Orientierung der teilnehmenden Studie-renden. Zentral ist dabei die Auseinandersetzung mit Berufsbiographien von Personen aus der Berufspraxis, die sich in ihrer täglichen Arbeit konkret mit Aspekten von Nachhaltigkeit befassen. Bevor die Studierenden im Seminarverlauf eigenständige Interviews mit Personen aus ihrem Interessenbereich führen, diskutieren sie exemplarisch mit ausgewählten Expert_innen ge-meinsam im Seminar deren Arbeitsfelder. In der zweiten Seminarsession im Sommersemester 2020 war dazu Lisa Buddemeier im Kontext Ihrer Tätigkeit als nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensberaterin eingeladen.

Seminar »Nachhaltigkeit: Zukunft beruflich mitgestalten«INFOBOX

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➜ an

39PERSPEKTIVEN 03.20

Dazu kommt als didaktisches Handwerkszeug zum Beispiel die regelmäßige Aktivierung der Teilnehmenden oder eine gute und transparente Struktur, um den Teilnehmenden zu verdeutlichen, was sie erwartet. Zu guter Letzt handelt es sich hier um ein Wahlse-minar. Die Studierenden haben sich freiwillig für das Thema ent-schieden, so ist das intrinsische Interesse eher groß.

Julica Voigt, ist Ihnen als Teilnehmerin in Erinnerung geblieben, wie es gelungen ist, Interaktion ins Seminar zu bringen?

Julica Voigt: Ich finde schon, dass in Veranstaltungen, die live stattfinden, noch ein stärkeres Gruppengefühl aufkommt, trotz-dem hat im Seminar online Interaktion stattgefunden. Das war möglich durch verschiedene Tools und auch durch präzise Frage-

stellungen, sowohl in den Breakout-Sessions 3 – das war super – als auch im Plenum.

Lisa Buddemeier: Was ich zum Thema Interaktion spannend fin-de, ist, dass ich den Eindruck habe, dass es zum Teil andere Leute sind, die sich online an der Interaktion beteiligen.

Apropos Interaktion: Fallen Ihnen noch mehr Tools ein, die dabei geholfen haben, das Se-minar interaktiv und lebendig zu gestalten?

Julica Voigt: Ich habe unsere erste Vorstellungsrunde total positiv in Erinnerung. Wir haben ein Whiteboard genutzt, dort haben wir unsere Namen eingetragen und uns in einen Stuhlkreis ver-frachtet, die Namen also im Kreis angeordnet. So saßen wir auf diesem Whiteboard eben doch als Gruppe im Kreis miteinander, und das war irgendwie total nett und hat wirklich ein Gruppen-gefühl erzeugt.

Mark Müller-Geers: Ja, das habe ich auch als interessante Interak-tion vor Augen. Es gelten in der digitalen Lehre mitunter andere Gesetzmäßigkeiten, gerade bei den Kleingruppenarbeiten. Eine wesentlichste Rückmeldung der Studierenden: „Die Breakout-Rooms waren super!“ Innerhalb von ganz kleinen Gruppen miteinander in den Austausch gehen zu können, ist etwas, was mit der Technik wirklich sehr gut und schnell funktionieren kann. Durch zufällige Zuordnung kann außerdem für eine gute Durchmischung gesorgt werden. Der Nachteil, den wir aus der Referenten- oder Moderatorensicht haben, dass nicht automa-tisch mit einem halben Ohr zugehört werden kann, ist womög-lich ein Vorteil für die Gruppe: Die Teilnehmenden können sich sicher sein, dass während der Diskussion absolute Privatsphäre gewahrt bleibt.

Damit man als Referierender dennoch mitbekommt, was in den Breakout-Räumen los war, ist es hilfreich, eine ge-meinsame Dokumentation zu haben. Mit ganz einfachen Tools wie einem Etherpad 9 können zum Beispiel mehrere Gruppen aus unterschiedlichen Räumen heraus an einem ge-meinsamen Textdokument zum Diskussionsthema arbeiten.

Das schafft nebenbei trotz unterschiedlicher Räume eine Verbin-dung zwischen den einzelnen Gruppen.

Mark Müller-Geers: Dieser erzwungene Austausch mit Perso-nen, die ich nicht ausgewählt habe, hat ja tatsächlich eine eigene Qualität. Eine Frage an Julica Voigt: Wie hast du das als Studie-rende erlebt? Das Tool übergeht Sympathien und Antipathien ja komplett und sagt: „Peng – ihr seid jetzt zusammen im Raum.“ Ist das zu übergriffig?

Julica Voigt: Eigentlich bin ich mit jedem ins Gespräch gekom-men. Von daher war es gar nicht verkehrt. Man denkt im ersten Moment vielleicht, dass man nicht zusammenpasst – stellt dann aber fest, dass alle sich doch irgendwie darauf einlassen.

Mark Müller-Geers: Zum Thema Interaktion aus Sicht der Semi-narleitung: In der Online-Lehre finde ich es schwerer, ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob auch alle zuhören. In unserem Seminar hatte Lisa Buddemeier in einer Präsentation an verschiedenen Stellen Rückmeldungen eingebaut. Sie hat unterschiedliche Wer-tesysteme vorgestellt, an denen sich Unternehmen orientieren, und die Studierenden gebeten, sich in Gruppen darüber auszu-tauschen, welche der Wertesysteme sie in eigenen Jobs schon ein-mal selbst erlebt haben. Nach dem kurzen Austausch haben sie das dann mit einem Marker über die Kommentarfunktion direkt auf der Präsentationsfolie notiert. So ist es im Prinzip möglich, zu jedem beliebigen Inhalt eine spontane Umfrage anzustoßen.

Lisa Buddemeier: Für mich war das eher eine Methode, die ich aus der Präsenz ins Digitale übersetzt habe. Dort lege ich phy-sisch Karten im Raum aus und lasse die Leute sich positionieren, was für mich noch ein stärkeres Gefühl von Positionierung hat, als einen Punkt auf dem Bildschirm zu setzen. Gleichzeitig kos-tet es natürlich mehr Zeit.

Gibt es denn auch Elemente, die im Digi-talen besser funktionieren als analog?

Mark Müller-Geers: Ich finde, es gibt eine ganze Menge von Möglichkeiten, die auch in Präsenzveranstaltungen eingesetzt werden können, wenn alle Teilnehmenden passende Endge-räte dabeihaben. Tatsächlich glaube ich, dass in den nächsten Semestern vielerorts so eine Art „Best of“ aus beiden Welten entstehen wird: Den direkten Austausch mit allen Sinnen in der Präsenz und gleichzeitig über das Digitale eine effiziente gemeinsame Dokumentation und Einbeziehung aller Teilneh-menden.

Was Videokonferenzen und Interviews anbelangt, hat die Corona-Zeit mit sich gebracht, dass die Welt da draußen ein bisschen nähergekommen ist, zum Beispiel indem die Expert_innen weltweit leichter zur Verfügung stehen. Ich glaube, das ist etwas, was wir auch in Zukunft wirklich gut in der Hochschu-lehre nutzen und damit viel praktische Expertise in die Lehre einbeziehen können: Für die Expert_innen ist es oft erheblich leichter, mal eben kurz ein Videotelefonat für eine halbe Stunde im Berufsalltag unterzubringen, als mit Anfahrt und dem gan-zen Drumherum als Präsenzgast in ein Seminar zu kommen.

Was nehmen Sie aus der Lernerfahrung im Seminar für die Zukunft mit?

Julica Voigt: Ich finde, das Digitale ist letztendlich eine Erweite-rung der Möglichkeiten. Der Horizont hat sich erweitert, auch was die Zusammenarbeit unter Studierenden anbelangt. Man muss sich nicht unbedingt treffen, Termine ausmachen, viel Zeit einplanen, sondern kann zum Beispiel ein Padlet anlegen und Sachen zusammenstellen, gemeinsam etwas erarbeiten – oder mal eben schnell ein Online-Interview machen. Ich würde nicht ausschließlich digitale Wege gehen wollen. Aber ich finde schon, dass das Corona-Semester 2020 die Möglichkeiten des Digitalen nochmal viel präsenter gemacht hat, die ja auch eine Bereiche-rung sind.

Lisa Buddemeier: Ich knüpfe an das an, was Mark zur Verschmel-zung des Besten aus beiden Welten gesagt hat. Das ist wirklich das, was ich als Potenzial für die Zukunft sehe. Ich bin ein ab-soluter Fan von Präsenzveranstaltungen, brauche dieses unmit-telbare Feedback. Und gleichzeitig mit digitalen Endgeräten in Präsenzveranstaltungen bestimmte Elemente mit übernehmen zu können – wie eine Mentimeter-Abfrage (mehr zu Mentime-ter erfahren Sie auf S. 53)– das finde ich absolut hilfreich, ins-besondere wenn es um größere Gruppen geht: Viele interaktive Methoden sind digital beliebig skalierbar. Ohne die „Zwangsdi-gitalisierung“ durch Corona hätte ich sehr viel länger gebraucht, um mit den digitalen Möglichkeiten vertraut zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mark Müller-Geers (Seminarleitung) ist Diplom-Geoökologe und arbeitet im PerLe-Teilbereich Zukunftsorientierung. Dort entwickelt und testet er inter- und transdisziplinäre Lehr- und Lernformate mit Blick auf Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Die daraus resultie-renden Seminare und Veranstaltungen schaffen zumeist eine Verbin-dung zwischen Akteur_innen der Hochschulwelt und Praxispart-ner_innen außerhalb der Unisphäre, die sich in ihrem Wirken oder beruflichem Alltag direkt mit Fragen und Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung befassen: »Mein Ziel ist es dabei, gegen-seitige Lernprozesse zu initiieren und den Rahmen so zu gestalten, dass beide Seiten von diesen Kooperationen profitieren.«

Lisa Buddemeier (Referentin) ist Diplom-Psychologin, Trainerin, Moderatorin und Coach. „Meine Mission ist es, Menschen zu ermu-tigen und zu befähigen, sich ihr Arbeitsumfeld aktiv so zu gestalten, dass sie in ihrer Arbeit Sinn finden, ihr Sinn geben, dass sie ihr volles Potenzial leben und kontinuierlich wachsen können“, sagt sie über sich selbst. Dabei schöpft Lisa Buddemeier aus 14 Jahren Erfahrung als Trainerin, Beraterin und Coach in Deutschland und der Welt. Sie arbeitet auf Deutsch, Englisch und Spanisch und lebt mit ihrer kleinen Familie in Kiel und Lima.www.pantarhei-training.de

Julica Voigt (Studentin) studiert im sechsten Semester Pädagogik und Politikwissenschaft im Bachelor und arbeitet seit sieben Jahren im Bereich der politischen Bildung bei der Heinrich-Böll-Stiftung SH. »Mein Werdegang ist bunt«, sagt sie über sich selbst, »Ich habe schon als Flugbegleiterin für die Lufthansa gearbeitet, eine Ausbil-dung zur Musicaldarstellerin und zur Kauffrau für Bürokommunika-tion gemacht – und studiere jetzt, um meinen Horizont zu erweitern, mich besser für meinen derzeitigen Job zu qualifizieren und meine Chancen für attraktive Jobs auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.«

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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38 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝Praxisnah digital Lehren

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VIRTUELLE EXKURSIONEN EIN INTERVIEW MIT SVEN REISS, WISSENSCHAFTLICHER MITARBEITER AM KIELER SEMINAR FÜR EUROPÄISCHE ETHNOLOGIE/VOLKSKUNDE

40 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Vir tuel le Exkursionen

In vielen Fächern gehören Exkursionen zum Studienplan; aufgrund der Corona-Beschränkungen konnten sie im Sommersemester 2020 jedoch nicht wie gewohnt stattfinden. In der Europäischen Ethnologie versuch-te Sven Reiß, seinen Studierenden dennoch ein Angebot zu machen. Ur-sprünglich hatte er einen gemeinsamen Besuch im Museum für Ham-burgische Geschichte anbieten wollen. Stattdessen fand die Exkursion in die Ausstellung Tattoo-Legenden – Christian Warlich auf St. Pauli am 23. April 2020 jetzt virtuell statt. ➞

41PERSPEKTIVEN 02.20

Interview: Rebecca Such

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42 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝Vir tuel le Exkursionen

Herr Reiß, wie sind sie auf die Idee gekommen, die Exkursion virtuell durchzuführen?

Sven Reiß: Bereits bei den Vorbereitungen der an sich noch klassisch analog geplanten Ausstellung wurde ich auf das digitale Angebot des Museums aufmerksam. Nachdem klar war, dass die ursprünglich geplante Exkursion aufgrund der Pandemie vermutlich nicht stattfinden kann, und ich erste Anfragen nach den Möglichkeiten einer Verschie-bung erhielt, habe ich mich mit dem Kurator Dr. Ole Wittmann in Verbindung gesetzt. Wir haben diskutiert, ob er sich vorstellen könne, uns auch digital die Ausstellung über einen virtuellen Rundgang näherzubringen.

Als wie groß würden Sie den Arbeitsaufwand für die Vorberei-tung der Online-Exkursion seitens der Lehrenden einschätzen? In welchem Verhältnis steht das zu einer regulären Exkursion?

Sven Reiß: Anfangs braucht eine virtuelle Exkursion mehr Zeit bei der Planung. Nur simpel eine der vielen derzeit angebotenen digitalen Ausstellungen mit Studierenden zu besuchen, wäre doch ein wenig zu dünn. Ich habe zusätzlich angefangen, nach geeigne-ten digitalen Kommunikationsmöglichkeiten zu schauen und ein digitales Rahmenpro-gramm zu schaffen.

Welche Tools haben Sie für die Online-Exkursion genutzt?

Sven Reiß: Neben der vom Museum angebotenen Möglichkeit des digitalen 3D-Rundgangs, nutzte ich Big-BlueButton in der CAU-Fassung für eine Videokonferenz, um auch wirklich mit den Studierenden in Diskus-sionen zu kommen. Sollte es da während der Exkursion zu unvorhergesehenen technischen Problemen kom-men, habe ich zur Absicherung noch einen Konferenzraum über Jitsi 10 eingerichtet, da man sich dort zur Not auch per Telefon zuschalten kann. Ansonsten werden die Studierenden in Kleingruppen nach dem Aus-stellungsrundgang noch mit ihrem üblichen Browser zu einigen Fragestellungen auf ethnografische Erkun-dungen gehen und sich dazu in eingerichteten Kleingruppenräumen (sogenannten »Breakout-Rooms« 3 ) bei BigBlueButton 11 austauschen können.

Denken Sie, dass Online-Exkursionen auch über diese Aus nahmesituation hinaus Zukunft (in Ihrem Fachbereich) haben?

Sven Reiß: Für die Annäherung an ethnografische Erkundung digitaler Kulturen könnte ich mir ein solches For-mat durchaus vorstellen, ansonsten freue ich mich bereits jetzt, mit den Studierenden wieder analog in unsere Forschungsfelder vor der Haustür aufzubrechen. Gerade mehrtägige Exkursionen lassen sich durch ein digitales Format nicht ersetzen.

Welchen Mehrwert erhoffen Sie sich eventuell für Ihre Studierenden aus dem For-mat – abgesehen davon, dass die Exkursion nicht einfach ausfällt?

Sven Reiß: Tatsächlich ist zunächst einmal der letzte Punkt für mich entscheidend. Studierende benötigen Exkur-sionsangebote, um ihr Studium in der geplanten Zeit abschließen zu können. Aber diese haben durchaus etwas zu bieten: Als empirischer Alltagskulturwissenschaftler erscheint mir ein großer Mehrwert in der Sensibilisierung darin, wo und wie stark die analoge Welt längst digital geworden ist – ein eng verwobener Teil des Alltagslebens, den wir vielleicht bei bisher üblichen Exkursionen weniger deutlich wahrnahmen. Also Perspektiverweiterung. Unbedingt. ■

Die Exkursionsdidaktik spielt in vielen Fächern eine wichtige Rolle. Mit Exkursionen wird den Studierenden das Lernen vor Ort zum Beispiel im zukünfti-gen Berufsalltag ermöglicht. Im digitalen Lernraum ist dieses didaktische Format zunächst eine Herausforderung. Mit ein wenig Kreativität, Neugier und Experimentierfreude lassen sich jedoch auch Exkursionen im digitalen Lernen realisieren. In diesem Blogartikel finden Sie Lehrbeispiele und didaktische Hinweise zur Umsetzung von digitalen Exkursione.

INFOBOX

43PERSPEKTIVEN 03.20

Bilder aus dem digitalen 3D-Rundgang der Ausstellung »Tattoo-Legenden –

Christian Warlich auf St. Pauli«

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

103 11

➜ Einfach machen, ausprobieren und währenddessen lernen, wie es geht. Es ist wichtig, sich nicht in technischer Perfekti-on zu verlieren – aus jeder Exkursion kann man lernen und Neues mitnehmen.

➜ Bei möglichen virtuellen Ausstellungsbe-suchen ausreichend Zeit einplanen – nicht nur wegen möglicher technischer Proble-me, sondern auch, weil die Kurator_innen ohne andere Museumsbesucher_innen mehr Zeit haben, mit uns in aller Ruhe vor den einzelnen Objekten zu verweilen, zu erzählen und zu diskutieren.

➜ Wie bei einer analogen Exkursion sollte man bei der Planung Zeit für eher in-formelle Austauschmöglichkeiten ohne Dozent_innen, generelle Abwechslung und vor allem Pausen nicht vergessen.

Für Dozent_innen, die ein ähnliches Format planen, hat Sven Reiß drei Tipps parat:

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44 45PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Zukunftslabore

DIE KOMPETENZEN DER ZUKUNFT

Gemeinsam entwickeln, wohin die Reise beim Lehren und Ler-nen an Hochschulen geht: Das war das erklärte Ziel, als Leh-rende, Tutor_innen und Studierende am 3. September 2020 während des Tags der Lehre an der Christian-Albrechts-Uni-versität zu Kiel (CAU) online zu verschiedenen Schwerpunkt-themen in Zukunftslaboren zusammentrafen. Ihr gemeinsa-mes Anliegen: entschlüsseln, wie die digitale Transformation soziale Kommunikation, Arbeits- und Lernprozesse verändert – und welche Möglichkeiten Lehrende haben, Studierende in diesem Prozess zu unterstützen. ➞

LEHRENDE UND LERNENDE ENT-WICKELN GEMEINSAM ANSÄTZE FÜR DIE LEHRE VON MORGEN

Text: Antonia Stahl

Page 24: PERSPEKTIVEN 01 2020 | Zukunftsorientierung · der digitalen Hochschullehre. Was nun daraus folgt, ist entscheidend für die digitale Lehre in der Zukunft. Die Bereitstellung von

46 47PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Zukunftslabore 47

Ausgehend vom Ansatz des Decodings waren die Teilneh-menden der Zukunftslabore zugleich auch Expert_innen fürs eigene Anliegen. „Wie hat man eigentlich selbst fachlich relevan-te Kompetenzen erlangt? Welche Möglichkeiten sind einem aus der Fachcommunity heraus bekannt? Was müssen Studierende unter Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen und Verän-derungen am Ende ihres Studiums eigentlich können – und was müssen sie tun und reflektieren, um diese Kompetenzen auch zu entwickeln?“, mit diesen Fragen bringt Sabine Reisas vom Pro-jekt erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe) an der CAU, das zentrale Anliegen der Zukunftslabore auf den Punkt.

Expert_innen lieferten Inputs mit kontrastierenden Thesen und Fragestellungen zu vier Schwerpunktthemen: „Vermittlung von Problemlösungsfähigkeiten im Format Forschendes Lernen“, „Förderung digitaler Kompetenzen in der Lehre“, „Kommunika-tion und Kollaboration ermöglichen“ sowie „Förderung von kri-tischem Denken und Handeln“. Darauf folgten Kleingruppen-Diskussionen in sogenannten Breakout Rooms 3 . Dort stellten die teilnehmenden Lehrenden Fallbeispiele aus der eigenen Lehrpraxis vor, die anschließend diskutiert wurden – und zwar auf eine Weise, die zugleich die Expertise aller Beteiligten wür-digt und allen neue Erkenntnisse fürs eigene Lehren und Lernen

liefert. Unterstützt haben diesen Prozess sowohl eine begleitende Moderation als auch vorab vorbereitete Leitfragen – nachzuvoll-ziehen ist dieser Prozess auch anhand der via „Conceptboard“ festgehaltenen Dokumentation zum Tag der Lehre.

Auf diese Weise identifizierten die Teilnehmenden sogenannte Bottlenecks im Zusammenhang mit ihren Diskussionsthemen, also kri-tische Punkte in der Entwicklung (fachspezifischer) Handlungsfor-men in Bezug auf den zukunftsre-levanten Kompetenzerwerb. Im-mer wieder nahmen die einzelnen Gruppen dabei Rückbezug auf die interaktive Keynote des Tages. Dar-in hatte die Sprachwissenschaftlerin und Kommunikationsmanagerin Dr. Anja Centeno García zu beden-ken gegeben, dass man am Ende eines Forschungsprozesses immer nur die „geglättete Oberfläche“ sieht beziehungsweise präsentiert, ein Forschungsbericht greift den Prozess von der Forschungsfrage bis hin zu den -ergebnissen höchstens am Rande mit auf. Für Studierende sei es jedoch wichtig, auch die „Rauheit“ im Verlauf dieses Prozesses zu erfahren, um selbst die fürs professionelle Handeln in der Lehre notwendigen Kompetenzen zu erlangen.

Selbständigkeit – Eigenverantwortlichkeit – Wertschätzung – Feedback Die Ergebnisse der einzelnen Zukunftslabore kamen in einer abschließenden Session im Plenum zum Tragen. Viele Aspekte, die vorab in den Einzeldiskussionen auf das Tableau gekommen waren, stellten sich dabei als konsensfähig heraus. Dazu zählt die Einsicht, dass es klassische Kompetenzen gibt, die auch in Zu-kunft bedeutsam bleiben, wenn auch teils in anderem Ausmaß,

darunter das „life long learning“. Als herausfordernd betrachte-ten die Teilnehmenden dagegen die sich rasant verändernden Arbeitsweisen in einzelnen Fächern. Die Archäologie beispiels-weise verändert sich dank Digitalisierung rasant, doch die Cur-ricula bilden diesen Wandel zum Teil noch gar nicht ab. „Wir

müssen dabei auch anerkennen, dass sich unsere Arbeit als Wissen-schaftler_innen radikal verändert“, konstatierte Prof. Dr. Tobias Seidl von der Hochschule der Medien Stuttgart in diesem Kontext.

Insgesamt beurteilten die Teil-nehmenden kollegiale Gespräche und einen intensiven Austausch unter Lehrenden als unheimlich wichtig. Schließlich nähmen Stu-dierende ihre Studiengänge als Ge-samtpaket wahr, weshalb Lehrende auch bei der curricularen Ausge-staltung im Team agieren sollten, lautete ein Fazit der Veranstaltung.

Digital allerdings seien die Studierenden teils überfordert durch die Vielzahl der neuen Tools, die in der Lehre im Corona-Semester abrupt hinzugekommen sind. An diese Feststellung schlossen sich Diskussionen darüber an, ob es weitere neue Lernmodule zur Einführung ins E-Learning bräuchte, so wie sie bei der Lehrkräftebildung bereits ausgearbeitet werden. An die Frage danach, wie Lehrende Studierenden Räume für die Kom-petenzausbildung geben und Aufgabenstellungen entsprechend formulieren können, knüpfte eine Diskussion der Arbeits- und Lernprozesse an. Neben dem Votum dafür, die Praxisnähe und Arbeit in Teams stärker in den Fokus zu rücken, gerieten auch Zeitmanagementfragen in den Blick. Ein Lösungsvorschlag dafür, wie die Stofffülle trotz neuer Lernformen zu bewältigen sei, war, Inhalte künftig stärker in Selbstlernphasen auszulagern,

um in der Präsenz mehr Zeit für die Begleitung von Kommu-nikationsprozessen und Strukturen beispielsweise beim projekt-basierten oder kollaborativen Arbeiten der Studierenden zu ha-ben. Blended-Learning-Ansätze könnten hier Lösungen liefern. Zudem gelte es, so Prof. Dr. em. Otto Kruse von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sich als Lehrende stärker zurückzuhalten: „Nicht alles vorgeben, sonst schlafen mir die Studierenden ein! Wir müssen Raum und Zeit geben, auch Unsicherheiten ertragen und loslassen lernen.“

Weiterführende Tipps & Links„Zum Gelingen der Zukunftslabore am digitalen Tag der Leh-re der CAU haben sowohl die detaillierte Vorbereitung als auch die Begleitung durch viele Moderator_innen beigetragen“, sagt Organisatorin und Hochschuldidaktikerin Sabine Reisas rück-blickend. ■

Weiterführende Literatur:

Middendorf, Joan & Pace, David. (2004). Decoding the Disciplines: A Model for Helping Students Learn Disciplinary Ways of Thinking.

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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49PERSPEKTIVEN 03.2048 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Ask a student digital

FERN – UND DOCH SO FACHNAH

Text: Jörn Willers Radke

SCHOLARSHIP OF TEACHING AND LEARNING (SOTL)

STUDIENORIENTIERUNG IN

ZEITEN DER PANDEMIE

»Ask a student«, das erfolgreiche PerLe-An-gebot zur fachnahen Studienorientierung, lebt von der Präsenz der Teilnehmenden, die die Universität unmittelbar erfahren und sich ak-tiv und direkt mit Studierenden ihres Wunsch-fachs austauschen. Im Sommersemester 2020 konnte „Ask a student“ nicht stattfinden – das wäre die nachvollziehbare Konsequenz daraus, dass die pandemiebedingten Zutritts-beschränkungen dem Angebot die Grundlage entziehen. Doch die Orientierung im Dschun-gel der Studienangebote ist nicht einfacher als sonst, sondern, im Gegenteil, durch die Un-sicherheiten für die Planung des Semesters auf allen Ebenen eher schwieriger geworden. PerLe hat daher entschieden, „Ask a student“ trotz der Widrigkeiten im Sommersemester 2020 anzubieten – im Einklang mit den Hy-gienemaßnahmen mit sehr viel Abstand im digitalen Raum.

Studieninteressierte treffen Studierende

Kann ein Workshop, der derart auf Präsenz und persönlichen Kontakt zugeschnitten ist, im digitalen Raum funktionieren?

Die Teilnehmenden an »Ask a student« gaben in den vergan-genen sieben Jahren und über Fachgrenzen hinweg stets an, dass ihnen besonders die Gespräche mit den Studierenden – ausge-bildeten Tutor_innen – und die damit einhergehende realistische Darstellung des Studiums gefallen und weitergeholfen hätten. Immer wieder wurde betont, dass die Möglichkeit, „alle Fragen“ stellen zu können, ungemein wertvoll sei. Des Pudels Kern ist die Begegnung von Studieninteressierten und Studierenden – diese Möglichkeit wollten wir auch im digitalen Raum schaffen.

Die CAU intensiviert seit dem Ausbruch von Corona die Be-mühungen, den Ausbau einer Infrastruktur für die digitale Lehre zu schaffen. MitBigBlueButton 11 und Zoom 1 gibt es zwei

Dienste, die Funktio-nen für Gruppenge-spräche geräteüber-greifend zuverlässig zur Verfügung stel-len – so weit, so gut.

Anpassung an die Gegebenheiten»Ask a student« wird normalerweise als etwa siebenstündiger

Tagesworkshop mit verschiedenen Bausteinen durchgeführt. Durch kreative Methoden und intensiven Austausch mit Studie-renden ihres Wunschfachs haben die Studieninteressierten Gele-genheit, ihre Erwartungen mit der Studienrealität abzugleichen. Zusätzlich führen die Teilnehmenden ein Informationsgespräch mit einem/r Fachvertrer/in, besuchen eine exemplarische Lehr-veranstaltung und bearbeiten typische Aufgaben der ersten Stu-diensemester. Auch der erste Spaziergang über den Campus darf bei dem Angebot nicht fehlen.

Der Erwartungsabgleich mit der Studienrealität musste für das digitale Format neu geplant, Gespräche und Diskussionen um die Arbeit auf einem virtuellen Whiteboard ergänzt werden. Die Umsetzung der restlichen Bausteine gestaltete sich zwar schwieriger, unmöglich war sie aber nicht. An Klausuren, den Übungsbetrieb oder typischen Arbeitsweisen im Studium an-gelehnte fachspezifische Aufgabenstellungen konnten die Studi-eninteressierten mit geteilten Informationsquellen zu Hause am Schreibtisch bearbeiten. Experimentierfreudige Teilnehmende freuten sich über Homelab-Versuche. Da Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2020 überwiegend online stattfanden, konnte eine solche auf diesem Weg ebenfalls besucht werden. Fachvertreter_innen schalteten sich online hinzu, Videos ver-mittelten einen Eindruck vom Campus.

Da niemand den ganzen Tag vor dem Bildschirm verbrin-gen möchte, musste der Workshop auf eine Dauer von cir-ca zweieinhalb Stunden gekürzt werden. In diesem Rahmen agierten die Tutor_innen eigenständig und passten die Abläufe an die Gegebenheiten an. Erklärt sich ein_e Dozent_in für ein

Online-Gespräch bereit? Liegen in dem geplanten Zeitraum Lehrveranstaltungen, in die die Gruppe sich einklinken kann? Gibt es Videos, die unseren Fachbereich oder wichtige zentrale Einrichtungen der Universität informativ präsentieren? Kann ich eventuell sogar selbst eines produzieren? Derartigen Fragen stellten sich die Tutor_innen, beantworteten sie für ihre eigenen Veranstaltungen und setzten diese dann entsprechend um.

Insgesamt erfordern das Online-Format und die allgemein herrschenden pandemiebedingten Begebenheiten eine größere Flexibilität, als der relativ stringent planbare „Tag an der Uni“. Die Tutor_innen müssen die Herausforderung annehmen, an-hand grober Leitlinien zu agieren, und die Organisator_innen bereit sein, Abläufe neu zu denken und sich vom bewährten Konzept zu lösen.

Chancen und Einschränkungen in der PraxisIm Sommersemester 2020 hat PerLe insgesamt 42 Online-Work-shops »Ask a student« zu 24 Fächern angeboten. Hinzu kommen zahlreiche „Last Minute“-Sprechstunden zu den verschiedensten Fächern. In diesen stehen die Tutor_innen den Studieninteres-sierten zu einem späteren Zeitpunkt während der Bewerbungs-phase fürs Studium an der CAU noch einmal für letzte Fragen zur Verfügung. Ein Vorteil des digitalen Formats wird dabei so-fort deutlich: Während in Präsenz ein einzelner Tag angeboten werden kann, sind in dieser Form mehrere Termine pro Fach möglich. Die verkürzte Dauer lässt Vormittags- und Nachmit-tagstermine zu, sodass Tutor_innen und Teilnehmende in dieser Hinsicht mehr Möglichkeiten haben.

„Es hat uns allen sehr viel Spaß gemacht“, berichtet Stine Fromke, Tutorin bei »Ask a student« für Lehramt und Wirt-schaft/Politik. „Besonders schön fand ich es, dass wir sogar einen Teilnehmer aus Baden-Württemberg dabeihatten, der sonst ja nie hätte teilnehmen können.“

Durch das Online-Format entfallen Anfahrtswege, was den Kreis potenzieller Teilnehmender stark erweitert. Auch redu-ziert sich für die Tutor_innen der Aufwand sehr, falls Workshops kurzfristig ausfallen müssen, wenn die angemeldeten Personen nicht erscheinen.

Max Trempenau, der gemeinsam mit Stine vier Workshops und zwei „Last Minute“-Sprechstunden geleitet hat, ergänzt: „Es lief viel besser, als wir es erwartet hatten, und das hat uns auch für die nächsten Sessions neuen Schwung gegeben.“ Natürlich stellen die gezwungenermaßen weggebliebenen Elemente einen Verlust dar: Das Gefühl, mit hunderten Kommiliton_innen in einer Vorlesung zu sitzen, kann virtuell nicht vermittelt werden; spannende Laborbesichtigungen, das Erleben der Campus- und Mensa-Atmosphäre, die Besichtigung weiterer Lehr- und Veran-staltungsorte oder des Sportforums fehlen und können online nur unzureichend wiedergegeben werden.

„Wir finden die Präsenztermine wichtig“, sind sich Stine und Max dann auch einig und schlagen vor: „Vielleicht kann man in Zukunft ja immer einen Termin vor Ort und einen virtuell anbieten.“ ■

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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Page 26: PERSPEKTIVEN 01 2020 | Zukunftsorientierung · der digitalen Hochschullehre. Was nun daraus folgt, ist entscheidend für die digitale Lehre in der Zukunft. Die Bereitstellung von

50 51PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Recherchetutor ien – Studieneingangsphase digital

In Kooperation mit der Universitätsbibliothek Kiel (UB) bietet das Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe) seit 2017 für alle Proseminare im Fach Geschichte sogenannte Recher-chetutorien an, in denen geschulte Tutor_innen Studierende im peer-to-peer-Fomat neben einer allgemeinen Bibliothekseinfüh-rung und einer fachspezifischen Schulung in das Bibliographie-ren u. a. auch Einblicke in die Themenfelder Fernleihe, Fachda-tenbanken und überregionale Katalogrecherche geben.

Bis zum Februar des Jahres 2020 fanden die Recherchetuto-rien analog in der UB statt, und die Literaturrecherche konnte vor Ort ausprobiert oder durch den Austausch in Kleingruppen geübt werden. Mit der Corona-Pandemie musste ein neues For-mat geschaffen werden, um die Tutorien während des Sommer-semesters 2020 anbieten zu können. So entstand ein dreiteiliges digitales Angebot bestehend aus synchronen und asynchronen Elementen, welches die Recherchekompetenzen der Studieren-den optimal stärken soll.

Über die Lehrplattform OLAT wurde ein Kurs eingerich-

tet, der kollaborativ gestaltet wurde und für alle Nutzer_innen der Lernplattform offen ist. Dort finden sich verschiedene allgemeine Materialien wie Handouts zur epochenspezifi-schen Bibliographie oder zum wissenschaftli-chen Arbeiten, Screencasts, etwaige Tipps zur Literaturrecherche und Informationen zu wei-teren digitalen Angeboten. Studierende und Lehrende haben die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig die zur Verfügung gestellten Informationen zur Literaturrecherche zu sich-ten, herunterzuladen und zu nutzen.

Zusätzlich enthielt der OLAT-Kurs Un-tergruppen, in die sich ein gesamtes Prose-minar für ein synchrones Recherchetutorium einschreiben konnte, das im „peer-to-peer“-Format über BigBlueButton 11 durchgeführt wurde. Im Laufe des Semesters stellte sich

schnell heraus, dass die Inhalte der Tutorien trotz Verlagerung in den digitalen Raum recht zufriedenstellend vermittelt werden konnten und die Tutorien sehr viel Austauschmöglichkeiten für die Studierenden boten. Dies bezeugen die Aussagen der Studie-renden in den Evaluationen.

Natürlich bietet die digitale Lehre aber nicht nur Vorteile. Beispielsweise war nur schwer nachzuvollziehen, ob die Studie-renden die gesamte Zeit während des Tutoriums aufmerksam waren und die Inhalte auch wirklich verstanden haben. Viele Studierende nutzten während des Tutoriums keine Kamera und es gab vereinzelt auch Studierende ohne Mikrofon, obwohl vor-her auf die Notwendigkeit eines Mikrofons hingewiesen worden war. Die Tutor_innen mussten also zusätzliche Zeit einplanen, damit die Kommunikation zwischen den Studierenden hin-reichend stattfinden konnte. Herausfordernd war im digitalen Raum auch der stete Austausch zwischen Tutor_innen und Stu-dierenden, der bei den früheren Präsenzveranstaltungen keine Schwierigkeit dargestellt hatte. Dadurch war das Peer Teaching,

also die Vermittlung von Informa-tionen „auf Augenhöhe“, aufgrund der digitalen Distanz in gewissen Momenten mühsam.

Neben den synchronen Re-cherchetutorien boten die Tutor_innen im Semester jede Woche freitags offene Sprechstunden an. In diesen konnten Studierende in-dividuelle Herausforderungen bei der Literaturrecherche klären und Erfahrungshorizonte in Einzel-gespräche ausgetauscht werden. Die Tutor_innen agierten bei der Planung und Durchführung der Rechercheangebote sehr selbst-ständig und konnten dank ihrer eigenen fachlichen und persön-lichen Erfahrungen sowie ihrer fortgeschrittenen Recherche- und

Organisationskompetenzen Studierende erfolgreich begleiten. Eine regelmäßige Tutorenqualifizierung durch Workshops

des Qualifizierungsangebots BEAT – BE A TUTOR und Meetings, in denen kreative und effektive Methoden und Tools zur Wis-sensvermittlung, didaktische Grundlagen und fachspezifische Inhalte zur Weiterbildung geübt sowie einheitliche Rahmenbe-dingungen für die Tutor_innen geschaffen werden, stärkten die Tutor_innen bei ihrer Arbeit. Auch das regelmäßige Auswerten und Zurückmelden der Evaluationsergebnisse, die während und nach den Recherchetutorien von Studierenden und Lehrenden gesammelt wurden, und die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung bestehender Konzepte, was als dynamischer Prozess verstanden werden sollte, sind grundlegend für den bis-herigen Erfolg der digital und studentisch angebotenen Recher-chetutorien für das Fach Geschichte. ■

➜ Beispielvideo aus den Recherchetutorien

RECHERCHETUTORIEN IN DER STUDIENEINGANGSPHASE

Vom kollaborativen Online-Kurs mit synchronen und asynchronen 8 Elementen über Screen-casts bis hin zu digitalen Arbeitsmaterialien: Für die Recherchetutorien im Fach Geschichte entstand im Sommersemester 2020 ein vollkommen neues Lehr- Lern-Konzept.

Text: Dr. Melanie Greinert

Digitales Angebot zur Literaturrecherche des Projekts PerLe in Kooperation mit der UB Kiel

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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52 53PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Studierende in Onl ine-Sessions betei l igen

Aufmerksamkeit gewinnen und die Interaktivität steigern Um Online-Sessions für die Studierenden möglichst abwechs-lungsreich zu gestalten, bieten sich Methoden an, die die Inter-aktivität und Partizipationsmöglichkeiten fördern. Diese helfen außerdem, eine lernfreundliche Atmosphäre und ein gemeinsa-mes Erleben des Lernens zu konstruieren. Doch was bedeutet das konkret für die Gestaltung einer Online-Session?

Im Folgenden geht es exemplarisch um drei Tools, die sich simpel und effizient in analoge und digitale Veranstaltungsfor-mate integrieren lassen. Da die Server der vorgestellten Pro-gramme nicht in Deutschland stehen, sind diese Tools hier al-lerdings nicht vollständig datenschutzkonform. Die Nutzung in Lehrformaten sollte daher individuell abgewogen und gegebe-nenfalls mit Kolleg_innen diskutiert werden.

1. Beispiel: Die Einbindung eines Padlets (Zusammenarbeit) Es ist didaktisch gewinnbringend, den Studierenden Verantwor-tung für ihr eigenes Lernen zu übertragen, indem sie beispiels-weise arbeitsteilig neue Sachverhalte erarbeiten oder anwenden. Auch digital sind Gruppenarbeiten möglich, zum Beispiel mit einem Padlet: Dieses ermöglicht sowohl synchrone 8 als auch asynchrone 8 kollaborative 2 Zusammenarbeit von Stu-

dierenden. Bei einem Padlet kann die Art der Zusammenarbeit ausge-wählt werden. Je nach didaktischem Ziel lässt sich zwischen einer of-

fenen Form, die frei gestaltbar ist, und geschlossenen Formen wie Chat-Unterhaltungen, einem Zeitstrahl oder einer Weltkarte wählen.

Die Teilnehmenden erhalten einen Link, um partizipieren zu können. Im Padlet können sie schreiben, kommentieren und ge-stalten. Dieses Tool ist vor allem in Erarbeitungsphasen und bei der Ergebnissicherung sinnvoll einsetzbar.

2. Beispiel: Fragen bei sli.do ranken (Mitwirkung) Besonders in Online-Veranstaltungen mit mehr als 20 Teilneh-menden ist es schwer, den Fragen der Studierenden gerecht zu

werden. Der Bildschirm ist zu klein, um die Wortmeldungen aller Teilnehmenden zu sehen. Auch der Chat ist bei einer großen Gruppe schnell überladen und kein effektives Kommunikations-medium.

Sli.do ist ein Tool, welches Publikumsfragen sammelt und ranken kann. Die Studierenden können das Tool über einen ge-nerierten Code entweder mit dem Smartphone (verhindert einen Bildschirmwechsel) oder mit dem Laptop nutzen. Sie geben ihre Frage ein, die die übrigen Teilnehmenden liken können. Fragen mit vielen Likes erscheinen an der Spitze des Rankings, sodass Re-ferierende sie bevorzugt beantworten. Auf diese Weise bestimmt die Gruppe, welche Fragestellungen besonders relevant sind.

In der Basisversion ist sli.do kostenlos und ermöglicht neben dem Ranking der Fragen auch noch die offene Funktion des Brain-stormings. In der kostenpflichtigen Version erweitert sich das An-gebot unter anderem um die Funktion eines Moderators oder die Erstellung von Wortwolken (bei Mentimeter kostenlos).

3. Beispiel: Abfragen aller Art mit Mentimeter stellen (Mitbestimmung) Mentimeter bietet ein Tool, das Abfragen aller Art ermöglicht. Die Abfragen können vor der Veranstaltung vorbereitet oder bei Bedarf auch spontan entwickelt werden. Die Teilnehmen-den erhalten einen Code, über den sie partizipieren können. Die Ergebnisse informieren in Echtzeit, wie viele Studieren-de teilgenommen haben und welche Ergebnisse abgestimmt wurden.

Studierende können beispielsweise so thematische Schwer-punkte bereits vor der Veranstaltung bestimmen oder ein Mei-nungsbild zu einer Streitfrage in der Lehrveranstaltung abfragen. Dabei können sowohl geschlossene als auch offene Abfragen ge-macht werden. Die Abfrageoptionen sind vielfältig, sodass Men-timeter im Einstieg, in der Erarbeitung oder auch zur Evaluation einer Veranstaltung einsetzbar ist.

Grad der Beteiligung Die vorgestellten Tools bilden unterschiedliche Stufen der Par-tizipation ab. Während Mentimeter Mitbestimmung und Mit-gestaltung der Lehre seitens der Studierenden durch eigene Schwerpunktsetzung ermöglicht, bildet Sli.do nur ein Mitwir-ken ab, die Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen, sind hier geringer. ■

STUDIERENDE IN ONLINE- SESSIONS BETEILIGEN

Die Corona-Pandemie hat den Ablauf der Lehre auf den Kopf gestellt. Doch dieser An-lass bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten, um die Lehre weiterzuentwickeln. Digitale Tools bergen ein großes Potenzial, um auch Online-Sessions partizipativ und interaktiv zu gestalten. Dazu bedarf es lediglich einer offenen und neugierigen Haltung der Lehr-person sowie des Muts, neue Methoden in Lehrformate zu integrieren. Drei Beispiele.

Text: Merle Kohlrausch

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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Mehr über die unterschiedli-chen Beteiligungsstufen ver-mittelt das Leitermodell der Partizipation nach Roger Hart und Wolfgang Gernert.

Partizipation

INFOBOXLinktipps

➜ Mehr zum Thema „Digitale Lehre“ erfahren Sie auch auf dem „Einfach gute Lehre“-Blog der CAU ➜ Das Hochschulforum Digitalisierung hält ein Methodenset zum Thema „Digitale Interaktion“ für Sie bereit ➜ Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst hat auf seiner Homepage viele hilfreiche Tipps und Informationen rund ums Thema zusammengetragen.➜ Die Zeitschrift puktum des Landesjugendringes Hamburg e.V. hat die Ausgabe 4/09 dem Thema Partizipation gewidmet.

Das digitale Tool sollte:➜ ohne Anmeldung der Studierenden

funktionieren➜ intuitiv bedienbar sein➜ sowohl synchron als auch asynchron

nutzbar sein➜ keine hohen Kosten verursachen➜ möglichst datenschutzkonform sein➜ in digitalen und analogen

Lehrformaten funktionieren

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54 55PERSPEKTIVEN 03.20

Lob + Kritik

Lehr- und Lerninhalte

Austausch per Chat

Video-Konferenz

Studierende

Studierende

Studie

rende

Lehrperson

INPUT

INPUT

INPUT

INPUTOUTPUT

PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝Lehr- und Lernprozesse in Onl ine-Veranstaltungen sichtbar machen

Mehrwert und HerausforderungenDurch den Einsatz eines oder mehrerer dieser Tools ist der Lernpro-zess der Studierenden oft gut nachvollziehbar, da die Entwicklung der Studierenden abgebildet wird, nicht ausschließlich das Ergebnis des Lernprozesses. Die Studierenden werden durch die Nutzung der Tools zusätzlich zur aktiv(er)en Teilnahme und der Auseinandersetzung mit den Lerninhalten angeregt.

Außerdem bietet diese Form Ansatzpunkte für eine systema-tische Lernprozessbegleitung durch die Lehrperson und die Stu-dierenden untereinander. Sie fördert das eigenständige Arbeiten, insbesondere die Auseinandersetzung mit den Lerninhalten. Bei regelmäßigem Austausch, entweder synchron 8 in regelmäßigen

Video-Konferenzen oder asynchron 8 mithilfe eines interaktiven Tools, haben alle Beteiligten die Möglichkeit zum gegenseitigen Feed-back. Die Tools sind sowohl für Vorlesungen als auch für Seminare und Übungen geeignet, für kurze Projekte und auch für langfristige Nutzungsoptionen. Letzteres ist beispielsweise im Fall des digitalen Lern-Portfolios möglich, das über einen längeren Zeitraum geführt werden kann und unter anderem dabei unterstützt, das eigene Lernen zu reflektieren und den Lernprozess für die Lehrperson sichtbar zu machen. ➞

LEHR- UND LERNPROZESSE IN ONLINE-VERANSTALTUNGEN SICHTBAR MACHEN

Online-Veranstaltungen bieten neue Möglichkeiten und für die Lehre andere Herausforde-rungen als Präsenzveranstaltungen. Auch die Zusammenarbeit von Lehrenden und Studie-renden verändert sich in der digitalen Lehre. Dabei ist es, genauso wie in Präsenzveranstal-tungen, ein wichtiges Thema, die Lehr- und Lernprozesse transparent zu machen, damit alle Beteiligten vom gegenseitigen Input profitieren können. Dafür gibt es im digitalen Medium

unterschiedliche Optionen, die es Studieren-den sowohl in Einzel- als auch in Gruppenar-beit ermöglichen, Aspekte ihres Lernprozes-ses zu verdeutlichen und nachvollziehbar zu machen. Hierzu gehören interaktive Tools, die wie ein Whiteboard genutzt werden können, und Tools für Lehr-Portfolios wie beispiels-weise in OpenOlat. Die vom Projekt erfolgrei-ches Lehren und Lernen (PerLe) herausge-gebene Handreichung „Digitale Lehre“ zeigt verschiedene Möglichkeit und konkrete Tools zur Planung, Gestaltung und Durchführung von Online-Lehre auf.

Text: Dr. Kerstin Stiewe

METHODEN & TOOLS Weitere Informationen zu den genannten Methoden und Tools finden Sie auf Seite 58

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56 PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝Lehr- und Lernprozesse in Onl ine-Veranstaltungen sichtbar machen

Lob + Kritik

Lehr- und Lerninhalte

Austausch per Chat

Video-Konferenz

Studierende

Studierende

Studie

rende

Lehrperson

INPUT

INPUT

INPUT

INPUTOUTPUT

PERSPEKTIVEN 03.20 57

Bei dem synchronen Einsatz von Feedback-Tools während einer Online-Veranstaltung, wie beispielsweise Tools für Umfragen oder zum kollaborativen Arbeiten, kann es sinnvoll sein, Assis-tenten oder Co-Hosts zu benennen, die diesen Teil der Veranstal-tung betreuen. Wenn die Studierenden dabei aktiv eingebunden werden, entwickeln sie gleichzeitig Medienkompetenzen und erhalten einen Einblick in den Arbeits- und Betreuungsaufwand.

Da Studierende selten auf bereits erarbeitete Strategien hin-sichtlich kollaborativer Arbeit zurückgreifen können, sollte für sie eine Einarbeitungsphase stattfinden und zeitlich eingeplant werden.

So funktioniert esBei Online-Veranstaltungen in Form von Videokonferenzen,

zum Beispiel per BigBlueButton, Adobe oder Zoom, bei denen oft der persönliche Austausch fehlt, ist es ganz besonders wich-tig, mit den Studierenden direkt zu kommunizieren und ihre Argumentationsweisen und Reflexionen nachvollziehen zu kön-nen. Auch für die Studierenden ist es hilfreich, die Möglichkeit zu erhalten, sich aktiv am Geschehen zu beteiligen und den eige-nen Lernprozess sichtbar zu machen.

Um sich während eines Seminars oder einer Übung online direkt auszutauschen, sollte die gemeinsame Nutzung von Mi-krofon und Webcam aller Studierenden und Lehrpersonen be-sprochen werden, um gut kommunizieren zu können. Wenn ein direkter Austausch nicht durchführbar ist, weil die Veranstaltung beispielsweise zu groß und dadurch unüberschaubar ist, kann ein Mitdenken der Studierenden durch Aktivierungseinheiten sichtbar gemacht werden, zum Beispiel durch Abstimmungen, Reflexionen, Wissenstests, Um- und Abfragen und Vergleiche. Hierfür gibt es Tools wie Pingo, mit denen ein kurzes Meinungs-bild eingeholt werden kann.

Auch für die Erbringung von Leistungsnachweisen lassen sich solche Anwendungen nutzen. Wenn als Leistungsnachweis die Dokumentation des individuellen Lernfortschritts erwartet wird, lässt sich das mithilfe von interaktiven Whiteboard-Tools

umsetzen, entweder individuell oder in Gruppen. Auch Proto-kollieren, zum Beispiel parallel zur Vorlesung, ist eine Möglich-keit dafür, ähnlich wie das Erstellen eines Lernprotokolls oder eines E-Portfolios mithilfe von Tools wie Mahara oder Mural.

Die Studierenden unterstützenUm die neuen Tools und deren Anwendungsmöglichkeiten

gut nutzen zu können, ist es wichtig, sie selbst auszuprobieren und bei deren Einführung die Erwartungen an die Studieren-den zu klären, genauso wie die technischen und inhaltlichen Voraussetzungen und die zu benutzenden Tools zu erklären. Die Möglichkeit, Rückfragen stellen zu können, ist auch für eine gute Online-Lehr-Lern-Situation wichtig. Wenn der di-rekte persönliche Kontakt fehlt, ist es oft hilfreich, als Lehr-person die Studierenden bei der Bildung von Kleingruppen für die Arbeit in der Lehrveranstaltung zu unterstützen und die Notwendigkeit der Partizipation zu verdeutlichen, wenn es für den Lernprozess notwendig ist. Die Auswertung von Rück-meldungen und eingereichtem Material bildet dabei eine gute Feedback-Grundlage und schafft Transparenz. Außerdem ist es gut, das ausgewählte Tool aus eigener Erfahrung zu kennen, um auch die Grenzen der Nutzung realistisch einschätzen zu kön-nen. Daraus ergeben sich auch die durchführbaren Frage- und Aufgabenstellungen, die von den Studierenden mit dem Tool bearbeitet werden können.

Weitere interessante Möglichkeiten speziell für die Online-Lehre bietet die Handreichung Digitale Lehre vom Projekt er-folgreiches Lehren und Lernen (PerLe). Themen wie Mediale Präsenz, Online-Veranstaltungen strukturieren und durchfüh-ren und Atmosphäre schaffen unterstützen dabei, Online-Ver-anstaltungen gut vorzubereiten und durchzuführen. Weitere Im-pulse für die Online-Lehre geben beispielsweise Beiträge zu den Themen Kollaboratives Arbeiten, Beteiligung von Studierenden und Take-Home-Klausuren. Die Handreichung kann über die PerLe-Website abgerufen werden. ■

Gute Beispiele, praxiserprobt, aus unterschiedlichen Fachbereichen (Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften)

Beispiele von deutschen Hochschulen auf der Digital Learning Map des Hochschulforums Digitalisierung

Auch interessant und hilfreich für eine Stärkung der Zusammenar-beit und digitaler Interaktion kann der Einsatz innovativer digitaler Methoden sein, wie beispielsweise die Vertrauenskarten und Take-a-break-Karten Testberichte zu unterschiedlichen Tools und Programmen, teilweise:➜ www.e-teaching.org/technik/produkte➜ https://blogs.fu-berlin.de/ideenbar/tools

Gestaltung von Lehr-/Lernräumen, um Lehr- und Lernprozesse online begleiten zu können

Beispiele | innovative digitale Methoden

INFOBOX

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PERSPEKTIVEN 03.20PERSPEKTIVEN ➝ Digi ta l is ierung in der Lehre ➝ Methoden und Tools

Übersicht der Methoden und Tools

1 ZoomVideokonferenztool, bei dem zahlreiche Funktionen direkt integriert sind, die sich für den digitalen Lehrkontext eignen, darunter z. B. eine Chatfunktion, Breakout Räume 3 , die Möglichkeit, den eigenen Bildschirm zu teilen, Präsentationen und Videos zu integrieren oder ein digitales Whiteboard zu nutzen.

➜ 2 Kollaborativ arbeitenzur gleichen Zeit gemeinsam am selben Text oder Projekt arbeiten (im Gegensatz zu kooperativer Zusammenarbeit, bei der arbeitsteilig vorgegangen wird).

➜ 3 Breakout Räumeermöglichen ein Online-Meeting mit dem Videokonferenztool Zoom für Gruppenarbeitsphasen in bis zu 50 separate Sitzungen aufzuteilen. Zum Zoom-Videotutorial „Breakout Rooms“.

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➜ 4 Only Officeermöglicht online das kollaborative Erarbeiten von Dokumenten, Tabellen und Präsenta-tionen. Im OpenOlat, der zentralen E-Learning-Plattform der CAU, ist Only Office direkt integriert.

➜ 5 Teachable Machineermöglicht Online-Experimente mit Künstlicher Intelligenz. https://teachablemachine.withgoogle.com

➜ 6 ProctoringMit dem Begriff Online-Proctoring werden digitale Formate der Prüfungsbeaufsichti-gung bezeichnet, die sowohl ortsunabhängige als auch zuverlässige Prüfungen ermög-lichen sollen. Dabei absolvieren Studierende Tests vor laufenden Kameras, z. B. vor der Webcam und idealerweise noch vor zwei weiteren Kameras, damit sichergestellt ist, dass niemand spickt und sich keine weitere Person im Raum befindet. Rechtlich gibt es dabei u. a. in Bezug auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte noch viele offene Fragen.

7 Formative Assessmentsetzt auf individuelle Beurteilung und Lernreflexion, beispielsweise durch Lerntagebü-cher oder Wikis, die von den Lernenden für den weiteren Lernprozess genutzt werden. Lehrende treten dabei als Begleiter_innen und Coaches auf.

➜ 8 Synchrone vs. asynchrone LehreAsynchrone Lehr-Lern-Formate bzw. -Einheiten ermöglichen u. a. eine flexible Lern-planung, weil die Studierenden diese Angebote zeit- und ortsunabhängig im eigenen Tempo nutzen können. Darunter fallen z. B. Vorlesungsaufzeichnungen. An synchronen Lehrveranstaltungen bspw. in Form von Videokonferenzen nehmen Studierende dagegen zeitgleich teil, dort sind also u. a. Diskussionen und Rückmeldungen in Echtzeit möglich.

9 Etherpadwebbasierter Texteditor zur gemeinsamen, gleichzeitigen Bearbeitung von Texten. Mit Etherpad können mehrere Personen zugleich an einem Textdokument arbeiten, alle Änderungen werden allen Teilnehmenden in Echtzeit angezeigt.

➜ 10 JitsiSammlung freier Software für IP-Telefonie, Videokonferenzen und Instant Messaging.Teilnehmende erhalten über eine URL direkten Zugang zu Jitsi-Meetings. Neben der Videochat-Funktion bietet Jitsi die Möglichkeit, bspw. den eigenen Bildschirm oder auch Videos von Online-Plattformen zu teilen, ein Textchat-Fenster ist ebenfalls integriert.

11 BigBlueButtonwurde als Open-Source-Webkonferenzsystem speziell fürs E-Learning entwickelt. In BigBlueButton lassen sich Audio- und Videokonferenzen abhalten, es verfügt über einen integrierten offenen und privaten Chat, ein gemeinsames Whiteboard, ein Online-Um-fragetool und die Möglichkeit, Präsentationen, Videos oder den eigenen Bildschirm zu teilen. Teilnehmende einer Konferenz lassen sich per Link einladen.

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60 PERSPEKTIVEN ➝ Impressum

ImpressumHerausgeber: PerLe – Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Koboldstraße 4, 24118 Kiel, www.perle.uni-kiel.de Redaktion: Antonia Stahl Lektorat: Tina Ott, Rebecca Such, Lisei Martin Layout: DECK ZWEII; Julia Potthast, Christoph Jochims Fotos: unsplash, Adobe Stock, privat

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.Stand: Kiel, November 2020

Das Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe) wird von 2017 bis 2020 (unter dem Förderkennzeichen 01PL17068) aus Mitteln des Qualitätspakts Lehre des Bundesministe-riums für Bildung und Forschung gefördert. Es verfolgt das Ziel, die Qualität der Lehre und die Betreuung von Studierenden an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu verbessern. Dazu werden Maßnahmen in den Bereichen Studienorientierung und Studieneingangspha-se, Berufsorientierung und Praxisbezug sowie Lehr-Lern-Qualifizierung und Qualitätsentwick-lung der Lehre konzipiert und umgesetzt.