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Pfarrerin Sabine Sarpe, Ev. Stephanuskirche Borchen 11. September 2016, 16. Sonntag nach Trinitatis Predigttext: 2.Tim 1,7-10 Liebe Gemeinde, wir leben in Zeiten des Aufruhrs, wir leben in Zeiten der Angst. Angst wird bewusst geschürt, weil ängstliche Menschen dazu neigen, sich vor dem Starken und Mächtigen zu ducken. Angst braucht einen, an den man die Entscheidungsgewalt abgibt, Angst braucht auch immer jemanden, dem man die Schuld geben kann. Angst ist diffus, braucht keine genauen Informationen, die Dinge zurechtrücken oder ins rechte Maß bringen würde, Angst braucht in erster Linie Emotion, Gefühle. Gegenwärtig werden die sogenannten Werte des christlichen Abendlandes zu verteidigen gesucht, indem man Flüchtlinge generell zu Terroristen macht, indem man alle schon lange bestehenden wirtschaftlichen Probleme oder persönlichen Unzulänglichkeiten durch den Zuzug von Geflüchteten aus den Krisengebieten der Welt erklärt. Krisen, die in erster Linie entstanden sind, weil sich die großen Mächte darüber streiten, welche Konzerne den stärksten Zugriff auf die Ressourcen oder die strategisch günstige Lage haben sollen. Es werden ungeheuerlich hohe Summen genannt, die für die Asylbewerber ausgegeben werden, die aber auf der anderen Seite für die deutsche Bevölkerung fehlt. Unzufriedenheit wird bewusst und künstlich gefördert. Schuld ist dann nicht ein Wirtschaftssystem, das seit Jahren eine immer größere Ungerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt kreiert, so dass viele Menschen zwar Arbeit haben, aber nicht genug Lohn dafür bekommen, um ihre Familie davon gut ernähren zu können. Schuld sind auch hier, wir können es gleich erraten, die Ausländer. Deutschsein an sich wird plötzlich als Tugend erkannt und ich erinnere mich plötzlich an Zeiten, in denen es eine Frage des Überlebens war, ob man Deutsch war oder nicht. Wie erlebt ihr die Gespräche, an denen ihr teilnehmt oder die ihr mitbekommt? Ist es nicht so, dass man schon oft gar nichts mehr sagt, weil man das Gefühl hat, man gehöre zu einer kleinen Minderheit, wenn man anders denkt und fühlt? Verständnis wird aufgebracht für diejenigen, die das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein in ihrem Leben, Unverständnis und Kopfschütteln ernten die, die sich vehement dagegen aussprechen, Flüchtlinge ihrem Schicksal zu überlassen. Menschen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, werden als Gutmenschen beschimpft und dergleichen mehr. Und die Frage ist doch: Wo finde ich Halt und Orientierung? Wie kann ich selbst eine Antwort finden auf das diffuse Gefühl von Verunsicherung und Angst? Um die Werte des christlichen Abendlandes zu verteidigen hilft es manchmal ungemein, sich mit der Grundlage des Christentums auseinanderzusetzen, zu lesen, was in der Bibel steht. Gott mit hineinnehmen in die Angst und Verunsicherung. Und dann kann man wunderbare Schätze heben. Wie auch an diesem Sonntag im Predigttext. Der steht im 2. Timotheusbrief, im ersten Kapitel:

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Pfarrerin Sabine Sarpe, Ev. Stephanuskirche Borchen

11. September 2016, 16. Sonntag nach Trinitatis

Predigttext: 2.Tim 1,7-10

Liebe Gemeinde,

wir leben in Zeiten des Aufruhrs, wir leben in Zeiten der Angst. Angst wird bewusst geschürt, weil

ängstliche Menschen dazu neigen, sich vor dem Starken und Mächtigen zu ducken. Angst braucht

einen, an den man die Entscheidungsgewalt abgibt, Angst braucht auch immer jemanden, dem man

die Schuld geben kann. Angst ist diffus, braucht keine genauen Informationen, die Dinge

zurechtrücken oder ins rechte Maß bringen würde, Angst braucht in erster Linie Emotion, Gefühle.

Gegenwärtig werden die sogenannten Werte des christlichen Abendlandes zu verteidigen gesucht,

indem man Flüchtlinge generell zu Terroristen macht, indem man alle schon lange bestehenden

wirtschaftlichen Probleme oder persönlichen Unzulänglichkeiten durch den Zuzug von Geflüchteten

aus den Krisengebieten der Welt erklärt. Krisen, die in erster Linie entstanden sind, weil sich die

großen Mächte darüber streiten, welche Konzerne den stärksten Zugriff auf die Ressourcen oder die

strategisch günstige Lage haben sollen.

Es werden ungeheuerlich hohe Summen genannt, die für die Asylbewerber ausgegeben werden, die

aber auf der anderen Seite für die deutsche Bevölkerung fehlt.

Unzufriedenheit wird bewusst und künstlich gefördert. Schuld ist dann nicht ein Wirtschaftssystem,

das seit Jahren eine immer größere Ungerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt kreiert, so dass viele

Menschen zwar Arbeit haben, aber nicht genug Lohn dafür bekommen, um ihre Familie davon gut

ernähren zu können. Schuld sind auch hier, wir können es gleich erraten, die Ausländer. Deutschsein

an sich wird plötzlich als Tugend erkannt und ich erinnere mich plötzlich an Zeiten, in denen es eine

Frage des Überlebens war, ob man Deutsch war oder nicht.

Wie erlebt ihr die Gespräche, an denen ihr teilnehmt oder die ihr mitbekommt? Ist es nicht so, dass

man schon oft gar nichts mehr sagt, weil man das Gefühl hat, man gehöre zu einer kleinen

Minderheit, wenn man anders denkt und fühlt?

Verständnis wird aufgebracht für diejenigen, die das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein in

ihrem Leben, Unverständnis und Kopfschütteln ernten die, die sich vehement dagegen aussprechen,

Flüchtlinge ihrem Schicksal zu überlassen. Menschen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren,

werden als Gutmenschen beschimpft und dergleichen mehr.

Und die Frage ist doch: Wo finde ich Halt und Orientierung? Wie kann ich selbst eine Antwort finden

auf das diffuse Gefühl von Verunsicherung und Angst?

Um die Werte des christlichen Abendlandes zu verteidigen hilft es manchmal ungemein, sich mit der

Grundlage des Christentums auseinanderzusetzen, zu lesen, was in der Bibel steht. Gott mit

hineinnehmen in die Angst und Verunsicherung. Und dann kann man wunderbare Schätze heben.

Wie auch an diesem Sonntag im Predigttext. Der steht im 2. Timotheusbrief, im ersten Kapitel:

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Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der

Besonnenheit.

Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin,

sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.

Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern

nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der

Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die

Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das

Evangelium.

Habt ihr das gehört? Der Geist der Furcht hat mit Gottes lebendiger Gegenwart nicht das Geringste

zu tun!!! Wer aus dem Geist der Furcht heraus lebt, hat überhaupt nichts von dem begriffen, was

Gottes Verheißung in Jesus Christus für unser Leben bedeutet.

Wer aus dem Geist der Furcht lebt und handelt, der hört auf die Angstmacher, Vereinfacher, die

Herrschaftsmenschen, die nur der Macht der Gewalt und der Kontrolle trauen, weil sie nämlich sonst

spüren würden, dass sie gar kein sicheres Fundament unter ihren Füßen haben.

Nein, es ist ganz bestimmt nicht das christliche Abendland, das hier verteidigt wird, im Gegenteil. Es

ist menschliche Hilflosigkeit angesichts komplexer Zusammenhänge.

Was wir brauchen in Zeiten der Angst und Verunsicherung, das ist ein Geist der Kraft, der Liebe, und

der Besonnenheit.

Ja, vor allen Dingen Besonnenheit! Eine Besonnenheit, die nicht auf jede Schreckensnachricht der

Medien aufspringt und meint, nun mit Aktionismus reagieren zu müssen. Verbietet die Burka!,

schreien sie, verbietet das Ganzkörpergewand!, verbietet das Kopftuch! Verbietet alles, was uns

beunruhigt und was wir nicht kennen!

Und wir können verbieten und kontrollieren und werden eines nicht erreichen: Vollständige

Sicherheit und Kontrolle. Aber wir werden etwas anderes mit Sicherheit erreichen: dass das

Misstrauen wächst, dass Vertrauen zerstört wird zwischen Kulturen, die sich schon aufeinander

zubewegt haben, die schon so viel erreicht haben.

Die Wahrheit unseres christlichen Glaubens können wir nicht verordnen, wir können sie aber

glaubwürdig leben und erlebbar machen.

Wenn Menschen anderer Kulturen und Religionen erleben, dass die christlichen Werte auch ihnen

gelten, dass Menschen Liebe entgegengebracht wird, weil die Christen aus Gottes Geist mit Kraft,

Liebe und Besonnenheit schöpfen, dann wird Gottes Gegenwart lebendig.

Ich kann es nicht wegreden, dass es viel zu viele Menschen gibt, die versuchen, uns mit Hass und

Gewalt einzuschüchtern, die versuchen, durch ihre schrecklichen Taten die westliche, und damit

auch die christlich orientierte Gesellschaft so zu provozieren, dass Wut und Rache zum Ratgeber

politischen Handelns und Denkens werden statt Liebe und Besonnenheit. Aber ich weiß, dass diesen

einzelnen, hasserfüllten Menschen Hunderttausende entgegenstehen, die nichts dergleichen im Sinn

haben, die am liebsten dort bleiben würden, wo sie herkommen, die am liebsten ein friedliches und

erfülltes Leben führen möchten. Und das nicht tun können. Sie hoffen darauf, dass das, was sie über

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die westliche Welt, was sie über Deutschland gehört haben, Wirklichkeit ist: dass es hier ein Recht

auf Unversehrtheit gibt, dass sich die Polizisten und Staatsbeamte an das Gesetz halten, dass sie

menschenwürdig behandelt werden, dass sie etwas zu essen bekommen und ein Dach über dem

Kopf haben sollen, bis sie für sich selbst sorgen können. Kurz, dass die Christen in einer Demokratie

leben, in der die Freiheit eines jeden Menschen ein hohes Gut ist. Dass man hier keine Angst mehr

haben muss. Denn Angst haben sie schon genug erlebt. Vor der Flucht, während der Flucht und oft

genug leider auch nach der Flucht.

Was ich sage, ist vielleicht eine Zumutung für den einen oder anderen. Aber ja, denn unser Glaube ist

auch eine Zumutung an uns, an jeden einzelnen Christen.

Lehret sie halten alles, was ich euch aufgetragen habe – das haben wir gerade im Taufbefehl von

Jesus an seine Jünger gehört. Mit der Taufe sind wir keine fertigen Christen. Wir haben etwas zu tun.

Christus hat sich den Menschen geöffnet und hat jedem einen Anteil an Gottes Zusage und Liebe

gegönnt: die Ausländer und Andersgläubigen, die Kinder, die Frauen, die Sklaven, die Reichen, die

Armen – sie alle durften zu ihm kommen und durften ihre Angst ablegen.

„Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener

bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.“ Das steht im Brief an Timotheus.

Haltet an der Verheißung Gottes fest und ihr werdet in seiner Kraft, seiner Liebe und Besonnenheit

leben können, auch wenn es nicht immer nur leicht, nicht immer nur schön ist. Nachfolge heißt

Nachfolge. Und dabei dürfen wir auch mal Fehler machen, müssen unsere Erfahrungen machen und

dürfen immer wieder von vorn beginnen, denn Martin Luther beschreibt es so:

Das christliche Leben ist nicht Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht Gesundsein, sondern ein

Gesundwerden, nicht Sein, sondern ein Werden, nicht Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch

nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan und geschehn, es ist aber in Gang und in Schwang. Es

ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glühet und glänzet noch nicht alles, es bessert sich aber

alles. (Martin Luther)

Und zum Schluss möchte ich noch eine Frage des Religionsphilosophen Sören Kierkegaard an uns alle

stellen:

Und wenn die Sanduhr der Zweiteiligkeit abgelaufen ist, wenn die Geräusche des weltlichen Lebens

verklungen sind und sein rastloser, unwirksamer Aktionismus zu einem Halt gekommen ist, wenn alles

still ist wie in der Ewigkeit, dann fragt die Ewigkeit dich und jedes Individuum dieser Millionen und

Abermillionen: Lebtest du in Hoffnungslosigkeit oder nicht? (Sören Kierkegaard 1813-1855)

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der

Besonnenheit. Amen.