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www.monitor-lehrerbildung.de Eine Sonderpublikation aus dem Projekt »Monitor Lehrerbildung« Praxisbezug in der Lehrerbildung – je mehr, desto besser?!

Praxisbezug in der Lehrerbildung – je mehr, desto besser?! gibt es in den einzelnen Ländern eine Band - breite an unterschiedlichen Praxisphasen, die verschiedene Funktionen haben,

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www.monitor-lehrerbildung.de

Eine Sonderpublikation aus dem Projekt »Monitor Lehrerbildung«

Praxisbezug in der Lehrerbildung – je mehr, desto besser?!

INHALT

3 Vorwort

4 Was wissen wir über die bisherige Ausgestaltung des Praxisbezugs?

8 Welche Problembereiche gibt es?

10 Wie kann der Praxisbezug verbessert werden?

Praxisbezug in der Lehrerbildung – je mehr, desto besser?!

Im Online-Angebot www.monitor-lehrerbildung.de

finden sich detaillierte Informationen zur ersten Phase

der Lehrerbildung in Deutschland. Der Monitor Lehrer -

bildung stellt die Vielfalt des Lehramtsstudiums, also der

ersten Phase der Lehrerbildung, übersichtlich dar. Der Zugang zu den

Daten kann über neun relevante Themen, die Übersichten der landes-

weiten Regelungen oder die hochschulspezifische Ausgestaltung der

Lehramtsstudiengänge erfolgen. Insgesamt sind über 8.000 relevante

Daten und Fakten zur ersten Phase der Lehrerbildung abrufbar. Für

jedes der 16 Länder sind bis zu 40 Merkmale aufgeführt – die Länder

wurden im Sommer 2013 zum zweiten Mal befragt. Für jede der 64

Hochschulen, die im Sommer 2012 an der Befragung teilgenommen

haben, findet sich eine Zusammenstellung von bis zu 49 Merkmalen.

Um ausgewählte Themen noch näher zu beleuchten, Ergebnisse ein -

zuordnen und evidenz basierte Handlungsempfehlungen zu geben,

werden neben dem Online-Angebot auch Sonderpublikationen ver -

öffent licht. In diesen Broschüren werden Daten aus dem Monitor Leh-

rerbildung mit den Ergebnissen qualitativer Er hebungen zusammen -

gebracht und Handlungsoptionen abgeleitet. Im März 2013 erschien

bereits die Broschüre »Mobilität in der Lehrerbildung – gewollt und

nicht gekonnt?!« (online verfügbar auf der Website des Monitors

Lehrerbildung www.monitor-lehrerbildung.de/web/schwerpunkt/

mobilitaet/index.html).

»Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir« – für

angehende Lehrerinnen und Lehrer gilt dieses abgewandelte

Seneca-Zitat nicht ganz: Ihre Ausbildung sollte sich auch auf

die Schule als späteres Berufsfeld ausrichten, denn diese wird

weiter bzw. wieder einen großen Teil ihres Lebens ausmachen.

Doch das Schreckensbild von überforderten, nicht auf eine

Tätigkeit in der Schule vorbereiteten Junglehrerinnen und

Jung lehrern, die im Referendariat vor einer Schulklasse stehen

und den so genannten »Praxisschock« erleben, geistert seit

Jahrzehnten durch die öffentliche Diskussion.

Um genau das zu verhindern, sollten Lehramtsstudierende bereits

im Studium Praxiserfahrungen sammeln können. Dies schafft die

Möglichkeit zur Reflexion der eigenen Rolle und verknüpft Theorie

und deren Umsetzung. Gerade die so genannten schulpraktischen

Studien, die von Veranstaltungen an der Hochschule begleitet werden,

ermöglichen den Studierenden, ihre Eignung für den gewählten

Beruf zu prüfen, das an der Hochschule Gelernte anzuwenden und

zu erproben – und nicht zuletzt erste Kontakte für den Berufsstart

zu knüpfen. Trotz des Aufwands, den die Betreuung der Studieren-

den bedeutet, kommen solche Praxisphasen in erheblichem Maße

auch den Hochschulen und Schulen zu Gute. Wenn neue Theorien

und Methoden im Alltag erprobt werden, bedeutet das für die Hoch-

schulen eine wichtige Gelegenheit zur Reflexion ihrer Forschungs-

ergebnisse und vermittelten Methoden, für die Schulen neben der

personellen Unterstützung auch die Anreicherung durch neue päda-

gogisch-didaktische Ansätze. Davon und von gut ausgebildeten

Junglehrerinnen und Junglehrern profitieren wiederum die Schüler -

innen und Schüler – und am Ende die ganze Gesellschaft.

Der adäquate Praxisbezug ist einer der Dreh- und Angelpunkte für

eine gute Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Die Akteure

der Lehrerbildung haben seit Jahrzehnten viele Konzepte entwickelt

und getestet. Dazu zählen z. B. Praktika bereits vor Studienbeginn,

Simulationen von Unterrichtssequenzen, außerschulische Praktika,

Begleitveranstaltungen zu Praktika oder der Austausch mit Personen

aus der schulischen Praxis. Trotzdem bewerten Studierende der

Lehramtsstudiengänge bei Befragungen den Theorie-Praxis-Bezug

schlechter als Studierende anderer Fächergruppen1. Das Thema des

Praxis- oder so genannten Berufsfeldbezugs muss also differenzierter

betrachtet werden. Ein einfaches »je mehr Praktika, desto besser«

scheint so nicht aufzugehen.

Die vorliegende Broschüre vermittelt einen Überblick darüber, welche

Maßnahmen es gibt, um eine gute Praxisvorbereitung zu erreichen.

Sie gibt außerdem Antworten auf die Frage, welche Probleme und

Erfolgsfaktoren identifiziert werden können. Dafür werden nicht

nur die Praxisphasen, sondern auch weitere Elemente der Theorie-

Praxis-Verzahnung in den Blick genommen.

Bei all dem geht es nicht um eine unterschiedliche Wertigkeit von

Theorie oder Praxis, sondern im Kern um deren adäquate Verknüp-

fung. Nur wenn Theorie und Praxis systematisch miteinander ver-

netzt sind, können die Lehrerinnen und Lehrer von morgen bereits

heute auf die Herausforderungen im Schulalltag vorbereitet werden.

Dr. Jörg DrägerMitglied des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung

Dr. Volker Meyer-GuckelStellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes

für die Deutsche Wissenschaft

Dr. Ekkehard WinterGeschäftsführer der Deutschen Telekom Stiftung

Prof. Dr. Frank ZiegeleGeschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung

Vorwort

3

1 Siehe z. B. Rebenstorf/Bülow-Schramm (2013): Was fördert den Studienerfolg?

In: Hessler/Oechsle/Scharlau (Hrsg.): Studium und Beruf: 102.

Mit dem sogenannten »Quedlinburger Beschluss« legte die

Kultusministerkonferenz (KMK) 2005 u. a. fest, dass schul -

praktische Studien bereits während des Bachelor-Studiums

erbracht werden müssen und ihr Anteil deutlich zu erhöhen ist2.

Kon kre tisiert wurde dies 2007: »Als Voraussetzung für die

Aufnahme in den Schuldienst gilt eine mindestens anderthalb-

jährige schulpraktische Ausbildung, davon mindestens ein Jahr

als Vorbereitungsdienst«3. Die Länder haben des Weiteren

gemeinsame Standards für die Lehrerbildung erarbeitet und

in den Empfehlungen zur Eignungs abklä rung in der ersten

Phase der Lehrerbildung Instrumente aufgeführt, mit denen

Studierende Rückmeldungen über ihre Kompetenzentwicklung

erhalten können4. Dennoch gibt es in den Ländern verschiedene

Ansätze, welche Maßnahmen landesweit vorgeschrieben und

welche Entscheidungen den Hochschulen überlassen werden.

Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über diese unter -

schied lichen Wege. Da der Monitor Lehrerbildung Strukturen

und Prozesse abbildet, ist der durch Praxisbezüge erzielte indi-

viduelle Kompetenzzuwachs der Studierenden nicht ausdrück -

licher Bestandteil dieses Kapitels. Die nachfolgenden Abschnitte

berücksichtigen diese Ebene jedoch, basierend auf Erkennt -

nissen aus Forschungsliteratur und qualitativen Expertinnen-

und Experteninterviews.

Welche Länder sehen Praxisphasen und Praxissemester ver-

pflichtend im Curriculum vor?

Praxisphasen sind eine Möglichkeit, um den gewünschten Praxisbe-

zug herzustellen. Dabei gibt es in den einzelnen Ländern eine Band-

breite an unterschiedlichen Praxisphasen, die verschiedene Funktionen

haben, insbesondere

n Eignungspraktika, die teilweise bereits vor Studienbeginn absolviert

werden,

n Praktika und Praxissemester, die der Orientierung gelten, Einblicke

in das schulische Handlungsfeld ermöglichen und Gelegenheit zum

ersten Sich-Erproben geben oder

n Praktika, die im außerschulischen Bereich stattfinden.

Eine besonders in der Diskussion stehende Form ist das Praxissemester,

das unterschiedliche Ausprägungen und Zielsetzungen haben kann.

Gemein ist den einzelnen Konzepten in den Ländern, dass es sich bei

dem Praxissemester um eine längere, mehrmonatige Praxisphase im

Berufsfeld Schule handelt.

Landesweite Regelungen zu Praxisphasen und -semestern

Bis auf Schleswig-Holstein sehen alle Länder laut Selbstauskunft

im Sommer 2013 landesweite Vorgaben für die Einrichtung von

Praxisphasen vor.

4

n In zehn Ländern gibt es landesweit vorgeschriebene Praxis-

phasen in der ersten Phase der Lehrerbildung, dem Lehramts-

studium, aber keine Praxissemester.

n Fünf Länder geben ihren Hochschulen explizit vor, neben

den Praxisphasen auch ein Praxissemester in das Curricu-

lum des Lehramtsstudiums zu integrieren. In Sachsen-

Anhalt enthalten die Masterstudiengänge für allgemein

bildende Lehrämter an der Otto-von-Guericke Universität

Magdeburg ein Schulpraxissemester. In Bremen soll ab

2014/2015 ein Praxissemester eingeführt werden und in

Hessen ist vorgesehen, im Rahmen eines Pilotprojekts

probe weise an drei Hochschulen ein Praxissemester zu

etablieren.

n In einem Land gibt es keine landesweiten Vorgaben.

Was wissen wir über die bisherige Ausgestaltung des

2 Kultusministerkonferenz (2005): Eckpunkte für die gegenseitige Anerkennung von

Bachelor- und Masterabschlüssen in Studiengängen, mit denen die Bildungsvoraus -

setzungen für ein Lehramt vermittelt werden: http://bit.ly/1gI1Jzv. 3 Kultusministerkonferenz (2007): Lösung von Anwendungsproblemen beim Quedlin -

burger Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 2.6.2005: http://bit.ly/18fNHnD.4 Kultusministerkonferenz (2013): Empfehlungen zur Eignungsabklärung in der ersten

Phase der Lehrerausbildung: http://bit.ly/18WSSpr. 5 Keuffer (2010): Reform der Lehrerbildung und kein Ende? Eine Standortbestim-

mung. In: Erziehungswissenschaft: 51.

Wie viele Praxisphasen sollen – nach Maßgabe der jeweiligen

Länder – in das Curriculum integriert werden?

Die Länder machen hinsichtlich der Praxisphasen sehr heterogene

Vorgaben (etwa Zahl von Stunden, Wochen oder Leistungspunkten),

sodass ein Vergleich kaum valide möglich ist. Und auch auf der Ebene

der einzelnen Hochschulen findet sich eine große Bandbreite an

Konzepten, wann welche Art von Praxisphase angesetzt wird. Eine

große Varianz ist zwischen den Ländern und sogar innerhalb eines

Landes in Bezug auf die Dauer, den Zeitpunkt und die Funktion er-

kennbar, die der jeweiligen Praxisphase mutmaßlich zugesprochen

werden. So wie sich die gesamte Lehrerbildung als ein »Flickentep-

pich«5 in Bezug auf Studienstrukturen und angebotene Lehramts -

typen darstellt, so sind die Flicken der Praxisphasen ebenfalls bunt

zusammengewebt.

Wann soll das Praxissemester entsprechend der landesweiten

Vorgaben stattfinden und wie lange muss es dauern?

Es gibt nicht das EINE Praxissemester. Betrachtet man die landes -

weiten Vorgaben für Zeitpunkt und Dauer, so wird klar: Zwischen den

fünf Ländern, die Praxissemester eingeführt haben und innerhalb

eines Landes zwischen den verschiedenen Lehramtstypen ist die vor-

geschriebene Ausgestaltung sehr heterogen:

n In Baden-Württemberg variieren der Zeitpunkt je nach Lehramtstyp

und Studienstruktur (grundständige Studienstruktur: in den Lehr-

amtstypen 1 und 3 im 4. bis 6. Semester und in den Lehramtstypen

4 bis 6 im 3. bis 7. Semester; Masterstudiengang für den Lehramts-

typ 5: 1. bis 4. Semester). Auch die Dauer unterscheidet sich (grund-

ständige Studienstruktur: zehn bis 14 Wochen; Masterstudiengang

für den Lehramtstyp 5: acht Wochen).

n In Brandenburg findet das Praxissemester im 2. bzw. 3. Semester

des Masterstudiengangs statt und dauert 14 Wochen an der Prak-

tikumsschule.

n In Hamburg ist es im 2. und 3. Semester angesetzt und umfasst

dagegen 65 Tage an der Praktikumsschule.

n Nordrhein-Westfalen gibt Vorgaben bezüglich des Zeitpunktes

(2. oder 3. Semester des Masterstudiengangs) an und schreibt

25 zu absolvierende Leistungspunkte vor.

n Sachsen-Anhalt schreibt dagegen nur den Umfang in Leistungs-

punkten vor (30 Leistungspunkte).

Übersicht Lehramtstypen

Durch die föderale Struktur in Deutschland gibt es in den 16 Ländern

unterschiedliche Schulformen. Um an einer bestimmten Schulform

unterrichten zu können, müssen Studierende einen entsprechenden

Studiengang des entsprechenden Lehramtstyps (und einen Vorbe -

reitungsdienst mit Abschlussprüfung) erfolgreich absolvieren. Die

Kultus ministerkonferenz (KMK) hat sich auf die Festlegung der fol-

genden Lehrämter verständigt:

Lehramtstyp 1

Lehrämter der Grundschule bzw. Primarstufe

Lehramtstyp 2

Übergreifende Lehrämter der Primarstufe und aller

oder einzelner Schularten der Sekundarstufe I

Lehramtstyp 3

Lehrämter für alle oder einzelne Schularten der Sekundarstufe I

Lehramtstyp 4

Lehrämter der Sekundarstufe II (allgemeinbildende Fächer) oder

für das Gymnasium

Lehramtstyp 5

Lehrämter der Sekundarstufe II (berufliche Fächer) oder für die

beruflichen Schulen

Lehramtstyp 6

Sonderpädagogische Lehrämter

5

Praxisbezugs?

Ist in den Ländern mit Praxissemestern die Dauer des

Referendariats kürzer als in Ländern ohne Praxissemester?

Eine häufig diskutierte Annahme ist, dass mit der Einführung eines

Praxissemesters eine Verkürzung des Referendariats (auch Vorberei-

tungsdienst genannt) einhergeht und somit die Praxiselemente nicht

ausgeweitet, sondern eher verlagert werden. Betrachtet man jedoch

die Dauer der Vorbereitungsdienste aller Länder, lässt sich zum gegen -

wärtigen Zeitpunkt kein eindeutiges Muster erkennen, dass die Länder

mit Praxissemester durchweg ein kürzeres Referendariat als die Länder

ohne Praxissemester vorsehen. So beträgt die Dauer des Vorbereitungs-

dienstes z. B. in Berlin, wo es kein Praxissemester gibt, 12 Monate –

in Hamburg, wo ein Praxissemester initiiert wurde, dauert das Refe-

rendariat 18 Monate. Es zeigt sich jedoch, dass in allen Ländern, die

ein Praxissemester eingeführt haben, in den letzten Jahren die Dauer

des Vorbereitungsdienstes reduziert wurde, wenn auch nicht immer

in allen angebotenen Lehramtstypen.

Welche Institutionen sind für Praxisphasen und Praxissemester

verantwortlich?

Um eine Verzahnung der Phasen zu unterstützen, ist es aufschlussreich,

zu betrachten, ob Länder vorgeben, welche Akteure für die jeweiligen

Praxisphasen zuständig sind. Zu dieser Frage machten 13 Länder

Angaben: In elf Ländern sind die Hochschulen für die Praxisphasen

verantwortlich. In Rheinland-Pfalz liegt die Verantwortung dagegen

bei den Studienseminaren. In Baden-Württemberg sind je nach Lehr-

amtstyp die Hochschulen oder die Studienseminare zuständig.

Um zu überprüfen, ob hinter dem Praxissemester andere Akteure

stehen als bei den übrigen Praxisphasen und somit ein erhöhter

Koor di nationsaufwand entsteht, wurde explizit nach der Verant-

wortlichkeit für das Praxissemester gefragt. In fünf Ländern wurden

Praxis semester etabliert, nicht alle machten Angaben zu der Ver -

antwortung. In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen ist die Zu -

ständigkeit für das Praxissemester auf die Hochschulen übertragen

worden, in Baden-Würt tem berg und Hamburg dagegen sowohl

an die Hochschulen als auch an die Studienseminare.

Insgesamt erweist sich damit die klare Zuordnung der Zuständig -

keiten als der Regelfall, gemeinsame Verantwortung existiert kaum.

Gibt es Begleitveranstaltungen zu den Praxisphasen?

Damit die Erfahrungen, die die Studierenden in den Praxisphasen

machen, bestmöglich reflektiert und mit den theoretischen Inhalten

der Ausbildung verknüpft werden, sind begleitende Veranstaltungen

vorgesehen, die die Praktika vor- und/oder nachbereiten. In der Ab-

frage für den Monitor Lehrerbildung wurden die Länder für jeden

angebotenen Lehramtstyp und jede Praxisphase gefragt, ob Vorberei-

tungs-, Begleit- und/oder Auswertungsveranstaltungen im Curriculum

verpflichtend vorgesehen sind. Insgesamt gab es 166 gültige Ant -

worten zu den landesweiten Regelungen: Bei 63% der angegebenen

Praxisphasen gibt es Begleitveranstaltungen an der jeweiligen Hoch-

schule, bei 3% in dem jeweiligen Studienseminar und bei 16% der

angegebenen Praxisphasen gibt es Veranstaltungen an Hochschulen

und in Studienseminaren. In 17% der gemeldeten Praxisphasen gab

es keine landesweit vorgeschriebenen begleitenden Veranstaltungen.

Es ist jedoch zu beachten, dass diese Fragen nicht für alle vorgeschrie-

benen Praxisphasen beantwortet wurden und dass Hochschulen selber

solche Veranstaltungen realisieren können, auch wenn sie nicht landes-

weit vorgegeben sind.

6

6 Kultusministerkonferenz (2013): Empfehlungen zur Eignungsabklärung in der ersten Phase der Lehrerausbildung: http://bit.ly/18WSSpr.

Was wissen wir über die bisherige Ausgestaltung des

Gibt es landesweite Vorgaben, dass Lehramtsstudierende ein

Portfolio oder ein anderes, vergleichbares Instrument zur Re-

flexion, Weiterentwicklung und Dokumentation des eigenen

Kompetenzerwerbs führen müssen?

Das Portfolio ist ein Instrument, das die Studierenden durch ihr Stu-

dium begleitet, in welchem sie ihre Lern- und Selbstreflexionsprozesse

über mehrere Praxisphasen hinweg festhalten. Es kann (mit Zustim-

mung der Studierenden) Grundlage von Beratungsgesprächen sein6.

Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gaben an, dass die Nutzung

eines Portfolios landesweit vorgesehen ist.

Sind außerschulische Praktika für Lehramtsstudierende

verpflichtend?

Praktika, die in außerschulischen Berufsfeldern stattfinden, können

eine weiterführende Maßnahme zum Praxisbezug sein. Sie erweitern

den Horizont der Studierenden über das primäre Berufsziel hinaus. So

sehr sich ansonsten die Ausbildung für die einzelnen Lehramtstypen

innerhalb der Länder unterscheiden mag: In Bezug auf die Frage, ob

ein außerschulisches Praktikum verpflichtend vorgesehen sein soll,

behandeln fast alle Länder alle Lehramtstypen innerhalb dieses Landes

gleich. Teilweise gibt es bei gestuften Studienstrukturen Diversifizie-

rungen, so können z. B. nur in den Bachelor- oder Masterstudiengän-

gen eines Lehramtstyps außerschulische Praktika eingeplant sein.

7

Landesweite Regelungen

zu außerschulischen Praktika

n In neun Ländern sind außerschulische

Praktika für Lehramtsstudierende aller

Lehramtstypen verpflichtend.

n Zwei Länder (Sachsen und Schleswig-

Holstein) haben eine Lösung gefunden,

bei der in manchen der angebotenen Lehramtstypen

außerschulische Praktika Bestandteil des Curriculums

sein müssen – und bei manchen nicht.

n In fünf Ländern sind außerschulische Praktika

für keinen Lehramtsstudierenden verpflichtend.

Praxisbezugs?

! ß

In einer Studie gab 2012 die Hälfte der befragten Lehrerinnen

und Lehrer an, durch ihr Studium unzureichend auf ihren Beruf

vorbereitet gewesen zu sein. 20 % berichten von einem »Praxis-

schock«, den sie erlebt hätten, als sie in den Schulen ankamen.7

Die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen zum Praxisbezug

wird in der (Fach)Öffentlichkeit diskutiert und es wird eine Viel-

zahl von Schwachstellen im Bereich des angemessenen Praxis -

bezugs genannt.

Die Mehrphasigkeit der Lehrerbildung birgt Probleme der Kohärenz und Abstimmung.

Es verlassen keine »fertigen« Lehrerinnen und Lehrer die Hochschulen –

sie müssen sich in der zweiten und dritten Phase der Lehrerbildung

(Vorbereitungsdienst und Fort-/Weiterbildung) weiter entwickeln,

um die erforderlichen Kompetenzen zu erhalten und auszubauen.

Jede einzelne Phase hat für die Vermittlung des Handwerkszeugs der

angehenden Lehrerinnen und Lehrer spezifische Ziele und Funktionen.

Diese ergeben aber derzeit vielfach noch keine Lehrerbildung »aus

einem Guss«, da die Verknüpfung fehlt und bisher noch zu wenig

Kohärenz zwischen den drei Phasen existiert. Wie bereits gezeigt

wurde, ist es eine Ausnahme, wenn Hochschulen und Studiensemi-

nare zusammen für Praxisphasen verantwortlich sind.

»Ein phasenübergreifendes Curriculum und eine verbindliche, struk -

turell abgesicherte Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Stu-

dienseminaren und ihre gemeinsame Verantwortung für die gesamte

Lehrerausbildung sind unverzichtbare Voraussetzungen dafür, dass an-

gehende Lehrerinnen und Lehrer ihre Ausbildung als kohärent und

sinnvoll erfahren. Anderenfalls bleibt die Theorie-Praxis-Verzahnung

punktuell und beliebig.«

Bettina Jorzik, Programmleiterin Lehre und Akademischer

Nachwuchs, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Der Praxisbezug wird teilweise noch zu eng aufgefasst.

Der Begriff des Praxisbezugs geht entgegen mancher öffentlichen

Diskussion über die Initiierung von Praktika hinaus. Praxisbezug kann

neben Erfahrungen in der Schule auch innerhalb der Hochschule

stattfinden: sei es mit Hilfe von Simulationen oder Beobachtungen

von Unterrichtssituationen in Seminaren oder durch ein Curriculum,

welches versucht, die Diskurse der einzelnen Bestandteile des Lehr-

amtsstudiums (Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungs -

wissenschaften) in Einklang zu bringen und auf die Anwendung in

der Realität zu fokussieren. Maßnahmen oder Instrumente wie Port-

folios, Eignungspraktika oder Rollenspiele etc. werden laut Expertinnen

und Experten noch eher zu selten eingesetzt, auch wenn ihre Verwen-

dung u. a. in den Standards bzw. Empfehlungen der Kultusminister-

konferenz (KMK) enthalten sind. Die Hochschulen gaben in der

Befragung des Monitors Lehrerbildung an, ob es über Praxisphasen

hinausgehende Maßnahmen für eine Theorie-Praxis-Verzahnung gibt.

Hier gibt es eine Streuung zwischen den Lehramtstypen: Von den

Hochschulen, die auf die Frage antworteten, gibt es in 60% der

Studiengänge des Lehramtstyps 6 (sonderpädagogische Lehrämter)

entsprechende Maßnahmen. Im Lehramtstyp 3 (Lehrämter für alle

oder einzelne Schularten der Sekundarstufe I) sind es dagegen knapp

80%.

»Praktika bleiben oft Momentaufnahmen, die von situativen Bedingun-

gen geprägt sind und längerfristige Professionalisierungsprozesse nicht

vorantreiben. Häufig fehlen übergeordnete Konzepte.«

Dr. Clemens M. Schlegel, Leiter des Praktikumsamtes,

Ludwig-Maximilians-Universität München

»Es geht nicht nur um die Praxisphase, sondern darum, dass natürlich

auch universitäre Lehre Handlungsorientierung und Praxisorientierung

enthalten kann.«

Dr. Annegret Helen Hilligus, Geschäftsführerin des Zentrums für

Bildungsforschung und Lehrerbildung (PLAZ), Universität Paderborn

Welche Problembereiche gibt es?

8

7 Vodafone Stiftung (2012): Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik. Eine Studie zumPrestige des Lehrerberufs und zur Situation an den Schulen in Deutschland: 25.

§ $Der Lehrerbildung und insbesondere der Relevanzdes Praxisbezugs werden in Politik und in Hoch-schulen noch zu wenig Bedeutung beigemessen.

Eine wichtige Voraussetzung für angemessene, elaborierte Praxis -

bezug-Konzepte ist, dass die Lehrerbildung insgesamt eine ihrer

Bedeutung angemessene, relevante Stellung erhält. Für die Lehrer -

bildung sind auf Länderebene Wissenschafts- und Kultusministerien

zuständig; beide Akteure müssen ihr hohe Priorität zumessen und

eine dementsprechende (finanzielle) Ausstattung sicherstellen. Auch

die Hochschulen und beteiligten Schulen müssen alles in ihrer Macht

stehende unternehmen, damit der Lehrerbildung tatsächlich die

notwendige Bedeutung zukommt. Noch immer scheint es dahin -

gehend Defizite zu geben.

Eine immer noch stark dominierende Profilierung des Hochschul -

betriebs auf Forschung steht einer Wertschätzung des Praxis bezugs

und einem stärkeren Engagement der Lehrenden für Praxisphasen im

Weg. »Eine stärkere Verankerung von Praxisphasen im Studiengang

bringt dem/der Hochschullehrer/in und seinem/ihrem Bereich kaum

Gewinn«8.

»Wenn die Lehrerbildung nicht das Kerngeschäft der Universität ist,

dann ist es z. B. schwierig, für die Betreuung von Praktika Mitarbei -

terinnen und Mitarbeiter einzustellen. Positive Ausnahme sind natürlich

die Pädagogischen Hochschulen.«

Dr. Clemens M. Schlegel, Leiter des Praktikumsamtes,

Ludwig-Maximilians-Universität München

Welcher Praxisbezug am besten wirkt,ist nicht erforscht.

Es gibt bisher zu wenige Erkenntnisse darüber, welche Maßnahmen des

Praxisbezugs die höchste Wahrscheinlichkeit haben, den gewünschten

Kompetenzerwerb zu befördern (und selbst die gewünschten Kompe-

tenzen, etwa in den Standards und inhaltlichen Anforderungen der

KMK formuliert, sind einem gewissen Wandel unterlegen). Auch wenn

es selbstverständlich sein sollte, dass Studienangebote in der Lehrer -

bildung (und somit auch Maßnahmen zum Praxisbezug) durch ent-

sprechende Forschungsaktivitäten untermauert werden, gibt es in der

Forschungsliteratur die Feststellung eines Desiderats9. Es wird von

einem »Mythos Praktikum«10 gesprochen, nach dem die Wirksamkeit

von Praxisphasen schlichtweg angenommen, aber nicht empirisch

überprüft wird.

»Es gibt Unklarheit und Streit über die Frage, was eine gute Lehrerin

und einen guten Lehrer und was eine gute Lehrerbildung ausmacht,

und zwar zwischen fachwissenschaftlichen Vertretern und Erziehungs-

wissenschaftlern. Die Anerkennung eines gemeinsamen, evidenz -

basierten Lehrerleitbildes wäre eine wichtige Voraussetzung für Ver-

besse rungen in der Lehrerbildung.«

Prof. Dr. Wilfried Schubarth, Professor für Erziehungs- und

Sozialisationstheorie, Universität Potsdam

9

8 Schubarth et al. (2011): Evidenzbasierte Professionalisierung der Praxisphasen inaußeruniversitären Lernorten: Erste Ergebnisse des Forschungsprojektes ProPrax.In: Schubarth/Speck/Seidel (Hrsg.): Nach Bologna: Praktika im Studium – Pflichtoder Kür: 84.

9 Siehe u. a.Offenberg/Walke (2013): Die Reform der Praxisphasen in der Ersten Phase der Lehrerbildung. Eine qualitative Dokumentenanalyse.

10 Hascher (2011): Vom „Mythos Praktikum“ ... und der Gefahr verpasster Lerngelegenheiten. In: Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung: 8-16.

1Nicht allein die Quantität, auch die Qualität des Praxisbezugs ist entscheidend!

Übersichten, die die zeitliche Entwicklung von Maßnahmen für den

Praxisbezug aufzeigen, attestieren eine Ausweitung der Praxisphasen

in den letzten Jahren11. Es gibt mehr Praxisbezug als in früheren Zei-

ten – aber ist damit auch ein besserer Kompetenzerwerb gewähr -

leistet? Ein gewisser quantitativer Umfang ist dafür eine notwendige,

aber keine hinreichende Bedingung. Praxiselemente müssen mit der

Lehre verbunden werden, damit sie einen entsprechenden Einfluss

auf den individuellen berufsbiografischen Kompetenzerwerb haben

können. Die Praxisphasen und die anderen curricularen Bestandteile

des Praxisbezugs sollten daher ausbalanciert und zueinander sowie

mit den übrigen Studieninhalten in Verbindung gesetzt werden –

über die unterschiedlichen Phasen der Lehrerbildung und über die

Fächer hinweg! Darüber hinaus gilt: Die Theorie-Praxis-Integration in

der Lehrerbildung kann nicht allein durch eine Umstellung der Lehrer-

bildungsstrukturen und einen verstärkten Einbezug von Praktika

garantiert werden, sondern bedarf einer deutlich veränderten Hoch-

schuldidaktik in der Lehrerbildung12, um eine quali tative Verbesserung

des Praxisbezugs zu erreichen.

Die bestehenden Maßnahmen sollten auf ihre Tauglichkeit hin über-

prüft und gegebenenfalls durch weitere Begleitveranstaltungen

oder ein Instrument wie dem Portfolio so gestaltet werden, dass die

Theorie-Praxis-Verzahnung und die Anleitung zur Selbstreflexion

einen roten Faden besitzen13.

»Reine Ausweitung von Praxis kann negative Folgen haben: Viel von

etwas Schlechtem ist schlechter als wenig von etwas Schlechtem. Ein

schlechtes – d. h. wenig betreutes und reflektiertes – Praktikum aus-

zuweiten, macht die Sache noch schlechter.«

Dr. Clemens M. Schlegel, Leiter des Praktikumsamtes,

Ludwig-Maximilians-Universität München

»Nicht je mehr Praxisbezug desto besser, sondern die Qualität der Lern-

gelegenheit ist entscheidend. Da können kurze Praktika genauso gut

sein wie ein Praxissemester.«

Prof. Dr. Wilfried Schubarth, Professor für Erziehungs- und

Sozialisationstheorie, Universität Potsdam

Wie kann der Praxisbezug verbessert werden?

10

11 Siehe u. a. Weyland (2012): Expertise zu den Praxisphasen in der Lehrerbildung in den Bundesländern. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung.

12 Siehe u. a. Moegling (2013): Theorie-Praxis-Integration im Referendariat als Modell für die Lehrerbildung? In: Bosse/Moegling/Reitinger (Hrsg.): Reform derLehrerbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Band 2: 109-122.

13 Siehe u. a. Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulpraktische Studien (BaSS) zu Langzeitpraktika: http://bit.ly/1eYryzR.

Alle Akteure müssen an einem Strang ziehen!

Es bedarf einer konstruktiven Abstimmung zwischen allen relevanten

Akteuren, um eine Reflexion der in den jeweiligen Praxiselementen

vermittelten Kompetenzen zu erreichen. Gleiches gilt für eine bewusst

gestaltete Kombination von Praxiselementen über alle Phasen hin-

weg, die insgesamt abgestimmte Bausteine zu dem Gesamtrepertoire

an Kompetenzen liefern sollten. Institutionalisierte Maßnahmen zur

Verzahnung der Phasen sollten initiiert werden, da sie Erwartungen,

Rollen und Zuständigkeiten klären. Ein Austausch zwischen den rele -

vanten Akteuren ist vielversprechend, da nur so unterschiedliche

Systemlogiken, Ziele und Erwartungen transparent, verständlich und für

das gemeinsame Ziel nutzbar werden. So wird in Nordrhein-Westfalen

das Praxissemester zwar von den Hochschulen verantwortet, es ist

aber in Kooperation mit den Schulen sowie den Zentren für schul-

praktische Lehrerausbildung, wie Studienseminare in NRW heißen

und an denen die angehenden Lehrkräfte im Referendariat bzw. Vor-

bereitungsdienst ausgebildet werden, durchzuführen14. Ein solches

»Kooperationsgebot« kann ein Weg sein, damit alle Akteure ein ge-

meinsames Praxisbezug-Konzept erstellen.

Praxisbeispiel

Das Verbundprojekt OLAW (Oldenburg, Leer, Aurich, Wilhelms-

haven) hat das Ziel, die bisher weitgehend getrennt agierenden

Phasen der Lehrerausbildung an der Universität und an den

Studienseminaren besser zu verbinden. Hierzu bieten Lehrende

der Universität und Ausbildende der Studienseminare gemein-

same Veranstaltungen für Lehramtsstudierende und Lehrkräfte

im Vorbereitungsdienst in den Fächern Biologie, Chemie, Mathe-

matik und Physik zu curricular abgestimmten Themen an.

http://bit.ly/1elWUzW

»Man hat hier in Oldenburg 1972 einen ›Gesprächskreis Schule –

Universität‹ eingerichtet, der seitdem regelmäßig tagt. Es ist wichtig,

solche Gesprächskreise zu initiieren, weil sonst das Vorhaben, Lehrer-

ausbildung phasenübergreifend zu planen, nicht funktioniert. Dafür

sind die Praktika ein Beispiel: Wenn Sie Praktika gut betreut haben

wollen, dann brauchen Sie Schulen, die diese Praktikantinnen und

Praktikanten gut aufnehmen. Das generieren Sie nur, wenn Sie in

Gesprächen über Inhalte und Organisationsformen sprechen und den

Bedarf abklären.«

Dr. Jens Winkel, Geschäftsführer des Didaktischen Zentrums (diz),

Universität Oldenburg

»Wir stehen immer wieder vor der Herausforderung, unser fünf mona -

tiges Praktikum in die Semester und auch in die verschieden langen

Schul halbjahre einzutakten. Manchmal sind die Sommerhalbjahre

kürzer, manchmal länger. Das sind Dinge, die wir von Semester zu

Semester neu austarieren, damit unser Praxissemester über fünf

Monate gelingt.«

PD Dr. Karin Kleinespel, Wissenschaftliche Geschäftsführerin am

Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung, Uni Jena

2

11

14 Gesetz über die Ausbildung für Lehrämter an öffentlichen Schulen (Lehrer-ausbildungsgesetz – LABG) vom 12. Mai 2009: http://bit.ly/16uj9uy.

3Tradierte Strukturen müssen hinterfragt und ggf. verändert werden, wenn Erfolgsmodelle identifiziert und umgesetzt werden können!

Auch wenn die vielfältige Struktur der Lehrerbildung in Deutschland

teilweise schon lange besteht, sollte konstruktiv überprüft werden,

ob es Alternativen zu den bestehenden Modellen mit mehr Vorteilen

geben könnte. Wäre es vielleicht zielführender, zuerst das Studium

eines Fachbachelors und darauf ein auf den jeweiligen Lehramtstypen

spezialisiertes Masterstudium aufzunehmen? Oder in das Masterstu-

dium ein frühes Intensivpraktikum oder sogar den Vorbereitungs-

dienst zu integrieren? Oder lohnt sich die Wiederbelebung der ein -

phasigen Lehrerausbildung, bei der sich Phasen von Theorie und

Praxis regelmäßig abwechseln? Hätten die Studierenden durch die

Aufgaben und Fragen, die im Intensivpraktikum/Referendariat anfallen,

und den gleichzeitigen, daran anknüpfenden Veranstaltungen an den

Hochschulen eventuell ein ideales Lern- und Reflexionsumfeld, um

theoretisches Wissen anzuwenden, zu hinterfragen und für sich nutz-

bar zu machen?

Praxisbeispiel

Das einjährige Intensivpraktikum an der LMU München ist ein Bei-

spiel für eine sehr frühe Integration eines Praktikums mit langer

Dauer (es kann in den grundständigen Studiengängen schon ab

dem 3./4. Semester durchgeführt werden). Das Intensivpraktikum

ist eine angebotene Wahlalternative zu den herkömmlichen Prak-

tika und fasst kürzere Praktika zusammen. Ziel des Praktikums ist

es, Studierenden früher als bisher einen umfassenderen und rea-

listischeren Einblick in die Schule als Institution, Organisation und

Arbeitsplatz zu gewährleisten sowie sie auf die Anforderungen

des Referendariats vorzubereiten.

http://bit.ly/15Z2QES

»Landesweite Regelungen zu Strukturen des Praxisbezugs sind hetero-

gen – in manchen Ländern sind für Praxisphasen explizit Zeitpunkte

festlegt, in anderen nur Leistungspunkte oder Dauer der Praktika in

Wochen. Die Länder sollten weniger Augenmerk auf die strukturelle

Detailsteuerung legen, sondern Mindeststandards für eine ange -

messene curriculare Einbindung des Praxisbezugs schaffen und diese

landesweit einheitlich ansetzen.«

Prof. Dr. Frank Ziegele, CHE Centrum für Hochschulentwicklung

»Zwei-Fach-Ausbildung plus Didaktik lässt kaum Raum für Praxispha-

sen. Das Zwei-Fach-Studium plus Didaktik führt zu einem straffen Fahr-

plan, der es zumindest in der Bachelorphase nicht oder kaum erlaubt,

Praxisphasen zu integrieren. Das ist ein grundsätzliches Problem der

Zwei-Fach-Ausbildung.«

Prof. Dr. phil. Jürg Kramer, Professor für Mathematik,

Humboldt-Universität zu Berlin

Wie kann der Praxisbezug verbessert werden?

12

Studierende müssen individuelles Feedback erhalten!

Es reicht nicht aus, den Studierenden organisatorische Rahmen bedin -

gun gen für die praktischen Elemente zur Verfügung zu stellen. Die

Mög lichkeiten einer wissenschaftlich-reflexiven Aufarbeitung der

Praxis er fahrungen und deren intensive individuelle Begleitung scheinen

relevante Faktoren für die Wirksamkeit von praktischen Erfahrungen

und für die individuelle Kompetenzentwicklung zu sein. Einfüh rungs-

und Begleitveranstaltungen sowie systematische Begleitungen sollten

daher regelhaft vorgesehen werden. Unterrichtsbesuche oder Bera-

tungen sind unentbehrlich für individuelles Feedback, damit die Stu-

dierenden neben der Selbstreflexion auch fundierte Fremdeinschät-

zungen erhalten. Gut geeignet sind deshalb z. B. Modelle, nach denen

Studierende in Teams in die Praxisphasen gehen, um einen Austausch

unter Peers zu ermöglichen.

»Es reicht nicht zu sagen, ›Studierende führen Portfolio‹. Wichtig ist,

dass es dazu Feedback gibt, dass mit den Portfolios intensiv gearbeitet

wird in Bezug auf die Theorie-Praxis-Verzahnung.«

Dr. Annegret Helen Hilligus, Geschäftsführerin des Zentrums für

Bildungsforschung und Lehrerbildung (PLAZ), Universität Paderborn

»Nicht nur Lehrende der Schulpädagogik, sondern auch der Fachdi dak -

tik begleiten die Praktika und führen vor Ort Unterrichtsbesuche durch.

Das heißt, die Professorinnen und Professoren und akademischen Mit-

arbeiterinnen und Mitarbeiter fahren einmal in der Woche in die Schule

und reflektieren die Erfahrungen zusätzlich in einem begleitenden Semi-

nar. So können die Studierenden Praxis theoriegeleitet erleben und ihre

Beobachtungen mit wissenschaftlichem Modellwissen verknüpfen.

Theorie wird in einem Praxiskontext verankert und umgekehrt.«

Prof. Dr. Martin Fix, Rektor, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg

Praxisbeispiel

In der Lehr:werkstatt, einer Initiative der Eberhard von Kuenheim

Stiftung, bilden ein Lehramtsstudierender (Lehr:werker) und eine

Lehrkraft (Lehr:mentor) ein Tandem und arbeiten über ein Schul-

jahr hinweg zusammen. Die Rolle des Lehr:werkers im Unterricht

ist aktiv. Er unterstützt den Lehr:mentor mit steigender Lernkurve

in immer größerem Umfang. Diese Initiative gibt es in München,

Würzburg, Erlangen-Nürnberg und Passau.

http://bit.ly/16mWh3j

erhalten

Den Studierenden muss ein Blick über denTellerrand ermöglicht werden!

Studierende sollten die Möglichkeit haben, praktische Erfahrungen

außerhalb der bereits bekannten Schulformen zu sammeln, um einen

breiten Erfahrungshorizont zu bekommen und die Prozesse im Schul-

dienst aus anderen Perspektiven zu betrachten. Hier eignen sich etwa

Praktika im Ausland oder außerschulische Praktika.

»Der Umfang und die Ausgestaltung der Praxisphasen in der Lehrer -

ausbildung werden seit geraumer Zeit von Expertinnen und Experten

intensiv diskutiert. Dabei wurde nicht nur eine mangelhafte Verknüpfung

mit dem theoretischen Studium, sondern auch eine generelle Rand-

ständigkeit der schulpraktischen Ausbildungsanteile kritisiert. Diese

Kritik ist aber inzwischen vielfach aufgenommen worden und hat

bereits zu vielen Veränderungen bei der Integration von Praxisphasen

in die Lehrerausbildung geführt. Fasst man den Praxisbegriff aber wei-

ter und nimmt die Lebens- und künftige Arbeitswelt der Schülerinnen

und Schüler in den Blick, so fällt auf, dass hierzu kaum Konzepte zur

Integration in die Lehramtsausbildung vorliegen. Notwendig wäre hier

ein erweiterter Praxisbegriff, der künftigen Lehrkräften einen Perspek-

tivenwechsel ermöglichen kann.«

Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung

Praxisbeispiel

Das Humboldt-ProMINT-Kolleg ist eine Fächer und Schulformen

übergreifende, ständige universitäre Struktureinheit. Lehrerinnen

und Lehrer sowie Studierende der mathematisch-naturwissen-

schaftlichen Fächer absolvieren Praktika in Unternehmen und Ein-

richtungen in Berlin-Adlershof, die ihnen Einblicke in die Wert-

schöpfungskette von der Grundlagenforschung bis zur High-Tech-

Produktion verschaffen sollen.

http://bit.ly/1g4sUEi

13

4

5

Die Akteure müssen wissen, wovon sie reden!

Viele Personengruppen sind aktiv an Maßnahmen des Praxisbezugs

beteiligt (z. B. Hochschuldozentinnen und -dozenten oder schulische

Mentorinnen und Mentoren, die die Studierenden begleiten). Für sie

und alle anderen gilt, dass sie selber über einen immer wieder aktuali-

sierten »Bezug zur Praxis« (also entsprechende Erfahrungen) verfügen

sollten, um einen adäquaten Praxisbezug für die Studierenden glaub-

haft gewährleisten zu können.

Die Möglichkeiten für Lehrkräfte aus dem Schuldienst eine Tätigkeit in

der Lehrerbildung an den Hochschulen auszuüben, sollten ausgebaut

werden, schließlich sind die Voraussetzungen dafür da: Mit Ausnah me

von Sachsen-Anhalt (dort ist eine entsprechende Regelung jedoch in

Planung) ermöglichen es alle Länder, dass sich Lehrkräfte aus dem

Schuldienst im Rahmen ihrer Anstellung in der hochschulischen Lehrer-

bildung engagieren, etwa in Form einer befristeten Abordnung.

Außerdem sollten die Anforderungen von schulpraktischen Erfah -

rungen z. B. für Professuren für Fachdidaktik konkretisiert werden

(etwa durch eine definierte Mindestdauer der Tätigkeit im Schul-

dienst). Auch wären gezielte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen

(z. B. durch einen freiwilligen, berufsbegleitenden Weiterbildungs -

studiengang) für Mentorinnen und Mentoren denkbar15.

Neben den entsprechenden Qualifikationen müssen die Beteiligten

intrinsisch und extrinsisch hinreichend motiviert sein. Bekommen

z. B. die Praktikumslehrkräfte oder Mentorinnen und Mentoren für

ihre Qualifizierungsmaßnahmen und die Betreuung von Studierenden

in ihren Praktika eine angemessene Entlastung durch einen Stunden-

ausgleich? Die Mentorentätigkeit sollte ein positives Karrieremerkmal

sein, das in der Dienstbeurteilung stärker berücksichtigt wird.

»Die Vielfalt in unseren Klassenzimmern war nie größer als heute – und

wächst weiter. Darauf muss sich die Lehrerbildung dringend einstellen

und die Studierenden in die Lage versetzen, Kinder und Jugendliche

besser individuell zu fördern. Regelmäßiges und persönliches Feedback

sind dabei ganz essentiell.«

Dr. Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung

»Man braucht gut ausgebildete Mentorinnen und Mentoren. Diese sol-

len die Lehr per sonen in den Schulen und die Studierenden begleiten,

müssen zeitlich natürlich entlastet werden, das Curriculum kennen und

sollen eine Art kritischer Freund des Studierenden sein. Diese beratende

Rolle muss vorher trainiert werden; dabei ist das grundlegende Pro-

blem, dass die not wendigen Ausbildungen hierfür meist zu kurz sind.«

Dr. Jens Winkel, Geschäftsführer des Didaktischen Zentrums (diz),

Universität Oldenburg

Praxisbeispiel

Die Uni Würzburg bietet fachspezifische sowie überfachliche

Lehrveranstaltungen an, die das Pflichtangebot in den Studien-

fächern erweitern und ergänzen. Diese Lehrveranstaltungen,

zumeist Seminare, werden von Lehrkräften aus Schulen oder von

Expertinnen und Experten aus dem schulischen Umfeld gehalten

und über das Zentrum für Lehrerbildung angeboten. Sie bieten

den Studierenden die Möglichkeit, Schul- und Unterrichtspraxis

phasenweise selbst zu erleben, zu beobachten und zu reflektie-

ren. Darüber hinaus werden Studierenden mit schul- und unter-

richtsnahen Handlungsfeldern konfrontiert, die es ihnen ermög -

lichen, ihre universitär erworbenen fachlich-theoretischen Kompe-

tenzen in den einzelnen Studienanteilen zu erproben.

http://bit.ly/19KOxb2

6

Wie kann der Praxisbezug verbessert werden?

14

15 Siehe z. B. die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulpraktische

Studien (BaSS) zur Rolle der Mentorinnen: http://bit.ly/1gHDVf7.

Die Wirksamkeit von Maßnahmen zugunsten des Praxisbezugs muss belegt werden!

Gerade in Zeiten, in denen die praktische Ausbildung im Fokus steht

und neue Maßnahmen etabliert werden, stellt sich die Frage nach der

Wirksamkeit eben jener Bestrebungen – damit sie nicht zu einem

blinden Aktionismus verkommen. Daher ist eine Wirksamkeitsprüfung

der umgesetzten Maßnahmen notwendig. Bisher dominieren in der

Forschung über die Praxiselemente in der ersten Phase der Lehrerbildung

die Befragungen von Studierenden, meist als Vergleich der Einstellungen

vor und nach einem Praktikum. Es ist jedoch fraglich, ob Studierende

die Adäquatheit ihrer schulpraktischen Erfahrungen selber hinreichend

einschätzen können. Daher wäre es sinnvoller, Studien durch die Ein-

schätzungen von Referendarinnen und Referendaren oder Lehrkräften

im Schuldienst zu ergänzen. Auch sollten weitere Methoden wie etwa

Beobachtungen oder Längsschnittstudien vermehrt Anwendung

finden. Begleitforschung und Evaluationen sollten Bausteine einer

systematischen Qualitätssicherung und -entwicklung sein.

15

7

www.monitor-lehrerbildung.de

Herausgeber

Der Monitor Lehrerbildung und die vorliegende Publikation sind ein gemeinsames Projekt

der Bertelsmann Stiftung, des CHE Centrum für Hochschulentwicklung gGmbH,

der Deutsche Telekom Stiftung und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.

Verantwortlich für den

Inhalt dieser Publikation

Melanie Rischke M.A, Christin Bönsch M.A. und

Ulrich Müller M.A.

Im Rahmen der Vorbereitung der vorliegenden

Publikation wurden Interviews mit Expertinnen

und Experten geführt. Wir danken insbesondere

unseren Interviewpartnern

n Prof. Dr. Martin Fix

(Pädagogische Hochschule Ludwigsburg),

n Dr. Annegret Helen Hilligus

(Universität Paderborn),

n PD Dr. Karin Kleinespel

(Universität Jena),

n Prof. Dr. Jürg Kramer

(Humboldt-Universität zu Berlin),

n Dr. Clemens M. Schlegel

(Ludwig-Maximilians-Universität München,

Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft

Schulpraktische Studien),

n Prof. Dr. Wilfried Schubarth

(Universität Potsdam) und

n Dr. Jens Winkel

(Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)

für wertvolle Hinweise.

Des Weiteren danken wir jenen Hochschul-

angehörigen, welche uns auf Anfrage per E-Mail

Hinweise zu Hindernissen, Erfolgsfaktoren und

Good Practice-Beispielen gegeben haben. Die

Verantwortung für den Inhalt der Broschüre liegt

selbstverständlich allein bei den Herausgebern.

Ansprechpartnerinnen für das Projekt

Melanie Rischke M.A.

[email protected]

Christin Bönsch M.A.

[email protected]

Die vorliegende Publikation ist auch auf der Seite

des Monitors Lehrerbildung unter www.monitor-

lehrerbildung.de/schwerpunkt/praxisbezug zu

finden und steht zum Download zur Verfügung.

Kontakt

Centrum für Hochschulentwicklung gGmbH

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