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Aachen, Eifel und Ardennen eine Rundreise vom 22. bis 27. September 2015 2020 n Gelesen hatten Elke und ich schon Etliches über diesen Landstrich, denn mein Vater, Rudolf Maurer, war 1939 zur Wehrmacht an den Westwall, Hitlers Bollwerk des Deutschen Reiches im Westen, ein- gezogen worden. 76 Jahre später wollten wir einmal auf seinen Spuren diese Gegend besuchen und hatten Hotels in Monschau, Lüttich und Beaurain gebucht. Unser erster Zielort war Nideggen, ein Städtchen, das für meinen Vater eine gewisse Rolle spielte, war doch dort der Stab seiner 251. Infan- terie-Division bis zum Beginn des Westfeldzuges einquartiert. Am 2. Tag unserer Reise besuchten wir Aachen, die Krönungsstadt vieler deutscher Könige. Trotz Regenwetter erlebten wir einen sehr interessanten Tag mit einer mehrstündigen Stadtrundfahrt bis zum Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande bei Vaals. Aachen, am 23.9.2015: Es regnete fast den ganzen Tag über, während der Regen in Erlangen viel wichtiger ge- wesen wäre, aber dort blieb es trocken. - Von unserem Parkplatz am Stadtrand aus fuhren wir mit dem Bus zur Stadt-Mitte. Dort stieg uns sofort der Schwefelgeruch in die Nase, der von den heißen Quellen des Elisenbrun- nens im historischen Kurpark kam. In der Zeit um Chri- sti Geburt herum siedelten sich hier bereits die Römer an und entdeckten bald die lindernde Wirkung des Quellwassers bei Rheumaleiden. Mittags wurden wir im Citybus durch die Stadt und ihre Umgebung gefahren. Nicht nur die städtischen Bauten wie die Klinik aus den 60iger Jahren mit „außenliegen- der“ Installation, dem Tivoli und der Pferderennbahn wurden uns gezeigt, sondern auch das Dreiländereck, das wir uns nicht so nahe an Aachen vorgestellt hatten. Das Highlight war natürlich der Besuch der Pfalzkapelle im Dom mit dem um790 entstandenen Thron von Kaiser Karl dem Großen. Die Altstadt mit Kaiserpfalz sahen wir uns bei Regenwetter an. Sonnenschein dazu hätten wir uns gewünscht, der ab dem nächsten Tag kam und der dann bei unserer anschließenden Ardennen-Rund- fahrt viel wichtiger war.

Aachen, Eifel und Ardennen 2020 n...Infanterie diese Panzersperren an strategisch wichtigen Stellen frei, so dass Caterpillar-Raupen die Räume zwischen den einzelnen Betonklötzen

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Page 1: Aachen, Eifel und Ardennen 2020 n...Infanterie diese Panzersperren an strategisch wichtigen Stellen frei, so dass Caterpillar-Raupen die Räume zwischen den einzelnen Betonklötzen

Aachen, Eifel und Ardennen – eine Rundreise vom 22. bis 27. September 2015 2020 n

Gelesen hatten Elke und ich schon Etliches über diesen Landstrich, denn mein Vater, Rudolf Maurer, war 1939 zur Wehrmacht an den Westwall, Hitlers Bollwerk des Deutschen Reiches im Westen, ein-gezogen worden. 76 Jahre später wollten wir einmal auf seinen Spuren diese Gegend besuchen und hatten Hotels in Monschau, Lüttich und Beaurain gebucht. Unser erster Zielort war Nideggen, ein Städtchen, das für meinen Vater eine gewisse Rolle spielte, war doch dort der Stab seiner 251. Infan-terie-Division bis zum Beginn des Westfeldzuges einquartiert. Am 2. Tag unserer Reise besuchten wir Aachen, die Krönungsstadt vieler deutscher Könige. Trotz Regenwetter erlebten wir einen sehr interessanten Tag mit einer mehrstündigen Stadtrundfahrt bis zum Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande bei Vaals.

Aachen, am 23.9.2015: Es regnete fast den ganzen Tag über, während der Regen in Erlangen viel wichtiger ge-wesen wäre, aber dort blieb es trocken. - Von unserem Parkplatz am Stadtrand aus fuhren wir mit dem Bus zur Stadt-Mitte. Dort stieg uns sofort der Schwefelgeruch in die Nase, der von den heißen Quellen des Elisenbrun-nens im historischen Kurpark kam. In der Zeit um Chri-sti Geburt herum siedelten sich hier bereits die Römer an und entdeckten bald die lindernde Wirkung des Quellwassers bei Rheumaleiden. Mittags wurden wir im Citybus durch die Stadt und ihre Umgebung gefahren. Nicht nur die städtischen Bauten wie die Klinik aus den 60iger Jahren mit „außenliegen-der“ Installation, dem Tivoli und der Pferderennbahn wurden uns gezeigt, sondern auch das Dreiländereck, das wir uns nicht so nahe an Aachen vorgestellt hatten. Das Highlight war natürlich der Besuch der Pfalzkapelle im Dom mit dem um790 entstandenen Thron von Kaiser Karl dem Großen. Die Altstadt mit Kaiserpfalz sahen wir uns bei Regenwetter an. Sonnenschein dazu hätten wir uns gewünscht, der ab dem nächsten Tag kam – und der dann bei unserer anschließenden Ardennen-Rund-fahrt viel wichtiger war.

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Aachen im Herbst 1944

Am 6. Juni 1944 waren die West-Alliierten in der Normandie gelandet und danach unaufhörlich auf die Grenze des Deutschen Reichs vorgestoßen. Aachen wurde als erste deutsche Stadt nach harten Kämpfen von den Alliierten am 21. Oktober eingenommen. In dem 15 km südöstlich gelegenen Hürt-genwald fanden vom 12. September bis zum 23. Februar 1945 ständig Kämpfe statt, bei denen sehr viele alliierte und deutsche Soldaten den Tod fanden. Mitte Dezember 1944 hatte Hitler das Unternehmen „Wacht am Rhein“ befohlen, zu dem er noch Truppen von der bereits dünnen Ostfront abberufen hatte. Sein Ziel war es, die Alliierten – wie im Frühjahr 1940 – großräumig einzukesseln und bei Antwerpen zu vernichten. Dieses verlustreiche Unternehmen misslang. Für die Alliierten war dies sogar die verlustreichste Schlacht im 2. Weltkrieg. Aachen im Herbst 2015 Auf unserem Weg von Nideggen zum Hotel in Monschau-Mützenich kamen wir am Ehrenfriedhof „Hürtgen“ vorbei, wo über 5.000 Tote aus jenen Kämpfen im Hürtgenwald ihre letzte Ruhestätte fanden. Auf ein weiteres Relikt aus dem 2. Weltkrieg trafen wir am zweiten Reisetag auf unserer Fahrt von Monschau nach Aachen. An einigen Stellen am Straßenrand schauten ca. 30 cm hohe pyrami-denförmige Betonspitzen aus dem Weidegras, denn hier verlief der Westwall, der vor dem 2. Weltkrieg von Hitlers Wehrmacht gebaut worden war, und aus Bunkern und Panzersperren bestand. Als Pan-zersperre zog sich ein breites Band aus mannshohen pyramidenförmigen Betonklötzen durchs Land. Auf dieses Hindernis in der Eifel setzte Hitler im Dezember 1944 immer noch – eine seiner vielen Falscheinschätzungen im 2. Weltkrieg. Als die Alliierten auf Hitlers Westwall trafen, kämpfte ihre Infanterie diese Panzersperren an strategisch wichtigen Stellen frei, so dass Caterpillar-Raupen die Räume zwischen den einzelnen Betonklötzen mit Erde auffüllen und die Panzer mühelos die Sperre überwinden konnten. Logischer Weise sind solche Stellen in Straßennähe zu finden, auf denen gegen Kriegsende die feindlichen Panzer vorrückten.

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Rückblick 1939: Die 14. Kompanie im 451.Infanterie-Regiment der 251. Inf.-Div. im Westfeldzug

Ende August 1939 war mein Vater in Kassel zu dieser Kompanie eingezogen worden, die am 3. Sep-tember an den Westwall kommandiert worden war. Ihr erster Quartierort war Kesternich. Neben Schießübungen auf dem Truppenübungsplatz Wahnheide wurde die Kompanie auch zu Schanz-arbeiten am Westwall herangezogen - alles Vorbereitungen für den Westfeldzug, der dann auch am 10. Mai 1940 tatsächlich begann. Mein Vater hat vom ersten Tag seiner Wehrmachtszugehörigkeit an ein Tagebuch geführt, das uns als „Kompass“ unserer Informations-Reise diente. Die folgende Karte zeigt den Marschweg seiner Kom-panie. Ihm folgten wir und lasen dazu seine Tagebuchnotizen:

18.12.1939 Wir liegen jetzt in Kalterherberg bei Monschau in der Eifel. Unsere 14. Kompanie mit unserem Komp.-Chef, Hauptmann Wöhler, gehört zum 451. Infanterie-Regiment. Mitte Dezember stellte sich unser neuer Regiments-Kommandeur, Oberst von Stülpnagel*), den Truppen vor. *) nicht zu verwechseln mit Gen-Lt Karl-Heinrich v. Stülpnagel, als Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt

Unser Regiment gehört zur 251. Infanterie-Division mit dem Divisions-Kommandeur, Generalleutnant Kratzert. – Ernst Ufer, im Polenfeldzug Seelsorger in einer Kriegslazarett-Abteilung, wurde als Divi-sions-Pfarrer für die 80 % der Divisionsangehörigen eingesetzt, die dem evangelischen Glauben an-gehören, unter ihnen 60 Pfarrer in der kämpfenden Truppe, ein überdurchschnittlich hoher Anteil. Der Div.-Pfarrer E. Ufer begleitete die 251. ID von da an bis zum Kriegsende.

1940

Der Standort unseres Divisions-Stabs am Westwall ist Nideggen an der Rur, ca. 10 km östlich des Hürtgenwaldes und ca. 25 km nordöstlich von Kalterherberg, unserem Quartierort. In den Wintermo-naten haben wir viel exerziert und fast täglich Schießübungen mit der Pak durchgeführt.

Elsenfeld

Kalterherberg

Nideggen

Dinant

Zentrum von … … Nideggen

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2015: Wir kamen am 22. September gegen 15 Uhr in Nideggen an, einem netten auf Tourismus aus-gerichteten Städtchen, von dem aus Ende der 1930-ger Jahre Arbeiten am Abschnitt des westlich gelegen Westwalls organisiert worden waren. Das Café Herpertz lockte zu einer kurzen Einkehr. An diesem Dienstag waren wir die einzigen Gäste. – Zwei Hotels und weitere Cafés umsäumen den Marktplatz. Es ist gut vorstellbar, wie sich damals der Stab der 251. ID hier einquartiert und seine Fahrzeuge auf dem großen Marktplatz abgestellt hatte – bis es am 10. Mai 1940 an die Front ging. 9.4.1940 Heute löste Oberleutnant Lesniewicz unseren bisherigen Kompanie-Chef, Hpt. Wöhler, ab. In den letzten Wochen wurde die Spannung in unseren Reihen immer größer und die Frage „wann werden wir wo eingesetzt“ immer brennender, denn Kriegswolken zogen auf. Die 251. ID marschiert am 10. Mai 1940 in Belgien ein – der Westfeldzug beginnt 9.5. Kalterherberg: Wir gehören zum V. Korps der 4. Armee. – Gegen 6 Uhr abends wird eine Regi-ments-Übung angekündigt, ab 20 Uhr sind wir in Alarmbereitschaft. Gegen 23 Uhr werden wir an der Straße nach Elsenborn zusammengezogen. Leutnant Hübner ist beim Regiment. Am Morgen des 10. Mai überschreiten wir gegen 5.35 Uhr die Grenze zu Belgien. Deutsche Flugzeuge zeigen sich am Himmel. Ein Landser ruft: „der Hermann (Göring) hot sin Taubenschlag uffgemocht!“. Unser Pferdezug wird durch Sperren hindurch geführt; es geht über die Orte Ovivat, Longfaye, Xhoffraix, Mont bis Malmédy. Deutsche (dieses Gebiet gehörte bis Ende des 1. Weltkriegs zu Deutschland) empfangen uns auf dem Weg nach Westen begeistert. In den belgischen Dörfern ist die Bevölkerung meistens geflohen. Die Kühe brüllen. Flüchtlingsscharen sind unterwegs. – Rot-Wasser, Ster und Francor-champs sind die nächsten Orte. Wir übernachten in unseren Fahrzeugen. Es ist kalt! 11.5. Nördlich von Stoumont werden wir von einem englischen Aufklärungsflieger überrascht; er schießt mit MG. Aber es gibt keine Verluste. Wir passieren die Orte Desnie und Johoster. Dort bekom-men wir das erste Artilleriefeuer; es gibt auch keine Verluste. Bald sind wir in Remouchamps. Ein Quartier finden wir in einem verlassenen Haus. Dann geht es weiter über Honchamps und Sprimont. Bei Poulseur gehen wir über die Ourthe. Dort erleben wir einen Fliegerangriff auf unseren Gefechts-troß. Uffz. Krauss, Obergefreiter Groß und Gefreiter Heckewald sind tot. Wir übernachten vor Hody im Freien. Die Nacht ist kalt. Schon 2 Tage lang haben wir kein warmes Essen mehr bekommen. – Und das war der Pfingstsonntag am 12. Mai 1940!

Malmédy Von Kalterherberg nach Malmédy

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13.5. In Hody ist morgens Beerdigung von Uffz. Bock von der 10. Kompanie unseres Regiments. Wir müssen jetzt nach Norden auf Lüttich und Seraing abdrehen. Unsere Stellung liegt zwischen der Ourthe und der Maas. Dann ist wieder Stellungswechsel zum Einmarsch vom Süden aus nach Lüttich. Die erste Granate schlägt ca. 30 m von uns ein. Wir übernachten im Freien vor Lüttich.

Remouchamps

Lüttich, eine wenig attraktive Industriestadt Zentrum von Lüttich

Boncelles

Vor Hody

Sprimont

Hier stand das Fort Boncelles

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14.5. Wir sind im Schloß Plainveau untergebracht. Franktireurs (das sind kämpfende Zivilisten, die keine

Uniform tragen und somit nicht unter den Schutz der Haager Landkriegsordnung fallen) werden vorbei geführt. Unser 3. Zug wird nachts beim Einmarsch auch durch Franktireurs angegriffen. 20 Zivilisten werden erschossen, davon 2 standrechtlich. Es geht weiter nach Boncelles, einem Fort. Dieses Fort hält sich noch. Wir übernachten in einem Haus neben der Kirche. 15.5. Den ganzen Tag über habe ich Bereitschaft vor Boncelles mit Sicherungsauftrag! Das Fort wehrt sich; es wird von Fliegern bombardiert. Unser 2. Zug, der mir unterstellt wird, liegt vor dem Fort. Leut-nant Dargel, Feldwebel (Fw) Löffler und Fw. Nadler werden durch Schrapnell verwundet. Abends set-zen wir uns nach Seraing am Maas-Ufer ab. Wieder steht der 2. Zug und unsere Pionierkompanie un-ter feindlichem Feuer. Gestern wurde ein weiterer Mann von unserer Aufklärungs-Abteilung (A.A. 251) durch Franktireurs erschossen. Wir übernachten in Athenée Royel. Seraing, Industrie-Stadt a.d. Maas (Internet-Foto) 16.5. Abmarsch nach Chat-Cheux. Dort finden wir unser Quartier in der Schule. Gerade haben wir uns eingerichtet, kommt Alarm. Wir rücken ab nach Boncelles, am zerstörten Fort vorbei. Dort waren Franktireurs-Kämpfe gewesen. In der Ortsmitte wurden ein Mann und eine Frau erschossen. Bei der Kirche standen ca. 50 gefangene Belgier, die sich im Fort tapfer gewehrt hatten. Ihr Kommandant, ein Oberst, wurde kurz vor der Übergabe getötet, ob durch Feindeinwirkung oder Selbstmord ist uns nicht bekannt. Jedenfalls ist er mit militärischen Ehren in Boncelles beerdigt worden. Um 10 Uhr kam der Befehl, der mir das Geschütz II/451 unterstellt. Ich muß zur Panzersicherung nach Avister abrücken. In der Küche eines nicht geflohenen Bauern habe ich dann gut geschlafen. 17.5. Gestern Abend sind durch die Wachposten 2 Belgier mit MG-Munition festgenommen worden. Sie werden gut behandelt, obwohl sie Zivilkleidung trugen. Wir haben sie aber nicht als Freischärler angesehen. Am Morgen war ich mit Hauptmann Schemp in Hony, einem Villenort an der Ourthe. Es ist unbegreiflich, daß die Belgier hier ihre gut ausgebauten Feldstellungen vor den Forts aufgegeben haben. Die Forts allerdings halten sich noch. Das 471. Infanterie-Regiment liegt davor, kommt aber nicht so gut voran wie wir. Hony liegt trostlos und verlassen da. Viele Häuser mußten auf Waffen durchsucht werden. Die Häuser sehen arg gerupft aus. Chateau St. Anna bei Avister, ein wunderbarer Herrensitz, ist verlassen. Mit Hauptmann Schemp habe ich das Haus durchsucht. Abends kam der Befehl zum Fertigmachen. Wir sollen nach Ranne in Marsch gesetzt werden. Aber der Abmarschbefehl kommt nicht. So haben wir in der Küche unseres „cultivateur“ ( „Landwirts“ ) noch einmal gut geschlafen. Die Tochter, eine dunkelhäutige Belgierin, erzählte mir, daß ihr ami (Freund) im Fort Eben Emael sei. Ob dieses Fort schon genommen ist, ist mir nicht bekannt. Aber sie ist offenbar nicht sehr beeindruckt davon oder läßt es sich nicht anmerken. Sie schäkert im Quartier mit den Landsern. 18.5. In Plainveaux wird unsere Kompanie zusammengezogen. Nachmittags müssen wir eine Stunde exerzieren. Danach bekommen wir eine Belobigung durch den Oberst. – Leutnant Hartmann wurde wegen Plünderns festgenommen.

Seny … … „unter den Linden“

Eingang des Forts Boncelles (Internet-Foto)

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19.5. In Plainveaux hatten wir Alarmquartier. Um 21.30 Uhr bin ich müde ins „Bett“ = Fußboden ge-fallen. Eine Stunde später kam schon der Alarm. Abmarsch im Kompanieverband nach Seny. Am Sonntagmorgen rasten wir dort vor der Kirche. Daß heute Sonntag ist, habe ich gar nicht wahrgenom-men. Den ganzen Tag über haben wir unter den Linden vor der Kirche im Sonnenschein gelegen und dabei der Heimat gedacht. Die Nachrichten über den Fortgang des Krieges sind überwältigend. Belgi-en ist schon so gut wie erledigt. 20.5. Die letzte Nacht haben wir auf Stroh in einem verlassenen Bauernhaus hier in Seny geschlafen. Wir warten ständig auf den Abmarsch. Wohin wird’s wohl gehen? Abends liegen wir immer noch hier. Am Nachmittag hatten wir unter „L‘s“ (Olt. Lesniewicz) Leitung ein stures, einfältiges Exerzieren, an dem außer L. niemand Freude haben kann. Jetzt ist auch klar, wa-rum sich unser Abmarsch verzögert. Die Straßen vor uns sind restlos verstopft. Zahlreiche Flüchtlinge mit ihren armseligen Bündeln Wäsche auf Kinderwagen oder ähnlichen Vehikeln tragen zur Verstop-fung bei. Sie kehren jetzt wieder nach Hause zurück. Wie mögen sie ihre Häuser vorfinden? Gegen 18 Uhr wurde ich zum Regiments-Kommandeur, Oberst v. Stülpnagel, gerufen, der sich bei unserer Kompanie aufhielt. Ich wurde von ihm zum Feldwebel befördert. Im Schloß von Seny feierten wir bei einem Glas Rotwein das Ereignis. Vor dem Schloß liegt ein großer Park im englischen Stil. Er ist wunderschön! Um 21Uhr kommt der Befehl zum Fertigmachen; gegen 22.30 Uhr rücken wir ab. Die ganze Division ist in Bewegung nach Süden. Unser Weg führt uns über Maffe, Méan nach Scy. Nachts erhielt ich den Auftrag, die Vormarschstraße zu sichern. Ich bin als Zugtruppführer dauernd unterwegs.

Schloß in Seny Herrensitz in Seny, jetzt militärisch genutzt

Maffe Nach Scy

In der Ferne Scy …

Haverzin

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21.5. Morgens um 7.30 Uhr fahren wir immer noch und ich habe keinen Augenblick Schlaf gehabt. Der Gesang der Nachtigallen, den ich zum ersten Mal gehört hatte, ging durch die Nacht, wenn einmal der Hufschlag der Pferde und das Motorengeräusch verstummt war. Um 10 Uhr treffen wir in Scy ein. Wir rasten in einem Schloßpark. Um 12 Uhr ist schon wieder Abmarsch. Marschroute: Pessoux, Haverzin, Mont Gauthier, Honolt Mesnil, Eglise, Wiesme. Die Fahrt geht durch eine wunderschöne Landschaft. Auffallend sind die vielen Schlösser und Parks. In der Ferne – südlich von uns – ziehen sich die Ardennen längs dahin. Ich muß ein liegengebliebenes Fahrzeug nachführen und verfranze mich. Kein Wunder bei diesem Durcheinander von Truppen, zumal, wenn man keine Karte hat. Bei Givet sind wir auf französischem Boden. Dort sollen wir heute Nacht über die Maas gesetzt werden. Vor Givet begegnen uns die ersten gefangenen Franzosen. Es sind schwarze, braune, langbärtige und alles Mögliche. Es ist sicherlich kein Vergnügen, sich mit denen herum schlagen zu müssen. Um 19 Uhr verlassen wir unsere Fahrzeuge, die dem I. Btl. unseres Regiments 451 nachfahren sollen. Wir marschieren zu Fuß nach Givet, bleiben aber diesseits (östlich) der Maas. Der Transport der Infanterie verzögert sich. Frierend bleiben wir bis 3 Uhr morgens vor Givet liegen. Feindliche Flieger wollen den Übergang über die Maas stören und werfen Bomben ab. Wir nehmen Fliegerdeckung und haben so keine Veruste. Ein feindlicher Flieger wird aus allen Rohren von der Flak, die 300 m hinter uns liegt, beschossen. Die Flugbahnen der Geschosse zeichnen sich deutlich am Himmel ab. Es ist ein tolles Feuerwerk. Unter dem Beifall aller Kompanie-Angehörigen trifft ein Flakgeschoß den linken Flügel. Brennend stürzt der Vogel ab. Nach 3 Uhr setzen wir über die Brücke.

Die Ardennen am Horizont

Givet am östlichen Ufer Givet, Maas-Brücke

Givet, Zentrum mit Rathaus Nismes

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Wir kommen nach Givet, einem schönen Städtchen im Maas-Tal. Die Artillerie hat böse gehaust. In der Hauptstraße steht kaum ein Haus unversehrt. Von den meisten Häusern stehen nur noch die Grundmauern. Wir fahren weiter und kommen todmüde gegen 6 Uhr in Nismes an. 22.5. Wir halten Rast in Nismes bis 19.30 Uhr; dann ist Abmarsch. Kurz vor Abmarsch kommt endlich Post. Irene schickt 4 Briefe, der älteste ist vom 1.5., der jüngste vom 15. Mai. – Die Fahrzeuge sollen den Infanteristen nachfolgen. Wir sollen 30 km zu Fuß marschieren – immer nach Westen Richtung Frankreich über Nismes, Petigny, Couvin, Peche, Gonrieux, Baileux, Forges, Seloignes, La-Capelle-en-Thierache: Ich wollt‘, ich wäre erst da. Meine Füße sind jetzt schon wund. 23.5. Gott sei Dank! Wir sind angekommen; aber wie! Es waren wohl 40 km, die wir heute Nacht mar-schiert sind. Alles ist fußkrank. In Couvin trafen wir unseren Divisions-Kommandeur, Generalleutnant Kratzert. Er unterhielt sich mit uns und erklärte uns die Gründe des so schnellen Vormarsches. Wir müssen helfen, eine englisch-französische Armee zu umklammern. Um 16 Uhr ist wieder Abmarsch nach La Flamengrie über die Aisne. Überall treffen wir auf Zerstörun-gen. Kaum ein Haus ist unversehrt. Die Maginot-Linie – der „Westwall“ der Franzosen – ist über-schritten. Die Befestigungen sind jetzt nur noch Trümmerhaufen. 24.5. Die letzte Nacht habe ich bis morgens 9 Uhr gut im Wagen geschlafen. Das tut gut! Um 12 Uhr ist Abmarsch über La Capelle, Buironfosse, Maison des 3 Pigeons, nach Le Grand Verli, d. h. immer nach Westen in Richtung Cambrai. Scharen von Flüchtlingen machen einen erbärmlichen Eindruck. Hinter La Chapelle begegnet uns ein langer Zug von Gefangenen, darunter die ersten hochge-wachsenen Engländer. Die Uniformen sind jämmerlich und uneinheitlich.

Nismes, ein Paradies für Wanderer

Petigny

Couvin

Baileux

Forges La Capelle

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Rast halten wir in dem Dorf Le Grand Verli. Wir liegen in einer Schule, die gleichzeitig Bürgermeister-amt ist. Eine Granate hat das Haus beschädigt. Trotzdem können wir nachts ganz gut im Schlafzim-mer des Bürgermeisters schlafen. Feindliche Flieger, die einen nahe liegenden Flugplatz angreifen wollen, werden durch unsere Flak abgedrängt. – Abends haben wir einen Weinkeller entdeckt. 25.5. Wir bekommen den Auftrag, die Flanke voraus marschierender Einheiten zu sichern und kom-men über Grougis, Seboncourt, Fresnoy le Grand, Montbrehain, Fannicourt, Ioncourt, Estrées, Mt. St. Martin, Bony, nach Ronssay. Es geht der Somme entgegen. Gestern Abend brachten die Radionach-richten, daß Manbeuge und die Lorettohöhen genommen sind. Erinnerungen an den 1. Weltkrieg werden wach. 26. September 2015 Auf unserem Weg nach Westen suchen wir auf der rechten Straßenseite den Ort Le Grand Verli, finden weder ihn noch einen entsprechenden Wegweiser. Allerdings sehen wir Masten mit weiß-rotem Farbanstrich, die auf einen Flugplatz hinweisen. Wir müssen doch ganz in der Nähe von Grand Verli sein! In Grougis kommt ein Wegweiser nach Petit Verly. Diesem Weg folgen wir; rechts die Sendemasten vom Flugplatz. Nach wenigen km kommen wir nach Petit Verly. Elke fragt nach Le Grand Verli. Freundliche Franzosen versuchen uns zu helfen. Wir finden unser Ziel aber nicht, da unser Navi den eingegebenen, nicht korrekt mi y geschriebene Ortsnamen nicht kannte.

Les Trois Pigeons

Immer nach Westen in Richtung Cambrai …

Schulhaus von Grand Verly (Internet-Foto)

… über Grougis

Buironfosse

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Wir folgen der „10 t –Straße“ und befinden uns sicherlich in dem Gebiet, durch das die Kompanie meines Vaters damals gezogen ist. Erst zu Hause fanden wir bei „Google maps“ Grand Verly und das Foto von Schule und Bürgermeisteramt (s. vorherige Seite), in dem die 14. Kompanie vor 74 Jahren übernachtet hatte. Diesen ereignisreichen Tag und das Ende unserer Reise auf Vaters Spuren „feierten“ wir in einem Restaurant in Beaurain, in dem wir tags zuvor ein Menü mit einer großen Forelle nach Müllerinart gehabt hatten. An diesem Abend suchten wir uns ein Fleischgericht von belgischen Rindern aus, die überall auf den Weiden der welligen Landschaft grasten. Es ist nur gut, dass ich ein fertig gegrilltes 400 gr-Steak bestellt hatte, und nicht Steak Barbecue, denn sonst hätte ich selbst am Tisch grillen müssen, der für den Holzkohlen-Grill eine abgedeckte Halterung hat. Ein Rauchabzug mit integrierter Tischbeleuch-tung darüber sorgt für gute Luft im Lokal. Natürlich gab es an beiden Abenden belgisches Bier und belgische Pommes, die sehr gut schmeckten.

Petit Verly In Petit Verly

Petit Verly, Kirche und Bügermeisteramt

Mai 1940: Fw. R. Maurer im Beiwagen

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Am Sonntag, den 27. September, haben wir auf unserer Rückreise noch das Städtchen Dinant besucht, denn dort hatte der Divisionskommandeur, General-Major Rommel, am Morgen des 14. Mai 1940 mit seinen 250 Panzern nördlich von Dinant auf einer Ponton-Brücke die Maas überquert und Vaters 251. ID sollte diesen Panzertruppen im Abstand folgen, was auch geschah. In Dinant wurde der Saxophon-Erfinder, Adolphe Sax, geboren. Deshalb ziert dieses Musikinstrument neben den Fahnen der EU-Länder die große Brücke über die Maas. Eine Statue des französischen Offiziers Charles de Gaulle am Maas-Ufer erinnerte an seine Militärzeit hier im 1. Weltkrieg. Und hoch über der Maas dominiert die Festung von Dinant. Eine Besichtigung dieser Anlage ersparten wir uns, hörten uns aber noch einen Choral in der Stadtkirche an und machten uns dann auf den Heimweg über Aachen, Köln und Frankfurt. Um 17 Uhr waren wir auf unserem Grundstück in Heßdorf, wo Elke noch etwas fürs Abendessen erntete und ich zum Aufknacken beim abendlichen Fernsehen reife Nüsse unter unserem Walnussbaum auf-sammelte. © 08.12.2015; Karl-Wilhelm Maurer, Mayr-Nusser-Weg 6, D 91058 Erlangen