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Piemont Barbera

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Barbera schmeckt nach dem Piemont. WEINWELTEN von Steffen Maus und Markus Bassler kommuniziert Italien und seine Weine, einladend und ansprechend.

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piemont asti und alba barbera r

barbera aus asti und alba

Die Welten des Barbera

barbera hat in nur drei jahrzehnten eine bemerkenswerte rebsorten­karriere hingelegt. einst als rustikaler massenwein verrufen, ist er heute eine ernst zu nehmende alternative zu den nebbiolo­weinen der gegend und kann mit gutem preis­leistungs­verhältnis punkten. das städtchen asti mit seinen trabanten wie algiano terme oder nizza monferrato ist das zentrum − hier ist der barbera der rote könig.

Eine Stunde benötigt man für die Fahrt von der geschäfti-gen Auto-Metropole und Piemont-Hauptstadt Turin ins Weinstädtchen Asti – auf den ersten Blick ein schmucklo-ses, nüchternes Verwaltungsstädtchen mit wenig Charme. Die Geschichte erzählt von Handwerk und Banken. Asti biedert sich nicht mit einer Infrastruktur aus Andenkenlä-den und Restaurants mit einem menù turistico an auswär-tige Gäste an. Besucher sind willkommen – wenn sie sich denn in den piemontesischen Alltag einfügen und dem Takt der Bewohner anpassen. Genau diese Unverfälschtheit macht den Reiz der Innenstadt mit ihren Bürgerhäusern und den Geschäften aus, die in erster Linie darauf ausge-richtet sind, die Einheimischen zu versorgen.

Die hügelige Landschaft rund um Asti, das Astigiano und das Monferrato, besitzt fast alles, was das Piemont aus-zeichnet: eine kleinteilige, wild und verwachsen wirkende Gegend mit Wäldchen, kleinen Gehöften und Weingärten im Wechsel. Nur gewaltige Burgen auf Hügeln sucht man vergebens, markante Blickfänge sind die Kirchtürme vieler kleiner, sympathischer Orte. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden hier – auch bedingt durch die Erbgesetze, die eine Aufteilung der Besitztümer vorsahen – viele kleine Landwirtschaften und Bauernhöfe, auf denen für die Selbstversorgung gearbeitet wurde. Wein bildete einen selbstverständlichen Bestandteil der Ernährung, gehörte zu den Grundnahrungsmitteln, nahrhaft und Freude spendend. Bis heute ist die Landwirtschaft von Familien-betrieben geprägt.

Die Sommer sind trocken und heiß, während im Winter regelmäßig Schnee fällt und die Weingärten bedeckt. Besonders reizvoll ist hier der Herbst. Intensiv leuchten die Farben dieser Jahreszeit im piemontesischen Licht, und es duftet intensiv nach Waldboden und Laub – was übrigens auch eine der einprägsamsten Aromakomponenten der hiesigen Rotweine ist.

Barbera ist im Piemont die mit Abstand am weitesten verbreitete Rebsorte, gut die Hälfte aller Rebflächen sind mit ihr bepflanzt. Seit dem 13. Jahrhundert, als er erstmals in einem Schriftstück dokumentiert wurde, wahrscheinlich noch länger zurück, war der Wein vor allem bei den Bauern sehr beliebt. Weil er robust war, wenig Pflege brauchte und selbst in widrigsten Jahren ohne großen Produktionsauf-wand einiges abwarf. Die Sorte liebt heiße Sommer. Und der typisch piemontesische Mix aus der Hitze des Tages und der Kühle der Nacht ist ein wichtiger Faktor, der die Säure in der Beere erhält und die Fruchtigkeit fördert. Die Rebe entwickelte über die Jahrhunderte durch spontane Mutationen unzählige Varianten. In Zeiten der Masse-ist-Klasse-Gläubigkeit der sechziger und siebziger Jahre wurden vor allem jene Stöcke vermehrt, die hohen Ertrag brachten, die Qualität wurde zur Nebensache. Klar, dass Feinheit und Langlebigkeit nicht eben die hervorstechenden Merkmale eines solchen Massen-Barbera waren. Diese Negativ-Auslese führte dazu, dass viele Weinkundige der Rebsorte als solcher wenig Gutes zutrauten. Außerdem überstrahlte Nebbiolo als der Elegante und Prächtige ohnehin alles. Umso größer war die Verblüffung, als in den frühen achtziger Jahren der erste Edel-Barbera lanciert wurde. Giacomo Bologna aus Rocchetta Tanaro vom Weingut Braida wurde mit seinem Bricco dell’Uccellone (uccellone heißt großer Vogel) Vorreiter für einen völlig neuen Barbera-Stil.

Tu Gutes und rede darüber

Er ließ der Rebe, mit der die Winzer zuvor meist etwas achtlos umgegangen waren, höchste Sorgfalt angedeihen, reduzierte die Erträge und las rigoros aus. Er besann sich

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auf seine Erfahrungen mit französischen Weinen und begann gemeinsam mit seinem Weinmacher Giuliano Noè, den Barbera aus der Lage Bricco dell’Uccellone in Barriquefässern auszubauen. Kurzum, er behandelte die gering geschätzte Sorte wie ein nobles Gewächs – was sie dann tatsächlich mit höchster Qualität dankte. Die Traube, an sich gerbstoffarm, gewann durch die zeitweilige Lage-rung in kleinen Eichenfässchen Tannin hinzu, gleichzeitig rundete sich dabei die zur Spitzheit neigende Säure der Frucht. Die der Rebsorte eigene Säure kann adstringierend wirken wie bei unreifen Birnen oder Äpfeln, während sie bei idealer Reife an Frühlingsgrün und frisch geschnittenes Gras erinnert. Der Uccellone war die Geburtsstunde des Barbera für anspruchsvollen Genuss.

Da es aber nicht reicht, großartigen Wein zu erzeugen, sondern man ihn auch auf den Weg in die Welt brin-gen muss, traf es sich glücklich, dass Giacomo Bolognas Tochter Raffaella sich später in den Österreicher Norbert Rheinisch verliebte. Der übernahm die Exportleitung und trug seinen Teil dazu bei, den feinen Wein im deutschspra-chigen Ausland und im Rest der Welt bekannt zu machen. Die Maßstäbe, die das Weingut Braida mit dem Uccellone setzte, machten sich auch andere Winzer zu Eigen: zum Beispiel die Familie Pastura von der Cascina La Ghersa in Moasca nahe Nizza de Monferrato. Die Pasturas führten

ein Restaurant in Turin und besaßen auch einige Wein-berge, die den Hauswein für ihr Restaurant lieferten. Ihre Vorfahren Oswaldo und Luigi Bologna pflanzten in den Zwanzigern einen durch die Reblaus zerstörten Weingarten neu an, der bis heute existiert. Der Name des Rebbergs, Vignassa, klingt eher abschreckend, denn er bedeutet „häss-liche Rebstöcke“. Der Barbera aus der Lage Vignassa, der seit 1989 als Einzellagenwein ausgebaut wird, ist hingegen wunderschön: elegant, harmonisch, ausgewogen. Massimo Pastura führt das darauf zurück, dass „ältere Rebstöcke ihren Ertrag selbst regeln. Außerdem wurden die Rebstöcke für den Vignassa niemals überfordert, viel zu produzieren“.

Inzwischen hat sich Barbera emanzipiert, hat Ansehen erworben und eine treue Anhängerschaft gefunden. Barbera d’Asti ist ein animierender, kühl-dunkelfruchtiger Rotwein mit appetitlich saftiger Säure und zurückhaltend-feinem Gerbstoff, anders als Barolo und Barbaresco, die deut-lich kräftigere Gerbstoffe haben. Werden gut ausgereifte Trauben geerntet, erinnert Barbera an saftige Süßkirschen – die berühmten Piemont-Kirschen. Einen Schritt weiter auf der Reifeskala erinnert die Frucht an süße Zwetschgen und zerfließt regelrecht am Gaumen. Zu all dem gesellt sich ein kräftiger Hauch Piemont – nach Erde und dem Duft des Herbstes. In einer Region mit vielen kleinen landwirt-schaftlichen Betrieben, von denen jeder einzelne nicht eben

Gegensätzliches aus Jahrhunderten: Palazzo des Weinguts Marchesi Alfieri in San Martino Alfieri aus dem Jahr 1721 …

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… Cantina Sociale di Antignano e San Martino Alfieri im Nachbarort Antignano aus dem Jahr 1959.

mit Geld gesegnet ist, ist die Bildung von Genossenschaften ein probates Mittel, um der Not abzuhelfen. Gemeinsam kann man sich Geräte und eine Kellerei anschaffen, die für jeden einzelnen Betrieb zu teuer wären. Mit vereinten Kräf-ten lassen sich die erzeugten Produkte auch effizient – und vor allem: in eigener Regie – vermarkten. Das System ermöglichte also nicht weniger als die Befreiung der Bau-ernschaft aus bedrückender Armut und Abhängigkeit und bewirkte darüber hinaus so etwas wie eine gemeinschaftliche Identität, ein Wir-Gefühl, vor allem im Gegensatz zu den Aristokraten in den benachbarten Langhe.

Durchgreifender Wandel

Seit den fünfziger Jahren verarbeitet nun in fast jedem Ort des Anbaugebietes eine cantina sociale, wie die Genossen-schaften hier heißen, riesige Mengen an Barbera-Trauben. Bis in die siebziger Jahre blühten die Genossenschaften. In den Neunzigern, als die Ansprüche stiegen, höherwertige Qualitäten verlangt wurden und auch der Handel interna-tionaler wurde, hielten nicht alle Genossen Schritt: Für die notwendigen technischen Investitionen fehlten manchen das Geld, manchen auch die Einsicht in die Notwendigkeit, Dinge zu ändern. Weinbauern traten aus, füllten selbst in

Flaschen und vermarkteten sich selbst, was höheres Prestige und bessere Preise brachte. Vorbilder wie Braida und La Ghersa ermutigten manchen ehrgeizigen Weinbauern zum Schritt in die Selbstständigkeit. Die Zahl der Weingü-ter stieg kontinuierlich und wurde durch die Euphorie für die Rebsorte Barbera am Ende der neunziger Jahre zusätz-lich angeheizt. Schließlich schenkten auch Gastronomie und Handel dem Barbera die Beachtung, die er verdient. Dass die Preise von Barolo und Barbaresco in den Neunzigern durch die Decke schossen, machte den in seiner Qualität deutlich verbesserten Barbera zur attraktiven Alternative.

Barbera gibt es heute in einfachster Qualität als Piemon-te Barbera, als meist prickelnden Barbera del Monferrato aus den Hügeln nördlich von Asti und – deutlich an-spruchsvoller – als Barbera d’Asti und Barbera d’Alba. Doch auch innerhalb von Barbera d’Asti ist die geschmackliche Bandbreite groß. Darauf reagierten die regionalen Wein-baupolitiker mit der Benennung von sogenannten Unter-zonen, die auch am Etikett vermerkt werden, und mit der Definition einer Topkategorie, dem Superiore, der erst mit dem Jahrgang 2009 nach langem Ringen grünes Licht be-kam. Diese Unterzonen zu Barbera d’Asti sind Anbaugebie-te mit besonderen Klimabedingungen, deren Weinstil sich vom Barbera d’Asti abhebt. Der Ort Nizza beispielsweise ist eine der wärmsten Gegenden im Gebiet, hier reifen die

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Seite 53: Im Juli ist die Barbera-Traube noch grün, danach kommt mit der Reife auch die dunkelviolette Farbe in die Beerenhaut.

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Besonders hinreißend schmeckt Barbera zur piemontesi-schen Version von carpaccio, bei der Rindfleisch in etwas stärkere Scheiben geschnitten und gern auch mit Trüffel behobelt wird. Dazu reicht man bagna cauda, wörtlich: warme Sauce, bei der man möglichst viele Sorten rohes, in mundgerechte Stückchen geschnittenes Gemüse in eine warme Sauce aus Butter oder Olivenöl, Anchovis und Knoblauch tunkt.

Für einen Barbera d’Asti und Barbera d’Alba sollte man im Fachhandel zwischen 7 und 14 € ausgeben. Fragen Sie, ob der Wein im kleinen Holzfass oder im geschmacksneu-tralen Stahltank ausgebaut wurde. Nur die Topweine aus dem Barrique rechtfertigen auch Preise auf Barolo-Niveau jenseits der 20 €, denn der Barbera ist der gehobene Alltagswein des Piemont.

genusstipp

Mausempfehlungen für ganz viel Piemont im Glas

Agostino Pavia [email protected] Boffa www.alfieroboffa.comBraida www.braida.itCascina Castlet www.cascinacastlet.comDezzani www.dezzani.it Eredi di Armando Chiappone www.eredechiappone.comGiulio Accornero www.accornerovini.itLa Giribaldina www.giribaldina.comLa Tenaglia www.latenaglia.comMarchese Alfieri www.marchesialfieri.it Marenco www.marencovini.com Michele Chiarlo www.chiarlo.itMassimo Pastura − La Ghersa www.laghersa.itTenuta L’Arbiola www.arbiola.itTenuta La Meridiana www.tenutalameridiana.comTenuta Garetto www.garetto.itTenuta Olim Bauda www.tenutaolimbauda.itTerra da Vino www.terredavino.itVilla Terlina www.villaterlina.it

Sehr guten Barbera d’Alba erzeugen die Winzer, die im Weinkapitel Barolo und Barbaresco empfohlen sind.

Trauben besser aus als in anderen Ecken. Das Monferrato wiederum ist wohl die Urheimat des Weinbaus im Piemont, was durch zahllose historische Fundstücke wie Amphoren oder Werkzeuge belegt ist. Einige Filetstücke der heutigen Barbera-Produktion sind im Asti-Gebiet die Weinberge der Gemeinden Costigliole d’Asti und Agliano Terme.

Barriquefässer haben sich neben den traditionellen großen Holzfässern zum Ausbau der Weine etabliert. Doch Barrique-Ausbau erfordert Sensibilität, Erfahrung und handwerkliches Können. Einige Winzer sitzen noch immer dem Missverständnis der neunziger Jahre auf, dass Barbera alleine durch kräftiges Tannin aus einem heftig getoasteten Holzfass das Rückgrat erhält, das er braucht. Mehr galt damals zwar mehr – ist aber heute jedenfalls zu viel. Die guten Produzenten von heute verstehen es allerdings, ihr Know-how und ihnen zur Verfügung stehende Mittel je nach Jahrgang und Struktur des Weines einzusetzen, um das Beste herauszuholen: Vom traditionellen großen Holz-fass aus Eiche oder Kastanie über das kleine Eichenfass, das Barrique, führt der Weg auch einige Winzer wieder zum Ausbau im Edelstahl oder im altehrwürdigen Zementtank. Gekonnt angewandt sind dies Möglichkeiten, die dem Bar-bera guttun und ihn zu einem fruchtig-frischen, niemals zu üppigen Wein machen, der seinen Piemontcharakter voll ausspielen kann. Und genau darin liegt seine Besonderheit.

Während sich im Astigiano bis heute alles ausschließlich um Barbera dreht, ist die Rebsorte in der Langhe, um die Stadt Alba, neben Nebbiolo in vielerlei Hinsicht nur die ewige Zweite. Das ist nicht schlimm, denn Zweiter zu sein, wo die Nummer Eins von so überragender Prominenz ist wie im Falle des Barolo, ist alles andere als ehrenrührig. Dazu kommt, dass im direkten Vergleich auch die Vorzüge des zweitplazierten Barbera deutlich wahrnehmbar sind: Da ist einmal der Preisvorteil, denn die Preise für Barbera enden etwa dort, wo die für Barolo anfangen. Manch einer wird sich sagen: dann doch lieber den besten Barbera als den drittbesten Barolo – zumal der Barbera früher seine optimale Trinkreife erreicht und weniger Geduld und Lagerzeit erfordert.

Nachteil für die Nummer Zwei: Die besten Lagen sind – eben wegen des höheren Preises, die damit zu erzielen sind – dem Nebbiolo vorbehalten. Vorteil des Alba-Barbera wiederum: Die Winzer der Langhe bringen seit vielen Generationen Weinbauerfahrung mit, was bedeutet, dass im Barbera d’Alba trotz seines Zweitwein-Status sehr viel önologisches Know-how steckt. Vom Stil her unterscheiden sich die Weingeschwister, vorsichtig verallgemeinert, so: Barbera d’Alba wirkt insgesamt feingliedriger im Mund, während Barbera d’Asti mit seiner volleren, saftigen Frucht überzeugt. ls

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kurz eingeschenkt

Ein Fluss als Grenze

Der Fluss Tanaro trennt das Anbaugebiet Roero von seinen berühmten Nachbarn Barolo und Barbaresco. Die ehrgeizi-gen Winzer rund um das Städtchen Canale arbeiten mit den gleichen Rebsorten, dem Nebbiolo und Barbera. An den Erfolg der Barolo-Winzer reichen sie jedoch nicht heran. Es fehlt ihnen die frühe Förderung des Weinbaus durch den Adel, was zu einer viel späteren Hinwendung zum Qualitätsweinbau führte. Und es fehlt ihnen an Häuptlingen. Aber die Freunde des Nebbiolo können hier − für einige Euro weniger − ihren Lieblingsrotwein finden. Das entspannte piemontesische Alltagsgefühl wird in der Via Roma kostenlos mitgeliefert. Am Beginn der Straße liegt nämlich mit der Enoteca Regionale die Weinhandlung von Canale, in der man eine fast komplette Auswahl der Roero-Weine findet.

Einen erschwinglichen Nebbiolo für den Alltag zu erstehen, war in der Vergangenheit kein leichtes Unterfangen. Denn die Barolo-Winzer hatten ja für kleineres Geld ihre Barbera- oder Dolcetto-Weine als Alternative im Angebot. Heute nutzen etliche Winzer die Weinherkunft Nebbiolo d’Alba bzw. Langhe Nebbiolo für einen Teil ihrer Weinmenge. So können sie den Nebbiolo früher in den Verkauf bringen und das Geld in Trakto-ren und Holzfässer für ihren Barolo investieren. Nebbiolo d’Alba darf wie Barbera d’Alba in allen drei Gebieten erzeugt werden, die Grenzen des Langhe Nebbiolo sind noch weiter gefasst.

Klein dagegen sind die Nebbiolo-Anbaugebiete Gattinara und Ghemme im Norden des Piemonts. Sie erhielten früh den Adelstitel DOCG. Dennoch sind es zwei Weinanbaugebiete, die etwas im Abseits liegen, schon rein geografisch. Mit ihren kleinen Mengen werden die Handvoll Winzer von der Wein-welt aber kaum wahrgenommen.

Alltagswein im positiven Sinne

Mittags zum Essen steht ansonsten der Dolcetto auf dem Tisch. Er ist im positiven Sinne ein Alltagswein, der viel Trinkfreude und Frucht mitbringt, ohne den herausfordernden Gerbstoff eines Nebbiolo oder die präsente Säure eines Bar-bera zu besitzen. Im Herbst beginnen die Winzer die Weinlese mit dieser Sorte, denn die zuckersüßen Trauben (dolcetto − kleiner Süßer) sind bereits im September reif zum Ernten. Der Dolcetto ist weit verbreitet und besitzt in den Hügeln von Asti, Aqui, Diano d’Alba, Ovada und Dogliani ein eigenes Anbaugebiet. Er ist dennoch kein Exportschlager, obwohl der Weintrinker ihn in den Restaurants vor Ort gerne trinkt.

Dass er zu mehr als einem vorzüglichen Alltagswein taugt, das loten die Winzer in Dogliani aus. In dem hoch gelegenen Anbaugebiet stehen die ältesten Reben, deren konzentrierter Saft einen Ausbau im kleinen Holzfass verträgt. Frucht und Struktur vereinen auch die Winzer der Albaregion in ihren Dolcetto-Weinen, die vom Können der erfahrenen Nebbiolo-Winzer profitieren.

Auch Ovada besitzt eine ganze Menge an Dolcetto-Weinber-gen, doch liegt das Anbaugebiet abseits der ausgetretenen Pfade und hat angesichts der stattlichen Konkurrenz in der Nachbarschaft einen schlechten Startplatz.

Weißwein mit Klang

Die berühmten Rotweine verstellen den Blick auf die Weiß-weinschätze des Piemont. Und damit ist nicht in erster Linie der Gavi gemeint, der in Deutschland bereits seine Anhänger hat. Sein Hoheitsgebiet liegt fern ab der Langhe, in den Hügeln des Orts Gavi. Im Gavi wird die Rebsorte Cortese verwendet, die sich in der Wucht und Frucht relativ zurückhaltend gibt. Mineralisch gelingen die Weine in der kleineren Unterzone Gavi di Gavi, die schon vom Namen her ein Gewinn ist, weil er besonders einprägsam und melodisch ist.

In der Langhe hat sich mit der Rebsorte Arneis, die mehr Frucht und Körper als die Sorte Cortese mitbringt, ein zweiter Weißwein in den Vordergrund gespielt und bereits eine Fan-gemeinde aufgebaut. Auch die Sorte gedeiht in den sandigen Böden im Roero-Gebiet prächtig. Die Vorzüge der Arneis verliehen in der Vergangenheit − in kleineren Anteilen − dem Rotwein Nebbiolo mehr Geschmeidigkeit und Frucht.

Für beide Weißweine, den Gavi aus der Rebsorte Cortese wie auch den Arneis aus dem Gebiet Roero gilt, dass sie jung getrunken werden sollten. Weitaus seltener, aber nicht weni-ger spannend ist die Sorte Favorita der Langhe, die mit ihrer lebendigen Säure und ihrem schlanken Körper ein beliebter Wein auf dem Mittagstisch in Barolo ist, wenn es mal kein Roter sein soll.

Zum Dessert einen Asti

Das an Weinen reiche Piemont besitzt auch den bekann-testen „Süßwein“ Italiens. Es ist der Asti Spumante, der in großer Menge aus der Moscato-Traube im Gebiet südlich von Asti erzeugt wird. In den Orten Canelli und Santo Stefano Belbo schlägt das Herz allein für den Moscato, obwohl mit

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Barbera und Dolcetto die Rotweinsorten nicht fehlen. Das Geschäft teilen sich einige große Unternehmen, ihre Marken wie Cinzano oder Martini sind in fast allen Supermärkten zu haben. Kulturell unterschiedlich sind die Trinkgewohnheiten: Während er in Deutschland das ganze Jahr über getrunken wird, öffnen die Italiener ihren Asti vor allem in der Weih-nachtszeit zum panettone, dem traditionellen Hefekuchen mit Rosinen. Denn Asti Spumante ist ein Frischeprodukt, das sei-ne facettenreichen Muskataromen direkt nach der Versektung am intensivsten ausspielt. Die Kohlensäure und die großzügig im Sekt verbliebene Traubensüße wirken dabei als natürlicher Geschmacksverstärker für die bezaubernden Aromen. Asti ist Genuss ohne Reue, denn ein Asti Spumante hat mit 7,5 Vol% wenig Alkohol. Noch weniger Alkohol − dafür eine intensivere Süße − enthält der Moscato d’Asti. Er ist das Premiumprodukt der Asti-Erzeugung, weil die Winzer sorgfältiger die Trauben auswählen und bei der Herstellung noch feinere facettenrei-che Aromen und Bläschen erhalten. So hat sich der Moscato d’Asti in der italienischen Gastronomie, auch in Sterne-Loka-len, zu einem beliebten Dessertbegleiter emporgeschwungen; wahrlich ein Hochgenuss für all diejenigen, die viel Süße bei moderater Säure mögen.

Rote Spezialitäten

Piemontfans mit einer Vorliebe für ausgefallene Rote kommen im Astigiano Monferrato auf ihre Kosten. In dem ausgedehn-ten Gebiet wachsen die lokalen Sorten Freisa, Ruché und Grignolino. So duften die besten Grignolino-Weine betörend nach Rosen, Nüssen sowie weißem Pfeffer und überraschen trotz ihrer recht hellen Farbe mit einer präsenten Gerbstoff-struktur. In der Umgebung des Orts Castagnole Monferrato gibt es eine Handvoll Kleinwinzer, welche die seltene Sorte Ruché wiederbelebt haben. Und dies zu Recht, denn ihr pfef-friger Charakter, der Rosenduft und ein präsenter Gerbstoff machen den Wein zu einem unkonventionellen, sprich: inte-ressanten Rotwein. Viel Gerbstoff besitzt auch die Rebsorte Freisa, aus der nur wenige Winzer noch reinsortigen Wein keltern. Stattdessen nutzen sie die Eigenschaften, um ihrem Barbera d’Asti etwas mehr Struktur zu geben. Mal abgese-hen vom Ruché können sich alle genannten Rotweine beim Eingießen unerwartet als Perlwein entpuppen; besonders im nördlichen Monferrato ist etwas Kohlensäure im Rotwein durchaus üblich.

Roero und Arneis:Deltetto www.deltetto.itCascina Chicco www.cascinachicco.it Ca Rossa www.cascinacarossa.com

Gavi:Morgassi www.morgassisuperiore.it La Giustiniana www.lagiustiniana.it

Dolcetto:Annamaria Abbona www.amabbona.comPecchenino www.pecchenino.it

Siehe auch Empfehlungen Weinkapitel Barolo und Barbaresco

Moscato d’Asti:Caudrina www.caudrina.itPaolo Saracco www.paolosaracco.comMarenco www.marencovini.com

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