8
MAGAZIN ZUR DISKUSSION PISA-Aufgaben sind anders Ein Vergleich mit deutschen Prüfungsaufgaben und eine Anregung für den Unterricht PISA-Aufgaben sind Aufgaben für Leistungssituationen. Sie sind des- halb nicht mit Aufgaben vergleich- bar, die für unterrichtliche Lern- situationen entworfen sind. Kaspar H. Spinner stellt in seinem Beitrag Über PISA-Aufgaben nachdenken in PRAXIS DEUTSCH 176 die Graffiti-Einheit als komplettes Textvorlage handelt es sich häufig um eine Kombination zweier Texte. Neben Sach- und literarischen Tex- ten werden auch diskontinuierliche Texte wie Tabellen und Karten an- geboten. Darüber hinaus sind mehrere Auf- gabentypen zu unterscheiden, wo- bei das Kriterium der Unterschei- dung die Eigenschaft der erwarteten Antwort ist: (1) richtig und falsch (1.1) Multiple-Choice-Aufgaben (1.2) Geschlossene Antwort (2) Aufgaben, bei denen es mehre- re richtige Antworten gibt (2.1) Kurzantwort-Aufgaben (2.2) Langantwort-Aufgaben, bei denen auch – gegebenenfalls detailliertere – Begründungen gegeben werden müssen. Gemessen werden drei Kompetenz- bereiche: (1) Informationen ermitteln (2) Textbezogenes Interpretieren (3) Reflektieren und Bewerten In jedem Kompetenzbereich wer- den fünf Kompetenzstufen unter- schieden. Im Unterschied zu den Die Analyse von typischen Aufgabenstellun- gen in Jahrgangsarbeiten und Lehrplänen zeigt: Sie sind gegenüber PISA-Aufgaben häufig unklar formuliert, zu offen oder zu eng gestellt und wenig motivierend. PISA-Aufgabenset vor. Vor diesem Hintergrund sollen spezifische Merkmale üblicher deutscher Auf- gabenstellungen in Leistungssitua- tionen sichtbar gemacht und zentra- le Unterschiede zu den PISA-An- forderungen herausgearbeitet wer- den. Als Vergleichsbasis bieten sich Aufgaben an, die in Tests, Klassen- arbeiten und Abschlussprüfungen eingesetzt werden. Die Konstruktion der PISA-Aufgaben PISA-Aufgaben 1) bestehen aus einer Textvorlage und mehreren Aufga- ben unterschiedlichen Typs. Bei der

PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

M A G A Z I NZUR DISKUSSION

PISA-Aufgaben sind anders

Ein Vergleich mit deutschen Prüfungsaufgabenund eine Anregung für den Unterricht

PISA-Aufgaben sind Aufgaben fürLeistungssituationen. Sie sind des-halb nicht mit Aufgaben vergleich-bar, die für unterrichtliche Lern-situationen entworfen sind. KasparH. Spinner stellt in seinem BeitragÜber PISA-Aufgaben nachdenkenin PRAXIS DEUTSCH 176 dieGraffiti-Einheit als komplettes

Textvorlage handelt es sich häufigum eine Kombination zweier Texte.Neben Sach- und literarischen Tex-ten werden auch diskontinuierlicheTexte wie Tabellen und Karten an-geboten.Darüber hinaus sind mehrere Auf-gabentypen zu unterscheiden, wo-bei das Kriterium der Unterschei-dung die Eigenschaft der erwartetenAntwort ist: (1) richtig und falsch (1.1) Multiple-Choice-Aufgaben (1.2) Geschlossene Antwort(2) Aufgaben, bei denen es mehre-

re richtige Antworten gibt(2.1) Kurzantwort-Aufgaben(2.2) Langantwort-Aufgaben, bei

denen auch – gegebenenfallsdetailliertere – Begründungengegeben werden müssen.

Gemessen werden drei Kompetenz-bereiche:(1) Informationen ermitteln(2) Textbezogenes Interpretieren(3) Reflektieren und BewertenIn jedem Kompetenzbereich wer-den fünf Kompetenzstufen unter-schieden. Im Unterschied zu den

Die Analyse von typischen Aufgabenstellun-

gen in Jahrgangsarbeiten und Lehrplänen

zeigt: Sie sind gegenüber PISA-Aufgaben

häufig unklar formuliert, zu offen oder

zu eng gestellt und wenig motivierend.

PISA-Aufgabenset vor. Vor diesemHintergrund sollen spezifischeMerkmale üblicher deutscher Auf-gabenstellungen in Leistungssitua-tionen sichtbar gemacht und zentra-le Unterschiede zu den PISA-An-forderungen herausgearbeitet wer-den. Als Vergleichsbasis bieten sichAufgaben an, die in Tests, Klassen-arbeiten und Abschlussprüfungeneingesetzt werden.

Die Konstruktion der PISA-Aufgaben

PISA-Aufgaben1) bestehen aus einerTextvorlage und mehreren Aufga-ben unterschiedlichen Typs. Bei der

Page 2: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

3

KMK-Leitlinien, die sich auch inden Lehrplänen niederschlagen, ist es nicht so, dass (Kompetenz-bereich I) Informationen ermittelndie geringste Anforderung darstelltund (Kompetenzbereich III) Re-flektieren/Bewerten die höchste,sondern dass in jedem Kompetenz-bereich fünf Kompetenzstufen er-reicht werden können. Das bedeu-tet: Informationen ermitteln kanneinen höheren Anspruch darstel-len als Reflektieren und Bewertenauf einer niedrigen Kompetenz-stufe.Gegenüber den gewohnten Aufga-benarten wurde die Andersartigkeitdieser Aufgaben-Formate bei derDurchführung der Tests sowohlvon Lehrpersonen als auch vonLernern wahrgenommen. Aus denÄußerungen von Schülerinnen undSchülern einer hessischen Gesamt-schule geht hervor, dass „die Fra-gen [...] irgendwie anders als in der Schule“ waren, dass sie sich die„Sachen, die [sie] da beantwortethabe[n], [...] anders angeeignet[hätten], aber nicht in der Schu-le [...], eher vom Fernseher odervom Lesen“, „so was wie Lesever-ständnis oder so hab ich so persön-lich“.2)

Kommentar zur Unit „Graffiti“ (PISA)

Die vollständige Unit „Graffiti“3)

umfasst zwei (Vergleichs-)Texteund fünf Fragen (1–5). Hinsichtlichder Aufgabenarten handelt es sichum eine Multiple-Choice-Aufgabe(1), um zwei Kurzantwort-Aufga-ben (2/3) und zwei Langantwort-Aufgaben (4/5). Während bei denMultiple-Choice-Aufgaben die Kri-terien „richtig“ oder „falsch“ maß-geblich sind, sind die Langantwort-aufgaben dadurch gekennzeichnet,dass bei ihnen mehrere richtige Lö-sungen möglich sind. Im vorliegen-den Fall sind bei den beiden Kurz-antwortaufgaben mehrere richtigeAntworten möglich.

Frage 1: GRAFFITIDie Absicht der beiden Briefe ist,A zu erklären, was Graffiti sind. B Meinungen zu Graffiti zu

äußern. C die Popularität von Graffiti zu

beweisen. D den Leuten mitzuteilen, wie viel

ausgegeben wird, um Graffiti zuentfernen.

Es handelt sich um eine einfacheMultiple-Choice-Aufgabe. Sie giltder – gemeinsamen – Intention bei-der Texte und bezieht sich auf dieSubskala II, also auf textbezogenesInterpretieren. Sie prüft, ob die Ler-ner zwischen der Erklärung und Be-wertung eines Sachverhalts unter-scheiden können. Die richtige Antwort rangiert aufKompetenzstufe II (näher an I als anIII). Die Aufgabe ist sinnvoll und moti-vierend. Im gängigen Deutschunter-richt sind Multiple-Choice-Aufga-ben jedoch nicht vorgesehen, weilsie Vorgaben machen, die als un-zulässige Erleichterung der Lösungbetrachtet werden. Dass Multiple-Choice-Aufgaben zugleich einenRahmen abstecken, innerhalb des-sen abgeglichen und zumindest in-tern argumentiert werden muss,wird von Multiple-Choice-Gegnernentweder nicht wahrgenommenoder nicht hoch genug eingeschätzt.Um die Aufgabenart den Erforder-nissen des Faches Deutsch anzupas-sen, könnte man ohne weiteres eineBegründung für die getroffene Wahleinfordern. Unberücksichtigt bleibtbei der Abwehr von Multiple-Choi-ce-Aufgaben auch die Überlegung,dass sie zugleich kognitive Span-

nung herstellen, indem sie eine Ent-scheidung zwischen richtig undfalsch herausfordern. Die mit demArrangement verbundenen Vorga-ben entlasten nicht nur, sondernmotivieren auch, die geforderte Ent-scheidung zu treffen.

Frage 2: GRAFFITIHelga spricht von den Kosten, dieGraffiti der Gesellschaft verursa-chen. Dazu gehören unter anderemdie Kosten für die Entfernung vonGraffiti von öffentlichen Gebäuden.Von welchen Kosten spricht Helgasonst noch?

Frage 3: GRAFFITIWarum verweist Sophia auf dieWerbung?

Die Fragen 2 und 3 sind Kurzant-wortaufgaben, bei denen mehrererichtige Lösungen möglich sind. Siegehören beide zum Kompetenzbe-reich II (Textbezogenes Interpretie-ren), sind also Deutungsaufgaben.Beide Fragen verlangen textbezoge-nes Argumentieren, wobei mit Fra-ge 3 (Warum verweist Sophia auf dieWerbung?) auch noch das Erkenneneiner beabsichtigten Querverbin-dung im Text verbunden ist. Frage 3erfüllt Kompetenzstufe III (in Rich-tung IV). Zu Frage 2 werden keineAngaben in Bezug auf die Kompe-tenzstufe gemacht.

Frage 4: GRAFFITIWelchem der beiden Briefe stimmstdu zu? Begründe deine Antwort, in-dem du mit deinen eigenen Wortenwiedergibst, was in einem oder inbeiden Briefen steht.

Frage 5: GRAFFITIMan kann darüber sprechen, was ineinem Brief steht (seinen Inhalt).Man kann über die Art und Weisesprechen, wie ein Brief geschriebenist (seinen Stil).Unabhängig davon, welchem Briefdu zustimmst: Welcher Brief ist dei-ner Meinung nach besser? Erkläredeine Antwort, indem du dich aufdie Art und Weise beziehst, wie eineroder beide Briefe geschrieben sind.

Die Fragen 4 und 5 gehören zumKompetenzbereich III (Reflektierenund Bewerten). Im Unterschied zuden Aufgaben 2 und 3 handelt essich hier um Langantwortaufgaben.Aus den Lösungshinweisen wird er-kennbar, dass hier deutlich zwi-schen Überprüfung der Verstehens-Fo

to: d

pa

Page 3: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

der Lerner. Im Unterschied zurGraffiti-Aufgabe 4 wird keine text-bezogene Argumentation gefordert.Vielmehr ist die eigene Meinung derLerner verlangt.Wenn die baden-württembergischenTestaufgaben zum Textverstehenund die darin vorgenommene Be-schränkung auf den Kompetenz-bereich „Informationen ermitteln“exemplarisch sind für gängige Auf-gaben in Leistungssituationen, dannläge hier eine Erklärungsmöglichkeitfür die Defizite deutscher Schülerin-nen und Schüler in den Bereichen„Textbezogenes Interpretieren“ und„Reflektieren und Bewerten“.

Beispielaufgabe aus dem LehrplanDeutsch SI Gymnasium NRW Anders als der baden-württember-gische Test zielen Beispielaufgabenfür Klassenarbeiten in Nordrhein-Westfalen durchaus auf textbezoge-nes Interpretieren und Werten. Alsexemplarisch sei hier ein Aufgaben-set aus dem Lehrplan Deutsch fürdie Sekundarstufe I am Gymnasiumvorgestellt. Textgrundlage ist Derhilflose Knabe von Bertolt Brecht.Wie alle Klassenarbeiten in NRWverknüpft auch diese Beispielaufga-be die Überprüfung des Textverste-hens sowohl mit dem Nachweis vonSchreibkompetenz als auch mit demAusweis einer bestimmten Formvon Methodenkompetenz. Dasheißt, die Lerner sollen sich be-stimmte texterschließende Verfah-rensweisen zu eigen machen, um sieselbstständig bei anderen Texten an-wenden zu können. Das ist eine guteAbsicht. Sie hat aber zur Folge, dassdie Instruktionen sehr allgemein ge-halten sind. Sie orientieren sich ander Schrittfolge „Beschreiben – Er-klären – Übertragen – Stellung neh-men“ und haben – im Gegensatz zu den PISA-Aufgaben – kaum den konkreten Text im Blick. Die„PISA-Expertengruppe Problemlö-sen“ hat nachdrücklich darauf hin-gewiesen, dass Problemlösen nichtnur Wissen über Regeln und Strate-gien, sondern auch Wissen überKonzepte und Sachverhalte im je-weiligen Gegenstandsbereich vor-aussetzt.4)

Bei PISA zeigt sich der konkrete Zu-griff am deutlichsten in den Mul-tiple-Choice-Angeboten, wo Inter-pretationen beziehungsweise Verste-hensentwürfe zur Wahl stehen (vgl.oben Aufgabe 1). Sie zeigen sich auchin präzisen textbezogenen Fragen(vgl. oben Aufgaben 2 und 3).

PRAXIS DEUTSCH Heft 176

kompetenz und der Schreibkompe-tenz unterschieden wird.Bei Frage 4 müssen die Lerner ent-scheiden, welcher der beiden in denTexten dargestellten Positionen siezustimmen und ihre Zustimmungtextbezogen vertreten. RichtigeAntworten erreichen Kompetenz-stufe II (näher an III als an II). Demgegenüber zeigt die Lösungvon Aufgabe 5 Kompetenzstufe IVan. Absicht dieser Frage ist es, dassdie Lerner über die Form (Darstel-lungsweise) eines Textes reflektie-ren und die Qualität der beidenBriefe bewerten. Hier geht es zumeinen darum, die Aufgabe verstan-den zu haben, zum anderen um dieFähigkeit, darstellungsbezogen zuargumentieren und von der Zustim-mung zur Position, die die Textevertreten, abzusehen. Deutlich erkennbar ist, dass diese PISA-Unit nicht nur Textverstehenund Schreibfähigkeit weitgehendentkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz alsselbstständige Organisation des Ar-beitsprozesses. Entsprechend denvon der KMK festgelegten Anforde-rungsbereichen handelt es sich in derRegel um die Abfolge von Beschrei-bung, Erklärung und kritischer Stel-lungnahme. Gleichwohl geht es denPISA-Autoren um Know-how desTextverstehens. Überprüft man, wel-che methodischen Fähigkeiten diePISA-Aufgaben der Graffiti-Unitvoraussetzen, so ist es vor allem diekognitive Fähigkeit zur Zuordnungund zum Kategorisieren, zum Ver-gleich und zur Argumentation. DemVergleichen kommt dabei besondereBedeutung zu: In Frage 1 geht es da-rum, das Hauptthema zweier Textezu vergleichen, in Frage 3 um das Er-kennen beabsichtigter Querverbin-dungen in einem Text, Frage 4 zieltdarauf, die in zwei kurzen Textenausgedrückten Meinungen mit deneigenen Ansichten und Einstellun-gen zu vergleichen, und in Frage 5wird der Vergleich zweier kurzerTexte genutzt, um die Fähigkeit einesAutors zu beurteilen; dabei sollen dieLerner den Text mit ihrem eigenenVerständnis von gutem Stil verglei-chen.

Übliche deutsche Aufgabenstellungen

Wie sehen demgegenüber die gängi-gen Aufgabenstellungen in Leis-tungssituationen aus? Gegenstand

der Analyse sind eine landesweiteJahrgangsarbeit aus Baden-Würt-temberg und eine Beispielaufgabeaus dem Lehrplan Deutsch in Nord-rhein-Westfalen.

Jahrgangsarbeit an Realschulen2001, Deutsch, Jahrgangsstufe 8(Baden-Württemberg)Den Aufgabenstamm bildet eineGlosse mit dem Titel Düdellüdeltüt(vgl. Material 1) – im Schwierig-keitsgrad etwa dem Graffiti-Aufga-benstamm vergleichbar. Diese Unitumfasst insgesamt neun (9) Aufga-ben, von denen die ersten fünf aufden Lernbereich „Umgang mit Tex-ten“ zielen. Die Aufgaben 6 und 9gehören zum Bereich der Sprach-reflexion (indirekte Rede und Kom-ma-Setzung), die Aufgaben 7 und 8zum Bereich „Schriftlicher Sprach-gebrauch“.Was die Lesekompetenz betrifft, soverlangen die Aufgaben 1 und 2 iso-lierte Informationsermittlung aufeher niedriger Kompetenzstufe,Aufgabe 3 überprüft durch den Zu-ordnungsauftrag die Kenntnisseund das Verständnis von Fremd-wörtern, Aufgabe 4 fordert zunächstdie Ermittlung expliziter Textinfor-mation (ebenfalls auf niedrigerKompetenzstufe) und dann eine be-gründete eigene Stellungnahme zumErmittelten (reflektieren und kri-tisch bewerten), Aufgabe 5 zielt aufdie Identifizierung zweier bildlicherWendungen für „sprechen“ und de-ren Erklärung („bellen“ und „säu-seln“) – eine Aufgabe, die mehr aufSprachreflexion als auf Textverste-hen gerichtet ist. Der Auftrag „Er-kläre“ bezieht sich also auf die Auf-lösung isolierter Metaphern, nichtaber auf textuelle Zusammenhänge.

KommentarWorauf es mir jedoch in besonde-rem Maß ankommt, ist der Befund,dass es bei keiner der fünf Aufgabenzur Lesekompetenz um textbezoge-nes Interpretieren geht. Es gilt we-der zu erkennen, dass es sich um ei-ne Glosse handelt, noch nachzuwei-sen, dass dieser Text in handy-kriti-scher Absicht verfasst ist. In keinerFrage geht es um das Begreifen textueller Zusammenhänge. Statt-dessen sollen sprachlich-stilistischePhänomene isoliert und gegebenen-falls erklärt werden. Die in Aufgabe4 geforderte Erklärung für eine vonden Lernern zu treffende Optionbezieht sich nicht eigentlich auf denText, sondern auf die Einstellung

4

Page 4: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

PRAXIS DEUTSCH Heft 176

Im nordrhein-westfälischen Lehr-plan wird zur Überprüfung derLehrplanforderungen „Kurze epi-sche Texte in ihrer Struktur verste-hen (bes. kurze Erzähltexte, Satirenund parabolische Texte)“ und „be-schreiben/erklären“ eine Aufgabezu einer Parabel von Brecht (vgl.Material 2) für den 9./10. Jahrgangals Beispiel gegeben.

KommentarWährend die Graffiti-Unit schonbei der ersten Aufgabe die Absichtder Texte im Blick hat, setzt die vor-liegende Aufgabe erst einmal auf eine Bestandsaufnahme. Die beidenersten Teilaufgaben – „Beschreibeden Handlungsaufbau und die Ver-haltensweisen der Personen“ – wol-len genaue Textwahrnehmung errei-chen, bewirken aber in erster Linieeinen Motivationsschwund. Dennbeide Aufgaben sind spannungsarmund lassen die provozierende Wir-kung des Erzählten verpuffen. Stattsich der Herausforderung des Tex-tes stellen zu dürfen, werden dieLerner durch die Beschreibungsauf-träge erst einmal diszipliniert. Hinzu tritt die Unklarheit des erstenAuftrags. Was heißt: den Hand-lungsaufbau beschreiben? Ist einestrukturierte Inhaltswiedergabeoder das Wiedererkennen bestimm-ter Bauformen (Lehre, Situation,Handlung als Aktion und Dialog)verlangt? Oder soll zwischen einlei-tendem Bericht und erzählter Ge-schichte unterschieden werden? Erst die dritte Teilaufgabe, den(überraschenden) Schluss der Ge-schichte zu erklären, verlangt text-bezogenes Interpretieren und zieltauf die zentrale Bedeutung der Er-zählung. Insofern der Erzählschlussals überraschend und erklärungsbe-dürftig bezeichnet wird, birgt dieInstruktion einen erkenntnisleiten-den Problemhorizont. Den überra-schenden Charakter des Schlusseszu erklären, stellt eine angemesseneund motivierende Anforderung dar.Die Lerner werden feststellen, dassder Plot und das Verhalten der Fi-guren eine mitleidige Unterstützungdes Knaben durch den vorüberge-henden Mann erwarten lassen. ImErklärungszusammenhang wird dieErmittlung dessen, was die Lernervorab durch die Teilaufgaben 1 und2 beschreibend erheben sollten, unmittelbar einsichtig. Sowohl dieSituation als auch das Figuren-verhalten kommt im Zuge der Be-gründung notwendig zur Sprache.

Während die Beschreibungsaufträgevon den Lernern meistens als Selbst-zweck registriert werden, hat geziel-te „Fahndung“ im Text den Bonusder Plausibilität. Die zweite hier geforderte Er-klärung – warum der Mann demJungen nicht nur nicht hilft, sondernihm auch den zweiten Groschen ab-nimmt –, also die Enttäuschung derzuvor aufgebauten Erwartungshal-tung, wird durch die Instruktion derdritten Teilaufgabe jedoch nicht be-fördert. Es steht zu vermuten, dassein Großteil der Lerner den Mannals besonders heimtückischen Räu-ber interpretiert und sein Verhaltendaraus erklärt, dass die Welt ebenschlecht ist, dass die Gesellschaft eine Raubgesellschaft ist. Um dasVerhalten des Mannes im Sinne vonHerrn K. zu erklären, brauchen diemeisten Lerner eine kognitive Ver-stehenshilfe, wie die PISA-Aufga-ben sie in der Regel bieten. Hiermüsste entsprechend ein Hinweisgegeben werden, dass nicht das Ver-halten des Mannes, sondern das desKnaben von Herrn K. eine Unartgenannt wird: ein Hinweis auf denersten Satz genügt, denn der machtdie Zielrichtung deutlich.Die vierte Teilaufgabe verlangt vonden Lernern, eine Situation zu fin-den, auf die sich der Text übertragenlässt. Diese Formulierung birgt dieGefahr, dass die Lerner lediglich dieDaten in der konkreten Fallge-schichte variieren, also statt einemKnaben ein Mädchen wählen, stattder zwei Groschen zwei fünf Euro-Scheine usw. Wenn diese schlichtenÜbertragungen vermieden werdensollen, dann müsste auf den parabo-lischen Charakter des Textes hinge-wiesen werden, auf die allgemeineWahrheit in dieser Geschichte, fürdie eine eigene – neue – Beispielge-schichte zu skizzieren wäre. Zur Schlusslösung kritisch Stellungzu nehmen, wie es die fünfte Teil-aufgabe fordert, heißt entweder: denText nicht verstanden zu haben – al-so in dem Mann den heimtückischenRäuber zu kritisieren – oder von ei-ner Meta-Ebene her zu urteilen, aufdie in der Aufgabenstellung jedochein konkreter Hinweis fehlt. Ver-mutlich will die Aufgabe die Lerner– durchaus sinnvoll – zu Überlegun-gen veranlassen, ob das Verhaltendes Mannes der eingangs formulier-ten Lehre förderlich ist. Das müsstedann allerdings auch gesagt werden.Fazit: Anders als die Graffiti-Unitist dieses Aufgabenset auch zum

Nachweis von Methodenkompe-tenz konstruiert. Das zugrunde lie-gende methodische Konzept geht davon aus, dass konkrete textspezi-fische Instruktionen, wie sie die PISA-Aufgaben bieten, die Selbst-ständigkeit der Lerner einschränkenund die eigenständige Leistung min-dern. Folglich orientiert sich dieAufgabenstellung an der Trias „be-schreiben – erklären – kritisch Stel-lung nehmen“, und zwar in ebendieser Reihenfolge. Demgegenüberist jedoch festzuhalten, dass die PISA-Units häufig mit einer Inter-pretationsaufgabe beginnen und sogerade von der im NRW-Aufgaben-set intendierten Reihenfolge abwei-chen. Und das mit gutem Grund,denn was die Beschreibung um ihrerselbst willen als Befund erhebt, wirdbei der Bearbeitung bestimmter Fra-gestellungen im Begründungszu-sammenhang sinnvoll eingefordert. Obwohl das hier analysierte Auf-gabenset aus fünf Teilaufgaben be-steht, spielen unterschiedliche Ant-wortformate keine Rolle; wo die Bearbeiter der PISA-Aufgaben vommotivierenden Wechsel zwischenMultiple-Choice-Aufgaben undKurz- und Langantwort-Aufgabenprofitieren, zielt das NRW-Aufga-benset im Sinn der Verknüpfungvon Verstehens- und Darstellungs-leistung auf die Produktion eineszusammenhängenden Textes. Willman – in einer Leistungssituation –tatsächlich das Textverstehen prü-fen, dann böte der Verzicht auf dieSchreib- und DarstellungsleistungRaum nicht nur für Multiple-Choice-Aufgaben, sondern auch fürAufgaben, die durch non-verbaleBearbeitungen gelöst werden kön-nen.

Schlussfolgerungen

Die Analyse gängiger deutscherAufgaben für Leistungssituationenbietet zunächst zwei unterschied-liche Befunde. Während der Jahr-gangstest 8 Leseverstehen fast aus-schließlich im Kompetenzbereich Iprüft, bezieht sich die Beispielaufga-be 9/10 aus Nordrhein-Westfalenauf alle drei Kompetenzbereiche.Während die Leistungsanforderun-gen im Jahrgangstest 8 als eher dürf-tig zu bezeichnen sind, erscheinensie in der Beispielaufgabe 9/10 sehrkomplex und allgemein. Die PISA-Aufgaben besetzen demgegenüberein Mittelfeld, insofern sie zwar alle

5

Page 5: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

tenz als Fähigkeit zum selbst regu-lierten Lernen sehr differenziert zubetrachten ist und nicht – einmal erworben – immer wieder zur An-wendung gebracht werden kann.PISA unterscheidet hier kogni-tive Fähigkeiten wie Vergleichen,Schlussfolgern, Anwenden bekann-ter Kategorien von Lesegeschwin-digkeit und Strategiewissen.7)

◆ Gängige Aufgaben sind in der Re-gel spannungsarm, das heißt sie ent-halten Aufträge ohne Klärungsbe-darf. Klärungsbedarf bedeutet, ei-nen plausiblen und motivierendenAnlass für Informationsermittlung,Deutung oder Bewertung zu schaf-fen. Im Jahrgangstest aus Baden-Württemberg geht es nicht umKlärung, sondern um den Aus- bzw.Nachweis von Wissen: Die Span-nungsarmut ist Folge reiner Anwen-dungs- und Nachweisaufgaben. Beider Beispielaufgabe aus Nordrhein-Westfalen entsteht die Spannungs-armut sowohl durch reine Beschrei-bungsaufgaben als auch durch dieallzu unbestimmten Aufträge zurÜbertragung und zur kritischenStellungnahme. Lediglich die dritteTeilaufgabe setzt durch die Vorgabeeiner konkreten Bewertung auf dieEntdeckerfreude der Lerner. VonPISA ist also zu lernen, dass dieVorgabe von Thesen nicht nur ori-entierend wirkt, sondern auch einenProblemhorizont eröffnet, inner-halb dessen die Ermittlung vonTextinformation für die Lernerplausibel wird.Für ein verbessertes Aufgabenange-bot könnte darüber hinaus Folgen-des hilfreich sein:◆ Arbeit mit Vergleichsarrange-ments: PISA verlangt als methodi-sche Kompetenz „vergleichen, kon-trastieren, kategorisieren, anwendenvon Kategorien, integrieren von In-formation, schlussfolgern“.◆ Bereitstellung von Aufgaben, de-ren Lösung mit Begründungspflichtverbunden ist.◆ Erprobung von Multiple-Choice-Aufgaben in Verbindung mit Be-gründungspflicht.

Unterrichtliche Nutzung des Dargelegten

Die Lerner haben sich mit der Graffiti-Unit kritisch auseinander-gesetzt. Vor diesem Hintergrund erhalten sie unterschiedliche Ange-bote, um die gewonnene Erkenntnisanzuwenden.

PRAXIS DEUTSCH Heft 1766

drei Kompetenzbereiche einbezie-hen, dabei aber ganz konkrete In-struktionen geben, die sowohl ori-entierenden als auch motivierendenCharakter haben. Zugleich entlastensie die Überprüfung der Lesekom-petenz weitgehend vom Ausweisder Schreibkompetenz. Dem letzt-genannten Punkt entspricht derJahrgangstest insofern, als er Lese-,Schreib- und sprachliche Reflexi-onskompetenz getrennt überprüft.Die Beispielaufgabe aus NRW ver-knüpft wiederum den Nachweisvon Lese- und Schreibkompetenz.Welchen Gewinn können die Ler-ner aus der Beschäftigung mit denunterschiedlichen Aufgaben ziehenund welche Erkenntnis über Test-aufgaben ist für sie hilfreich?◆ Da die gängigen Aufgaben entwe-der zu offen oder zu eng konstruiertsind, ist von PISA ist zu lernen, dassTextverstehen ein Konstruktions-prozess ist und folglich richtig be-messenen Spielraum verlangt. Denndie zu offenen Aufgaben scheuendavor zurück, die Findefähigkeit5)

der Lerner durch Vorgaben einzu-schränken, und bieten als Folge eherzu wenig Orientierung und Anre-gung. Die zu engen Aufgabenstel-lungen schalten demgegenüber dasselbstständige Entdecken beimTextverstehen aus und ersetzen esdurch die Ermittlung isolierter In-formationen oder den Nachweisvorgegebener Aspekte (Jahrgangs-arbeit 8 – Baden-Württemberg).◆ In den Lehrplänen ist Textverste-henskompetenz aufs Engste mitMethodenkompetenz verknüpft.6)

Folglich ist die zu große Unbe-stimmtheit offener Aufgaben auchder Überprüfung von Methoden-kompetenz geschuldet: Je allgemei-ner der Auftrag, desto größer dieselbstständige Leistung. Diese Prä-misse ist nicht falsch, die Ergebnisseder Lerner zeigen aber, dass die er-wartete Selbstständigkeit mehr vo-raussetzt als methodisches Know-how. Textverstehenskompetenz aufhöherer Ebene ist thesengeleitet,und bei professionellen Lesern ist esderen inhaltliches Vorwissen, daszur Produktion von Deutungsthe-sen führt. Für nicht professionelleLeser sollten also richtungsweisen-de Instruktionen gegeben werden.Das kann in Form konkreter Fragenoder durch die Vorgabe von Deu-tungsthesen oder Interpretations-linien geschehen. Vor dem Hinter-grund der PISA-Aufgaben ist alsozu lernen, dass Methodenkompe-

◆ Sie können in Kleingruppen zumHandy-Text und/oder zu BrechtsErzählung selbstständig ein Aufga-benset entwickeln, das sich an derGraffiti-Unit orientiert. Sie produ-zieren Aufgaben in PISA-Manierund diskutieren abschließend, wel-che Art von Aufgabenset sie in derLeistungssituation vorziehen: dasgängige oder das von ihnen erstellte.In der Diskussion wäre dann dieUnterscheidung zwischen offenenund geschlossenen Aufgaben, zwi-schen konkreten und abstraktenFragestellungen zu profilieren,ebenso der Aspekt des Problemho-rizonts und des Klärungsbedarfs.◆ Als einfachere Variante könnensie in Kleingruppen die Liste vonAufgaben zum Brecht-Text (Mate-rial 3) diskutieren und daraus einsinnvolles Aufgabenset zusammen-stellen. Die Begründung ist schrift-lich festzuhalten.

Anmerkungen1) Die folgenden Angaben sind entnommenaus: Jürgen Baumert u. a. (Hg.): PISA 2000.Basiskompetenzen von Schülerinnen undSchülern im internationalen Vergleich. Opla-den: Leske + Budrich 2001, S. 80–1001.2) Julia Ann Krone: Ich muss jetzt Deutschlandvertreten. Schülererfahrungen mit PISA. In:Pädagogik 12/00, S. 36-37, S. 36.3) Vgl. OECD PISA Deutschland. http://www.mpib-berlin.mpg.de/PISA/CCCdt.pdf.Am 9. 8. 2002 4) Vgl. a. a. O.5) Vgl. dazu auch die Analyse des Begriffs„Textdetektiv“ bei Christoph Bräuer: AlsTextdetektive der Lesekompetenz auf derSpur – Zwei Blicke auf ein Unterrichtskonzeptzur Vermittlung von Lesestrategien. In: Di-daktik Deutsch 13 (2002), S. 17–32.6) Vgl. Lehrplan Deutsch SI Gymnasium(NRW), a. a. O., S. 51.7) Vgl. Cordula Artelt/Ulrich Schiefele/Wolf-gang Schneider/Petra Stanat: Leseleistungendeutscher Schülerinnen und Schüler im inter-nationalen Vergleich. Ergebnisse und Er-klärungsansätze. In: Zeitschrift für Erzie-hungswissenschaft (5. Jg.), Heft 1/2002, S. 6–27, S. 20.

Page 6: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

PRAXIS DEUTSCH Heft 176 7

MA

TER

IAL

1

Der Kellner serviert das Rumpsteak und wünscht guten Appetit. Da passiert es am Nebentisch: „Düdellü-deltüt“ zirpklingelt es aus einem Handy. Sein Besitzer macht sofort dieses „Bestimmt-wieder-die-Wallstreet“-Gesicht und führt den bimmelnden Sprechknochen mit affektiert gespreizten Fingern zum Ohr: „Ja, hallo“, bellt er wichtig und so laut durchs Lokal, dass es jedes andere Gespräch durchkreuzt. „Ach du bist’s,Mama“, säuselt er weiter, jetzt in gepresstem Flüsterton und peinlich errötend.Handy-Rowdys scheren sich weder um das Fernmeldegeheimnis noch um Manieren bei Tisch. Ihr guter Tonheißt „Düdellüdeltüt“. Handys sind „in“.Wer sie ablehnt, ist „out“. So einfach ist das, basta! Kaum ein Wirt wagt es deshalb, seinen Gästen die Quatsch-waffe gleich an der Tür abzunehmen, wie einst im Wilden Westen den Colt am Eingang zum Saloon.Nicht mal in der Kirche sind wir sicher vor Handy-Gebimmel und anschließendem Gebrabbel. Gut, die Nürn-berger Nikodemus-Kirche erließ ein Telefonierverbot. Aber in Italien hat kürzlich ein Pfarrer auf der Kan-zel vor voll besetztem Gotteshaus minutenlang mobil telefoniert, und in England finden neue Priesterge-wänder reißenden Absatz, weil die Herstellerfirma eine Innentasche fürs Handy einnäht. Und wenn es nacheinem führenden Hersteller von Mobiltelefonen und seinem Fernsehwerbespot ginge, dann würden dieSpieler der Fußball-Nationalmannschaft in der Pause eines Länderspiels erst mal zum Handy greifen, an-statt den taktischen Anweisungen des Trainers für die zweite Halbzeit zu lauschen.Was in den siebziger Jahren der Diplomatenkoffer und in den Achtzigern der Anrufbeantworter war, dasist in den Neunzigern das Handy: die billigste Art wichtig zu sein. In den Fünfzigern galt der Slogan „Fas-se dich kurz!“. Dann kam die schon leicht enthemmte Aufforderung an den Telefonkunden „Ruf doch malan!“. Heute warnt die Werbung: „Das Leben ist zu kurz für eine lange Leitung“. Seitdem telefonieren pa-nische Handy-Besitzer immer und überall, als habe ihre letzte Stunde geschlagen.Heute gibt es bundesweit zwischen drei und vier Millionen mobile Telefongeräte, die Tendenz ist deutlichsteigend. Nach Vorhersagen der Marktforscher wird sich die Zahl der deutschen Handy-Besitzer im Jahr2000 irgendwo zwischen 10 und 15 Millionen eingependelt haben. Langfristig hat das „Festnetztelefon“ausgedient. Davon sind jedenfalls Branchenexperten überzeugt.Was bei pessimistischen Handy-Gegnern Alpträume verursacht, ist für Optimisten ein Grund zur Hoffnung.Denn wenn beinahe jeder Besitzer eines solchen modernen Kommunikationsgeräts ist, wird der Reiz, sichdadurch in der Öffentlichkeit hervorzutun, deutlich nachlassen. Und vielleicht wird der Gast dann endlichwieder in aller Ruhe sein Rumpsteak ohne „Düdellüdeltüt“ und „Ja, hallo“ verzehren können.

Aus: Stephan Brünjes: Völlig über-Handy-delt. Schöne neue Medienwelt, PZ, Nr. 88/1996

Aufgaben zum „Handy“-Text:

1. In den ersten beiden Absätzen benutzt der Autor zwei bildhafte Ausdrücke für das Wort „Handy“. Schreibe sie heraus. 2 P

a) ..............................................................................................................................................................................

b) ..............................................................................................................................................................................

2. Was steht im Text über „Handy-Rowdys“ und über „panische Handy-Besitzer“? Notiere die entsprechenden Textstellen! 2 P

a) Handy-Rowdys: ...................................................................................................................................................

b) Panische Handy-Besitzer: ...................................................................................................................................

Düdellüdeltüt

Page 7: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

PRAXIS DEUTSCH Heft 1768

3. Im Text kommen die folgenden Begriffe als Fremdwörter vor. Suche die passenden Fremdwörter heraus und ordne sie den deutschen Begriffen zu. 3 P

a) beweglich = .............................................................................................................................................

b) Umgangsformen = .............................................................................................................................................

c) schwarzseherisch = .............................................................................................................................................

d) gekünstelt = .............................................................................................................................................

e) Schlagwort = .............................................................................................................................................

f) Flegel = .............................................................................................................................................

4. Handys in der Kirche? Dafür gibt es im Text drei unterschiedliche Beispiele. Schreibe sie heraus. Welche „Regelung“ findest du am sinnvollsten? Begründe! 4 P

....................................................................................................................................................................................

....................................................................................................................................................................................

....................................................................................................................................................................................

....................................................................................................................................................................................

....................................................................................................................................................................................

....................................................................................................................................................................................

5. Der Verfasser des Textes lässt den Mann in dem Restaurant nicht einfach ins Handy „sprechen“. Er benutzt dafür zwei andere Verben.Gib sie an und erkläre mit eigenen Worten, was das bedeutet. 3 P

a) Verb 1: ...............................................................

Erklärung: ..................................................................................................................................................................

b) Verb 2: ...............................................................

Erklärung: ..................................................................................................................................................................

MA

TER

IAL

1

Page 8: PISA-Aufgaben sind anders Textvorlage handelt es sich häufig · PISA-Unit nicht nur Textverstehen und Schreibfähigkeit weitgehend entkoppelt, sondern auch Textver-stehen und Methodenkompetenz

MA

TER

IAL

3

PRAXIS DEUTSCH Heft 176 9

Der hilflose KnabeBertolt Brecht

Ihr findet im Folgenden eine Reihe von Aufgaben, die sich auf Brechts Erzählung beziehen. Stellt daraus ein sinn-volles/angemessenes Aufgabenset für eine Klassenarbeit oder einen Test zusammen und begründet eure Ent-scheidung.

Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich hineinzufressen, und erzählte folgendeGeschichte: „Einen vor sich hin weinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund seines Kum-mers. ‚Ich hatte zwei Groschen für das Kino beisammen’, sagte der Knabe, ‚da kam ein Junge und riss mir einenaus der Hand’, und er zeigte auf einen Jungen, der in einiger Entfernung zu sehen war. ‚Hast du denn nicht umHilfe geschrien?’ fragte der Mann. ‚Doch’, sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. ‚Hat dich niemandgehört?’ fragte ihn der Mann weiter, ihn liebevoll streichelnd. ‚Nein’, schluchzte der Junge. ‚Kannst du denn nichtlauter schreien?’ fragte der Mann. ‚Nein’, sagte der Junge und blickte ihn mit neuer Hoffnung an. Denn der Mannlächelte. ‚Dann gib auch den her’, sagte er, nahm ihm den letzten Groschen aus der Hand und ging unbeküm-mert weiter.“

aus: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 18, © Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1995

„Beschreibe den Handlungsaufbau und die Verhaltensweisen der Personen und erkläre den (überraschenden)Schluss in Brechts Geschichte Der hilflose Knabe. Finde eine Situation, auf die sich der Text übertragen lässt, undnimm abschließend zur dargebotenen Schlusslösung kritisch Stellung.“

aus: Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Richtlinien und Lehrpläne für das Gymnasium – Sekundarstufe I – in Nordrhein-Westfalen. Deutsch. Frechen: Verlagsgesellschaft Ritterbach1993, S. 139.

◆ Die Geschichte könnte eine ganz andere Wendung nehmen. Schreibe eine solche. Erkläre den Unterschied zwischen den beiden Fassungen.

◆ Wenn wir davon ausgehen, dass es Herrn K. nicht darum geht, den Mann zu kritisieren, wie ist dann die Geschichte zu verstehen?

◆ Welches Ende der Geschichte hättest du erwartet? Begründe deine Erwartung aus dem Text.

◆ Warum ist der Schluss der Geschichte überraschend?

◆ Erkläre den in Herrn K.s Geschichte vorgetragenen Schluss. Berücksichtige dabei die Überschrift und den Einleitungssatz.

◆ Stelle Vermutungen an über die Wirkung, die das Verhalten des Mannes auf den Knaben hat:a) in deiner Version; b) in Herrn K.s Geschichte.

◆ Die Absicht des Textes istA zu zeigen, dass die meisten Menschen Diebe sindB angesichts von Unrecht zum Mitleid anzuleitenC die Kinderrechte zu stärkenD zur Gegenwehr bei erlittenem Unrecht aufzufordern

◆ Herrn K.s Geschichte ist ein Beispiel für eine allgemeingültige Lehre. Skizziere eine neue passende Beispielgeschichte aus der heutigen Zeit.

◆ Überlege, ob das Verhalten des Mannes der eingangs formulierten Lehre förderlich ist.

MA

TER

IAL

2