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1 Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli Oktober 2020 Beiträge zur Geschichte der Gemeinde Sulzdorf a. d. L. (Folge 141) Das Kriegsende in Sulzdorf und seinen Gemeindeteilen vor 75 Jahren Primitive Panzersperren sollten die US-Army aufhalten Vor nunmehr genau 75 Jahren wurde unsere Heimat im Verlauf des Zweiten Weltkriegs vom XV. Korps der 7. US-Armee erobert. Der 8. April 1945 (Weißer Sonntag) war ein kühler Tag mit strahlendem Sonnenschein und guter Sicht. Um 14.15 Uhr war die Kreisstadt Königshofen „feindfrei“ und um 15.10 Uhr setzte die US-Kompanie ihren Vormarsch in Richtung östliches Grabfeld fort. Um 16.25 Uhr erreichte sie Gabolshausen, eine gute halbe Stunde später Untereßfeld und nach Bereinigen einer Straßensperre Obereßfeld. Danach stieß sie nur noch auf minimalen Widerstand, hatte aber um 17.40 noch mit vereinzelten Schützen in Sulzdorf a. d. L. zu tun. Eine Panzer-Kompanie nahm nach 18 Uhr deutsche Truppenteile in Sternberg unter Beschuss. Diese hatten sie entweder vom Büchelberg aus auf ihrer Flucht beschossen oder sich so auffällig verhalten, dass die Amerikaner glaubten, die deutschen Soldaten würden sie angreifen. Sie entgingen jedoch dem Angriff, getroffen wurden aber zwei Gehöfte, eine Feldscheune sowie die Schule. Kurz vor Mitternacht kam es bei Sulzdorf a. d. L. noch zu einem Zwischenfall: Deutsche Soldaten, die zivil gekleidet gegenüber den Amerikanern behaupteten, Kriegsgefangene zu sein eröffneten das Feuer. Der US-Soldat Harold G. Franklin erlag seinen Verletzungen. Bereits in der Nacht vom 7. auf 8. April wurde US- Leutnant Benjamin Hill in Königshofen aus dem Hinterhalt von einem SS-Soldaten, der sich im Krankenhaus verbarg, erschossen. Er gehörte einer Schwadron an, die Vorerkundungen über das zu besetzende Gebiet einholte. US-Einmarsch in Königshofen, Höhe des ehemaligen Krankenhauses. Im Kreis der in der Nacht zuvor erschossene US-Soldat Hill.

Primitive Panzersperren sollten die US-Army aufhalten ......Anwesen Balthasar Albert im Unterdorf. Furchtbar schockiert waren wir nicht nur, weil es bei uns fürchterlich brannte,

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Beiträge zur Geschichte der Gemeinde Sulzdorf a. d. L. (Folge 141)

    Das Kriegsende in Sulzdorf und seinen Gemeindeteilen vor 75 Jahren

    Primitive Panzersperren sollten die US-Army aufhalten

    Vor nunmehr genau 75 Jahren wurde unsere Heimat im Verlauf des Zweiten

    Weltkriegs vom XV. Korps der 7. US-Armee erobert. Der 8. April 1945 (Weißer

    Sonntag) war ein kühler Tag mit strahlendem Sonnenschein und guter Sicht. Um

    14.15 Uhr war die Kreisstadt Königshofen „feindfrei“ und um 15.10 Uhr setzte die

    US-Kompanie ihren Vormarsch in Richtung östliches Grabfeld fort. Um 16.25 Uhr

    erreichte sie Gabolshausen, eine gute halbe Stunde später Untereßfeld und nach

    Bereinigen einer Straßensperre Obereßfeld. Danach stieß sie nur noch auf

    minimalen Widerstand, hatte aber um 17.40 noch mit vereinzelten Schützen in

    Sulzdorf a. d. L. zu tun. Eine Panzer-Kompanie nahm nach 18 Uhr deutsche

    Truppenteile in Sternberg unter Beschuss. Diese hatten sie entweder vom

    Büchelberg aus auf ihrer Flucht beschossen oder sich so auffällig verhalten, dass die

    Amerikaner glaubten, die deutschen Soldaten würden sie angreifen. Sie entgingen

    jedoch dem Angriff, getroffen wurden aber zwei Gehöfte, eine Feldscheune sowie

    die Schule.

    Kurz vor Mitternacht kam es bei Sulzdorf a. d. L. noch zu einem Zwischenfall:

    Deutsche Soldaten, die – zivil gekleidet – gegenüber den Amerikanern behaupteten,

    Kriegsgefangene zu sein – eröffneten das Feuer. Der US-Soldat Harold G. Franklin

    erlag seinen Verletzungen. Bereits in der Nacht vom 7. auf 8. April wurde US-

    Leutnant Benjamin Hill in Königshofen aus dem Hinterhalt von einem SS-Soldaten,

    der sich im Krankenhaus verbarg, erschossen. Er gehörte einer Schwadron an, die

    Vorerkundungen über das zu besetzende Gebiet einholte.

    US-Einmarsch in Königshofen, Höhe des ehemaligen Krankenhauses. Im Kreis der

    in der Nacht zuvor erschossene US-Soldat Hill.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    In einem in den USA unmittelbar nach Kriegsende aufgelegten Buch mit dem Titel

    „The 106th Cavalry Group in Europe 1944-45“ sind die Namen der beiden im

    Grabfeld gefallenen Soldaten Hill und Franklin in einer Aufstellung „Killed in

    Action“ aufgeführt. Als Sterbeort wird jeweils Sternberg angegeben. Wie

    Nachforschungen ergaben, hängt das damit zusammen, dass das Sternberger Schloss

    wegen seiner prädestinierten Lage bei den Einsatzplanungen als eine sog.

    Landmarke ausgewählt wurde, an der sich die US-Angreifer orientierten. Alle

    Eintragungen im Logbuch über den Einsatz im Grabfeld beziehen sich auf

    Sternberg, wie z.B. „We are in Irmelshausen, 19,4 km north of Sternberg“. In dem

    genannten Buch sind auch die beim Einmarsch der US-Army im Grabfeld geführten

    wichtigsten Funksprüche enthalten. Als Tagesziel der von Ostheim vor der Rhön

    anrückenden US-Army wurde am 8. April 1945 das „very little“ (sehr kleine) Dorf

    Sternberg ausgegeben. Bis zum Abend sollte die Linie Schwickershausen bei

    Mellrichstadt/Sternberg im Grabfeld besetzt sein.

    Nachfolgend eine Auswahl der US-Funksprüche:

    8. April 1945

    09.40 Uhr - Vormarsch auf Mellrichstadt

    10.00 Uhr - Mellrichstadt erobert, 6 erschossene deutsche Soldaten, 7 Kriegs-

    gefangene.

    10.05 Uhr - Einmarsch in Hendungen

    11.35 Uhr - Einmarsch in Irmelshausen.

    12.00 Uhr - 5 km nordwestlich Königshofen, haben zerstörten deutschen

    Schützenpanzer abgeschleppt.

    12.30 Uhr - Beginn der Einnahme Königshofens.

    12.45 Uhr - Kleinere Gefechte in Königshofen

    13.05 Uhr - Leutnant Hill, der aus dem Krankenhaus heraus erschossen wurde, wird

    auf dem Bürgersteig aufgefunden.

    17.12 Uhr - Bei Trappstadt wird die US-Army mit 10 Raketen beschossen.

    18.41 Uhr - Führende Elemente feuern auf Deutsche in Sternberg.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Gefangennahme deutscher Soldaten im Grabfeld (Überblendung).

    9. April 1945

    00.40 Uhr - Nähe Sternberg (gemeint ist Sulzdorf) wird eine Granate auf uns

    geworfen, schießen zurück, haben aber nicht getroffen. Harold G. Franklin erliegt

    seinen Verletzungen.

    08.00 Uhr - Übergabe der in der Nacht gemachten deutschen Kriegsgefangenen.

    09.10 Uhr - Wir sind in Rieth.

    19.05 Uhr - Einmarsch in Heldburg. Vormarsch durch das Heldburger Land nach

    Rodach und Coburg.

    Am 9. April 1945 setzte das Regiment seinen Vormarsch in Richtung Süden fort,

    nachdem mit Schwanhausen und Serrfeld die letzten Dörfer im Königshöfer

    Grabfeld eingenommen waren. Am 30. April überquerte das Regiment die Isar bei

    München und begann seinen Vorstoß auf Salzburg. Bei Kriegsende am 8.5.1945

    stand das Regiment am Wolfgangsee.

    Der Einmarsch in Obereßfeld

    Auf einer Anhöhe Richtung Alsleben hatte eine deutsche Flakbatterie Stellung

    bezogen, um feindliche Tiefflieger abzuschießen. Was schon lange zuvor erwartet

    wurde, war am Weißen Sonntag 1945 soweit. Pfarrer Carl Bonaventura Hofmann,

    Oskar Harth und Rudolf Seim bewiesen Mut und liefen den anrückenden Truppen

    mit weißen Fahnen (Betttüchern) entgegen, um den Ort vor Schaden zu bewahren.

    Die Amerikaner nahmen Obereßfeld kampflos ein. Kein Schuss fiel. Die Menschen

    atmeten auf, endlich war für sie der Krieg vorbei. Sämtliche Haushaltungen wurden

    von den Amerikanern nach evtl. verborgenen deutschen Soldaten sowie Waffen und

    Munition durchsucht. Jede wurde mit amerikanischen Posten besetzt, um flüchtende

    deutsche Soldaten zu ergreifen.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    So war eine Panzersperre aufgebaut.

    Die Zeichnung fertigte 1995 der

    ehemalige Rektor der Verbandsschule

    Untereßfeld, Walter Häusler, der den

    Aufbau einer solchen Sperre in seinem

    Heimatort Saal an der Saale

    miterlebte.

    Wie unsinnig oft Maßnahmen gegen die mit aller Macht anrückenden US-Truppen

    waren, unterstreicht die Anordnung, dass am Ostersonntag 1945 45 Mann

    „Volkssturm“ aus Obereßfeld ausrücken mussten, um an der Straße nach Sulzdorf

    eine Panzersperre zu errichten. Auf Höhe des Judenpfades, an der Gemeindegrenze

    zu Sulzdorf, wurde an beiden Straßenrändern eine ca. zwei Meter tiefe quadratische

    Grube ausgehoben und innen und außen mit Baumstämmen senkrecht verstärkt.

    Zwischen diesen etwa zwei Meter über den Grund ragenden Stämmen wurden

    wiederum, außen und innen die ganze Straßenseite blockierende Baumstämme

    gelegt. Die Zwischenräume wurden mit Erde und Steinen verfüllt. Die eine Woche

    später anrückenden mächtigen Panzer umgingen die Sperre, indem sie schlicht und

    einfach an der Seite vorbeifuhren!!!

    Der Einmarsch in Sulzdorf

    Kurz vor dem 8. April 1945 hatten die Sulzdorfer ebenfalls eine Panzersperre an der

    Lederhecke Richtung Ermershausen zu errichten, die selbstverständlich die US-

    Army ebenfalls nicht aufhalten konnte. Als die Amerikaner ins Dorf einrückten und

    das Schulhaus umstellten, befanden sich alle Bewohner Sulzdorfs in ihren Kellern.

    Es lag eine beklemmende Stille über dem Dorf.

    In der Lebersgasse leisteten zwei SS-

    Soldaten Widerstand, einer von ihnen

    wurde erschossen, der andere flüchtete

    mit einem Fahrrad in Richtung

    Schwanhausen. Der französische

    Kriegsgefangene Andrè Lavet (im

    Bild), der etwa vier Jahre bei der

    Familie Schäftlein arbeitete, berichtete

    den US-Soldaten, dass die Besatzer

    nichts von den Sulzdorfern zu

    befürchten hätten.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Es seien „anständige Leute“, die die Gefangenen und Zwangsarbeiter gut behandelt

    hätten. Die Dorfbewohner wurden schließlich aufgefordert mit erhobenen Händen

    ihre Verstecke zu verlassen.

    Im Haus der Familie Schäftlein (später Fischer) gegenüber der Kirche wurde die

    US-Kommandantur eingerichtet. Ende Juni 1945 verließen die US-Soldaten

    Sulzdorf und kündigten an, dass die Russen fortan den Ort besetzten. Sie waren der

    Auffassung, Sulzdorf liege in Thüringen, das ja im Juli 1945 von der Roten Armee

    besetzt wurde, nachdem sich die Amerikaner vereinbarungsgemäß auf die

    bayerisch/thüringische Grenze zurückgezogen hatten.

    Die Beschießung Sternbergs

    Die Sternberger waren in den Stunden vor dem Einmarsch „völlig durcheinander“,

    erinnerte sich Rudolf Werner. Dazu trug nicht zuletzt auch der Auftritt eines

    unverbesserlichen Nazis aus der Kreisstadt am frühen Sonntagmorgen bei. Er war

    mit seinem „Sachsla“ nach Sternberg gekommen und befahl dem „Wirts Karl“ (Karl

    Lettau), dass die vorbereiteten Panzersperren sofort geschlossen werden müssten.

    Dieser weigerte sich und versuchte seinen Gegenüber von der Unsinnigkeit einer

    solchen Anordnung zu überzeugen. Daraufhin bedrohte der Beauftragte der

    Kreisleitung den Gastwirt mit der Waffe.

    Gegen 16 Uhr ging Rudolf Werner mit einigen Schulkameraden auf den

    Büchelberg, von dem man eine weite Sicht in das Grabfeld hat. Die Buben

    beobachten, wie die US-Armee von Königshofen kommend in Gabolshausen und

    Untereßfeld einfuhr. Es dauerte dann aber immer noch eine Weile bis die

    anrückenden Streitkräfte in Richtung Obereßfeld weiterzogen. Ein Teil der

    anrückenden US-Armee bog in Richtung Sulzdorf ab, andere bewegten sich in

    Richtung Sternberg/Zimmerau. Jetzt wurde es den Kindern doch zu brenzlig und sie

    rannten nach Hause.

    Doch es herrschte zunächst eine ungewöhnlich langanhaltende quälende Stille. US-

    Flugzeuge überflogen ständig in niedriger Höhe das Dörfchen. Mancher Einwohner

    wagte sich aus dem Keller und lugte hinter dem Hoftor hervor. Im nächsten

    Augenblick zerrissen Panzergranaten die Stille. Nicht lange darauf galoppierten die

    Pferde vom „Lamperts Augstin“ (August Albert) durch das Dorf in Richtung

    Zimmerau. In dessen Hof, im Nachbarhof von Max Bühler und in die Feldscheune

    des Bürgermeisters Balthasar Albert unterhalb des Schlosses hatten die Granaten

    eingeschlagen und setzten diese in Brand. Auch das Pfarrhaus und das Dach der

    neben der Kirche befindlichen Schule wurden getroffen. Die dort konfiszierten

    abgelieferten Zentrifugen und Rührfässer für die Butterherstellung (damit wollten

    die Nazis verhindern, dass die Leute „schwarz“ Butter herstellten) wurden zerstört.

    Durch die hohen Bäume des Schlossparks gedeckt, war der größte Teil des Dorfes

    nicht zu sehen, was sich als Glücksfall erwies. Das Schloss wurde nicht beschossen,

    da man dieses ja als Hauptquartier nach der Einnahme zu nutzen gedachte.

    Rudolf Werner erinnerte sich 1995 weiter: „Die Dorfbewohner eilten zu den

    Brandplätzen, alles war kopflos. Die Panzer fuhren durch's Dorf und stellten sich

    am Weinberg auf!“ Am Abend war Ausgangssperre und die Dorfstraße war mit US-

    Militärfahrzeugen zugeparkt. Der Sternberger Pfarrer Karl Pfaab hielt fest: „Der

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Weiße Sonntag 1945 wird allen Teilnehmern unvergesslich bleiben. Schon nach der

    Mittagsstunde sahen wir vom hochgelegenen Sternberg aus die heranrückenden

    Amerikaner. Gegen 14 Uhr suchten die Tiefflieger alle ringsherum gelegenen

    Wälder planmäßig ab. Immer bedrohlicher war das Rattern ihrer Motoren und ihrer

    Maschinengewehre. Nach 17 Uhr sahen wir die ersten Amerikaner-Panzer von

    Obereßfeld herauffahren. Hier im Dorf waren noch Reste deutschen Militärs, die

    natürlich von den Tieffliegern beobachtet wurden. Plötzlich eröffneten die

    Amerikaner-Panzer aus den Feldern unten am Steinkreuz die Beschießung von

    Sternberg. Gegen 18.30 Uhr waren die Amerikaner in Sternberg eingerückt. Das

    ganze Dorf bis zum Schlosshof hinein wimmelte von Amerikanern.“

    Eingekreist von unten nach oben die

    betroffenen Anwesen Albert, Bühler

    und die Schule.

    Irmgard Silbersack, geborene Albert,

    aus Sternberg erinnert sich an den

    Einmarsch der Amerikaner:

    „Wochenlang vor dem Einmarsch der

    Amerikaner hörte man in unserer

    Gegend die Front und sah den

    Feuerschein der brennenden Städte.

    Am Spätnachmittag des Weißen

    Sonntags war es dann soweit. Etwa

    sechs bis acht Panzer rollten aus

    Obereßfeld kommend in Richtung

    Sternberg. Am „Birkig“ stellten sie

    sich in einer Reihe auf. Dies kam uns

    nicht geheuer vor. Mein Vater sagte:

    „Kommt, wir gehen in den Keller!“

    Kaum hatten wir uns dort verborgen,

    krachte es auch schon furchtbar. Nach

    einer weiteren Salve sagte Papa, der

    ins Freie spitzte, voller Entsetzen:

    „Guckt, bei uns brennt's scho!“ Offensichtlich traf eine Panzergranate unsere

    Scheune. Trotz der weiteren Beschießung durch amerikanische Panzer stürzten wir

    aus dem Keller. Unser Vater ließ als erstes die drei Ackergäule springen, die

    zwischen den anrückenden Panzern hindurch in Richtung Zimmerau

    davongaloppierten. Die Schweine wurden ebenso herausgetrieben wie Gänse und

    Hühner. Diese flogen aus unerfindlichen Gründen in die Flammen hinein. Ich

    erinnere mich, dass die Panzer acht Salven auf Sternberg abfeuerten. Das Feuer

    breitete sich rasend schnell aus und drohte, ebenfalls unser erst 1930 errichtetes

    Wohnhaus in Brand zu setzen.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Nach einiger Zeit stellten wir fest, dass im Nachbaranwesen, bei den

    „Leinawabersch“, ebenfalls eine Scheune in Flammen stand. Als die US-Panzer ins

    Dorf fuhren, haben wir trotz der Ausräumarbeiten noch schnell eine weiße Fahne

    zum Fenster hinausgehängt.

    Die niedergebrannte Scheune im

    Anwesen Balthasar Albert im

    Unterdorf.

    Furchtbar schockiert waren wir nicht nur, weil es bei uns fürchterlich brannte,

    sondern auch durch die Tatsache, dass uns die Amerikaner beschossen. Durch das

    Hören von Schwarzsendern glaubten wir, die Amerikaner benähmen sich bei ihrem

    Einmarsch freundlich, wenn sich alle ruhig verhielten.

    Wir hatten uns doch ruhig verhalten, und jetzt plötzlich das? Die Panzer rollten

    langsam an unserem Anwesen vorbei, ohne dass deren Insassen von dem Brand

    Notiz nahmen. Jetzt hatten wir wenigstens ein klein wenig die Angst verloren, auch

    noch erschossen zu werden. Erschwert wurde die Brandbekämpfung durch die ab 21

    Uhr verhängte Ausgangssperre. Die Helfer mussten nach Hause, obwohl der Brand

    noch lange nicht gelöscht war. Nur die Nachbarn durften weiter helfen.

    Nur unter erschwerten Bedingungen konnten die Scheunen vom Bühlers Max und

    unsere wieder aufgebaut werden. Welche Folgen diese Materialnot hatte, wurde

    1956 deutlich, als unter lautem Krachen Scheune und Stallung der Bühlers in sich

    zusammensanken. Eine Kommission stellte als Einsturzursache den Panzerbeschuss

    von 1945 fest.

    Die Einnahme Zimmeraus

    Unter dem 3. April 1945 ist in der Zimmerauer Schulchronik vermerkt:

    „Osterdienstag. Die Kriegsmaschine der Amerikaner im Anrollen. Fast

    ununterbrochen ziehen hier versprengte deutsche Truppenteile, einzelne Soldaten,

    Arbeitsdienstler, Volkssturmmänner durch, meist führerlos, größtenteils ohne

    Waffen, nur mit dem einen Ziel, sich vor der Gefangenschaft zu retten. Auch

    gefangene Ausländer sind auf dem Durchmarsch. Alles ein Bild der Auflösung. Für

    Stunden und Nächte wechselt die Einquartierung bei den Bauersleuten ohne

    Unterbrechung. Auch für die Verpflegung müssen diese aufkommen.“

    Bei Anrücken der US-Army am 8. April 1945 wurden die deutschen Soldaten von

    den Einheimischen aufgefordert, sich im Wald zu verstecken. Marianne Woxa

    berichtete, ihre Mutter Olga Bauer hatte für die Soldaten zuvor extra in einem

    Kessel Wasser erwärmt, damit sie sich waschen konnten. Anschließend durften sie

    ihren Hunger stillen. Dies geschah alles „gedeckt“, damit US-Tiefflieger, die ständig

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    das Dorf überflogen, die deutschen Soldaten nicht bemerken sollten. Sie flüchteten

    schließlich in Richtung Thüringen und versteckten sich. Die Amerikaner rückten an,

    nahmen Zimmerau kampflos ein, zogen weiter und nahmen im nahen Wald die

    deutschen Soldaten fest, die sich freiwillig stellten. Die Kampftruppen rückten

    weiter in Richtung Thüringen vor.

    Nun löste eine Besatzungstruppe die Kampftruppe der USA ab und Soldaten

    durchsuchten das Dorf. Marianne Woxa erinnert sich, dass sie in einem

    Nebengebäude ihres Vaters im Backofen Gewehre deutscher Soldaten fanden. Ihr

    Vater Albert Bauer wurde herbei geholt. Er wusste von nichts. Trotzdem wurde er

    festgenommen und abgeführt. Einen Tag später kam er aber wieder nach Hause. Ein

    US-Soldat zerstörte die Gewehre, die teilweise noch geladen waren. Ein Schuss

    löste sich und traf ihn um ein Haar.

    Kurz vor Kriegsende passierten

    deutsche Panzer auf ihrer Flucht vor

    der immer näher kommenden US-

    Army Serrfeld.

    Die Einnahme Serrfelds

    Als letzte Gemeinden im Königshöfer Grabfeld wurden Schwanhausen und Serrfeld

    von der US-Armee eingenommen. Am Montag, 9. April 1945, war es auch hier so

    weit. Um 09.30 Uhr marschierten US-Soldaten in Serrfeld ein, ohne dass ein Schuss

    fiel, nachdem es zuvor an der Sulzdorfer Mühle noch zu einem kurzen Gefecht

    gekommen war, wobei zumindest ein deutscher Soldat fiel, erinnerte sich Armin

    Unger Mitte der 1990er Jahre. Bürgermeister Oskar Matz war den anrückenden

    Streitkräften mit einer weißen Fahne entgegen gelaufen. Er wurde begleitet von

    einigen der acht französischen Kriegsgefangenen, die seit 1940 im Dorf lebten. Sie

    waren in einem Haus direkt unterhalb der Kirchenburg untergebracht und halfen den

    Bauern in der Landwirtschaft. Die US-Truppe zog nach kurzem Aufenthalt weiter in

    Richtung Neuses.

    Wenige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner hatten Alfred Wagner,

    Nikolaus Jäckel und Richard Unger noch deutsche Soldaten mit ihren

    Pferdefuhrwerken in Richtung Staffelstein zu transportieren. Als nach dem

    Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 1945 einige versprengte, einsame deutsche

    Landser in arge Bedrängnis gerieten, verbargen die Serrfelder diese, obwohl

    schwerste Strafen seitens der amerikanischen Militärregierung drohten. Trauten sich

    die Soldaten nicht ins Dorf, wurde ihnen das Essen in den Wald gebracht.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Der Einmarsch in Schwanhausen

    Anna Holzmann berichtete vor einigen Jahren, am Weißen Sonntag 1945

    beschossen Tiefflieger wiederholt Schwanhausen. Verletzte oder gar Tote gab es

    nicht. Am Weißen Sonntag 1945 war Schwanhausen von deutschem Militär, das

    sich in heilloser Flucht befand, überfüllt. Ein junger Offizier, zur Gegenwehr wild

    entschlossen, verkündete dies lauthals und wurde von seinem Vorgesetzten

    zurechtgewiesen. Dieser höhere Offizier bat, die aussichtslose Lage richtig

    einschätzend, bei ihrer Familie um ein weißes Tuch. Er erwog nach Sulzdorf zu

    gehen und seine Gruppe den Amerikanern zu übergeben.

    Es wurde Abend und die Amerikaner waren immer noch nicht da. Von Sternberg

    her, wo drei Gebäude brannten, hatte sich der Himmel blutrot gefärbt. Dies

    vergrößerte zusätzlich die Angst. Mit einem Eintreffen der US-Army wurde

    stündlich gerechnet, weshalb die Schwanhäuser die Nacht in Felsenkellern

    verbrachten. Die deutschen Soldaten zogen in dieser Nacht weiter in Richtung

    Schweickershausen und Ermershausen. Ein Soldat mit Namen Gaida setzte sich von

    seiner Einheit ab und verbarg sich in Schwanhausen. Er wurde nach dem Einmarsch

    nicht von den Amerikanern gefangen genommen und war noch lange in der

    Gemeinde ansässig.

    Am Montag, 9. April hörte Anna Holzmann plötzlich ein eigenartiges Brummen,

    schreckte hoch, rannte ans Fenster und erkannte einen amerikanischen Panzer. Sie

    sagte zu ihrem Vater: „Ach Gott Vater. Geh naus, die sind da!“ Jakob Wachtel trat

    nun mit einer weißen Fahne vor das Haus und näherte sich einem Panzer. In

    perfektem Deutsch fragte der Panzerkommandant Anna Holzmanns Vater: „Wo ist

    der Feind?“ Dieser bedeutete ihm, dass keine deutschen Soldaten mehr im Dorf

    seien. Bei der Einnahme Schwanhausens fiel ebenfalls kein Schuss.

    Manfred Mendel Zeilberger (Fred Berger), ein amerikanischer Offizier jüdischer

    Abstammung, aus Ermershausen gebürtig, marschierte vor 75 Jahre mit der US-

    Army im Grabfeld ein. Seine Mutter Sophie, Vater Leopold (links im Bild) und sein

    jüngster Bruder Gert (Bildmitte) wurden von den Nazis im KZ Izbica ermordet.

    Manfred wurde von seinen Eltern 1937, seine Schwester Ilse (rechts im Bild) 1939

    in die USA geschickt, damit sie dem Nazi-Terror entgingen. Ilse tat aus Verbitterung

    nie wieder einen Schritt auf deutschem Boden.

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    Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020

    Der deutsch sprechende US-Soldat war Manfred Mendel Zeilberger. Er stellte sich

    vor: „Ich bin der Sohn vom Mendel!“ Mendel, sein richtiger Name war Leopold

    Zeilberger, war Viehhändler und Metzger im benachbarten Ermershausen. Er

    pflegte intensive Geschäftsbeziehungen mit den Schwanhäusern. Anna Holzmann

    erinnerte sich, dass der Mendel - er nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg

    beim 5. Infanterie-Regiment Bamberg teil - ihrem Vater Ende der 1930er Jahre beim

    Kauf eines Rinds voller Kummer berichtete, er habe jetzt das Geld zusammen, um

    zweien seiner Kinder, Manfred und Ilse, die Reise nach Amerika zu finanzieren. Für

    die ganze Familie reiche das Geld jedoch nicht.

    Leopold Mendel und Sophie Zeilberger hatten drei Kinder: Manfred Mendel, *1920,

    Ilse Jettchen, *1922 und Gert Gerson, *1924. Manfred emigrierte am 26.12.1937 in

    die USA, Ilse folgte am 29.7.1939. Die übrigen Familienmitglieder Leopold, Sophie

    und Gert Zeilberger wurden am 25. April 1942 nach Izbica bei Luplin deportiert und

    in den fahrbaren Gaskammern von Belzèc von den Nazis ermordet.

    Nachdem die amerikanische Einheit Ermershausen eingenommen hatte, begab sich

    Manfred Mendel Zeilberger, der sich in den USA Fred Berger nannte, zu

    Bürgermeister Bornkessel und fragte: „Wo sind meine Eltern?“ Anschließend suchte

    er sein Elternhaus auf. Manfred Zeilberger suchte verzweifelt nach dem Grab seiner

    Eltern und seines Bruders. Er konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war,

    was ihm und seiner Familie die Nazis angetan hatten. Ilse Zeilberger setzte nach

    ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten aus tiefer Verbitterung nie wieder einen

    Fuß auf deutschen Boden. Lediglich ihr Mann besuchte vor einigen Jahren einmal

    Ermershausen.

    Ein weiteres überraschendes Zusammentreffen gab es mit US-Offizier Fred Berger

    für die damals 17jährigen Hans Albert aus Sternberg und Hugo Kriegsmann aus

    Serrfeld. Sie wurden im Juni 1945 in einem Kriegsgefangenenlager in der Pfalz von

    ihm verhört. Sie erinnerten sich, dass sich dieser überaus anständig verhalten habe

    und anordnete: „Das sind doch noch Kinder. Sie sind zu entlassen!“

    Reinhold Albert Quellen und Literatur:

    Reinhold Albert: Zeitzeugen berichten: Kriegsende 1945 und Nachkriegszeit im Königshöfer

    Grabfeld, Bad Königshofen 1995; Reinhold Albert: Chronik der Gemeinde Sulzdorf in drei

    Teilen, Hildburghausen/Mellrichstadt 1994/2020; Reinhold Albert: Beeindruckendes Zeitzeugnis:

    Briefe an und von Hans Albert aus seiner Reichsarbeitsdienst- und Militärzeit sowie sein

    Notizbuch aus Krieg und Gefangenschaft 1944/45, Sternberg 2015; Angaben von Frau Cordula

    Kappner (Haßfurt) über die Familie Zeilberger.

    Ergänzug zu den Fotos: Die beim Einmarsch entstandenen Fotos sind von Glenn Kappelman. Er

    gehörte der US-Einheit ab Februar 1944 an und nahm beim Einmarsch etwa 750 Bilder auf.

    Befehlswidrig hatte Kappelman während der Einschiffungsinspektion in New York eine Kodak

    616-Kamera in seiner Gasmaske versteckt. Da er ein gewöhnlicher Soldat und kein professioneller

    Fotograf war und Kameras und Filme bei Kampftruppen selten waren, zeigen die Fotografien die

    Alltagserfahrung eines Soldaten und sind in der Kriegsfotografie relativ einzigartig. Kappelman

    war in einem M8-Panzerwagen eingesetzt und versteckte den Film in leeren Munitionskisten. Erst

    nach Rückkehr in die USA ließ er die Filme entwickeln.