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Der Raiffeisenverband Südtirol Genossenschaft „Genossenschaft ist Demokratie im Kleinen, ist Bindung in Freiheit.“ Willi Croll, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes 1988 Alle Bedingungen dazu sind vorhanden, alle Mittel und Kräfte stehen uns reichlich zu Gebote. Wir brauchen dieselben nur zur Anwendung zu bringen. Friedrich Wilhelm Raiffeisen, 1879 Die Wurzeln der Raiffeisen GenossenschaftenDieWurzelnderRaiffeisenGenossenschaften 3
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Der Raiffeisenverband SüdtirolGenossenschaft
„Genossenschaft ist Demokratie im Kleinen,
ist Bindung in Freiheit.“
Willi Croll,
Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes 1988
Wir müssen uns selbst helfen.Alle Bedingungen dazu sind vorhanden,
alle Mittel und Kräfte stehen uns reichlich zu Gebote.
Wir brauchen dieselben nur zur Anwendung
zu bringen.
Friedrich Wilhelm Raiffeisen, 1879
3
Friedrich Wilhelm Raiffeisen und seine IdeeF.W. Raiffeisen wurde am 30. März 1818 in Hamm an der Sieg im Westerwald nördlich von
Koblenz geboren. Im Winter 1846/47 kam es aufgrund einer Missernte zu einer Hungersnot,
die auch die Landbevölkerung nicht verschonte. Daraufhin gründete Raiffeisen in seiner
Funktion als Bürgermeister von Weyerbusch einen „Brodverein“, der durch den gemeinsamen
Bezug verbilligtes Saatgut organisierte und so das Überleben der Bauern sicherte.
Durch diesen Erfolg ermutigt, gründete Raiffeisen weitere Vereine, die auf dem Prinzip der
Selbsthilfe fußten. Durch die Schaffung einer „Hülfskasse“ brach er die Macht der Wucherer,
die die Bauern in Überschuldung und Zwangsversteigerungen getrieben hatten. Durch den
Verein gelang es vielen Bauern, das Vieh, das sie an rücksichtslose Wucherer verpfändet
hatten, zurückzukaufen.
In seinem 1866 veröffentlichten Werk „Die Darlehenskassen-Vereine“ legte er die Grund-
züge seines Selbsthilfegedankens dar. Sein gesamtes Handeln war daraufhin ausgerichtet,
die Not der Landbevölkerung zu lindern, neue Arbeitsplätze für arbeitslose Landarbeiter zu
schaffen und u. a. durch die Errichtung von Volksbibliotheken das Bildungsniveau zu heben
und damit den Mittelstand zu stärken.
Als er am 11. März 1888 starb, war die Grundlage für ein gedeihliches Wachstums der
Raiffeisen-Genossenschaftsidee geschaffen.
Die Wurzeln der Raiffeisen GenossenschaftenDie Wurzeln der Raiffeisen Genossenschaften
4
Raiffeisen in TirolMitte des 19. Jahrhunderts steht die Land-
bevölkerung in Tirol vielerorts vor dem wirt-
schaftlichen Kollaps: Industrieware verdrängt
die Produkte der Selbstversorgerbetriebe,
über die neuen Bahnlinien werden Importe
angeliefert, nach der Angliederung der
Lombardei und Venetiens an das König-
reich Italien gehen Absatzmärkte verloren.
Die Landbevölkerung reagiert. Der 1881
gegründete „Landeskulturrat für Tirol“
unterstützt die Bildung von Raiffeisen-
Vereinen. Schon 1878 wird in Niederdorf
die erste Genossenschaft auf Südtiroler
Gebiet gegründet. 1889 nimmt in Wel-
schellen im Gadertal die erste Raiffeisen-
kasse in Südtirol ihre Tätigkeit auf. 1910
arbeiten in Südtirol und im Trentino bereits
867 Genossenschaften, davon 282 nach
dem Raiffeisen-Prinzip geführte Spar- und
Darlehenskassen. Damit entfallen südlich
des Brenners 12,7 Genossenschaften auf
10.000 Einwohner – ein Rekordwert im
Kaiserreich Österreich-Ungarn. Mit anderen
Worten: Vor dem Ersten Weltkrieg boomt
die Raiffeisenfamilie in Tirol.
Baron Georg Eyrl ist der erste Obmann des 1907 gegründe-ten „Verbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften Deutsch-Südtirols“. Gleichzeitig ist er Obmann des Ver-bandes der Kellerei-genossenschaften und der Kellerei-genossenschaft Terlan.
1893 wird die erste Obstproduzentengenossen-schaft Meran Burggrafenamt gegründet. Damals werden in Südtirol an die 200 Obstsorten extensiv angepflanzt.
Jakob Köllensberger ist Obmann des „Re-visionsverbandes der Raiffeisenvereine und landwirtschaftlichen Genossenschaften Bozen” sowie der „landwirtschaftlichen Zentralkasse“, die 1921 gegründet wird.
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Raiffeisen-Genossenschaften im Jahre 1914
Spar- und Darlehenskassenvereine
Sennerei-genossenschaften
Kellerei-genossenschaften
Obstgenossenschaft
Konsumgenossenschaften
12535
18
181
Entwicklung der Spar- und Darlehenskassen-Vereine in Südtirol von 1889 bis 1925
1925 erreichten die Kassen-Vereine in Südtirol ihren Höchststand von 135.
1889 1895 1900 1905 1910 1915 1920 19250
30
60
90
120
150
(Quelle: Konrad Palla: 100 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol, 1889, S. 104)
(Quelle: Walter Pichler/Konrad Walter: Zwischen Selbsthilfe und Marktlogik, 2007, S. 115)
6
In der Verfassung verankert: Genossenschaften in Italien
Der jüdische Großgrundbe-sitzer mit deutschen Wurzeln Leone Wollemborg gründet im Alter von 24 Jahren 1883 die erste Raiffeisenkasse bei Padua.
Rerum Novarum.Priester als Genossenschaftsgründer
„Die Republik erkennt die soziale Aufgabe des Genos-
senschaftswesens an, sofern es nach dem Grundsatz der
Gegenseitigkeit und ohne Zwecke der Privatspekulation
aufgebaut ist“, heißt es im Artikel 45 der italienischen
Verfassung. Schließlich hat das Genossenschaftswesen in
Italien Tradition. 1883 ermöglicht der Großgrundbesitzer
Leone Wollemborg in Loreggia bei Padua die Gründung
der erste „Raiffeisenkasse“ auf italienischem Boden. 1897
gibt es in den Regionen Venetien, Emilia Romagna, Piemont
und Lombardei 904 nach dem Raiffeisenprinzip geführte
Spar- und Darlehensvereine. 1919 wird der Dachverband
Confederazione Cooperative Italiane gegründet. Heute
gehören dieser starken Interessensvertretung 20.000 Ge-
nossenschaften sowie 110 lokale und regionale Verbände
an, darunter auch der Südtiroler Raiffeisenverband.
„Vereine zur gegenseitigen Unterstützung“ sind laut der von
Papst Leo XIII 1891 erlassenen Enzyklika „Rerum Novarum“
bedeutende Einrichtungen zur „gedeihlichen“ Lösung der
sozialen Frage. Deshalb organisieren und leiten vor dem
1. Weltkrieg viele Priester katholische Raiffeisen-Genos-
senschaften. Auch in Tirol. In Welschellen und Schluderns
gründen die Pfarrer Josef Dasser und Karl Pali Spar- und
Darlehenskassen-Vereine. 1892 entsteht in Santa Croce del
Bleggio unter der Leitung von Don Lorenzo Guetti der erste
Spar- und Darlehenskassen-Verein im Trentino. 1898 gibt
es im damaligen Welschtirol bereits 48 Raiffeisenkassen
und 93 Konsumgenossenschaften.
Die Enzyklika „Rerum Nova-rum“ 1891 beinhaltet die er-ste umfassende katholische Soziallehre der Kirche. Papst Leo XIII. spricht sich darin indirekt für die Errichtung von Genossenschaften aus.
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Boom und Krise.Raiffeisen in Südtirol 1919 - 1945
Die Italianisierungspolitik, die Weltwirt-schaftskrise, die Abwanderung vieler Fachkräfte als Folge der Option und der Krieg treiben viele Genossenschaften und Raiffeisenkassen in den Ruin: Bis 1944 werden 80 Raiffeisenkassen aufgelöst.
1919 sind zwei Drittel aller Südtiroler Bauern
genossenschaftlich organisiert. In den zwan-
ziger und dreißiger Jahren setzen Faschismus
und Weltwirtschaftskrise den Raiffeisenkassen
besonders zu. Freie Genossenschaftsverbän-
de werden aufgelöst. Bis 1940 optieren mehr
als 200.000 Südtiroler (85 %) für die deutsche
Staatsbürgerschaft und damit für die Emigration,
darunter zahlreiche Verwaltungs- und Aufsichts-
räte der Raiffeisenkassen, deren anteiliges Ver-
mögen vor der Ausreise liquidiert werden muss.
Die italienische Amtssprache beherrschen nur
wenige Genossenschaftsverwalter. Viele Kassen
müssen schließen. 1925 gibt es in Südtirol 135
Raiffeisenkassen, von denen nur 55 den Zweiten
Weltkrieg überleben.
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Neubeginn nach dem Zweiten WeltkriegDer Wiederaufbau der Südtiroler Raiffeisenorga-
nisation beginnt schon wenige Monate nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs. 1946 gründen zwei
Raiffeisenkassen, eine Kellereigenossenschaft
und zwei Konsortien den Hauptverband Land-
wirtschaftlicher Genossenschaften, im gleichen
Jahr schließen sich 14 Raiffeisenkassen zum
Verband der Raiffeisenkassen zusammen. Bis zu
diesem Zeitpunkt werden die Raiffeisenbanken
von der Südtiroler Sparkasse betreut. Nach der Gründung eröffnen die Kassen eine eigene
Servicestelle in der Bozner Beda-Weber-Straße. 1954 entsteht der Landesverband der
Landwirtschaftlichen Genossenschaften. Dieses Revisionsorgan des Raiffeisenverbunds
bildet mit dem Verband der Raiffeisenkassen eine Bürogemeinschaft. Beide Verbände wer-
den von Josef Hölzl (Obmann) und Franz Kemenater (Direktor) geführt und haben gleiche
Aufgaben. Eine Fusion liegt also auf der Hand und wird 1960 umgesetzt.
Erster Obmann des Raiffeisen-verbandes wird Josef Hölzl. Der Bauer aus Algund führt den Verband 10 Jahre lang.
Erster Geschäftsführer im neu-en Raiffeisenverband wird Franz Kemenater, der zuvor in dieser Position den Verband der Raiff-eisenkassen leitete.
Am 17. Januar gliedert sich der Verband der Raiffeisenkassen in den Verband der Land-
wirtschaftlichen Genossenschaften ein. Die erweiterte Organisation ändert den Namen
und wird zum Raiffeisenverband Südtirol.
Der Wiederaufbau
10
Der Raiffeisenverband –Genossenschaftsvertretung mitgesetzlichem AuftragDie Autonome Region Trentino-Südtirol ist in Italien etwas Besonderes – auch wenn es um
das Genossenschaftswesen geht. 1948 überträgt der Staat der Region die Aufsicht über
die in den Provinzen Bozen und Trient ansässigen Genossenschaften. 1950 beschließt der
Regionalrat ein erstes Genossenschaftsgesetz, das der zuständige Regierungskommissar
allerdings blockiert.
1954 wird das Gesetz zur „Überwachung der Genossenschaften“ ein zweites Mal ver-
abschiedet und regelt mehr als 50 Jahre lang den Genossenschaftssektor. Die Revision
wird Pflicht und kann von „anerkannten Verbänden“ für die ihnen angeschlossenen Ge-
nossenschaften in der Region übernommen werden. Damit wird der Raiffeisenverband
zur wichtigsten Revisionsstelle für die Raiffeisen-Genossenschaften in Südtirol. 2008
wird das Regionalgesetz reformiert, die Position des Verbandes bestätigt. Dieser ist heute
einer von vier Vertretungsverbänden in Südtirol, die zur Durchführung von Revision und
Rechnungsprüfung ermächtigt sind.
Der Raiffeisenverband Südtirolist von den Grundsätzen des Genossenschaftspioniers Friedrich Wilhelm Raiffeisen geleitet und auf die genossenschaftliche Förderung der Gegenseitigkeit ohne private Kapitalspekulation ausgerichtet.(Statut, Art.2)
11
Der Raiffeisenverbund in Südtirol ist eine Erfolgsgeschichte. „Ich habe auch nicht den
geringsten Zweifel, dass noch die Zeit kommen wird, wo man sich über das Vorhanden-
sein der Organisation freuen wird“, schreibt
Friedrich Wilhelm Raiffeisen 1886. In der
Raiffeisenstraße, vor dem Raiffeisenhaus in
Bozen, blickt die Statue des Genossenschafs-
gründers nachdenklich und entschlossen in
Richtung Rosengarten.
Das Raiffeisenhaus ist der Mittelpunkt des
Raiffeisen-Netzwerks. 1960 beschäftigt der
neue Raiffeisenverband sechs Mitarbeiter in
fünf Büroräumen.
1967 zieht man in ein vom Hauptverband
Landwirtschaftlicher Genossenschaften er-
richtetes Bürogebäude um, besetzt dort erst
einmal zwei Drittel einer Etage – und wächst.
Heute arbeiten im Raiffeisenhaus auf sechs
Stockwerken ausschließlich Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Verbandes. Die Anzahl
der Verbandsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter
hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr
als vervierzigfacht.
Am 13. Januar 1968 wird das Raiffeisenhaus in der Raiffeisenstraße 2 im Beisein von Bischof Joseph Gargitter und Landeshauptmann Silvius Magnago offiziell eröffnet. Es wird zum Sitz ver-schiedener landwirtschaftlicher Verbände und Genossenschaften. Der Raiffeisenverband be-zieht zuerst nur einige Räume im dritten Stock.
Das Raiffeisenhaus – Das Zentrum einer erfolgreichen Gemeinschaft
12
Südtirol im 20. Jahrhundert
Weltkriege und Diktaturen
Die Katastrophen der europäischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts treffen auch Südtirol: Nach dem Ersten Weltkrieg wird das
Land in das Königreich Italien eingegliedert, in den 20er und 30er Jahren
betreibt das faschistische Regime in Rom dann die „Italianisierung“ des „Alto
Adige“: Deutsche Orts – und Flurnamen sind verboten, die Bezeichnung Tirol
ist illegal, alles Deutsche aus dem öffentlichen Leben verbannt. Gleichzeitig
entstehen in Bozen neue Stadtviertel und eine Industriezone, in der vor allem
Zuwanderer aus Italien arbeiten. Nach dem Ende des Krieges strebt das Land
nach Autonomie.
1946 unterzeichnen der italienische Ministerpräsident Alcide De Gasperi und
Österreichs Außenminister Karl Gruber den „Pariser Vertrag“, die Grundlage
der Südtirol-Autonomie. Umgesetzt wird das 2-Seiten-Papier lange Zeit nicht.
1960 fordert die UN-Generalversammlung Österreich und Italien deshalb
auf, „eine Lösung aller Differenzen hinsichtlich der Durchführung des Pariser
Vertrages zu finden“. Diese „Lösung“ ist das 2. Autonomiestatut. 1995 tritt
Österreich der EU bei. 1998 werden die Grenzanlagen am Brenner abgebaut.
Mit der EU-Osterweiterung 2004 rückt Südtirol, als Bindeglied zwischen
Nord- und Süd, in die Mitte des wiedervereinten Europas, verankert in der
Europaregion Tirol.
1946 unterzeichnen deritalienische Ministerpräsident Alcide De Gasperi und Österreichs Außenminister Karl Gruber den „Pariser Vertrag“. Er bildet bis heute die Grundlage der Autonomie Südtirols.
13
Das Dienstleistungszentrum
Der Raiffeisenverband – die Mutter der RaiffeisenfamilieGenossenschaftsüberwachung auf der einen Seite, Interessensvertretung, Beratung und
Betreuung auf der anderen: Der Raiffeisenverband ist die „Mutter“ der Raiffeisenfamilie
in Südtirol. Gemäß den Raiffeisenprinzipien bestimmen die Grundsätze der Subsidiarität
und Freiwilligkeit die Verbandsarbeit. Der Verband übernimmt demnach Aufgaben, deren
Erledigung auf der Ebene der Mitgliedsgenossenschaften nicht ausreichend, nicht sinnvoll,
nicht möglich oder aus Kostengründen nicht tragbar ist. In allen anderen Bereichen bleiben
die angeschlossenen Genossenschaften autonome und selbstverwaltete Körperschaften.
Lobbyarbeit, Beratung, Weiterbildung oder Datenverarbeitung: Das rasante Wachstum
des Verbands und die stetige Ausweitung der Verbandsarbeit spiegeln die Expansion
des Raiffeisennetzwerks wider. Der Verband vergibt auch das geschützte Markenzeichen.
Nur die Mitgliedsgenossenschaften dürfen das Logo mit den gekreuzten Pferdeköpfen
verwenden.
Dienstleistungspalette des Raiffeisenverbandes
Genossenschaftsrevision•
GesetzlicheRechnungsprüfung•
InteressensvertretungundFachverbandfürdieRaiffeisenkassen•
Rechtsberatung•
Steuerberatung•
Personalberatung•
IT-DienstleistungenundInformationstechnologie•
Aus-undWeiterbildung•
Buchhaltung•
UnternehmensberatungundMarketing•
Versicherungsdienste•
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Revision und Überwachung. Genossenschaftliche Selbstkontrolle muss seinRaiffeisen-Revisoren überwachen Raiffeisen-Genossenschaften. Seit seiner Gründung ist
der Raiffeisenverband in Südtirol für die Genossenschaftsüberwachung zuständig. Diese
ist seit 1954 gesetzlich vorgeschrieben. Fachleute des Verbandes prüfen alle zwei Jahre
die Bücher der Raiffeisen-Genossenschaften – kompetent, zuverlässig, gründlich, erfahren
und unabhängig von Weisungen der Verbandsspitze. In vielen Fällen dauert eine Revision
länger als eine Arbeitswoche. Schließlich sind viele Genossenschaften in Südtirol große
Wirtschaftsunternehmen oder Kreditinstitute, die Vermögen verwalten. Die Überwachung
durch den Raiffeisenverband ergänzt damit die interne Kontrolle durch Aufsichtsräte. Ge-
wissenhaftigkeit und Glaubwürdigkeit sind zentrale Werte. Damit Raiffeisenkunden und
Raiffeisenmitglieder auch in Zukunft auf ihre Genossenschaften bauen können.
Seit seiner Gründung ist der Raiffeisenverband gesetzlich anerkannter Revisionsverband. Er führt die Revision der angeschlossenen Genossenschaften und Verbände im Auftrag der Südtiroler Landesregierung durch.
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Die Autonomie.
Eine Erfolgsgeschichte
In Südtirol wird deutsch, italienisch und ladinisch gesprochen. Die rechtliche
Grundlage für das Zusammenleben der drei Sprachgruppen ist das Autono-
miestatut.
„Die deutschsprachigen Einwohner der Provinz Bozen und der benachbarten
zweisprachigen Gemeinden der Provinz Trient genießen die volle Gleichbe-
rechtigung mit den italienischsprachigen Einwohnern, im Rahmen besonderer
Maßnahmen zum Schutze des Volkscharakters und der kulturellen und wirt-
schaftlichen Entwicklung der deutschen Sprachgruppe“, heißt es im „Pariser
Vertrag“. 1946 war das sehr viel, aber heute geht die Autonomie weit über
diese Vorgaben hinaus.
Das 2. Autonomiestatut überträgt dem Land Südtirol 29 Bereiche, die autonom
verwaltet werden. Beschränkt wird diese „primäre Gesetzgebungsbefugnis“ nur
durch die italienische Verfassung, internationale Verträge, die Italien eingegangen
ist, und EU-Richtlinien. Landschaftsschutz, Handwerk, Raumordnung, Kultur,
Fremdenverkehr, Land- und Forstwirtschaft: Südtirol verfügt in Schlüsselsek-
toren über eine Selbstverwaltung, die auch nach dem „Paketabschluss“ 1992
ausgebaut wird. Heute gilt diese „dynamische“ Autonomie als Vorbild, etwa
für die vom Dalai Lama bevorzugte friedliche Lösung der Tibet-Frage.
Die Entwicklung der Raiffeisenorganisation in Südtirol ist eng mit der Entwicklung der Autonomie verbunden.
16
Beratung und Weiterbildung Der Raiffeisenverband ist der Kopf der Raiffeisenorganisation
und damit auch für den Transfer von Information zuständig. Ent-
sprechend groß ist das Beratungsangebot. Der Verband hilft bei
der Personalsuche, erstellt Lohn- und Gehaltssteifen, übernimmt
Marketingaufgaben, leistet Lobbyarbeit oder übernimmt die Buch-
haltung angeschlossener Genossenschaften. Zu den wichtigen
Verbandsaufgaben gehören auch die Steuer-, Rechts- und Unternehmensberatung. In der
Praxis heißt das: Fachleute im Raiffeisenverband verfolgen Rechtsprechung und Gesetz-
gebung und geben ihr Wissen dann an die Genossenschaften der Raiffeisenorganisation
weiter oder erledigen deren Steuererklärungen. Das gilt ganz besonders für die Raiffeisen-
kassen, die auf solide und verlässliche bankwirtschaftliche und aufsichtsrechtliche Beratung
angewiesen sind. Zu den Serviceleistungen des Verbands gehört auch die Weiterbildung.
Modernes Know-how und präzise Information, vor Ort verfügbar, verständlich aufbereitet
und dabei immer auf dem neuesten Stand – dies bildet den Grundstein für den Erfolg von
Raiffeisen in Südtirol.
Das Raiffeisen Informationssystem: Die Schaltzentrale der Raiffeisenfamilie
Seit 1970 unterhält der Raiffeisen-verband ein eigenes Informations- und Datenverarbeitungszentrum.
1970 gründet der Raiffeisenverband in Bozen
ein „organisationseigenes Rechenzentrum mit
Ausnutzung der Möglichkeiten der elektronischen
Datenverarbeitung“. Die Technik ist denkbar ein-
fach: Geldbewegungen werden in Lochkarten
gestanzt, sortiert, bei IBM in Verona verarbeitet
und den Kunden mit der Post als Kontoauszüge
zugeschickt. 40 Jahre später arbeitet fast die
Hälfte aller Angestellten des Raiffeisenverbands
für das Raiffeisen Informationssystem. Dazwischen
liegt eine technische Revolution. PC, Bancomat, E-Mail, Online-Banking: Das Raiffeisen
Informationssystem (RIS) ist Nervenzentrum und Schaltzentrale des Raiffeisenverbandes,
eine High-Tech-Institution mit strategischer Bedeutung. Das RIS liefert maßgeschneiderte
IT-Lösungen, hilft beim Computereinkauf und unterstützt die Raiffeisen-Genossenschaften
in allen Anwenderfragen. Zu den RIS-Kunden gehören neben Raiffeisenkassen und Obst-
genossenschaften, der Raiffeisen Landesbank und dem Raiffeisen Versicherungsdienst
auch der Versicherer Assimoco mit Sitz in Mailand, Genossenschaftsbanken im Veneto
und das Obstkonsortium Melinda im Trentino.
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Wandel und „Wirtschaftswunder“
Die Position im Zentrum Europas, die Gebirgslandschaft und die enge Verflechtung
mit Märkten in Italien, Österreich und Deutschland prägen die wirtschaftliche
Entwicklung Südtirols nach dem Zweiten Weltkrieg. In den siebziger Jahren
setzt ein Strukturwandel ein, der das Land verändert. In entlegenen Talschaften
entstehen leistungsstarke Handwerks- und Industrieunternehmen. Nach der
Fertigstellung der Brennerautobahn 1974 boomt der Tourismus. Die Ausweitung
der Autonomie schafft hoch qualifizierte Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.
Die genossenschaftlich betriebene Landwirtschaft in den Bereichen Obst, Wein
und Milch ist erfolgreich – auch im Export. Im Südtiroler Etschtal werden die
Hälfte aller Äpfel Italiens produziert, neun Prozent der europäischen Apfelernte
stammen aus Südtirol. Der wirtschaftliche Aufschwung ist auch in Zahlen
messbar: Der Pro-Kopf-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (2008: 33.000 Euro)
übertrifft den EU-Durchschnitt, seit Jahrzehnten herrscht Vollbeschäftigung.
Aus dem Agrarland Südtirol ist eine krisenresistente Dienstleistungsgesellschaft
geworden.
In den 70er Jahren des 19.Jh.s erfolgt eine flächendeckende Modernisierung der Gesellschaft. Der Straßenbau ist das augenfälligste Beispiel.
18
Ein innovatives Geschäftsmodell: Der Raiffeisen Versicherungsdienst
Der Raiffeisen Versicherungsdienst zählt viele Institutionen und Verbände zu seinen Kunden, auch viele Sportvereine.
In den neunziger Jahren besetzt Raiffeisen eine Marktnische. Die Kombination von Bank-
und Versicherungsgeschäften? Warum nicht! Der Raiffeisenverband gründet den Raiffeisen
Versicherungsdienst (RVD) als Generalagentur des italienischen Genossenschaftsversi-
cherers Assimoco. Das neue Geschäftsmodell bewährt sich schnell: Die Raiffeisenkassen
vertreiben die Versicherungspolizzen an ihren Bankschaltern, in 15 Jahren verzehnfacht sich
das Prämienaufkommen. Besonders gefragt sind Lebens-, Sach- und KFZ-Versicherungen.
Der RVD bietet aber viel mehr: kompetente Beratung, Kundennähe, Effizienz, ein breites
Produktsortiment, individuell angepasste Versicherungsverträge. Heute ist der Raiffeisen
Versicherungsdienst ein anerkanntes Kompetenzzentrum für Vorsorge und Absicherung
und führend in Südtirol.
Raiffeisen steht für Beständigkeit
Zu den Kunden des Raiffeisen Versicherungsdienstes gehören viele Institutionen, Vereine
und Verbände in Südtirol. Eine besondere Partnerschaft besteht mit dem Verband der
Sportvereine Südtirols (VSS), dem insgesamt 472 Mitgliedsvereine mit 1.118 Sektionen
und über 80.000 Aktiven in ganz Südtirol angehören.
19
Eine verlässliche Zusatzvorsorge: Der offene Raiffeisen-Pensionsfonds. Auch in Italien stehen immer mehr Rent-
ner immer weniger und immer älteren
Beitragzahlern gegenüber. Die Folgen
für das Pensionssystem sind dramatisch:
Mit der gesetzlichen Rente allein wird
der Lebensstandard im Alter nicht mehr
zu halten sein. Eine Zusatzrente ist also
unumgänglich, um die Versorgungslücke
schließen zu können. Mit der Entwicklung
eines eigenen offenen Pensionsfonds
hat die Raiffeisen-Familie auf diese He-
rausforderung reagiert. Dem Raiffeisen-
Pensionsfonds können Angestellte und Selbstständige gleichermaßen beitreten. Deren
Beiträge werden gemäß den Vorgaben der Kunden an den Kapitalmärkten investiert.
Vertrieben wird der Pensionsfonds von den Raiffeisenkassen, Trägergesellschaft ist die
PensPlan Invest SGR AG. Strategische Investitionsentscheidungen werden in Absprache
mit der Raiffeisen Landesbank getroffen.
Alterspyramide in Südtirol im Jahr 2050
2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90 FrauenMänner
(Quelle: Istat)
20
Die Raiffeisenwerte: Dem Gemeinwohl verpflichtetBodenständigkeit, Selbstverantwortung, Solidarität: Hinter der Marke Raiffeisen steht eine
leistungsstarke Wertegemeinschaft. Raiffeisen-Genossenschaften arbeiten nach dem
Grundsatz der Gegenseitigkeit ohne Spekulationsabsicht. Dabei geht es nicht um private
Profitmaximierung, sondern um die Förderung der Mitglieder und der örtlichen Gemeinwe-
sen. „Nach meiner festen Überzeugung gibt es nur ein Mittel, die sozialen und besonders
auch wirtschaftlichen Zustände zu verbessern, nämlich die christlichen Prinzipien in freien
Genossenschaften zur Geltung zu bringen“, schreibt Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Hilfe zur
Selbsthilfe in einer selbstverwalteten und demokratisch geführten Gemeinwirtschaft – dieses
Raiffeisenprinzip gilt auch heute noch. Und das schafft Sicherheit und Vertrauen.
21
Die Mitglieder des Raiffeisenverbandes
Das Rückgrat der Südtiroler WirtschaftDer Raiffeisenverbund in Südtirol ist eine starke Gemeinschaft und das Rückgrat der Südtiroler
Wirtschaft. Nachhaltiges Wachstum, Mitbestimmung und langfristige Ertragsziele – diese
Vorgaben genossenschaftlichen Wirtschaftens haben sich immer schon ausgezahlt. Nicht
zuletzt deshalb steht Raiffeisen in vielen Schlüsselbereichen an der Spitze. Alle Milchhöfe
und Obstgenossenschaften gehören zu Raiffeisen, bei Einlagen und Kreditvergaben ist das
weit verzweigte Netz der Raiffeisenkassen Marktführer. Die Raiffeisen-Genossenschaften
erwirtschaften heute eine addierte Bilanzsumme von 13 Mrd. Euro. Der Raiffeisenverband
ist die wichtigste Dachorganisation im Südtiroler Genossenschaftswesen und damit eine
Stimme, die Gewicht hat. Schließlich gehört fast jeder vierte Einwohner des Landes einer
Raiffeisen-Genossenschaft an. Das belegt die Bodenständigkeit des Raiffeisennetzwerks
und den Erfolg der Genossenschaftsidee.
Das Raiffeisen-Netzwerk
Raiffeisenorganisationen arbeiten weltweit zusammen. Deshalb ist der Südtiroler Raiffei-
senverband Mitglied des italienischen Genossenschaftsverbunds und gehört der Interna-
tionalen Raiffeisen-Union ebenso an wie der Forschungsgesellschaft für das Genossen-
schaftswesen an der Universität Münster. Der Verband beteiligt sich auch an der Gründung
des Internationalen Instituts für Genossenschaftsforschung im Alpenraum (IGA), einem
Wissenschafts- und Diskussionsforum zur Weiterentwicklung der von Friedrich Wilhelm
Raiffeisen entwickelten Genossenschaftsidee im 21. Jahrhundert.
22
Ein bodenständige Allianz: Die Raiffeisen GeldorganisationAls unverzichtbarer Geldgeber für mittelständische Industrie- und Handwerksbetriebe tragen
die Raiffeisenkassen in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts
zum Südtiroler „Wirtschaftswunder“ bei. Das 2. Autonomiestatut überträgt die Zuständigkeit
für die Eröffnung von Bankschaltern dem Land Südtirol. Die Folge ist die Entstehung eines
dichten Schalternetzes, das auch in den folgenden Jahrzehnten zügig ausgebaut wird. Die
Eröffnung neuer Filialen und die Zusammenschlüsse kleinerer Raiffeisenbanken machen
aus den „Dorfkassen“ leistungsstarke Kreditinstitute. Das hat messbare Folgen: Von 1970
bis 1990 verdoppelt sich die Höhe der Einlagen. Auch die Liberalisierung des italienischen
Bankensystems Mitte der neunziger Jahre unterstützt diese Expansion. Die ehemaligen
Spar- und Darlehenskassen wachsen zu vielseitigen Universalbanken, die sich auch nach
der Jahrtausendwende gut am Markt behaupten.
Über 70.000 Südtirolerinnen und Südtiroler sind Mitglied einer Raiffeisenkasse.
23
Marktführer in SüdtirolRaiffeisenkassen brauchen Unterstützung – auch in Südtirol. Deshalb entsteht 1973 die
Raiffeisen-Zentralkasse und spätere Raiffeisen-Landesbank AG als Nachfolgerin der
1927 aufgelösten Landwirtschaftlichen Zentralkasse: eine Servicestelle im Besitz der
Raiffeisenkassen und ein wichtiges Kompetenzzentrum. Die Landesbank organisiert den
Zahlungsverkehr der Raiffeisenkassen und koordiniert deren Geschäfte auf den Kredit-
und Finanzmärkten. Heute ist die Landesbank AG das zentrale Geld- und Kreditinstitut der
Raiffeisen-Genossenschaften und das pulsierende Herz der vernetzten Raiffeisen Geldor-
ganisation. Landesbank und Raiffeisenkassen bilden eine wetterfeste Allianz im Dienst des
Kunden, vor allem in Krisenzeiten. Schließlich steht die Marke Raiffeisen seit Jahrzehnten
für Vertrauen, Bodenständigkeit und Stabilität. Bei Einlagen und Kreditvergaben ist die
Raiffeisen-Geldorganisation daher führend in Südtirol.
Eine Marke wird geschützt
1993 schreibt das italienische Bankwesengesetz die Umbenennung der Cassa Rurale ed
Artigiana in Banca di Credito Cooperativo vor. Der Verweis auf die Marke „Raiffeisen“ ist
plötzlich nicht mehr zugelassen. Der Südtiroler Raiffeisenverband interveniert daraufhin
bei der für das Genossenschaftswesen zuständigen Region Trentino-Südtirol und ist damit
erfolgreich. Heute können Raiffeisenkassen im Trentino und in Südtirol folgende Namens-
varianten tragen: Cassa Rurale, Cassa Raiffeisen oder Raiffeisenkasse.
1970 1975 1980 1985 1987 2004 2008
19,3 23,8 32,9 32,9 33,2 41,5 37,4
Entwicklung der Marktanteile der Kundenausleihungen der Raiffeisen Geldorganisation Südtirol
(Raiffeisenkassen und Raiffeisen Landesbank Südtirol)
1970 1975 1980 1985 1987 2004 2008
22,8 28,3 34,0 41,0 43,0 50,5 48,9
Entwicklung der Marktanteile der Kundeneinlagen der Raiffeisen Geldorganisation Südtirol
(Raiffeisenkassen und Raiffeisen Landesbank Südtirol)
(in Prozent)
(in Prozent)
24
Klimaland SüdtirolBei der Nutzung erneuerbarer Energien nimmt Südtirol nicht nur in Italien eine Ausnah-
mestellung ein. 2020 sollen hier 100 Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren
Energiequellen gedeckt werden (ohne Verkehr); die EU gibt sich da schon mit einem Anteil
von 20 Prozent zufrieden. Ein glückliches Land: Südtirol hat beste Voraussetzungen für eine
nachhaltige und dezentralisierte Energieproduktion. Seit über 100 Jahren wird in Südtirol
Wasserkraft zur Stromgewinnung genutzt. Zudem ist das Land mit seinem mediterranen
Klima ein idealer Standort für die Versorgung mit Solarenergie. Seit den zwanziger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts wird Energie in Südtirol auch genossenschaftlich produziert
und geliefert. Dabei geht es nicht nur um Versorgungssicherheit und Kundenähe, sondern
auch um niedrige Preise. So können lokale Energiegenossenschaften die Produktion und
Verteilung selbst kontrollieren, ihre Energie bis zu 40 Prozent billiger anbieten als weltweit
tätige Energiekonzerne.
Die Energieberater
Wer Energie produziert braucht Unterstützung und Fürsprache. Der Raiffeisen Energiever-
band (REV) ist Interessensvertretung und Dienstleister für die Südtiroler Energiewirtschaft.
In seinen Büros im Raiffeisenhaus bündelt der Verband die Initiativen von Energieprodu-
zenten und Energieverteilern. Dabei ist der REV mittelständischen Energieunternehmen
und Genossenschaften gleichermaßen verpflichtet. Oberstes Ziel der Verbandsarbeit ist die
Förderung der dezentralen Ausbeutung einheimischer erneuerbarer Energien. Und das hat
gleich mehrere Vorteile: Wer Energie mit eigenen Ressourcen vor Ort produziert und vertreibt,
macht sich von Großverteilern und fossilen Energieträgern unabhängig, Wertschöpfung
und Know-how bleiben im Land. Mit anderen Worten: Der Raiffeisen Energieverband ist
ein Kompetenzzentrum für bodenständigen Klimaschutz. In den ersten zwei Jahren nach
der Verbandsgründung hat sich die Mitgliederanzahl mehr als verdoppelt.
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Der Obstgarten Europas„Gestern ist ein Kistchen Trauttmansdorffer Obst nach New York abgegangen“, schreibt
die „Meraner Zeitung“ 1896. Die neuen Eisenbahnlinien, die Regulierung der Etsch und die
Trockenlegung des sumpfigen Talbodens zwischen Bozen und Meran sind vor dem Ersten
Weltkrieg unverzichtbare Voraussetzungen für die Entwicklung der Südtiroler Obstwirt-
schaft. Obst – das heißt heute vor allem Äpfel. 1893 entsteht im Raum Meran die erste
Obstgenossenschaft in Tirol. Der Wegfall von Zollschranken nach der EWG-Gründung 1957
und die rasante Entwicklung der Kühltechnik treiben die Produktionszahlen in die Höhe:
In wenig mehr als 60 Jahren verzehnfacht sich die Menge der angelieferten Äpfel. Heute
stammen mehr als elf Prozent der Apfelproduktion in den 27 EU-Staaten aus dem größten
Obstgarten Europas „an der Sonnenseite der Alpen“. Dort betreibt die genossenschaftlich
vernetzte Obstwirtschaft modernste Sortierungs- und Verpackungsanlagen und hat sich
gut behauptet in einer global vernetzen Branche.
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Entwicklung der Produktion der Obstgenossenschaften Südtirols
1970 1975 1980 1985 1990
157.000 288.000 322.000 452.000 614.000
1995 2000 2005 2008 2009
596.000 775.000 842.000 974.000 1.067.000
Wie keine zweite Branche hat die Obstwirtschaft in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Modernisierungs-schub erfahren. Heute sind die Obstgenossenschaften bei der Verarbeitung der Ware Vorreiter in Europa.
Marlene für Italien
Äpfel brauchen Marketing: 1995 führt der Verband der Obstgenossenschaften (VOG) in
Italien die Qualitätsmarke „Marlene“ ein. 2004 folgt die Marke „Marlene Bio“. Seit 2005
tragen elf Apfelsorten, die vom VOG weltweit als „Südtiroler Apfel“ vertrieben werden, die
EU-Ursprungsbezeichnung geografisch geschützte Angabe (g.g.A). Im Vinschgau vereint
der Verband der Vinschgauer Produzenten für Obst und Gemüse über 1700 Obst- und
Gemüsebauern in insgesamt 7 Genossenschaften. „Südtiroler Apfel“, das heißt: Produkte
aus integriertem Anbau, die nur in Südtirol geerntet wurden. Anders gesagt: Wenn Südtirol
auf der Verpackung steht, dann ist auch Südtirol drin.
(in Tonnen)
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Die Produktion und Verarbeitung von Milch haben in
Südtirol lange Tradition und große volkswirtschaftliche
Bedeutung. Die 1877 gegründete Sennerei Niederdorf
ist die erste Genossenschaft im südlichen Tirol. Heute ist
die Milchwirtschaft in Südtirol zu 100 Prozent genossen-
schaftlich organisiert. Mehr als drei Prozent der in Italien
produzierten Milch stammen aus Südtirol, zwei Drittel aller
Südtiroler Molkereiprodukte werden jenseits der Landes-
grenzen verkauft. Die Branche steht auf festen Beinen und
das hat Gründe. Die Milchverarbeitung ist weitgehend in
modernen High-Tech-Milchhöfen konzentriert, der Vere-
delungsgrad stetig gestiegen. Weniger als 15 Prozent der
angelieferten Rohmilch werden heute noch als Frischmilch
vertrieben. Das erhöht die Wertschöpfung und die Aus-
zahlungspreise an die Milchbauern. Bei der Vermarktung
ist man erfinderisch. Käse, Butter, Sahne, Yoghurt, Ricotta,
Mascarpone oder Mozarella, dieser Mix aus Nord und Süd
im Produktsortiment kommt gut an, und zwar sowohl in
Italien als auch nördlich der Brennergrenze.
Almkäse in Dubai
Die Sennereigenossenschaft Algund ist zwar eine der kleinsten Molkereien im Land, aber
dennoch international erfolgreich. Im Januar 2010 nimmt das Jumeirah Beach Hotel in
Dubai 16 Käsesorten aus Algund in seine Speisekarte auf. Für die Sennerei ist das ein
prestigeträchtiger Verkaufserfolg. Mit 598 Zimmern und 22 Restaurants gehört das futu-
ristisch gestylte Luxus-Resort zu den beliebtesten Häusern am Persischen Golf.
Milch aus Südtirol,ein Genossenschaftsprodukt
Die Milchverarbeitung in Südtirol ist zu 100 Prozent genossenschaftlich organisiert. Das heißt: in Raiffeisen-Genossenschaften.
Entwicklung der Produktion der Milchhöfe und Sennereigenossenschaften Südtirols
1966 1970 1975 1980 1985 1990
32 53 65 109 164 287
1995 2000 2005 2007 2008 2009
294 350 386 376 361 367
(in Mio. Liter)
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Ein Genussland: 3.000 Jahre Südtiroler Wein„Bei den Lepontiern, Camunern, Stönern und Tridentinern wächst der rätische Wein, der den
besten römischen Sorten in nichts nachsteht“, schreibt der römische Geschichtsschreiber
Strabon. Wein in Südtirol hat eine lange Geschichte. Schon in der Antike schätzt man den
„rätischen Wein“ aus dem Etschtal. Dort kaufen Klöster aus Bayern und Franken im frühen
Mittelalter Weingüter, um den eigenen Bedarf vor Ort decken zu können. Besonders die
Traminer Weine sind an deutschen Fürstenhöfen begehrt. Die Sorten Lagrein, Vernatsch
und Gewürztraminer prägen immer noch die Weinberge in Südtirol, auch wenn im 19.
Jahrhundert internationale Rebsorten importiert werden. Heute ist das Rebsortiment so
attraktiv und vielfältig wie die Landschaft mit ihrem mediterranen Flair, aus der die Weine
stammen.
Qualität ist Erfolg. Kellereigenossenschaften in Südtirol
Weinproduktion und Raiffeisen-Genossenschaften passen schon im ausgehenden 19. Jahr-
hundert gut zusammen. Vor dem ersten Weltkrieg entstehen in den wichtigsten Südtiroler
Anbaugebieten genossenschaftlich geführte Kellereien. Über 100 Jahre später besetzt die
Südtiroler Weinwirtschaft einen Spitzenplatz im Weinland Italien. Dabei geht es nicht um
Produktionsmengen, sondern um höchste Qualität. Das war nicht immer so. In den sechziger
und siebziger Jahren wird auch in Südtirol Massenware produziert. Erst danach konzentriert
man sich auf die Herstellung von Spitzenweinen. Mit Erfolg. Ob Chardonnay, Grauburgunder,
Sauvignon Blanc, Merlot, Cabernet Sauvignon, Pinot Noir oder die „einheimischen“ Tradi-
tionssorten Gewürztraminer, Lagrein und Vernatsch: Auf 5000 Hektar werden in Südtirol
fast ausschließlich Weine in DOC-Qualität angebaut, die von professionellen Sommeliers
und Weinliebhabern entsprechend geschätzt werden.
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Die Kellereigenossenschaften liefern 70 Prozent der Südtiroler Weinproduktion.
Entwicklung der Produktion der Kellereigenossenschaften Südtirols
1975 1980 1985 1990 1995
241.000 302.000 305.000 272.000 229.000
2000 2005 2007 2008 2009
283.000 235.000 267.000 238.000 203.000
(in Hektoliter)
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Verantwortung für Menschen. Sozialgenossenschaften im RaiffeisenverbandRaiffeisengenossenschaften sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Das war schon immer so.
„Der Sieg wird sicher auf der Seite derjenigen christlichen Gemeinschaft sein, welche sich in
der Liebe am tatkräftigsten erweist“, schreibt Friedrich Wilhelm Raiffeisen in der Einleitung
seines 1866 erschienenen Buches „Die Darlehenskassen-Vereine als Abhilfe der Noth der
ländlichen Bevölkerung sowie auch der ländlichen Handwerker und Arbeiter“. Menschen
helfen Menschen: Das war und ist Raiffeisen. Deshalb vertritt der Raiffeisenverband in
Südtirol nicht nur Kreditinstitute, Winzer, Energieproduzenten oder Obst- und Milchbau-
ern, sondern eben auch soziale Genossenschaften. Tagesmütter, Altenheime, Dienste für
Menschen mit Behinderung: Genossenschaftliche Selbsthilfe ist unverzichtbar und nicht
zu ersetzen – daran hat sich auch im 21. Jahrhundert nichts geändert.
In den letzten Jahren sind eine Reihe neuartiger Genossenschaften im Sozialbereich entstanden, wie die Sozialgenossenschaft Die Kinderfreunde Südtirol in Bruneck.
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Genossenschaften/Körperschaften 2. Grades
1RaiffeisenLandesbankSüdtirol AG
Bank-/Kreditwirtschaft
3• Verband der Südtiroler Obstgenossen schaften (VOG)• Verband der Vinschgauer Obstproduzenten (VI.P)• VOG PRODUCTS Leifers
Obstwirtschaft
2• Sennereiverband Südtirol• MILKON Südtirol
Milchwirtschaft
2• Verband der Kellereigenossen- schaften Südtirols• Südtiroler Weinbauernverband
Weinwirtschaft
7• BIOG Dienstleistungkons.• FROM Società Agricola• Landw. Einkaufsgen. LEG• OG-Dienstleistungs- konsortium• Raiffeisen Energieverband• Südtiroler Gemeindenverband• Südt. Viehvermarktungs- konsortium (KOVIEH)
Sonstige
Genossenschaften/Körperschaften der Primärstufe
49Raiffeisenkassen
addierteBilanzsumme
10,04 Mrd. €
Bank-/Kreditwirtschaft
29Obst- undSaatbaugenossen-schaften
Gesamterträge(Durchschnitt 3 Jahre)
675 Mio. €
Obstwirtschaft
15Molkereigenossen-schaften
Gesamterträge(Durchschnitt 3 Jahre)
368 Mio. €
Milchwirtschaft
16Kellereigenossen-schaften
Gesamterträge(Durchschnitt 3 Jahre)
118 Mio. €
Weinwirtschaft
222Sonstige Genossenschaften
26Körperschaften ohne Revisionspflicht
Sonstige
Die Mitglieder des Raiffeisenverbandes
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Literaturverzeichnis:
Andrea Leonardi: L’esperienza cooperativa di F. W. Raiffeisen ed i suoi primi riflessi in area tirolese, Hrsg.: Region Trentino-Südtirol, Trient 2002
Confcooperative, www.confcooperative.it
Rudolf Maxeiner/Dr. Gunther Aschhoff/Dr. Herbert Wendt: Raiffeisen. Der Man die Idee und das Werk, Raiffeisendruckerei GmbH, Neuwied 1988
Konrad Palla: 100 Jahre Raiffeisen-kassen in Südtirol, CISCRA, Villanova del Ghebbo 1989
Walter Pichler/Konrad Walter: Zwischen Selbsthilfe und Marktlogik, Edition Raetia, Bozen 2007
Bildnachweis:
Seite 8: Foto Tappeiner
Seite 19: Die Brenner Autobahn, Tiroler Nachrichten, Innsbruck 1972, S. 140
Seite 27: Gianni Bodini
Seite 32: Sozialgenossenschaft Die Kinderfreunde Südtirol
RVS-Archiv
Impressum:
Herausgeber: Raiffeisenverband Südtirol GenossenschaftRaiffeisenstr. 2, Bozen
Design und Druck: Saphir, Vahrn – [email protected]