Piaget revisited. Piagets Entwicklungstheorie erneut betrachtet
32. Pdagogiklehrertag 19. September 2012 1
Folie 2
1.Zu Besuch bei Piaget die besondere Persnlichkeit 2.Piaget
heute eine Umschau 3.Komplikationen im Verstehen 4.Ausgangs- und
Ankunftspunkte der Genese 5.Piaget heute ein Pldoyer 2
Folie 3
http://4.bp.blogspot.com/-
qKrm5ibnWoo/T58Co4y4shI/AAAAAAAABVw/cxVAEbrES64/s1600
/Jean+Piaget.jpg, 14.09.2012. Jean Piaget 1896-1980 3 Laut Whos Who
erhielt Jean Piaget weltweit mehr als 30 Ehrendoktorwrden.
Folie 4
1. Zu Besuch bei Piaget die besondere Persnlichkeit 4
Folie 5
5
Folie 6
Damals [vor Studenten in Baltimore] habe ich ber die Kreativitt
beim Kind gesprochen, das war selbstverstndlich, aber die Studenten
wollten wissen, wie ich meine eigenen Ideen finde. Die Frage machte
mich ziemlich verlegen, denn damit hatte ich mich wenig beschftigt.
Immerhin, nach einigem Nachdenken habe ich ihnen gesagt, da ich
mich an drei Verfahren halte. [] 6
Folie 7
Erstens: nichts ber das Gebiet lesen, mit dem man sich gerade
beschftigt. Die Lektre kommt erst danach. Zweitens: so viel wie
mglich ber die Nachbargebiete lesen. Fr das Studium der
Intelligenzentwicklung sind das einerseits die Biologie und
andererseits die Mathematik und Logik, aber auch die Soziologie
usw., kurz, alles, was irgendwie mit dem Thema, ber das man
forscht, zusammenhngt. Drittens: man braucht ein rotes Tuch. Mein
rotes Tuch ist der logische Positivismus. Jean-Claude Bringuier
(1996): Jean Piaget. Im allgemeinen werde ich falsch verstanden.
bers. von Enrico Heinemann und Reinhard Tiffert. Mit einem Vorwort
zur deutschen Ausgabe von May Widmer- Perrenoud. Hamburg [Paris
1977], S. 189f. 7
Folie 8
Heinz von Foerster erinnert sich an seine Begegnung mit Piaget
an dessen 80. Geburtstag: Es war gerade eine Hitzewelle, wie man
sie in Genf berhaupt noch nie erlebt hatte. Es mssen 45 im Schatten
gewesen sein. Alle waren in Hemdsrmeln und schwitzten, niemand
hatte eine Krawatte. Und der Piaget erschien mit einer Weste, mit
einem schwarzen Sakko, mit dicken Hosen, einem Leinenhemd und hatte
hohe Stiefel an, mit Hakenverschnrung die halbe Wade hinauf. So ist
er dagesessen und hat den Gentleman gespielt. Heinz von Foerster
Ernst von Glasersfeld ( 4 2010): Wie wir uns erfinden. Eine
Autobiografie des radikalen Konstruktivismus. Unter Mitarbeit von
Hans Rudi Fischer. Heidelberg, S. 105. 8
Folie 9
Ernst von Glasersfeld zu Heinz von Foerster: Piaget hat in dem
Buch, das von der Geburtstagsfeier verffentlicht wurde,
geschrieben, deine Ausfhrungen seien ein schnes Geschenk fr ihn
gewesen, denn sie htten ihm besttigt, da die physischen Gegenstnde
nichts seien als Hindernisse, an die der Organismus sich anpassen
mu. Heinz von Foerster Ernst von Glasersfeld, Wie wir uns erfinden,
a. a. O., S. 106. 9
Folie 10
Charles Taylor uert sich 1975: Die genetische Psychologie wird
von der Gestalt Piagets beherrscht, und kein Philosoph kann ohne
eine gewisse Befangenheit seine Gedanken zu diesem Thema vortragen,
da die tzenden, wenig schmeichelhaften Bemerkungen des groen alten
Mannes ber die Philosophen als solche ihm noch im Ohr klingen.
Taylor, Charles (1975): Erklrung und Interpretation in den
Wissenschaften vom Menschen. Frankfurt am Main, S. 220. 10
Folie 11
Piagets verffentlichte Schriften 11 Kohler, Richard (2009):
Piaget und die Pdagogik. Eine historiographische Analyse. Bad
Heilbrunn, S. 9.
Folie 12
Piaget blieb bis ins hohe Alter wissenschaftlich ttig. Im Jahre
1976 [also mit 80 Jahren] etwa verteidigte er vor einem Kolloquium
von Mitarbeitern, Kollegen und Studenten seine quilibrationstheorie
in einer Art informeller Prfung, da er in seiner Laufbahn, obschon
er zu einem der einflureichsten Psychologen dieses Jahrhunderts
geworden war, nie ein psychologisches Examen abgelegt hatte.
Scharlau, Ingrid (1996): Jean Piaget zur Einfhrung. Hamburg, S. 20.
12
Folie 13
2. Piaget heute eine Umschau 13
Folie 14
Piagets pdagogische Schriften nehmen nur einen sehr kleinen
Teil seines Werks ein. Mit zunehmendem Alter distanzierte er sich
von pdagogischen Fragestellungen. Das Lernen hat er stets der
Entwicklung untergeordnet und ihm keine besondere Rolle
beigemessen. 14
Folie 15
Piagets Einfluss in der Psychologie war immens: 1969 wurde in
der entwicklungspsychologischen Literatur am hufigsten auf ihn
Bezug genommen []. 1975 war er der am hufigsten zitierte Psychologe
[], und im Jahr 2002 nahm er nach Burr[h]us F. Skinner noch immer
den zweiten Platz in den USA ein []. Kohler, Piaget und die
Pdagogik, a. a. O., S. 9. 15
Folie 16
Nach Piagets Tod im Jahre 1980 ist es eher still um ihn
geworden. Insbesondere seine genetische Epistemologie, die ihm am
Herzen lag, ist in den Hintergrund gerckt. Was den pdagogischen
Diskurs anlangt, so beherrscht heute die Hirnforschung das Feld.
16
Folie 17
Sabina Pauen, Psychologin an der Universitt Heidelberg, uert
sich in einer Sendung zu Jean Piaget: Piaget hat sehr viel an
geistigen Leistungen daran festgemacht, wie sich Kinder aktiv
motorisch verhalten. Das tun wir heute nicht mehr. Wir gucken,
worauf die Babys lnger schauen, oder wir messen ihre Hirnstrme.
Manuskript der Sendung ZeitZeichen, WDR 5+3, 9. August 2011, S. 5.
17
Folie 18
Die kognitive Entwicklung des Kindes beginnt nach neuesten
Befunden viel eher als zuvor im Anschluss an Piaget angenommen. Die
bertragung von Sinneserfahrungen von einem Sinnesgebiet (Modalitt)
in ein anderes und die Kategorisierung des Wahrgenommenen tritt
bereits ab der vierten Woche auf, bald gefolgt von dem Verstndnis
fr einfache Addition und Subtraktion. Mit drei Monaten ist der
Sugling fhig, zwischen mglichen und unmglichen physikalischen
Erscheinungen zu unterscheiden (z. B. dass losgelassene Gegenstnde
zu Boden fallen und nicht etwa aufsteigen). Roth, Gerhard (2011):
Bildung braucht Persnlichkeit. Wie Lernen gelingt. Stuttgart, S.
67. 18
Folie 19
Beim Laufenlernen dies ist nicht minder erstaunlich als der
Spracherwerb , so notiert Manfred Spitzer, schtzen sie [scil. die
Kleinkinder] die Gravitationskonstante ab, erfinden die
Hebelgesetze und erarbeiten sich Dutzende von
Differentialgleichungen zum Ansteuern der Muskulatur. Spitzer,
Manfred (2010): Medizin fr die Bildung, Heidelberg, S. 57. 19
Folie 20
Der gemeinsame Fehler dieser Interpretationen [scil. des
Empirismus, Positivismus, aber auch der Introspektion] [] besteht
darin, die Aktivitt des Subjekts erst vom reflektierten, klaren und
intellektualisierten Denken an einsetzen zu lassen, als ob die
Vernunft des erwachsenen, zivilisierten und normalen Menschen, der
berdies den Lehren der Philosophie zugnglich ist, in Potenz im Kind
und im Fetus, im Primitiven oder in der Hierarchie der Lebewesen
enthalten wre, in einer Hierarchie, die sogar manchmal als
unbeweglich betrachtet wird. 20
Folie 21
Das klarste Resultat der genetischen Forschungen besteht aber
in der Einsicht, da das rationale Denken in der Entwicklung des
Subjekts einen Ankunftspunkt und nicht etwa einen Ausgangspunkt
bildet. Der reflektierten und begrifflichen Intelligenz geht die
praktische und sensomotorische Intelligenz voran, []. Piaget, Jean
(1975): Die Entwicklung des Erkennens III. Das biologische Denken.
Das psychologische Denken. Das soziologische Denken. bers. von
Fritz Kubli. Stuttgart [Paris 1950], S. 258f., (Herv. von Kte
Meyer-Drawe). 21
Folie 22
Das Kind, das gehen lernt, macht nicht einen Kursus in
Bewegungsphysiologie durch, setzt sich nicht wie ein Konstrukteur
seiner eigenen Maschinerie in Gang, sondern versucht, seinen Leib
als ein Ganzes in fortschreitender Richtung zu bringen, und zwar
durch einfache in dem Verhltnis seines Leibes zur Umgebung
vorgezeichneten Aktionen. Plessner, Helmuth gemeinsam mit
Buytendijk, Frederic Jacobus Johannes (1982): Die Deutung des
mimischen Ausdrucks. Ein Beitrag zur Lehre vom Bewutein des andern
Ich (1925). In: Helmuth Plessner. Gesammelte Schriften. Hg. von
Gnter Dux, Odo Marquard und Elisabeth Strker unter Mitwirkung von
Richard W. Schmidt, Angelika Wetterer und Michael-Joachim Zemlin.
Band VII. Ausdruck und menschliche Natur. Frankfurt am Main, S.
67-129, hier: S. 78. 22
Folie 23
3. Komplikationen im Verstehen 23
Folie 24
-Sprachliche Komplikationen (Beispiel: lintelligence, Differenz
von la chose und lobjet) -Genetische Epistemologie (Entwicklung der
Erkenntnis) -Mathematische Strukturen (INRC-Gruppe)*
-Interdisziplinaritt (Biologie, Philosophie, Psychologie,
Mathematik, Physik, Kybernetik) *I= Identitt; N= Negativitt
(inverses Element); C= Composition (Kommutativitt und
Assoziativitt); R= Reziprozitt 24
Folie 25
4. Ausgangs- und Ankunftspunkte der Genese 25
Folie 26
Hans G. Furth, To J. Piagets 80 th birthday By establishing the
science of genetic epistemology: He has given empirical substance
to the theory of knowledge Through observing its development in
infants and children And confirmed Kants a priori By rooting it in
biology But putting it at the end, not at the beginning of the
evolutionary history. Hommage Jean Piaget zum achtzigsten
Geburtstag. Stuttgart: Ernst Klett 1976, S. 20. 26
Folie 27
Piagets biologische Erkenntnistheorie rckt die Embryologie der
Vernunft in den Mittelpunkt und meint die Entstehung des objektiven
Wissens als eine Art kontinuierliche Neuschaffung (Epigenese) des
Denkens. Vgl. Piaget, Jean (1975): Die Entwicklung des Erkennens I.
Das mathematische Denken. Mit einer Einfhrung von Hans Aebli. bers.
von Fritz Kubli. Stuttgart [Paris 1950], S. 10. 27
Folie 28
28 Die kognitive Entwicklung wird mit Hilfe von Piagets
Stufenschema der Entwicklung der Erkenntnisfhigkeit erlutert. Dabei
geht die Entwicklung von einem Zustand der Nichtunterschiedenheit
vom Kind und seiner Welt aus und endet in einem abstrakten Denken
nach dem Vorbild der Mathematik. Entwicklung
30 Quelle: Zimbardo, Philip G.: Psychologie. Deutsche
Bearbeitung von Siegfried Hoppe-Graff, Barbara Keller und Irma
Engel. Hrsg. der deutschen Ausgabe: Siegfried Hoppe-Graff und
Barbara Keller. Berlin/Heidelberg/New York 6 1995, S. 76. Das
Mengenerhaltungsexperiment
Folie 31
31 Quelle: Zimbardo, Philip G.: Psychologie. Deutsche
Bearbeitung von Siegfried Hoppe-Graff, Barbara Keller und Irma
Engel. Hrsg. der deutschen Ausgabe: Siegfried Hoppe-Graff und
Barbara Keller. Berlin/Heidelberg/New York 6 1995, S. 76.
Folie 32
32 Quelle: Zimbardo, Philip G.: Psychologie. Deutsche
Bearbeitung von Siegfried Hoppe-Graff, Barbara Keller und Irma
Engel. Hrsg. der deutschen Ausgabe: Siegfried Hoppe-Graff und
Barbara Keller. Berlin/Heidelberg/New York 6 1995, S. 76.
Folie 33
33
http://procrasticast.com/wp-content/uploads/2008/03/3mountain.jpg
Der Drei-Berge-Versuch
Folie 34
34 http://www.freewebs.com/juttaneumeyer/piaget/pix/abb5.jpg
Der Pendelversuch
Folie 35
Egozentrismus 1.Sensomotorische Phase 2.Konkret-operative Phase
2.1 Teilphase der properativen Vorstellungen 2.2 Teilphase der
konkreten Operationen 3. Formale Operationen Dezentrierung 35
Schema der Entwicklung der Erkenntnis
Folie 36
Lopration meint im Sinne Piagets eine verinnerlichte Handlung.
Im Unterschied zur konkreten Handlung kann die Operation im Denken
umgekehrt, also rckgngig gemacht werden (Reversibilitt). 36
Folie 37
uerst wichtige mathematische Gebiete [] haben keine
Entsprechung in der physischen Realitt, und alle mathematischen
Techniken fhren zu neuen Kombinationen, die die Realitt bereichern.
Fatke, Reinhard (Hg.) (1981): Jean Piaget ber Jean Piaget. Sein
Werk aus seiner Sicht. Mit einer Einfhrung von Reinhard Fatke.
bers. von Hainer Hober. Mnchen [New York 1970], S. 65. 37
Folie 38
Die Entwicklung wissenschaftlichen Denkens ist ein Prozess, in
dem Konflikte zur Reorganisation der Vorstellungen fhren. Dabei stt
man nach Piaget im kindlichen Denken berall auf algebraische
Strukturen, deren Prgung er unter dem Einfluss der Kybernetik als
in neuronalen Netzen verankert betrachtet. Vgl. Piaget, Jean
(1992): Einfhrung in die genetische Erkenntnistheorie. [New
York/London 1970], S. 35 und S. 27. 38
Folie 39
Es herrscht kontinuierlich ein dynamisches Gleichgewicht
(quilibration) zwischen der Assimilation und der Akkomodation. Bei
der Assimilation wird die Realitt den Erfahrungsstrukturen
angepasst. Bei der Akkomodation wird umgekehrt die Erfahrung der
Realitt angepasst. 39
Folie 40
5. Piaget heute ein Pldoyer 40
Folie 41
Zusammenfassend lt sich feststellen, da Lernen von den
Entwicklungsmechanismen abzuhngen und nur stabil zu werden scheint,
insoweit es bestimmte Aspekte dieser Mechanismen verwendet nmlich
jene Quantifizierungsinstrumente, die sich auch im Lauf spontaner
Entwicklung herausgebildet htten. Fatke, Piaget ber Piaget, a. a.
O., S. 75. 41
Folie 42
Das Kind als Wissenschaftler? 42
Folie 43
Das Kind als Philosoph? 43
Folie 44
Piaget ein Konstruktivist? J.P.: Das Objekt ist ein Grenzwert
im mathematischen Sinn. Man nhert sich der Objektivitt stndig an,
ohne das Objekt selbst je zu erreichen. Das Objekt, das man zu
erreichen glaubt, ist stets das von der Intelligenz des Subjektes
reprsentierte und interpretierte Objekt. 44
Folie 45
J.Cl.B.: Ist das Idealismus? J.P.: Nein, denn das Objekt
existiert ja. Aber man entdeckt seine Eigenschaften nur durch eine
sukzessive Annherung. Bringuier, Jean-Claude, Jean Piaget, a.a.O.,
S. 104. 45
Folie 46
Es ist unmglich, in der Handlung eines Subjekts eine stndige
Grenze zu finden zwischen dem, was aus seiner eigenen Aktivitt
herrhrt, und dem, was von ueren Objekten herstammt. Piaget, Jean,
Die Entwicklung des Erkennens III, a. a. O., S.263. 46
Folie 47
Assimilation meint, sich vom Sinne der Dinge zu ernhren. (Jean
Piaget) Diese Formulierung stammt von Piaget. Er uert sie in einem
Gesprch mit Jean-Claude Bringuier. Leider findet sie sich nicht in
der schriftlichen Version der Videoaufzeichnung: Jean-Claude
Bringuier, Jean Piaget. Im allgemeinen werde ich falsch verstanden,
a. a. O. 47
Folie 48
Hans Aebli, einer der berhmten Schler Jean Piagets, bemerkt zu
dessen Theorie: Piagets Kinder sind mit einer Problemsituation
konfrontiert, sie sind ihr nicht von vornherein gewachsen,
empfinden Widerspruch, mangelnde Kohrenz, kurz kognitiven Konflikt.
Sie suchen diesen zu bewltigen, indem sie handeln und denken. Das
ist die Einsamkeit des Max Weberschen Calvinisten, des
Rousseauschen Emile, es ist das Auf-sich-selber-angewiesen-Sein des
darwinschen Lebewesens im Kampf ums Dasein und der Ratte im
Labyrinth. 48
Folie 49
Wir erinnern uns an zwei Dinge: Piaget ist mit Calvin und
Rousseau ein Genfer Protestant, mit Daniel Defoe ein Calvinist und
mit Darwin ein protestantischer Biologe, und er hat seine Ideen in
den ersten drei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts [scil. des 20.
Jahrhunderts] ausgebildet, in einer Zeit, in der wie heute
emanzipatorische Ideen, eine Rousseau-Renaissance und die
Lebensphilosophie und -pdagogik ihren Einflu ausbten. Kein Wunder
also, da in diesem Entwicklungsmodell kein Platz fr den
Erwachsenen, fr Verhaltensvorbilder und fr Anleitung ist, fr
Kultur, Tradition und fr die sie vermittelnde, prgende und von
ihnen geprgte Sprache. Aebli, Hans (1978): Von Piagets
Entwicklungspsychologie zur Theorie der kognitiven Sozialisation.
In: Steiner, Gerhard (Hg.): Piaget und die Folgen.
Entwicklungspsychologie. Denkpsychologie. Genetische Psychologie.
Die Psychologie des 20. Jahrhunderts. Band VII. Zrich, S. 604-627,
hier: S. 613. 49
Folie 50
Maurice Merleau-Ponty (1908-1961), der Vorgnger Jean Piagets
auf dem Lehrstuhl fr Kinderpsychologie an der Sorbonne, entwickelt
seine Konzeption in unermdlicher Auseinandersetzung mit Jean
Piagets Schriften. 50
Folie 51
Er fasst zusammen: Piaget geleitet das Kind zum Alter der
Vernunft, als gengten die Gedanken des Erwachsenen sich selbst und
hben alle Widersprche auf. In Wirklichkeit mu das Kind in gewisser
Weise gegen die Erwachsenen oder gegen Piaget Recht behalten, mu
das wilde Denken des frhen Kindesalters als unentbehrlicher Erwerb
auch dem des Erwachsenen zugrundeliegen bleiben, wenn es fr den
Erwachsenen eine einzige und intersubjektive Welt geben soll.
Merleau-Ponty, Maurice (1966): Phnomenologie der Wahrnehmung. bers.
und durch eine Vorrede einfhrt von Rudolf Boehm. Berlin [Paris
1945], S. 407, (bersetzung gendert, K.M-D.). 51
Folie 52
Ein Golfschlger und ein Golfball kosten zusammen 120 Dollar.
Der Golfschlger kostet 110 Dollar mehr als der Golfball. Wie viel
kostet der Golfball? 52
Folie 53
Selbstkritisch merken die Hirnforscher an: Nach welchen Regeln
das Gehirn arbeitet; wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare
Wahrnehmung und frhere Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das
innere Tun als seine Ttigkeit erlebt wird und wie es zuknftige
Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in
Anstzen. Mehr noch: Es ist berhaupt nicht klar, wie man dies mit
den heutigen Mitteln erforschen knnte. 53
Folie 54
Die Methoden messen nur sehr indirekt, wo in Haufen von hundert
Tausenden von Neuronen etwas mehr Energiebedarf besteht. Das ist in
etwa so, als versuchte man, die Funktionsweise eines Computers zu
ergrnden, indem man seinen Stromverbrauch misst, whrend er
verschiedene Aufgaben abarbeitet. Elger, Christian E. u.a. ( 3
2007): Das Manifest. Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung. In:
Knneker, Carsten (Hg.): Hirnforscher, Psychologen und Philosophen
im Dialog. Frankfurt am Main, S. 77-86, hier: S. 78f. 54
Folie 55
Piaget sieht in der Entwicklung des Erkennens nur die
Interaktion zwischen Kind und Versuchsanordnung. Der Versuchsleiter
und seine Manahmen gehen nicht in die Analyse ein. Weil er seine
eigenen Versuche mit den Augen Rousseaus betrachtete, konnte und
wollte er nicht sehen, wie didaktisch sie in Wirklichkeit waren und
wie sehr die Entdeckungen seiner kleinen Versuchspersonen durch die
Fragen der Versuchsleiter (und die mathematisch-physikalische,
kulturelle Tradition, aus der heraus er sie stellt) vorstrukturiert
waren. Aebli, Von Piagets Entwicklungspsychologie zur Theorie der
kognitiven Sozialisation, a. a. O., S. 625. 55
Folie 56
Beispiel: Die Lnge der Kordel 56
Folie 57
Piagets Versuch, in der genetischen Epistemologie Philosophie
und Biologie zu verbinden, kann eine ermdende Debatte unterbrechen,
welche die populre Hirnforschung darin am Leben erhlt, dass sie den
alten Gegensatz von Natur- und Geisteswissenschaften auffrischt.
57
Folie 58
Alfred Lorenzer: Niemand, der sich mit frhkindlicher
Entwicklung beschftigt, kann an Jean Piaget vorbei. Hommage Jean
Piaget zum achtzigsten Geburtstag, a. a. O., S. 31. 58