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PodiumSchule 2.07 Schule als Ort der Bürgergesellschaft Ein Plädoyer und erfahren muss, warum es wichtig ist, sich für die demokratische Gesellschaft ein- zusetzen. Herausforderungen in Deutschland Die Diskussion über diese Bildungsaufgabe an sich ist so alt wie unsere Demokratie. Der Zeitpunkt für einen öffentlichen Diskurs zum Bildungsziel gesellschaftliches Engagement ist trotzdem kein Zufall. Seit Anfang der 90er Jahre gibt es in Deutschland eine neue, inten- sive Diskussion zwischen Wissenschaft, Pra- xis und Politik darüber, wie Zivilgesellschaft und Demokratie gestärkt werden können. Auslöser waren rechtsextreme Gewalttaten und die sinkende Wahlbeteiligung junger Menschen. Im Mittelpunkt der Lösungssuche stehen pädagogische Interventionen. Der Pisa-Schock hat den Diskurs um das Thema Lernkultur erweitert. Pisa rückte im Jahr 2002 den kognitiv ausgerichteten Bil- dungskanon in den Mittelpunkt. Wissenschaft und Praxis unterstreichen jedoch immer wie- der, dass Bildung mehr ist. Sie ist auch besser, wenn Kindern und Jugendlichen Erfahrungs- räume angeboten werden, in denen Theorie Michael Alberg-Seberich | Ina Epkenhans | Sigrid Meinhold-Henschel | Jonathan Przybylski Wo liegt der Zusammenhang zwischen Balle- rinaschuhen, im Englischen „Dolly Shoes“ genannt, Schule und Bürgergesellschaft? Die- se Frage hat der Carl Bertelsmann-Preis 2007 „Gesellschaftliches Engagement als Bildungs- ziel“ beantwortet. „Dolly Movement“ nennt sich eine Gruppe von Schülerinnen an der Phoenix High School im Westen Londons, die Konzerte gegen Gewalt und Waffen im eige- nen Stadtteil organisiert. Initiiert wurde die Gruppe vom Preisträger des Carl Bertels- mann-Preises 2007, der britischen Citizenship Foundation. Die Citizenship Foundation zeigt in der Praxis, wie junge Menschen im Unter- richt an die Ziele der Bürgergesellschaft herangeführt und selbst zu verantwortlichen Akteuren für Demokratie werden. Die Recherchen zum Carl Bertelsmann- Preis 2007 zeigen, dass die Öffnung der Schule für Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen weltweit ein Thema ist. Viele Akteure in Politik und Zivilgesellschaft reali- sieren, dass jede Generation erneut lernen und Praxis miteinander verzahnt sind. Dies unterstreichen die Erfahrungen des „Themen- orientierten Projektes Soziales Engagement“, Träger des diesjährigen Sonderpreises im Rahmen des Carl Bertelsmann-Preises 2007, an den Realschulen in Baden-Württemberg (siehe Artikel von Dr. Uwe Böhm auf Seite 3 in diesem Heft). Eine Reaktion auf die Ergebnisse der Pisa-Studie ist die politische Durchsetzung der Ganztagsschule. In dieser Schulform sind Schule und der Dritte Sektor aufeinander an- gewiesen. Wo sonst sollen Kinder in Zukunft ein Musikinstrument lernen oder mit sozialen Organisationen in Berührung kommen? Mit Pisa ist die Frage nach der sozialen Gerechtig- keit unseres Bildungssystems neu gestellt worden. Der Bildungserfolg hängt in Deutsch- land vom sozialen Status der Eltern ab. Dies gilt auch für gesellschaftliches Engagement, wie der Freiwilligensurvey (2004) mit Zahlen untermauert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Schüler an einem Gymnasium gesell- schaftlich engagiert, ist doppelt so hoch wie an einer Hauptschule. Dies gilt es zu ändern, wenn Engagement wirklich schlau macht (siehe Seite 2). Die frühe Förderung gesell- schaftlichen Engagements bietet somit eine Vielzahl von Chancen für die Gesellschaft und das Individuum. Das Potenzial der Verknüp- fung von gesellschaftlichem Engagement und Schule ist in Deutschland bisher nicht ausge- schöpft. Das Individuum stärken „Macht Engagement schlau?“, lautete im Jahr 2005 die provokante Frage der Dortmunder Jugendforscher Wiebken Düx und Erich Sass. In ihren Forschungen konnten sie zeigen, dass Kinder und Jugendliche durch Engage- ment zentrale Lebenskompetenzen erwerben. Es ist zu fragen, wie die Stärken des informel- len Lernens mit denen des formellen Lernens in der Schule verbunden werden können. Schule kann ein Ort der Reflexion und Doku- mentation des Erfahrenen sein. Die Prozess- begleitung – eine nicht mehr wegzudenkende Aufgabe der Lehrerschaft – ermöglicht die Verbindung des Erfahrenen mit Wissen. Engagement macht fit fürs Leben. Im Rah- men der Mitarbeit in einer Umweltgruppe, als Trainer in einem Sportverein oder als freiwil- Viele Akteure in Politik und Zivilgesellschaft realisieren, dass jede Generation erneut lernen und erfahren muss, warum es wichtig ist, sich für die demokratische Gesellschaft einzusetzen.

Podium Schule 2 07

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PodiumSchule 2.07

Schule als Ort der BürgergesellschaftEin Plädoyer

und erfahren muss, warum es wichtig ist, sich für die demokratische Gesellschaft ein-zusetzen.

Herausforderungen in DeutschlandDie Diskussion über diese Bildungsaufgabe an sich ist so alt wie unsere Demokratie. DerZeitpunkt für einen öffentlichen Diskurs zumBildungsziel gesellschaftliches Engagement ist trotzdem kein Zufall. Seit Anfang der 90erJahre gibt es in Deutschland eine neue, inten-sive Diskussion zwischen Wissenschaft, Pra-xis und Politik darüber, wie Zivilgesellschaftund Demokratie gestärkt werden können.Auslöser waren rechtsextreme Gewalttatenund die sinkende Wahlbeteiligung jungerMenschen. Im Mittelpunkt der Lösungssuchestehen pädagogische Interventionen.

Der Pisa-Schock hat den Diskurs um dasThema Lernkultur erweitert. Pisa rückte imJahr 2002 den kognitiv ausgerichteten Bil-dungskanon in den Mittelpunkt. Wissenschaftund Praxis unterstreichen jedoch immer wie-der, dass Bildung mehr ist. Sie ist auch besser,wenn Kindern und Jugendlichen Erfahrungs-räume angeboten werden, in denen Theorie

Michael Alberg-Seberich | Ina Epkenhans | Sigrid Meinhold-Henschel | Jonathan Przybylski

Wo liegt der Zusammenhang zwischen Balle-rinaschuhen, im Englischen „Dolly Shoes“ genannt, Schule und Bürgergesellschaft? Die-se Frage hat der Carl Bertelsmann-Preis 2007„Gesellschaftliches Engagement als Bildungs-ziel“ beantwortet. „Dolly Movement“ nenntsich eine Gruppe von Schülerinnen an derPhoenix High School im Westen Londons, dieKonzerte gegen Gewalt und Waffen im eige-nen Stadtteil organisiert. Initiiert wurde dieGruppe vom Preisträger des Carl Bertels-mann-Preises 2007, der britischen CitizenshipFoundation. Die Citizenship Foundation zeigtin der Praxis, wie junge Menschen im Unter-richt an die Ziele der Bürgergesellschaft herangeführt und selbst zu verantwortlichen Akteuren für Demokratie werden.

Die Recherchen zum Carl Bertelsmann-Preis 2007 zeigen, dass die Öffnung der Schule für Kooperationen mit gemeinnützigenOrganisationen weltweit ein Thema ist. VieleAkteure in Politik und Zivilgesellschaft reali-sieren, dass jede Generation erneut lernen

und Praxis miteinander verzahnt sind. Diesunterstreichen die Erfahrungen des „Themen-orientierten Projektes Soziales Engagement“,Träger des diesjährigen Sonderpreises imRahmen des Carl Bertelsmann-Preises 2007,an den Realschulen in Baden-Württemberg(siehe Artikel von Dr. Uwe Böhm auf Seite 3in diesem Heft).

Eine Reaktion auf die Ergebnisse der Pisa-Studie ist die politische Durchsetzung der Ganztagsschule. In dieser Schulform sindSchule und der Dritte Sektor aufeinander an-gewiesen. Wo sonst sollen Kinder in Zukunftein Musikinstrument lernen oder mit sozialenOrganisationen in Berührung kommen? MitPisa ist die Frage nach der sozialen Gerechtig-keit unseres Bildungssystems neu gestelltworden. Der Bildungserfolg hängt in Deutsch-land vom sozialen Status der Eltern ab. Diesgilt auch für gesellschaftliches Engagement,wie der Freiwilligensurvey (2004) mit Zahlenuntermauert. Die Wahrscheinlichkeit, dasssich ein Schüler an einem Gymnasium gesell-schaftlich engagiert, ist doppelt so hoch wiean einer Hauptschule. Dies gilt es zu ändern,wenn Engagement wirklich schlau macht

(siehe Seite 2). Die frühe Förderung gesell-schaftlichen Engagements bietet somit eineVielzahl von Chancen für die Gesellschaft unddas Individuum. Das Potenzial der Verknüp-fung von gesellschaftlichem Engagement undSchule ist in Deutschland bisher nicht ausge-schöpft.

Das Individuum stärken„Macht Engagement schlau?“, lautete im Jahr2005 die provokante Frage der DortmunderJugendforscher Wiebken Düx und Erich Sass.In ihren Forschungen konnten sie zeigen,dass Kinder und Jugendliche durch Engage-ment zentrale Lebenskompetenzen erwerben.Es ist zu fragen, wie die Stärken des informel-len Lernens mit denen des formellen Lernensin der Schule verbunden werden können.Schule kann ein Ort der Reflexion und Doku-mentation des Erfahrenen sein. Die Prozess-begleitung – eine nicht mehr wegzudenkendeAufgabe der Lehrerschaft – ermöglicht dieVerbindung des Erfahrenen mit Wissen.

Engagement macht fit fürs Leben. Im Rah-men der Mitarbeit in einer Umweltgruppe, alsTrainer in einem Sportverein oder als freiwil-

Viele Akteure in Politik und Zivilgesellschaft realisieren, dassjede Generation erneut lernen und erfahren muss, warum eswichtig ist, sich für die demokratische Gesellschaft einzusetzen.

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liger Mentor für Deutsch in einem Kindergar-ten werden Kompetenzen gelernt, die in derberuflichen Praxis relevant sind. Es kommthinzu, dass die Kinder und JugendlichenNetzwerke vor Ort aufbauen. Dieses sozialeKapital kann zu verschiedenen Zeitpunktendes Lebens, z. B. bei der Suche nach einerLehrstelle, von Bedeutung sein.

Engagement kann glücklich machen. DieseBeobachtung wird von vielen Menschen miteinem natürlichen Reflex kommentiert:„Stimmt!“ Studien, vor allem von Allan Luksaus den USA, belegen empirisch, dass Men-schen die helfen ein ausgeglichenes, zufrie-deneres Leben führen und häufig eine länge-re Lebenserwartung haben. Eine sinnvolleIntegration von gesellschaftlichem Engage-

ment stärkt somit das Selbstbewusstsein desIndividuums und kann sich positiv auf dasSchulklima auswirken.

Die Gesellschaft stärkenDemokratie basiert auf dem Interesse der Bür-ger diese zu gestalten. Gesellschaftliches En-gagement ist ein zentraler Ausdruck der Mit-wirkung. Die Recherchen zeigen, dass in einerDemokratie politisches Handeln und gesell-schaftliches Engagement zusammengehören.Engagement wirkt hierbei integrierend. VieleSchulen und Non-Profit-Organisationen nut-zen ihre Bildungsprogramme zum Thema, umleistungsschwachen Schülern eine positiveLernerfahrung zu ermöglichen und die eigeneLebenssituation zu gestalten. Es entsteht Sozi-

Zum Auftakt ein Foto für die Presse:Stifter Reinhard Mohn, Brigitte Mohn.Bundeskanzlerin Angela Merkel,Liz Mohn und Gunter Thielen (v. l.).

alkapital, welches den Jugendlichen zu gesell-schaftlicher Anerkennung und aktiver Partizi-pation verhilft.

Anders lernenDie Recherchen zum Thema bestätigen, dassSchule sich für das lokale Umfeld öffnenmuss. Die Citizenship Foundation gestaltet gewinnbringend Partnerschaften zwischen gemeinnützigen Organisationen und Schulen.In Deutschland könnten die viel diskutiertenregionalen Bildungslandschaften eine Struk-tur schaffen, die es Schulen erlauben würde,geeignete Partner in der Bürgergesellschaft zufinden und damit bewährte Formen des erfahrungsorientierten Lernens zu etablieren.Dies setzt voraus, dass solche Kooperationen

in Zukunft zum festen Bestandteil unseres Bil-dungssystems werden.

Der Carl Bertelsmann-Preis 2007 hat Bei-spiele identifiziert, die die genannten Chan-cen für den einzelnen Schüler, die Schule unddie Gesellschaft nutzen. Damit diese Erfolgs-geschichten nicht nur Einzelbeispiele bleiben,muss ein Recht auf Engagement institutionellim Bildungsauftrag der Schule verankert wer-den. Nur so werden Themen wie Bürgergesell-schaft und Demokratie dauerhaft Einzug indie Aus- und Fortbildung von Lehrern haltenund Prozessbegleitung innerhalb und außer-halb der Schule ermöglicht.

Kontakt: Sigrid Meinhold-Henschel05241.81 81 [email protected]

Der Carl Bertelsmann-Preis

Mit dem „Carl Bertelsmann-Preis“werden innovative Konzepte undnachahmenswerte Lösungsansätzein gesellschaftlichen Problemfel-dern ausgezeichnet. Der nach dem Gründer des MedienhausesBertelsmann benannte Preis wirdjährlich verliehen und ist mit150.000 Euro dotiert. Sein beson-deres Kennzeichen ist die interna-tionale Ausrichtung – der „Blicküber den Zaun“, um weltweit vonden Besten zu lernen. Ziel des CarlBertelsmann-Preises 2007 war es,in einer internationalen RechercheBest Practice-Beispiele zu identi-fizieren, die geeignet sind, dieRahmenbedingungen für die früheFörderung von gesellschaftlichemEngagement in Deutschland zuverbessern.

Demokratie basiert auf dem Interesse der Bürger diese zu gestalten. Gesellschaftliches Engagement ist ein zentraler Ausdruck der Mitwirkung. Die Recherchen zeigen, dass in einer Demokratie politisches Handeln und gesellschaftliches Engagement zusammengehören.

Liz Mohn und Angela Merkel gratulieren denPreisträgern: Michael Mclay von der CitizenshipFoundation sowie den Schülerinnen LatyahMcCarthy und Kaisha Ferguson-Picken.

Freuten sich über den Sonderpreis: Ute Reck-nagel-Saller und Johannes Bergner vom Kultus-ministerium; Schülersprecherin Pia Wenzel undMinister Helmut Rau (v. l.).

Carl Bertelsmann-Preis

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Dr. Uwe Böhm

Die Entstehung des ThemenorientiertenProjekts „Soziales Engagement“In der Lehrerakademie Calw fand 2002 die Tagung „Forum Realschule“ zum Thema „Soziales Lernen“ statt. Dabei erkannten dieTeilnehmer die Notwendigkeit sozialen Ler-nens in der Schule und setzten folgende Ziele:� Die SchülerInnen sind fähig, für sich und

ihre Lebensgestaltung Verantwortung zuübernehmen.

� Sie können in Gruppen und Systemen ver-antwortlich handeln und dieses Handelnaus einem ethischen Anspruch heraus be-werten.

� Sie sind bereit und fähig, vor dem Hinter-grund der Schlüsselprobleme unserer Weltverantwortlich zu handeln.

� Sie erwerben soziale Kompetenzen undQualifikationen für die Berufsfähigkeit.

Die Referate und Workshops auf dieser Tagung entwickelten folgende Prinzipien:

Soziales Lernen lebt vom Wechsel von Handeln und Reflexion. Es realisiert sich inBewährungsfeldern innerhalb und außerhalbder Schule. Und: Soziales Lernen verlangtnach ethischer Orientierung. Die Diskussionführte zu einer verpflichtenden Einführung eines Themenorientierten Projekts „SozialesEngagement“. Im neuen Bildungsplan 2004wurden somit vier Themenorientierte Projektein den über 480 baden-württembergischen Realschulen verankert:� „Technisches Arbeiten“ für Klassenstufe 5

oder 6;� „Wirtschaften, Verwalten und Recht“ und � „Soziales Engagement“ finden meistens in

der Klassenstufe 7, 8 oder 9 statt;� „Berufsorientierung in der Realschule“

wird traditionell in Klasse 9 durchgeführt.

Rahmenbedingungen und KonzeptionDie Bedingungen aller vier Themenorientier-ten Projekte sind vorgegeben: Jedes Projekt istzeitlich befristet und muss innerhalb ein-esSchuljahres umgesetzt werden. An der Durch-führung sind alle SchülerInnen einer Jahr-gangsstufe beteiligt. Die Integration des Pro-jekts in die beteiligten Fächer mussgewährleistet sein. Das zur Verfügung stehen-de Zeitbudget beträgt zwei Wochenstunden (ca. 72 Jahresstunden). Am Projektende gibtes eine ausgewiesene Ziffernnote mit verbalerBeurteilung.

Im Bildungsplan sind folgende Kompeten-zen für das Themenorientierte Projekt „Sozia-les Engagement“ ausgewiesen:

Die SchülerInnen können� eigene Fähigkeiten erkennen und für

andere einsetzen;� durch ihr Verhalten gemeinschaftliches

Leben in ihrem Umfeld fördern;� ihre Klassen- und Schulgemeinschaft

als soziales Gefüge begreifen und lernen,förderliche Einwirkungs- und Gestaltungs-möglichkeiten für die Gemeinschaft zu ken-nen und einzusetzen;

� Konflikte partnerschaftlich lösen;� soziale Einrichtungen erkunden und dar-

stellen (Lerngang, Exkursion);� über ihr soziales Engagement reflektieren

und es dokumentieren;� für andere verlässlich Verantwortung im

ehrenamtlichen Bereich (in der Schule, in

Vereinen, Kirchen und als (Junior-)Mento-rinnen und (Junior-) Mentoren) überneh-men;

� zu sozialem Engagement einen eigenenStandpunkt einnehmen und darüber reflek-tieren.

Die vorgegebenen 72 Jahresstunden beinhal-ten den Unterricht und das Praktikum und be-ziehen sich somit auf die Zeit, die die Schüle-rInnen in das Projekt „Soziales Engagement“investieren. Das Praktikum kann in der Schu-le (z. B. Streitschlichterausbildung, Pausenhof-mentor, Schulsanitäter) oder außerhalb (z. B.Hausaufgabenbetreuung in einer Sonderschu-le, Sozialpraktikum, Schülermentor) stattfin-den. Länge (15 bis 25 Stunden) und Form desPraktikums (blockartig oder über das Schul-jahr verteilt) legt jede Realschule selbst fest.Am Ende geben die SchülerInnen eine Doku-mentation/ein Portfolio ab und halten häufigeine Präsentation. In der Regel werden diesebeiden Elemente benotet. Die jährlich über30.000 SchülerInnen, die das Projekt „Sozia-les Engagement“ durchführen, erwerben vorallem Fähigkeiten im Bereich Sozial- und Per-sonalkompetenz. Spezifisches Fachwissen undmethodische Fertigkeiten werden im Prakti-kum individuell angeboten und gefördert.

Welche Erfahrungen liegen bisher vor?Das Themenorientierte Projekt „Soziales En-gagement“ basiert u. a. auf Erfahrungen desCompassion-Projekts, des Diakoniepraktikumsder Agentur Mehrwert und des Schülermen-torenprogramms „Soziale Verantwortung ler-nen“. Ziel dieser kirchlichen Modelle ist dieEntwicklung und Stärkung sozialverpflichteterHaltungen unter SchülerInnen sowie dieÜbernahme von Verantwortung auf Zeit in

gesellschaftlichen Handlungsfeldern. Exem-plarisch sei hier auf die Erfahrungen desCompassion-Projekts zurückgegriffen, dessenMerkmale den Rahmenbedingungen des The-menorientierten Projekts „Soziales Engage-ment“ entsprechen.

Ein Viertel der beteiligten SchülerInnenfasst am Ende des Schuljahrs eine Fortset-zung des sozialen Engagements ins Auge. Ca. 80 Prozent sagten, dieses Schuljahr mitPraktikum und begleitendem Unterricht sei„eine gute und wichtige Erfahrung“ oder „dassollte jeder einmal machen“. Im Vergleich zurKontrollgruppe nahm die Prosozialität der amProjekt beteiligten SchülerInnen signifikantzu (von 81 Prozent am Anfang auf 89 Prozentam Ende des Schuljahres).

Bei der Durchführung eines außerschuli-schen Praktikums ist die Realschule auf ko-operierende Partner angewiesen (z. B. Diako-nie, Caritas, Jugendarbeit, Verein, Feuerwehr,Sonderschule), die in der Praktikumszeit ihreEinrichtung sowie ihre Berufsfelder darstellenund zukünftige Ehrenamtliche gewinnen kön-nen. Einige SchülerInnen engagieren sich z. B.weiterhin in der kirchlichen Jugendarbeit, imSportverein oder besuchen die Menschen, diesie im Altenheim kennengelernt haben. Einregionales Netzwerk von Schulen und Non-Profit-Organisationen ermöglicht den Jugend-lichen das „Schnuppern“ in gesellschaftlicheHandlungs- und Engagementfelder.

Aufgrund der Ergebnisse empirischer Studien der oben genannten Modelle ergebensich folgende wesentliche Erfahrungen, diesich auf das Themenorientierte Projekt „Sozia-les Engagement“ beziehen lassen:1. Bei der Begegnung mit Menschen „am Ran-

de der Gesellschaft“ handelt es sich für die

Jugendlichen um ungewöhnliche Erfahrun-gen. Sie spüren dabei, dass sie als Personwichtig sind und gebraucht werden. Sie erleben diese Erfahrungen als persönlichbereichernd und gewinnen Verhaltenssi-cherheit im Umgang mit diesen Menschen(personaler Aspekt).

2. Soziale Erfahrungen mit hilfsbedürftigenMenschen führen zur Aufmerksamkeit fürsoziale Probleme in der Gesellschaft undzu einem besseren Verständnis für Men-schen (gesellschaftsbezogener Aspekt).

3. Die Jugendlichen kommen durch das Prak-tikum ins Nachdenken über Sinn, Werteund Orientierungen im eigenen Leben(ethischer Aspekt).

4. Die Verbindung von Praxis und Reflexionermöglicht, dass die Handlungsbereitschaftzu weiterem sozialen Engagement gewecktwird. Die Thematisierung im Unterricht istbedeutsam. (Aspekt der Nachhaltigkeit).

5. Indem sich die Schule Lebenswelten öffnet,die für Jugendliche fremd sind, bewertensie Schule und Unterricht neu (schulpäda-gogischer Aspekt).

Weiterführende Literatur:Böhm, U.: Soziales Lernen und Soziales Engagement.Verantwortungsübernahme Jugendlicher im schulischenKontext. Baltmannsweiler 2006

Kontakt:Dr. Uwe BöhmStaatl. Seminar für Did. u. Lehrerbildung (RS), [email protected]

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Soziales Engagement als Projekt an Realschulen in Baden-Württemberg

Entstehung – Konzeption – Erfahrungen

Baden-Württembergische Realschüler der siebten und achten Klasse arbeiten in unterschiedlichensozialen Projekten. Bis 100 Schulstunden im Jahr widmen manche Schüler dem Dienst von „Mensch zu Mensch“.

Mit neuen, verantwortungsvollen Heraus-forderungen an ihr Können und ihre Persönlich-keit erlernen die Schüler eine ganz andere Ernsthaftigkeit.

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)Vorbilder bilden – Gesell-schaftliches Engagement alsBildungszielCarl Bertelsmann-Preis 2007Diese Publikation zum Carl Ber-telsmann-Preis 2007 zeigt diePotenziale früher Engagement-förderung für die Einzelnen unddie Gesamtgesellschaft auf undskizziert die bestehenden Rah-menbedingungen in Kitas, Schu-len, Vereinen und Verbänden.1. Auflage 2007, 292 SeitenBroschur, 32,00 Euro, ISBN 978-3-89204-943-2

Literaturtipps

Thomas Olk; Roland Roth, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.)Mehr Partizipation wagen Argumente für eine verstärkteBeteiligung von Kindern undJugendlichenUnsere Gesellschaft steht vorReformaufgaben in allen Politik-bereichen. Diese zu meistern, erfordert mehr bürgerschaft-liches Engagement denn je, unddie junge Generation spielt dabei eine wichtige Rolle.2. Auflage 2007, 130 Seiten978-3-89204-922-7

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)Kinder- und Jugendbeteiligungin Deutschland Entwicklungsstand und Hand-lungsansätzeDieser Sammelband verstehtsich als Kompendium zu Fragender Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Er gibt einenEinblick in den gegenwärtigenDiskussions- und Entwicklungs-stand und beleuchtet Hand-lungsperspektiven der Mitwir-kung junger Menschen inDeutschland. 1. Auflage 2007,292 Seiten, 25,00 Euro ISBN 978-3-89204-937-1

Löwenhunger – wenn nicht nur der Magen knurrtSozial macht Schule

„Ich habe Hunger!“ Unüberhörbar stürmt David (10) durch die offene Tür des Löwen-hauses. Es ist entweder 7:30 Uhr und er musszur Schule oder es ist Mittag 13:30 Uhr und er kommt von da. Betreuer Robert kennt David schon lange. Er weiß, dass David keinFrühstück und kein Mittagessen bekommt,und dass er und seine kleine Schwester Vanessa (7) den Nachmittag entweder alleinzuhause oder auf der Straße herumgammel-ten – gäbe es da nicht Hermann Krüger,Schulleiter der Bunatwiete-Schule, Rainer Micha vom ASB und seit April 2006 deren gemeinsames, ohne öffentliche Gelder geführ-tes „Löwenhaus für Kinder“. Und vor allem:die Sozialpraktikanten, all die Schüler undFreiwilligen des Projektes „Sozial macht Schule“ (SMS).

Seit 1999 erkunden die einen mit den Klei-nen ihre Stadtteile, die anderen beschäftigensich mit der Vergangenheit, interviewen Über-lebende des Holocaust, schreiben und spielenTheater. Einen üblichen Schulwandertag gibtes an den in SMS aktiven Schulen nicht mehr;die Lehrer trauen den Schülern auch zu, andiesen Tagen mit Senioren oder Behindertenin den Zoo oder auf den Weihnachtsmarkt zugehen. „Schwellen- und Berührungsängstewerden so abgebaut“, berichtet Hermann Krü-ger. Er offerierte das erste geplant langfristigeSMS-Projekt „Kinderbetreuung im Löwen-haus“ 2005 seiner achten Klasse der Bunat-wiete als Schulfach: Sozialethik. Nie hatte derleidenschaftliche 60-jährige Lehrer mit einersolchen Resonanz gerechnet, und schon garnicht damit, dass als „unbeschulbar“ geltendeSchülerinnen nicht nur zuverlässige Arbeitleisten wollten, sondern diese auch noch überdas ganze Schuljahr nutzen, um sich selbst zuorientieren. „Ich war schlimmer als alle zu-sammen“, feixt Hülya (19). Begleitet von denLehrern in der Schule und von den Betreuernim Löwenhaus ist sie durchschnittlich 20Stunden in der Woche dort. Dass die Schuleihr lediglich zwei Stunden Unterricht dafüranrechnet, ist ihr nicht wichtig. „Sie beginntnach dem Schulabschluss ihr Freiwilliges So-ziales Jahr (FSJ) im Löwenhaus und wird dortauch schon Frühstück zubereiten“, berichtetHermann Krüger und wendet sich an RainerMicha. „Zusammen mit Esra, die auf ihrenMedizinstudienplatz wartet. Und die als über-zeugte Kopftuchträgerin schon lange bei dem

Projekt ,SMS‘ ist, weil man ihr bei anderenTrägern die Tür vor der Nase zugeschlagenhat, als sie sich gesellschaftlich engagierenwollte.“ Rainer Micha, Bildungsreferent beimASB und einer der Väter des Projektes SMS,schüttelt nur den Kopf: „Wie kann man so vielPotenzial verschenken? Inzwischen haben wirdurch die aktiven Schüler hier 15 Sprachenund als Herkunft ebenso viele Länder vertre-ten. Verschiedenheit ist bei uns Programm.“Someya berichtet stolz: „Ich habe in der sechs-

ten Klasse beim ersten Praktikum Sütterlingelernt. Wir haben uns mit der Schule inDeutschland um 1920 befasst.“ Und Murayastartet im Herbst ihre Ausbildung zur Altenpflegerin – beim ASB.

Viele der Schüler bleiben als Praktikantenim Löwenhaus, wenn sie es durch den Unter-richt in der neunten Klasse erst einmal ken-nengelernt haben. Oder kommen wieder:

„Ich hatte gute Erfahrung mit Herrn Michabeim Sozialpraktikum in der achten Klasse inBergedorf gemacht – also habe ich ihn wiederangerufen, als ich Geld für Flutopfer gesam-melt hatte“, berichtet Robert. „Und sein Frei-williges Soziales Jahr macht er hier im Löwen-haus, weil ich mit ihm gute Erfahrungengemacht hatte“, schmunzelt Rainer Micha.„Also habe ich ihn angerufen!“ Zehn Prakti-kanten sind mindestens da: Sie helfen bei denHausaufgaben, spielen Fußball, kochen mit-tags, spielen Uno, schlichten Streit, bereitenseit Neuestem mit Müttern aus dem StadtteilFrühstück zu, verbinden aufgeschlagene Knie,kühlen blaue Augen und legen bei Bedarf dieHand ans Herz der Kinder, ohne ihnen zu nahe zu treten. Kaum beschreibbar ist die Atmosphäre, die Beteiligung, Fürsorge, Mit-sprache, Gestaltung, Interesse, Zuverlässigkeitund Bindungsfähigkeit ausmacht. Connor ist

der einzige Junge unter den vielen Praktikan-tinnen.„Hier lernen nicht nur die was dazu,die von uns betreut werden. Wir lernen auch.“Demokratiefähigkeit nennt es der eine, Ehren-amt ein anderer, soziales Lernen im Ganz-Tagnennt es der ASB, Sozialpraktikum „Schuleim Stadtteil“ die Behörde. „Themen des Prak-tikums sind vor allem, was im Schulunterrichtnicht vermittelt werden kann: Umgang mitKrankheit, Alter, Tod, Fremdheit, Leid“, sagendie Lehrer.

Die Praktika haben dann Erfolg, wenn Jugend-liche Selbstwirksamkeit durch aktive Beteili-gung und Freiwilligkeit erleben können. Seit1999 setzen sich dank engagierter Pädagogenin Schulen 5.000 Freiwillige erfolgreich ein.„Kinder sind doch unsere Zukunft!“, ist Con-nor zutiefst überzeugt von dem, was er tut.

Kaum ist das gemeinsame Mittagessen vor-bei, steht David mit den anderen Kindern beiRobert wieder zur „Obstpause“ Schlange. „Ri-tuale sind Sicherheiten für Kinder. Hier wirdHunger gestillt, bei den Kleinen nach Zuwen-dung und Essen!“, so Rainer Micha. „... undbei den Großen nach Achtung, Respekt, Ver-trauen und Eigenverantwortung“, schließtHermann Krüger.

Kontakt:Rainer Micha, ASB – Sozial macht [email protected]

Wie kann man so viel Potenzial verschenken?Inzwischen haben wir durch die aktiven Schülerhier 15 Sprachen und als Herkunft ebenso vieleLänder vertreten. Verschiedenheit ist bei unsProgramm.

Im „Löwenhaus für Kinder“ wird Hunger gestillt – bei den Kleinen nach Zuwendung undEssen, bei den Großen nach Achtung, Respekt,Vertrauen und Eigenverantwortung.

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Achtung: Schüler bei der Arbeit7 Tage – 1,1 Millionen Schüler – 16 Millionen Euro

„Schüler helfen Leben“ – Jugendlichen in Südosteuropa

„Was ist Kosovo?“, fragten Schüler BerlinerBürger auf der Straße. „Eine Kneipe hier inder Nähe? Eine große Stadt in Russland? EinWeihnachtsgebäck?“ Diese Antworten spie-geln eines deutlich wider: „Die politische Lageauf dem Balkan ist so kompliziert, dass sie inden Medien gar nicht mehr präsent ist“, soRüdiger Ratsch-Heitmann, Geschäftsführerder ersten von Schülern gegründeten Stiftungin Deutschland. Nicht nur deshalb hat z. B.Chris in der Bundesgeschäftsstelle in Neu-münster alle Hände voll zu tun. Er leistet, wieKatharina, Sandra, David und Mareike, seinFreiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei „Schülerhelfen Leben“ e. V. (SHL).

Der Soziale Tag 2007 ist gelaufen. Rund100.000 Schüler erwirtschafteten Spenden inHöhe von ca. zwei Millionen Euro. Kaum hatdie neue Besetzung der Bundesbüros ihrenDienst angetreten, stehen schon die Vorberei-tungen für den nächsten Sozialen Tag ins

Haus. Die Schüler haben am 19. Juni 2007 soüberzeugend den Garten des Kanzleramtesgejätet, dass es sich Angela Merkel nicht hatnehmen lassen, die Schirmherrschaft für denSozialen Tag 2008 zu übernehmen.

Im zehnten Jahr arbeiten dann Schüler einen ganzen Tag gemeinsam für Jugendlichein Südosteuropa – seit 2006 endlich bundes-weit. Damit sich die Schüler in allen Bundes-ländern an diesem Tag gut, effektiv und gewinnbringend zum Zäune streichen, Zeitun-

gen austragen oder Brötchenbacken „vermie-ten“ können, reisen neben den Aktiven auchdie FSJ-ler durch die Lande und besuchenSchulen. Dort berichten sie Schülern und Lehrern von Friedens- und Versöhnungs-arbeit, über den gelungenen Wiederaufbauvon Schulen und von den laufenden Projektenin Bosnien-Herzegowina, Albanien, Serbien,Kosovo und Rumänien. Sie geben Antwortenauf die Fragen, was, wie und warum sie mitden Jugendlichen auf dem Balkan arbeiten,berichten über die Abenteuer, die Menschen,den Verein und die Stiftung „Schüler helfenleben“ (SHL). So unterstützen sie die Vor-bereitungen dieses „Gemeinsamen Schuftensfür einen guten Zweck“, wie sie es selbst inihrer Zeitung „Starter“ formulieren. Ausge-rüstet auch mit der fingerdicken DIN A4-Broschüre mit allen wichtigen Infos zu derSchüler- und Jugendorganisation, „die ihre Arbeit professionalisiert hat, ohne unsympa-

thisch zu werden“ (Julia Salden, 31 J., Frei-willige aus den Anfangszeiten) Die Broschüreenthält neben ausführlichen Infos zu den poli-tischen Verhältnissen auf dem Balkan undden dort laufenden Projekten auch Tipps fürVeranstaltungen, mit denen Jugendliche in Eigenregie Geld für Gleichaltrige auf dem Balkan sammeln können. Acht Jugendlichestemmen als FSJ-ler die Arbeit der Bundes-geschäftsstelle in Neumünster und in Nürn-berg, und auch im Vorstand ist niemand älter

als 22 Jahre. Keiner bleibt dort länger als einJahr im Amt, und die Schüler bestimmen, fürwelche Projekte sie das Geld am Sozialen Tagverdienen. Alles liegt in den Händen der Jugendlichen. Darauf legen sie Wert, und sieschätzen es, dass sie in den Schulen von denLehrern viel Hilfe bekommen.

Egal ob sie ein Praktikum machen, ob sieals FSJ-ler im In- oder Ausland landen, ob siezehn Tage an einem Camp in Bosnien-Herze-gowina teilgenommen haben, um die Arbeitvon SHL zu entdecken, eines wissen die Akti-ven des Vereins: Wir müssen von uns hörenlassen, über uns sprechen, schreiben, müssenuns zeigen – ohne Medienpartner, ohne Öf-fentlichkeit, ohne Geld geht das nicht. „Wirbrauchen und haben gute Partner.“ Katharina,zuständig für die Akquise von Sponsoren, hatgerade die Spende einer Handelskette entge-gengenommen und eine weitere Zusammen-arbeit sichergestellt. „Die Sach- und Geld-spenden aus der Wirtschaft sichern uns vorallem die Informationsarbeit des Vereins unddie Vorbereitungen und die Durchführung des dreitägigen Treffens in Berlin, den So-zialen Tag und die Schultour.“ Das durch denSozialen Tag erwirtschaftete Geld geht zu 45 Prozent direkt in die Projekte, 45 Prozentstocken das Stiftungskapital auf, dienen alsoder langfristigen Absicherung der Projekte aufdem Balkan, und von 10 Prozent muss alles andere finanziert werden.“ Das reicht

nicht immer: „Wir freuen uns über jeden, deruns hilft.“

Als die ersten Schüler 1992 in die Flücht-lingslager auf den Balkan fuhren und dortHilfsgüter ablieferten, trafen sie auf Hungernach Bildung, Hoffnung und Zukunft. Das hatsie motiviert – sie sammelten immer wieder Geld und wollten es selbst einsetzen. Der zunächst humanitären Hilfe folgte Bildungs-arbeit für die Jugendlichen der verfeindetenVolksgruppen, Sommerschulen für Roma undder Aufbau von Schülervertretungen. Ziel: Demokratisierung – friedlich.

„Das hat uns niemand aufgetragen. Wirhaben einfach gemacht. Wir haben uns nichtbeirren lassen. Dank der Sozialen Tage undeiner guten Öffentlichkeit wissen hier immermehr Menschen um die politischen Verhält-nisse und die Situation der Jugend in Süd-osteuropa. So sorgen wir auch dafür, dassJugendliche hier in Deutschland gezielt gesell-schaftliche Verantwortung übernehmen kön-nen. Hier lernen die Jugendlichen von- undmiteinander und arbeiten mit Schülern fürGleichaltrige auf dem Balkan.“ Die Aktivenbei SHL sind sich einig: „Unsere Aufgabe isthier wie dort: Hilfe zur Selbsthilfe!“

Kontakt:Christian Bothur, Schüler Helfen Leben e. [email protected]

Alles liegt in den Händen der Jugendlichen.Darauf legen sie Wert, und sie schätzen es, dasssie in den Schulen von den Lehrern viel Hilfebekommen.

Im zehnten Jahr arbeiten dann Schüler einenganzen Tag gemeinsam für Jugendliche inSüdosteuropa – seit 2006 endlich bundesweit.

Sie organisieren den Rahmen für dasEngagement der Schüler: Die Freiwilligen bei "Schüler Helfen Leben".

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Edelstein und Pokern – Zwei Stühle, eine Meinung!Selbstwirksamkeit als Voraussetzung für Engagement

Umgezogen war sie in eine neue Stadt. Deshalb stimmte dieAdresse nicht mehr, unter der sie hätte erreichbar sein sollen.Mona Pokern (20), einzige Tochter einer alleinerziehendenMutter, ist jetzt in Hildesheim und besucht dort die dritteSchule ihres Lebens. Nachdem sie ihre ersten zehn Schuljahrean einer Gesamtschule verbracht und ihre Fachhochschulreifeerworben hatte, hatte sie nicht mehr viel Hoffnung, dass sie ineiner Institution wie der staatlichen Schule Wissen so erwer-ben könnte, dass es ihr für ihren Alltag wirklich nützt. Hattesie Schule doch jahrelang so erlebt, als wenn die Lehrer be-stimmten, was sie an Wissen zu lernen hatte.

„Es war eher fremdbestimmt, und ich wusste ehrlich gesagtnie so richtig, wofür diese Zahlen, Texte und Fakten gut seinkönnten, die ich dort auswendig lernen und begreifen sollte.Ich habe sie fast nur mit dem Ziel gelernt, sie in einem Testoder in einer Arbeit wieder abfragen zu lassen. Gute Zensurenwaren das Ziel.“ Mona Pokern ist Mitglied im Jugendbeirat des Projektes „mitWirkung“ der Bertelsmann Stiftung, und das auch deswegen, weil sie sich bereits mit zwölf Jahren fürsoziales Engagement entschieden hatte und im Kinderwaldpro-jekt Hannover aktiv wurde.

„Nein, das hatte nichts mit der Schule zu tun. Ich führte eineArt Doppelleben. Während unserer Pubertät fanden meineMitschüler ehrenamtliche Arbeit eher uncool, also hing ich mitdenen ab. An der Schule konnte uns zu der Zeit nichts so rich-tig motivieren. Die Lehrer planten zwar Projekte mit uns, aberrealisieren sollten wir sie dann allein und in unserer Freizeit.Und so verliefen viele Ideen im Sand. Sie schienen aber nichtbereit, ihren Unterricht dafür „opfern“ zu wollen. Oft hattenwir den Eindruck, dass es ihnen eigentlich zu viel Arbeit war,mit uns gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.“

Verstanden hat sie die Lehrer und auch das Korsett derSchulordnung – aber nicht immer gut ausgehalten. „Warum“,fragt sie sich, „konnten wir nicht im Deutschunterricht dieTexte für einen Flyer produzieren, oder in Mathe die Kalkula-tion am Beispiel des Kinderwaldprojektes lernen? Wir habensogar Computerunterricht gehabt und hätten dort eine Web-seite für das Projekt herstellen können. Ich hätte üben kön-nen, wie man präsentiert, ich hätte gern die Hilfe eines Leh-rers gehabt, wenn es um das Argumentieren geht oder gernmal vor Mitschülern ausprobiert, wie das wirkt, wenn ich beimAmt für das Projekt um Geld bitte.“

Das wichtigste Handwerk habe sie wohl bei der Moderati-onsausbildung „Kidfit“ (Deutsches Kinderhilfswerk) und bei„mitWirkung“ gelernt. „Im Kinderwald konnten wir damit dasProjekt weiterentwickeln und auch sichern, haben sogar Zu-kunftswerkstätten selbst moderiert und durchgeführt.“ Aberrückblickend sei es wohl ihre Mutter, die ihr das Rüstzeug dafür vermittelt habe. Etwas nicht Messbares, aber sehr Wirk-sames. Ihre Mutter hat ihr vertraut, und sie ist dankbar dafür,dass sie ihr nicht nur die Unterschriften gab, die sie brauchte,sondern ihr auch Mut zusprach und sie einfach hat machenlassen. „In der Schule haben sie mich zwar auch freigestellt,aber sie haben sich nie wirklich für das interessiert, was ichda eigentlich tue. Der Unterricht musste laufen und die Lehr-pläne und die Schulordnung eingehalten werden.“ Sie fragtsich selbst, wieso eine Schulordnung nicht hergibt, dass Leh-rer mehr zusammenarbeiten, sich absprechen und mal etwasvon außen, auch außerhalb einer Projektwoche, zum Unter-richtsinhalt erklären können. „Dann hätte ich mehr Lust ge-habt, noch mehr zu lernen.“

Nach ihrer Fachhochschulreife arbeitete sie ein Jahr lang in einer Behindertenwohngruppe in Luxemburg, probierte sichaus, war in der Verantwortung und entschied sich in dieserZeit für den Beruf der Ergotherapeutin. Das bedeutete auch:Umzug nach Hildesheim. Sie packte ihre Sachen, richtete sichihren eigenen Haushalt ein und ist verwundert darüber, dass

viele ihrer jetzigen Mitschüler nicht einmal eine Lampe ange-bracht bekommen, ohne nach ihren Eltern zu rufen. „Wahr-scheinlich haben die Eltern denen alles abgenommen, und die konnten gar nicht lernen, sich allein zurechtzufinden, Konflikte zu lösen oder mit Stress oder Frust umzugehen. Die wünschen sich auch häufiger mal den Frontalunterrichtzurück. Da konnte man sich so prima raushalten aus dem Unterricht, ohne dass es auffiel. Das geht an unserer neuenSchule nicht mehr. Hier sind lauter engagierte Lehrer, die unsin Gruppen erarbeiten lassen, was wir lernen müssen. Das istviel effektiver und viel anstrengender, wie ich abends feststel-len muss. Aber es macht einfach mehr Spaß. Denn so behalteich die Sachen, und ich weiß, ich mache es für mich mit ande-ren zusammen, und nicht für die Lehrer. Und diese Lehrer haben offensichtlich nicht nur gelernt, was auch wir wissen

müssen, sondern sie haben auch noch die Methoden, wie siees gut bei uns anbringen können.“ Mona Pokern spricht aus Erfahrung – es wäre sicherlich span-nend gewesen, wenn sie das Gespräch mit Prof. Dr. WolfgangEdelstein (78) geführt hätte. Er hat alles, was sie als Wunschund Wirkung beschreibt, während seiner langen Laufbahn inverschiedenen Ländern und deren Bildungssystemen beobach-ten und wissenschaftlich nachweisen können.

Es trennen sie 58 Jahre Lebenserfahrung, es trennen sieLebenswelten, aber sie eint das Motiv ihres Handelns – dieDemokratie, die Partizipation –, „nicht nur verstanden als repräsentative Beteiligung an der Verwaltung von Schule –,sondern auch als Gesellschafts- und Lebensform. Unter dieserPrämisse müsste Schule Schüler in allen Bereichen an der Gestaltung der gemeinsamen Lebenswelt Schule beteiligen,der Welt des sozialen Lebens wie der Welt des Unterrichts. Inden vorbildlichen nordischen Ländern gelingt Schule deshalbso anders, weil dort das Kerngeschäft der Institution Schulenicht, wie in Deutschland, der Unterricht ist, sondern das Lernen der Schüler“.

Den Unterschied kann Wolfgang Edelstein deshalb so kon-kret formulieren, weil er schon zwischen 1954 und 1963 alsLehrer und später als Studienleiter an der Odenwaldschuledas mit entwickeln konnte, was er heute „die erste deutscheGesamtschule“ nennt. Und weil er z. B. in Island die Schul-reform begleitet hat. In Island hatte der gebürtige Jude schonseine Jugend verbracht. Der emeritierte Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin bleibt aktiv.„Wissen kann man sich besser handlungsorientiert aneignen.“Er handelt noch immer nach dieser Maxime, auch für die„Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik“, die er mitengagierten Bildungsverantwortlichen gründete.

„Das Engagement von Schülern entsteht von ganz allein,wenn sie ihre Selbstwirksamkeit erleben, Selbstwirksamkeitim Sinne einer optimistischen Einschätzung der eigenen Leis-tungsfähigkeit. Ganz von innen kommen dann das Bedürfnisund der Mut, Verantwortung zu übernehmen. Sie schauendann von selbst über den Tellerrand von Schule hinaus. Dafürbrauchen sie Vorbilder, und sie wollen geführt werden – unddas ist die Aufgabe der Lehrer im System – sie müssen dieInitiatoren von kooperativem Lernen sein.“ Um das hinzube-kommen, sollen sie sich Verbündete suchen, denn allein än-dert kein Lehrer etwas. „Es gibt die ,erweckten Pädagogen‘,keine Frage – noch sind sie Einzelgänger. Könnten sich Schul-leiter heute die Lehrer aussuchen, mit denen sie eine solche,Community‘ bilden könnten, sähe die Schulrealität wohl an-ders aus.“

Wolfgang Edelstein ist erfahren und zuversichtlich. Er ver-weist z.B. auf die Arbeit der Yehudi Menuhin-Stiftung und auf die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden. „Dort wird Leh-rern der Prozess der Demokratisierung zugetraut und anver-traut – und dort lernen Lehrer, gemeinsam mit den Schülern,demokratisches Lernen‘ zu praktizieren.“

Die Frage war eigentlich, was Schule tun kann, damit Schü-ler sich engagieren. Heraus kam, dass die Wirkung des Sys-tems Schule noch nicht so ist, dass Schüler ihre Selbstwirk-samkeit erleben und sie aus dieser Erfahrung heraus selbstInitiative ergreifen. Mona Pokern kennt die Wirkung dessen,was sie ist, was sie tut und wie sie daraus lernt. Und Wolf-gang Edelstein gibt keine Ruhe, „Orte sinnerfüllten Lernensund Handelns“ zu schaffen.

Kontakt:Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (DeGeDe) – Bundesbüro –Chausseestraße 29 – 10115 Berlin Tel.: +49.30.28045134 www.degede.de

Sozialisationsforscher und Bildungsreformer Prof. Dr. Wolfgang Edelstein, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse

Das Engagement von Schülern entsteht von ganz allein, wenn sieihre Selbstwirksamkeit erleben, Selbstwirksamkeit im Sinne eineroptimistischen Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit.

Warum konnten wir nicht im Deutschunterricht die Texte füreinen Flyer produzieren, oder in Mathe die Kalkulation amBeispiel des Kinderwaldprojektes lernen?

Mona Pokern (20), jetzt Schülerin an der Herman-Nohl-Schule fürErgotherapie

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Mehr als 2.500 Schülerinnen und Schüler, 80 Prozent aller weiterführenden Schulen der Stadt, über 400 Unternehmen, unzähligePrivatpersonen, über 40.000 Euro gesammelteSpenden – das sind die beeindruckenden Zahlen, die das Projekt „Gütersloh engagiert!– Der soziale Tag in deiner Stadt“ in seinemPilotjahr vorzuweisen hat.

Aber es sind nicht die Zahlen, die den Erfolg dieses Projektes zur Engagementförde-rung für Kinder und Jugendliche ausmachen – es sind die Mobilisierung und die Begeiste-rung der Menschen dieser nahezu 100.000Einwohner zählenden Stadt in Ostwestfalensowie die Kooperationsbereitschaft ihrer Schu-len, Stiftungen, Träger der freien Jugendarbeitund Jugendgremien, die zeigen, dass Schuleund Engagement für das Gemeinwohl eng zu-sammengehören.

In Kooperation mit drei weiteren Stiftungenund unter der Schirmherrschaft von Bürgermeisterin Maria Unger beauftragte dieBertelsmann Stiftung im Frühjahr 2007 die„Falken“ in Gütersloh mit der Umsetzung eines „sozialen Tages“. An diesem Tag solltenSchülerinnen und Schüler der weiterführen-den Schulen die Schulbank mit einem Arbeits-platz tauschen und so für einen guten ZweckSpenden sammeln. Über das Jugendparlament

der Stadt konnten die Kinder und Jugendli-chen die Spendenziele selbst auswählen. Ent-schieden haben sie sich in diesem Jahr für die(Kinder-)Suppenküche und den Jugendclub,der mit dem Geld ein Spiel- und Sportpaketzum kostenlosen Verleih anschaffen möchte.

Es hat sich gezeigt, dass Kinder und Ju-gendliche sich sehr wohl für die Belange ihrerdirekten Umgebung interessieren und auchbereit sind, sich dafür einzusetzen. Die Schulekann im Rahmen solcher Projektkonzeptionenwie „Gütersloh engagiert!“ dieses Interessebefördern und die entsprechende Infrastruk-tur bereitstellen. Sie vermittelt so die Bedeu-tung gesellschaftlichen Engagements undermöglicht in diesem allen Schülerinnen undSchülern informelle Lernerfahrungen.

Dem ersten Schritt eines „sozialen Tages“wollen die Stiftungen daher nun einen weite-ren folgen lassen und das Konzept im Jahr2008 um eine „Service Learning“-Komponenteerweitern. Der erste Erfolg macht Mut dazu.

Weitere Informationen finden Sie im Internet unterwww.guetersloh-engagiert.de

Kontakt: Jonathan Przybylski05241.81 81 [email protected]

„Gütersloh engagiert!“Lokales Projekt zur Förderung des gesellschaftlichen

Engagements von Kindern und Jugendlichen

Berlin-Neuköllns größte Grundschule, dieGrundschule am Sandsteinweg mit fast 800Schülern, 63 Kolleginnen und Kollegen, ca.100 Tieren und vielen fleißigen Helfern, wärelängst nicht so attraktiv und von Kindern undEltern gern besucht, gäbe es die Menschennicht, die hier im Ehrenamt tätig sind.

Wie in vielen Grundschulen der Stadt fin-det man sie auch bei uns, die Lesemütter,Leseomas und Eltern, die Ausflüge begleiten,Basteltage mitgestalten und mit Putzeimerund Lappen bewaffnet nachmittags die Klas-sen reinigen und streichen.

Auch Veranstaltungen wie Adventsbasar,Sportfest, Kennenlernfest der Eltern der 1.Klassen, Kaninchenkonferenz, Laternelaufenund Reiterfest wären ohne die Mithilfe der El-tern nicht denkbar. Hervorzuheben ist hierFrau Fabian, der Schule bereits seit 20 Jahreneng verbunden, die den Förderverein leitet,montags bis freitags von 7 bis 16 Uhr ehren-amtlich in der Schule tätig ist und sich u. a.auch um unsere Tiere kümmert.

Als Reitlehrerinnen opfern außerdem vielejunge Mädchen ihre Freizeit, um den Schüle-rinnen und Schülern das Reiten beizubringen,mit ihnen zu Turnieren zu fahren und ihnendas nötige theoretische Wissen zu vermitteln,um an der Schule das kleine und das großeHufeisen ablegen zu können.

Auch der Tierfreund, der ein- bis zweimalwöchentlich in die Schule kommt, um denKindern bei der Kaninchenbetreuung mit Ratund Tat zur Seite zu stehen, macht das ehren-amtlich, ebenso wie die Mutter, die die Imker-arbeitsgemeinschaft leitet. Dass die Schulenachmittags rund 30 Arbeitsgemeinschaften

anbieten kann, hat sie vielen Menschen zuverdanken, die sich engagieren und ihr Know-how in die Schule einbringen. Dazu gehörtauch die Bastelgruppe der ehemaligen undjetzigen Mütter. Und auch auf dem pädagogi-schen Sektor gibt es viele Eltern, die sich zumWohle der Kinder und der Schule engagieren,ohne auf ihren Vorteil bedacht zu sein. EineArbeitsgruppe aus Eltern, Hortleitung undSchulleitung beschäftigt sich zurzeit mit demThema „Hausaufgaben“ und versucht, für Kin-

der, Elternhaus und Lehrer eine gute Lösungzu finden.

Eine Mutter hat mit Unterstützung der Ber-telsmann Stiftung an der Schule die „Klima-konferenz“ auf den Weg gebracht. Hier gehtes um das Thema Kommunikation zwischenElternhaus und Schule. Auch zu diesem The-ma fanden sich viele Eltern bereit, freitagsund samstags mehrere Workshops zu besu-chen.

Nicht zuletzt muss man diejenigen MAE(Mehraufwandsentschädigungs)-Kräfte erwäh-nen, die auch dann weiterhin zur Schule kom-men, wenn ihre Maßnahmen vom Arbeitsamtbeendet sind und sie eigentlich arbeitslos zu

Hause sein würden. Es stellt sich nun die Frage: Warum geschieht das? Warum opfernso viele Menschen ihre Zeit im Ehrenamt, ohne dafür eine Bezahlung zu erhalten? Rich-tig, sie erhalten in der Schule keinen Lohn inharter Währung, aber sie finden hier etwas,das weit mehr zählt als Geld! Sie sind einge-bunden in ein Netzwerk, bestehend aus per-sönlichen Kontakten, Menschlichkeit, Freund-lichkeit und Anerkennung. Und wenn wirehrlich sind, sind das Werte, die weitaus mehr

zählen als Geld: Menschliche Wärme und Nä-he benötigen wir jeden Tag, immer wiedervon Neuem, materielle Dinge hingegen nicht,denn hier schaltet das Gehirn ganz schnell auf„Kenne ich! Hatten wir schon!“ um, und schonsind auch die schönsten Dinge, die man sichkaufen kann, schnell Normalität.

Somit ist es auch verständlich, warum beiuns so viele Menschen ehrenamtlich tätigsind: Sie erhalten dank ihres Engagementsdas, was im Leben am meisten zählt: Liebeund Anerkennung. Die Reitlehrerinnen sehendie glücklichen Augen der Kinder, die Bastel-mütter freuen sich, wenn sich ihre Dinge gutverkaufen lassen und finden die Tage herrlich,

an denen sie zusammen basteln, sie sich aberauch austauschen, menschliche Kontakte pfle-gen können.

Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, stelltesich nicht die Frage, wie solche „Netzwerke“aufgebaut werden können.

Ein Patentrezept gibt es dafür wohl nicht.Aber von großer Wichtigkeit ist, dass der-jenige, der Netzwerke aufbauen möchte, vielZeit, persönlichen Einsatz, großes Engage-ment und die Fähigkeit der Kommunikationund des aktiven Zuhörens mitbringen muss.Dazu gehören des Weiteren viele gemeinsameAktivitäten, aus denen sich dann wieder eigene kleine Netzwerke ergeben. Es beginntmit einem gemeinsamen Frühstück und gehtweiter über persönliche Treffen, die nicht selten auch in den Freizeitbereich hinein-gehen. So verabreden sich einzelne Gruppen,um Essen zu gehen, oder aber sie feiern gemeinsam die vielen Feste der Schule.

All dieses zeigt, wie wichtig das Ehrenamtfür die Schule ist. Es gelingt aber nur, vieleMenschen für diese Arbeit zu gewinnen,wenn Schule sich öffnet, alle Beteiligten ein-bindet und auch ganz pragmatische Dinge wiezum Beispiel das Öffnen des Gebäudes amWochenende ermöglicht, weil evtl. geradedann die Mütter Zeit haben und basteln möch-ten .

Petra Balzer, SchulleiterinDie Grundschule am Sandsteinweg nimmt am Landes-programm „Gute gesunde Schule“ teil. WeiterführendeInformationen erhalten Sie im Internet unterwww.anschub.de

Dass die Schule nachmittags rund 30 Arbeits-gemeinschaften anbieten kann, hat sie vielenMenschen zu verdanken, die sich engagieren undihr Know-how in die Schule einbringen.

Schule ohne Ehrenamt – für uns eine undenkbare Situation

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Impressum Herausgeber:Bertelsmann StiftungCarl-Bertelsmann-Straße 256Postfach 103D-33311Gütersloh

Verantwortlich:Cornelia SternChristian Ebel

Redaktion:Cornelia Stern,Christian Ebel,Ulla Keienburg

Bildnachweis:Archiv der BertelsmannStiftung,Veit Mette,picture-alliance/ HB Verlag

Dominik Gigler,Thomas Kunsch,Christoph Gödan,Ulla Keienburg

Konzeption:A.DREIplus GmbH,Gütersloh

Engagement lernen – gemeinsame Aufgabe für Schulen und Kommunen

Welche Bedingungen entscheiden über die Bereitschaft junger Menschen, sich für dieMitgestaltung des demokratischen Gemein-wesens zu engagieren? Was sind Erfolg ver-sprechende Handlungsansätze zur Stärkungder Beteiligung von Kindern und Jugendli-chen? Diese Fragen stehen im Vordergrundder Initiative „mitWirkung!“ der BertelsmannStiftung. Eine Antwort, die die im Rahmendieses Projektes durchgeführte Jugendparti-zipationsstudie gibt: Es kommt entscheidenddarauf an, ob Kinder und Jugendliche positiveErfahrungen mit Partizipation und Mitbestim-mung in ihrer Schule machen. Die im Jahr2005 durchgeführte Befragung von 17.000Schülern und ihren Lehrern belegt empirischden hohen Stellenwert schulischer Erfahrun-gen für eine verantwortliche Teilnahme am sozialen und politischen Leben.

Zwar zeigt ein Blick in die Schulgesetzeder Bundesländer und die Curricula für diegesellschafts- und politikrelevanten Unter-

richtsfächer fast durchgängig eine Orientie-rung am Leitbild des mündigen Bürgers. Dochscheint diese Orientierung eher auf die Zu-kunft gerichtet zu sein. Im Schulleben selbst,so ein weiteres Ergebnis der Jugendpartizi-pationsstudie, fühlt sich jedenfalls nur eineMinderheit von knapp 15 Prozent der Schülerumfassend in Entscheidungsprozesse einge-bunden. Zudem sinkt die Einflussmöglichkeit,

je stärker das schulische Kerngeschäft, derUnterricht und damit die pädagogische Auto-rität der Lehrer betroffen sind: Während jeweils um die 40 Prozent der Schüler zurück-melden, bei der Entscheidung über Klassen-fahrten oder Sitzordnung mitbestimmen zudürfen, meinen nur 22 Prozent bei der Fest-legung von Regeln mitreden zu können undnur knapp 17 Prozent schreiben sich einenEinfluss auf Unterrichtsthemen zu. Die befrag-ten Lehrer haben übrigens ein deutlich positi-veres Bild über die von ihnen eingeräumtenMitbestimmungsmöglichkeiten.

Können Schüler positive Erfahrungen mitEngagement in der Schule machen, steigt

ihre Bereitschaft, sich auch für Belange desGemeinwesens zu engagieren. Eine Kernfragerichtet sich vor diesem Hintergrund darauf,wie Mitwirkung erfahren und gelernt werdenkann. Handlungsansätze, die zurzeit in denModellkommunen der Initiative „mitWir-kung!“ erprobt werden, zielen auf die Durch-führung handlungsorientierter Projekte in Kooperation von Schulen und Kommunen.

Mit Unterstützung des Thüringischen Schul-ministeriums und der Kommunalverwaltungwerden z. B. in Saalfeld Lehrer, Jugendarbeiterund Stadtplaner gemeinsam als Prozessmode-ratoren für Beteiligungsprojekte ausgebildet.Wesentlicher Bestandteil der Ausbildung istdie Durchführung eines Beteiligungsvorha-bens auf der Basis von Qualitätsstandards. An jeder Schule und bei der Stadt sind darü-ber hinaus Netzwerkkoordinatoren eingesetzt.Gemeinsam mit Schülern wird es damit mög-lich, relevante Fragestellungen im unmittel-baren Lebensumfeld der Schüler zu identifi-zieren und zu bearbeiten. Im Essener StadtteilBorbeck stellen Jugendliche ihre Aktivitätenunter das Motto „Pimp my Stadtteil“ und en-gagieren sich mit Unterstützung der ebenfallsdort ausgebildeten Prozessmoderatoren fürverbesserte Freizeitmöglichkeiten. Die Rück-wirkung auf Schule wird greifbar, wenn Schü-ler und Lehrer einer Hauptschule demnächstgemeinsam planen, wie sie ihre Schule „pim-pen“ (= aufmotzen) können. Aushandlungs-prozesse mit Politikern gehören in beidenStädten selbstverständlich zum Programm.

Die Initiative „mitWirkung!“ zeigt: JungeMenschen wollen sich engagieren und tundies auch, wenn ihnen hierzu attraktive Mög-lichkeiten geboten werden. Auf die begleiten-den Erwachsenen in Schule, Jugendarbeit undStadtplanung kommt dabei eine besondereVerpflichtung zu. Sie sind aufgerufen, dieQualität ihrer Arbeit abzusichern. Fragestel-lungen richten sich darauf, ob relevante The-

men aufgegriffen, adäquate Formen und Methoden der Bearbeitung gewählt werdenund verantwortlich mit den erarbeiteten Vor-schlägen umgegangen wird. Für die Kinderund Jugendlichen ist es besonders wichtig,dass ihr Engagement Anerkennung findet. Die Jugendpartizipationsstudie der Bertels-mann Stiftung belegt, dass sich junge Men-schen durchaus nicht nur für eigene Belangeeinbringen wollen. Vielmehr gehören Hilfe für Menschen in Not, das Zusammenleben von Deutschen und Migranten sowie Fragender Gewaltprävention zu den TOP 5 der En-gagementthemen. Die Kooperation zwischenSchulen, Kommunalverwaltung und lokalenPartnern bietet zahlreiche Chancen für die Eröffnung demokratischer Erfahrungsräume:Schüler können so in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld erfahren, dass unsere Gesell-schaft, aber auch sie selbst von aktiver Bür-gerschaft profitieren.

Weiterführende Literatur:Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Kinder- und Jugendbeteiligungin Deutschland. Entwicklungsstand und Handlungsansätze.Gütersloh 2007 mit den Aufsätzen: Fatke, Reinhard, HelmutSchneider. Die Beteiligung junger Menschen in Familie,Schule und am Wohnort (S. 59–84) Koopmann, F. Klaus:Bürgerschaftliche Partizipation lernen – eineHerausforderung für die Schule (S. 143–164)

Kontakt: Sigrid Meinhold-Henschel05241.81 81 [email protected]

Können Schüler positive Erfahrungen mit Engagement in der Schulemachen, steigt ihre Bereitschaft, sich auch für Belange des Gemeinwesenszu engagieren.

Schüler können so in ihrem unmittelbarenLebensumfeld erfahren, dass unsere Gesellschaft,aber auch sie selbst von aktiver Bürgerschaftprofitieren.

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