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POLITISCHER SONDERBERICHT AUS DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA Dr. Ulf Gartzke Leiter der Verbindungsstelle Washington Nr. 05/2011 – 29. März 2011

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POLITISCHER SONDERBERICHT AUS DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA Dr. Ulf Gartzke Leiter der Verbindungsstelle Washington Nr. 05/2011 – 29. März 2011

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IMPRESSUM Herausgeber Copyright 2011, Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München Lazarettstraße 33, 80636 München, Tel.: +49 (0)89 1258-0, E-Mail: [email protected], Online: www.hss.de Vorsitzender Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Witterauf Verantwortlich Ludwig Mailinger Leiter des Büros für Verbindungsstellen Washington, Brüssel, Moskau / Internationale Konferenzen Hanns-Seidel-Stiftung e.V. Tel.: +49 (0)89 1258-202 oder -204 Fax: +49 (0)89 1258-368 E-Mail: [email protected]

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieses Berichtes darf in irgendeiner Form

(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Hanns-Seidel-Stiftung e.V. reproduziert oder unter Verwendung

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die Autoren tragen für ihre Texte die volle Verantwortung.

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Deutschlands Enthaltung bei UNO-Sicherheitsratsresolution 1973

Während die deutsche Enthaltung im UNO-Sicherheitsrat bei der Verabschiedung der Resolution 1973 zum Einsatz militärischer Mittel in Libyen in der Heimat hohe Wellen schlug, blieben die Reaktionen in den USA durchweg verhalten. So waren von US-Regierung und Kongress keinerlei offizielle Stellungnahmen zum deutschen Votum zu vernehmen, ein Vorgehen, welches im diplomatischen Kontext unter Partnern gelassen einer mittleren Rüge gleichzusetzen ist.

Die deutsche Wahrnehmung scheint überdies von den Ereignissen in der libyschen Wüste

und den Selbstreflektionen zur eigenen Enthaltung derart geblendet zu sein, dass sie den heftigen innenpolitischen Dissens, welchen der Libyen-Einsatz hier in Washington auslöste, noch gar nicht registriert hat. Ruft man sich in Erinnerung, dass es gerade Obamas strikte Ablehnung der als kriegerisch apostrophierten Politik seines Amtsvorgängers George W. Bush war, welche ihm den Weg ins Weiße Haus geebnet hat, wird das blanke Entsetzen bei vielen seiner Anhänger angesichts der jüngsten Ereignisse verständlich.

Hinzu kommt die Ablehnung der Libyen-Intervention durch weite Teile der Republikaner –

gerade aus den Reihen der Tea Party Bewegung, die außenpolitisch eher einen isolationistischen Kurs befürwortet. Aber auch aus dem Lager der traditionellen republikanischen Falken, die das Militär nur zu gerne à la Clausewitz als probates Mittel zur Verfolgung amerikanischer Interessen einsetzen, kommt harsche Kritik. Sie bemängeln vor allem eine fehlende Führungsstärke Barack Obamas sowie die als hemmend empfundene Einschaltung multilateraler Institutionen; diese Probleme hätten sich nicht zuletzt im quälenden Streit um die Einsatzführung offenbart, weshalb der Präsident in der Hauptstadt denn auch schon als Zauderer apostrophiert wird.

Verfassungspolitisch brisant hingegen war das Vorgehen Obamas, als er die US-Truppen in

Marsch setzte, ohne zuvor den Kongress offiziell zu informieren, dem doch laut Verfassung bei Kriegsentscheidungen der USA eine exponierte Rolle zufällt. Auch wenn die USA innerhalb ihrer vergleichsweise kurzen Geschichte bereits in über 100 Fällen militärische Gewalt gegenüber geopolitischen Kontrahenten angewandt haben und dies lediglich 5 mal (!) mit einer offiziellen Kriegserklärung durch den Kongress verbanden, sehen viele Gegner des Präsidenten in dieser Brüskierung des Kongresses ein Novum und klaren Bruch der Verfassung.

Unklar bleibt auch das Missionsziel: während die UNO-Resolution militärische Mittel nur

zum Schutz der Zivilbevölkerung autorisiert, fordert das Weiße Haus die Entmachtung Gaddafis.

Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Kontroverse blieb die deutsche Enthaltung in

Washington nur eine Randnotiz. Lediglich in Expertenkreisen wurden hier zum Teil deutliche Verwunderung oder auch Enttäuschung geäußert. Wobei in diesem Zusammenhang auch die Verfasstheit der deutschen Gesellschaft zur Anwendung offensiver militärischer Gewalt hinterfragt wird. Hier ist das lähmende juristische Prozedere nach der von einem deutschen Oberst angeordneten Bombardierung zweier entführter Tanklastzüge samt ihrer Entführer, die zuvor beide Fahrer enthauptet hatten, noch in wacher Erinnerung. Hinter vorgehaltener Hand verzichtet man auf amerikanischer Seite daher gerne auf deutschen Waffenbeistand

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und verweist lieber auf die besondere Expertise der Deutschen beim Wiederaufbau (und dessen Finanzierung). Geschichte wiederholt sich offenkundig!

Andere Stimmen in Washington deuten die deutsche Enthaltung eher als Indiz eine Berliner

Emanzipation von alten Politikmustern und als Schritt zu mehr Eigenständigkeit in der Außenpolitik 66 Jahre nach Kriegsende.

Wiederum wenig Positives können viele in Washington dem französischen Präsidenten

Sarkozy abgewinnen. Allzu sehr scheint sein Libyen-Aktionismus innenpolitischen Ambitionen geschuldet zu sein. Schließlich seien, so mancher Hinweis, die menschlichen Verluste unter der libyschen Zivilbevölkerung geradezu marginal, vergleiche man sie etwa mit den Geschehnissen in Darfur, wo aus Paris kein militärisches „Allez“ zu vernehmen war.

Mancher Beobachter in Washington stellt denn auch die provokante Frage, ob sich der

Schutz libyscher Zivilisten, also das durch die UNO vorgegebene Missionsziel, ebenso auf Gaddafi-Anhänger erstrecken werde, sollten künftige Machthaber an deren Stämme dereinst Rache nehmen wollen – oder seien hier die pathetisch proklamierten Menschenrechte doch eher an politische Opportunitäten geknüpft? Jüngst im Internet aufgetauchte Filmaufnahmen, auf denen libysche Rebellen gefangene Regierungssoldaten mit Waffengewalt zum Verzehr eines rohen Hundekadavers zwangen, wirkten verstörend. Ebenso der Umstand, dass die jüngsten militärischen Erfolge der Rebellen in Adschabija einer Luftunterstützung von NATO-Kampfflugzeugen zu danken sind, so dass sich nicht wenige fragen, wem man hier eigentlich den Weg bombt. Zahlreiche Politiker in Washington sehen hier die Vorboten einer gefährlichen Eskalation mit völlig ungewissem Ausgang und fordern daher von Präsident Obama klare Zielvorgaben samt Exit-Strategie für die eingesetzten US-Truppen.

Obamas verspätete Rede vom Montag konnte letztlich keine der bestehenden Vorbehalte

ausräumen. Schon der intellektuelle Duktus seiner Darlegung der Einsatzgründe dürfte bei vielen Amerikanern die Unsicherheit eher noch erhöht haben. So kursierte denn auch schnell das Wort vom „Professoren-Krieg“ und selbst Obama nahestehende Kommentatoren werteten seine Rede als Enttäuschung. Von seiner kommunikativen Brillanz aus Wahlkampfzeiten ist dem amerikanischen Präsidenten aktuell nur wenig verblieben. Für viele seiner kriegsmüden Landsleute ist der Libyen-Einsatz schlicht der dritte Waffengang mit einem muslimischen Land, Schutz der Zivilbevölkerung hin oder her.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Warnung des Vorsitzenden der

Münchner Sicherheitskonferenz, Botschafter Wolfgang Ischinger, „dass am Ende der Westen am Pranger steht, da er ein arabisches Land bombardiert“. Dabei erachtet Ischinger selbst den Militäreinsatz als berechtigt, bezweifelt jedoch die Effizienz eines reinen Lufteinsatzes. Proteste unmittelbar nach dem Beginn der Luftangriffe, vorgetragen durch die Arabische Liga, welche den Einsatz zuvor gebilligt hatte, verdeutlichen die Berechtigung dieser Mahnung.

Wenig Substanz wird von Washington-Insidern dem Argument des ehemaligen

Bundesaußenministers Fischer beigemessen, Deutschland habe mit der Enthaltung seine Chancen auf einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat dauerhaft verspielt. Der Grund ist banal: es hat eine solche Chance eigentlich nie gegeben. Der UNO-Sicherheitsrat konstituiert

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sich aus der globalen Sicherheitstektonik am Ende des 2. Weltkriegs und wird seither, nicht zuletzt dank der deklaratorischen Erhebung Frankreichs zur Siegermacht, von westlichen Staaten dominiert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das globale Machtgefüge allerdings deutlich gewandelt, und auch wenn Deutschland bislang neben Indien, Brasilien und Japan zu den möglichen Kandidaten für weitere ständige Sitze zählte, wird wohl keines dieser Länder in absehbarer Zukunft diesen Status erhalten – zu groß sind die geopolitischen Rivalitäten, als dass sich hier ein hinreichender Konsens für grundlegende Reformen der UNO finden ließe.

Die Chancen auf eine zukünftige Wiederwahl Deutschlands als nichtständiges Mitglied des

UNO-Sicherheitsrats (bislang bewirbt sich Berlin nur alle sechs Jahre) könnten angesichts der deutschen Enthaltung sogar deutlich steigen, darf doch davon ausgegangen werden, dass eine Mehrheit der 192 UNO-Staaten dem Libyen-Einsatz – aus welchen Gründen auch immer – eher ablehnend gegenüber steht.

Aus amerikanischer Sicht glichen die deutschen Ambitionen auf einen ständigen Sitz im

UNO-Sicherheitsrat dann auch eher der berühmten Möhre an der Angel vor den Augen des Esels… Von dieser hat man sich nun offenkundig in Berlin befreit – das wird in Washington ebenso gelassen zur Kenntnis genommen wie die unterstellten innenpolitischen Motive für diese Enthaltung, zu denen gewisse Parallelen in der aktuellen deutschen Energiepolitik Anlass geben.

Entgegen der vielen Kassandra-Rufen in Deutschland stellt die Enthaltung also keineswegs

den Untergang der deutsch-amerikanischen Beziehungen dar. Aus amerikanischer Sicht offenbaren eher die Rufer selbst eine dringende Notwendigkeit, dass Deutschland sich aus seiner Nachkriegsmentalität endlich befreien muss. Nach Carl Schmitt ist die Bestimmung des Feindes integraler Bestandteil staatlicher Souveränität. Insofern mag man zu dieser Enthaltung stehen, wie man will, aber offenkundig beginnen die Ereignisse von 1989/90 ihre geistigen Entsprechungen zu finden. An der damit einhergehenden Normalisierung der deutschen Selbstsicht wiederum besteht auf amerikanischer Seite ein vitales Interesse, auch im Hinblick auf Einsätze der Bundeswehr bei der Bewältigung künftiger Krisen.

Ob Deutschlands Enthaltung bei UNO-Sicherheitsratsresolution 1973 als solche richtig war,

wird die Zukunft zeigen. Stets gilt: man kann das Richtige auch aus den falschen Motiven tun – und umgekehrt.

Dr. Ulf Gartzke ist Leiter der HSS-Verbindungsstelle Washington. Der Autor dankt Dennis Prange für seine Hintergrundrecherchen in Vorbereitung dieses Berichts.