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480 I DISSERTATION Forschung & Lehre 6113 Die kumulative Dissertation Problemfelder I GER 11A R D WIE G LEB Im Jahr 2007 gab es an zwölf Prozent der deutschen Universitäten Promotionsordnungen, die eine kumulative Promotion explizit erlaubten, Inzwischen dürfte dieser Prozentsatz höher sein, Aus der kumulativen Dissertation ergeben sich wissenschaftliche, ethische und rechtliche Probleme, die bei der klassischen Monographie nicht so augenfällig sind, D as Einholen von externer Ex- pertise ist unbedingt wün- schenswert Auch wissen- schaftlich begründete Meinungsver- schiedenheiten mit externen Betreuern von Dissertationen können unabhängig vom Typus positive Auswirkungen ha- ben, An einigen Universitä- ten ist es neuerdings üblich, sich bei kumulativen Dis er- tationen der Mithilfe von ex- ternen Betreuerinnen, ge- trennt für verschiedene Pu- blikationen, zu versichern. Strategisch neu daran ist, dass der Kan- didat so durch geeignete Auswahl von externen Betreuern potentielle Referees seiner Publikationen neutralisieren kann. Diese wären befangen und müss- ten die Begutachtung auch anderer Pa- pers des gleichen Kandidaten ablehnen. Die Aufrechterhaltung des Informati- onsflusses zwischen den Beteiligten liegt in der Verantwortung des Kandida- ten. Unkenntnis auf Seiten des externen Betreuers über die Struktur des Projek- tes kann zu Erschleichung von Betreu- ungsleistungen (Quersubvention zwi- » Allen Beteiligten muss bekannt sein, wer an einem kumulativen Dissertationsproj ekt mitarbeitet und in welcher Funktion.« Informationspflicht Neben den Erst- und Zweitbetreuern werden vielerorts weitere Betreuer oder Betreuergruppen von den Promotions- ausschüssen eingesetzt, dazu kommen noch die externen Betreuer. Allen Be- teiligen muss bekannt sein, wer an ei- nem kumulativen Dissertationsprojekt mitarbeitet und in welcher Funktion. sehen den einzelnen Papers) führen, so dass ein Betreuer an einem Paper mitar- beitet, von dessen thematischer Aus- richtung oder Existenz er nichts weiß. Geeignete Sanktionen sind in den Pro- motionsordnungen oder in Ausfüh- rungsbestimmungen festzulegen. Unter- suchungen sollten von Amts wegen ein- geleitet werden. Der externe Betreuer kann dies nicht veranlassen, sondern muss sich auf die Selbstreinigungskräfte des Systems verlassen. Autorschaft Autorenkollektive von vier bis sechs Personen sind mittlerweile keine Sel- tenheit. Der genaue Anteil der einzel- Prof. Dr. Gerhard Wiegleb leitet den Lehrstuhl Allgemeine Ökologie an der Fakultät für Umweltwissenschaften und Verfahrenstechnik der BrandenburgischenTechni- schen Universität Cottbus. Er befasst sich mit Biodiversität und Dynamik von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen sowie gelegentlich hochschul- politischen Themen. J nen Beiträge kann kaum exakt festge- stellt werden ist jedoch bei Einreichung der Dissertation anzugeben. Unabhän- gig von den strafrechtlichen Folgen könnten Falschangaben später zur Ab- erkennung des Doktorgrades führen. Kleinliches Geschachere um Koautor- schaft und die Reihenfolge der Autoren ist unstatthaft, aber wohl nicht selten. Wenn es zum Streit um die Autorschaft kommt, ist der Erstbetreuer in seiner Rolle als Moderator, der gleichzeitig Koautor und Prüfer im Verfahren ist, überfordert. Hier muss eine neutrale Person nach Darlegung de Sachverhal- tes entscheiden. Die verbreitete Koau- torschaft von Erstbetreuern ist fragwür- dig, da Geldeinwerbung alleine keine Autorschaft begründet. Zudem tritt ein Interessenskonflikt bei der Personaluni- on von Autor der Publikation und Be- werter der Publikation als Teil der Pro- motionsleistung auf. Eine gemeinsame spätere Publikation von Teilen einer Monographie ist hingegen völlig pro- blemlos. Qualitätssicherung Die kumulative Promotion ist weder schneller noch besser als die Monogra- phie. Voreilig herausgegebene Papers können zu langwierigen Begutach- tungsverfahren führen. Für die Publika- tion muss ein gewisser Mindeststandard erfüllt sein, der vom jeweiligen Journal festgelegt wird. Es handelt sich nicht um eine vorgezogene externe Qualitätskon- trolle, wie oft vermutet wird. In Peer- Review-Verfahren werden regelmäßig grobe Fehler übersehen. Peer-Reviewer kapitulieren gern vor hartnäckigen Au- toren. Bei einer Monographie hat man nochmal Zeit, innezuhalten und alles im Zusammenhang zu betrachten. Wo endet die Verantwortung eines Koau- tors, wenn er sich gegen den Hauptau-

Problemfelder J...Die otenge-bung muss sich an disziplinären Gepflo-genheiten und akademischen Standards orientieren. Fraglich bleibt, was schluss-endlich benotet wird, wenn in- und

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Page 1: Problemfelder J...Die otenge-bung muss sich an disziplinären Gepflo-genheiten und akademischen Standards orientieren. Fraglich bleibt, was schluss-endlich benotet wird, wenn in- und

480 I DISSERTATION Forschung & Lehre 6113

Die kumulative DissertationProblemfelder

I GER 11A R D WIE G LEB Im Jahr 2007 gab es anzwölf Prozent der deutschen Universitäten Promotionsordnungen, die einekumulative Promotion explizit erlaubten, Inzwischen dürfte dieser Prozentsatzhöher sein, Aus der kumulativen Dissertation ergeben sich wissenschaftliche,ethische und rechtliche Probleme, die bei der klassischen Monographie nicht soaugenfällig sind,

Das Einholen von externer Ex-pertise ist unbedingt wün-schenswert Auch wissen-

schaftlich begründete Meinungsver-schiedenheiten mit externen Betreuernvon Dissertationen können unabhängigvom Typus positive Auswirkungen ha-ben, An einigen Universitä-ten ist es neuerdings üblich,sich bei kumulativen Dis er-tationen der Mithilfe von ex-ternen Betreuerinnen, ge-trennt für verschiedene Pu-blikationen, zu versichern.Strategisch neu daran ist, dass der Kan-didat so durch geeignete Auswahl vonexternen Betreuern potentielle Refereesseiner Publikationen neutralisierenkann. Diese wären befangen und müss-ten die Begutachtung auch anderer Pa-pers des gleichen Kandidaten ablehnen.

Die Aufrechterhaltung des Informati-onsflusses zwischen den Beteiligtenliegt in der Verantwortung des Kandida-ten. Unkenntnis auf Seiten des externenBetreuers über die Struktur des Projek-tes kann zu Erschleichung von Betreu-ungsleistungen (Quersubvention zwi-

»Allen Beteiligten muss bekanntsein, wer an einem kumulativenDissertationsproj ekt mitarbeitetund in welcher Funktion.«

InformationspflichtNeben den Erst- und Zweitbetreuernwerden vielerorts weitere Betreuer oderBetreuergruppen von den Promotions-ausschüssen eingesetzt, dazu kommennoch die externen Betreuer. Allen Be-teiligen muss bekannt sein, wer an ei-nem kumulativen Dissertationsprojektmitarbeitet und in welcher Funktion.

sehen den einzelnen Papers) führen, sodass ein Betreuer an einem Paper mitar-beitet, von dessen thematischer Aus-richtung oder Existenz er nichts weiß.Geeignete Sanktionen sind in den Pro-motionsordnungen oder in Ausfüh-rungsbestimmungen festzulegen. Unter-suchungen sollten von Amts wegen ein-geleitet werden. Der externe Betreuerkann dies nicht veranlassen, sondernmuss sich auf die Selbstreinigungskräftedes Systems verlassen.

AutorschaftAutorenkollektive von vier bis sechsPersonen sind mittlerweile keine Sel-tenheit. Der genaue Anteil der einzel-

Prof. Dr. Gerhard Wiegleb leitet den Lehrstuhl Allgemeine Ökologie an der Fakultätfür Umweltwissenschaften und Verfahrenstechnik der BrandenburgischenTechni-schen Universität Cottbus. Er befasst sich mit Biodiversität und Dynamik vonaquatischen und terrestrischen Ökosystemen sowie gelegentlich hochschul-politischen Themen.

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nen Beiträge kann kaum exakt festge-stellt werden ist jedoch bei Einreichungder Dissertation anzugeben. Unabhän-gig von den strafrechtlichen Folgenkönnten Falschangaben später zur Ab-erkennung des Doktorgrades führen.Kleinliches Geschachere um Koautor-schaft und die Reihenfolge der Autorenist unstatthaft, aber wohl nicht selten.Wenn es zum Streit um die Autorschaftkommt, ist der Erstbetreuer in seinerRolle als Moderator, der gleichzeitigKoautor und Prüfer im Verfahren ist,überfordert. Hier muss eine neutralePerson nach Darlegung de Sachverhal-tes entscheiden. Die verbreitete Koau-torschaft von Erstbetreuern ist fragwür-dig, da Geldeinwerbung alleine keineAutorschaft begründet. Zudem tritt einInteressenskonflikt bei der Personaluni-on von Autor der Publikation und Be-werter der Publikation als Teil der Pro-motionsleistung auf. Eine gemeinsamespätere Publikation von Teilen einerMonographie ist hingegen völlig pro-blemlos.

QualitätssicherungDie kumulative Promotion ist wederschneller noch besser als die Monogra-phie. Voreilig herausgegebene Paperskönnen zu langwierigen Begutach-tungsverfahren führen. Für die Publika-tion muss ein gewisser Mindeststandarderfüllt sein, der vom jeweiligen Journalfestgelegt wird. Es handelt sich nicht umeine vorgezogene externe Qualitätskon-trolle, wie oft vermutet wird. In Peer-Review-Verfahren werden regelmäßiggrobe Fehler übersehen. Peer-Reviewerkapitulieren gern vor hartnäckigen Au-toren. Bei einer Monographie hat mannochmal Zeit, innezuhalten und allesim Zusammenhang zu betrachten. Woendet die Verantwortung eines Koau-tors, wenn er sich gegen den Hauptau-

Page 2: Problemfelder J...Die otenge-bung muss sich an disziplinären Gepflo-genheiten und akademischen Standards orientieren. Fraglich bleibt, was schluss-endlich benotet wird, wenn in- und

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tor nicht durchsetzen kann und die Re-viewer offenkundige Mängel nicht be-merken? Da hilft dann nur der Aus-stieg, auch wenn man vorher viel Zeitinvestiert hat. Die Bewertung der Pro-motionsleistung müssen weiterhin dieGutachter und Prüfer im Promotions-Verfahren vornehmen. Die otenge-bung muss sich an disziplinären Gepflo-genheiten und akademischen Standardsorientieren. Fraglich bleibt, was schluss-endlich benotet wird, wenn in- und ex-terne Betreuer, Koautoren und Revie-wer zu einem kumulativen Paper beige-tragen haben.

Wahrung von SchutzrechtenWurde einem externen Betreuer auf-grund der Bereitstellung von Altdatendie Koautorschaft angeboten und vondiesem akzeptiert, kommt ein Vertragzustande, der einzuhalten ist. Die Ver-wendung von nicht publizierten Dateni tein fachspezifisches Problem. Wennneben dem Hauptautor weitere Mitauto-ren beteiligt sind, verliert sich der per-önliche Bezug. Vertragliche Regelungen

sind nötig, nicht nur für die Verwendung

für gemeinsame Publikationen, ondernauch für Vorträge, Präsentationen, Pos-ters, Zwischenberichte owie euanträ-ge von Forschungsvorhaben. Die Bereit-stellung von Altdaten alleine rechtfertigtnoch keine Koautor chaft, was in derRegel auch nicht intendiert ist. Wenn dieAltdaten nicht direkt beim Autor, jedochredlich, erworben sind, können sie ohneweiteres publiziert werden. Es gilt die ur-heberrechtlich korrekte Zitierpflicht, wo-

medien usw. bestehen Möglichkeiten desInformationsaustausches. die vor 20 Jah-ren undenkbar gewesen wären. Wederdie Wissenschaftler noch der Wissen-schaftsbetrieb haben sich darauf ausrei-chend eingestellt. Möglicherweise gehtvon dieser unkontrolIierten Offenheit ei-ne größere Gefahr aus als vom gewöhn-lichen Plagiarismus. Abstrakte Regelnkönnen weder dem Kandidaten nochden Betreuern die Letztverantwortung

für ihr wissenschaftlichesHandeln abnehmen. Dassdie Einsetzung von Aus-schüssen, insbesondere instrukturierten Doktoran-

denprograrnmen, zu mehr Qualitätskon-trolle führt, darf man getrost bezweifeln.Man kann eher von Verantwortungsdis-sipation sprechen. Letztlich kann nurdurch gegenseitiges Vertrauen gewähr-leistet werden, dass die Promotion stö-rungsfrei abläuft und zum gewünschtenhochwertigen Ergebnis führt. Insofern istder Forderung, dass die Promotionsprak-tiken der Universitäten insgesamt .aufden Prüfstand" gehören, vorbehaltlos zu-zustimmen.

»Peer- Reviewer 1apitulieren gernvor hartnäckigen Autoren.«

bei aber im Rahmen der guten wissen-schaftlichen Praxis eine Informations-pflicht aller Mitautoren von Altdaten be-steht. Wird die Informationspflicht ver-letzt, muss geprüft werden, ob Sanktio-nen oder Kompensationen angemessensind.

Promotionspraktiken gehören"auf den Prüfstand"

Durch Datenbanken, Forschungsver-bünde, elektronische Kommunikations-

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