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.. Biologie in unserer Zeit Hans Mohr Pflanzenphysiologie in China Im Rahmen eines Vertrags uber wissenschaft- liche Zusammenarbeit zwischen der Academia Sinica und der Max-Planck-Gesellschaft konnte eine 5kopfige ,,Delegation fur Pflan- zenphysiologie und Pflanzenbau" im April/ Mai 1981 die Volksrepublik China bereisen. Die Akademie hatte entsprechend unseren Vorschlagen eine Reiseroute ausgewahlt, die es ermiiglichte, die wichtigsten botanischen, pflanzenphysiologischen und mikrobiologi- schen Institute der Academia Sinica sowie das Institut fur die Modernisierung der Landwirt- schaft zu besuchen. Uber die Akademie-Insti- tutc wurden weitere Verbindungen mit regio- nalcn landwirtschaftlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Provinzen und Kreise hergestellt. Die bei der Reise gewonnenen Erfahrungen konnte ich durch Kontakte mit jungeren chi- nesischen Wissenschaftlern, die als Hurn- boldt-Stipendiaten ihre Ausbildung in Deutschland fortsetzen, erganzen. Eine Fulle von Einsichten verdanke ich schliealich Professor Pei-sung Tang, dem Ne- stor der chinesischen Pflanzenphysiologie. Er hat mir im Gesprach und durch seine autobio- graphischen Schriften [ 1, 21 besonders gehol- fen, die Entwicklung und die Perspektiven un- seres Faches in der Volksrepublik China zu verstehen. Der Hintergrund Obgleich China auf eine ehrwurdige wissen- schaftliche Tradition und auf eine bewun- dernswerte agrarische Zivilisation zuruckblik- ken kann [3], wurde die Pflanzenphysiologie als eine moderne wissenschaftliche Disziplin erst vor etwa 50 Jahren in China eingefiihrt. Die amcrikanische Pflanzenphysiologie lei- stete bei diesem Prozei3 die wesentliche Start- hilfe. Um 1930 begann mit der Ruckkehr von T. T. Li, T. L. Loo und P. S. Tang nach China Lehre und Forschung an drei der traditionel- Ien Universitaten: Nankai Universitat im Nor- den, Sun Yatsen Universitat im Suden, Wuhan Biologic in iozwe~ Zeit I 14. Jahrg. 1984 / Nu. I 0 Verlug Clwrriie GrnbH, 0-6940 Weinheim, 1984 04~-20~X/84/0~10-0129 $ 02.50/0 Universitat in Zcntralchina. Die drei Herren haben sich selbst gern als die ,,erste Genera- tion der chinesischen Pflanzciiphysiologen" bezeichnet. Li hatte in Yale studiert, Tang an derjohns Hopkins Universitat und in Harvard und Loo bei Sakaniura in Japan. Alle drei zo- gen hervorragend begabte Schuler an ("second generation plant physiologists", etwa 20 an der Zahl), die sich in der Regel in dcn USA fortbildeten und die zur Zeit uiiseres Besuches immer noch - nach einer 8 - IOjihrigen Un- terbrechung durch die Kulturrevolution - die fiihrenden Positionen in Lehrc und Forschung innehattcn. Die Entwicklung bis 1977 Die von den Pionieren bevorzugten For- schungsgebiete entsprachen den theoretischen und praktischen Interessen unseres Faches in den 30er Jahren: Loo studierte Pflanzenernah- rung (Mineralaufnahme), Li arbeitete uber Wachstum und Entwicklung und auch Tang blieb der Forschungsrichtung treu, die er als postdoctoral fellow in Harvard eingcschlagen hatte: Atmungsstoffwechscl. In den wenigen friedlichen Jahren bis 1937 stand die Grundla- genforschung im Vordergrund - eine unter den gegebenen Umstanden betnerkenswert er- folgreiche Fortschreibung des in den USA an- genommenen Forschungsstils. Die Arbeit von Tang (IY32), die den Nachweis der Cytochrom- oxidasc in hbheren Pflanzen zuin Inhalt hat, kann als beispielhaft fur diesc Periode gel- ten. Der Ausbruch des Krieges mit japan veran- IaRte eine Wendung hin zur Jrojcktfor- schung" mit dem Ziel einer miiglichst unmit- telbaren Umsetzung pfianzenphysiologischen Wissens in landwirtschaftlichcn Ertrag. Ich konnte nicht in Erfahrung bringen, wie erfolg- reich sich dieses Engagement seincvzeit ausge- wirkt hat. Nach der Griindung der Volksrepublik China (1949) muRte das amerikanische Vorbild auf- gegeben werden. Lehre und Forschung wur- 129

Pflanzenphysiologie in China

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. . Biologie in unserer Zeit

Hans Mohr Pflanzenphysiologie in China

Im Rahmen eines Vertrags uber wissenschaft- liche Zusammenarbeit zwischen der Academia Sinica und der Max-Planck-Gesellschaft konnte eine 5kopfige ,,Delegation fur Pflan- zenphysiologie und Pflanzenbau" im April/ Mai 1981 die Volksrepublik China bereisen. Die Akademie hatte entsprechend unseren Vorschlagen eine Reiseroute ausgewahlt, die es ermiiglichte, die wichtigsten botanischen, pflanzenphysiologischen und mikrobiologi- schen Institute der Academia Sinica sowie das Institut fur die Modernisierung der Landwirt- schaft zu besuchen. Uber die Akademie-Insti- tutc wurden weitere Verbindungen mit regio- nalcn landwirtschaftlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Provinzen und Kreise hergestellt.

Die bei der Reise gewonnenen Erfahrungen konnte ich durch Kontakte mit jungeren chi- nesischen Wissenschaftlern, die als Hurn- boldt-Stipendiaten ihre Ausbildung in Deutschland fortsetzen, erganzen.

Eine Fulle von Einsichten verdanke ich schliealich Professor Pei-sung Tang, dem Ne- stor der chinesischen Pflanzenphysiologie. Er hat mir im Gesprach und durch seine autobio- graphischen Schriften [ 1, 21 besonders gehol- fen, die Entwicklung und die Perspektiven un- seres Faches in der Volksrepublik China zu verstehen.

Der Hintergrund

Obgleich China auf eine ehrwurdige wissen- schaftliche Tradition und auf eine bewun- dernswerte agrarische Zivilisation zuruckblik- ken kann [3] , wurde die Pflanzenphysiologie als eine moderne wissenschaftliche Disziplin erst vor etwa 50 Jahren in China eingefiihrt. Die amcrikanische Pflanzenphysiologie lei- stete bei diesem Prozei3 die wesentliche Start- hilfe. Um 1930 begann mit der Ruckkehr von T. T. Li, T. L. Loo und P. S. Tang nach China Lehre und Forschung an drei der traditionel- Ien Universitaten: Nankai Universitat im Nor- den, Sun Yatsen Universitat im Suden, Wuhan

Biologic in i o z w e ~ Zeit I 14. Jahrg. 1984 / Nu. I

0 Verlug Clwrriie GrnbH, 0-6940 Weinheim, 1984 04~-20~X/84/0~10-0129 $ 02.50/0

Universitat in Zcntralchina. Die drei Herren haben sich selbst gern als die ,,erste Genera- tion der chinesischen Pflanzciiphysiologen" bezeichnet. Li hatte in Yale studiert, Tang a n derjohns Hopkins Universitat und in Harvard und Loo bei Sakaniura in Japan. Alle drei zo- gen hervorragend begabte Schuler an ("second generation plant physiologists", etwa 20 an der Zahl), die sich in der Regel in dcn USA fortbildeten und die zur Zeit uiiseres Besuches immer noch - nach einer 8 - IOjihrigen Un- terbrechung durch die Kulturrevolution - die fiihrenden Positionen in Lehrc und Forschung innehattcn.

Die Entwicklung bis 1977

Die von den Pionieren bevorzugten For- schungsgebiete entsprachen den theoretischen und praktischen Interessen unseres Faches in den 30er Jahren: Loo studierte Pflanzenernah- rung (Mineralaufnahme), Li arbeitete uber Wachstum und Entwicklung und auch Tang blieb der Forschungsrichtung treu, die er als postdoctoral fellow in Harvard eingcschlagen hatte: Atmungsstoffwechscl. I n den wenigen friedlichen Jahren bis 1937 stand die Grundla- genforschung im Vordergrund - eine unter den gegebenen Umstanden betnerkenswert er- folgreiche Fortschreibung des in den USA an- genommenen Forschungsstils. Die Arbeit von

Tang (IY32), die den Nachweis der Cytochrom- oxidasc in hbheren Pflanzen zuin Inhalt hat, kann als beispielhaft fur diesc Periode gel- ten.

Der Ausbruch des Krieges mit japan veran- IaRte eine Wendung hin zur Jrojcktfor- schung" mit dem Ziel einer miiglichst unmit- telbaren Umsetzung pfianzenphysiologischen Wissens in landwirtschaftlichcn Ertrag. Ich konnte nicht in Erfahrung bringen, wie erfolg- reich sich dieses Engagement seincvzeit ausge- wirkt hat.

Nach der Griindung der Volksrepublik China (1949) muRte das amerikanische Vorbild auf- gegeben werden. Lehre und Forschung wur-

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den nach einer mehrjahrigen Ubergangszeit, in der praktisch nichts passierte, im sowjeti- schen Stil umorganisiert. Dies bedeutete fur die Forschung eine Konzentration auf die In- stitute der Akademie. Das Institut fur Pflan- zenphysiologie der Academia Sinica wurde bereits 1953 gegrundet. Es soll damals etwa 50 wissenschaftliche Mitarbeiter umfaBt haben. Bei unserem Besuch wurde die Zahl der "scientific workers" mit 400 beziffert. Im Zuge der Anpassung der Wissenschaftsorgani- sation an die Verhaltnisse in der UdSSR wur- den auch Lehrkrafte aus der Sowjetunion im- portiert. Dies bedeutete eine Indoktrination rnit der ,,Progressiven Neuen Biologie'' im Stil von Lyssenko, die von den erfahrenen chinesi- schen Pflanzenphysiologen, die sich nach dem Vorbild von Tang auch weiterhin auf Maxi- movs vorzugliches Lebrbucb der Pfanzenpby- siologie stutzten, nur teilweise aufgefangen werden konnte. Trotz aller Bemuhungen, dem ,,Neuen China" zu dienen - Tang fuhrte uner- mudlich "training courses" durch und verbrei- tete ein Lehrjournal, Plant Pbysiology Commu- nications - konnte die Forschung in den 50er Jahren den AnschluB an das Niveau der westli- chen Welt nur schwer finden. Es war einfach zu vie1 nachzuholen, und es geriet immer wie- der neuer Sand ins Getriebe. Im Jahr 1963 wurde dann endlich die "Chinese Society of Plant Physiologists" gegrundet, und ab 1964 erschien ihr offizielles Organ, Actu Pbytophy- siologica Sinica. Auch das quantitative Wachs- tum der Pflanzenphysiologie wahrend dieser Zeitspanne wird mit eindrucksvollen Zahlen belegt. Es soll 1963 bereits mehr als 1000 "plant physiology graduates" (was immer dies qualitativ bedeuten mag) gegeben haben, eine Steigerung um das 20-30fache innerhalb einer Dekade. Die Kulturrevolution (1966) machte auch vor den praxisrelevanten Institutionen der Academia Sinica nicht halt. Wahrend der Herrschaft der ,,Kulturrevolutionare"und der ,,Viererbande" (1966- 1977) gab es keine geordnete oder geregelte pflanzenphysiologi- sche Forschung und Lehre. Die meisten Jour- nale, einschliefllich Acta Pbytopbysiologica Si- nica und Acta Biophysica Sinica, stellten ihr Er- scheinen ein. Acta Botanica Sinica blieb zwar als Publikationsorgan erhalten, aber die verof- fentlichten ,,Arbeiten" waren - um meine chi- nesischen Gewahrsleute wortlich zu zitieren - "of a nature unfamiliar to scientists in and outside the country".

Erst nach 1977 konnten die wissenschaftlichen Institutionen in China daran gehen, Lehre und Forschung wieder aufzubauen. Die Academia Sinica, die wahrend der Kulturrevolution ihre

administrative Autoritat weitgehend verloren hatte, erhielt schrittweise ihren fruheren Ein- fluB zuriick. Sie wurde wieder voll verant- wortlich fur die Planung, Ausrichtung und Kontrolle der Forschung. Da eine Ausbil- dungs- und Erfahrungslucke von 10 Jahren bestand, muBte man bei der Reetablierung der Akademie nolens volens auf die alten Exper- ten - soweit sie die Kulturrevolution uberlebt hatten - zuruckgreifen, ein wesentlicher Grund fur die auch 1981 noch spurbare ,,Ver- greisung" in den Leitungsfunktionen der In- stitute.

Der Aufbruch im Jahr 1978

Die Frage, auf welchen Gebieten und in wel- chem Umfang die Volksrepublik China sich kostspielige Grundlagenforschung leisten kann, ist auch nach dem Abebben der Kultur- revolution ein standiger Diskussions- und Streitpunkt geblieben [4]. Um 1977 lag China in seiner wissenschaftlich-technischen Ent- wicklung um wenigstens 15-20 Jahre gegen- uber der westlichen Welt zuruck. In der neuen wirtschaftlichen und kulturellen Aufbruch- stimmung von 1978 ging die Begeisterung so weit, dal3 allen Ernstes die Vision proklamiert wurde, China werde sich innerhalb von 3 Achtjahresplanen so weit entwickeln "to catch up or surpass advanced world levels in all branches by the year 2000" [4]. Man verliei3 sich bei diesen Extrapolationen nicht nur auf den Reichtum an Ressourcen und Begabun- gen, sondern auch auf den FleiQ und auf die so oft erprobte Belastbarkeit der immer noch zu 80% landlichen Bevolkerung.

Die Wissenschaft wurde in dem 1978 konzi- pierten ,,Achtjahresplan fur die wissenschaft- liche Entwicklung" als unmittelbare Produk- tivkraft angesehen. Acht Schwerpunktgebiete wurden ausgewahlt, unter ihnen Landwirt- schaft und Energieerzeugung. In diesem Zu- sammenhang wurden auch die einschlagigen Akademie-Institute in ihrer Funktion bestatigt - Forschung und, damit verbunden, Ausbil- dung von ausgewahlten, hervorragenden Stu- denten. "Expertness" sollte wieder den Vor- rang vor "Redness" haben. Wissenschaftler sollten wieder ausschliefilich nach ihrer Lei- stung beurteilt werden; Range und Titel wur- den wieder eingefuhrt; Preise und Auszeich- nungen wieder geschaffen und verliehen. Wis- senschaftliche Kontakte mit dem westlichen Ausland wurden wieder hergestellt (als Bei- spiel kann der Kooperationsvertrag zwischen der Academia Sinica und der Max-Planck- Gesellschaft dienen, der unsere Delegation er-

moglichte), und jungere chinesische Wissen- schaftler wurden zur Fortbildung ins Ausland geschickt.

Es soll seinerzeit von Seiten der Parteifunktio- nare erheblichen, zum Teil erbitterten Wider- stand gegen die drastischen Anderungen im Wertesystem und gegen die schnell vollzogene Rehabilitierung der klassischen Wissenschaf- ten gegeben haben, im Laufe des Jahres 1979 kehrten die Wissenschaft und die Wissen- schaftler definitiv (?) in eine Spitzenposition zuruck. Im Zusammenhang mit dem Schwer- punkt ,,Produktions- und Produktivitatsstei- gerung in der Landwirtschaft" wurde auch die herausragende Bedeutung der Pflanzenphy- siologie bestatigt.

Im Jahr 1980 - so wurde uns berichtet - seien mehr als 1000 Dozenten im Fach Pflanzen- physiologie an Universitaten, Landwirtschaft- lichen Hochschulen und Technischen Fach- hochschulen tatig gewesen, und etwa dieselbe Zahl arbeitete in den wissenschaftlichen For- schungseinrichtungen auf allen Ebenen, von den nationalen Akademie-Instituten uber die Institute der Provinzen bis herunter zu den Kreisen und Kommunen.

Probleme - von der Praxis gestellt

Fur unsere Gesprachspartner waren zwei Pro- bleme vorrangig: Wie l a k sich die Ernahrung der rund 1000 Millionen Chinesen gewahrlei- sten? Wie lassen sich die drangenden Umwelt- probleme meistern? - Die Verschmutzung von Luft (SO,!) und Wasser bilden in China ein immenses Problem, ebenso die Waldver- nichtung und der unheimlich rasche Verlust an Bodensubstanz [ 5 ] . Besonders bedruckend wird der standige Energiemangel empfunden, der die Landbevolkerung zwingt, nicht nur die noch bestehenden Walder, sondern auch die muhsam und mit hohem Aufwand neu aufge- forsteten Areale substantiell anzugreifen. Der Energiemangel und die industriell bedingte Umweltverschmutzung werden in erster Linie darauf zuruckgefiihrt, daB Kohle, Chinas hauptsachliche Energiequelle, extrem ineffi- zient transportiert und eingesetzt wird. Nach neuesten Angaben [5] benotigte China 1979 2,4 kg Steinkohle fur einen Dollar Bruttosozial- produkt, Japan 0,6 kg. Uber diese Probleme wurde 1981 in China ganz offen gesprochen. In dem Magazin China Reconstructs, das in den Auslanderhotels ausliegt, wurden die Energie- und Umweltprobleme der Ballungszentren und der landlichen Regionen seinerzeit auch kritisch behandelt. Der ,,nationalen Kampa-

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gne“ zugunsten einer Wiederaufforstung wurde dabei offensichtlich Vorrang zugebil- ligt. Dementsprechend geniefit auch die Ar- beit der forstlich oder forstbotanisch orien- tierten Institute ein hohes Ansehen. Wir ha- ben dort auch ein uberdurchschnittlich hohes Mag an Kompetenz und Engagement ange- troffen.

Enttauschend war die von uns dringend ge- wunschte und muhsam durchgesetzte Besich- tigung einiger Biogasanlagen in Zentralchina. Entgegen den bei uns umlaufenden Legenden billigen die Chinesen dieser Art von Ener- gieerzeugung keine Prioritat zu.

D e r Stand der Forschung 1981

Die Grundlagen traditioneller pflanzenphy- siologischer Forschung, wie sie von den ,,Va- tern“ der Pflanzenphysiologie in China in den 30er Jahren nach amerikanischem Vorbild ein- gefuhrt wurden, sind praktisch in voller Breite vertreten und etwa bis auf den Stand der fru- hen 60er Jahre fortentwickelt worden. Ein- zelne Spitzen ragen auch in die 70er Jahre hinein, insbesondere der offensichtliche Schwerpunkt ,,Gewebekultur”, wobei der An- wendung der Antherenkultur fur die Pflan- zenzuchtung besondere Wertschatzung gilt. Wir trafen entsprechende, aktive Arbeitsgrup- pen in nahezu allen besuchten Institutionen in technisch recht guter Ausstattung an. Auch das Studium der Heterosiseffekte und die Ver- suche zur parasexuellen Hybridisierung sind in verschiedenen Instituten en vogue. Projekt- forschung zur Distickstoffixierung gehort zum eingefahrenen Repertoire. Pharmazeuti- sche Biologie scheint an einigen wichtigen

Stellen, besonders in Kunming, immer mehr ein Forschungsschwerpunkt zu werden. Mole- kularbiologische Betrachtungsweisen waren zwar durchaus allgemein bekannt, aber eine wirkliche Verarbeitung dieser Gesichtspunkte und ein wenigstens punktueller Einbau in ei- gene nriginelle Forschungsansatze war an- scheinend noch nicht gelungen.

Unmittelbar praxisrelevante Probleme (Er- nahrungssicherung!) stehen auch bei den Aka- demie-Instituten im Vordergrund, wenn es auch Gruppen gibt, die ausdriicklich Grundla- genforschung betreiben. Thematisch ist die Uberlappung pflanzenphysiologischer und landwirtschaftlich-pflanzenbaulicher For- schung zwischen den Akademie-Instituten und den landwirtschaftlichen Forschungsin- stitutionen nahezu vollstandig; organisato- risch, im Sinne einer konsequenten Zusam- menarbeit, aber nur selten realisiert.

Den nieisten chinesischen Kollegen ist der Ruckstand der pflanzenphysiologischen For- schung gegenuber den westlichen Landern durchaus bewuflt, wobei immer wieder betont wird, dai3 daran zu einem erheblichen Teil die Kulturrevolution schuld sei. In den meisten Instituten war aber Optimismus hinsichtlich der kunftigen wissenschaftlichen Arbeitsmog- lichkeiten zu verspuren. Er wird genahrt von der offensichtlich besser werdenden Versor- gung mit modernen Geraten (in erster Linie aus Japan) und durch Institutsneubauten, fer- ner durch die Hoffnung, dai3 die Offnung des Landes, gerade auch dem Westen gegenuber, in Zukunft zu einem verstarkten wissenschaft- lichen Austausch fuhren wird.

Die personelle Situation

Zahlenmaflig sind alle Institute reichlich mit Wissenschaftlern besetzt, die in der Mehrzahl allerdings wohl kaum uber dem B. Sc.-Niveau einzustufen sind. Auch an einfachen techni- schen Hilfskraften fehlt es anscheinend nicht. Der Zustand der Haustechnik und insbeson- dere der Gerate Iai3t aber auf einen Mange1 an effektiv arbeitenden Facharbeitern der mittle- ren technischen Ebene schliei3en.

Im Altersaufbau des wissenschaftlichen Perso- nals lassen sich deutlich drei Generationen un- terscheiden. Die Generation uber 50 Jahre, die vorwiegend die Instituts- und Abteilungsleiter stellt, Fremdsprachenkenntnisse aufweist und meist noch langere Zeit im Ausland studiert bzw. wissenschaftlich gearbeitet hatte. Deren Vertreter haben noch umfassende Kenntnisse

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auf dem Gesamtgebiet, zumindest was den Wissensstand der fruheren Jahrzehnte betrifft. Sie sind aber anscheinend sehr stark mit for- malen, administrativen Aufgaben belastet und haben meist nur wenig Zeit zur eigenen un- mittelbaren Forschungsarbeit. Einige von ih- nen bestachen aber durch eine umfassende Vertrautheit mit den Forschungsarbeiten in ih- ren Instituten, selbst auf weit auseinanderlie- genden Gebieten.

Die Wissenschaftler zwischen 35 und 50 Jah- ren konnten ihre Ausbildung noch vor der Kulturrevolution beschliei3en und die wissen- schaftliche Arbeit beginnen. Die meist IOjah- rige Unterbrechung durch die Kulturrevolu- tion hat sich bei dieser Generation besonders negativ und nachhaltig ausgewirkt. Sie sind zwar auf ihrem Spezialgebiet meist noch gut orientiert, aber in der Regel recht eng auf die- ses beschrankt. Mangelnde oder zumindest ungenugende Fremdsprachenkenntnisse bei den meisten Vertretern dieser Generation er- schwert ihnen den Zugang zur internationalen Literatur. Hinzu kommt freilich, dai3 wahrend der Kulturrevolution die Bibliotheken ver- nachlassigt, nicht selten sogar zerstort wur- den. Die Leute dieser Generation halten die unteren und mittleren Planstellen besetzt. Die meisten sind, so scheint es, nur noch einge- schrankt fortbildungsfahig. Viele von ihnen drangen aber in Leitungsfunktionen, die der- zeit von der ,,alten Garde" geraumt werden.

Die Generation der 25- bis 35jahrigen ist zah- IenmaRig nur sparlich vertreten. Der Ausfall zahlreicher Doktoranden- und Diplomanden- jahrgange wirkt sich in dieser Altersgruppe verheerend aus. Allerdings haben wir in dieser Generation einige brilliante und eigenwillige Kopfe getroffen.

Neuerdings laufen an den Universitaten wie- der geregelte Lehrplane mit AbschluBprufun- gen an, die nicht wie in den vergangenen Jah- ren automatisch von jedem bestanden werden. So wird wissenschaftlich vorgebildeter und zu origineller Leistung befahigter Nachwuchs in einigen Jahren wieder in groBerer Zahl verfug- bar sein. Dann wird auch das immense Bega- bungspotential, uber das China verfugt, ver- mutlich wieder zum Vorschein kommen. Die Lucke von etwa 10 Jahrgangen wird aber ohne Zweifel noch lange nachwirken.

Die Spuren der Kulturrevolution sind noch al- lenthalben erkennbar. Man wird unter diesen Umstanden von den chinesischen Instituten keine internationalen Spitzenleistungen er- warten. Es hat uns aber beeindruckt, wie schnell und konsequent manche unserer chi- nesischen Kollegen die internationalen Fort- schritte in ihre meist an den Belangen der Pra- xis orientierten Forschungsprogramme einbe- ziehen. Es scheint, dai3 einige der begabten und engagierten jungeren Forscher den An- schlui3 an die als leuchtende Beispiele heraus- gestellten Leistungen der fruhen 60er Jahre [I] finden werden. Seinerzeit standen die origi- nellen Arbeiten von Yin et al. uber den Mecha- nismus der Photophosphorylierung, von Yen uber kontraktile pflanzliche Proteine, von Lou uber Aktionspotentiale und Reizleitung und von Tang et al. uber den Atmungsstoffwechsel auch international in hohem Ansehen. Das Ziel, das die Academia Sinica mit ihrem Aus- tauschprogramm verfolgt, besteht darin, jun- gere Wissenschaftler, die wahrend der Kultur- revolution keine geregelte Ausbildung erfah- ren haben, soweit fortzubilden, dai3 sie mit den Ideen und den Geraten der 80er Jahre um- gehen konnen. Dies kann vermutlich nur da- durch erreicht werden, dai3 man begabte, noch voll aufnahmefahige Wissenschaftler fur ein bis zwei Jahre ins Ausland schickt und ihnen nach der Ruckkehr die Moglichkeit gibt, sich entsprechend technisch einzurichten. Wenn das letztere nicht gewahrleistet ist, geht die wahrend des Auslandsaufenthaltes erworbene Kompetenz erfahrungsgemag rasch wieder verloren. Eine weitere Voraussetzung scheint mir aber noch wichtiger zu sein. Es geht um die Schaffung einer Atmosphare, in der For- schungsenthusiasmus, Originalitat und Krea- tivitat gedeihen konnen und belohnt werden, auch durch einen friihen Aufstieg in Leitungs- positionen. Hier sieht es zur Zeit nicht gut aus. ,,About 40 per cent of the research sub- jects undertaken in China duplicate foreign re- search which has already produced results; the degree of duplication within the country is even higher - no less than 980 units in China are developing haploid seed breeding - des- pite a shortage of manpower and money; 28 of 63 projects introduced in 1978 and 1979 in Shanghai's institutions were duplicating each other ..." [4].

Literatur

[I] Pei-sung Tang: Fifty years of plant physio- logy in China: a prelude to the new long march. Bioscience 30, 524-528 (1980).

[2] Pei-sung Tang: Aspirations, reality and cir- cumstances: the devious trail of a roaming plant physiologist. Ann. Rev. Plant Physiol. 34, 1-9 (1983).

[3] Needham, J.: Science and Civilization in China. London: Cambridge University Press (1954).

[4] Orleans, L. A.: Science, elitism, and eco- nomic readjustment in China. Science 215, 472-477 (1982).

[ 5 ] Sun, M.: China faces environmental chal- lenge. Science 221, 1271-1272 (1983).

Anschrift: Eine Bilanz

Was hat die Pflanzenphysiologie in China seit 1978, seit dem ,,neuen Aufbruch" erreicht?

Prof. Dr. H. Mohr, Institut fur Biologie 11, Universitat Freiburg, SchanzlestraBe 1, D-7800 Freiburg.

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