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Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: King‘s College London 26./27. März Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)

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Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin

Anglo-German Law Programme: King‘s College London 26./27. März

Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)

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§ 1 Überblick über die gesetzliche Regelung

§ 812 enthält insgesamt vier Anspruchsgrundlagen:

Nicht-Leistungskondiktion§ 812 I 1 F 2

Leistungskondiktion

Leistung ohneRechtsgrund§ 812 I 1 F 1

Bsp.: nichtiger Vertrag

BesondereFormen

Eingriffs-Kondiktion

Bsp.: Verbrauch fremden Vermögens

Sonder-fälle

§ 812 I 2, Fall 1Wegfall des

rechtlichen GrundesBsp.: auflösend

bedingter Vertrag

§ 812 I 2, Fall 2Nichteintritt eines

bezweckten ErfolgesBsp.: Leistung, um

Strafanzeige abzuwenden

Verwendungs-kondiktion

Bsp.: Reparaturfremder Sachen

Rückgriffs-Kondiktion

Bsp.: Bezahlung fremder Schulden

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§ 2 Die Leistungskondiktion (1)

§ 2 Die Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Fall 1)

I. Das Erlangte gem. § § 812 I

Bereicherungsschuldner muss herausgeben, was er rechtsgrundlos „erlangt“ hat

Daher ist das Erlangte genau zu bestimmen

Beispiel 1: A verkauft und übereignet ein Buch an B. Kaufvertrag wegen Dissenses nichtig.

Erlangt hat B Eigentum und Besitz am Buch; er muss daher das Buch rückübereignen (§ 812 I 1, Fall 1).

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§ 2 Die Leistungskondiktion (2)

Beispiel 2: der geisteskranke A verkauft und übereignet ein Grundstück an B.

B hat nicht Eigentum erlangt (dies würde eine wirksame Übereignung voraussetzen)

Erlangt hat B vielmehr Besitz an dem Grundstück und gegebenenfalls eine Eintragung ins Grundbuch.

Rechtsfolge: B muss Besitz (insbesondere auch Hausschlüssel) und Buchposition zurückgeben

Rückgabe Buchposition: Erteilung einer Eintragungsbewilligung (§ 29 GBO) für den Bereicherungsgläubiger A

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Fall 1: Parkplatzfall

Rathausmarkt

Stadt Hamburg

parkgeldpflichtig und bewacht

U A („kein Entgelt“)

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Fall 1: Parkplatzfall (1)

Fall 1: Parkplatzfall

Anspruch U gegen A auf Bezahlung der Parkplatzgebühren

I. §§ 535, 611, 612 BGB: kombinierter Miet- und Dienstvertrag

Keine übereinstimmenden Willenserklärungen; A will keinen Vertrag, keine Bewachung und kein Entgelt entrichten.

Berliner U-Bahnfahrer: T-Shirt mit Aufschrift: „Schwarzfahrer“

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Fall 1: Parkplatzfall (2)

II. Ausweg:

Lehre vom sozialtypischen Verhalten (Haupt, 1941; Larenz bis zur 6. Aufl.)

1. Zustandekommen des Vertrages nicht nur durch übereinstimmende Willenserklärungen, sondern auch durch sozialtypisches Verhalten (=tatsächliche Inanspruchnahme einer angebotenen entgeltlichen Leistung).

Begründung: BGB angeblich zu individualistisch; Bedürfnisse des modernen Massenverkehrs.

BGHZ 21, 319, 333 ff. folgte der Lehre im ParkplatzfallFolge: A musste Parkgebühren zahlen.

2. Bedenken: Lehre verstößt gegen das Prinzip der Privatautonomie.

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Fall 1: Parkplatzfall (3)

III. § 823 I BGB?

1. Rechtsgut:

a) Eigentum: U nicht Eigentümer des Platzes

b) Besitz: § 823 I schützt auch (berechtigten) Besitzer; Besitzstörung: unbefugtes Parken (+)

2. Rechtswidrigkeit, Schuld: (+)

3. Rechtsfolge: Schadensersatz (§ 249 I); Grundsatz: Naturalrestitution: wie stünde U ohne Pflichtverletzung des A?

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Fall 1: Parkplatzfall (4)

a) Vertragsschluss als pflichtgemäßes Verhalten? A nicht zum Vertragsschluss bereit und auch nicht verpflichtet (-)

b) Vermögensschaden nur, wenn U einen anderen Kunden, der zahlungswillig gewesen wäre, abgewiesen hätte.

Denkbar, wenn Parkplatz restlos überfüllt war, aber eben nur dann!

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Fall 1: Parkplatzfall (5)

IV. Bereicherungsrechtlicher Anspruch: § 812 Abs. 1 S. 1, Fall 2 BGB

1. Etwas erlangt:

a) Vom BGH nicht sauber geprüft: „Aufwendungsersparnis“

BGH lehnte Kondiktion ab, weil es schwierig sei, Aufwendungsersparnis des A zu berechnen (wie viel Benzin benötigt A für Parkplatzsuche?).

b) Besser: erlangt hat A nicht Aufwendungsersparnis, sondern Nutzung des Parkplatzes.

2. Nutzung kann zwar nicht herausgegeben werden, aber gem. § 818 Abs. 2 BGB schuldet A dann Wertersatz (= übliche Vergütung).

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Fall 1: Parkplatzfall (6)

3. Wegfall der Bereicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB?

A war bösgläubig, haftet verschärft gemäß § 819 Abs. 1 BGB und darf sich daher nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen.

Ergebnis: A haftet gem. §§ 812, 818, 819 Abs. 1 BGB und muss die übliche Vergütung zahlen.

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen

V 433, 929 (50.000.-) K

104

433, 929 (55.000.-)

D

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (1)

II. Der Leistungsbegriff

Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen

Ausgangsfall: V war geisteskrank (§ 104)

A. Ansprüche V/D gem. § 985:

Voraussetzung ist, dass V = Eigentümer ist. Ursprünglich war V Eigentümer (§ 1006).

I. Eigentumsverlust durch Veräußerung V/K? ( - ), §§ 929, 104, 105 I BGB.

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (2)

II. Eigentumsverlust durch Veräußerung K/D? § 929 BGB:

1. Einigung ( + )

2. Übergabe ( + )

3. Berechtigung: fehlt, aber gem. §§ 929, 932 BGB gutgläubiger Erwerb des D.

Grund: Verkehrsschutz.

Ergebnis: V hat Eigentum an D verloren.

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (3)

B. Bereicherungsansprüche

§ 812 I 1, Fall 1 oder Fall 2 V/D

I. Etwas erlangt: D hat Eigentum und Besitz am Porsche erlangt.

II. Durch Leistung oder in sonstiger Weise?

1. Eigentumserwerb des D geschah durch Leistung des K, nicht durch Leistung des V.

2. Durchgriffskondiktion V gegen D?

a) H.M. lehnt ab, da D aufgrund des gutgläubigen Erwerbs einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen hat.

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (4)

b) BGH lehnt eine Durchgriffskondiktion ebenfalls ab.

arg.: Rückabwicklung grds. nur innerhalb der Leistungsbeziehungen (Vertragspartner ausgesucht; jeder trägt Insolvenzrisiko des jeweiligen Vertragspartners, nicht das von Dritten)

Prinzip vom Vorrang der Leistung schließt Durchgriffskondiktion aus.

Verbot der Durchgriffskondiktion folgt auch aus § 816 I 1 und 2 BGB

Verfügt ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand in der Weise, dass die Verfügung gegenüber dem Berechtigten wirksam war, dann schuldet der Verfügende K (nicht der Empfänger D!) Herausgabe des Erlangten (§ 816 I 1: 55.000.- Euro)

Empfänger D haftet nur, wenn er unentgeltlich erworben hat (§ 816 I 2 BGB); unentgeltlicher Erwerb weniger schutzwürdig (vgl. auch § 822 BGB).

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (5)

Variante 2: Wie ist die Rechtslage, wenn nur Kaufvertrag V- K wegen Dissenses (§ 154) nichtig ist?

1. Kondiktion V – K (= Vertragspartner); §§ 812 I 1, 818 II.

2. Keine Durchgriffskondiktion V/D

Mängel im Verhältnis V/K gehen D nichts an; D haftet nur, wenn er unentgeltlich erworben hat und K deswegen nicht mehr bereichert ist (§ 822 BGB).

Vergleich zum Ausgangsfall: Selbst bei nichtiger Übereignung besteht keine Direktkondiktion wegen der Wertungen der §§ 816 I, 932 BGB.

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (6)

Variante 3: Sog. Doppelmangel:

a) Kondiktion im Verhältnis V/K und K/D

b) Kondiktion der Kondiktion?

aa) K ist im Ergebnis nur um seinen Bereicherungsanspruch gegen D bereichert!

bb) Dennoch nach h.M. Haftung des K auf Wertersatz; dieser darf sich nicht auf den Wegfall seiner Bereicherung berufen.

arg.: Kondiktion der Kondiktion würde die Nachteile für V kumulieren; er hätte sowohl Einwendungen des K, als auch die des D gegen sich, und trüge das doppelte Insolvenzrisiko.

Ergebnis: V – K §§ 812 I 1, F. 1, 818 II (+)

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Variante 4: abgekürzte Lieferung

V 433, 929 (50.000.-) K

104

Direktlieferung 433, 929 (55.000.-)

D

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (7)

Variante 4: Wenn K den V gebeten hat, den Porsche direkt an D zu liefern (sog. abgekürzte Lieferung), stellt sich die Frage, ob eine Leistung V/D vorliegt?

1. Bei beweglichen Sachen: Keine Übereignung V/D, sondern zwei Übereignungen entlang der Kausalketten V/K und K/D.

§ 929 verlangt „Übergabe“.

H.M.: Übergabe an eine sog. „Geheißperson“ genügt.

a) Bei der Übereignung V/K ist D Geheißperson für K.b) Bei der Übereignung K/D ist V die Geheißperson für K.

Da die Übereignung entlang den Kausalverhältnissen verläuft, wird ebenfalls entlang der Kausalverhältnisse geleistet i.S.v. § 812.

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Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (8)

2. Bei der Übereignung von Grundstücken:

Kondiktion verläuft auch hier innerhalb der defekten Kausalverhältnisse; erforderlich ist dann Zwischeneintragung des K

C. Gesamtergebnisse:

I. Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung sind die Wertungen des Sachenrechts zu beachten (§§ 816, 822, 932 ff. BGB).

II. Kondiktion erfolgt grundsätzlich innerhalb der defekten Kausal-verhältnisse, es findet kein Durchgriff statt.

III. Insolvenz- und Einwendungsrisiken bestehen immer nur bezüglich des jeweiligen Vertragspartners

IV. Leistungsempfänger ist von Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis zu Dritten geschützt.

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§ 2 Die Leistungskondiktion (3)

III. Die Leistungskondiktionen gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB

1. § 812 I 2, Fall 1: condictio ob causam finitam

a) Voraussetzung: späterer Wegfall des rechtlichen Grundes

b) Bsp.:

(aa) Eintritt einer auflösenden Bedingung, Vertragsaufhebung oder vorzeitige Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses

(bb) nicht Anfechtung gem. §§ 119 ff.; arg. § 142 I Nichtigkeit der angefochtenen WE ex tunc ( = § 812 I 1 Fall 1; str.; a.A. vertretbar).

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§ 2 Die Leistungskondiktion (4)

2. § 812 I 2, Fall 2: Nichteintritt mit der Leistung bezweckten des Erfolges (sog. „condictio ob rem“ oder „causa data, causa non secuta“)

a) Voraussetzung: Nichteintritt eines mit der Leistung bezweckten Erfolges

„Erfolg“: nicht der Erfolg, der durch Erfüllung einer Verbindlichkeit angestrebt wird (solvendi causa); dieser Fall wird bereits von § 812 I 1 Fall 1 erfasst.

§ 812 I 2 Fall 2 meint nur solche Erfolge, auf die der Leistungsempfänger keinen erzwingbaren Anspruch hat.

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§ 2 Die Leistungskondiktion (5)

b) Beispiel: untreuer Geschäftsführer gibt gegenüber Gesellschaftern Schuldanerkenntnis ab, um diese von einer Strafanzeige abzuhalten. Ges.ter 780 Gf

812 I 2 F 2Falls diese dennoch Strafanzeige erstatten, kann er sein Schuldanerkenntnis gem. § 812 I 2 Fall 2 zurückfordern.

Erfolg (Nichtanzeige der Straftat) kann nicht Gegenstand eines wirksamen Rechtsgeschäfts sein (§ 134)

arg.: Rechtsgeschäft verstieße gegen gesetzliches Verbot - § 258 StGB.

c) Bsp. 2 – Schwarzkauf (dazu Fall 3):

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Schwarzkauf – Fall 3

V 433, 311b (100.000.-€) K

150.000.-

812 I 2 F 2

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Schwarzkauf – Fall 3 (1)

I. Anspruch K gegen V aus § 812 I 1, Fall 1 BGB

1. Etwas erlangt: Eigentum und Besitz am Geld 150.000 € (oder Gutschrift)

2. durch Leistung: bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens (+)

a) Leistungszweck § 812 I 1, Fall 1 BGB: Erfüllung einer Verbindlichkeit?

Wird ein unwirksamer Vertrag erfüllt, hat Leistender i.d.R. Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 BGB

Wenn Leistender weiß, dass noch keine Verbindlichkeit bestanden hat, ist § 812 I 1 F 1 nicht interessengerecht.

Grund: Leistungskondiktion gem. § 812 I 1 Fall 1 wegen § 814 ausgeschlossen.

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Schwarzkauf – Fall 3 (2)

b) Leistungszweck § 812 I 2 Fall 2

Leistung bezweckt einen bestimmten Erfolg, der nicht Gegenstand einer erfüllbaren vertraglichen Verpflichtung sein kann: Erwerb des Eigentums

aa) Wirksamer Kaufvertrag über 150.000.- (§ 433)?

(1) Einigung über Parteien, Gegenstand und Kaufpreis (150.000 €)

(2) Form: Kaufvertrag über Grundstück bedarf der notariellen Beurkundung (§ 311 b I Satz 1).

Kaufvertrag bei „Schwarzkauf“ nicht wirksam

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Schwarzkauf – Fall 3 (3)

bb) Wirksamkeit des Kaufvertrages bei Schwarzbeurkundung

(1) Beurkundet waren 100.000 € als Kaufpreis.

Dieser beurkundete Preis ist freilich nicht gewollt (§ 117 I), sondern als Scheingeschäft nichtig.

(2) Gewollt ist Kaufpreis in Höhe von 150.000 €.

Dieser Preis ist aber nicht beurkundet worden (§ 311 b I Satz 1); gem. § 117 II BGB ist das verdeckte Rechtsgeschäft nur wirksam, wenn dessen Voraussetzungen im vollen Umfang erfüllt sind.

(3) „falsa demonstratio“?

schadet zwar nicht bei versehentlicher Falschbezeichnung (Parzellenverwechslung), wohl aber bei einer absichtlichen Falschbeurkundung.

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Schwarzkauf – Fall 3 (4)

cc) Mangel heilbar, wenn Erwerber als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wird (§ 311 b I Satz 2).

Wegen der Heilungsmöglichkeit wird nun angenommen, dass der Zweck der Leistung nicht in der Erfüllung einer nichtigen Verbindlichkeit besteht, sondern darin, den Gegner zu veranlassen, die Voraussetzungen für die Heilung herbeizuführen (Mitwirkung bei Auflassung und Eintragung).

Auf diesen Erfolg (Heilung) besteht wegen § 311 b I Satz 1 kein Anspruch.

3. Erfolg iSd § 812 I 2 F 2 nicht eingetreten: V weigert sich, Grundstück aufzulassen

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Schwarzkauf – Fall 3 (5)

4. Ausschlussgrund:

a) § 814: gilt nur für Leistungskondiktion (§ 812 I 1 F 1)

b) § 815 BGB

aa) Anwendbar: Kondiktion wegen Nichteintritt des bezweckten Erfolges (§ 812 I 2 Fall 2)

bb) § 815 Fall 1: der Leistende hat gewusst, dass der Erfolgseintritt von Anfang an unmöglich war (-)

cc) § 815 Fall 2: der Leistende hat den Eintritt des Erfolges wider Treu und Glauben verhindert.

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Schwarzkauf – Fall 3 (6)

(1) Berufung auf den Formmangel nur unter besonderen Umständen treuwidrig

Grund: sonst Aushöhlung der Form über § 242 BGB

(2) Fallgruppen: - arglistige Täuschung über die Form oder- Veranlassen eines Formmangels durch schuldhaftes Verhalten- widersprüchliches Verhalten (z.B., wenn eine Seite die Vorteile aus

dem Geschäft gezogen hat und sich nun auf den Formmangel beruft; Bürgschaft – Kreditgewährung – Berufung auf Form des § 766)

Für Treuwidrigkeit genügt es nicht, dass Veräußerer die Auflassung verweigert, da der Erwerber darauf keinen Anspruch hat.Deshalb liegt insoweit auch kein widersprüchliches Verhalten vor.

Ergebnis: kein Ausschlussgrund; Rückforderung K – V gem. § 812 I 2, Fall 2 (+).

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§ 2 Die Leistungskondiktion (6)

IV. Die Leistungskondiktion gem. § 817 BGB

1. § 817 Satz 1: Verstößt der Zweck einer Leistung gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot, besteht gem. § 817 Satz 1 eine Kondiktion gegen den Empfänger (condictio ob turpem vel iniustam causam).

Wenn Rechtsgeschäft gegen die §§ 134, 138 BGB verstößt und nichtig ist, liegt freilich immer auch eine Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 vor (condictio indebiti).

Insofern ist fraglich, worin der eigenständige Anwendungsbereich von § 817 S. 1 BGB bestehen soll.

Beispiel (Medicus, SR II, Rn. 645): Erpressung von Schutzgeldern (nur Erpresser = Leistungsempfänger macht sich strafbar); m.E. auch hier § 812 I 1 F.1 einschlägig (condictio indebiti)

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§ 2 Die Leistungskondiktion (7)

- Einschlägig sind Fälle, in denen condictio indebiti (§ 812 I 1 F 1) wegen Kenntnis des Leistenden vom fehlenden Rechtsgrund an § 814 scheitert.(z.B. Kauf eines Radarwarngeräts – Fall 5; Verkäufer klärt Kunden auf, dass Geschäft sittenwidrig; BGH NJW 2010, 610: § 817 S.1 +)

Ergebnis: § 817 Satz 1 hat kaum praktische Bedeutung, weil in der Regel zugleich § 812 I 1, Fall 1 BGB erfüllt ist.

2. Viel wichtiger ist Ausschlussgrund der Kondiktion gem. § 817 Satz 2:

Kondiktion gem. § 817 Satz 1 ausgeschlossen, wenn auch dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last fällt.

§ 817 Satz 2 muss auch für die Kondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 gelten, weil sonst der Ausschlussgrund weitgehend leer liefe. Immer wenn § 817 Satz 1 erfüllt ist, ist ja fast immer auch § 812 I 1, Fall 1 gegeben.

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§ 2 Die Leistungskondiktion (8)

3. Umstritten ist die ratio legis von § 817 Satz 2 BGB:

a) Früher Strafsanktion für sittenwidriges oder gesetzwidriges Tun

dagegen spricht,

- dass nur der Leistende bestraft wird, nicht aber derjenige, der die Leistung empfangen hat (deshalb häufig Korrektur durch § 242!)

. - die fehlende Proportionalität zwischen Verschulden und Strafmaß:

Wer viel leistet, wird viel härter bestraft, als derjenige, der weniger leistet.

b) H.L.: Rechtsschutzverweigerung

wenig überzeugend, weil alleine der Verstoß gegen Gesetze oder die guten Sitten nicht rechtfertigen würde, den Leistenden für quasi „vogelfrei“ zu erklären.

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§ 2 Die Leistungskondiktion (9)

c) Generalprävention:

(aa) Kondiktionsausschluss trägt zur Prävention bei.

arg.: Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts keine ausreichende Sanktion für Sitten- und Gesetzesverstöße; häufig liegt keine Straftat vor; Ordnungswidrigkeiten werden aus der Portokasse bezahlt.

(bb) Präventionsgedanke eingeschränkt durch Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Konsequenzen: § 817 Satz 2 setzt wenigstens Kenntnis vom Sitten- oder Gesetzesverstoß voraus.

Außerdem ist der Leistungsbegriff i.S.v. § 817 einschränkend auszulegen.

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Fall 4: Wucherdarlehen

Adler Gierig 488: 5.000.- €

Zinsen: 30%

488 (138)

812 I 1 F 1

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Fall 4: Wucherdarlehen (1)

A. Vertraglicher Rückzahlungsanspruch

I. Voraussetzungen des § 488 I 2:

1. Wirksamer Darlehensvertrag

2. Fälligkeit der Rückzahlung (§ 488 I 2).

Zu 2.: Bei Verbraucherdarlehen (§ 491 I) setzt Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 498 I (= 12 VerbrKrG a.F.) voraus:

- Verzug des Darlehensnehmers (§ 286) mit mindestens zwei Raten,

- 10 % der Darlehenssumme oder - bei einer Laufzeit über drei Jahre - 5 % (Nr.1) und

- zweiwöchige Frist mit Androhung der Restfälligstellung (Nr. 2).

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Fall 4: Wucherdarlehen (2)

Zu 1.: Wirksamkeit des Darlehensvertrages; dazu II.

II. Wucher gem. § 138 II BGB

1. Erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung:

= sobald Marktzins relativ um mehr als 100 % überschritten wird oder absolut gesehen um mehr als 12 % Punkte (BGHZ 80, 153).

2. subjektive Voraussetzungen

a) Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen = bewusstes Ausnutzen der Lage des Geschäftspartners, um übermäßigen Gewinn zu erzielen.

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Fall 4: Wucherdarlehen (3)

aa) Zwangslage

= dringendes Bedürfnis nach der Leistung des Wucherers

bb) Unerfahrenheit

Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrung

- regelmäßig nur bei Jugendlichen und geistig beschränkten Personen

- Unerfahrenheit auf einem bestimmten Rechtsgebiet genügt nicht (BGH NJW 1979, 758), wenn im allgemeinen Lebenserfahrung besteht (hier: Geschäftsmann).

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Fall 4: Wucherdarlehen (4)

cc) Mangel an Urteilsvermögen

Wenn der Geschäftspartner die Bedeutung des konkreten Geschäfts bzw. das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht vernünftig beurteilen kann (Verstandesschwäche, allgemeine Sorglosigkeit).

dd) erhebliche Willensschwäche

Der Geschäftspartner erfasst zwar Umfang und Bedeutung des Geschäfts, hat aber nicht die Willenskraft, sein Verhalten entsprechend zu steuern (Alkohol- und Drogensucht).

b) Kriterien aa) – dd) selten erfüllt; deshalb hat die Rechtsprechung für sog. „wucherähnliche Rechtsgeschäfte“ die Sittenwidrigkeit nicht mit 138 II begründet, sondern mit § 138 I BGB

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Fall 4: Wucherdarlehen (5)

Unterschied Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 I BGB:

bei einem objektiv wucherischen Darlehensvertrag (Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) wird die fehlende Geschäftserfahrung vermutet (BGHZ 104, 102, 107; 80, 153 ff.).

c) Fallbezogen: § 138 II: A evtl. in Zwangslage, weil er nicht in der Lage war, die Miete für seine existentiell notwendige Unterkunft zu zahlen; allerdings ist § 138 II nur erfüllt, wenn Gierig dies weiß (Tatfrage).

§ 138 I: Darlehensvertrag ist jedenfalls nach § 138 I nichtig, da 30 % Kreditzinsen deutlich über den Marktzinsen für Konsumentenkredite liegen (z.B. Berliner Volksbank 2009: 6,99 – 13,99 %)

Folge: subjektiver Tatbestand (Ausnutzung) wird vermutet

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Fall 4: Wucherdarlehen (6)

B. Anspruch aus § 812 I 1 Fall 1

I. Etwas erlangt: ( + )

II. Durch Leistung: ( + )

III. Ohne Rechtsgrund: §§ 488 I i.V.m. § 138 I BGB (Wucherdarlehen) (+)

IV. Rechtsfolge:

1. Herausgabe des Erlangten; erlangt hat A die Darlehensvaluta (5.000 €).

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Fall 4: Wucherdarlehen (7)

2. § 818 I: Nutzungen = gezogene Zinsen (§ 100 III)

Nutzungen gegenständlich nicht mehr vorhanden, aber dafür schuldet A Wertersatz in Höhe des üblichen Marktzinses gem. § 818 II.

V. Ausschlussgrund § 817 Satz 2 BGB:

1. § 817 Satz 2 gilt auch für Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 (s.o. Folie 33).

2. Sittenverstoß des Leistenden?

a) G ist der Wucherer, hat also einen Sittenverstoß begangen; merkwürdige Konsequenz: A dürfte Darlehen behalten.

Empfehlung, in Zukunft bei Wucherern Geld zu borgen?

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Fall 4: Wucherdarlehen (8)

b) Rspr. korrigiert dieses Ergebnis mit Hilfe eines modifizierten Leistungsbegriffs: anstößige Leistung nicht Kapitalüberlassung, sondern Kapitalnutzung.

aa) A darf also für die Laufzeit des Vertrages das Darlehen zinslos behalten, muss aber die Darlehensvaluta an G zurückbezahlen.

bb) Dies muss er im Übrigen nicht in einem Schritt, sondern entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen ratenweise.

Rückzahlung des Kapitals trotz § 817 Satz 2 sachlich gerechtfertigt, weil dem bereicherten A stets klar war, dass er das Kapital selbst nicht endgültig würde behalten dürfen.

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Exkurs § 817 S. 2

§ 817 S. 2 wird bei unbilligen Ergebnissen oft mit Hilfe von § 242 BGB korrigiert

1. Beim Bordellkauf verwehrt RGZ 71, 432 dem Käufer, sich gegen den Herausgabeanspruch des Verkäufers gem. §§ 812, 817 auf § 817 S. 2 zu berufen (§ 242 – Einrede der Arglist)

2. Ähnlich entscheidet BGHZ 41, 341 bei der Bordellpacht; hier würde der Ausschluss der Rückforderung der Leistung (Gebrauchsüberlassung) im Ergebnis dazu führen, dass der gesetzeswidrige Zustand aufrechterhalten bleibt (§ 242)

3. BGHZ 111, 308 verwehrt dem Leistungsempfänger, der Leistungen unter Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz erhalten hat, die Berufung auf § 817 S. 2 (über 10.000.- Euro „Handwerker“-Lohn); arg.: Auftraggeber ist häufig wirtschaftlich stärker

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Fall 5: Radarwarngerät

V 433 (138) K

812 I 1; 817 S. 1

346, 312 b, d

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Fall 5: Radarwarngerät (1)

A. Anspruch K – V auf Rückzahlung des Kaufpreises:

§§ 346 i.V.m. §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323, 326 V BGB

I. Kaufvertrag K - V (+)

II. Wirksamkeitshindernisse:

1. § 134 BGB:

§ 23 Abs. 1b StVO verbietet das Benutzen oder Mitführen von Radarwarngeräten, nicht den Erwerb.

Kauf bloße Vorbereitungshandlung (§ 134 - ).

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Fall 5: Radarwarngerät (2)

2. Nichtigkeit des Kaufvertrags gem. § 138 I BGB

a) Sittenverstoß wegen Zweck des Kaufs: Kaufvertrag ist auf die Begehung eines ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr gerichtet; Verbot des § 23 Abs. 1b StVO dient dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer.

b) Subjektiver Tatbestand: wenn Beteiligte Tatsachen, welche die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen.

Kaufvertrag nichtig (§ 138 I BGB); kein Rückzahlungsanspruch gem. § 346 i.V.m. §§ 433 ff.

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Fall 5: Radarwarngerät (3)

II. Anspruch aus § 812 I 1 F. 1 BGB:

1. K hat durch Leistung des V jedenfalls Besitz an dem Radarwarngerät erlangt

2. Ohne Rechtsgrund: Kaufvertrag nichtig (§ 138 I)

3. Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten (Besitz)

4. Ausschluss gem. § 814? - ja, da K aufgeklärt: positive Kenntnis von Nichtigkeit des Vertrages

Grund für Kondiktionsausschluss? Verbot widersprüchlichen Verhaltens; Selbstschutz zumutbar

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Fall 5: Radarwarngerät (4)

5. Aber K hat auch einen Anspruch aus § 817 S. 1

Dieser Anspruch scheitert aber an § 817 S. 2 BGB, da dem Leistenden auch ein Sittenverstoß zur Last fällt.

BGH: Keine Korrektur des § 817 S. 2 mit Hilfe von Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Käufer eher noch weniger schutzwürdig als Verkäufer, da er die Verkehrsteilnehmer unmittelbar gefährdet.

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Fall 5: Radarwarngerät (5)

III. Rechtslage bei Widerruf des Kaufvertrages:

1. Herausgabeanspruch K – V gem. § 346 I iVm §§ 312b, 312d, 355, 357

2. Problem: Vertrag nichtig

BGH NJW 2010, 610: Widerruf auch bei nichtigen Verträgen möglich;

arg.: Sinn des Widerrufsrechts ist es, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen geknüpftes Recht zur Lösung vom Vertrag einzuräumen (Verbraucherschutz).

Auch nichtige Verträge können z.B. angefochten werden (Lehre von den Doppelwirkungen im Recht);

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Fall 5: Radarwarngerät (6)

Anfechtung eines nichtigen Rechtsgeschäfts wichtig, wenn Erwerber Sache weiterveräußert und Dritter zwar gutgläubig in Bezug auf Nichtigkeit ist, aber Bösgläubig in Bezug auf Anfechtungsgrund

V 104 K

123

929 932

D

3. BGH NJW 2010, 610: § 817 S. 2 nicht analog anwendbar, da sonst redlicher Verkäufer schlechter stünde als unredlicher.

V. Kosten der Rücksendung: trägt V ebenfalls gem. § 357 II 2.

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§ 3 Die Kondiktion wegen Bereicherung in sonstiger Weise (1)

I. Die Eingriffskondiktion, insbesondere § 951 BGB

1. Sinn: Abschöpfen von ungerechtfertigten Vorteilen, ohne dass Bereicherten Schuldvorwurf trifft (sonst würde § 823 I helfen)

2. Voraussetzung: das Erlangte steht in Widerspruch zum Zuweisungsgehalt eines fremden absoluten Rechts.

Begründung: Rechtswidrigkeit als solche genügt nicht

Beispiele:

Autofahrer A überholt mit unzulässig erhöhter Geschwindigkeit X, macht ein tolles Geschäft; unsinnig, dem X den von A gemachten Gewinn zuzusprechen.

Einbau fremder Materialien in ein Haus ist zwar rechtswidrig, aber haften muss nicht der Einbauer, sondern der Begünstigte [§ 951 BGB]).

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§ 3 Die Kondiktion wegen Bereicherung in sonstiger Weise (2)

3. Bestimmung des Zuweisungsgehalts:

a) Bsp.: Hausmeister verheizt versehentlich eigene Kohlen im Haus des E. Zuweisungsgehalt folgt aus Eigentum; vgl. § 903 BGB: Eigentümer einer Sache darf mit ihr nach Belieben verfahren, sie nutzen und die Gebrauchsvorteile behalten.

Konsequenz: Erwärmung des Hauses von E stand in Widerspruch zum Zuweisungsgehalt des Eigentums von H; § 823 I würde hier nicht helfen, weil E – anders als H - kein Verschulden traf.

b) Bsp. nach Larenz/Canaris (§ 69 I 1 a, 2 a = S. 168, 173): B betrachtet Fußballspiel von einem Baum aus, der auf dem Grundstück des E steht; Ansprüche des Stadion- und/oder Grundstückseigentümers?

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§ 3 Die Kondiktion wegen Bereicherung in sonstiger Weise (3)

aa) Canaris: Stadioneigentümer kann nichts verlangen, da er gem. § 903 jedenfalls nicht den Einblick in sein Stadion verhindern kann.

bb) Eigentümer des (Baum-)Grundstücks kann ebenfalls kein Eintrittsgeld verlangen;

arg.: Klettern auf Bäume ist nicht deshalb verboten, um das Betrachten von Fußballspielen zu verhindern, sondern um das Eindringen in den persönlichen Herrschaftsbereich zu verhindern.

Nutzungsvorteil gehört laut C. nicht zum Schutzbereich der verletzten Norm (fraglich)

c) Bsp. 3: Brillenwerbung mit dem Bild eines Prominenten („Blacky“ Fuchsberger): Recht am eigenen Bild ist Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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§ 3 Die Kondiktion wegen Bereicherung in sonstiger Weise (4)

4. Rechtsfolge: Verletzter erhält angemessene Lizenzgebühr

a) arg.: Würde Inhaber des Rechts Werbeaufnahmen gestatten, bekäme er dafür ein Honorar; Verletzer ist um diesen Betrag bereichert und muss daher gem. § 812 I 1 Fall 2 Bereicherung herausgeben

b) Höhe geschätzte Lizenzgebühr, § 287 ZPO

c) Bsp. LG Hamburg NJW 2007, 691: Werbung mit Jugendbild von Joschka Fischer in Tageszeitung mit einer Mio. Aufl. und auf edgar-Postkarten; Bereicherungsanspruch in Höhe von 200.000.- Euro! Grund: kommerzielle Nutzung des Bildes Sache von Fischer; § 23 KUG (Ausnahme für Personen der Zeitgeschichte) hilft hier nicht (Abs.2).

d) Gegen-Bsp. BGH NJW 2007, 689 - Oskar Lafontaine:

Satirische Werbung („ S verleast auch Autos für Mitarbeiter in der Probezeit“) allerdings erlaubt; Grund: Meinungsäußerung (Art. 5 GG).

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Satire Lafontaine

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Fall 6 Einbauküche

V 433, 929 (158) K 946, 94

951, 812 I 2

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Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (1)

Anspruch V/K auf Herausgabe der Einbauküche:

I. § 985 BGB:

1. V = Eigentümer?

a) Ursprünglich war V Eigentümer: (+)

b) Übereignung V/K gem. § 929

Eigentumvorbehalt: Übereignung steht unter der Bedingung (§ 158) vollständiger Kaufpreiszahlung (§ 449 I)

Bedingung kann wegen Dissenses (Nichtigkeit des Vertrages) nicht eintreten.

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Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (2)

2. Rechtsverlust durch Einbau: §§ 946 i.V.m. §§ 94, 95 BGB

§ 946: Eigentum des Grundstücks erstreckt sich auf dessen „wesentlichen Bestandteile“

Sinn: Rechtssicherheit und –klarheit; möglichst einheitliche Eigentumsverhältnisse an einer Sache

a) Wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks: § 94 I 1: Gebäude

b) Wesentliche Bestandteile eines Gebäudes:

§ 94 II: die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen.

= Sachen, ohne die nach der Verkehrsauffassung das betreffende Gebäude nicht „fertig“ ist.

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Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (3)

aa) Skurril: nach Rechtsprechung nach wie vor Nord-Süd-Gefälle (OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 19; BGH NJW-RR 1990, 586 und 914; Palandt/Heinrichs, § 93 Rn 5 m.w.N.).

in Norddeutschland gehört ein Herd zum fertigen Haus

in Süddeutschland setzt nach der dort herrschenden Verkehrsauffassung ein Gebäude keine Feuerstelle voraus

bb) Konsequenz: Einbauküche gehört in Norddeutschland dem Eigentümer des Grundstücks

Folge: Eigentumsverlust des V gem. §§ 946, 94 I und II.

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Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (4)

II. Bereicherungsansprüche

1. Auf Herausgabe des Erlangten gem. § 812 I 1, Fall 2

- Scheitern an § 951 I 2: im Falle eines Rechtsverlustes gem. §§ 946 – 950 kann nicht Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangt werden

- Sonst würde sachenrechtliche Regelung der §§ 946 ff. BGB auf dem Umweg über Bereicherungsrecht ausgehöhlt werden.

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Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (5)

B. Anspruch auf Wertersatz gem. § 951 I 1 i.V.m. §§ 812 I 1, Fall 2; 818 II:

I. Anwendbarkeit des § 812 I 1, Fall 2: § 951 I 1 = Rechtsgrundverweis

Begründung: wenn Werkunternehmer aufgrund eines wirksamen Werkvertrages Baumaterialien einbaut, Herausgabe des Erlangten bzw. Wertersatz gem. §§ 951 I, 812 unsinnig, da Besteller Rechtsgrund zum Behaltendürfen hat.

II. etwas erlangt: Eigentum und Besitz am E-Herd.

III. durch Eingriff: §§ 946, 94 BGB sind Tatbestände, durch die sich der Rechtserwerber in Widerspruch zum Zuweisungsgehalt des – bisherigen - Eigentums setzt.

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Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (6)

IV. Eingriff rechtsgrundlos, wenn K keinen Rechtsgrund zum Behaltendürfen besitzt

§ 951 I 1 stellt klar, dass Rechtserwerb gem. §§ 946 – 950 keinen Rechtsgrund zum Behaltendürfen darstellt

Kaufvertrag ebenfalls kein Rechtsgrund zum Behaltendürfen, da wegen Dissenses nichtig

Ergebnis: Anspruch V gegen K auf Wertersatz gem. § 818 II (10.000.- Euro)

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Fall 7 Einbau von Baustoffen

E 449, 929 (158) U

631, 929, 932

951, 812 I 2

B 946, 94

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Fall 7: Einbau von Baustoffen (1)

Ansprüche E/B:

A. § 985:

I. E war ursprünglich Eigentümer.

II. Verlust durch Übereignung E/U gem. § 929 BGB?

(-) E hat unter Eigentumsvorbehalt geliefert (§§ 929, 158 BGB); Bedingung nicht eingetreten, weil U nicht bezahlt hat (§ 449).

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Fall 7: Einbau von Baustoffen (2)

III. Gutgläubiger Erwerb U/B?

U war Nichtberechtigter.

gutgläubiger Erwerb gem. § 932 denkbar

scheitert aber beim Einbau gestohlener Sachen, an der eventuellen Bösgläubigkeit des B oder daran, dass die Baustoffe nicht übereignet wurden.

IV. Gesetzlicher Erwerb gem. §§ 946, 94: Baustoffe werden jedenfalls mit Einbau wesentliche Bestandteile des Grundstücks, also Eigentum des B.

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Fall 7: Einbau von Baustoffen (3)

B. §§ 812 I 2, Fall 2 i.V.m. 951

I. § 951 i.V.m. § 946, 94: Rechtsverlust des E durch Einbau (s.o.)

II. Folge: Vergütung in Geld nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung

1. Rechtsgrundverweis: Voraussetzungen des § 812 I 1 Fall 1 oder 2 zu prüfen

2. Etwas erlangt: ( + )

3. 812 I 1 Fall 1 oder Fall 2 ?

a) Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Fall 1): (-) keine Leistung des E, sondern eine solche des U.

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Fall 7: Einbau von Baustoffen (4)

b) Eingriffs/Durchgriffskondiktion (§ 812 I 1 Fall 2):

aa) BGH: Prinzip vom Vorrang der Leistung; Durchgriff E – B kommt nur in Betracht, wenn die Baumaterialien dem B von niemandem geleistet worden sind.

(1) Erwerb des Eigentums durch B u.U. nicht durch Leistung, sondern kraft Gesetzes (§§ 946, 94).

(2) Aber Erwerb des Besitzes durch Leistung des U; diese Leistung stehe in so engem Zusammenhang mit dem Rechtserwerb gem. § 946, dass von einem einheitlichen Vorgang des Erwerbs kraft Leistung auszugehen sei.

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Fall 7: Einbau von Baustoffen (5)

Ergebnis: wegen des Vorrangsprinzip ist Durchgriffskondiktion E/B ausgeschlossen!

bb) Besser: Wertungen des Sachenrechts zu berücksichtigen!

Hätte U an B übereignet (§§ 929, 932), hätte u.U. gutgläubiger Erwerb stattgefunden.

B darf nicht schlechter stehen, wenn es sich nicht um einen Erwerb nach § 932, sondern um einen Erwerb nach § 946 handelt.

Ergebnis: E hat keinen Anspruch gegen B gem. §§ 951 I 1, 812 I 1 Fall 2

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Fall 7: Einbau von Baustoffen (6)Variante:

Sind Materialien gestohlen, würde gutgläubiger Erwerb des B wegen § 935 BGB scheitern.

Folge: Erwerber nicht schutzwürdig; Durchgriffskondiktion E – B gem. §§ 951, 812 gerechtfertigt.

§§ 951, 812 BGB haben lediglich die Funktion, den vor dem Einbau bestehenden § 985 BGB des E fortzusetzen.

Ebenso BGHZ 55, 176 im so genannten Jungbullen-Fall.L D 242 StGB 935 F 950 (Konserven)

K 1 K 2 K3

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Jungbullen-Fall (1)

Anspruch L – B auf Wertersatz

1. §§ 989, 990:

Eigentümer-Besitzer-Verhältnis: L = EigentümerB = Besitzer ohne Besitzrecht

Bösgläubigkeit des B beim Besitzerwerb? (-)

Erg.: keine Haftung des B

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Jungbullen-Fall (2)

2. § 823 I

Rechtsgutsverletzung: Eigentum usw.

Aber: Norm nicht anwendbar wegen § 993 I, 2.Hs. – Ausschluss von Schadensersatzansprüchen, um gutgläubigen Besitzer zu schützen.

3. § 951 I 1 I.V.m. § 812 I 1 Fall 2

Rechtsverlust des L gem. §§ 946 – 950 : (+)

Haftung des B nach §§ 812 ff.

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Jungbullen-Fall (3)

aa) Rechtsgrundverweis

bb) Anwendbar trotz § 993 I, 2.Hs.; EBV hat nicht die Funktion, dem Besitzer den Wert der rechtsgrundlosen Sache zuzuwenden.

cc) Etwas erlangt: Eigentum durch Verarbeitung

dd) nicht durch Leistung, sondern in sonstiger Weise

hier: gesetzlicher Erwerb des Eigentums steht in Widerspruch zum Zuweisungsgehalt des Eigentums des L

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Jungbullen-Fall (4)

(1) Rechtsgrund zum Behaltendürfen?

Vertrag mit Dieb (-)

§ 950: (-); vgl. § 951 I

(2) entscheidende Wertung: Rechtsfortsetzungsfunktion des § 951 I 1

Erg.: B haftet gem. § 951 I 1, wenn er vor dem Erwerb des Eigentums gem. § 950 einem Herausgabeanspruch aus § 985 ausgesetzt war; hier: (+), weil Jungbullen gestohlen (§ 935).

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(1)

II. Die Eingriffkondiktion gem. § 816 BGB

1. Eingriffskondiktion bei Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1

Lösung Fall 8:

V 929, 158 K

929, 932

D

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(2)

A. Ansprüche V/D:

§ 985 Abs. 1:

1. Ursprünglich V = Eigentümer

2. Eigentumsverlust durch Veräußerung V/K?

Nein: §§ 929, 158

3. Eigentumsverlust durch Veräußerung K/D?

Ja: §§ 929, 932

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(3)

II. § 812 I 1, Fall 2

1. Etwas erlangt: Eigentum und Besitz

2. Nicht durch Leistung des V, sondern des K

Vorrangsprinzip: nach der Wertung der §§ 816 I 2, 932 ist Durchgriffskondiktion ausgeschlossen (s.o. Fall 2 - Ausgangsfall)

§§ 932 ff bilden für D Rechtsgrund zum Behaltendürfen

Ergebnis: D ist keiner Durchgriffskondiktion des V ausgesetzt.

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(4)

B. Ansprüche V/K

I. § 816 I 1: Norm ist lex specialis gegenüber § 812 I; immer vorrangig zu prüfen.

1. Verfügung eines Nichtberechtigten:

Unter Verfügung versteht man eine unmittelbare Einwirkung auf ein Recht, insbesondere dessen Begründung, Aufhebung oder Inhaltsänderung

Beispiel: Übereignung, Abtretung

Nicht: schuldrechtliche Rechtsgeschäfte wie Kaufvertrag oder Werkvertrag, da diese nur Verpflichtung zur Rechtsänderung enthalten, selbst aber nicht das Recht verändern.

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(5)

2. Nichtberechtigter:

K ist nicht Eigentümer.

3. Wirksamkeit der Verfügung gegenüber V:

Wirksamkeit folgt aus § 932

II. Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten

1. H.M. durch Verfügung ist „Gewinn“ erlangt.

a) Streng genommen nicht ganz richtig, weil K durch Verfügung lediglich Befreiung von seiner Verbindlichkeit aus dem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft mit D erlangt hat.

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(6)

b) Dennoch auch rechnerisch richtig: Wert der Schuldbefreiung des Verfügenden entspricht dem erzielten Verkaufspreis

arg.: wenn die Verfügung des K nicht wirksam wäre, müsste K dem D gem. §§ 280 I, III, 283 S. 1, 433 I 2 Schadensersatz statt der Leistung zahlen; er müsste dann mindestens den Kaufpreis an D zurückzahlen.

Gewinnherausgabe auch wertungsmäßig sachgerecht, denn Veräußerer verfügt über fremdes Eigentum. Recht auf „Gewinn“ steht dem Eigentümer zu.

2. A.A. Teil des Schrifttums (z.B. Medicus, BürgR, Rn. 723): Gewinn gebühre dem Veräußerer, der sein know how und seine Kontakte einsetze.

Wert der Befreiung von der Verbindlichkeit des K bestehe im (objektiven) Wert der veräußerten Sache.

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(7)

3. Vorzugswürdig ist wohl Meinung 1!

Vergleich mit § 818 II: Nach dieser Vorschrift schuldet Bereicherungsschuldner nur Wertersatz.

Verschärfung der Haftung gem. § 816 I 1 beruht darauf, dass sich der Nichtberechtigte Eigentümerbefugnisse anmaßt.

Ebenso verhält es sich bei § 285 (Ersatz des commodum ex negotiatione = Gewinn)

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(8)

Variante: D bösgläubig.

A. Ansprüche V/D:

I. §§ 989, 990

Voraussetzung: EBV z.Zt. der Weiterveräußerung der Stoffe durch D

1. V hatte das Eigentum nicht verloren durch die Übereignung V/K (§§ 929, 158).

2. Auch nicht durch die Übereignung K/D wegen § 932 (Bösgläubigkeit des D).

Erg.: §§ 989, 990 V- D (+)

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(9)

II. § 812 I 1, Fall 2:

1. Verbot der Durchgriffskondiktion?

2. Allerdings hier Ausnahme zuzulassen, weil D bösgläubig war und daher nicht schutzwürdig ist (+)

3. Ansprüche V/D sind aber wirtschaftlich uninteressant, weil D in Südamerika ist.

B. Ansprüche V/K gem. § 816 I 1: Verfügung eines Nichtberechtigten, die gegenüber V wirksam ist.

I. Hier fehlt es an der Wirksamkeit gegenüber V wegen Bösgläubigkeit des D (§ 932); daher scheint § 816 I 1 nicht einschlägig.

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Verfügung eines Nichtberechtigten gem. § 816 I 1(10)

II. Ergebnis wirkt aber ungerecht

V stünde in Variante schlechter, obwohl er wegen Bösgläubigkeit des D (§ 932) schutzwürdiger ist.

III. Ausweg nach H.M.: V kann Verfügung des K nachträglich genehmigen (§§ 185 II 1, 184 Abs. 1).

Ergebnisse: 1. K hat zwar als Nichtberechtigter verfügt, wegen der Genehmigung durch V ist aber die Verfügung des K gegenüber V wirksam geworden.

2. Wegen der Wirksamkeit der Verfügung des K, die dieser als Nichtberechtigter vorgenommen hat, sind die Voraussetzungen des § 816 I erfüllt:

3. K ist dem V zur Herausgabe des Gewinns verpflichtet.

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Unentgeltliche Verfügung des Nichtberechtigten (§ 816 I 2) (1)

II. Die Eingriffskondiktion gem. § 816 I 2 BGB:

1. Erfolgt Verfügung des Nichtberechtigten unentgeltlich, besteht trotz Wirksamkeit der Verfügung (z.B. bei gutgläubigem Erwerb des D) Herausgabepflicht des Beschenkten.

Beispiel: V veräußert unter Eigentumsvorbehalt an K; K verschenkt das Erlangte an den gutgläubigen D.

2. § 816 I 2 zielt inhaltlich auf Herausgabe des „Erlangten“.

D schuldet also Rückübereignung und Übergabe der Schenkung.

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Unentgeltliche Verfügung des Nichtberechtigten (§ 816 I 2) (2)

c) Ersatzansprüche des D?

Gegenüber dem Schenker K bestehen nur dann Ansprüche, wenn dieser arglistig handelte (§ 523).

d) Haftet K dem V?

(aa) § 816 I 1: K hat an sich nichts erlangt, auch nicht durch Schenkung (Ersparnis von Aufwendungen muss außer Betracht bleiben, da Schenkung an D nicht beständig und K daher uU noch einmal in die Tasche greifen muss).

(bb) § 812 I 1 i.V.m. § 818 II (Wertersatz): scheidet ebenfalls aus, weil durch die Schenkung K/D die Bereicherung weggefallen ist (§ 818 III).

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Fall 9: Unentgeltlicher Erwerb vom Nichtberechtigten (1)

Fall 9: Unentgeltlicher Erwerb vom Nichtberechtigten

V 598 L

929, 932 516

F

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Fall 9: Unentgeltlicher Erwerb vom Nichtberechtigten (2)

Ansprüche V/F:

I. § 985:

1. Ursprünglich V = Eigentümer

2. Übereignung L – F: a) Einigungb) Übergabec) Berechtigung

L = Nichtberechtigter, aber gutgläubiger Erwerb der F (§§ 929, 932).

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Fall 9: Unentgeltlicher Erwerb vom Nichtberechtigten (3)

II. § 816 I 2:

1. Verfügung eines Nichtberechtigten, die gegenüber V wirksam ist? §§ 929, 932 ( + )

2. Unentgeltlicher Erwerb der F:

a) BGH WM 1964, 614 stellt darauf ab, ob entgeltlicher oder unentgeltlicher Teil überwiegt (hier: entgeltlicher Teil 600.- Euro; daher § 816 I 2 [-]).

Bedenken: Alles-oder-Nichts-Prinzip erscheint ungerecht

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Fall 9: Unentgeltlicher Erwerb vom Nichtberechtigten (4)

b) Larenz/Canaris (§ 69 II 2 c):

aa) Bei gemischten Schenkungen sollte der Empfänger wenigstens den Wert des unentgeltlichen Anteils herausgeben (hier: 400 € ).

bb) F kann stattdessen auch das Fahrrad an V herausgeben und gegen Abtretung des Bereicherungsanspruchs V - L aus § 816 I 1 zurückübereignen.

Höhe des Bereicherungsanspruchs: 600 € = Erlös des L

IV. Gesamtergebnis:

1. V würde also entweder das Fahrrad zurückbekommen und F ihren Kaufpreis in Höhe von 600 € oder

2. V bekäme 400 € von F und 600 € von L.

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Kettendurchgriffskondiktion gem. § 822 BGB (1)

III. Die Durchgriffskondiktion gem. § 822 BGB

1. Herausgabeanspruch bei unentgeltlichem Erwerb

2. Unterschied zu § 816 I 2 BGB: Der Empfänger, der unentgeltlich die Sache weitergibt, verfügt bei § 822 als Berechtigter und haftet selbst nur aus § 812 BGB.

---------------------------------------------------------------------------Fall 10:

V 929 K 433 (-)

929, 932 516

F

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Fall 10: Kettendurchgriffskondiktion gem. § 822 BGB (2)

A. Ansprüche V/F

I. § 985 BGB: Nicht erfüllt, da die Übereignung K/F gem. § 929 einwandfrei ist.

II. § 816 I 2 BGB: Dann müsste K Nichtberechtigter sein und F unentgeltliche Erwerberin. K war jedoch als Eigentümer Berechtigter.

III. § 822 BGB:

1. Unentgeltliche Zuwendung des Erlangten an einen Dritten: K hat das Erlangte (Eigentum und Besitz) an F unentgeltlich zugewendet.

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Fall 10: Kettendurchgriffskondiktion gem. § 822 BGB (3)

2. Empfänger muss selbst aus § 812 BGB haften:

K haftet gem. § 812 I 1 Fall 1 (Leistungskondiktion) und schuldete deshalb an sich die Herausgabe des Erlangten (Rückübereignung).

3. Wegfall der Bereicherung infolge der Zuwendung an F:

§ 818 III (+)

Aufwendungsersparnis irrelevant, weil sonst § 822 so gut wie nie eingreifen würde.

Ergebnis: V – F § 822 (+)

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Fall 10: Kettendurchgriffskondiktion gem. § 822 BGB (4)

Variante 1: Wie ist die Rechtslage, wenn K den Dissens bemerkt hat?

I. Falls K den Dissens bemerkt hat, ist er bösgläubig und daher nicht mehr entreichert gem. § 818 III.

II. Vielmehr würde er gem. §§ 819 I, 818 IV auf Wertersatz haften. Das ist auch völlig ausreichend.

Ergebnis merkwürdig: Wer von einem Bösgläubigen ein Geschenk erhält, wird geschützt; beim Erwerb vom Gutgläubigen nicht.

Allerdings Gesetz eindeutig (vgl. Palandt/Sprau, § 822 Rn. 9 a.E.).

Rechtfertigung: es haftet, wer primär für den Mangel verantwortlich ist: K

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Fall 10: Kettendurchgriffskondiktion gem. § 822 BGB (5)

Variante 2: Wie ist die Rechtslage, wenn K vermögenslos ist?

Wenn K vermögenslos ist, ist Anspruch aus § 812 I 1 F. 1 nicht mehr durchsetzbar: § 822 analog?

Nach h.M. ist Insolvenz des K dem Wegfall der Bereicherung nicht gleichzustellen (BGH NJW 1999, 1026, 1028; Palandt/Sprau, § 822 Rn. 8; aA Medicus, Rn. 691).

arg.: Wortlaut (nur wenn Herausgabepflicht aus Rechtsgründen erloschen ist);

Leistender nicht rechtlos gestellt, weil bei unentgeltlichen Verfügungen eines Vermögenslosen Anfechtungsmöglichkeiten bestehen (§§ 4 AnfG; 134 InsO).

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§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (1)

I. Der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten, des Surrogats und der Nutzungen

1. § 812 richtet sich in sämtlichen Fallgruppen auf Herausgabe des "Erlangten".

Genau zu prüfen, was der Empfänger "erlangt" hat, Eigentum, Besitz, Gebrauchsvorteile usw. (s.o. Parkplatzfall 1).

2. Surrogate (§ 818 Abs. 1, Fall 2):

Hauptproblem: Erlös aus Rechtsgeschäft (sog. "commodum ex negotiatione")?

h.M.: Erlös aus Rechtsgeschäften (Gewinn) ist nicht herauszugeben; arg.:

- Gewinn gebührt grundsätzlich dem Veräußerer (Bereicherungsschuldner). Gewinnspannen über dem Marktpreis beruhen i.d.R. auf Umständen aus dessen Sphäre (Renommé, Knowhow oder Kundenkreis).

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§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (2)

Unterschied zu § 816 I: dort ist Gewinn deshalb herausgabepflichtig, weil Nichtberechtigter über fremdes Eigentum verfügt; wer Eigentum behält, ist grundsätzlich schutzwürdiger als derjenige, der es - wenn auch rechtsgrundlos - verliert.

3. Nutzungen (§ 812 Abs. 1 Fall 1):

a) Begriff der Nutzung: § 100 BGB (Früchte einer Sache, eines Rechts, Gebrauchsvorteile)

II. Der Anspruch auf Wertersatz (§ 818 II):

1. Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich: z.B. unkörperliche Gebrauchsvorteile oder Dienstleistungen (Arbeit).

2. Aus einem anderen Grunde Herausgabepflicht unmöglich: z.B. wegen Zerstörung des rechtsgrundlos erlangten Gegenstandes

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§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (3)

3. Höhe des Wertes:

a) Grundsatz: objektive Theorie (= der übliche Marktpreis).

Beispiel: falls rechtsgrundlos erlangtes Auto benutzt wird, muss Empfänger Nutzungen herausgeben (§§ 818 I, 100, 3.Alt. = Gebrauchsvorteile).

Herausgabe der Gebrauchsvorteile „in Natur“ nicht möglich; Folge: Wertersatz (§ 818 II).

b) Höhe des Wertersatzes: Marktpreis für Nutzung (bei Mietwagen allerdings 10 % Abzug für Ersparnis eigener Aufwendungen).

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§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (4)

III. Der Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3)

1. Grundsatz: Bereicherungshaftung beschränkt auf das, was Empfänger noch in seinem Vermögen hat.

Ist das Erlangte und sein Gegenwert nicht mehr vorhanden, ist Bereicherungsschuldner gem. § 818 III befreit.

Ausnahme: bösgläubiger oder verklagter Schuldner darf sich nicht auf § 818 III berufen, sondern haftet wenigstens auf Wertersatz (§§ 818 IV, 819 I BGB).

2. Schutzzweck des § 818 III: Vertrauensschutz (guter Glaube an die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs); gutgläubiger Schuldner soll sein Stammvermögen nicht angreifen.

Schutzzweck wichtig für die Frage, welche Nachteile bei § 818 III bereicherungsmindernd Berücksichtigung finden.

Page 101: Prof. Dr. Reinhard SingerHumboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: Kings College London 26./27. März Bereicherungsrecht (§§ 812 ff

§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (5)

a) Abzugsfähig sind

- vertrauensbedingte Schäden wie Verlust oder Zerstörung der rechtsgrundlos empfangenen Sache (Bsp.: Auto wird durch Brand zerstört)

- Aufwendungen im Vertrauen auf das Behaltendürfen, z.B. Umbau des rechtsgrundlos erworbenen Hauses; Reparatur des rechtsgrundlos erlangten Autos

- Vertragskosten (Maklercourtage, Notargebühren, Grundbuchkosten, Zoll, Mehrwertsteuer).

b) Problemfälle: Rechtsgrundlos erlangter Hund zerbeißt Teppich oder richtet bei Dritten Schäden an

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§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (6)

Lösungsvorschlag (Larenz/Canaris, SR II/2, § 73 I 3b):

1. Schaden (Teppich) steht nicht in innerem Zusammenhang mit der Rechtsgrundlosigkeit des Erwerbs.

Der Teppich wäre auch zerbissen worden, wenn der Bereicherungsschuldner den fehlenden Rechtsgrund gekannt hätte (str.).

2. Tierhalterhaftung gegenüber Dritten für rechtsgrundlos erlangtes Tier abzugsfähig, weil sich Bereicherungsschuldner bei Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund um Rückabwicklung bemüht hätte

Einwand: dann wäre uU auch Teppich nicht zerbissen worden; m.E. besteht der Zweck der Nichtigkeitsgründe nicht darin, solche Schäden zu verhindern

Page 103: Prof. Dr. Reinhard SingerHumboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: Kings College London 26./27. März Bereicherungsrecht (§§ 812 ff

§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (7)

cc) Problem: Kaufpreis für rechtsgrundlos erlangte Sache

- bei Rückabwicklung einer gescheiterten Vertragsbeziehung ist Kaufpreis Abzugsposten (Saldotheorie; dazu näher unten Fall 12)

- bei Eingriffskondiktion (§ 812 I 1, Fall 2; § 816 I) darf Kaufpreis, der an Nichtberechtigten gezahlt wurde, nicht abgezogen werden (Larenz/Canaris, § 73 I 5a)

Grund: gegenüber dem Anspruch aus § 985 darf Kaufpreis auch nicht abgezogen werden.

c) Vermögensvorteile: sind anzurechnen

Bsp.: Ersparnis von Aufwendungen; trinkt der Empfänger einer rechtsgrundlos erlangten Flasche Wein diese aus, hat er idR eigene Aufwendungen erspart.

Page 104: Prof. Dr. Reinhard SingerHumboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: Kings College London 26./27. März Bereicherungsrecht (§§ 812 ff

§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (8)

IV. Die Haftung des bösgläubigen und verklagten Bereicherungsschuldners:

1. § 818 IV:

a) Verweist auf die allgemeinen Vorschriften (§§ 275 ff.), insbesondere §§ 291 f.; § 292 I regelt Haftung für "Herausgabeansprüche" und verweist auf die §§ 987 ff.

b) Ist das rechtsgrundlos erlangte Auto durch Verschulden des Bereicherungsschuldners zerstört, haftet dieser auf Schadensersatz, wenn er verklagt oder bösgläubig war.

c) Im Übrigen gilt § 278 (= gesetzliches Schuldverhältnis); für Verschulden von Hilfspersonen muss man einstehen.

Page 105: Prof. Dr. Reinhard SingerHumboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: Kings College London 26./27. März Bereicherungsrecht (§§ 812 ff

§ 4 Inhalt und Reichweite der Bereicherungshaftung (9)

2. Daneben: Wertersatzhaftung gem. § 818 II

Grund: Wenn § 818 III nicht eingreift, bleibt es bei der Haftung auf Wertersatz gem. § 818 II.

3. Verschärfte Haftung gem. § 819 I: wer bösgläubig ist (Kenntnis des fehlenden rechtlichen Grundes), haftet wie ein verklagter Bereicherungsschuldner.

Bösgläubigkeit: positive Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund; insofern schadet Rechtsirrtum.

Problem: verschärfte Haftung Minderjähriger (Fall 11):

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Flugreisefall (11)

Lufthansa

M (17-j)

New York Hamburg

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (1)

A. Vertragliche Ansprüche:

I. §§ 631, 632 (Werkvertrag)

1. Einigung über essentialia eines Werkvertrages

Beförderungsvertrag = Werkvertrag (§ 631)

arg.: Erfolg geschuldet

a) Angebot: Bereitstellen des Flugzeugs

b) Annahme: allenfalls konkludent (§ 151) durch Inanspruchnahme der Leistung.

Fraglich, weil M als blinder Passagier auch aus Sicht eines objektiven Dritten keinen Beförderungsvertrag schließen wollte

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (2)

2. Wirksamkeitshindernis: §§ 2, 106; M = minderjährig; in der Geschäftsfähigkeit beschränkt

a) § 107: Rechtsgeschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft

b) § 110: keine Leistungsbewirkung mit überlassenen Mitteln

3. Vertragsschluss durch sozialtypisches Verhalten (vgl. Parkplatzfall - Fall 1):

a) BGH: Beförderung mit Flugzeugen „kein Massenverkehr“ (?!)

b) Besser: Regeln über Minderjährigkeit dürfen nicht außer Kraft gesetzt werden (Medicus, BR Rn. 190 a.E.).

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (3)

B. Deliktische Ansprüche

I. § 823 I: keine Rechtsgutsverletzung

Eigentum: weder Eingriff in Substanz, noch Funktionsstörung

II. §§ 823 II i.V.m. 265a StGB

1. Beförderungserschleichung: ( + )

2. Vorsatz: ( + )

3. Deliktsfähigkeit (§ 828 II): Maßstab = individuelle Einsichtsfähigkeit in das begangene Unrecht; bei einem 17jährigen (+).

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (4)

4. Rechtsfolge: Schadensersatz

a) Durch Beförderungserschleichung entsteht regelmäßig kein oder nur ein geringer Schaden

Allerdings erhöht das Gewicht des blinden Passsagiers den Kerosin-Bedarf (Gewichtszuschlag deckt aber nur Teil des Reisepreises);

Erhöhter Verpflegungsaufwand, wenn Lufthansa nicht aufgebrauchtes Essen an Catering-Service zurückgeben kann und dies vergütet wird (Tatfrage; Aufwand gering).

b) Schaden in Höhe des Reisepreises allenfalls dann, wenn zahlungswilliger Passagier wegen Überfüllung abgewiesen worden wäre (Tatfrage)

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (5)

III. § 812 I 1, Fall 1 (Leistungskondiktion)

1. Etwas erlangt:

a) BGH: erlangt hat M Ersparnis von Aufwendungen

b) Problem: Minderjährige hätte sich niemals eine entsprechende Flugreise von Hamburg nach New York geleistet, hat also eigentlich nichts erlangt.

BGH korrigiert diese Position auf der Ebene der Bösgläubigkeit und zieht bereits hier bei der Frage, ob M etwas erlangt hat, die §§ 818 III, 819 I entsprechend heran

Kritik: es geht um das Erlangte, nicht um den Wegfall der Bereicherung.

b) Besser: erlangt ist Beförderungsleistung

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (6)

2. durch Leistung oder in sonstiger Weise

a) Leistung = bewusste Mehrung fremden Vermögens

Bei Beförderungserschleichung nicht anzunehmen, weil gegenüber blinden Passagieren gerade nicht bewusst eine Leistung erbracht wird.

b) Bereicherung in sonstiger Weise: hier durch Eingriff in absolut geschütztes Recht

§ 265 a StGB verleiht als Schutzgesetz der Lufthansa eine deliktsrechtlich geschützte Position

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (7)

3. Ohne Rechtsgrund:

a) Widerspruch zum Zuweisungsgehalt einer absolut geschützten Position: § 265 a StGB

b) M hatte keinen Anspruch auf die Beförderung

4. Rechtsfolgen:

a) Herausgabe des Erlangten: Gebrauchsvorteile

b) Herausgabe in Natur nicht möglich; daher schuldet M grundsätzlich Wertersatz gem. § 818 II Höhe: marktüblicher Beförderungspreis

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (8)

c) Wegfall der Bereicherung gem. § 818 III

aa) Gebrauchsvorteile: nach dem Ende des Flugs nicht mehr in Natur vorhanden

bb) Aufwendungsersparnis: M hätte Reise nicht unternommen, wenn er dafür Aufwendungen gehabt hätte; nicht bei sog. Luxusaufwendungen (-)

d) Verschärfte Haftung gem. § 818 IV, 819 I

aa) Rechtshängigkeit: wenn der Bereicherungsschuldner auf Herausgabe des Erlangten verklagt ist

bb) Bösgläubigkeit: Kenntnis des Bereicherungsschuldners vom fehlenden Rechtsgrund

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (9)

cc) Grund für verschärfte Haftung:

Der verklagte oder bösgläubige Bereicherungsschuldner muss mit Herausgabe rechnen; Vertrauensschutz nicht gerechtfertigt

dd) Fallbezogen: Bösgläubigkeit des M?

Maßgeblich: Kenntnis des Minderjährigen oder des gesetzlichen Vertreters?

(1) BGHZ 55, 128: hat Minderjähriger die Bereicherung durch eine deliktische Handlung i.S.d. §§ 823 ff. erlangt, sind die §§ 827, 828 entsprechend anzuwenden.

Maßgebend § 828 III: M = einsichtsfähig, da er mit 17 Jahren über die Fähigkeit verfügte, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für dessen Folgen bewusst zu sein (s. Deliktsrecht Fall 2).

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (10)

(2) Canaris, Medicus (aaO) halten §§ 104 ff. für sachgerechter; arg.:

- § 828 III passe nicht; deliktische Haftung des M würde Schaden der Fluggesellschaft voraussetzen.

- Für §§ 104 ff spricht, dass Minderjähriger selbst bei einem unwirksamen Vertrag seine Leistung (Flugpreis) gem. § 812 zurückverlangen könnte.

Ergebnisse: Beide Ansichten sind vertretbar;

- BGH: M darf sich nicht auf § 818 III berufen, sondern muss gem. § 818 II Wertersatz leisten oder gem. §§ 818 IV i.V.m. 292 I, 987 ff. Schadensersatz zahlen.

- Canaris und Medicus M haftet überhaupt nicht.

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (11)

B. Rückflug

I. § 812 I 1, Fall 1:

1. Etwas erlangt: Beförderung

2. durch Leistung: beim Rückflug bewusste Mehrung fremden Vermögens

3. ohne Rechtsgrund: §§ 2, 106, 107 (s.o.) – kein wirksamer Beförderungsvertrag

4. Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten; aber Wegfall der Bereicherung gem. § 818 III, da M keine Aufwendungen erspart hat (Luxusreise; aA vertretbar, da Rückflug unvermeidbar)

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (12)

5. Keine verschärfte Haftung gem. §§ 818 IV, 819 I (§ 265a StGB: bei Rückflug keine Beförderungserschleichung)

6. Rückforderungsausschluss: § 814 (Kenntnis der LH vom fehlenden Rechtsgrund)

aber: Ausschluss vermeidbar, wenn LH sich Rückforderung vorbehält; dann ist ratio legis des § 814 (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) nicht einschlägig

Ergebnis: Kondiktion wohl ausgeschlossen; andererseits ist berechtigte GoA Rechtsgrund für Leistung

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (13)

II. Ansprüche aus GoA: §§ 677, 683 Satz 1, 670 (Aufwendungsersatz)

1. Voraussetzungen:

Besorgung eines fremden Geschäfts: jede Tätigkeit „für einen anderen“

Voraussetzungen:

- Fremdheit des Geschäfts und

- Geschäftsführungswille (s. a. § 687 I BGB).

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (14)

aa) BGH: Bei objektiv fremden Geschäften wird Fremdgeschäftsführungswille vermutet.

hier: objektiv fremdes Geschäft

arg.: Sache des M, U.S.A. zu verlassen und zu den Eltern zurückzukehren (§§ 1626 I, 1631).

Folge: Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

bb) A.A. Medicus (aaO): Lufthansa wollte eigene Verbindlichkeit (§ 631) erfüllen

Allerdings bestand – erkennbar - keine wirksame vertragliche Verpflichtung der Lufthansa (§§ 2, 106).

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (15)

b) Berechtigung der GoA (§ 683 S. 1):

aa) Übernahme der Geschäftsführung muss dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen.

bb) Interesse der Eltern (maßgeblich wegen §§ 1626, 1631): Sohn soll nach Hause und keine Schwierigkeiten mit der Einwanderungsbehörde in den USA haben (+)

cc) Entgegenstehender Wille nicht ersichtlich bzw. unbeachtlich (Schiffsfahrt setzt „Einwanderung“ voraus).

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (15)

2. Rechtsfolge: Aufwendungsersatz:

a) Medicus (aaO.): Lufthansa hatte überhaupt keine Aufwendungen, wenn der Rückflug mit einer nicht ganz vollbesetzten Maschine erfolgte (immerhin: erhöhter Kerosinverbrauch)

b) BGH: bei Tätigkeiten, die zum Gewerbe des Geschäftsführers gehören,

sind sämtliche Aufwendungen in Höhe des üblichen Honorars ersatzfähig.

arg.: § 1835 III analog; Aufwandsentschädigung des Vormunds bei professioneller Tätigkeit im Interesse des Mündels betrifft ähnlichen Fall.

c) Kritik: Minderjährigenschutz wird vereitelt; M kam ja nur in eine bedrohliche Lage, weil er ohne gültiges Ticket nach New York geflogen ist; bei Rückabwicklung gescheiterter Verträge §§ 104 ff. sachgerecht.

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Fall 11: Bereicherungshaftung von Minderjährigen (16)

Ergebnis: Nach h.M. bekommt L auch die Kosten des Rückflugs erstattet (a.A. vertretbar).

Gesamtergebnis:

Nach Ansicht des BGH mussten die Eltern sowohl den Hinflug, als auch den Rückflug bezahlen

Nach Ansicht von Medicus und Canaris müssen die Eltern weder das eine noch das andere bezahlen.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag

V 433, 123 KPreis: 5000.-

Wert 4000.-

Unfall unverschuldet

Variante: verschuldet

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (1)

2. Problem: Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, wenn die Leistung beim Bereicherungsschuldner untergegangen ist.

Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (1)

A. Ansprüche K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises gem. § 812 I 1, Fall 1

I. Etwas erlangt: V hat Eigentum und Besitz an 5.000 € erlangt

II. durch Leistung des K: bewusste zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.

Leistungszweck: Erfüllung der Verpflichtung des K aus dem Kaufvertrag gem. § 433 II

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (2)

III. Ohne Rechtsgrund: wenn Verpflichtung aus § 433 II nicht besteht; hier wegen Anfechtung des Kaufvertrages.

1. Anfechtungsgrund: arglistige Täuschung gem. § 123 I; über schwere Mängel (Unfallwagen) muss Verkäufer auch ungefragt aufklären (vgl. Medicus, AT Rn. 796; BGHZ 29, 148, 150).

2. Frist: 1 Jahr ab Kenntnis (§ 124 I, II) ( + )

3. Anfechtungserklärung: § 143 I ( + )

IV. Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten, Rückzahlung von 5.000 €

V. Kein Ausschlussgrund: §§ 814, 815, 817 S. 2 (-)

Ergebnis: V muss 5.000 € zurückbezahlen.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (3)

VI. Einreden?V möchte Kaufpreis nicht zurückzahlen, ohne seinerseits das von ihm Geleistete zurückzuerhalten.

Zurückbehaltungsrecht gem. § 273?

- falls V seinerseits einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch gegen K hat

- Bereicherungsanspruch V – K gem. § 812 I 1, Fall 1:

1. K hat Eigentum und Besitz am PKW erlangt.

2. durch Leistung des V: Erfüllung Vb aus § 433 I

3. ohne Rechtsgrund: Kaufvertrag wirksam angefochten gem. §§ 123 I, 142 I.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (4)

4. Rechtsfolge: K schuldet gem. § 812 I 1, Fall 1 Herausgabe des Erlangten = Rückübereignung des PKW.

a) Da PKW untergegangen ist, schuldet K gem. § 818 II nur Wertersatz

b) Wegfall der Bereicherung (§ 818 III).

Auto und dessen Gegenwert befindet sich nicht mehr im Vermögen des K

Keine Anhaltspunkte für eine verschärfte Haftung des K gem. § 818 III, 819 I.

5. Ergebnis: V hat gegen K keinen Gegenanspruch.

Gesamtergebnis: K kann von V 5.000 € zurückverlangen, muss aber seinerseits an V nichts bezahlen bzw. lediglich das wertlose Autowrack zurückgeben.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (5)

VII. Ergebnis ungerecht!

Bei einem gegenseitigen Schuldverhältnis würde der Schuldner, der seinerseits wegen Unmöglichkeit seine Leistung nicht mehr erbringen kann, seinen Anspruch auf die Gegenleistung verlieren (§ 326 I, 1. Hs.).

Bei einem Rücktritt wegen Sachmangels gem. §§ 323 I, 326 V, 434, 437 Nr. 2 BGB würde K jedenfalls bei einem verschuldeten Untergang des Fahrzeugs Wertersatz leisten müssen (§ 346 II Nr. 3, III Nr. 3).

1. Reichsgericht und BGH haben als Ausweg Saldotheorie entwickelt.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (6)

Saldotheorie:

a) Bei gegenseitigen Verträgen ist bei der Frage, ob der Schuldner etwas erlangt hat, zu berücksichtigen, dass dieser seinerseits eine Gegenleistung weggegeben hat.

Folge: Bereicherung besteht von vornherein nur in dem Saldo zwischen dem Wert der empfangenen und weggegebenen Leistung.

„Erbrachte Gegenleistung wird zum Abzugsposten“ (Medicus)

Bei gleichem Wert von Leistung und Gegenleistung beträgt der Saldo 0.

Fallbezogen: K hat gegen V einen Bereicherungsanspruch in Höhe von 1.000.- (5.000.- / 4.000.-); V – K in Höhe von 0 (4.000.- / 5.000.-).

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (7)

b) Bedenken:

aa) Saldotheorie wählt den falschen Anknüpfungspunkt: Kondiktionsgegenstand ist nicht die „Bereicherung“, sondern das „Erlangte“.

Es geht nicht darum, was der Kondiktionsschuldner weggegeben hat, sondern was mit der untergegangenen Leistung im Empfängervermögen geschieht.

Korrektur muss bei § 818 III des K ansetzen, nicht bei Bereicherung des V.

bb) Widerspruch zu § 346 III Nr. 3: Risiko zufälligen Untergangs der verkauften Sache trägt beim gesetzlichen Rücktritt (z.B. aufgrund eines Sachmangels) der Verkäufer

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (8)

cc) Saldotheorie versagt bei Vorleistungen! Verkäufer geht leer aus, wenn Käufer Kaufpreis noch nicht bezahlt hat; Wertungswiderspruch, da maßgebliche Umstände (zufälliger Untergang bei K) sich gleichen.

dd) Rspr. zu Ausnahmen gezwungen:

(1) Saldotheorie nicht anzuwenden, wenn Kondiktionsschuldner minderjährig oder geschäftsunfähig ist

arg.: sonst faktische Bindung an den Vertrag; Widerspruch zu §§ 104 ff.

(2) Auch bei arglistiger Täuschung Saldotheorie unanwendbar, weil sie Betrüger begünstige.

Betrüger stünde bei Anwendung der Saldotheorie besser als derjenige, der bloß mangelhaft liefert. Verkäufer trägt bei unverschuldetem Untergang der mangelhaften Kaufsache Risiko des zufälligen Untergangs (§ 346 III Nr. 3).

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (9)

2. Gegenposition (Flume, Canaris): Theorie der vermögensmäßigen Entscheidung bzw. der Gegenleistungskondiktion

- Anwendung der Zwei-Kondiktionen-Theorie

- teleologische Einschränkung des § 818 III: wenn Empfänger vermögensmäßige Entscheidung getroffen hat, die es ermöglicht, ihm den Untergang der empfangenen Leistung zuzurechnen.

a) Verschuldeter Untergang: zurechenbar vermögensmäßige Entscheidung, weil K davon ausgehen muss, dass er Investition des Kaufpreises durch schuldhaftes Handeln aufs Spiel setzt.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (10)

aa) Wertung des § 346 III Nr. 3: Empfänger einer mangelhaften Sache haftet auf Wertersatz, wenn ihm ein Verstoß gegen die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten angelastet werden kann

Bereicherungsschuldner sollte nicht besser stehen als Rücktrittsberechtigter (s.a. §§ 292, 989)

bb) § 346 III Nr. 3 betrifft den Fall, dass Rücktrittsgegner Rückgewähr zu vertreten hat (z.B. Mangel);

wenn in diesem Fall Schuldner für schuldhafte Verschlechterung der Sache Wertersatz leisten muss, muss dies erst recht gelten, wenn Verkäufer Rückabwicklung nicht zu vertreten hat (z.B. bei unverschuldetem Dissens oder Irrtumsanfechtung durch K)

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (11)

b) zufälliger Untergang: Bereicherungsgläubiger muss Wegfall der Bereicherung hinnehmen (§ 818 III).

Grund: bei verschärfter Haftung gem. § 819 I muss Empfänger für reine Zufallsschäden auch nicht haften (§§ 818 IV i.V.m. 989, 292), wenn er sich nicht im Verzug befindet.

c) Wann ist Untergang zufällig oder verschuldet?

(aa) Larenz/Canaris § 73 III: bereits die bewusste Nutzung einer Sache verlagere das Zufallsrisiko auf den Empfänger.

Wer mit dem rechtsgrundlos empfangenen Auto spazieren fahre, gehe bewusst das Risiko eines schuldlosen Unfalls ein und setze Kaufpreis aufs Spiel.

Zufälliger Untergang nur, wenn das rechtsgrundlos empfangene Auto durch einen Blitzschlag in der Garage zerstört wird.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (12)

(bb) Bedenken: wenn V Rückabwicklung zu vertreten hat, genügt bewusste Nutzung der Sache nicht, sondern erst Verstoß gegen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (= grobe Fahrlässigkeit, § 277); Wertung des § 346 III Nr. 3 muss auch im Bereicherungsrecht gelten.

Fallbezogen: Verkäufer hat Rückgewähr zu verantworten; daher passt Wertung des § 346 III Nr. 3 und §§ 292, 989

VIII. Gesamtergebnisse:

1. BGH: K bekommt Kaufpreis zurück, ohne Wertersatz leisten zu müssen (Saldotheorie nicht anwendbar)

2. Gleiches gilt, wenn man die Wertungen der § 346 III Nr. 3 und §§ 292, 989 berücksichtigt;

V hat Rückabwicklung zu vertreten (§ 123 I), aber K trifft kein Verschulden am Untergang des Fahrzeugs = kein Wertersatz.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (13)

B. Variante: Unfall verschuldet

I. BGH: bei arglistiger Täuschung ist Saldotheorie nicht anwendbar

1. Folge: K kann sich auf Wegfall der Bereicherung gem. § 818 III berufen

2. BGH korrigiert aber Ergebnis bei verschuldetem Untergang

Bei Schadensersatzansprüchen des K gegen V ist sein eigenes Verschulden über § 254 BGB zu berücksichtigen, dies müsse auch im Bereicherungsrecht gelten.

Hintergrund: merkantiler Minderwert des KfZ infolge Täuschung 100 DM; Unfall führte zu Totalschaden = 7370.- DM.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (14)

II. Konsequenzen:

1. Saldotheorie anzuwenden

Gegenleistung des V als Abzugsposten ist jedoch um seinen Verschuldensanteil zu kürzen (§ 254 I)

2. Sofern Verschulden des Käufers beim Unfall deutlich überwiegt (wie im Fall BGHZ 57, 137), bleibt es sogar beim vollen Abzug der Gegenleistung bei V.

K erhält dann nur die Differenz zwischen Kaufpreis und Wert des untergegangenen Autos.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (15)

III. Theorie der vermögensmäßigen Entscheidung:

1. K haftet beim Rücktritt auf Wertersatz gem. § 346 III Nr. 3, wenn er den Unfall verschuldet hat; gleiches sollte auch bei einer vom Verkäufer zu vertretenden Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht gelten

2. Kürzung des Wertersatzanspruchs V/K gem. § 818 II wegen der arglistigen Täuschung des V (§ 254 I analog) nicht gerechtfertigt, wenn der Mangel, den V verschwiegen hat, nicht für den Unfall verantwortlich war (vgl. auch § 346 III Nr. 2).

Saldotheorie und Theorie der vermögensmäßigen Entscheidung erzielen gleiches Ergebnis:

K bekommt nur die Differenz zwischen Kaufpreis und Wert des - mangelhaften - Pkw.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (16)

C. Deliktische Ansprüche

I. K gegen V: §§ 823 II BGB, 263 StGB; 826 BGB

1. Tatbestand: unproblematisch

2. Problem ausschließlich Schadensberechnung gem. § 249

a) Reale Lage:K hat Kaufpreis bezahlt 5.000 €, Auto im Wert 4.000 € erhalten, aber Zerstörung: ± 0

b) Hypothetische Lage:Kauf eines anderen Fahrzeugs für € 5.000;dafür Auto erhalten 5.000 € ( + )Bilanz: ± 0

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (17)

c) Differenz: Kaufpreiszahlung ist der Schaden des K (5000.-€).

3. Bedenken: Unfall ist zwar Folge der Täuschung, steht aber nicht in innerem Zusammenhang mit dieser.

Konsequenz: Untergang des Pkw nicht in der Bilanz zu berücksichtigen

Reale Lage:K hat Kaufpreis bezahlt 5.000 €, Auto im Wert 4.000 € erhaltenDifferenz: ± 1000.- €

Ergebnis: Schaden des K = 1.000.-€.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (18)

4. BGH: Untergang des Autos zu Lasten des V zu berücksichtigen, da Käufer davor bewahrt werden soll, dass man ihm Sachen arglistig "aufschwatzt".

Bedenken: kein Risikozusammenhang zwischen Täuschung und Unfallrisiko

II. Gesamtergebnis:

Schadensersatz K – V 1000.-

aA BGH: 5.000.-

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (19)

D. Variante: Deliktische Ansprüche, wenn K Unfall verschuldet hat

I. Deliktische Ansprüche K gegen V: §§ 823 II, 263 StGB; 826 BGB

II. Schadensberechnung: § 249

1. Bei verschuldetem Unfall ist § 254 auf den Schadensersatzanspruch des K - Kaufpreis (5.000.- €) - anzurechnen.

2. U.U. voller Verlust des Schadensersatzanspruchs, wenn Täuschung nicht schwerwiegend

a) Bsp. nach BGH-Fall:- merkantiler Minderwert aufgrund der Täuschung 100.- DM

- Wert des zerstörten Fahrzeugs 7370. – DM.

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Fall 12: Bereicherungsausgleich im gegenseitigen Vertrag (20)

b) Schadensberechnung nach BGH:

- Wert des zerstörten Fahrzeugs 4000 €; Minderwert aufgrund Täuschung 1.000.-

- Verhältnis Minderwert (1000.-) : zum Verschulden des K (4.000.-) = 1: 4

- Vertretbare Schadensberechnung: K trägt ¾ des Schadens (= Kaufpreiszahlung 5.000.-) = 3750.-

- K erhält 1250.- € zurück.

3. Besser: Schaden des K = 1000.- (nicht 5000.-); für Unfall muss er sowieso alleine aufkommen, da kein Zusammenhang mit Täuschung