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Praktikumsanleitung
zum Versuch
“Schiefe Biegung“
Prof. Dr.-Ing. Stefan DiebelsDr.-Ing. Joachim Schmitt
Universitat des SaarlandesLehrstuhl fur Technische Mechanik
c©2010
2
3
Inhaltsverzeichnis
1 Theorie 3
1.1 Spannungs-Dehnungs-Beziehungen unter geraderBiegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Zusammenhang mit den Schnittgroßen . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Vernachlassigung des Schubeinflusses . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.4 Biegelinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.5 Flachentragheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.5.1 Flachenmomente 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.5.2 Flachenmomente 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.5.3 Verschiebung des Bezugssystems . . . . . . . . . . . . . . 27
1.5.4 Drehung des Bezugssystems . . . . . . . . . . . . . . . . 30
1.6 Schiefe Biegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2 Praktische Aufgabenstellung 37
4
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 5
1 Theorie
1.1 Spannungs-Dehnungs-Beziehungen unter gerader
Biegung
Als Balken versteht man ein schlankes Bauteil, das senkrecht zu seiner Langs-achse belastet wird. Ziel ist es, einen Zusammenhang zwischen der außerenBelastung, den inneren Spannungen und der Durchbiegung des Balkens zuentwickeln. Zur Herleitung einer technischen Biegelehre sind einige Annahmenbezuglich der Kinematik eines Balkens erforderlich, die im Weiteren diskutiertwerden.
Folgende Grundannahmen charakterisieren die sogenannte gerade Biegung:
• Der betrachtete Balken ist gerade. Seine Querschnittsflache senkrecht zurBalkenachse ist ggf. veranderlich, A = A(x1), aber sie besitzt zumindesteine Symmetrieachse, vgl. Abb. 1.
Balkenachse x1A(x1)
Symmetrieachse
Belastung
x3
x3
x2
Abbildung 1: Bezeichnungen am Balken
• Die Belastung wirkt entlang der Symmetrieachse des Balkenquerschnitts.
• Das gewahlte Bezugssystem ist ein Haupttragheitsachsensystem (Bedeu-tung kommt noch).
Als Konsequenz dieser Annahmen sind Belastungs- und Verformungsebeneidentisch.
6 Theorie
Eine weitere Annahme betrifft die Spannungsverteilung:
• Normalspannungen wirken nur in Richtung der Balkenachse, Normal-spannungen senkrecht zur Balkenachse werden vernachlassigt.
Wesentlich zur Ermittlung der Spannungsverteilung in der Balkenquerschnitts-flache A(x1) sind die Annahmen uber die Kinematik. Folgende Verformungwird zu Grunde gelegt:
e1e2
e3
x
x3
x + u deformierte
Achse
Achse
ϕ2
uA1 x3 ϕ2
uA3
uA
Abbildung 2: Deformierter Balken
Ein beliebiger Punkt im Querschnitt des Balkens verschiebt sich gemaß Abb. 2von der Ausgangsposition x in die Position x + u, wobei die Verschiebungu = ui ei nur in der e1–e3-Ebene stattfindet und von x2 unabhangig ist:
u = u1(x1, x3) e1 + u3(x1, x3) e3. (1.1)
Die x1-Achse entspricht dabei der geforderten Symmetrielinie.
Fur schlanke Balken gilt weiterhin die Hypothese vom Ebenbleiben der Quer-schnitte. Demnach bleibt ein ursprunglich ebener Querschnitt auch nach derDeformation eben. Er kann dann nur gegenuber der Balkenachse um den Win-kel ϕ2(x1) gedreht sein. Diese Hypothese geht auf Jakob Bernoulli (1654–1705)zuruck und wird daher auch als 1. Bernoulli-Hypothese bezeichnet.
Mit dieser Annahme kann der Verschiebungszustand durch die VerschiebunguA des Referenzpunktes auf der Balkenachse und durch die Verdrehung ϕ2
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 7
der Querschnittsflache dargestellt werden. Es gilt unter der Annahme kleinerRotationen
u1(x1, x3) = uA1 (x1) + ϕ2(x1) x3 =: u1(x1) + ϕ2(x1) x3
u3(x1) = uA3 (x1) =: w(x1).
(1.2)
Bemerkung:
Man spricht von kleinen Rotationen, wenn die trigonometrischen Funktionenin guter Naherung durch die ersten Glieder einer Taylor-Reihe beschriebenwerden.
sinϕ2 ≈ ϕ2, cosϕ2 ≈ 1. (1.3)
In der technischen Literatur ist es ublich, die Verschiebungen der Balkenachseim Rahmen der Balkentheorie mit u = uA
1 und w = uA3 zu bezeichnen. Da alle
Punkte in einem Querschnitt die gleiche Absenkung w(x1) erfahren, andert derBalken durch die Deformation seine Dicke nicht.
Wenn man von dem Verschiebungszustand (1.2) ausgeht, ergeben sich die fol-genden Verzerrungen im Inneren des Balkens:
ε11 =∂u1
∂x1
=du
dx1
+dϕ2
dx1
x3
ε31 =1
2
(∂u1
∂x3
+∂u3
∂x1
)
=1
2
(dw
dx1
+ ϕ2
)
.
(1.4)
In Kombination mit dem Materialgesetz der linearen Elastizitat folgt die Span-nungsverteilung in Richtung der Balkenachse zu
σ11 = E ε11 = E(du
dx1
+dϕ2
dx1
x3
)
(1.5)
und senkrecht dazu
σ31 = 2Gε31 = G(dw
dx1
+ ϕ2
)
. (1.6)
Die Parameter sind der Elastizitatsmodul E = µ(2µ+3λ)µ+λ
und der Schubmodul
G = µ. Die Normalspannung in dem betrachteten Querschnitt ist nach (1.5)linear verteilt, wahrend die Schubspannung nach (1.6) im Querschnitt konstantist.
Aufgrund der kinematischen Annahmen erfolgt keine Dickenanderung, undsomit existieren keine Normalspannungen σ33 senkrecht zur Balkenachse.
8 Theorie
1.2 Zusammenhang mit den Schnittgroßen
Aus der Spannungsverteilung in der Balkenquerschnittsflache konnen nun dieSchnittgroßen durch Integration uber die Flache A(x1) ermittelt werden.
Fur die Resultierenden der Schnittgroßen gelten die folgenden Definitionen,die einen Zusammenhang zwischen den Schnittgroßen und den Spannungenherstellen
N1 =∫
A
σ11 dx2 dx3,
Q3 =∫
A
σ31 dx2 dx3,
M2 =∫
A
σ11 x3 dx2 dx3.
(1.7)
Dagegen erhalt man bei der Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen einenZusammenhang zwischen den Schnittgroßen und der Belastung
dN1
dx1
= −n1,
dQ3
dx1
= −q3,
dM2
dx1
= Q3.
(1.8)
Am geraden Balken sind das Zug- und das Biegeproblem entkoppelt. Wahltman die Balkenachse durch die Flachenschwerpunkte der Querschnittsflachen1,so folgt aus Kombination von (1.5) mit (1.7)1,3
N1 =∫
A
E(du
dx1
+dϕ2
dx1
x3
)
dx2 dx3 = AEdu
dx1
,
M2 =∫
A
E(du
dx1
+dϕ2
dx1
x3
)
x3 dx2 dx3 = Edϕ2
dx1
∫
A
x23 dx2 dx3,
(1.9)
d. h. die Normalkraft N1 im Balken wird nur durch die achsiale Verschiebungu(x1) der Querschnittsflache hervorgerufen, das Moment M2 nur durch dasVerkippen ϕ2(x1) des Querschnitts.
Betrachtet man den Fall reiner Biegung, N1 = 0, u = konst., so ergibt sich
1Im Flachenschwerpunkt gilt∫
A
x3 dx2 dx3 = 0, siehe Formel zur Berechnung des Flachen-
schwerpunkts.
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 9
der Zusammenhang zwischen dem Biegemoment und der Normalspannung zu
M2 = Edϕ2
dx1
∫
A
x23 da =
σ11(x1, x3)
x3
I22. (1.10)
Dabei wurde das sogenannte Flachentragheitsmoment als
I22 =∫
A
x23 dx2 dx3 (1.11)
eingefuhrt. Das Flachentragheitsmoment ist eine rein geometrische Große. Dielineare Spannungsverteilung unter reiner Biegung kann nun direkt aus demangreifenden Biegemoment ermittelt werden zu
σ11 =M2
I22x3. (1.12)
Die maximalen Biegenormalspannungen ergeben sich demnach am Rand desBalkens, wenn x3 extremal wird. Die Betrage der Randspannungen konnenuber das Widerstandsmoment W22 ermittelt werden:
|σ11| =M2
W22
mit W22 =I22
x3,Rand. (1.13)
Fur den Fall, dass der Balken sowohl durch Momente als auch durch Nor-malkrafte belastet wird, uberlagern sich nach dem Superpositionsprinzip dieSpannungsanteile wie in Abb. 3 skizziert. Fur die Normalspannung im Balken-querschnitt ergibt sich dann
σ11 = σN11 + σM
11 =N1
A+
M2
I22x3. (1.14)
Durch die Uberlagerung der konstanten Spannungsverteilung aufgrund vonNormalkraft und der linearen Spannungsverteilung aufgrund von Biegung ver-schiebt sich gegenuber der reinen Biegung der Nulldurchgang der Spannungs-verteilung von der Mitte des Querschnitts hin zum Rand. Die Stelle, an derdie Spannungsverteilung zu Null wird, bezeichnet man als die neutrale Faser.Fur ihre Lage gilt
σ11 = 0 → xN3 = −
N1 I22M2 A
. (1.15)
10 Theorie
e1e2
e3
M2
N1
σN11 σM
11 σ11+ =
xN3
−©
+©+©+©
Abbildung 3: Spannungsverteilung bei Zug- und Biegebeanspruchung
1.3 Vernachlassigung des Schubeinflusses
Mit der angenommenen Balkenkinematik folgt aus der 1. Bernoullischen Hy-pothese (Ebenbleiben der Querschnitte) eine konstante Verteilung der Schub-spannungen uber die Balkenhohe
σ31 = G(dw(x1)
dx1
+ ϕ2(x1))
. (1.16)
Insbesondere am Rand kann diese Aussage aufgrund der Zuordnung der Schub-spannungen
σ31 = σ13 (1.17)
nicht richtig sein, da die Balkenoberflache nicht durch Tangentialkrafte belastetist. Dieser Fehler ist eine Konsequenz des einschrankenden Ansatzes in Folgeder 1. Bernoulli-Hypothese.
Bei langen, schlanken Balken (l/h > 10) kann man den Schubeinfluss haufigvollstandig vernachlassigen. In diesem Fall begeht man bewusst einen zweitenFehler, indem man fordert
ϕ2(x1) = −dw(x1)
dx1
. (1.18)
Diese Forderung entspricht der 2. Bernoullischen Annahme vom Senkrechtblei-ben der Querschnitte: Ein Querschnitt, der vor der Belastung senkrecht zurBalkenachse liegt, steht auch nach der Belastung senkrecht auf der deformier-ten Achse, vgl. Abb. 4.
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 11
M2(x1)M2(x1)
ϕ2(x1)
rechter
Winkel
w(x1)
dw(x1)
dx1
Abbildung 4: Biegewinkel
Ein Balken, auf den die beiden Bernoulli-Annahmen zutreffen, wird auch alsBernoulli-Balken bezeichnet. Die ursprunglich freie Verdrehung ϕ2 des Quer-schnitts wird durch die 2. Bernoulli-Annahme an die Duchbiegung der Balken-mittelachse, d. h. an die Ableitung der Biegelinie, gekoppelt. Dadurch entfallendie Schubspannungen nach (1.16), d. h. fur einen Bernoulli-Balken kann mandie Schubspannung nicht aus der Kinematik und dem Stoffgesetz berechnen.Dies ist eine Konsequenz der restriktiven Annahmen bezuglich der Balkenki-nematik. Wir werden spater eine Gleichgewichtsbetrachtung durchfuhren, umden Schubspannungsverlauf in der Querschnittsflache zu approximieren.
Fur den Bernoulli-Balken berechnet sich die Achsialverschiebung u1(x1, x3)gemaß (1.2) und (1.18) als
u1 = u(x1) + ϕ2(x1) x3 = u(x1) −dw(x1)
dx1
x3. (1.19)
Bemerkung:
Obwohl die beiden Bernoulli-Hypothesen die Kinematik stark einschrankenund somit gewisse Widerspruche auftreten, stellt man in vielen Anwendungenfest, dass der Ansatz zu relativ guten Resultaten fuhrt. Fur kurze Balken mussjedoch der Schubeinfluss berucksichtigt werden. Die Querschnitte bleiben dannnicht senkrecht zur deformierten Achse2.
2Dies fuhrt zur Timoshenko-Theorie, die jedoch hier nicht behandelt wird.
12 Theorie
1.4 Biegelinie
Gesucht wird der Zusammenhang zwischen Durchbiegung und Belastung amBernoulli-Balken. Da am geraden Balken das Zug- und das Biegeproblem ent-koppelt sind, wird im Weiteren nur der Einfluss der Querkrafte und Momenteuntersucht. Effekte durch die Normalkrafte konnen superponiert werden.
e1e2
e3
w(x1)
q3(x1)
Abbildung 5: Biegelinie
Die Gleichgewichtsbedingungen an einem Balkenelement liefern den differen-tiellen Zusammenhang zwischen den Schnittgroßen Q3 und M2 und der Bela-stung q3(x1) (vgl. TM I, Kapitel 6) in folgender Form
dQ3
dx1
= − q3(x1),dM2
dx1
= Q3(x1). (1.20)
Mit der Abkurzung d(. . .)/dx1 = (. . .)′ lautet der Zusammenhang zwischenBelastung q3 und Schnittmoment M2
M ′′
2 = − q3. (1.21)
Die Integration von (1.21) mit den zugehorigen Randbedingungen lost das sta-tisch bestimmte Problem. Zwischen dem Schnittmoment und der Balkenlangs-spannung besteht nach (1.10) der Zusammenhang
σ11 =M2
I22x3 = E ε11. (1.22)
Aufgrund der getroffenen kinematischen Annahmen (Senkrecht- und Ebenblei-ben der Querschnitte) ergibt sich fur den Bernoulli-Balken unter reiner Biegung
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 13
(uA1 = 0)
ε11 =du1
dx1
= −d2w
dx21
x3. (1.23)
Die Kombination von (1.22) und (1.23) liefert
E I22 w′′ = −M2, (1.24)
so dass sich mit (1.21) schließlich die Differentialgleichung
(E I22 w′′ )′′ = q3(x1) (1.25)
ergibt. Die Große E I22 heißt Biegesteifigkeit.
Wahrend fur das statisch bestimmte Problem die Schnittgroßen und die Bal-kendurchbiegung getrennt voneinander nach (1.21) und (1.24) mit den jewei-ligen Randbedingungen berechnet werden konnen, muss fur ein statisch unbe-stimmtes Problem die Berechnung gekoppelt nach (1.25) erfolgen.
Folgende Randbedingungen konnen angegeben werden, vgl. Abb. 6:
• Gelenkige Lagerung
w = 0, M2 = −E I22 w′′ = 0. (1.26)
• Einspannungw = 0, w′ = −ϕ = 0. (1.27)
• Belastetes Ende
M2 = −E I22 w′′ = M, Q3 = −E I22 w
′′′ = Q. (1.28)
• Freies Ende als Sonderfall
M2 = M = 0, Q3 = Q = 0. (1.29)
Bemerkung:
An einem Balkenende kann entweder eine Kraft oder eine Verschiebung vor-gegeben werden, jedoch nicht beides gleichzeitig. Analog gilt, dass entwederein Moment oder eine Verdrehung vorgegeben werden kann, jedoch nicht bei-des gleichzeitig. Es ist jedoch z. B. moglich, gleichzeitig eine Kraft und eineVerdrehung vorzugeben.
Im Fall von Unstetigkeiten, z. B. Einzelkraften oder Einzelmomenten, sprung-haften Anderungen von q3 oder E I22, muss das Problem in mehrere Abschnitte
14 Theorie
Q 6= 0
Q 6= 0
M 6= 0
w 6= 0
w 6= 0
ϕ2 6= 0
ϕ2 6= 0
ϕ2 6= 0
Q = 0
Q = Q
M = M
w = 0
w = 0
M = 0
M = 0
Q
M
ϕ2 = 0
Abbildung 6: Mogliche Randbedingungen
unterteilt werden, an deren Grenzen Ubergangsbedingungen formuliert werdenmussen. Die differentielle Beziehung (1.25) gilt dann abschnittsweise. Beispielefur die Durchbiegung unterschiedlich belasteter Balken sind in Abb. 7.
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 15
a b
x
F
w(x)
l
0 ≤ x ≤ a
w(x) =F a b2
6EI
[(
1 +l
b
)
x
l−
x3
a b l
]
a < x ≤ l
w(x) =F a2 b
6EI
[(
1 +l
a
)
l − x
l−
(l − x)3
a b l
]
x
Mw(x)
l
w(x) =M l2
6EI
[
x
l−(x
l
)3]
x
q
w(x)
l
w(x) =q l4
24EI
[
x
l− 2
(x
l
)3
+(x
l
)4]
x
F
w(x)
lw(x) =
F l3
6EI
[
2− 3x
l+(x
l
)3]
x
Mw(x)
lw(x) =
M l2
2EI
[
1− 2x
l+(x
l
)2]
x
q
w(x)
lw(x) =
q l4
24EI
[
3− 4x
l−(x
l
)4]
Abbildung 7: Biegelinien von Tragern mit konstantem Querschnitt(aus: Dubbel, Taschenbuch fur den Maschinenbau , 14. Auflage)
16Theorie
a b
x
F
w(x)
l
0 ≤ x ≤ a ⇒ w(x) =F l b2
4EI
[
a
l
x
l−
2
3
(
1 +a
2 l
)(x
l
)3]
a < x ≤ l ⇒ w(x) =F l2 a
4EI
(
1−a2
l2
)(
l − x
l
)2
−
(
1−a2
3 l2
)(
l − x
l
)3
x
q
w(x)
l
w(x) =q l4
48EI
[
x
l− 3
(x
l
)3
+ 2(x
l
)4]
a b
x
F
w(x)
l
0 ≤ x ≤ a ⇒ w(x) =F l b2
6EI
[
3a
l
(x
l
)2
−(
1 +2 a
l
)(x
l
)3]
a < x ≤ l ⇒ w(x) =F l a2
6EI
3b
l
(
l − x
l
)2
−
(
1 +2 b
l
)(
l − x
l
)3
x
q
w(x)
l
w(x) =q l4
24EI
[(x
l
)2
− 2(x
l
)3
+(x
l
)4]
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 17
e1e2
e3
q3(x1) = q0
A© B©E I22 = konst.
l
Abbildung 8: Aufgabenstellung
Beispiel:
Gesucht ist der Verlauf der Durchbiegung fur das in Abb. 8 skizzierte System.
Freischneiden des Systems liefert die Lagerreaktionen AV , AH , MA und B.Da keine Horizontalbelastung wirkt, werden in der Einspannung nur die Quer-kraft und das Moment aktiviert, AH = 0. Zur Bestimmung der drei verbleiben-den Lagerreaktionen stehen nur zwei Gleichgewichtsbedinungen zur Verfugung.Das statisch unbestimmte System kann also mit den Gleichgewichtsbedingun-gen alleine nicht berechnet werden.
a) Integration der BiegelinieZur Ermittlung der Durchbiegung eines statisch unbestimmten Systems mussdie Differentialgleichung der Biegelinie (1.25) integriert werden. Mit EI22 folgtfur das skizzierte System
E I22 w′′′′ = q3 = q0. (1.1)
Erste Integration:E I22w
′′′ = q0 x1 + C1. (1.2)
Zweite Integration:
E I22 w′′ =
1
2q0 x
21 + C1 x1 + C2. (1.3)
Dritte Integration:
E I22 w′ =
1
6q0 x
31 +
1
2C1 x
21 + C2 x1 + C3. (1.4)
18 Theorie
e1
e2
e3
q3(x1) = q0
AV
AH
B
MA
Abbildung 9: Freischnitt
Vierte Integration:
E I22 w =1
24q0 x
41 +
1
6C1 x
31 +
1
2C2 x
21 + C3 x1 + C4. (1.5)
Die vier Konstanten C1, . . . , C4 sind aus den Randbedingungen an der Ein-spannung A© und am Lager B© zu ermitteln. An der Stelle x1 = 0 gilt (Ein-spannung)
w(0) = 0, w′(0) = 0, (1.6)
und an der Stelle x1 = l gilt
w(l) = 0, M2(l) = −E I22 w′′(l) = 0. (1.7)
Somit ergeben sich die folgenden vier Bedingungen
x1 = 0 : w = 0 ⇒ C4 = 0,
w′ = 0 ⇒ C3 = 0,
x1 = l : w = 0 ⇒ q0 l4 + 4C1 l
3 + 12C2 l2 = 0,
w′′ = 0 ⇒ q0 l2 + 2C1 l + 2C2 = 0.
(1.8)
Die Konstanten werden daraus zu
C1 = −5
8q0 l, C2 =
1
8q0 l
2, C3 = 0, C4 = 0 (1.9)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 19
MA
AV
Q3(0)
M2(0)
B
Q3(l)
Abbildung 10: Lagerreaktionen
bestimmt. Die Durchbiegung des Balkens erhalt man als
w(x1) =q0
E I22
(1
24x41 −
5
48l x3
1 +1
16l2 x2
1
)
. (1.10)
Aus der Biegelinie (1.10) berechnen sich die Schnittgoßen Q3 und M2 durchDifferentiation gemaß (1.28), namlich
Q3 = −E I22 w′′′ = − q0 x1 +
5
8q0 l (1.11)
und
M2 = −E I22 w′′ = −
1
2q0 x
21 +
5
8q0 l x1 −
1
8q0 l
2. (1.12)
Wie in Abb. 10 skizziert, bestimmen sich die Lagerreaktionen in einem zweitenSchritt uber das Schnittprinzip aus den Schnittgroßen. Die entsprechendenGleichgewichtsaussagen lauten
x1 = 0 : MA = M2(0),
A = Q3(0),
x1 = l : B = −Q3(l).
(1.13)
Die Berechnung der Biegelinie durch Integration lost das statische und dasgeometrische Problem in einem Schritt.
20 Theorie
=
+©B
q0q0
Abbildung 11: Superposition
b) SuperpositionWie beim Stab kann im Fall linearer Gleichungen das statisch unbestimmte Sy-stem durch Superposition gelost werden. Dazu wird das System in ein statischbestimmtes
”0“-System und in ein
”1“-System aufgeteilt.
Fur den einseitig eingespannten Balken mit konstanter Gleichstreckenlast q,d. h. fur das
”0“-System, berechnet man die Biegelinie zu
E I22 w(0)(x1) =
q024
(
x41 − 4 l x3
1 + 6 l2 x21
)
. (1.14)
Fur die Durchbiegung unter der Einzelkraft B des”1“-Systems folgt
E I22 w(1)(x1) =
B
6
(
x31 − 3 l x2
1
)
. (1.15)
Die tatsachlich auftretende Durchbiegung ergibt sich durch Superposition derbeiden Lastfalle
w(x1) = w(0) + w(1). (1.16)
Da sich das rechte Ende des Balkens nicht absenken darf, lautet die Kompati-bilitatsbedingung
w(l) = w(0)(l) + w(1)(l) =q0 l
4
8−
B l3
3= 0. (1.17)
Aus dieser Bedingung berechnet sich die Lagerkraft B zu
B =3 q0 l
8. (1.18)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 21
q0 = K
(
1 −(x1
l
)2)
x1
ll
Abbildung 12: Aufgabenstellung
Ergebnisse der Art (1.14) und (1.15) sind in sogenannten Biegelinientafelnfur unterschiedliche Belastungen und Randbedingungen tabelliert. Bei An-wendung des Superpositionsprinzips konnen diese Tabellen vorteilhaft genutztwerden, um die Ergebnisse mit geringen Rechenaufwand zu erzielen.
Beispiel:
Bestimmen Sie die Lagerreaktionen fur das in Abb. 12 skizzierte System.
Berechnung mittels Biegelinie:Zur Berechnung wird das System in zwei Systeme unterteilt, die erst einmaljeweils fur sich betrachtet werden. Dadurch besteht nun an der Stelle x1 = 0die Moglichkeit, dass ein Knick in der Geometrie auftritt, der in Wirklichkeitnicht auftreten kann. Um zu gewahrleisten, dass dort kein Knick auftritt, wirdgefordert, dass die Verdrehung am rechten Ende des linken Bereichs gleichgroß ist wie die Verdrehung am linken Ende des rechten Bereichs, die Balkenan dieser Stelle also kompatibel sind. Allgemein musste man auch sicherstellen,dass an dieser Stelle kein Versatz in der Geometrie auftritt. Dies ist allerdingsbereits durch das Lager an der Stelle x1 = 0 gewahrleistet.
Wie skizziert wird die Biegelinie abschnittsweise bestimmt:
E I w′′′′
1 = q(x1) und E I w′′′′
2 = q(x1). (1.19)
22 Theorie
x1x1w2 w1
Abbildung 13: Aufspaltung des Systems
Zweifache Integration ergibt das negative Biegemoment M(x1):
w′′
1 =K
E I
∫ ∫(
1 −(x1
l
)2)
dx1dx1
=K l2
E I
[
1
2
(x1
l
)2
−1
12
(x1
l
)4]
+ C1 x1 + C2,
w′′
2 =K l2
E I
[
1
2
(x1
l
)2
−1
12
(x1
l
)4]
+ C5 x1 + C6.
(1.20)
Durch dreifache Integration erhalt man den Biegewinkel:
w′
1 =K l3
E I
[
1
6
(x1
l
)3
−1
60
(x1
l
)5]
+1
2C1 x
21 + C2 x1 + C3
w′
2 =K l3
E I
[
1
6
(x1
l
)3
−1
60
(x1
l
)5]
+1
2C5 x
21 + C6 x1 + C7.
(1.21)
Und schließlich die Durchbiegung w(x1)
w1(x1) =K l4
E I
[
1
24
(x1
l
)4
−1
360
(x1
l
)6]
+16C1 x
31 + 1
2C2 x
21 + C3 x1 + C4,
w2(x1) =K l4
E I
[
1
24
(x1
l
)4
−1
360
(x1
l
)6]
+16C5 x
31 + 1
2C6 x
21 + C7 x1 + C8.
(1.22)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 23
Als Randbedingungen konnen identifiziert werden:
• w1(x1 = 0) = 0 und w2(x1 = 0) = 0
C4 = 0 und C8 = 0, (1.23)
• w′
1(x1 = 0) = w′
2(x1 = 0) = 0
C3 = 0 und C7 = 0, (1.24)
• w′′
1(x1 = 0) = w′′
2(x1 = 0)C2 = C6, (1.25)
• w′′
1(x1 = −l) = 0 und w′′
2(x1 = l) = 0
512
K l2
E I− C1 l + C2 = 0, 5
12K l2
E I+ C5 l + C6 = 0,
→ C1 = −C5,(1.26)
• w1(x1 = −l) = 0 und w2(x1 = l) = 0
7180
K l4
E I− 1
6C1 l
3 + 12C2 l
2 = 0,7
180K l4
E I+ 1
6C5 l
3 + 12C6 l
2 = 0.(1.27)
Kombination von (1.25), (1.26) und (1.27) fuhrt zu:
C1 =61K l
120EI, C5 = −
61K l
120EI, C2 =
11K l2
120EI, C6 =
11K l2
120EI. (1.28)
Somit:
w1(x1) =K l4
E I
[
1
24
(x1
l
)4
−1
360
(x1
l
)6
+61
720
(x1
l
)3
+11
240
(x1
l
)2]
,
w2(x1) =K l4
E I
[
1
24
(x1
l
)4
−1
360
(x1
l
)6
−61
720
(x1
l
)3
+11
240
(x1
l
)2]
.
(1.29)
Alternative Berechnung mittels Superpositionsprinzip:Entfernt man das mittlere Lager, wird das System statisch bestimmt, so dassdie Biegelinie fur den gesamten Balken ermittelt werden kann. Dadurch erhaltman jedoch in der Mitte eine Absenkung, die in Wirklichkeit aufgrund desLagers an dieser Stelle nicht auftreten kann. Dieser geometrische Fehler wirddadurch korrigiert, dass man an dieser Stelle eine Kraft aufbringt, die denKnoten zuruck auf seine ursprungliche Lage bringt. Diese Kraft ist dann gerade
24 Theorie
+© ”0“-System
”1“-System
q
B
Abbildung 14: Superpositionsprinzip
die Auflagerkraft an dieser Stelle. Durch zweifache Integration der Belastungq(x1) erhalt man den Momentenverlauf im
”0“-System
M(0)2 = −
∫ ∫
q(x1) dx1 dx1 = −K (1
2x21 −
1
12
x41
l2) + C1 x1 + C2. (1.30)
Verwendet man die Randbedingungen fur den Momentenverlauf M(0)2 (x1 =
−l) = 0 und M(0)2 (x1 = l) = 0, lassen sich daraus sofort die Integrationskon-
stanten C1 und C2 bestimmen
M(0)2 (x1 = −l) = −K
(1
2l2 −
1
12l2)
− C1 l + C2 = 0,
M(0)2 (x1 = l) = −K
(1
2l2 −
1
12l2)
+ C1 l + C2 = 0,
→ C1 = 0, C2 =5
12K l2,
→ M(0)2 = −K
(
1
2x21 −
1
12
x41
l2
)
+5
12K l2.
(1.31)
Zweifache Integration des Momentenverlaufs liefert die Biegelinie des”0“-
Systems
EI w(0) = K
(
1
24x41 −
1
360
x61
l2−
5
24l2 x2
1
)
+ C3 x1 + C4. (1.32)
Verwendet man nun die Randbedingungen fur die Biegelinie w(0)(x1 = −l) = 0
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 25
und w(0)(x1 = l) = 0, so erhalt man die vollstandige Biegelinie des”0“-Systems
EI w(0)(x1 = −l) = K(1
24l4 −
1
360l4 −
5
24l4)
− C3 l + C4,
EI w(0)(x1 = l) = K(1
24l4 −
1
360l4 −
5
24l4)
+ C3 l + C4,
→ C3 = 0, C4 =61
360K l4,
→ EI w(0) = K
(
1
24x41 −
1
360
x61
l2−
5
24l2 x2
1
)
+61
360K l4.
(1.33)
Nutzt man die Symmetrie aus, lasst sich auch im”1“-System relativ einfach
die Biegelinie ermitteln. Betrachtet man nur die rechte Halfte des Systems(x1 > 0), so muss wegen des Gelenks am rechten Ende M
(1)2 (x1 = l) = 0
und w(1)(x1 = l) = 0 gelten. Durch Ausnutzung der Symmetrie erhalt manzusatzlich die Bedingungen w′(1)(x1 = 0) = 0 und Q(1)(x1 = l) = B
2. Die
Querkraft ist im rechten Bereich konstant. Also folgt der Momentenverlauf zu
M(1)2 (x1) =
B
2x1 + C5,
M(1)2 (x1 = l) = 0, → C5 = −
B
2l,
→ M(1)2 (x1) =
B
2x1 −
B
2l.
(1.34)
Einmalige Integration liefert
EI w′(1) =B
2l x1 −
B
4x21 + C6,
w′(x1 = 0) = 0, → C6 = 0,
EI w′(1) =B
2l x1 −
B
4x21.
(1.35)
Nochmalige Integration liefert die Biegelinie des”1“-Systems
EI w(1) =B
4l x2
1 −B
12x31 + C7,
w(1)(x1 = l) = 0, → C7 = −B
6l3,
→ EI w(1) =B
4l x2
1 −B
12x31 −
B
6l3.
(1.36)
Aus der Superposition der beiden Biegelinienverlaufe erhalt man nun den Ge-samtverlauf. Dieser muss die Bedingung erfullen, dass die Durchbiegung in derMitte des Balkens zu null wird. Aus dieser Zwangsbedingung lasst sich dann
26 Theorie
die Auflagerkraft B bestimmen
EI w = K
(
1
24x41 −
1
360
x61
l2−
5
24l2 x2
1 +61
360l4)
+ B(1
4l x2
1 −1
12x31 −
1
6l3)
,
w(x1 = 0) = 0 → B =61
60K l,
→ w(x1) =K l4
E I
[
124
(x1
l
)4− 1
360
(x1
l
)6− 61
720
(x1
l
)3+ 11
240EI
(x1
l
)2]
.
(1.37)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 27
1.5 Flachentragheitsmomente
1.5.1 Flachenmomente 1. Ordnung
Flachenmomente 1. Ordnung traten bereits bei der Berechnung des Schwer-punkts auf (vgl. TM I). Sie sind definiert uber das Moment einer Flachebezuglich eines Bezugspunkts O.
Fur ein vektorielles Flachenelement gilt
da = n da, (1.38)
wobei n der Normalenvektor senkrecht zum Flachenelement ist und da dieGroße des Flachenelements. Ohne Beschrankung der Allgemeinheit wahlen wirn = e1. Das Flachenelement liegt dann wie in Abb. 15 skizziert in der x2-x3-Ebene und besitzt die Große
da = dx2 × dx3 = dx2 dx3 e1. (1.39)
Oe1
e2
e3x
da
A
dx2
dx3
Abbildung 15: Infinitesimales Element einer Querschnittsflache
Das erste Moment der Flache A bezgl. O ist dann als
M1O
=∫
A
x× da (1.40)
definiert.
Der Ortsvektor x zu einem Flachenelement da innerhalb der Flache hat in demgewahlten Bezugssystem die Darstellung
x = x2 e2 + x3 e3. (1.41)
28 Theorie
Man bildet das Kreuzprodukt
x× da = x× e1 dx2 dx3 = (x3 e2 − x2 e3) da, (1.42)
so dass fur das Flachenmoment 1. Ordnung nach (1.40) gilt
M1O
=∫
A
x3 da e2 −∫
A
x2 da e3 = S2 e2 − S3 e3. (1.43)
Man bezeichnet die Großen Si als die statischen Momente der Flache A. DieIndizierung richtet sich nach dem zugehorigen Basisvektor d. h.
e2 : S2 =∫
A
x3 da,
e3 : S3 =∫
A
x2 da.(1.44)
Die Dimension der statischen Momente ist [L3].
1.5.2 Flachenmomente 2. Ordnung
Flachenmomente 2. Ordnung sind definiert als Moment der Momente 1. Ord-nung, also als
M2O
=∫
A
x× (x× da) =∫
A
x× (x× n) da. (1.45)
Nach dem Entwicklungssatz (Vektoridentitat, vgl. TM I, Anhang A) gilt
x× (x× n) = (x · n)x − (x · x)n. (1.46)
Eine weitere Umformung liefert mit der Eigenschaft des dyadischen Produktes(vgl. TM I, Anhang B)
(x · n)x = (x⊗ x) · n (1.47)
die Darstellung fur das Flachenmoment 2. Ordnung
M2O
=∫
A
[ (x⊗ x) − (x · x) I] da · n =: −J · n. (1.48)
Dabei wird der Flachentragheitstensor als
J =∫
A
[(x · x) I − (x⊗ x)] da (1.49)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 29
definiert.
Bemerkung:
Der Flachentragheitstensor wird hier mit dem Symbol J gekennzeichnet, umVerwechselungen mit dem Identitatstensor I auszuschließen. Ummit der gangi-gen Literatur konform zu bleiben werden die Koeffizienten jedoch mit Iij ge-kennzeichnet:
J = Iij ei ⊗ ej. (1.50)
Fur den betrachteten ebenen Fall gilt
x = x2 e2 + x3 e3 → x · x = x22 + x2
3, (1.51)
so dass folgt
J = Iij ei ⊗ ej =∫
A
[(x22 + x2
3) δij − xi xj] da ei ⊗ ej. (1.52)
Die Koeffizienten des Flachentragheitstensors werden als Flachentragheitsmo-mente bezeichnet, vgl. (1.11). Die Indizierung richtet sich nach den zugehorigenBasisvektoren. Die Einheit der Flachentragheitsmomente ist [L4].
Man nennt
I11 = Ip =∫
A
(x22 + x2
3)da : polares Flachentragheitsmoment,
I22 =∫
A
x23da : axiales Flachentragheitsmoment,
I33 =∫
A
x22da : axiales Flachentragheitsmoment,
I23 = I32 = −∫
A
x2 x3 da : Deviationsmoment.
(1.53)
1.5.3 Verschiebung des Bezugssystems
Als Referenzbezugssystem wird ein Basissystem gewahlt, das im Schwerpunktder betrachteten Flache liegt. Flachentragheitsmomente mit Bezug auf einBasissystem im Flachenschwerpunkt heißen
”Eigen-Tragheitsmomente“. Zur
Unterscheidung der unterschiedlichen Basissysteme wird das Basissystem imFlachenschwerpunkt mit ei bezeichnet, ein beliebig gegenuber diesem Systemverschobenes Basissystem wird mit ei gekennzeichnet, vgl. Abb. 16.
30 Theorie
Oe1
e2
e3xF
xOe2
e3x
da
Abbildung 16: Schwerpunktsystem ei und verschobenes Basissystem ei
Mit der Darstellung des Ortsvektors bzgl. des Schwerpunktsystems
x = x2 e2 + x3 e3 (1.54)
folgt aus (1.53) fur die Eigentragheitsmomente
I22 =∫
A
x23 da, I33 =
∫
A
x22 da, I23 = −
∫
A
x2 x3 da. (1.55)
Fur das parallel verschobene Bezugssystem ergibt sich der Ortsvektor zu
x = x + xF . (1.56)
Dann gilt fur den Flachentragheitstensor
J =∫
A
[(x · x) I − x⊗ x] da. (1.57)
Damit ergibt sich
J =∫
A
[(x + xF ) · (x + xF ) I − (x + xF )⊗ (x + xF )] da. (1.58)
Berucksichtigt man, dass das statische Moment im Bezug auf ein Schwerpunkt-system verschwindet,
∫
A
x da = 0, (1.59)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 31
und dass die Flache durch
A =∫
da (1.60)
gegeben ist, so findet man nach Ausmultiplikation von (1.58) fur den Flachen-tragheitstensor bzgl. des verschobenen Bezugsystems
J = J + [(xF · xF ) I − xF ⊗ xF ]A. (1.61)
Dieses Ergebnis wird als Satz von Steiner (1796–1863) bezeichnet. Fur dieKoeffizienten bezuglich der verschobenen Achsen gilt somit
Iij = Iij + [((xF2 )
2 + (xF3 )
2) δij − xiF xF
j ]A. (1.62)
Konkret ergeben sich die axialen Flachentragheitsmomente und die Deviati-onsmomente bzgl. des parallel verschobenen Koordinatensystems zu
I22 = I22 + (xF3 )
2A,
I33 = I33 + (xF2 )
2A,
I23 = I32 = I23 − xF2 xF
3 A︸ ︷︷ ︸
.
Steiner-Anteile
(1.63)
Die Flachentragheitsmomente im verschobenen Bezugsystem ergeben sich ausden Eigentragheitsmomenten bzgl. der Schwerpunktachsen und der mit demAbstand zum Quadrat gewichteten Flachen. Diese Anteile werden als Steiner-anteile bezeichnet.
Bemerkung:
Bezuglich der Schwerpunktachsen werden die Flachentragheitsmomente mini-mal, da die Steineranteile verschwinden. Bei Anwendung der Formeln (1.61)– (1.63) muss ein System ein Schwerpunktsystem sein. Findet eine Parallel-verschiebung der Achsen statt, ohne dass eines der Koordinatensysteme einSchwerpunktsystem ist, so muss der Satz von Steiner zweimal angewandt wer-den, indem das Koordinatensystem zuerst in den Flachenschwerpunkt verscho-ben wird und von da aus in Ausgangslage, Abb. 17.
Fur die Berechnung von Tragheitsmomenten zusammengesetzter Querschnitteist der Steinersche Satz hilfreich, wenn fur die Teilflachen die Eigentragheits-momente bekannt sind.
32 Theorie
O
O
O
e2
e3
e2
e3
e2
e3
xF
xF
Abbildung 17: Satz von Steiner: Zweifache Anwendung
1.5.4 Drehung des Bezugssystems
Neben einer Translation des Bezugsystems kann auch eine Rotation des Bezug-systems zugelassen werden. Die Drehung des Bezugsystems gemaß Abb. 18 hatfur die Darstellung von Tensoren einen Einfluss. Dies wurde fur einen Tensorzweiter Stufe bereits fur den Spannungstensor (TM I, Kapitel 11) diskutiert.In diesem Fall bleibt der Bezugspunkt erhalten, die Basisvektoren werden ge-dreht. O. B. d. A. wird die Drehung eines Bezugsystems im Schwerpunkt derFlache betrachtet. Liegt das Koordinatensystem nicht im Flachenschwerpunkt,so kann es unter Anwendung des Satzes von Steiner dorthin verschoben wer-den. Fur die gedrehten Basisvektoren gilt
ei = R · ei bzw. ei = R−1 · ei =: R · ei. (1.64)
Die Drehung wird dabei durch einen orthogonalen Tensor mit der Eigenschaft
RT = R−1, detR = 1 (1.65)
charakterisiert.
Betrachtet man eine Flache in der e2–e3-Ebene, so muss der orthogonale TensorR eine Rotation um die e1-Achse beschreiben. Dementsprechend gilt
R =
1 0 0
0 cosϕ − sinϕ
0 sinϕ cosϕ
ei ⊗ ej mit RT = R−1 = R. (1.66)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 33
e2 e3
O = Oe2
e3
ϕ
Abbildung 18: Um ϕ rotiertes Basissystem ei
Somit ergeben sich die folgenden Darstellungen des Flachentragheitstensors imSchwerpunktsystem ei und im gedrehten System ei
J = Iij ei ⊗ ej = Iij ei ⊗ ej. (1.67)
Mit der Transformation (1.64) folgt schließlich durch Einsetzen fur die beidenKoeffizientenschemata
Iij = Rik Ikl Rjl. (1.68)
Analog zur Transformation des Spannungstensors findet man fur die transfor-mierten Koeffizienten
I22 = I22 cos2 ϕ + I33 sin2 ϕ + 2 I23 sin ϕ cosϕ,
I33 = I22 sin2 ϕ + I33 cos2 ϕ − 2 I23 sin ϕ cosϕ,
I23 = I32 = −(I22 − I33) sinϕ cosϕ + I23 (cos2 ϕ − sin2 ϕ).
(1.69)
Unter Berucksichtigung der Additionstheoreme folgt schließlich die Darstellung
I22 = 12(I22 + I33) + 1
2(I22 − I33) cos(2ϕ) + I23 sin(2ϕ),
I33 = 12(I22 + I33) − 1
2(I22 − I33) cos(2ϕ) − I23 sin(2ϕ),
I23 = I32 = − 12(I22 − I33) sin(2ϕ) + I23 cos(2ϕ).
(1.70)
Die Haupttragheitsachsen ergeben sich aus dem Eigenwertproblem des Trag-heitstensors. Die entsprechende Diskussion wurde in TM I fur den Spannungs-tensor gefuhrt, der bzgl. der Hauptachsen Diagonalgestalt annimmt. Aus den
34 Theorie
Gleichungen (1.70) ergibt sich die Lage der Haupttragheitsachsen aus der For-derung, dass der Tragheitstensor Diagonalform annimmt,
I23!= 0 →
∗ϕ . (1.71)
Durch Einsetzen von∗ϕ in die Gleichungen (1.70)1,2 ergeben sich die Werte der
Haupttragheitsmomente.
Bemerkung:
Die Berechnung der Haupttragheitsmomente entspricht der Berechnung derHauptspannungen. Die graphische Losung des Problems geschieht mit demMohrschen Kreis, vgl. TM I, Kap. 10.
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 35
1.6 Schiefe Biegung
Bislang haben wir angenommen, dass die Belastungsebene und die Verfor-mungsebene identisch sind. In diesem Fall bezeichnet man den Biegevorgangals
”gerade Biegung“. Dies muss nicht immer der Fall sein. Man spricht dann
von”schiefer Biegung“. Fur die schiefe Biegung soll nun die Theorie fur einen
Bernoulli-Balken entwickelt werden. Wir treffen dabei die folgenden Annah-men:
• Der Balken ist gerade mit veranderlichem Querschnitt A(x1). Am ge-raden Balken sind das Zug- und das Biegeproblem entkoppelt. Wir be-trachten im Weiteren nur das Biegeproblem.
• Ebene Querschnitte bleiben auch nach der Deformation eben. Quer-schnitte, die vor der Deformation senkrecht zur Balkenachse stehen, sindnach der Deformation senkrecht zur deformierten Achse (Bernoulli-Annahmen).Diese Annahmen fuhren zu einem schubstarren Balken, d. h. aus derDeformation folgen keine Schubspannungen und dementsprechend keineQuerkrafte. Diese sind vielmehr uber eine Gleichgewichtsbetrachtung zuermitteln, vgl. Kapitel ??.
• Das Bezugssystem mit den Basisvektoren ei liegt im Schwerpunkt derQuerschnittsflache, Abb. 19.
e1
e2
e3
N1M2
M3
Q2
Q3
Abbildung 19: Belastungen der schiefen Biegung
Bei Betrachtung des reinen Biegeproblems ergibt sich die folgende Kinematik:Alle Punkte eines Querschnitts erfahren jeweils die gleiche Verschiebung in
36 Theorie
e2- und e3-Richtung. In e1-Richtung ergibt sich die Verschiebung durch dieVerdrehungen ϕ2 und ϕ3 um die e2- und e3-Achsen gemaß Abb. 20. Dabei wirdvorausgesetzt, dass die Drehwinkel klein sind, sodass sinϕi ≈ ϕi, cosϕi ≈ 1 gilt(geometrisch lineare Theorie). Eine Verschiebung des Flachenschwerpunktes ine1-Richtung findet beim reinen Biegeproblem nicht statt.
e1
e2
e3
ϕ2ϕ3
Abbildung 20: Verdrehungen des Querschnitts
Fur den Verschiebungsvektor eines Punktes x gilt dann
u = u1 e1 + u2 e2 + u3 e3
= (x3 ϕ2 − x2 ϕ3)︸ ︷︷ ︸
=:u
e1 + uA2
︸︷︷︸
=: v
e2 + uA3
︸︷︷︸
=:w
e3.(1.72)
Einen Anteil uA1 (x1) erhalt man nur in Kombination mit dem Normalkraftpro-
blem, so dass dieser Teil hier nicht berucksichtigt wird.
Damit kann die Dehnungsverteilung in der Querschnittsflache berechnet wer-den
ε11 =∂u
∂x1
= x3dϕ2
dx1
− x2dϕ3
dx1
= x3 ϕ′
2 − x2 ϕ′
3. (1.73)
Die zweite Bernoulli-Annahme liefert die Forderungen
ε13 = ε31 =1
2
(
∂u1
∂x3
+∂u3
∂x1
)
= 0, ε12 = ε21 =1
2
(
∂u1
∂x2
+∂u2
∂x1
)
= 0.
(1.74)Fur den Verschiebungszustand nach (1.72) ergibt sich daraus der Zusammen-hang
ϕ2 = −∂u3
∂x1
= −w′, ϕ3 =∂u2
∂x1
= v′ (1.75)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 37
zwischen der Drehung der Querschnittsflache und der Ableitung der Auslen-kung der Balkenachse. Aufgrund der Forderung (1.74) liefert das Stoffgesetzkeine Schubspannungen, sondern nur Normalspannungen in Balkenlangsrich-tung
σ11 = E ε11 = E (x3 ϕ′
2 − x2 ϕ′
3). (1.76)
Aus dieser Spannungsverteilung resultieren die folgenden Schnittgroßen
N1 =∫
A
σ11 da = E ϕ′
2
∫
A
x3 da − E ϕ′
3
∫
A
x2 da,
M2 =∫
A
x3 σ11 da = E ϕ′
2
∫
A
x23 da − E ϕ′
3
∫
A
x2 x3 da,
M3 = −∫
A
x2 σ11 da = E ϕ′
3
∫
A
x22 da − E ϕ′
2
∫
A
x2 x3 da.
(1.77)
Da die statischen Momente bzgl. der Schwerpunktsachsen Null sind,∫
A
x2 da =∫
A
x3 da = 0, (1.78)
verursacht die reine Biegung keine Normalkraft im Balken (Entkopplung desZug- und Biegeproblems). Die resultierenden Biegemomente konnen mit derDefinition der Tragheitsmomente
I22 =∫
A
x23 da, I33 =
∫
A
x22 da, I23 = −
∫
A
x2 x3 da (1.79)
dargestellt werden als
M2 = E I22 ϕ′
2 + E I23 ϕ′
3,
M3 = E I23 ϕ′
2 + E I33 ϕ′
3.(1.80)
Da als Bezugssystem ein Schwerpunktsystem gewahlt wurde, handelt es sichbei den Tragheitsmomenten nach (1.79) um die Eigentragheitsmomente
I22 = I22, I33 = I33, I23 = I23. (1.81)
Die Beziehungen (1.80) kann man nach ϕ′
2 und ϕ′
3 auflosen und erhalt
ϕ′
2 = −w′′ =I33 M2 − I23M3
E (I22 I33 − I223), ϕ′
3 = v′′ =I22M3 − I23M2
E (I22 I33 − I223). (1.82)
Setzt man dieses Ergebnis in den Normalspannungsverlauf (1.76) ein, so folgt
σ11 =(I33M2 − I23 M3) x3 − (I22M3 − I23 M2) x2
I22 I33 − I223. (1.83)
38 Theorie
Wie bei der geraden Biegung stellt sich auch bei schiefer Biegung eine lineareSpannungsverteilung in der Querschnittsflache ein. Falls das Bezugssystem einHaupttragheitsachsensystem darstellt, sind die Deviationsmomente Null,
I23 = 0, (1.84)
so dass in (1.83) die Kopplungen zwischen den beiden Richtungen entfallen.In diesem Fall gilt mit Bezug auf die Haupttragheitsachsen
σ11 =M2 x3
I22−
M3 x2
I33. (1.85)
Bemerkung:
Wenn neben einer Biegebeanspruchung auch eine Normalkraftbeanspruchungstattfindet, so ist in der Spannungsverteilung nach (1.83) bzw. (1.85) zusatzlichein konstanter Anteil σN
11 = N1/A zu berucksichtigen. Die neutrale Faser furein Haupttragheitssystem ist dann durch die Bedingung
σ11 = 0 → xN3 = −
N1 I22M2 A
+M3 I22M2 I33
xN2 (1.86)
festgelegt, d. h. es gibt eine Gerade in der Querschnittsflache, in der die Nor-malspannungen zu Null werden.
Die Biegelinie der schiefen Biegung ergibt sich aus der Kombination der inkre-mentellen Schnittgroßenbeziehungen (Gleichgewicht; (1.21))
M ′′
2 = − q3, M ′′
3 = q2, (1.87)
wobei die Vorzeichen aus der Wahl des Koordinatensystems resultieren, mitdem Stoffgesetz (1.82) und der Kinematik (1.75). Unter der Annahme, dass dieFlachentragheitsmomente und der Elastizitatsmodul E konstant sind, liefertzweimaliges Ableiten von (1.82) mit Einsetzen von (1.87) die Gleichungen furschiefe Biegung
w′′′′ =I33 q3 + I23 q2
E (I22 I33 − I223), v′′′′ =
I22 q2 + I23 q3E (I22 I33 − I223)
. (1.88)
Praktikumsversuch “Schiefe Biegung“ 39
2 Praktische Aufgabenstellung
Im zweiten Teil des Praktikums soll an praktischen Beispielen die im erstenTeil erarbeitete Theorie uberpruft werden. An den gegebenen Balken sollenfolgende Aufgaben durchgefhrt werden:
1. Uberprufen Sie, inwieweit die im Teil I geforderten Voraussetzungenerfullt sind bzw. wo muss eine Kraft angreifen, damit die Vorausset-zungen erfullt sind?
2. Bestimmen Sie zu jedem der gegebeen Profile
(a) den Flachenschwerpunkt
(b) die Haupttragheitsmomente
(c) die Hauptrichtungen
Dazu mussen die Profile mit den gegebenen Messgeraten vermessen wer-den.
3. Bestimmen Sie die Lage der Spannungsnulllinie!
4. Nun wird ein Balken einseitig fest eingespannt und mit einem Gewichtbelastet. Die gemessene Verformung ist mit den berechneten Werten zuvergleichen.