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Beiträge und Schriften: Programm debatte Reader der sächsischen Grundsatzkommission im Auftrag des Landesvorstands

Programmkonvent Broschüre

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Reader der sächsischen Grundsatzkommission zum Programmkonvent im Auftrag des Landesvorstands DIE LINKE. Sachsen. Beiträge und Schriften Heft 11 Erschienen am 17.09.2010

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Herausgegeben vom Landesvorstand der Partei DIE LINKE. Sachsen

Redaktion: Stefan Hartmann und Jayne-Ann Igel, Mitglieder der Grundsatzkommission im Auftrag des Landesvorstandes Sachsen Satz: Rico Schubert und Robert Ehrlich

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Vorwort 04

Leitfragen zur Programmdebatte 06 Programmkonvent im Landesverband Sachsen am 26.06.2010:

Einführung 14

Ergebnisse der Foren: 1. Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft 18 2. Freiheit und Demokratie 23 3. Was sind unsere Ansätze für gesellschaftlichen Wandel? 27 4. Politische Kultur und Selbstverständnis der LINKEN 31 5. Für wen erarbeiten wir ein Parteiprogramm? 33

Meinungen aus der Grundsatzkommission 37 Meinungen aus dem Landesverband Sachsen 56 Anlage: Beschlüsse zur Führung der Programmdebatte 80

Inhaltsverzeichnis

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Stefan Hartmann, Mitglied der Grundsatzkommission LV Sachsen

VorwortDIE LINKE ist inzwischen drei Jahre alt. Damit ist sie die jüngste gesellschaftlich relevante Partei in Deutschland. Natürlich sind unsere Wurzeln deutlich älter als diese drei Jahre. Diese bestehen nicht nur aus den vielfältigen politischen Erfahrungen, die in den Quellparteien PDS und WASG gemacht wurden. Eine große Zahl von Genossinnen und Genossen hat auch jenseits dieser beiden Organisationen zum Teil jahrzehntelang politisch gearbeitet. Die politischen Biographien der Mitglieder unserer jungen Partei sind dementsprechend auch sozialdemokratisch, gewerkschaftlich oder durch die Erfahrungen in kleineren linken Gruppen geprägt.

Die ersten Jahren des Wirkens unserer jungen Partei, die Zeit seit dem gemeinsamen Wahlauftritt 2005 sei hinzugerechnet, war von einer ganzen Reihe von Erfolgen gekennzeichnet. Eine starke Fraktion auf Bundesebene, weiterhin starke Fraktionen in den ostdeutschen Ländern sowie der Einzug in zahlreiche westdeutsche Landesparlamente kennzeichnen diese bisher kurze Erfolgsgeschichte. Nun steht vor der LINKEN die vielleicht intensivste innerparteiliche Bewährungsprobe, die Erarbeitung eines Programms. Die Grundlage der bisherigen Erfolge kann unter anderem darin gesehen werden, dass die Stärken, die aus unserer Geschichte hervorgehen, entsprechend der jeweiligen Bedingungen zum Tragen kommen konnten. In der Programm-debatte steht daher nun die Aufgabe, die Erfolgsgeschichte der LINKEN fortzuschreiben und ihr ein festes Fundament zu verleihen. Die Vielfalt linken politischen Denkens, die in unserer Partei versammelt ist, muss daher im Programmtext zum Aus-druck kommen. Die Leistung der Mitgliedschaft der LINKEN in der Programmdebatte wird also darin bestehen, ein politisch kenntliches Profil unserer Partei zu erzeugen und zugleich eine dem breiten Spektrum unserer linken Praxis entsprechende Grundlage zu erarbeiten.

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5Stefan Hartmann

Die in dieser Broschüre versammelten Beiträge zur Programm-debatte in Sachsen entstammen einer außerordentlich breit angelegten Diskussion, die in allen Kreisverbänden, fast allen Ortsverbänden, in den inhaltlich arbeitenden Gliederungen und in thematischen überregionalen Veranstaltungen geführt wurde und weiter geführt wird. Die Grundsatzkommission der LINKEN Sachsen erarbeitete für diesen Diskussionsprozess ein Leitfragenpapier, dass für einen erheblichen Teil der Veranstal-tungen als Grundlage genutzt wurde und eine Strukturierung der Diskussionsergebnisse ermöglicht. Bereits zum derzeitigen Stand der Programmdebatte in Sachsen ist erkennbar, dass der vorliegende Entwurfstext einer gründlichen Überarbeitung bedarf. In den nächsten Monaten wird sich die Programmdebatte in Sachsen deutlich stärker darauf konzentrieren, entsprechende Veränderungsvorschläge handhabbar zu erarbeiten, um den verantwortlichen Genossinnen und Genossen eine gute Grund-lage für ihre anspruchsvolle Aufgabe zu geben.

Zum Ende dieses kurzen Vorworts soll ein weiterer Aspekt aus der Programmdebatte in Sachsen Erwähnung finden. Die Kultur der Debatte entsprach bisher höchsten Ansprüchen. Sowohl die gleichberechtigte Möglichkeit der Teilhabe am Meinungs-bildungsprozess, unabhängig von Amt, Mandat oder anderen Würden als auch die Diskussion mit differierenden Meinungen zeugen von einem verantwortungsvollen Umgang mit der vielleicht wichtigsten innerparteilichen Aufgabe unserer jungen Partei.

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6 Leitfragen zur Programmdebatte

Grundsatzkommission beim Landesvorstand DIE LINKE Sachsen

Leitfragen zur Programmdebatte Vorbemerkung: Die Debatte über den Entwurf unseres Parteiprogramms wird in vielen Basisorganisationen, Orts- und Kreisverbänden und in den Zusammenschlüssen mit hoher Intensität geführt. In der derzei-tigen Phase der programmatischen Debatte geht es noch nicht um Anträge, sondern darum, ob das vorliegende Papier inhaltlich und methodisch angemessen ist oder entsprechende Korrek-turen empfohlen werden. Die Grundsatzkommission hat eine Reihe von Fragestellungen entwickelt, die dazu beitragen sollen, dass der Landesverband Sachsen einen wahrnehmbaren Beitrag in der Programmdebatte leistet. Wir hoffen, dass die Leitfragen für die Debatte hilfreich sind und wir gegebenenfalls Antworten, Anregungen und Ideen von Euch erhalten.

Die Entstehung unserer Partei DIE LINKE stellt eine erhebliche Herausforderung für all ihre Mitglieder dar. Denn unter Linken war es bisher häufig Normalität, dass sich Gruppen aufspalteten oder gegenseitig bekämpften. Insbesondere in der Programm-debatte sollten wir darauf Wert legen, die politisch-inhaltliche Basis für ein breites Spektrum linken Denkens zu legen, um auf Dauer als wesentliche gesellschaftliche Kraft unseren Beitrag zur Veränderung der Verhältnisse leisten zu können.

Leitfrage 1 Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft

Eigentum – In der Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse ist es für eine linke Partei unabdingbar, die Eigen-tumsverhältnisse als Quelle von Unterdrückung und Ausbeutung zu benennen. Aufgabe einer linken Programmatik ist jedoch nicht nur die Interpretation der Verhältnisse, sondern vielmehr kommt es auf Handlungsansätze zu deren Veränderung an. Die klare Benennung des Ziels der Verstaatlichung/Vergesellschaf-tung relevanter Bereiche sollte durch entsprechende Vorschläge auf der Umsetzungsebene untersetzt werden. Ist dies im Entwurf ausreichend geschehen?

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7Grundsatzkommission

Klasse – Wer ist Träger der gesellschaftlichen Veränderung? Die Antwort auf diese Frage im Sinne der im Programm beschrie-benen Perspektiven ist entscheidend für die Ausrichtung und den Erfolg unserer Politik. Im Entwurfstext stehen verschiedene Ansätze relativ unvermittelt nebeneinander: die Orientierung auf die ArbeitnehmerInnen, auf Erwerbslose, auf verschiedenartig diskriminierte Gruppen, auf humanistisch orientierte Milieus, auf bedrohte Mittelschichten usw. Dies so zu vermitteln, dass daraus eine analytisch tragfähige und praktisch relevante programmati-sche Antwort erarbeitet werden kann, ist Aufgabe der weiteren programmatischen Arbeit.

Leitfrage 2Freiheit und Demokratie

Die Begriffe Freiheit und Demokratie werden im Programment-wurf in verschiedenen Kontexten genannt. Dort bleiben sie insofern abstrakt, als sie lediglich als Vorbedingung bzw. Ziel-vorgaben postuliert werden, z. B. in Gestalt der Teilhabe »an der Entwicklung der kommunalen Dienstleistungen« (Öffentliches Belegschaftseigentum). Insbesondere im Kapitel IV formuliert, mit welchen Mitteln Demokratie und Freiheitsrechte gestärkt, erweitert bzw. garantiert werden sollen. Partizipation als wesentlicher Aspekt sowohl der Demokratie als auch der Wahrnehmung individueller wie kollektiver Frei-heitsrechte findet sich vor allem in Bezug auf die Eigentums-frage. Hier ist von (paritätischer) Mitbestimmung die Rede, Beiräten, Runden Tischen und demokratischer Kontrolle. Die Eigentumsfrage – im Programmentwurf werden Staats-, Genos-senschafts- und Privateigentum aufgeführt – bildet laut Entwurf den entscheidenden Punkt, wie und in welchem Umfang das demokratische Recht der Einflussnahme auf wirtschaftliche Entwicklungen durch den Einzelnen, soziale Initiativen oder Wählervertretungen wahrgenommen werden kann. Fragen nach Verfügungskompetenzen der Gesellschaft über die verschiede-nen Formen von Eigentum und der Definierung wirtschaftlicher Ziele (partizipative Planungsprozesse) bleiben weitgehend aus-geklammert. Dies ist aber insbesondere in Bezug auf den sozial-ökologischen Umbau unabdingbar, wie auch eine Neudefinierung des Wachstumsbegriffs (Wirtschaft) und die Verständigung über Strategien zum Erhalt und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

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8 Leitfragen zur Programmdebatte

Zwar heißt es in Bezug auf die repräsentative parlamentarische Demokratie, dass sie gestärkt und durch Formen direkter Demokratie erweitert werden muss (Kapitel IV), doch eine Kritik des derzeitigen Parlamentarismus findet nicht statt. Die Mittel und Instrumente direkter Teilhabe an politischen Entschei-dungsprozessen auf den verschiedenen Ebenen sind zudem nur mangelhaft beschrieben. Hier fehlen Aussagen, die mit Blick auf die derzeitigen Lebenswirklichkeiten getroffen und von denen die Notwendigkeiten abgeleitet werden können.

Rolle und Stellenwert des Staates im transformatorischen Prozess wie im skizzierten Gesellschaftsbild des Demokratischen Sozialismus sollten thematisiert und reflektiert werden. Es fehlen Aussagen zum Staatsverständnis der Linken.

Leitfrage 3 Was sind unsere Ansätze für gesellschaftlichen Wandel? Die Grundfrage, auf welchem Weg DIE LINKE gesellschaftlichen Wandel erreichen will, wird im Entwurf mit dem Begriff der Transformation und des Demokratischen Sozialismus beant-wortet. Das Ringen um gesellschaftliche Mehrheiten für jedes Reformprojekt auf demokratischem Weg stellt dafür den zentra-len methodischen Ansatz dar. Die Frage, mit welcher Strategie dies geschehen soll, bleibt dabei zum Teil widersprüchlich bzw. unklar: Einerseits werden konkrete Reformprojekte (Mindest-lohn, Rente nicht erst mit 67 oder Arbeitszeitverkürzungen) angeführt, die durch Regierungshandeln erreicht werden können, andererseits werden Ziele formuliert, die nur benannt werden, zu deren Erreichen jedoch kein Handlungsansatz beschrieben wird (Vergesellschaftung des Bankensektors, Abschaffung der NATO). Es stehen also durchaus systemimmanente Projekte und Kon-zepte systemüberwindenden Projekten gegenüber, ohne dass eine wirkliche Verknüpfung hergestellt wird.

Welches sind also unsere Tranformationsprojekte grundlegender gesellschaftlicher Veränderung, die über eine Reform hinausge-hen, deren Weg zur Umsetzung aber im Heute anknüpfen kann?

Demokratischer Sozialismus heißt, über gesellschaftliche Mehr-heiten das kapitalistische System zu überwinden. Aber welche Strategie verfolgen wir dabei? Verkürzt: Bewusstseinsbildung

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9Grundsatzkommission

bis eine Mehrheit hinter uns steht, oder durch praktische Politik, durch das Entwickeln von Perspektiven und die Umsetzung konkreter Reformprojekte?

Um gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen, braucht DIE LINKE PartnerInnen. Einige, so vor allem die Gewerkschaften, sind explizit benannt, die Perspektive auf andere außer /parla-mentarischen Kräfte wird nur wenig beleuchtet. Also, mit wem möchten wir kooperieren und wie soll die Kooperation zu Stande kommen und wie soll sie aussehen?

Es gibt verschiedene Ansichten von Gerechtigkeit. So findet beispielsweise die FDP geringere Steuern für Spitzenverdiene-rInnen sozial gerecht. Welche sind unsere Eckpunkte für soziale Gerechtigkeit? Wie füllen wir den Begriff? In welchem Maße soll Leistung eine Rolle spielen, beispielsweise bei der Berechnung der Rente in Anbetracht hoher Arbeitslosigkeit, geringer Löhne und Teilzeitarbeit, wenn doch immer noch das Bild des gutverdie-nenden Facharbeiters mit 45 Arbeitsjahren das Arbeitsverständ-nis auch der Gewerkschaften prägt? Bezieht sich Gerechtigkeit in erster Linie auf ökonomische Aspekte? Sind andere Formen von Diskriminierung nachrangig oder mit der Lösung der Verteilungs-frage obsolet?

Welchen Arbeitsbegriff haben wir und wie sehen wie das Verhält-nis von gesellschaftlich notwendiger bzw. sinnvoller Arbeit und Erwerbsarbeit?

Leitfrage 4Politische Kultur und Selbstverständnis der LINKEN 1. Was soll, was muss die LINKE in ihrem Politikstil von anderen Parteien unterscheiden?

Der Programmentwurf nennt folgende Merkmale: Glaubwür-digkeit, Transparenz und Verlässlichkeit, gesellschaftlicher Dialog, gesellschaftliche Verankerung, direkte Bürgerbeteiligung (woran?), parlamentarische Arbeit braucht Kritik, öffentlichen Druck und Mobilisierung von draußen, Internationalismus stärken, Zusammenarbeit mit EL, Erfahrungsaustausch linker Parteien in Europa, die LINKE will keine Spenden von Unterneh-men annehmen.

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10 Leitfragen zur Programmdebatte

Wie aber ist Glaubwürdigkeit, Transparenz etc. zu erzeugen? Außer Kriterien einer Regierungsbeteiligung ist Genaues nicht gesagt zur Einheit von Programm und Verwaltungs- bzw. Re-gierungshandeln in Verantwortung, v. a. nicht zur notwendigen Abstimmung in den Inhalten zwischen Bundes-, Landes- und besonders Kommunalpolitik.

Die angestrebte »Verankerung in der Gesellschaft« wird nicht mit konkreten Überlegungen untersetzt. Wie soll »öffentlicher Druck« auf die LINKS-Fraktionen aussehen?

2. Um ihrem Anspruch an einen neuen Politikstil gerecht zu werden, fordert der Programmentwurf mehr innerparteiliche Demokratie. Der Programmentwurf fordert weiter, dass die »BerufspolitikerInnen« eng mit den ehrenamtlichen zusammen-arbeiten sollen, gleichberechtigtes Handeln und demokratische Mitbestimmung, enges Zusammenwirken von Führungsgremien und Mitgliedern. Mehr als ein Appell ist es kaum. Mit Blick auf Erfahrungen der letzten 20 Jahre: Münster, Bundestags-Wahl 2002, Parteivereinigung etc. ist das zwar richtig, aber zu un-konkret und zu wenig praktisch. Offen bleibt, wie denn diese Zusammenarbeit aussehen soll, damit mehr Beteiligungskultur in der Partei entsteht. Lernen heißt, die eigenen Kompetenzreserven aus der Mit-gliedschaft erschließen. Wie erreicht man das? Durch konkrete Arbeitsweisen der innerparteilichen Demokratie, durch breitere Personaldecke für exponierte Ämter und Mandate: Mandats-begrenzung, Trennung von Funktion und Mandat, »Rotation /Rochaden«, Einkommens- und Ausgabentransparenz der Berufs-politiker in Diätmandaten und Exekutivverantwortung. Wie auch erreicht man den wirklichen Austausch von Parlaments- und außerparlamentarischer Erfahrung?

3. DIE LINKE will breite Bündnisse zur gesellschaftlichen Verän-derung. Welche politischen Partner suchen wir? Wie kommen wir an sie ran? Wie kommt man zu dauerhafter Zusammenarbeit? (betrifft das Verhältnis von außerparlamentarischer und parla-mentarischer Arbeit).

4. In Anbetracht der jüngsten Personalquerelen sollte auch die Frage nach der politisch-moralischen Qualität und dem Cha-

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11Grundsatzkommission

rakter von Berufspolitikern resp. GenossInnen mit exponierter öffentlichkeitswirksamer Stellung in Partei und Staat intensiver betrachtet werden:

Geduld, Toleranz, Bescheidenheit, Achtung vor dem Parteisou-verän, Verhältnis zur eigenen Ablösung (Selbstbeschränkung und rechtzeitige Nachfolgeentwicklung), Abkehr vom Karierre-gedanken in der Politik, Transparenz und Kollegialität der Kom-munikation und Arbeitsweisen. Damit kann nur durch offenen Umgang mit Kandidaturen und entsprechenden parteiöffentlich abzufordernden Äußerungen sinnvoll umgegangen werden.

Lernende Partei heißt, innere Aufstellung und Außenwirkung als permanenten Wechselwirkungsprozess zu gestalten.

Leitfrage 5

Unserer Ansicht nach ist es wichtig, neben der inhaltlichen Betrachtung auch den sprachlichen Stil und den Umfang des Programms zu diskutieren. Dazu folgende Überlegungen:

1. Zielgruppe, Ansinnen/Nutzen des Programms: Für wen wird das Programm verfasst?

– Für die eigene Partei – um Flügel und Strömungen zu be- schwichtigen und ein Papier zu entwerfen, in dem sich alle wieder finden und die Partei »beruhigt« bzw. das auch als Argumentationshilfe und zur Selbstvergewisserung für unsere Mitglieder dient.

– Für die (breite) Öffentlichkeit - um neue Mitglieder zu gewin- nen und die Ideen der LINKEN in die Öffentlichkeit zu tragen.

2. Länge:

– Das Papier ist mit 25 Seiten recht umfangreich.

– Ist es möglich, zu kürzen (bisher sind viele Wiederholungen im Papier) – wenn ja, was ist eine vertretbare und lesbare Länge?

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12 Leitfragen zur Programmdebatte

3. Verständlichkeit / Lesbarkeit / Wissenschaftlichkeit / Sprache:

– bei der Rezeption des Programms stößt man auf sehr viele Fremd- bzw. Fachwörter, dies kann ein Hindernis für manche LeserInnen sein.

– Wenn man bei der ersten Frage festgestellt hat, dass es vor allem der Außenwirkung unserer Partei dient, muss man feststellen, dass es zu wissenschaftlich formuliert ist.

– Selbst GenossInnen in den eigenen Reihen, welche mit der politischen Sprache vertraut sind, empfinden es als zu hoch- trabend.

– Finden wir uns als GenossInnen in dem Papier wieder? – es wird zwar oft »uns«, »gemeinsam« und »wir« verwendet, aber sehen wir es wirklich als unser Papier an? – ist dies überhaupt notwendig?

4. Genereller Aufbau:

– Ist der Aufbau des Programms schlüssig? Erst Analyse und dann Kritik? Von innen nach außen? Bündnisproblematik erst am Ende – wäre dies am Anfang nicht besser?

– Ist es notwendig, in einem Programm so detailliert auf die Geschichte einzugehen? Wenn ja, sollte das am Anfang stehen? (weil man vielleicht Menschen vom Weiterlesen abhält) oder am Ende als »Zusammenfassung des Gewesenen«?

– Wie wirken die Fragen in den Überschriften?

Zum Abschluss: Was von all dem gehört in ein Programm und was muss zwar permanent diskutiert, beobachtet und entwickelt werden, ohne jedoch im Programm zu stehen? Und wo und wie ist dazu mehr Verbindliches zu leisten? (Satzung, Ordnungen, Satzungen von Gliederungen und Zusammenschlüssen).

Auch wenn nicht jedes Detail ins Programm gehört, bleibt es doch in seiner präzisen Justierung auf effektiv und zeitnah

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13Grundsatzkommission

umzusetzende Erfordernisse innerer Entwicklung sehr schwach und unzureichend. Denn nur bei Klarheit kann auch eine einfa-che und kurze, aber dennoch präzise Aufgaben- und Zielstellung erfolgen. Das ist offenkundig deshalb so, weil hierzu eine innerparteiliche Debatte die Höhe und Reife noch nicht hat, um den sich bereits artikulierenden Problemen aktiv und produktiv zu begegnen. Die Frage ist, ob die Programmdebatte das noch schafft.

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14 Programmkonvent

Rico Gebhardt, Landesvorsitzender der LINKEN Sachsen zum Programmkonvent am 26.06.2010

Einführungsbeitrag Liebe Genossinnen und Genossen, ich darf euch zum 1. Konvent im Rahmen der laufenden Pro-grammdebatte, im Namen des Landesvorstands und der Grund-satzkommission Sachsen, ganz herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass trotz des Ferienbeginns heute so viele den Weg nach Dresden gewählt haben und an der letzten Veranstaltung der LINKEN Sachsen im ersten Halbjahr teilnehmen. In den letzten Wochen hat es drei Regionalkonferenzen in Dresden, Leipzig und Chemnitz gegeben, mit mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Nachdem wir uns Ende April in Chemnitz zum Auftakt der Programmdiskussion in Sachsen getroffen hatten, wurden seit dieser Zeit unwahrscheinlich viele Veranstaltungen und Diskus-sionen zu dem vorliegenden Programmentwurf durchgeführt. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Mitgliedern der Grund-satzkommission bedanken, die die Programmdiskussion im Auftrag des Landesvorstandes organisieren und aktiv begleiten. Heute treffen wir uns erstmalig, um in verschiedenen Workshops zu ausgewählten inhaltlichen Themen zu diskutieren. Unsere heutige Veranstaltung ist auch eine Art Zäsur der ersten Runde im Rahmen der Programmdebatte in Sachsen. Ich will auch gar kein langes Eingangsreferat halten, sondern nur einige wenige Gedanken äußern.

Was ist mir wichtig, auch in der weiteren Debatte, die wir führen werden?

Ich will eine transparent, breit, tiefgründig und ergebnisoffen geführte Debatte innerhalb der LINKEN.

Ich will eine Debatte, in der wir uns über Grundfragen unsere Politik verständigen, und ich will dabei als Ergebnis ein Partei-programm, in dem es um die klar erkennbare Linie geht und kein

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15Rico Gebhardt

Wahlprogramm als Sammelsurium im Sinne von: Wir haben auf alle anstehenden Tagesaufgaben eine Antwort.

Ich will eine Diskussionskultur, die nicht davon bestimmt ist: Ich habe Recht und du nicht bzw. wo dem Mitdiskutanten unterstellt wird, er/sie sei eine linke oder rechte AbweichlerIn.

Wir müssen die Diskussion um unser Programm für die politische Bildungsarbeit nutzen und dies für alle Generationen und auch für alle Gruppen von Mitgliedern, seien sie nun schon seit vielen Jahren Mitglied oder erst seit wenigen Monaten.

Wir brauchen die Programmdebatte für unser Selbstverständnis als junge linke Partei in Deutschland, zumal wir – auch wenn wir dies in Sachsen nicht glauben wollen, seit 2007 ein Drittel neue Mitglieder in der Partei DIE LINKE haben.

Ich will, dass wir nach einer ersten innerparteilichen Verständi-gung in diesem Jahr mit weiteren AkteurInnen außerhalb unsere Partei über unser neues Programm ins Gespräch kommen.

Und ich will organisatorisch, dass wir eine größtmögliche Beteili-gung erreichen.

Mit dem Wahlerfolg bei der Bundestagswahl ist eine ambivalente Situation entstanden. Der neuen Stärke unserer Partei, auf Grundlage breiterer Zustimmung zu linken Positionen – gerade in der Krise –, steht eine bürgerliche Regierungskoalition gegen-über, die inhaltlich für die Kräfte der Krisenversursacher wie der Krisengewinner steht. Für die LINKE ergibt sich damit eine große inhaltliche Herausforderung, ihre Alternativen zu präsentieren und immer wieder weiter zu entwickeln. Zugleich ist eine neue Konstellation auf der Oppositionsseite im Bundestag entstanden. Erstmals seit 1998 haben die drei Parteien SPD, Grüne und LINKE keine rechnerische Mehrheit mehr. Das Lager aus diesen drei Parteien ist mit seinen jeweiligen inneren Klärungsproble-men, mit seinen Differenzen und innerparteilichen Neubestim-mungen dort versammelt.

Ich verstehe diese Situation trotz aller Ambivalenzen als eine Chance. Wir sollten die Herausforderung nutzen, alternative Vor-stellungen zur ruinösen schwarz-gelben Politik der Umverteilung

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von unten nach oben im Wettstreit zu entwickeln, ggf. in Sach-fragen zusammenzuarbeiten und zugleich in einen strategischen Dialog zu treten.

Im Sächsischen Landtag haben sich in den letzten Monaten immer wieder an Sachfragen orientierte gemeinsame Initiativen zwischen den Fraktion von SPD, Grünen und uns ergeben, die weiter ausbaufähig sind. Ein beginnendes Vertrauensverhältnis beginnt zu wachsen.

Nur auf diesem Wege können Reformalternativen entwickelt und im gesellschaftlichen Diskurs verankert werden, kann um gesellschaftliche Hegemonie gerungen werden. Da eine Regie-rungsalternative nicht von selbst oder nur arithmetisch entsteht, ist dies meiner Auffassung nach der Humus, aus dem sich eine Mitte-Links-Regierung, verbunden mit einem Bündnis progressi-ver gesellschaftspolitischer Kräfte, entwickeln lässt.

Was wir brauchen, ist auch in Sachsen eine Debatte über Reform- alternativen und die Möglichkeit, diese Debatte mit Anderen zu führen; dafür müssen wir in Sachsen noch nach Möglichkeiten und Wegen suchen.

Voraussetzung von Seiten der LINKEN für die Erarbeitung von Reformalternativen ist eine strategische Debatte, die dieser Situ-ation gerecht wird. Die Erkenntnis, dass es kein eigenes drittes Lager für uns gibt und nicht alle anderen Parteien »neoliberaler Einheitsbrei« sind, ist unverzichtbarer Ausgangspunkt für die Suche nach Schnittmengen und gemeinsamen Projekten, um die neoliberale Politik von Schwarz-Gelb perspektivisch zu beenden und umsteuern zu können.

Für ein selbstbewusstes Agieren in dieser strategischen Debatte ist eine programmatische Grundlegung ebenso wichtig wie für die weitere integrierende Identitätsstiftung der neuen LINKEN. Die lange Wartezeit bis zur Vorlage eines Programmentwurfs durch die Programmkommission zeigt die Schwierigkeiten bei der Kompromissfindung.

Die Grundsatzkommission der sächsischen LINKEN, die im Auftrag des Landesvorstandes die Programmdebatte organisiert und koordiniert, hat Leitfragen für Sachsen aufgestellt.

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Die lauten: »Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft«, wobei wir hier vor allem über die Frage diskutieren wollen: Wer ist Träger der gesellschaftlichen Veränderung? Und wir wollen über die Eigentumsverhältnisse als Quelle von Unterdrückung und Ausbeutung diskutieren.

Eine zweite Leitfrage ist die nach: »Freiheit und Demokratie«. Hier müssen wir, um nur ein Beispiel zu nennen, uns über unser Staatsverständnis verständigen. Im Programmentwurf steht dazu nichts.

Als dritte Frage hat die Grundsatzkommission die Frage nach unseren Ansätzen für einen gesellschaftlichen Wandel herausge-arbeitet. Wobei es bei dieser Frage auch um die PartnerInnen für andere gesellschaftliche Mehrheiten geht.

Bei der vierten Leitfrage geht es um die »Politische Kultur und das Selbstverständnis der LINKEN.« – also zum Beispiel sollten wir hier die Frage beantworten: Was soll, was muss die LINKE in ihrem Politikstil von anderen Parteien unterscheiden?

Ich denke, wir werden viel zu debattieren haben und es ist auch notwendig. Lasst uns diese Debatte in aller Fairness führen, dann kommen wir auch zu einem guten Ergebnis. Ich habe in Chemnitz bei der 3. Regionalkonferenz erlebt, wie intensiv debattiert worden ist, ich bin gespannt auf die heutige Debatte. Unser 1. Konvent im Rahmen der Programmdebatte ist eröffnet.

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Forum 1: Kapitalismus und bürgerliche GesellschaftIn der Debatte des Forums wurden die folgenden Fragen- komplexe in der Diskussion herausgearbeitet:

1. Klassengesellschaft, Klassenfrage, Herrschaftsverhältnisse Zur ersten Fragestellung gab es ein sehr breit angelegtes Spek-trum an Meinungsäußerungen. Im Programmentwurf wird die Frage nach dem Akteur, dem Subjekt gesellschaftlicher Ver-änderung nicht ausreichend beantwortet, Begrifflichkeiten und Ideen aus sehr verschiedenen Denkansätzen stehen unvermittelt nebeneinander. Einerseits wird, vermittelt über einige wenige Aussagen, auf den Klassenbegriff orientiert, ohne diesen aller-dings genauer auszuführen. Der Programmentwurf spricht von einer oberen bzw. herrschenden Klasse bzw. der BRD als einer Klassengesellschaft, dies erkennbar durch die Auseinanderent-wicklung von Einkommen und Vermögen. In diesem Sinne ist also der Klassenbegriff präsent, ohne in der Dimension gesell-schaftlicher Veränderung gefasst zu sein. In der Debatte wurde unter anderem ein Festhalten am Klassenbegriff vorgeschlagen, dies z. B. mit einem Verweis auf Siegbert Rehberg (Sozialwissen-schaftler, TU Dresden) und seine Definition von der »unsichtba-ren Klassengesellschaft«. Ebenso wurde auf die Kapitalismusana-lyse Jean Zieglers verwiesen, die eine anschauliche Formulierung in zwei Sätzen enthält: Reichtum hier, Müllberge dort – dies mit markanten Forderungen verknüpft gäbe schon ein Bild. Zugleich wurde in diesem Zusammenhang formuliert, dass die negativen Momente der Krise unterschätzt werden und zu sehr Vertrauen in einen vulgär-marxistischen Ansatz (je krasser die Krise, desto besser) gelegt würde, dabei greifen zunehmend rechtspopulisti-sche Bewegungen Raum in Europa, auch das wird unterschätzt.

Ein weiterer im Programm angedeuteter Ansatz hinsichtlich der Frage nach dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung ist unter der Beschreibung der »breiten linken Bündnisse« in Anlehnung an den Multitude-Begriff zu finden. Es wurde eingeschätzt, dass hier erhebliche analytische und handlungsorientierte Potentiale

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zu finden sind. Die aktuellen Verhältnisse würden durch diesen besser erfasst, als durch den herkömmlichen Klassenbegriff, während die Anleihen an marxistische Begrifflichkeiten im Entwurf unzureichend weiter entwickelt und ausgeführt werden, dort sollte man Alternativen finden. Die kürzeste Multitude-Definition von Hardt und Negri selbst lautet wie folgt: Das ist die Definition der Multitude: Singularitäten, die gemeinsam handeln. Negri beschreibt deren Realität als Immanenz (gegen die Trans-zendenz des »Volkes«), als Klasse (insofern die gesellschaftliche Kooperation der Multitude ausgebeutet ist) und als Potenzialität. Paolo Virno spricht von den »Vielen als Viele«, um die Multitude zu kennzeichnen.

In der Debatte wurde ausgeführt, dass der Kapitalismus sich zwar verändert hat, aber Klassen geblieben sind; die Interessen der Arbeitnehmer deutlicher ausdifferenziert seien, die gemein-samen Interessen jedoch kommuniziert werden müssen.

Die Entwicklung eines relativen Wohlstands unter kapitalis-tischen Bedingungen und die Auswirkungen dessen auf die konkreten Interessenlagen wird bei der Analyse völlig ausge-klammert. Insgesamt bestand breite Übereinstimmung dahin-gehend, dass die parlamentarische Demokratie nicht in Frage gestellt werden darf.

2. Eigentumsverhältnisse, Vergesellschaftung Die Eigentumsthematik in ihren verschiedenen Ausprägungen im Entwurfstext (Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Verfügung) wurde umfänglich thematisiert, dies zu erheblichen Teilen in der Fragestellung: »Vergesellschaftung von Unternehmen – was, wie, mit wem?« Die Bildung von Belegschaftseigentum wurde als für die innerbetriebliche Demokratie wichtig eingeschätzt, inwieweit jedoch die Perspektive gesellschaftlicher Kontrolle notwendig (s. z. B. Rüstungsindustrie) darin aufgehen kann, erschien als fraglich.

Im Entwurf wird die Verstaatlichung des Finanzsektors und von Energiekonzernen genannt – aber was wird mit anderen Bereichen, obwohl das Privateigentum an Produktionsmitteln immer mit Ausbeutung verbunden ist, als die insbesondere Erwerbsarbeit (Lohnarbeit) zu begreifen ist. Soll es so bleiben für

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die nächsten Jahrzehnte oder wollen wir Ausbeutung prinzipiell angreifen? Dazu wurde keine Aussage im Programmentwurf gefunden, sondern vielmehr einerseits die Thematisierung der Eigentumsfrage bei gleichzeitig zentraler Orientierung auf Erwerbsarbeit.

Es wurde die Frage aufgeworfen, dass eine vollumfängliche Ver-gesellschaftung der Wirtschaft nicht sinnvoll ist, dies habe in der Vergangenheit nicht funktioniert. Daher keine Ausweitung der Verstaatlichung über die im Entwurf genannten Bereiche hinaus.

In der Frage der Vergesellschaftung strukturbestimmender Betriebe wurde die Frage nach den Kriterien für »strukturbestim-mend« aufgeworfen und auf welchen Analysen dies beruhen soll.

Statt von strukturellem sollte man von funktionellem Eigentum sprechen (Bezug auf öffentliche/gesellschaftliche Kontrolle vergesellschafteten Eigentums).

Es wurde erwähnt, dass von Ausbeutung zu sprechen, antiquiert sei, der Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit geeigneter wäre. Kann man bei Selbständigen und linken Unternehmern mit vielleicht ein oder zwei Beschäftigten noch von einem klassi-schen Ausbeutungsverhältnis (im Sinne der Aneignung fremder Arbeit) sprechen? Wie gehen wir mit dem Fakt der Selbstausbeu-tung um und wie definiert man das?

In der Debatte wurde die Frage der Verfügung über die Pro-duktionsmittel als zentral gekennzeichnet, wer verfügt über die Produktionsmittel, die Unternehmen? Konkurrieren dann z. B. staatliche Banken untereinander? Wie soll der Vergesellschaf-tungsprozess organisiert werden, damit er demokratisch abläuft? Der Begriff der Wirtschaftsdemokratie müsse weiter gefasst werden, als unser jetziger Begriff von betrieblicher Mitbestim-mung vorgibt. Es wurde bemerkt, dass Staatskonzerne nicht per se die Garantie bieten, dass keine Ausbeutung stattfindet und damit eine zentrale Frage linken politischen Denkens nicht als beantwortet gelten kann.

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3. Charakter und Rolle der Arbeit, Arbeitsbegriff Eine Konkretisierung des Begriffs »Gute Arbeit« wurde als drin-gend erforderlich angesehen. Die Reduktion von guter Arbeit auf gut bezahlte Arbeit ist als weitgehend unzureichend anzusehen. Damit würde der Aspekt der Unterdrückung und Ausbeutung genau im Prozess der Erwerbsarbeit (Lohnarbeit) ignoriert, das Problem auf die Höhe des Lohnes und die Arbeitszeit reduziert. Dies sei eine nur dürftige Beschreibung von und Reaktion auf kapitalistische Produktionsverhältnisse. Der kulturelle Aspekt von Arbeit ist kaum beschrieben; Arbeit dürfe nicht kulturell entwertet werden. Zum Inhalt des Arbeitsbegriffs ist im Entwurf nichts zu finden. Gute Arbeit muss also neu und umfassend definiert werden, vom Marxschen Ansatz ausgehend, der menschliche Tätigkeit weit umfassender beschreibt und Lohnarbeit unter kapitalistischen Bedingungen gründlich und ausführlich kritisiert.

Es wurde ebenso ausgeführt, ob nur (Erwerbs-) Arbeit Träger gesellschaftlichen Reichtums ist oder nicht auch z. B. Kultur oder viele andere Bereiche menschlichen Tätigseins.

4. Zielrichtung des Programms Die Frage, für welche Zeiträume das Programm konzipiert ist, ist eng verbunden mit den politischen Handlungsansätzen, die sinn-voll im Programm bearbeitet werden können. Der vorliegende Entwurf stellt keinen Text dar, der über die derzeitige bürgerliche Gesellschaft hinausreicht, die gegenwärtige Gesellschaft bildet den Kontext. Daher wird im Entwurf auch nicht der Systemwech-sel dargestellt. Die Forderung, den Entwurf auf eine Reihe von Schlüsselaussagen einzudampfen und diese der Öffentlichkeit präsentieren, wurde aufgeworfen.

Im Entwurfstext fehle eine klar gegliederte Zielbeschreibung, und diese auch in Bezug auf den Rahmen EU, der nicht ignoriert werden kann: der soziale Bezug und eine globale Zielstellung solle formuliert werden.

Woher die Ansätze für die im Programm zu verwendenden Begrifflichkeiten kommen und ob ein gemeinsamer Nenner als

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Fundament notwendig wäre, wurde als Frage aufgeworfen. Doch die kulturellen Voraussetzungen und die bezüglich der Bildung seien sehr unterschiedlich in der Mitgliedschaft, eine Reduktion in dieser Frage möglicherweise ein Ausweg.

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Forum 2: Freiheit und DemokratieVorbemerkungen: Der Programmentwurf äußert sich auf Seite 9 und 18 zu o. g. Problemen. Man kann also nicht sagen, es stünde nichts zum Thema drin. Gleichwohl wird hier deutlich, dass die bloße Nen-nung von Themen noch lange nicht ihre Bearbeitung und Durch-führung bedeuten. Der Workshop hat nicht nur aufgezählt, was alles fehlt, sondern Ansätze einer Erklärung herausgearbeitet, warum der Programmentwurf in Sachen Freiheitsrechten und Staatsverständnis so schwach auf der Brust ist.

A. Freiheitsrechte und Demokratie Wie gesagt taucht das Thema nicht auf. Aber ist die Problem-beschreibung ausreichend? Auch oder gerade hier stellt sich wieder die Frage nach gesellschaftlichen PartnerInnen, und diesmal sind es wirklich nicht an erster Stelle die Gewerkschaf-ten. Was dem Programmentwurf eindeutig fehlt, ist ein fundierter Abschnitt zum Thema individueller und Freiheitsrechte, darin das große Problem der Gefährdung der informationellen Selbstbe-stimmung. Wir müssen uns äußern zur Online-Durchsuchung und Überwachung des Internets, zum privaten wie staatlichen Einsatz von RFID-Chips, der Vorratsspeicherung von Daten der elekt-ronischen Kommunikation, der Erfassung biometrischer Daten, der Verletzung des Post- und Bankgeheimnisses. Zu all dem findet sich im Programmentwurf nichts. Zwar prangert er den Überwachungsstaat an, vermeidet aber jedes konkrete Problem. Wie steht denn DIE LINKE zur Videoüberwachung öffentlicher Räume? Und wenn es um Selbstbestimmung geht: Wie sieht es mit der Entkriminalisierung des Genusses weiterer Drogen aus? Das Thematisieren des grundlegenden Topos´ der Freiheits-rechte, wie des Rechts auf individuelle Selbstbestimmung, ist nicht einfach ein Spleen besserverdienender Selbstverwirklicher. Vielmehr kommen dabei mindestens vier Aspekte zum Tragen:

– Der unmittelbar politische: Der Datenstriptease betrifft nicht zuletzt, vielleicht sogar vor allem, politisch aktive Linke.

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24 Programmkonvent

– Der soziale: Gerade die sozial Schwächsten sehen sich ver-heerender Überwachung, Verdächtigung und Sanktionierung ausgesetzt. Ihre Privatsphäre ist weitgehend ungeschützt. Sie müssen ggf. den Verdacht des »Leistungsmissbrauchs« ausräu-men (Beweislastumkehr).

– Der Bildungsaspekt: Die Piratenpartei hat sich ursprünglich im Streit um Urheberrechte im Internet entwickelt. Darüber hinaus bildet das Netz die Möglichkeit des fast unbegrenzten Zugangs zu Information, Wissen und somit Bildung. Wie wäre es also mit einem Grundrecht auf ungehinderten Internetzugang ohne soziale Barrieren?

– Bündnisse: Wenn wir Freiheits- und Grundrechte zu unserem Thema machen wollen, und was spräche dagegen, wären wir anschlussfähig für politische Bewegungen der Zivilgesellschaft, lokale wie überregionale Initiativen gegen Videoüberwachung, aber eben auch für die GRÜNEN, bei denen man dieses Thema zuallererst vermutet (warum eigentlich?), und die Piratenpartei.

Alle Aspekte zusammen genommen, gibt es keine Begründung dagegen, sich als linke Bürgerrechtspartei zu entwickeln. Ein allererster Schritt wäre, dieses Wort im Programm aufzunehmen.

vier Zusätze: 1. Es wurde im Workshop auf die Dürftigkeit der Passagen zum Asyl- und AusländerInnenrecht hingewiesen. Als Beispiel sei genannt, dass der Entwurf zwar die Forderung nach Asyl für politisch Verfolgte und Flüchtlinge vor Kriegen und Menschen-rechtsverletzungen aufstellt. Wie sieht es aber mit Menschen aus, die vor Hunger, Umweltkatastrophen oder autoritären Verhältnissen fliehen?

2. Wenn es um eine Kritik der Gefährdung von Freiheitsrechten geht, so muss man konstatieren, dass dem Programmentwurf jegliche Patriarchatskritik fehlt.

3. Auch im Spannungsbogen: Wirtschaftsfreiheit einschränken – BürgerInnenfreiheiten ausbauen – spielt die Stärkung der Teilhaberechte durch soziale Absicherung eine wesentliche Rolle. Zwischen »der Wirtschaft« und den abhängig Beschäftigten

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gewissermaßen Waffengleichheit herzustellen, das Moment der Erpressung in den Verhandlungen beider Seiten wesentlich zu verringern, ist das Bedingungslose Grundeinkommen ein Weg zur Demokratisierung der Gesellschaft, der einfach ins Programm gehört. Zudem thematisiert es die Veränderung der Arbeitswelt, liefert Kritikansätze am Arbeitszwang und macht (wie die Begrün-dung des Rechts auf individuelle Selbstbestimmung überhaupt) den Weg frei für eine entspannte und fundierte Diskussion zum Recht auf Muße.

4. Die völlige Unterbelichtung der Freiheitsproblematik findet sich, mit einer gewissen Konsequenz, im Abschnitt »Wo wir herkommen« wieder. Wenn es uns um die Sicherung und Erweiterung politischer Teilhabe geht, eben weil dies immer auch individuelle Rechte meint, ist es verwunderlich, dass der Anarchismus ungenannt bleibt. Noch mehr, gerade für im Westen sozialisierte Linke, überrascht, dass genau die Bewe-gung, die BürgerInnenrechte auf die Tagesordnung gesetzt und dem miefigen Vater Staat BRD demokratische Entwicklungen abgerungen hat, nicht vorkommt. Will DIE LINKE allen Ernstes die 68er ausblenden?

B. Staatsverständnis der LINKEN Grundsätzlich stellt sich die Frage, was eine sozialistische Perspektive auf den Staat wäre. Hier greifen etwa Mindestlohn oder Belegschaftseigentum einwandfrei zu kurz. Vielmehr geht es darum, wie der Staat so umzubauen ist, dass die Menschen mehr Zugriff auf ihre eigenen Angelegenheiten haben. Ist der Staat für die Bürgerinnen und Bürger da, besser noch für alle Menschen, Bürger oder nicht, oder die Bürgerinnen und Bürger für den Staat? Ziel und Weg müsste ein antiautoritärer Staat sein, in dem sich mündige Bürgerinnen und Bürger selbst in die Pflicht nehmen können.

Der Programmentwurf, der so konzentriert auf die Eigentumsfra-ge und die Forderung nach guter Arbeit ist, führt nicht wirklich aus, wie der Staat aussehen soll. Das ist aber sehr wichtig, nicht nur im Spannungsfeld autoritärer Staat - mündige BürgerInnen - sondern zuerst dann, wenn man doch so sehr auf die Verstaatli-chung der Banken und weiterer Schlüsselbereiche der Wirtschaft abstellt. Dieser Ruf nach Verstaatlichung kann als Reaktion auf

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26 Programmkonvent

die Privatisierungsorgien der letzten 30 Jahre durchaus verständ-lich sein. Gleichwohl bürgt Verstaatlichung noch lange nicht für Demokratisierung und, wie ein paar Jahrzehnte Sozialismus gezeigt haben, für Effizienz und ökologische Nachhaltigkeit. Das ist auch von Bestrebungen zur Rekommunalisierung zu sagen. Das Wort vom Eigentumsmix birgt mehr Fragen, als irgendeine Antwort.

Ein Beispiel wie Entscheidungen aussehen könnten: Deutsche Bahn: Drei Gruppen handeln Entscheidungen aus: Die Beleg-schaft, die Öffentliche Hand (Staat?) und die Fahrgäste. Das »Management« ist nur noch ausführend.

Schlussbemerkungen: Wie eingangs erwähnt, machte sich der Workshop auf die Suche, warum das, was fehlt, fehlt oder mindestens nur nebensächlich erwähnt, aber nicht durchgeführt, als wirkliches Problem also nicht erkannt wird. Es kann mit der Perspektive zu tun haben. In kapitalismuskritischer Manier wird zuallererst die Eigentumsfra-ge gestellt. Das gilt spätestens seit der Vereinigung von PDS und WASG als Lackmustest dafür, ob eine Genossin im »linken« oder »rechten« Lager steht. Angenommen, diese Frage entschiede, wenigstens im Grundsatz, alles weitere, bleibt der Programment-wurf jeden Ansatz von Antwort schuldig. Ab er es geht ja um die Perspektive. Der zweite Grundsatz ist ein gewerkschaftlicher und heißt »Gute Arbeit«. Vor diesem Hintergrund können Rechte auf individuelle Selbstbestimmung nur nachrangig in den Blick kommen, gewissermaßen als Nebenwidersprüche.

Die TeilnehmerInnen des Workshops waren sich aber einig, dass BürgerInnenrechte, Rechte auf informationelle Selbstbe-stimmung usw. mit sozialen Rechten auf gleicher Höhe stehen müssen. Dafür genügt ein einfacher Perspektivwechsel.

Nicht gute Arbeit, Mindestlohn oder Eigentum, sondern die einfache, aber grundlegende Frage: Was braucht der Mensch? Diese Frage gestellt, führt kein Weg am Thema des Workshops vorbei. Das PDS-Programm von 2003 und zu Teilen auch die programmatischen Eckpunkte hatten diese Perspektive.

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27Grundsatzkommission

Forum 3: Was sind unsere Ansätze für gesellschaftlichen Wandel?Eingangsschwerpunkte, die hier besprochen werden sollen:

– Ausbeutung / Unterdrückung.

– Ausbildungsplätze / Arbeitsmarkt – Einbindung der Jugend in die Veränderungen.

– Wen brauchen wir für den gesellschaftlichen Wandel? Wie gewinnen wir die Gruppen?

– Wie kann gesellschaftlicher Widerstand umgesetzt / reaktiv und in und mit der Partei unterstützt werden?

– Wege der Veränderung – über politische Mehrheiten?

– Wie schaffen wir es, Hegemonie herzustellen? Mit welchen PartnerInnen?

– Begriff der Arbeit – individuelle Freiheitsrechte, Vergütung, Anerkennung, repressionsfreie Grundsicherungsmodelle? Erweiterung der transformatorischen Projekte/ Prozesse, da bisherige Ansätze nicht ausreichend und radikal genug sind.

– Wie kann die Arbeit mit außerparlamentarischen Kräften aussehen?

– Wie kann ein linkes Projekt aufgebaut werden?

– Definition von Kultur fehlt bisher, obwohl grundlegend.

– Religion und deren Einfluss bedürfen einer Auseinander- setzung.

– Nachhaltigkeit – Frage der Ökologie und Umsetzung.

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28 Programmkonvent

– Wahlalter.

– Rolle der Gewerkschaften – als politische Kraft der Einheits- gewerkschaft hinterfragen und klären.

Schwerpunkte:

– Bündnis -, KooperationspartnerInnen / Hegemoniefrage.

– Arbeitsbegriff.

Diskussion:

Teil 1: Bündnis-, KooperationspartnerInnen / Hegemoniefrage – Genaue Betrachtung der Gewerkschaft und unseres Verhält- nisses zu ihr notwendig.

– Politikwechsel der Partei notwendig, wenn Mehrheiten gewon nen werden sollen – »Realpolitik« widerspricht oft den eigenen Programmansätzen und erschwert die Suche nach Bündnis- partnerInnen, weil unglaubwürdig.

– Kritische und bewusste Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und anderen Gruppen, Verbänden.

– Wir müssen es nicht jeden Recht machen (nicht unbedingt progressiv für die Entwicklung des gesellschaftlichen Wan- dels).

– Kommunale Selbstverwaltung sollte nicht aufgegeben werden (Zwangsverwaltung eher kritisch zu betrachten).

– Wie können wir BündnispartnerInnen finden und für diese attraktiv sein, unabhängig davon, ob gerade gespart werden soll und sich über dieses Problem Kontakte ergeben haben?

– Akzeptanz von Menschen, welche sich nicht oder nur gering für Politik interessieren.

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29Grundsatzkommission

– Frage von politischen Kompromissen in der Realpolitik und der Form einer starken Opposition – Ende der Trans- formation?

– Verwaltungstechnisches Denken der PolitikerInnen in der realen Praxis vs. klarer politischer Interessen.

– Gewerkschaften von links antreiben.

– Interessensvertretung für bestimmte Menschen nicht aufgeben (arbeiterschaftliche Verantwortung).

– Wer sind die progressiven Kräfte? Postmoderne Verhältnisse sind schwer überschau- und fassbar, Antworten sind darauf nicht leicht.

– Warum brauchen wir überhaupt ein Programm? Wo wollen wir hin? Mit wem?

– Wollen wir kommunale Selbstverwaltung? Wie definieren wir sie?

– Art und Weise der Suche von BündnispartnerInnen stellt sich als Frage – zu überlegen ist, wie eigene Schwerpunkte zu Geltung kommen können, wenn wir mit Anderen zusammen- gehen.

– Weiterhin die bewährten Formen nutzen und eventuell ver- stärken – Offene Büros, Unterstützung leisten.

– Selbstverständnis und selbstbewusstes Auftreten der Linken in politischer Verantwortung.

Teil 2: Arbeit / Arbeitsmarkt /Ausbildung – »GUTE ARBEIT« im Programmentwurf – Kann Arbeit, bei ihrer gegenwärtigen Bedeutung für die Gesamtwirtschaft und für die Menschen, in Frage gestellt werden?

– Umsetzung einer neuen Definition in Theorie und Praxis – Revolution, von unten, aus der Gesellschaft.

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30 Programmkonvent

– Der Weg sollte weiter führen, als bis zum Mindestlohn, eher die Frage thematisieren, wie Arbeit auch gegenwärtig noch Ausschlussprozesse und Ungerechtigkeiten strukturiert und produziert.

– Neue Konzepte – Präzisierung unserer Vorstellungen und Entwürfe von »Arbeit«, diese auch parlamentarisch umsetzen.

– »Arbeit« wird sich real eher Schritt für Schritt verändern. Im Programm wird dem Rechnung getragen, da dort nur auf »absehbare Zeit« hin Arbeit als bedeutend dargestellt wird – das Programm ist offen für neue Formen!

– Schritte Richtung Grundeinkommen und Mindestlohn sind wichtig, reichen aber allein nicht aus.

– Eigentum und Verfügungsgewalt – MitarbeiterInnenbeteili- gung erhöht Möglichkeiten eines sozialökologischen Umbaus.

– Wirtschaftskonzept muss vollständig in Frage gestellt werden (Ressourcen)

– Grundeinkommen als wirkliches transformatorisches Projekt des Wandels von Arbeit möglich.

– Wachstumsfrage – Nachhaltigkeit hin zu einer Wirtschaft für den Menschen.

– Abwertung von Arbeit problematisch und zu idealistisch hinsichtlich des Menschen.

– Schule und Arbeit können sich viele in gegenwärtiger Zeit nicht anders vorstellen, muss aber hinterfragt werden.

– Lohnarbeit nicht so bedeutungsvoll, wie von vielen angenom- men, sondern oft sind es gerade andere Bereiche, die Produk- tivität und Innovation erzeugen bzw. gesellschaftlich notwen- dig sind.

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31Grundsatzkommission

Forum 4: »Politische Kultur und Selbstverständnis der LINKEN«Die Entwicklung der Linken in der wiedervereinigten Bundes-republik und insbesondere seit dem Zusammengehen von PDS und WASG macht Überlegungen zu einem Selbstverständnis der Partei DIE LINKE und deren politischer Kultur zu einer herausge-hobenen Frage. Mit dem Selbstverständnis eng verwoben ist die Debatte um Regierungsbeteiligung oder konsequente Opposition und das Verhältnis zum Begriff des Staates und seiner Institutio-nen, und damit vor allem die Perspektive Partei versus Umwelt. (Diese Fragestellungen wurden im Programmkonvent der sächsi-schen LINKEN im Juni 2010 in parallelen Workshops diskutiert.)

Demgegenüber meint der Begriff der politischen Kultur zum Einen das Verhältnis der Parteimitglieder, MandatsträgerInnen und FunktionsträgerInnen untereinander, zum Anderen das Ver-hältnis der Partei als Ganzes sowie ihrer Mitglieder nach außen in die Gesellschaft und zu politischen Partnern.

Im Workshop entwickelte sich unter der Frage nach der politischen Kultur die Diskussion zu einer Betrachtung des Verhältnisses von politischem Ehrenamt und Berufspolitik von MandatsträgerInnen. Aus ihrem Selbstverständnis heraus, aus ihrem Demokratieansatz und im Interesse der Mobilisierungs-fähigkeit kann die LINKE auf politisch ehrenamtlich Engagierte nicht verzichten. Daraus folgt jedoch auch, dass Politik Spaß machen sollte, gerade weil es keine Entlohnung gibt und das Engagement zusätzlich zur eigenen Existenzsicherung ausgeübt wird. Die Pflege der sogenannten Parteibasis sollte deshalb stärker ins Bewusstsein rücken und bereits mit der Art der parteiinternen Kommunikation beginnen. Die Gefahr einer Privatisierung des Mandats wurde im Spannungsfeld zwischen politischer Pluralität als Potenzial der LINKEN einerseits und der Frage der Glaubwürdigkeit andererseits angesprochen. Die Frage der Glaubwürdigkeit stellt sich sowohl innerhalb der LINKEN für FunktionsträgerInnen und Mitglieder von Gremien, als auch in Bezug auf die politischen Repräsentanten der LINKEN nach außen. Neue Arbeitsweisen seien deshalb nötig, auch um teilweise Selbstbeschäftigung zu überwinden.

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32 Programmkonvent

In der Diskussion wurde auch die Frage der Mandatszeitbegren-zung angesprochen, man war sich darüber einig, dass Politik kein normaler Arbeitsmarkt ist. Es wurde die Frage angerissen, ob Berufspolitik eine Voraussetzung für die Wirkungsmächtigkeit von Parteien überhaupt und der LINKEN im Konkreten ist. Die Notwendigkeit von Personalentwicklung für geregelte Nachfol-gen von Funktions- und MandatsträgerInnen war Konsens und auch, dass Funktionen, jedoch nicht Personen ersetzbar sind und sogar sein müssen. Betrachtet man Parteien als eine Art besonderes Unternehmen, kann auch von Innovation und der Notwendigkeit, sich als Partei ständig neu zu erfinden, gespro-chen werden.

Einigkeit bestand darüber, dass die LINKE eine Professionalisie-rung der ganzen Partei braucht, dass Bildung und Personalent-wicklung die Kompetenzen des Einzelnen und der Partei erwei-tern. Dazu ist Berufspolitik in der bisherigen Weise ungeeignet, da sie zu wenig professionelle Kompetenzträger zulässt. Denn die gesellschaftliche Verankerung und die Ausstrahlung der LINKEN nach außen sind nicht durch dauerhaft hauptberufliche Mandatsträger allein zu leisten. Für die Verankerung der LINKEN in der Gesellschaft braucht es entschieden mehr professionelle Kompetenzträger mit politischen Querschnittserfahrungen sowohl über die Politikebenen als auch aus Ehrenamtlichkeit und bezahlter Politik. Die Programmdebatte der LINKEN sollte dabei die Chance auf die Diskussion um neue Formen der Arbeit zwischen bezahlten Politikphasen und Ehrenamt nutzen, um zu mehr wirksamer innerparteilicher Teilhabe und einem besseren System der Personalrekrutierung zu kommen.

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33Grundsatzkommission

Forum 5: Für wen erarbeiten wir ein Parteiprogramm?– Für wen schreiben wir das Programm?: eigentlich für die Medien, nicht für die innerparteiliche Konstituierung und Selbstfindung.

– Jetzige Selbstfindung gegen das Ziel politische Mitstreiter- Innen präzise anzusprechen (Wähler, Verbündete).

– Realitätssinn (ist nicht stringent) gegen die Vision (die fehlt): wie erreichen wir Unmutige (z. B. Hartz-IV–Empfänger, die vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten sind); wie beziehen wir MitstreiterInnen mit ein?

– Wen wollen wir ansprechen? – Hartz-IV-Empfänger, VW- Arbeiter am Band mit mittlerem Einkommen – wir schreiben ein Programm für die Öffentlichkeit; die Medien bilden einen Filter, aber über diesen Weg erlangen wir die Öffentlichkeit; ist mediale Vermittlungsfrage.

– Es soll ein Programm für das sein, wofür für stehen.

– Drei Punkte sind wichtig: für uns selbst ein Gesangbuch; für Europapolitik ist es notwendig; Zielgruppen stehen im Mittel- punkt; Lebenserfahrungen der Menschen möglichst beachten.

– Zur Länge des Programms: Geschichtsanalyse muss nicht drin sein; genauer definieren, wenn wir Zielgruppen meinen.

– Warum brauchen wir die Geschichte in unserem Programm? – Interessiert das die Menschen? Interessiert sie das zuerst?

– Ein Aktivierungsprogramm muss ganz anders aussehen.

– Die Frage der Medien ist entscheidend: dort müssen wir mit dem Programm rein.

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34 Programmkonvent

– Die Zielgruppen sind in der Präambel formuliert: Unmutige sollen gewonnen und aktiviert werden; es muss eine Außen- wirkung erreicht werden.

– Begriffe sollten überprüft werden: es sollen Begriffe sein, die alle verstehen.

– Selbstfindung, präzise Ansprache an die Menschen, Präsen- tation des Programms ist erforderlich und in entsprechender Qualität anzubieten.

– Perspektiven oder aktuelle Fragen; was wollen wir im Pro- gramm haben? Visionen sind enthalten, aber ist es das, was andere wollen? – es muss nicht das sein, was andere wollen; Visionen sind etwas Neues, Vorstellungen von Zukunft.

– Keine ewige, festgeschriebene Dauerstellung des Programms; eher beweglich, flexibel und den Zeiten entsprechend; nicht für die Ewigkeit; globale u. a. Ereignisse können passieren; kein Vermächtnis einzelner Politiker.

– Demokratie in der Diskussion muss transparent und für alle zu begreifen sein, damit nicht irrtümlich von Streitereien ge- sprochen wird.

– Ein Doppelproblem wird sichtbar: Wie strömt der Pluralismus in die Partei ein? Pluralismus muss angeboten werden als eine Besonderheit der Partei; alle Ansätze des Denkens müssen mit dem Programm umsetzbar sein.

– Begriffliche Definitionen der Worte sind erforderlich; Assozia- tionen der Menschen sind wichtig, Begriffe wie Freiheit und Demokratie, Gleichheit usw. müssen in positive Kontexte kommen; erst dann wird es für Menschen verständlich.

– Soziale Sicherheit, politische Freiheit, Demokratie müssen ins Programm; soziale Marxwirtschaft wäre der Kompromiss dafür, dass die soziale Marktwirtschaft auch in unserem Programm zu finden ist, mit entsprechenden Assoziationen der Menschen.

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35Grundsatzkommission

– Wir mögen den Pluralismus, aber wir können nicht alle Kleinig- keiten einfließen lassen; das Wesentliche geht verloren; es muss klar, deutlich und sicher sein, dass Andere uns suchen.

– Pluralismus darf nicht 1000 Kommas und Aufzählungen bedeuten.

– »Ismus« – Substantive sind nicht geeignet für eine Präambel; z. B. »Leben in Menschenwürde« ist ein guter Titel; das ist ein archimedischer Punkt, der alle anspricht.

– Antifaschismus und Antirassismusstandpunkt sind erforder- lich; Eigensinn und Egoismus sind in den Diskussionen unangebracht, haben auch nichts mit Pluralismus zu tun.

– Titelvorschlag: »Wir hören auf das Volk«; »Hier drückt der Schuh« – in dem Zusammenhang wird der Volksbegriff erörtert.

– Entlastung von Begriffen erreichen, mit denen keine Aussagen verbunden sind

– Kann man eine Überschrift zur sprachlichen Entlastung finden?

– Eine Methodik zur Programmerarbeitung ist nicht vorhanden, jedenfalls keine transportierten Methoden.

– Für wen schreiben wir? – noch offen! Momentan besteht das Gefühl, das es für die Gewerkschaften ist (zu einseitig).

– Der Arbeitsbegriff ist noch sehr konservativ belegt; an Hartz- IV-Empfänger kommen wir nicht ran, haben keine Verbindung.

– Das Programm muss so sein, dass Menschen mit ihren Idealen und Assoziationen zu uns kommen.

– Die Geschichte ist noch umstritten; die Diskussion ist noch nicht in der Partei eröffnet und deshalb sind keine Perspekti- ven und Visionen zu finden.

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36 Programmkonvent

– Wir müssen in die Gesellschaft hinein gehen, um die Mit- glieder und die Menschen zu erreichen.

– Gewerkschaft ist bekannt, mit dem Begriff verbinden sich Assoziationen, deshalb wird er verwendet.

– Neue Idee zur Arbeit finden, z. B. gesteigerter Profit durch Freisetzung der Arbeiter; die freigesetzten Lohnarbeiter müssen Anteile aus dem daraus erzielten Profit kriegen.

– Das Programm muss die negativen Assoziationen der DDR- Vergangenheit von uns weg bringen; deshalb ist Geschichte nötig.

– Zur Sprache: Sätze kürzen, positiven Kontext für alte bzw. entstellte Begriffe finden; Fremdwörter vermeiden; spezifische Fachwörter vermeiden.

– Wie ist sprachliche Verständlichkeit erreichbar?

– Gibt es eine Kurzfassung für die Öffentlichkeit? Wie kommen wir an die Köpfe der Menschen ran?

– Wollen wir ein Kurzprogramm? – ist schwierig, wenn wir Zusammenhänge beschreiben wollen; dennoch müssen wir Einzelpositionen an geeigneten Stellen präsentieren.

– Wirft uns inhaltlich von bereits diskutierten Visionen zurück.

– Eine Politik weg von Kampfabstimmungen, hin zu konstrukti- vem Streiten.

– Idealfall der Verständigung: nach außen überarbeitete Ver- sion, die unser Selbstverständnis verkauft.

– Langfristiger Zeitraum; welche Rolle spielen die Krise, der Afghanistankrieg?

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37Meinungen aus der Grundsatzkommission

Anmerkungen zum vorliegenden Programmentwurf von Julia Bonk

Für einen zweiten ProgrammentwurfDer vorliegende Programmentwurf ist in seiner Beschreibung der gesellschaftlichen Ausgangslage (Finanzkrise) und den darin enthaltenen politischen Forderungen in erster Linie tagespoli-tisch gehalten. Es steht daher in Frage, ob sowohl die Situati-onsanalyse als auch der beschriebene »Fahrplan« als Programm politikleitend für einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren sein können. Aufgrund einer großen Streuung der Themen unter ver-schiedenen Überschriften wird eine punktgenaue Veränderung einzelner Themen erschwert. Deshalb, und nicht nur deshalb, tut eine grundlegende Überarbeitung Not. Im folgenden kann auf drei Punkte etwas genauer eingegangen werden.

1. Eigentumsfrage, Staatsverständnis und Subjekte der gesellschaftlichen Veränderung Der im Entwurf enthaltene Vorschlag zur Schaffung eines »Mixes« an Eigentumsformen in der gesellschaftlichen Reproduk-tion ist nach meiner Sicht der richtige Ansatz, um viele der von uns in den entsprechenden Feldern formulierten Anforderungen zu erreichen: mehr Entscheidung von BürgerInnen auch in ökonomischen Belangen, mehr Rechte und Beteiligungen der Belegschaften, öffentliche Kontrolle der Daseinsvorsorge. Die Schaffung eines Eigentums-Mixes entspricht konzeptionell also der geforderten Vorherrschaft des Demokratischen vor kapitalis-tischen Profitprinzipien, bedarf aber einer weitaus intensiveren inhaltlichen Untermauerung: wie sollen diese Übergänge gelin-gen, welche wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Eigentums-formen in verschiedenen Sektoren liegen dem zugrunde?

Ein Vorteil der Vorstellung vom Eigentums-Mix liegt im dahinter liegenden Verständnis von Staatlichkeit: Staat kann da, wo die Verstaatlichung von Schlüsselbereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge gefordert wird, den gleichen Zugang für alle und nicht-marktförmige Organisationskriterien garantieren, z. B. dass der ÖPNV überall fährt, wo Menschen sich in ihrem Lebensum-

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38 Meinungen aus der Grundsatzkommission

feld bewegen wollen. Die genaue Ausgestaltung aber wollen wir alle doch keiner staatlichen Bürokratie, keinem Amt überlassen, oder? Oder die tatsächliche Entscheidung über die grundlegen-den Ressourcen von Produktivität und Bedürfnisbefriedigung: dies »dem Staat« zu überlassen, war in der Vergangenheit nicht mit den besten Erfahrungen gekrönt. Staat kann ein Mittel sein, z. B. gerechte Verteilung herzustellen und demokratische Entscheidungen umzusetzen, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse und zugrundeliegenden Entscheidungsprozesse dies hervorbringen. Er ist nun aber nicht gerade ein Garant für Innovation und anti-autoritäres Entscheiden. Die Vorstellung vom Eigentums-Mix trägt diesem differenzierten linken Verhältnis zum Staat Rechnung und ermöglicht Betei-ligung von BürgerInnen und konzeptionelle Vielfalt auf vielen Ebenen – ein dem nahe kommendes Bild ist die Organisation des Kita-Bereiches, der nach öffentlichen Vorgaben und mit weit-gehend öffentlichen Geldern in einer breiten Trägerlandschaft vielfältige Konzepte vorhält. Wie gesagt bedarf das Wort vom Eigentums-Mix im Programm aber noch der weiteren Ausfüh-rung. Dazu sei gesagt, dass eine Beschreibung des Staates als eines zunehmend autoritären und repressiven, auch im Kapitel Demo-kratie und Freiheit des Programmentwurfes, zu kurz kommt.

Wer sollen diejenigen sein, die mit uns die Gesellschaftsverände-rung vollbringen und wie kann sie, grob gefasst, ablaufen? Diese entscheidende Frage beantwortet der Programmentwurf mit dem Bild eines großen emanzipatorischen Prozesses, auf den wir uns einlassen und den wir gestalten wollen, bei dem all diejenigen Mitstreiter sein sollen, die es eben wollen. Ziel: demokratischer Sozialismus. Fälschlicherweise geht der Programmentwurf aber im entspre-chenden Kapitel davon aus, dass wir die gleichen Interessen der von den Verhältnissen betroffenen Menschen nur zu bündeln brauchen, um deren Kraft zu erweitern. Der analytische Fehl-schluss liegt aber darin, dass unter den gegebenen gesellschaft-lichen Bedingungen durchaus große Interessenunterschiede bestehen, z. B. zwischen jenen, die einen Arbeitsplatz »ergattert« haben und jenen, die keinen haben, oder zwischen Männern in

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39Julia Bonk

den Führungsetagen, die ihren Vorteil aus dem Patriarchat haben und von struktureller Benachteiligung betroffenen Frauen. Es können also nicht einfach gleiche Interessen gebündelt werden, sondern es müssen Konzepte für eine andere Gesellschaft entwickelt werden, in denen die Auflösung dieser Interessen-widersprüche oder die gleichberechtigte Existenz in der Differenz möglich sind. Als LINKE wollen wir also diese Konzepte entwi-ckeln und Räume schaffen, um die vorhandenen unterschiedli-chen Interessen ins Verhältnis und in die Vermittlung zu bringen – hier halte ich einen Neuansatz für nötig.

Ein politischer Bündnisbezug zu Gewerkschaften wird an vielen Stellen im Programm benannt. Dabei wird nicht reflektiert, in welcher Situation Gewerkschaften sich heutzutage befinden, wo notwendig unterschiedliche Aufgabenbeschreibungen zwischen Parteien und Gewerkschaften sind und welche Bündnisoptionen bestehen. Gewerkschaften werden als Partnerinnen scheinbar prädestiniert und fast allein genannt, dem gegenüber werden weitere PartnerInnen zur Gesellschaftsveränderung zu allgemein oder gar nicht benannt. Es ist fraglich, ob in einer solchen Einen-gung die Erarbeitung von, über das Bestehende weit hinausrei-chenden, Konzepten möglich ist. Die weiteren PartnerInnen sind in den Themenfeldern zu finden, in denen wir mit ihnen gemein-sam gesellschaftspolitische Projekte erarbeiten wollen.

Die Beschreibung der zu leistenden gesellschaftlichen Verän-derung als großen emanzipatorischen Prozess scheint absolut richtig – da er nur als demokratischer zu gestalten ist, da Veränderung nicht ohne Selbstveränderung möglich ist und der Ermächtigung die Selbstermächtigung vorausgeht. Dennoch braucht die Beschreibung im Entwurf noch mehr Farbe – wer aus welchen Gründen auf welche Weise mit uns zusammen wirken wird.

2. Zum Abschnitt: »Gute Arbeit« Der Programmentwurf macht sich nicht ausreichend deutlich klar, wie sehr Produktivkraftentwicklung und Effektivierung die Arbeitswelt schon verändert haben. In der Folge finden weniger Menschen Einbindung in herkömmlichen Erwerbsarbeitsverhält-nissen und wird Ausschluss und Diskriminierung über Erwerbsar-beit produziert. Abwehrkämpfe zum Schutz vor dem Ausbau des

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40 Meinungen aus der Grundsatzkommission

Niedriglohnbereiches und zur Sicherung »guter Arbeitsverhältnis-se« kann deshalb nur die eine Seite unseres Engagements sein, ebenso wie die Forderung nach Mindestlohn und Arbeitszeitver-kürzung. Die Forderung der »gerechten Verteilung der gesell-schaftlichen Arbeit« muss konsequenter in der Anerkennung von Reproduktions- und Pflegearbeit, sozialer Arbeit im weitesten Sinne, als gleichgestellt mit der Erwerbsarbeit münden. Zudem wird nicht klargestellt, dass im Konzept der »Guten Arbeit« auch enthalten ist, Arbeitsplätze z. B. im Bereich der Rüstung u.ä. nicht weiter zu fördern, wie die Grünen es zum Beispiel deutlich im Bezug auf den Nichterhalt von Arbeitsplätzen in nicht ökolo-gisch nachhaltigen Bereichen sagen. Es bleibt auch die Frage: Setzt sich DIE LINKE also weiterhin für den bloßen Erhalt eines jeden Arbeitsplatzes ein, auch wenn dieser in individuell oder gesellschaftlich sinnvollere Tätigkeit überführt werden kann?

3. Sehr wenig, viel zu wenig findet sich darüber, wie unser Parteileben nach innen und im Wechselverhältnis nach außen sich verändern soll. Dies ist aber nötig, wenn wir das Vertrauen gewinnen wollen, dass wir zu so grundlegenden Umwälzungen in der Lage sind, wie wir sie inhaltlich vorhaben. Transparenz? Of-fenheit? Beteiligung und Praxisnähe – wie? Es ist keine Aussage zum Stellenwert der lokalen Verankerung der Parteigliederungen im Programmentwurf zu finden. Auch das Verständnis der Ge-schlechtergerechtigkeit in den eigenen Strukturen greift in den bestehenden Formulierungen zu kurz. (»Bei uns finden Frauen einen Raum, um sich selbst ...«) Die Abflachung parteiinterner Hierarchien ist eine Grundvoraussetzung, um gesellschaftlich verankerte, aktive neue Mitglieder zu gewinnen.

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Stefan Hartmann

Aus der Programmdebatte in SachsenIm Landesverband DIE LINKE. Sachsen wird die Programmde-batte mit sehr großer Intensität geführt. In allen Kreisverbänden diskutieren die Genossinnen und Genossen in zumeist selbst organisierter Form über den Entwurf des Programms. Ausgehend von der im Dezember 2009 vom Parteivorstand beschlossenen Zeitschiene wurde in den ersten Monaten der Programmde-batte vor allem darauf Wert gelegt, sich mit den Inhalten des Programmentwurfs vertraut zu machen. Da zu Beginn dieser Debattenphase entsprechend des Parteivorstandsbeschlusses davon ausgegangen werden konnte, dass die verschiedenen in diesem Zusammenhang artikulierten Probleme und Fragstellun-gen in einen überarbeiteten 2. Entwurf einfließen würden, wurde weitgehend darauf verzichtet, diese in Form von Änderungs- oder Ergänzungsanträgen zu fassen.

Das Subjekt gesellschaftlicher Veränderung Die Grundsatzkommission Sachsen erarbeitete ein Leitfragenpa-pier zur Debatte im Landesverband, das für die programmatische Arbeit eine gute Grundlage bildet. Einige Problemstellungen wurden dabei besonders intensiv diskutiert. Ohne dies mit einer Rangfolge zu verbinden, möchte ich hier zuerst das Diskussi-onsfeld der so genannten »Klassenfrage« ansprechen. Dieses Thema wurde insbesondere dahingehend als wichtig anerkannt, als da die zum Teil sehr weitgehenden Zielformulierungen im Programmentwurf eines oder mehrerer Träger bedürfen, die diese gesellschaftlich tief greifenden Veränderungen umsetzen. Dieses Subjekt gesellschaftlicher Veränderung, so die weitge-hend übereinstimmende Feststellung in der Debatte, wird im Entwurf nicht bzw. nur unzureichend bestimmt. Die vorhandenen Reminiszenzen an den Klassenbegriff im Sinne einer »Arbeiter-klasse« bzw. eines »Proletariats« haben im vorliegenden Text keine analytische Qualität. Eine konkrete Beschreibung eines solchen wenigstens denkbaren Subjekts ist nicht aufzufinden. Es wird zwar häufig, zum Beispiel in den Reformprojekten, auf die

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42 Meinungen aus der Grundsatzkommission

Arbeitnehmerschaft abgestellt, allerdings beschränkt sich dieser Aufruf auf weitgehend auch als sozialdemokratisch vorstellbare Vorhaben, zu nennen sind der Kampf um einen flächende-ckenden Mindestlohn, für Belegschaftseigentum oder eine gute, auskömmliche Rente für Erwerbstätige. Dies sind sicher ehrenvolle Ziele, allerdings ist eine grundsätzliche Differenz von linker zu sozialdemokratischer Programmatik aus solchen Ansätzen nicht erkennbar. Damit aber ist auch der Aufruf der ArbeitnehmerInnenschaft im Entwurfstext eben nicht der als »Subjekt gesellschaftlicher Veränderung«, sondern als Zielgruppe wichtiger, häufig im gewerkschaftlichen Kontext zu findender Aufgaben.

Ein weiterer, wenn auch nicht gründlich ausgeführter Ansatz hinsichtlich dieser Frage findet sich im Kapitel V., insbesondere im Absatz »Breite linke Bündnisse« (BreiLiBü). Hier ist eine deutliche Differenz aufzufinden, die im Gegensatz zum »Proleta-riat« als historischem Subjekt in älteren Texten auf eine andere Beschreibung setzt, die am »Multitude«-Ansatz orientiert scheint. Mit dem Aufruf dieser Perspektive sind jedoch Rückwirkungen verbunden, die der Programmtext bis dahin nicht einlöst. Dies ist daher wichtig, da die Frage nach dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung nicht in einer Zielgruppenanalyse aufhebbar (wer also »anzusprechen« ist usw.), sondern der praktische Prüfstein für die Relevanz unseres Programms ist.

Dies kann an einem eingängigen Beispiel gut illustriert werden: Wir beschreiben als Träger gesellschaftlicher Veränderung, als Partner für Bündnisse u. a. sozial Benachteiligte, Erwerbslose, diskriminierte Menschen usw. Mit diesen wollen wir in breiten linken Bündnissen kämpfen. Was aber bieten wird diesen mit hoher Wahrscheinlichkeit Nicht-Eck-Rentnern in einem Teilbe-reich an: eine erhöhte bedarfsgerechte Grundsicherung im Alter. Damit hätte DIE LINKE für die vielen praktisch jetzt schon mit Al-tersarmut konfrontierten Menschen kein sinnvolles Angebot für ein gemeinsames Kampfziel. Für die vielen Millionen Menschen, insbesondere in Ostdeutschland, die seit vielen Jahren mit sehr niedrigen Löhnen oder in phasenweiser oder lang andauernder Erwerbslosigkeit leben müssen, ist es eben schon der Fall, dass sie keine auskömmlichen Renten aus Erwerbsarbeit bekommen werden, weil große Teile ihres potentiellen Erwerbslebens bereits hinter ihnen liegen. Die Frage nach dem Subjekt gesell-

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schaftlicher Veränderung hat also Konsequenzen im Bereich der Reformprojekte und der Gesamtorientierung. Derzeit erscheint der Entwurfstext hinsichtlich dieses Verhältnisses als analytisch nicht ausgereift, als eine bloße Nebeneinanderstellung ver-schiedener Ansätze ohne den Versuch, diese zu vermitteln. Eine grundsätzliche Überarbeitung scheint an dieser Stelle notwendig zu sein, um eine konsistente und gesellschaftlich relevante Gesamterzählung zu erzeugen.

Die Eigentumsfrage Ein weiteres sehr grundsätzlich diskutiertes Thema ist in der so genannten »Eigentumsfrage« zu finden. Dass Eigentumsverhält-nisse Herrschaftsverhältnisse sind, kann aus der sächsischen Debatte heraus als Konsens begriffen und beschrieben werden. Der Entwurf wendet sich diesem Thema vor allem dahingehend zu, dass diverse Bereiche hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse beschrieben werden. Dies sind das öffentliche Eigentum, das er-halten werden soll, und dies sind verschiedene Bereiche (Finanz-sektor, strukturbestimmende Unternehmen) die verstaatlicht bzw. vergesellschaftet werden sollen. Die Differenz der Begriffe »Verstaatlichung« bzw. »Vergesellschaftung« wird ebenso wenig herausgearbeitet, wie eine klare Bestimmung des Begriffs »struk-turbestimmend« gegeben wird. Damit bleibt der Entwurfstext im Ungefähren, er erweckt den Anschein eines großen Wurfes, ohne diesen praktisch zu untersetzen.

Die Begründung für die Veränderungsnotwendigkeit im Bereich der Eigentumsverhältnisse ist allerdings überraschend. Während u. a. bei Marx (ÖPM, Kapital) noch eine Argumentation zu finden ist, in der beschrieben wird, wie das Privateigentum an Produk-tionsmitteln dazu führt, dass Lohnarbeit einen entfremdeten Charakter hat, das aus der Freiheit des Bourgeois die konkrete Unfreiheit des Proletariers erzeugt und damit eine unmittelbare Lebenswirklichkeit großer Teile der Gesellschaft beschrieben wird, argumentiert der Entwurfstext grundsätzlich anders.

Als Problem werden beschrieben: die Erpressbarkeit der Politik und die Aushöhlung der Demokratie. Durch Veränderungen in der Eigentumsfrage soll »die ökonomische Macht derer, die an Armut, Ausbeutung, Naturzerstörung, Rüstung und Kriegen verdienen, zurückgedrängt und überwunden« werden. Auf diese

Stefan Hartmann

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Weise wird der Blickwinkel verschoben, so dass er nicht mehr auf das strukturelle Problem kapitalistischer Ökonomie insbe-sondere für Menschen ohne Privateigentum an Produktionsmit-teln gerichtet ist. Vielmehr ist eine Tendenz erkennbar, in der die Probleme kapitalistischer Produktionsverhältnisse personalisiert werden. Dies ist auf analytischer Ebene ebenso inakzeptabel wie auf normativer. Der Rückfall des Entwurfstextes hinter die Marxsche Analyse kapitalistischer Verhältnisse, die diese eben nicht als das Ergebnis des Wirkens sinistrer Gruppen beschreibt, ist nur schwer akzeptierbar.

Die Auswirkungen für den Bereich der Reformprojekte sind dann auf der Hand liegend. »Gute Arbeit« ist nunmehr vor allem »gut bezahlte Arbeit«, die am besten nicht allzu lange dauern soll. Si-cher ist dies nicht falsch. Das grundlegende Problem mangelnder Selbstbestimmung, also Unfreiheit, wird nur randständig berührt. Es entsteht der Eindruck, dass für DIE LINKE alles in Ordnung sei, wenn die oben genannte Reihe von Bereichen in staatlicher Hand ist und einige Verbesserungen für ArbeitnehmerInnen realisiert werden. Für eine linke Programmatik gesellschaftlicher Veränderung ist dies viel zu wenig.

Ansätze für eine Antwort auf das »Wie«, also die Praxis der Veränderung der Eigentumsverhältnisse bietet der Entwurfstext nur in sehr spärlicher Art und Weise. Damit bleibt er weitgehend beschreibend hinsichtlich eines »Sein-Sollens«. In der Formu-lierung: »Wir wollen eine radikale Erneuerung der Demokratie, die sich auch auf wirtschaftliche Entscheidungen erstreckt und sämtliche Eigentumsformen emanzipatorischen, sozialen und ökologischen Maßstäben unterwerfen« kann allerdings ein methodischer Ansatz vermutet werden. Dieser jedoch ist interes-santerweise rein regulierend, eine Veränderung von Eigentums-verhältnissen folgt nicht. Dementsprechend häufig wurde in den Diskussionen formuliert, dass im Bereich der Veränderung der Eigentumsverhältnisse auf die Unterscheidung zwischen Fern- und Nahzielen zurückgegriffen werden solle, um einen überzeu-genden und glaubwürdigen Programmtext zu erhalten.

Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass allein die beiden hier ausgeführten Problemkreise erheblicher Veränderungen bedür-fen, falls die Basisdebatte relevant in den endgültigen Programm-text einfließen soll. Da dies als selbstverständlich vorausgesetzt

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sein sollte, steht vor der nunmehr für die Programmdebatte verantwortlichen Redaktionskommission eine sehr umfängliche Aufgabe, die nicht mit Formelkompromissen gelöst werden kann. Wesentliches Kriterium für die Programmatik der LINKEN, auch dies kann als Debattenergebnis in Sachsen gewertet werden, muss eine realitätsnah zu beschreibende Praxis gesellschaft-licher Veränderung bleiben, da ansonsten die Gefahr besteht, mit dem Programm an Glaubwürdigkeit und gesellschaftlicher Wirkungsmacht zu verlieren.

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Ralf Becker, Mitglied der Grundsatzkommission LV Sachsen (Mitglied der Grundsatzkommission beim Parteivorstand der PDS von 1992 – 98)

Programmdebatte – mehr Demokratie, aber wie?DIE LINKE fordert im Programmentwurf für alle gesellschaft-lichen Bereiche mehr Demokratie: Wirtschaft, insbesondere Finanz- und Energiesektor, demokratische Kontrolle über Eigen-tum, in der Bildung, im Parlamentarismus und in den Medien, Grundrechte stärken und demokratische Rechte von Bürgeror-ganisationen, in den Kommunen, für Migranten usw. Sie fordert (mehr) Volksentscheide. Und schließlich fordert sie eine De-mokratisierung der EU und der Beziehungen der Staaten in der Weltgesellschaft. Sie sagt der Aushöhlung der Demokratie durch ökonomische Macht den Kampf an. Wie will sie das erreichen? Dazu soll Abschnitt V Auskunft geben.

Sie will »zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräftever-hältnisse beitragen«. Ein politischer Richtungswechsel könne »nur gelingen in einem Wechselspiel politischer Auseinanderset-zungen im außerparlamentarischen und im parlamentarischen Bereich. Sozialer Wandel und politische Veränderung müssen … von vielen Menschen getragen werden. Wir ringen daher um ein breites gesellschaftliches Bündnis ...« Die Frage bleibt! Das Bündnis soll Gewerkschaften, globalisierungs- und gesellschafts-kritische Initiativen, soziale Bewegungen und »progressive Menschen aus Wissenschaft und Kultur« und alle, die gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlich-keit und für soziale Gerechtigkeit, Emanzipation, mehr Demokra-tie, Frieden und Erhaltung der Natur sind, umfassen. Dabei geht die LINKE »von den gemeinsamen Interessen« aus. Die Frage bleibt! Und es kommt eine hinzu: Wie will die LINKE im Bündnis mit Organisationen, deren Mitgliedschaften in den letzten 20 Jahren insgesamt auf weniger als die Hälfte schrumpften und die entsprechend an Aktionsfähigkeit verloren, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse ändern? Und andere Bewegungen, Initiativen etc. entwickeln sich zwar besser, sind aber dennoch noch viel kleiner.

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DIE LINKE bringt »ihre eigenen Kompetenzen in Bündnisse ein und unterstützt sie mit ihren Ressourcen.« Sie will »Anliegen und Aktivitäten unserer politischen Partner« aufgreifen und ihre »eigenen Funktionen« (Was soll das sein?) wahrnehmen. Sie bestärkt ihre Mitglieder, in diesen Organisationen, Initiativen etc.aktiv mitzuwirken. Ja, nun endlich haben wir einen Ansatz einer Antwort. Vorbehaltlose und vormundschaftsfreie Unterstützung mit Ressourcen und durch Aktivität von Mitgliedern ist ein Weg. Gemeinsame Erfahrung durch gemeinsame Aktion schafft Ver-trauen und Motivation, auch dann, wenn Misserfolge gemeinsam ohne Schuldzuweisungen analysiert werden. Dabei kann man neue, wirksamere Formen der politischen Aktion und »alternative Projekte« entwickeln. So kann eine Bewegung an ihren Aufgaben wachsen.

Der politische Streik und Generalstreik wird gefordert und DIE LINKE will sich in Netzwerke einbringen. Hier taucht unsere Frage wieder auf! »Voraussetzung für die Ausstrahlung, den Rückhalt und den Erfolg der LINKEN ist Glaubwürdigkeit.« Die Frage erhärtet sich dahin: Wie schafft DIE LINKE Glaubwürdigkeit und wie erhöht sie ihre Bündnisfähigkeit für wirksamere gemein-same politische Aktionen, die schrittweise Kräfteverhältnisse verändern?

»DIE LINKE steht für einen neuen Politikstil der Transparenz, des gesellschaftlichen Dialogs und der direkten Bürgerbeteiligung.« Als Politikstil nach innen in die Partei hinein muss das auch gelten. Dann aber braucht es Gremien, die richtig Arbeit weg-schaffen und die Praxis der ständigen Überweisung von Partei-tagsanträgen an Vorstände muss ein Ende haben. Denn das ist das Gegenteil von direkter Mitgliederbeteiligung. »Linke Politik in Parlamenten braucht treibende Kritik, öffentlichen Druck und außerparlamentarische Mobilisierung.« Dann müssen die parteiinternen Ressourcen primär inhaltlich und aktionspolitisch arbeitenden Zusammenschlüssen und Gremien zur Verfügung gestellt werden, Netzwerkbildung innen und nach Außen muss mit Ressourcen abgesichert werden.

»Berufspolitiker und Berufspolitikerinnen arbeiten eng mit den ehrenamtlich für DIE LINKE aktiven Kräften zusammen … Die Potenziale der LINKEN liegen in den Fähigkeiten der Mitglieder, ihrer gesellschaftlichen Verankerung und Lebenserfahrung.«

Ralf Becker

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Die Vielzahl der Mitglieder, nicht zuerst jene berufspolitischen Mitglieder, sind gefragt. Sonst wäre das ein entschieden zu kleiner und auch inhaltlich falsch orientierter Fähigkeits- und Erfahrungshorizont. »Politische Beteiligung und Interesse entste-hen durch selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Handeln und demokratische Mitbestimmung bei der Gestaltung und Entwick-lung gesellschaftlicher Prozesse. Diese Vision wollen wir auch in der eigenen Partei leben.« »DIE LINKE entwickelt ihre Politik im engen Zusammenwirken von gewählten Führungsgremien und Mitgliedern … Pluralismus und Transparenz sind tragende Säulen …« Die Phrase ist gut, aber unsere Frage bleibt!

Und schaut man auf das Jahr 2010, sind Bedenken legitim. Illoyalität unter »führenden Genossen«, herbeigeredetes »Führungsvakuum« (wo waren eigentlich vier Stellvertreter und 38 weitere Vorstandsmitglieder?), dann über Nacht ein »Personalpaket«, weiterhin zu diesem Paket ein obstruktiv konstruierter »überwältigender« Mitgliederentscheid mit unter 50 % Beteiligung, und schließlich ein auf dem Rostocker Bundes-parteitag neu gewählter Parteivorstand, der zwar noch nicht mit Führungsstärke, aber inzwischen schon für Widerstand im Innern der Partei und Negativschlagzeilen auf Nebenschauplätzen in der bürgerlichen Presse sorgt. Er befasste sich vor aller politischen Arbeit erst einmal mit zusätzlichen Entgelten für MdBs, die nun zugleich führende Funktionen im geschäftsführenden Parteivor-stand haben. Das forderte Protest von der Mitgliedschaft heraus. Welche Maßstäbe hat DIE LINKE für die Entgeltung politischer Tätigkeit, beruflicher, deren komfortable Mandate auf dem Rücken tausender Ehrenamtlicher »reitend« errungen werden, und ehrenamtlicher, deren Ressourcen schwinden? Denn man muss sich im Verhältnis dazu die Finanzausstattungen der Kreisverbände vor Augen halten! Ist das die richtige Arbeitsweise des Parteivorstands einer LINKEN, in solch sensiblen Fragen in eigener Sache sich an den Maßstäben der bürgerlichen Parteien (und von ihnen gemachter Gesetze dazu) zu orientieren, ohne dabei die Parteibasis einzubeziehen? Sind das also die richtigen Schwerpunkte bei den Ausgaben der Partei für die politische Arbeit?

Auch der neuere Umgang mit der Programmdebatte durch den Parteivorstand wirft hier Fragen auf. Mit Parteivorstand-Beschluss 2009-110 vom Dezember 2009 wurde die Programm-

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debatte in ihren Schwerpunkten und ihrem zeitlichen Ablauf konzipiert. Noch in einem Bericht zur Arbeit der Programmkom-mission vom 03.05.2010 heißt es: »Im 1. Quartal 2011 soll von der Programmkommission ein 2. Entwurf veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden.« Aber im neuen Parteivorstand-Beschluss 2010-07 vom 03.07.2010 ist davon nicht mehr die Rede, und die Programmkommission wurde aufgelöst. Der Parteivorsitzende und Parteivorstand haben »die Erarbeitung eines Entwurfes, der dem Programmparteitag als Leitantrag vorgelegt wird«, an sich gezogen. Einen 2. Entwurf im 1. Quartal 2011 – wie ursprünglich vorgesehen – wird es wohl nicht geben. Es gibt nur eine vierköpfige Redaktionsgruppe. Mehr innerpartei-liche Demokratie ist in solchen Änderungen des Verfahrens nicht zu erkennen, der Parteivorstand verstärkt eher zentralistische Momente. Wir sind immer noch bei unserer Frage. Transparenz, enge Zusammenarbeit von Berufspolitikern, Führungsgremien und (ehrenamtlichen!) Mitgliedern waren hier nicht gegenwärtig, so sehr ein Mitgliederentscheid auch diesen Eindruck erwecken mag. Wir brauchen Ressourcensicherstellung für Ehrenamtliche, vor allem aber demokratische Netzwerkstrukturen und Abfla-chung der noch immer klassischen Strukturhierarchien. Hier ist aktuell gerade mit den o. g. Beschlüssen keine Glaubwürdigkeit gegenüber den Mitgliedern erzeugt worden. Das Problem der »Ämterhäufung« in der Berufspolitik zwischen Parlamentsfrakti-onen und Vorständen als Hemmnis innerparteilicher Beteiligung ist nicht einmal angesprochen.

Der Abschnitt V des Programmentwurfs enthält also eine äußerst sensible und höchst aktuelle Problematik, wenn er den Politikstil und die innerparteiliche Demokratie thematisiert. Dabei wird das Verhältnis von Ehrenamtlichen und Berufspolitikern bisher nur oberflächlich gestreift. Das Verhältnis von Parlamentsfrakti-onen und Partei, Führungsgremien und Mitgliedschaft, Formen der »Verankerung« in der Gesellschaft müssen als alltägliche Arbeitsmethoden äußerer und innerer demokratischer gleich-berechtigter Beteiligung erst noch weitergehend erarbeitet werden, transparente Arbeitsweisen erst noch konkrete Gestalt bekommen. Schließlich können wir wirklich nicht jedes Mal »in bindenden Mitgliederentscheiden klären«, wie wir uns verhalten wollen. Das aber ist im Moment der einzige konkrete Hinweis des Programmentwurfs in dieser Sache. Hier ist der große

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»blinde Fleck« im Demokratieverständnis der LINKEN, denn Abschnitt V lässt keine wirkliche Handlungsstrategie zu mehr gelebter Demokratiefähigkeit und mehr innerparteilicher Demo-kratie erkennen. Die gelebte Praxis innerparteilicher Demokratie zeigt eher Defizite.

DIE LINKE hat somit eine besondere Aufgabe hinsichtlich der »Demokratisierung der Demokratie«: sie kann hier nur glaubhaft werden, wenn es ihr gelingt, ein neues, allseits als solches erkennbares Modell von demokratischer Partei zu sein, das sich grundlegend in seinen Kommunikations- und Arbeitsweisen wie vor allem auch in seinen Rekrutierungsmechanismen vom gewöhnlichen etablierten Parteiensystem und den Binnenkultu-ren der es bildenden Parteien unterscheidet. Darüber muss sie sich Klarheit verschaffen. Das wird nicht im Programmentwurf stehen. Aber wenn mehr Klarheit herrscht, muss der Abschnitt V anders aussehen!

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Holger Weidauer

Zu zwei grundlegenden Aspekten des 1. Programmentwurfs:Arbeit und Eigentum Mit der Vereinigung von PDS und WASG, mehr noch als in der PDS allein, prallen verschiedene, meist linke, Vorstellungen über die bestehende Gesellschaft und Möglichkeiten ihrer Verän-derung aufeinander. Das ist an diesem 1. Programmentwurf deutlich zu sehen. Und so stehen traditionelle Gewerkschaftsforderungen (Voll-beschäftigung), Forderung nach Enteignung (Eigentumsfrage), Kapitalismuskritik (häufig eine Kapitalistenkritik), Weltverschö-rungstheorien, aber auch Gedanken von Emanzipation, wie in der Präambel etwa im Konzept der Arbeit in vier oder fünf Teilen enthalten, nebeneinander. Das ist ein erstes Ergebnis der Bildung einer neuen Partei aus einer Sammlungsbewegung heraus. Gleichwohl scheinen sich mir in der Programmkommission einige wenige grundsätzliche Ideen durchgesetzt zu haben, die andere an den Rand drücken. Ich möchte im Folgenden über zwei sprechen, weil sie, neben einer harschen Kapitalismuskritik, dem Programmentwurf grundsätzlich ihren Stempel aufdrücken.

Arbeit macht das Leben aus Arbeit – Lebenswelt – Gewerkschaft – Rente – »Ostkompetenz« Der Entwurf scheint anzuerkennen, dass Arbeit mehr als Er-werbsarbeit ist, nämlich auch Arbeit in der Familie, die Sorge für Kinder, Partner und Freunde und schließlich individuelle Weiter-bildung und Muße (Präambel, Punkt 2). Aber nur das Konzept der Erwerbsarbeit wird auch durchgeführt. Diese findet in den Betrieben statt, die zu demokratisieren, wie unten angemerkt, der Entwurf zuallererst im Auge hat. Daher kommt auch dieser merkwürdige Gewerkschaftsavantgardismus. Gewerkschaften seien von »zentraler Bedeutung für die Durchsetzung sozialer

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und sozialistischer Umgestaltungen« (S. 23 unten). Und zwar deshalb, weil »sie nicht nur in der Zivilgesellschaft agieren, son-dern ihre Verankerung in der Arbeitswelt haben« (ebenda). Diese Welt meint natürlich die Erwerbsarbeit, die damit wiederum Vor-rang vor den »anderen« Arbeiten bekommt. Zwei Probleme fallen dabei völlig aus dem Blick. Zum Einen eine durchaus angebrach-te Kritik der Gewerkschaften, zum Anderen die Anerkennung der Veränderungen in eben dieser Arbeitswelt.

Im Abschnitt II, Punkt 1, wird bemerkt, ein zentrales Mittel der neoliberalen Wende sei die politische Schwächung der Gewerk-schaften gewesen. Aber warum konnte das den Neoliberalen gelingen? Warum konnten nicht umgekehrt die Gewerkschaften die Neoliberalen im Zaume halten?

Die Mitgliedszahlen des DGB haben sich seit 1991 von 11,8 Mio auf 6,2 Mio fast halbiert. (Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum stiegen die Mitgliedszahlen des Fitness-Discounters Mcfit von 0 auf 930000). Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der abhängig Beschäftigten liegt zur Zeit bei etwa 20%, im Westen darüber, im Osten darunter. Auffällig ist, dass der Organisati-onsgrad mit der Betriebsgröße steigt. Es könnte also sein, dass die Gewerkschaften dort stark sind, wo die Produktion arbeits-intensiv ist. Da auch künftig immer weniger immer mehr, oder wenigstens die gleiche Menge produzieren werden, könnte das Auswirkungen auf die Gewerkschaftsstärke haben. Hier geht es überhaupt nicht darum, den Gewerkschaften schlechte Arbeit zu attestieren. Vielmehr will ich darauf hinweisen, dass die Stellung der Gewerkschaften etwas mit der Arbeitswelt zu tun haben könnte. Und die hat sich eben verändert. Mit den Mitglieds-zahlen sinkt auch der Einfluss der Gewerkschaften. Darüber hinaus verändert sich auch die Stellung der Erwerbsarbeit selbst innerhalb der Gesellschaft. Immer mehr Menschen begreifen sich nicht zuallererst als Arbeiterinnen und Arbeiter, fühlen sich immer weniger in ihrer Erwerbsarbeit bestätigt, sondern außer-halb, vielleicht durch ihre Aktivitäten als Eltern, als Hobbyfußbal-lerinnen (Mitgliedszahl des DFB: 6,75 Mio), im Garten usw. Oder, indem sie sich in der Politik engagieren. Gewerkschaften werden wichtige Akteure bleiben, ihnen aber eine zentrale Bedeutung zumessen zu wollen, geht an der veränderten Arbeits- und Lebenswelt vorbei.

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In Bezug auf Arbeit bleibt der Entwurf mit beiden Beinen im 20. Jahrhundert stecken. Hier ist grundsätzlich die Weitung des Blicks auf die Gesellschaft vonnöten.

Die verengte, angestaubte Sicht auf die Arbeitswelt hat Auswir-kungen. Die PDS und auch jetzt DIE LINKE hat ein Markenzei-chen: das der sozialen Gerechtigkeit. Nehmen wir einen Blick auf die Zukunft des Rentensystems. Dass die anstehende Rentenre-form abzulehnen ist, ist klar, das haben mittlerweile auch schon andere Parteien begriffen. Aber was hat DIE LINKE stattdessen anzubieten? Getreu dem Motto: Gute Arbeit, gute Rente, gutes Leben- fordert sie »eine armutsfeste gesetzliche Rente für alle Erwerbstätigen, die paritätisch von den Beschäftigten und Unternehmen finanziert wird ...« (Präambel, Anstrich 5).

Wieder schlägt die zentrale Stellung der Erwerbsarbeit durch. Zwar verweist der Entwurf, völlig richtig, die Notwendigkeit von Rentenkürzungen ins Reich der Märchen. Weiter heißt es: »Denn die steigende Produktivität der Arbeit ermöglicht bei solidari-scher Verteilung weiter steigende Renten ebenso wie Arbeitsein-kommen.« (S. 17)

Damit gerät der Entwurf aber in zwei Schwierigkeiten. Das Totschlagsargument von Bundesregierung, INSM oder BDI, immer weniger Erwerbstätige müssten für immer mehr Rentner aufkommen, bleibt dann unangetastet. Richtigerweise muss man hier einwenden, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, warum in einer Gesellschaft, die trotz sinkender Beschäftigtenzahl und eines größer werdenden Anteils Älterer, immer reicher wird, Bevölkerungsgruppen wie Rentne-rinnen und Rentner ärmer werden müssen. Tatsächlich können steigende Renten möglich sein, indem die großen Gewinne und Vermögen zur Finanzierung herangezogen werden, ob nun über eine Rentenabgabe oder aus Steuern. Aber die Finanzierung wäre dann nicht mehr paritätisch. Während das nur ein Wider-spruch im Text ist, der behebbar wäre, indem man die Rente eben wenigstens zu Teilen aus Steuern finanzieren will, hat das Abstellen auf Erwerbsarbeit, mit der man sich seine Rente verdient, eine nicht hinnehmbare Konsequenz. Was wird aus den Menschen, die es nicht bis zum Eckrentner geschafft haben? Denn das Prinzip, dass mittels Erwerbsarbeit Rentenansprüche

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erworben werden, wird nicht hinterfragt. Für all jene fordert der Entwurf eine »erhöhte bedarfsgerechte Grundsicherung im Alter.« Die gibt es schon und bedeutet absolute Armut im Alter.

Zwar prangert der Entwurf Arbeitslosigkeit und Billiglöhne an. Die sind aber Realität. Die heutige Arbeitswelt lässt geschlosse-ne Arbeitsbiographien in der Regel nicht mehr zu. Selbst wenn es wünschbar und durchsetzbar wäre, in den nächsten Jahrzehn-ten Vollbeschäftigung und höhe Löhne zu erreichen, bleiben in genau diesen Jahrzehnten viele Menschen arbeitslos oder prekär beschäftigt. Warum sollen sich Menschen in diesen Lebenslagen für linke Politik und unsere Partei engagieren, die ihnen für den Lebensabend eine bedarfsgerechte Grundsicherung verspricht?

Hier bedarf es einer grundsätzlichen Änderung. Wenn der Programmentwurf über das Bestehende hinaus denken will, führt nichts an einer Zurückdrängung der Bedeutung von Erwerbsar-beit und einer Mindestrente vorbei.

Dafür müssten freilich gewerkschaftlich geprägte PolitikerInnen über ihren Schatten springen. Wenn das nicht möglich sein soll, bleibt es dabei, dass in diesem Punkt der Programmentwurf ein-deutig erwerbsarbeitszentriert bleibt und mit der Anerkennung anderer Lebenstätigkeiten eben nicht ernst macht.

Im Übrigen billigte man der PDS und der LINKEN noch eine Kompetenz zu, die »Ostkompetenz«. Aber gerade in Ostdeutsch-land ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch und sind die Löhne lausig. Altersarmut wird es also vor allem dort geben. Eine bedarfsgerechte Grundsicherung geht an einer Lösung völlig vorbei und lässt jegliche »Ostkompetenz« vermissen.

Eigentum entscheidet allesDemokratisierung der Gesellschaft

Wenn man sich anguckt, wie der Programmentwurf über De-mokratisierung spricht, fällt auf, dass die Demokratisierung der Wirtschaft viel eher, z. B. im Teil III »Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert« und unter den Reformprojekten, auftaucht, als die Demokratisierung der Gesellschaft. Das ist verblüffend, wenn man solch Ansinnen an der Lebenswirklichkeit misst. Denn schaut man, was das Programm für eine Laufzeit hat, wäre es

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viel realistischer, durch eine Demokratisierung der Gesellschaft, z. B. Banken an die Kette zu legen, in dem man ihnen gesetzliche Vorgaben macht, ehe man sie enteignet, verstaatlicht, vergesell-schaftet usw. Gesellschaft ist viel mehr, als die Art und Weise, wie sie wirtschaftet. Etwa für die Demokratisierung von Bildung und Kultur, der Zugriffsmöglichkeiten auf staatliche Entscheidun-gen oder auch gegen den Abbau von Demokratie, etwa gegen staatliche Eingriffe in die Privatsphäre, zu streiten, liegt viel eher im Zeitrahmen, für den das Programm gültig sein soll, verspricht überhaupt politischen Erfolg und öffnet auch Möglichkeiten für Bündnispartner jenseits von Gewerkschaften.

Was im Entwurf ideologisch durchzuschlagen scheint, und diese Sicht eben auch verständlich macht, ist der Rückgriff auf ideologische Versatzstücke des Marxismus/Leninismus. (So ist es eben nicht zufällig, dass die »Schrift« als Beweis herhalten muss. Zitat S. 5: »Doch erst die Befreiung aus der Herrschaft des Kapitals verwirklicht die sozialistische Perspektive der Freiheit und Gleichheit für alle Menschen. Das haben insbesondere die sozialistischen Theoretiker Marx und Engels gezeigt.« Das ist der Beweis? Nicht mehr die Praxis?). Nach dem entscheidet die Lösung der Eigentumsfrage (an PM) grundsätzlich, alles Weitere sind abgeleitete Nebenwidersprüche. Anderes wird nur genannt. So fristen die Individual- und Freiheitsrechte ein kümmerliches Dasein im Programmentwurf. Nicht zufällig, sondern weil das Problem der Demokratisierung durch die Brille der Eigentumsfra-ge betrachtet wird. Diese zu stellen, ist sicher richtig, aber nicht an erster Stelle. Sonst verkleinert man unnötig das Feld der Analyse, und das ist nun einmal die ganze Gesellschaft.

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Katja Kipping

Nicht auf der Höhe der Zeit!Über Erwerbsarbeitszentrierung, Gewerkschafts- avantgardismus und fehlende diskursive Offenheit im Programmentwurf Ein linkes Programm sollte auf der Höhe der Zeit sein. Es sollte Erkenntnisse linker Bewegungen aufnehmen und sie zu einem Cocktail zusammenführen, der die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Programme haben einen Zeitkern: Wollen sie Orientierung im Kampf um gesellschaftliche Veränderung anbieten, dann müssen sie gesellschaftliche Realitäten zur Kenntnis nehmen. Darum ging es nicht zuletzt bei Karl Marx: Wissenschaftlicher So-zialismus ist bei ihm die Chiffre für eine solche Gegenwarts- und Fortschrittsorientierung. Das Problem des Programmentwurfs ist, dass er strikt an denjenigen Widerspruchskonstellationen vorbeiirrt, die Ansatzpunkte für einen durchaus radikalen, demokratisch-sozialistischen Systemwechsel bieten würden.

Der Programmentwurf ist nicht auf der Höhe der Zeit und er ist nicht zu, sondern viel zu wenig radikal. Inhaltlich bleibt er einer Wirtschafts- und Sozialpolitik verhaftet, die den Anforderungen an eine feministische Kapitalismuskritik keine Rechnung trägt. Zudem verharrt das Dokument bei einer positiven Bezugnahme auf die real existierende DGB-Politik, statt Konturen einer alternativen, sozialistischen Gewerkschaftspolitik aufzuzeigen. Gesellschaftspolitisch zeichnet sich der Programmentwurf dadurch aus, dass er zentrale Diskussionen um eine neue soziale Idee, wie sie beispielsweise in der Forderung nach einem Bedin-gungslosen Grundeinkommen zum Ausdruck kommen, ignoriert.

Kapitalismuskritik statt Erwerbsarbeitszentrierung Gegen manche Kritik muss man den Programmentwurf vertei-digen, z. B. gegen den Vorwurf, mit diesem Programm wolle DIE LINKE zurück in die 1970er Jahre. Das ist eine Fehleinschätzung. Zumindest, wenn es um den Arbeitsbegriff geht, der den Geist des Entwurfes prägt. Hier sind nicht die 1970er Jahre, sondern der Diskussionsstand des 17. Jahrhunderts maßgeblich. Der

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57Katja Kipping

Vertragstheoretiker John Locke hatte schon im 17. Jahrhundert die ideologische Begleitmusik zum Aufstieg des Bürgertums bereitgestellt. Für ihn waren einzig die direkt »aneignenden Tätigkeiten« der Privatbürger auf dem kapitalistischen Markt die Quelle gesellschaftlichen Reichtums. [1] John Locke ging es bei der Verherrlichung von Arbeit vor allem um eines: um die Recht-fertigung des Privateigentums im Sinne der im 17. Jahrhundert aufstrebenden Bourgeoisie.

Der Programmentwurf scheint sich dieser Sichtweise anzuschließen:

»Einkommen und Vermögen werden durch Arbeit erzeugt und sollen daher entsprechend dem Beitrag zum gesellschaftlichen Arbeitsprozess sowie nach Bedürftigkeit verteilt werden (...) Die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte ist heute und auf absehbare Zeit die Erwerbsarbeit.«

Problematisch an dieser Aussage ist nicht die Forderung nach Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Problematisch ist, dass allein Erwerbsarbeit als Quelle von gesellschaftlichem Reichtum angesehen wird. Statt mit Marx und dem zeitgenössi-schen Feminismus deutlich hervorzuheben, dass die kapitalis-tische Gesellschaft auf einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung beruht, die sowohl die Erwerbsarbeit als auch die Reproduktions-arbeit in Familie, Kinderziehung, Pflege, ehrenamtlichen Enga-gement in der Zivilgesellschaft usw. erfasst. Der kapitalistische Markt kann nur funktionieren, wenn Kinder gewickelt, Großväter gepflegt, Kartoffeln geschält und Räume geputzt werden.

Diese Einsichten einer kritischen Gesellschaftsanalyse sind auch empirisch nachvollzogen worden. Dank der Erhebungen des Statistischen Bundesamtes[2] wissen wir: Pro Jahr werden rund 96 Milliarden Stunden unbezahlter Arbeit erbracht. Das ist fast doppelt so viel Zeit, wie die bezahlte Arbeit ausmacht – namentlich 56 Milliarden Stunden. Allein vom Umfang her sind

[1] So Hannah Arendt in ihrer Locke-Rekonstruktion.[2] Untersuchung des Statistischen Bundesamtes: Wo bleibt die Zeit? – Die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland 2001/02. Hg. v. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. S. 11.

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demnach unbezahlte Tätigkeiten die tragenden Säulen unserer Gesellschaft und nicht Erwerbsarbeit. Frauen leisten übrigens im Durchschnitt wöchentlich 31 Stunden unbezahlte Arbeit, Männer lediglich 19,5 Stunden. Empirisch ist ergo die Aussage, Erwerbs-arbeit habe eine herausgehobene Bedeutung, nicht haltbar.

Halten wir fest: Der Programmentwurf nimmt das Marxsche Projekt einer Kritik der gesellschaftlichen Arbeitsteilung nicht auf und fällt insbesondere hinter Erkenntnisse des modernen Fe-minismus zurück. Nicht gerade rühmlich für eine demokratisch-sozialistische Partei im 21. Jahrhundert!

Für eine Mosaik-Linke! Die strategische Orientierung des Programmentwurfs fällt hinter die gegenwärtigen Diskussionen der gesellschaftlichen Linken über die Bedingungen für gemeinsames politisches Handeln zurück. So werden die DGB-Gewerkschaften kritiklos zum privilegierten Bündnispartner einer linken Politik erhoben:

»Besonders wichtig sind dabei starke, aktive, kämpferische und politisch eigenständig handelnde Gewerkschaften. Sie unter-scheiden sich von allen anderen sozialen Kräften und Bewegun-gen dadurch, dass sie nicht nur in der Zivilgesellschaft agieren, sondern ihre Verankerung in der Arbeitswelt haben. Dies verleiht den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten eine gesell-schaftliche Machtposition, die andere soziale Gruppen nicht haben und die von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung sozialer und sozialistischer Umgestaltungen ist.«

Nun wäre nichts einzuwenden gegen eine Analyse der Stärken und Schwächen unterschiedlicher Akteure bzw. Subjekte. Marx und Engels haben im Kommunistischen Manifest, aber auch in Schriften wie »Die Klassenkämpfe in Frankreich« immer wieder diskutiert, in welchem Verhältnis die Organisationen der Subal-ternen zum Emanzipationsprojekt stehen. Vor allem haben sie dabei aber immer auf die Ambivalenzen der unterschiedlichen Gruppen hingewiesen, auf ihre Potentiale und auf ihre Grenzen. Doch wenn es um eine solche Analyse gegangen wäre, dann müsste der Programmentwurf auch Stärken anderer Akteure gleichberechtigt würdigen. Beispielsweise hätte sich dann der Entwurf mit den besonderen Potentialen der netzwerkartig

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organisierten Bewegungen auseinandersetzen können, wie z. B. der globalisierungskritischen Bewegung, der es gelungen ist, dem vermeintlich Sachzwang Globalisierung, der für die neoli-berale Hegemonie zentral ist, zu hinterfragen. Auf den Camps der Gipfelproteste 2007 konnte man zudem erleben, dass diese Bewegung auch zu einem Laboratorium von alternativen Formen des gemeinsamen Lebens wurde. Oder man hätte auf die Antifa-Gruppen hinweisen können, denen es gelungen ist, die Methode der friedlichen Blockade als Form des zivilen Widerstandes gegen Naziaufmärsche zu etablieren. Eine Form des Widerstan-des, die – auch wenn sie nicht im Erwerbsarbeitsbereich veran-kert ist – zentral ist in hegemonialen Auseinandersetzungen.

Aber leider gibt es nur einen außerparlamentarischen Akteur, dessen Stärken im Programmentwurf eine besondere Würdigung erfahren: die Gewerkschaften. Nun sind Versuche, einzelnen Akteuren eine Avantgardestellungen zuzuschreiben in der linken Geschichte nichts neues. Allerdings gehörten diese Ansätze eher zu dem unrühmlichen Teil linker Geschichte und sollten nicht durch die Hintertür wieder salonfähig werden.

Mit solch einem Gewerkschaftsavantgardismus im Programm würde DIE LINKE weit hinter die Praxis zurückfallen, die sich in den letzten Jahrzehnten in der internationalen globalisierungs-kritischen Bewegung etabliert haben. Michal Hardt und Antoni Negri beschreiben das neue historische Subjekt als »Multitude«, der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Hans-Jürgen Urban, hat jüngst die »Mosaik-Linke« zum Leitbild geadelt.

Die Multitude hat – wie Sonja Buckel im aktuellen prager frühling treffend schreibt – »kein Steuerungszentrum, sondern greift von vielen Punkten aus an.« Mit genau dieser Methode der gleichen Augenhöhe, des gegenseitigen Respekts, wie sie in den Vorstel-lungen der Mosaik-Linken sowie der Multitude zum Ausdruck kommt, war die globalisierungskritische Bewegung in den letzten Jahren erfolgreich darin, der neoliberalen Hegemonie starke Risse zuzufügen. Der Programmentwurf fällt in beschämender Weise hinter diese Praxis zurück und arbeitet somit nicht auf der Höhe der Zeit.

Katja Kipping

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60 Meinungen aus dem Landesverband Sachsen

Sozialistische Gewerkschaftspolitik? Nun gehört in einen Programmentwurf, der sich mit einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts auseinandersetzt, tatsächlich ein Kapitel zur Frage, wie eine neue ArbeiterInnenbewegung aussehen könnte. Was würde eine sozialistische Gewerk-schaftspolitik im 21. Jahrhundert bedeuten? Doch dazu gehört eine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung der DGB-Gewerkschaften. Zwar haben sich Ablösungstendenzen von der SPD gezeigt, doch dies ist kein Garant für eine progressive Ausrichtung. Man darf nicht dazu schweigen, dass sich auch in den DGB-Gewerkschaften Ständedünkel und Standortchauvinis-mus breit machen.

Eine sozialistische Gewerkschaftspolitik müsste zeigen, wie sie damit umgeht und den Mut aufbringen zu einem erneuerten Solidaritätsbegriff zwischen all jenen, die nur ihre Arbeitskraft als Ware haben, also zwischen Beschäftigten, Prekären, Erwerbslo-sen und Soloselbstständigen. Doch solche Erörterungen fehlen im Programmentwurf. Stattdessen wird einfach – vollkommen unkritisch gegenüber der real existierenden Gewerkschaftspolitik – das hohe Lied der besonderen Bedeutung der Gewerkschaften gesungen.

Dabei gibt es seit Jahrzehnten wirklich kluge Beiträge zur De-batte über die strategische Ausrichtung der Gewerkschaften. Einer, der sich diesbezüglich immer wieder konstruktiv-kritisch zu Wort gemeldet hat, ist Oskar Negt, der noch bei Theodor Adorno studierte und Assistent bei Jürgen Habermaas war. Erst kürzlich forderte er in einem Interview [3] anlässlich des 1. Mai die Gewerkschaften auf, sich grundlegend zu ändern: »Im veränderten Kapitalismus genügen bloße Verteidigungskämpfe nicht mehr. Ich plädiere dafür, dass die Gewerkschaften wieder eine starke Gesellschaftsutopie entwickeln.« Negt plädiert für die Erweiterung des gewerkschaftlichen Mandats: »Erstens müssen sie ihren Begriff von Arbeit erweitern. Lohnarbeit ist nur eine Form der Arbeit.« Negts Plädoyer für »gewerkschaftlichen Offensivgeist« mündet in der Forderung nach einem Bedingungs-

[3] www.workzeitung.ch»Die Gewerkschaften brauchen wieder eine starke Utopie«

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losen Grundeinkommen: »Wir sollten auf ein Grundeinkommen für alle drängen. Das Geld ist da. Es wird nur falsch verteilt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist die einzige vertretbare Form, das Problem in einer Demokratie zu lösen. Bedingungen darf es nicht geben. Sonst beginnt der Überwachungsstaat.«

Diskursfeindliches Verschweigen des BGE Doch von diesen Anregungen findet sich im vorliegenden Programmentwurf wenig bis nichts. Nichts zur Erweiterung des gewerkschaftlichen Mandats. Nichts zum Grundeinkommen. Nun wird bekanntermaßen über die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens landauf, landab, ja sogar weltweit diskutiert. Es gibt vehemente Gegner und begeisterte BefürworterInnen wie mich, die im Grundeinkommen ein zentrales Transformati-onsprojekt sehen. Diese lebhaften Diskussionen sind Ausdruck einer veränderten Arbeits- und Lebenswelt. Dies gilt es anzu-erkennen, statt zu ignorieren. Eine linke Partei sollte sich nicht per Programmbeschluss von zentralen gesellschaftspolitischen Diskussionen isolieren.

Die programmatischen Eckpunkte trugen dem Rechnung mit der Aussage, dass man mit gesellschaftlichen Akteuren in Diskus-sion bleibe über die Idee des Grundeinkommens. Das war zwar kein Bekenntnis zum Grundeinkommen, aber immerhin Ausdruck einer diskursiven Offenheit. Doch an solch diskursiver Offenheit mangelt es der Mehrheit der Programmkommission ganz offen-sichtlich, denn noch nicht einmal die Debatte zum Grundeinkom-men wird im Programmentwurf erwähnt. Sollte DIE LINKE sich tatsächlich – nur drei Jahre nach ihrer Gründung – so gründlich der Tugend der diskursiven Offenheit entledigt haben?

Katja Kipping

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Peter Porsch, 30. Mai 2010

Bemerkungen zum Programmentwurf und zur ProgrammdebatteDie Grundsatzkommission beim Landesvorstand DIE LINKE Sachsen hat Leitfragen zur Programmdebatte veröffentlicht. Die Leitfragen sind sicher nützlich, um Diskussionsbeiträge anzure-gen, zu strukturieren, vergleichbar zu machen und schließlich in einem Ergebnis zusammenzufassen. Sie sind insofern ausdrück-lich zu begrüßen.

Allerdings sind sie in Teilen auch ein Beispiel dafür, wie eine Kommission versucht, sich selbst mit ihrer Meinung bereits in der Diskussion durchzusetzen. Es sind hier über weite Strecken keine Leitfragen formuliert, sondern bereits inhaltliche Kritik, die ziemlich massiv mit Wahrheitsanspruch daherkommt. Sicher kann da punktuell zurückgewiesen, widersprochen oder modifi-ziert werden und viele werden keine Hemmung haben. Die Auto-rität der Kommission wird allerdings ebenso wirken. Damit will ich nicht das Recht der Grundsatzkommission auf eigene Kritik am Programmentwurf zurückweisen oder auch nur einschränken. Dieses ist selbstverständlich gegeben und es ist nichts gegen das Einbringen der Kritik in die Diskussion zu sagen, wenn dies in auch formal feststellbarer Thesenform geschieht. Im vorliegen-den Papier sind jedoch Leitfragen, Entwurfskritik und teilweise schon Beantwortung der Leitfragen textlich so miteinander verquickt, dass sie nicht immer deutlich auseinander zu halten sind. Dies manipuliert die Debatte, auch wenn natürlich wich-tige Fragen angesprochen werden. Wie soll z. B. ein einfaches Mitglied sich den Text aus seiner Lage heraus erschließen und dann debattieren, wenn zum Abschluss der Leitfragen bereits apodiktisch festgestellt wird: »Auch wenn nicht jedes Detail ins Programm gehört, bleibt es doch in seiner präzisen Justierung auf effektiv und zeitnah umzusetzende Erfordernisse innerer Entwicklung sehr schwach und unzureichend.« – Dies ist ein Urteil, das auch durch den vorhergehenden Text , selbst wenn es stimmte, in dieser Absolutheit nirgends begründet ist. Es hat

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einzig suggestiven Charakter. Harmlos wird es höchstens durch die verquaste Sprache, in der es formuliert ist. Inhaltlich ist es noch dazu mehr als vage, tut aber so als wäre völlig klar und konkret, was gemeint ist. Schließlich wird der innerparteilichen Debatte die notwendige »Höhe und Reife« abgesprochen, was möglicherweise sogar am Misslingen der Programmdebatte schuld sein könnte. Da muss man die Frage stellen, warum das so ist. Ein möglicher Grund könnte sein, dass Spitzenfunktionäre die Debatte bereits an sich gerissen hatten, bevor die Basis den Entwurfstext überhaupt zur Kenntnis nehmen konnte. Die Basis reagiert jetzt meist nur noch darauf – auf die aufgeworfenen Dissense und auf die bereits markierten Konfliktlinien zwischen Personen und Gruppen in der Partei. Der kritisierte Teil des vorliegenden Papiers leistet einen Beitrag dazu.

Für mich stelle ich fest, dass sich unabhängig von den Über-schriften und den damit wechselnden Perspektiven vier wesent-liche Problemstellungen durch den Programmentwurf und durch die Leitfragen ziehen:

1. Eigentum und die Veränderung der Eigentumsverhältnisse als Schlüssel zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse (eine inhaltliche Frage und eine methodische). 2. Demokratie – Wirtschaft – Staat: Es stellt sich die Frage nach den Partizipationsmöglichkeiten von Akteuren in wirtschaftlichen und staatlichen Gestaltungsprozessen. 3. Wer sind die Akteure der gesellschaftlichen Veränderungen? An wen wendet sich deshalb unser Programmentwurf und das spätere Programm? Welche Interessen begründen ihn/es inhalt-lich? Die Antwort auf diese Fragen erfordert auch eine Antwort zum Charakter unserer Partei im politischen System und ihren Wirkungsmöglichkeiten. 4. Die Sprache des Programmentwurf – »unsere« Sprache?

Klärungen zu diesen Problemfeldern halte ich für sehr bedeut-sam für die Qualität des Endproduktes.

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Zu 1.: Zunächst mal wäre ja zu klären, welches Eigentum wir meinen, um dann über die EigentümerInnen bzw. Eigentumsformen und die Kontrolle von Eigentum zu sprechen. Dies ist in der Präambel halbwegs ausreichend getan (»Eigentum in der Daseinsvorsorge, an der gesellschaftlichen Infrastruktur, …«; staatliches, kom-munales, genossenschaftliches oder Belegschaftseigentum). Und im Abschnitt III.: »Wir wollen eine radikale Erneuerung der Demokratie, die sich auch auf wirtschaftliche Entscheidungen erstreckt und sämtliche Eigentumsformen emanzipatorischen, sozialen und ökologischen Maßstäben unterwerfen.« Spätestens an dieser Stelle wird jedoch die in der Präambel vollzogene Einschränkung auf bestimmte Formen des Eigentums tendenziell auf sämtliches Eigentum ausgeweitet. D.h. es gehört auch persönliches Eigentum wie z. B. Haus/Wohnung, Fahrzeug usw. dazu. Dies ist auch notwendig, wenn man die »sozialen und öko-logischen Maßstäbe« ernst nimmt, denn dann muss es Eingriffe in ungeordnete Zersiedelung, ausbeuterische Mietverhältnisse und Privatisierung von öffentlichem Raum ebenso geben, wie in einen chaotisch ausgeweiteten Individualverkehr. Der Gedanke mag erkannt sein, die Ehrlichkeit gebietet an dieser Stelle jedoch vielleicht noch einen Satz präzisierender Bestimmungen.

Wichtiger scheint mir aber eine kritische Betrachtung der Hoffnungen, die an weitgehend direkte demokratische Kontrolle von Eigentum bzw. an staatliches, kommunales oder kollektives Eigentum geknüpft werden. Es gibt doch für alle diese Eigen-tumsformen bereits Beispiele und Erfahrungen. Und wir haben Mitbestimmungsmodelle. Waren und sind die einschlägigen Erfahrungen wirklich so, dass der Optimismus des Program-mentwurfs in dieser Frage berechtigt ist? Ich glaube, nein! Das hängt mit dem allgemeinen Charakter von Eigentum zusammen, aus dem sich immer ein Egoismus der EigentümerInnen oder auch VerwalterInnen, ja selbst KontrolleurInnen des Eigentums ergibt. Man muss ja nicht gleich mit Proudhon Eigentum als Diebstahl betrachten, dass Eigentum aber Besitzansprüche und Konkurrenz- und Konfrontationsstrukturen schafft, wird man wohl nicht bestreiten können. Das kann positive Effekte bringen, sicher bringt es aber auch alle negativen, die je mit Eigentum verbunden waren. Dass aus Eigentum, wie auch immer es strukturiert sein mag, sich auch permanent Machtansprüche

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ableiten werden, die nur durch das Eigentum begründet sind, darf nicht beiseite geschoben werden. Man muss die Sache also dialektisch angehen: EigentümerInnen werden den Nutzen aus ihrem Eigentum suchen. Das kann bei kollektivem Eigentum oder unmittelbar demokratisch kontrolliertem Privateigentum bzw. Eigentum der öffentlichen Hand, wo ja die KontrolleurInnen fak-tisch den Nutzen des Eigentums mitbestimmen, das Profitprinzip in die Schranken weisen und sozialen Nutzungseffekten Raum geben. Immer aber bleiben auch Nicht-Eigentümer bzw. von der Kontrolle Ausgeschlossene, deren Interessen die Nutzung von Eigentum zuwiderlaufen kann. Solches zeigt alle Geschichte. Staatseigentum verhindert so wenig den unsozialen Missbrauch von Eigentum wie genossenschaftliches oder Belegschaftseigen-tum. Wer das verhindern will, verstrickt sich früher oder später in einer Bürokratie der Kontrolle, die sich übrigens wieder verselb-ständigen könnte.

Dialektisch herangehen heißt deshalb, sich auch eine Aufhe-bung von Eigentum in seiner bisherigen Form und als Eigentum überhaupt vorstellen zu können. Das muss natürlich mehr sein, als nur die Aufhebung allen Eigentums in Nicht-Eigentum. So etwas hatten wir genau genommen mit den VEB. Kaum jemand entwickelte da ein Eigentümerbewusstsein, weshalb sich auch niemand beim zunächst drohenden und später realen Verlust als EigentümerIn betroffen fühlte oder gar bereit gewesen wäre, dieses Eigentum zu verteidigen – auch nicht das Politbüro. Wir hatten deshalb de facto die EigentümerInnen abgeschafft. Als herrenloses Gut wurden die VEB dann zur leichten Beute der Treuhand oder des Management-by-outs. Es wurde also erst wie-der in Eigentum verwandelt, weil sich EigentümerInnen fanden.

Nun ist ein Parteiprogramm sicher nicht der Platz, diese hoch-politökonomische Frage des Übergangs vom Eigentum zu einem handhabbaren »Nicht-Eigentum« zu diskutieren oder auch nur anzuschneiden. Da sind natürlich praktische Schritte gefragt, die uns in eine Phase dieses Überganges bringen könnten. Als Voraussetzung dafür brauchen wir aber einen theoretischen Vorlauf, den wir ganz offensichtlich nicht haben. So wird aber das Bauen auf demokratische Eigentumskontrolle und Aus-weitung der Eigentumsformen hin zu staatlichen, kommunalen und kollektiven von einer konkreten Utopie zu einer bloßen idealistischen Hoffnung, deren Einlösung durch nichts garantiert

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wäre, als durch den stets guten Willen und das soziale Ethos der Beteiligten. Eine materialistische Lösung ist das sicher nicht und deshalb auch keine nachhaltige. Sie kann im günstigsten Fall in Projekten ihren probeweisen wie vorbildhaften Ausdruck finden. Das eigentliche Problem ist doch, den Weg zu finden zu einer nichtentfremdeten Arbeit, zu einer gesellschaftlichen Aneignung des gesellschaftlich Produzierten und der auf dieser Basis erst möglichen ungefährdeten Ausbildung aller menschlichen Individualität. Und Marx kritisiert deshalb folgerichtig auch an Proudhon, dass er nicht das Eigentum an sich angreift, sondern nur das Eigentumsmonopol der Kapitalisten (vgl. »Das Elend der Philosophie«). Freilich können wir an dem Programmentwurf das schätzen, was auch Marx an Proudhon schätzte: den »heraus-fordernden Trotz, der das ökonomisch Allerheiligste antastet, die geistreiche Paradoxie, womit der gemeine Bürgerverstand gefoppt wird, und das tiefe und wahre Gefühl über die Infamie des Bestehenden (vgl. ebenda). Mehr aber auch nicht.

Ein anderes Problem in diesem Zusammenhang will ich nur andeuten: Gesellschaftliche Kontrolle und kollektive, demokrati-sche Willensbildung sind nach aller bisheriger Erfahrung langwie-rige und komplizierte Prozesse. In die Wirtschaft hineingetragen, werden sie sich auch dort in dieser Art und Weise entfalten. Ob dann in einer Phase, wo solche Wirtschaftsdemokratie noch in Konkurrenz steht mit bisherigen Entscheidungsweisen, sich die demokratische und kollektive durchsetzen kann und wie sie das bewerkstelligen sollte, muss als wichtige Frage aufgeworfen werden.

Zu 2.:

Meines Erachtens gehört der »Demokratisierung der Gesell-schaft« (vgl. vor allem IV./2.) programmatisch der Vorzug vor den Projekten zur »Demokratisierung des Eigentums«, auch wenn Letzteres schließliches Ziel sein sollte. Dies hängt von der zeitlichen Reichweite, von dem Horizont programmatisch vorherbestimmbaren Handelns ab. Mittelfristig sind unter den gegebenen Verhältnissen Erfolge bei der Demokratisierung der Gesellschaft, mit der auch eine demokratische Einflussnahme auf den Umgang mit Eigentum und die Verteilung der Gewinne aus Wertschöpfung verbunden sind, am ehesten zu erreichen. Und solche zu erreichen, sollte Inhalt und Methode linker Politik

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vorrangig prägen. Wachsender politischer Einfluss der Partei DIE LINKE ermöglicht konkreten Einfluss auf sozial ausgerichtete Steuerpolitik, auf Beschränkung von Monopolmacht, auf Ökolo-gisierung von Produktion, Mobilität und Konsum, auf friedliche Entfaltung von Wirtschaftskraft und internationalem Austausch, auf Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Kultur, bei der Zurückdrängung von Diskriminierungen und der Förderung von Emanzipation … Weil dies über den Staat und seine Gesetz-gebung in allgemeiner Weise und Gültigkeit geschieht, ist die Durchsetzung von Einzelinteressen und speziellen Eigentumsego-ismen legal eigentlich nicht möglich bzw. in der Praxis maximal erschwert. Projekten konkreter demokratischer Kontrolle und humaner Nutzung von Eigentum wird zudem damit erst die sichere Basis und Orientierung gegeben. Demokratische Bestim-mung von Bildungsinhalten wird so möglich. Kurzum, »Demokra-tisierung der Gesellschaft« ist die grundlegende Voraussetzung dafür, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten in umfassender Weise in die eigenen Hände zu nehmen, ohne dabei Gesellschaft auf die bloße Gesamtmenge von Einzelinteressen zu reduzieren oder sie gar Monopolisierun-gen bei der Willensbildung auszusetzen.

Ich verstehe das Programm als ausgerichtet auf einen Zeitraum, in dem wir unter weitgehend heutigen Verhältnissen in Wirt-schaft und politischem System den Weg bereiten könnten für von uns gewünschtes/erdachtes Zukünftiges (»demokratischer Sozialismus«). Natürlich wird so auch der Weg zum Ziel und es muss etwas vom Ziel den Weg charakterisieren. Nur vage oder gar nicht überschaubare Vorgriffe auf das Ziel zum Programm zu machen, halte ich aber für nicht sehr produktiv, weil dann das Erlebnis des Scheiterns die Umsetzung des Programms dominie-ren wird. Politik braucht Erfolg, um fortgesetzt erfolgreich sein zu können. Für mich steht also die Demokratiefrage so, dass wir überlegen, wie wir in den gegebenen Verhältnissen Dinge tun können, die den Weg bereiten und Möglichkeiten bieten, unsere Vorstellungen auszuprobieren. Das braucht erstens Mehrheiten (und die soll es immer brauchen), zweitens Ideen und drittens Umsetzungskompetenz. Alles in allem braucht es aber auch Be-scheidenheit und Geduld: Wie sagte Marx? Die Menschheit stellt sich immer nur Aufgaben, die sie lösen kann. Die Partei sollte es nicht anders halten und sich deshalb ein Programm geben, das über Wahlprogramme deutlich hinausreicht, Utopien erkennen

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lässt, dennoch aber realistische und glaubwürdige Wegmarken setzt.

Im Hinblick auf den Programmentwurf kann man aus dieser Perspektive mit dem Abschnitt IV./2. inhaltlich weitgehend zufrieden sein. Einzelheiten werden sicher noch ausgestritten. Zu fragen ist aber, ob die einschlägigen Ausführungen wegen ihrer Wichtigkeit nicht einen eigenen Abschnitt erfordern, statt nur Teil 2. von IV. zu sein.

Zu 3.: Im Abschnitt II. des Programmentwurf ist von der »herrschenden Klasse« als einem Akteur in Verteilungskämpfen um Macht und Reichtum die Rede. Daher muss es logisch auch andere Klassen geben. Weil die soziale Marktwirtschaft im gleichen Abschnitt als Kompromiss zwischen Lohnarbeit und Kapital angesehen wird, könnten alle in Lohnarbeit Stehenden als die Klasse angesehen werden, die der herrschenden (Kapitalisten-) Klasse entgegen-steht. Würde man dies in der Einfachheit anerkennen, käme man in beträchtliche Schwierigkeiten. Zur Lohnarbeit gehören nämlich auch Menschen, die ausgesprochene Kapitalfunktion ausüben und zwar so, dass ihre persönlichen Interessen und die des Kapitals im allgemeinen und im besonderen weitgehend zusammenfallen. Dazu gehört z. B. das Management oder wenigstens Teile davon. Insofern ist es tatsächlich günstiger, dass im Programmentwurf zunächst nicht scharf definiert der »herrschenden Klasse« »ArbeitnehmerInnen«, »Erwerbslose«, verschiedenartig »diskriminierte Gruppen«, »humanistisch orientierte Milieus« oder »bedrohte Mittelschichten« gegenüber gestellt werden. Diese Gruppen sind unsere Ansprechpartner und -partnerinnen. Aus ihnen rekrutieren sich Bündnispartne-rInnen. Sie sind – allerdings aus unterschiedlichen Gründen – interesssiert oder zumindest interessierbar an gesellschaftlichen Veränderungen, die wir vorschlagen. In den Leitfragen wird jedoch zu recht die Aufgabe an die Programmdebatte formuliert, daraus »eine analytisch tragfähige und praktisch relevante programmatische Antwort« zu erarbeiten. Die LINKE kann im ge-gebenen politischen System und mit ihren Zielstellungen in ihren sozialen Grundlagen, in ihrer Mitgliedschaft keine Klassenpartei sein. Dies ist in der Schwierigkeit der sozialen Wahrnehmbarkeit von Klassenunterschieden in der heutigen Gesellschaft genau so

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begründet, wie in den Möglichkeiten und Aufgaben einer Partei im System. Unterscheidbar konturiert werden im Normalfall sehr viel mehr Gruppen wahrgenommen (ArbeiterInnen, Angestellte, Intellektuelle, HandwerkerInnen, Selbstständige in Handel und Dienstleistungen, PolitikerInnen usw.) als Klassen. Was über diesen Unterschieden wahrgenommen wird, sind gemeinsame oder differente Interessen. Und dort muss politische Mobilisie-rung durch die LINKE ansetzen. Es ist die Frage zu stellen, wie weit Kapitalismus Menschheitsinteressen und Menschenrechte (be-)rühren und wie weit im Kapitalismus Menschheitsinteressen und Menschenrechte durchsetzbar sind bzw. ihnen entgegen-gewirkt wird. Das tut der Programmentwurf eigentlich recht ausführlich, wenn auch mit (akzeptabler) Schlagseite. Ich lese klar heraus, dass sich die Partei mit diesem Programmentwurf zwar weitgehend antikapitalistisch oder zumindest radikal kapitalismuskritisch aufstellt, sich jedoch nicht als Klassenpartei und noch weniger als Avantgarde einer Klasse begreift. Damit wäre politisch auch kein Blumentopf zu gewinnen. Ich lese aus dem Programmentwurf weniger heraus, welche Stelle der Kapitalismus in der Dialektik historischer Entwicklung einnimmt, d.h. auch welche Errungenschaften, auf die man nicht verzichten will, er gebracht hat. Das mag aber programmatisch tatsächlich zweitrangig sein. Die Partei ist eine auf Veränderung ausgerich-tete »Interessenpartei« (vgl. dazu besonders den ersten Absatz der Präambel und die gesamte Präambel). Das braucht keine ausführliche historiographische Gerechtigkeit gegenüber dem Kapitalismus. Interessen lassen aktuelle Ziele erkennen und wer sich der Durchsetzung dieser Interessen und dem Kampf um die Erreichung dieser Ziele anschließt, sollte mit dieser Partei können. Das gibt der Partei Profil. Damit steht die Partei in Konkurrenz zu den anderen Parteien und über den politischen Kampf zur Durchsetzung dieser Interessen muss sie ihre Al-leinstellungsmerkmale und damit ihre politische Attraktivität bestimmen. Dies macht die Partei aber auch zwangsläufig in den Grenzen der programmatisch festzulegenden Gemeinsam-keiten zu einer pluralistischen, weil sich in ihr Menschen finden, die aus ganz unterschiedlichen Lebens-, Wahrnehmungs- und schließlich auch Weltanschauungszusammenhängen heraus ihre Übereinstimmungen in Ziel und Weg (und deshalb natürlich auch ihre Differenzen) immer wieder neu suchen, feststellen und definieren müssen. Sie machen es jeweils auf ihre Weise, was eine einseitige Ausrichtung an monopolisierten Wissenschafts-

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und/oder Glaubensparadigmen ausschließt, was aber auch nicht verbietet, auf Traditionen zu verweisen und zurückzugreifen. Insofern ist das Programm nicht für bestimmte Gruppen in- oder außerhalb der Partei zu schreiben, sondern zunächst für alle als Angebot, sich mit uns auf den Weg zu machen in jene »bessere Zukunft«, die die Präambel beschreibt. Wie vertrauenswürdig wir dafür sind, wie kompetent und wie erfahren, wie offen für Diskurs, das sollte dem Abschnitt I. entnommen werden können. Er gehört deshalb auch mit den Inhalten der Präambel an den Anfang.

Zu 4.:

Mit Gewissheit ist die Frage der sprachlichen Qualität des Programms eine sehr wesentliche, wenn wir den Anspruch stellen (müssen), dieses für alle zu schreiben. Allerdings darf der Anspruch an eine einfache, verständliche Sprache nicht ver-wechselt werden mit sprachlicher Simplifizierung, mit Verzicht auf begriffliche Klarheit und Eindeutigkeit. Eindringlichkeit der Sprache und Emotionalisierung sind vonnöten, dürfen aber nicht in billiger Anbiederung an Alltäglichkeit, Schlagwortartigkeit und Jargon enden, genau so wenig wie in akademischer oder politi-scher Überheblichkeit und Exklusivität. Damit ist das Problem sehr viel weiter gesehen als in der oft vorgefundenen Reduktion auf die Fremdwortproblematik. Wir stehen vor einer komplexen sozialen und kommunikativen Problemlage.

Der französische Kommunist Roger Garaudy hatte einst darauf hingewiesen, welche Probleme bei der Lektüre von Marx auf-treten: Das Proletariat kann Marx eigentlich sehr gut verstehen, besser als jeder bürgerliche Intellektuelle, weil Marx genau die Lebenslage und die Erfahrungen des Proletariats beschreibt. Dennoch hat das Proletariat sehr große Probleme bei der Re-zeption von Marx, weil dieser nicht in seiner »Sprache« schreibt. Intellektuelle hinwiederum können Marx sprachlich sehr gut verstehen, es fehlt ihnen aber der Zugang zu den beschriebenen Lebenswelten und damit das Verständnis für das Anliegen. Unab-hängig davon, wie radikal man diese Differenz sehen will, sie spielt eine Rolle für die sprachliche Gestaltung des Programms.

Zunächst sollte man fragen, was eine allgemeine Einfachheit der Sprache bestimmt, ohne in Simplifizierung oder gar Vulgari-

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sierung zu verfallen. Sicher kann man da auch die Fremdwörter zählen und möglichst reduzieren. Strukturell ist jedoch deutlich mehr zu tun. Eine besondere Rolle für Verständlichkeit spielen z. B. Satzlänge und Satztiefe. Die Satzlänge folgt einer einfachen Quantität: Mann sollte immer dann schon einen Punkt machen, wenn es möglich ist. Mit der Satztiefe ist es komplizierter: Sie meint die Anzahl der Prädikationen im Text und ihre Hierarchie. Die Ba-sisprädikation findet sich in der Zuordnung von Subjekt und Prä-dikat im Hauptsatz. Sie sollte durch möglichst wenig weitere und untergeordnete Prädikationen ergänzt bzw. verdeckt werden. Solche Prädikationen sind einmal Nebensätze und Partizipgrup-pen, vor allem aber Attribute aller Art. Jedes sprachliche Attribut ist eine verdeckte Prädikation, kann also in einen Satz aufgelöst werden. Wenn dies das Verständnis befördert, sollte man dies auch tun. Im Zweifelsfall kann man auch etwas weglassen.

In diesem Zusammenhang ist auch etwas über Grammatik und Orthographie zu sagen: Der Programmentwurf ist grammatisch korrekt und gemäß den orthographischen Normen geschrieben. Das ist gut so. Auf Grund meiner Erfahrung mit geschriebenen Texten aus dem Umfeld der Partei, halte ich aber doch einige Anmerkungen für nötig.

Grammatik ist natürlich die Symbolisierung von inhaltlichen Zusammenhängen im Satz. Bis auf wenige Ausnahmen haben deshalb grammatische Regeln und Formen die Funktion, diese Zusammenhänge deutlich zu machen und Missverständnis-sen vorzubeugen. Wir sollten sie also nicht gering schätzen. Ähnliches gilt für die Orthographie. Bedeutet Strenge in Bezug auf Grammatik und Orthographie oft aus der Sicht der Schrei-berInnen auch eine zusätzliche Last neben der inhaltlichen Konzeption der Äußerung, so sind sie doch für die LeserInnen eine wertvolle Hilfe bei der Wahrnehmung und Rekonstruktion der inhaltlichen Struktur der Äußerung. Das beginnt bei der Groß- und Kleinschreibung, die durch die Hervorhebung der Substantive Unterschiede bei begrifflichen Qualitäten in der Gedankenstruktur unterscheiden hilft und für das Lesen auch optisch Gliederungspunkte schafft. Es setzt sich fort bei der korrekten Verwendung von Satzzeichen (»Der gute Mann denkt an sich selbst zuletzt« – »Der gute Mann denkt an sich, selbst

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zuletzt.«) Es endet noch lange nicht bei der orthographischen Unterscheidung z. B. von Artikel (»das«), Relativpronomen (»das«) und Konjunktion (»dass«). Z. B. signalisiert Orthographie korrekte Aussprache (»Beet« – »Bett«, »Gase« – »Gasse«) Verantwortung gegenüber Grammatik und Orthographie hat also vor allem etwas mit Solidarität gegenüber den LeserInnen zu tun. Sie erhöht und erleichtert die Verständlichkeit von Texten. Dass sich durch die Geschichte der Sprache auch Unregelmäßigkeiten in die Orthographie eingeschlichen haben, vernachlässigen wir hier.

Politische Sprache bedient sich sehr vieler »Fahnenwörter«, also Wörter, die zur jeweiligen Partei oder Gruppe in charakterisieren-der Weise dazu gehören. Im Programmentwurf sind das Wörter wie »Demokratie«, »Freiheit«, »Gleichheit«, »Gerechtigkeit«, »Internationalismus«, »Solidarität« und viele andere mehr (vgl. zu den genannten Wörtern die Präambel). Solche Fahnenwörter gehören zu uns wie eben unsere Fahnen. Wir scharen uns um sie. Sie symbolisieren unsere Gemeinsamkeit(en). Dies tun sie aber manchmal mehr, als dass sie eine konkrete, für Außenste-hende nachvollziehbare, auflösbare Bedeutung hätten. Genau dies aber herbeizuführen ist Aufgabe eines Programms. Der Programmentwurf leistet dies in unterschiedlicher Weise. Ist z. B. das Wort »Demokratie« am Ende sehr genau inhaltlich gefüllt, so ist das z. B. bei »Gerechtigkeit« oder »Freiheit« sehr viel weniger der Fall. Als Wörter dienen sie auch anderen Parteien zur Agitati-on, in den Inhalten sollten sie aber spezifiziert sein. Bei »Frieden« könnte man schon fragen, ob wir dabei eine pazifistische, jede Gewaltanwendung ausschließende Konzeption vertreten oder eine komplexere.

Schreiben wir ein Programm »für alle« müssen wir wissen, dass es Wörter und sprachliche Wendungen gibt, die für verschiedene Personengruppen (Jugendliche, Ältere, Parteimitglieder, ehemals PDS, ehemals WASG, Berufsgruppen, DDR/BRD Herkunft, land-schaftliche Gruppen/Dialekte …) unterschiedliches Prestige ge-nießen, einen unterschiedlichen Gebrauchswert haben können. Man kann auch sagen, dass es Wörter gibt, die auf verschiedene Personengruppen unterschiedlich wirken, von »anheimelnd« bis »abstoßend«, und die diese gerne oder gar nicht gerne hören, lesen oder verwenden wollen. Wir sind da nicht immer souverän. Brecht schrieb im Gedicht »An den Schwankenden«: »Einen Teil unserer Wörter hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit.«

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Dem können wir nicht mit Vernachlässigung, Ignoranz oder Dickköpfigkeit begegnen, denn natürlich hat der »Feind« damit Wirkung erzielt und sich Macht verschafft über den zunächst öffentlichen und dann auch individuellen Umgang mit unserer Sprache. Wer das nicht berücksichtigt, dem stellt Brecht im glei-chen Gedicht die warnende Frage, »Werden wir zurückbleiben, keinen mehr verstehen und von keinem verstanden?« Es soll in diesem Zusammenhang keineswegs der sprachlichen Kapitulati-on das Wort gesprochen werden, man muss aber schon wissen, was man tut und wie man möglicherweise wirkt, wenn man ein (vertrautes) Wort oder eine Wendung verwendet.

Und nun doch noch zu den leidigen Fremdwörtern: Sie haben u. a. etwas mit den Zwecken, wofür, und mit den Bereichen, in denen Sprache verwendet wird, zu tun. Wissenschaftssprache »liebt« die Fremdwörter: Erstens weil sie oft auch Internati-onalismen sind und deshalb in der internationalen Wissen-schaftskommunikation ohne Übersetzungsprobleme von allen verstanden werden. Zweitens, weil sie sich vom Nebensinn, der muttersprachliche Wörter oft begleitet, befreien können (vgl. »Geschlecht« – »gender«). Zudem machen sie bei Bedarf genau-ere Unterscheidungen als muttersprachliche Wörter auf einfache Weise möglich (»natürliches Geschlecht« – »sexus«, »grammati-sches Geschlecht« – »genus«, »soziales Geschlecht« – »gender«). Nun sollte ein Programm zwar eine wissenschaftliche Grundlage haben. So weit man auf dieser Ebene diskutiert, wird man der Wissenschaftssprache mit allen ihren Eigenheiten und also auch den Fremdwörtern nicht entgehen können (ich bitte auch meinen Text unter diesem Aspekt zu beurteilen). Die Programmsprache muss aber eine andere sein. Unter Umständen sind dann auch Umschreibungen (»Paraphrasierungen«) günstiger als ein beque-mer, aber beim Publikum unverständlicher Fremdwortgebrauch.

Ähnliches gilt übrigens auch für unser »Gruppensprache«, also in der innerparteilichen Kommunikation übliche Jargonismen, die Außenstehenden aber eben »parteichinesisch« vorkommen. Damit holt man nicht Interessierte heran, sondern grenzt sich eher ab und grenzt diese eher aus.

Entgehen werden wir bei der sprachlichen Gestaltung eines Programms aber sicher nicht der allgemeinen Einsicht: »Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.« Genau deshalb sollten wir rein »geschmäcklerische« Sprachkritik ver-meiden. Die Weisheit gilt aber natürlich ebenso für die Inhalte.

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Dr. Dorothea Wolff

Warum scheiterte der »reale Sozialismus«?Die Ausführungen im Programm zu dieser Frage reichen nicht aus. Genauere Antworten sind aber beim Kampf um den trans-formatorischen Sozialismus unentbehrlich.

Im November 2005 schockierte Fidel Castro die Linken mit fol-gender Bemerkung in seiner Rede vor Studenten der Universität Havanna: »Unter den vielen Fehlern, die wir alle gemacht haben, war der bedeutendste Fehler zu glauben, dass irgend jemand etwas vom Sozialismus verstand oder dass jemand wusste, wie der Sozialismus aufgebaut wird.«

Sicher hat Fidel Castro hier zu tief gestapelt, aber auch heute können wir die uns oft gestellte Frage, wie unser Ziel, der Sozialismus, denn sein solle, nur sehr pauschal beantworten. Besonders dringlich ist deshalb die Analyse der realisierten Sozialismusversuche und die Ermittlung der Ursachen ihres Scheiterns. Massen von Menschen haben dem Realsozialismus nicht vorrangig wegen mangelnder Freiheit den Rücken gekehrt, sondern vor allem wegen seiner begrenzten ökonomischen Leistungsfähigkeit. Die Mauer war nur die Folge davon. Dabei hatte Karl Marx eine Gesellschaftsformation erst dann für historisch überholt erklärt, wenn eine neue Gesellschaftsforma-tion im Entstehen ist, die ihr in der Höhe der Arbeitsproduktivität überlegen ist. Wenn die Arbeitsproduktivität in der DDR z.T. 50 % unter der entwickelter kapitalistischer Industriestaaten lag, ist das sicher nicht ausreichend mit der »Zentralisation der öko-nomischen Entscheidungen« und »Einschränkung betrieblicher Selbständigkeit« (Programmentwurf) erklärt. Z. B. wäre die Frage nach den Triebkräften im Sozialismus zu stellen – Lenins Annah-me, dass der Wettbewerb die kapitalistische Konkurrenz ersetze, erfüllte sich nicht; gefragt werden müsste, welchen Forderungen Betriebsangehörige gerecht werden müssten, um effektiv die betriebliche und ökonomische Entwicklung mitbestimmen zu können u. a.

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Eine genauere Analyse des Sozialismus der DDR als sie der Programmentwurf im Kapitel »Woher wir kommen, wer wir sind« bietet, erscheint mir dringend geboten, und das nicht nur als Voraussetzung für die schrittweise Erarbeitung eines modernen Sozialismusbildes als Vision, sondern auch als Orientierung für unsere tägliche praktische politische Tätigkeit, z. B. für die Abgrenzung von Opportunismus und politischem Abenteurertum bei unserem Bemühen, aktiv verändernd in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Wir brauchen die differenzierte kritische Auseinandersetzung mit dem realen Sozialismus im Programm auch für die Gewinnung von Menschen, die im Sozialismus zwar eine gute Idee sehen, den Sozialismus der DDR aber nicht haben bzw. wiederhaben wollen, oder von Menschen, die der Meinung sind, dass der Sozialismus an den Unzulänglichkeiten der Menschen scheitern muss.

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76 Meinungen aus dem Landesverband Sachsen

Hans-Georg Trost, Zittau

Diskussionsbeitrag zum 1. Programmkonvent Sachsen Ausgehend von den Hinweisen von R. Gebhardt und den Vorstel-lungen der Moderatoren – von denen kaum einer die Eigentums-frage unterließ zu nennen – möchte ich heute in dieser Debatte zur Eigentumsfrage im Programmentwurf sprechen.

Es ist sicher nicht übertrieben, dass das Kapitel III des Program-mentwurfs mit »Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhun-dert«, in dem die Eigentumsfrage einen zentralen Platz einnimmt, gegenüber z. B. dem Chemnitzer Programm der PDS eine bedeu-tende Weiterentwicklung darstellt. Damit hat die Eigentumsfrage einen zentralen Platz in diesem Programmentwurf – wie auch schon in anderen bedeutenden Parteiprogrammen, etwa im Ma-nifest der Kommunistischen Partei oder im Gothaer Programm einschließlich der berühmten Marxschen Kritik. (Die breite Behandlung der Eigentumsproblematik unter der Überschrift »Demokratischer Sozialismus des 21. Jahrhunderts birgt in sich aber die Gefahr, das Wesen des Demokratischen Sozialismus auf die Eigentumsfrage zu beschränken; hiergegen wäre ein metho-discher Hinweis angebracht.)

1. Zunächst liegt dem Programmentwurf eine bedeutende Weiterentwicklung des Eigentumsbegriffs vor allem seit der Diskussion um das PDS-Programm von 2003 zu Grunde (das steht natürlich so nicht alles ausdrücklich im Entwurf):

Was den Begriff an sich angeht, war uns eigentlich schon immer klar, dass es sich bei Eigentum um mehr als nur das Haben oder Nichthaben, den Besitz oder Nichtbesitz von Dingen handelt. Vielmehr ist Eigentum Verfügung über wirtschaftliche Machtres-sourcen, aus denen sich auch politische Macht ableitet. Eigen-tum bestimmt das Wesen der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es ist der Kern der Produktionsverhältnisse, die auch Klassen-, Verteilungs- und politische Verhältnisse bestimmen. Dem entspricht auch der Grundsatz, wonach Politik konzentrierter Ausdruck der Ökonomie ist.

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77Hans-Georg Trost

Auch hinsichtlich des Objekts, des Gegenstands des Eigentums erfolgte wenigstens in dreifacher Hinsicht eine bedeutende Weiterentwicklung. Das bezieht sich einerseits auf die Produk-tionsmittel, die heute nicht mehr an Beispielen des Manches-terkapitalismus erklärt werden sollten, sondern sie umfassen vor allem die Grundlagen der Informations- und Kommunikati-onstechnologien; demnach sind auch Patente, Lizenzen, Know How, Software, Informationen, wissenschaftliche Erkenntnisse ... Gegenstand des Eigentums. Zweitens geht der Gegenstand des Eigentums wesentlich über den Bereich der Produktionsmittel hi-naus: Wirtschaftliche Macht wird nämlich auch durch Verfügung über Bildungs-, Gesundheits- und Versorgungseinrichtungen der Bevölkerung mit Wasser, Energie, Wohnungen ausgeübt, wie das tägliche Leben nachhaltig beweist. Und drittens sind - das hat die jüngste Wirtschaftskrise nachdrücklich demonstriert - auch Finanzen und deren Einrichtungen wie Staatshaushalt, Banken und Börsen sowie Versicherungen bedeutende wirtschaftliche Machtressourcen.

Der Programmentwurf gliedert die im realen Kapitalismus unseres Landes existierenden Eigentumsformen. Die beiden Hauptformen sind privates und öffentliches Eigentum, wobei bei dem dominierenden privaten das privatkapitalistische Eigentum bestimmend ist. Als Nebenformen existieren auch Genossen-schaften und in bescheidenen Ansätzen Belegschaftseigentum.

Öffentliches Eigentum kann staatliches, kommunales und Ländereigentum sein und wird von den jeweiligen Eigentümern so genutzt, wie es die konkreten politischen Kräfteverhältnisse hergeben.

Privates Eigentum kann individuelles Privateigentum oder solches in den verschiedenen Rechtsformen (AG, GmbH, OHG, GbR ...) sein. Aber: Nicht jedes Privateigentum ist kapitalisti-sches Eigentum (Auch nicht jeder Unternehmer ist Kapitalist und umgekehrt.) Das von einfachen Warenproduzenten und anderen Selbständigen, also von Unternehmern, die keine Lohnarbeiter ausbeuten, ist beispielsweise kein kapitalistisches Eigentum. Zwischen ihnen und den großen kapitalistischen Unternehmen gibt es fließende Übergänge, wozu auch die kleinen und mittel-ständischen Unternehmen gehören.

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78 Meinungen aus dem Landesverband Sachsen

2. Der im Demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts gemäß Programmentwurf angestrebte Eigentumstyp ist durch Pluralität von Eigentumsformen gekennzeichnet, worunter demokratisch-sozialistische Formen – also öffentliches, genos-senschaftliches und auch Belegschaftseigentum – die Priorität besitzen. Um diese Priorität zu erreichen, sollen schrittweise auf der Grundlage des Grundgesetzes und auf demokratische Weise privatkapitalistische Unternehmen in öffentliches Eigentum über-führt bzw. rücküberführt (resozialisiert) werden. Das kann nur auf der Grundlage des Grundgesetzes erfolgen, wofür die Artikel 14 und 15 Grundsätze und Wege bestimmen. In welchem Um-fang und in welchem Tempo das gelingt, hängt vom konkreten politischen Kräfteverhältnis ab; es liegt also an uns, für derartige Projekte viele Verbündete zu finden. Dass es dabei nicht nach dem Vollständigkeitsprinzip gehen kann, lehrt ein Blick auf das derzeitige und nächstens zu erwartende Kräfteverhältnis; und eine Lehre aus der DDR-Vergangenheit ist wohl auch, dass es unklug war, fast jegliches Privateigentum zu überwinden. Der Programmentwurf favorisiert dabei strukturbestimmende Un-ternehmen (nicht die oder alle) sowie Unternehmen, die für die Daseinsvorsorge der Bevölkerung lebenswichtig sind, und das Finanzsystem.

Zu strukturbestimmenden Unternehmen gehören heute sicher die Energie- und Transportwirtschaft sowie vor allem Unterneh-men, die Informations- und Kommunikationstechnologien ent-wickeln. Auch an einige (vor allem Print-) Medien sollte gedacht werden. (Medien als 4. Säule in der Gewaltenteilung)

Zur Daseinsvorsorge der Bevölkerung gehören u. a. die Woh-nungswirtschaft, das Bildungswesen, die Ver- und Entsorgung mit Medien sowie die Infrastruktur.

Zum Finanzsektor heißt es m. E. im Entwurf richtig: » ... dass er ein öffentliches Gut, seine Bereitstellung daher eine öffentliche Aufgabe (ist).« Das Bankensystem ist im Entwurf so beschrieben, wie ich es unterstütze, wobei kleine Privatbanken von lokaler Bedeutung nicht zwingend sozialisiert werden müssen. Nicht erwähnt ist das Versicherungssystem, dessen Sozialisierung auch eine programmatische Aufgabe ist. Es ist wohl schlechthin »vergessen« worden. (Der Staatshaushalt ist zu Recht nicht erwähnt; er ist ohnehin öffentlich.)

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79Hans-Georg Trost

Für ganz wichtig halte ich die Feststellung im Entwurf, dass öffentliches Eigentum keine Garantie, sondern »nur« eine not-wendige Bedingung für seine Überlegenheit gegenüber privatem Eigentum ist. Auch und vor allem für öffentliches Eigentum gilt die Forderung des Grundgesetzes, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat. Der Kampf um diese Überlegenheit gegenüber privatem Eigen-tum – im Kern geht es um höhere Arbeitsproduktivität – muss durch demokratisch organisierte Nutzung und Kontrolle des öffentlichen Eigentums organisiert und realisiert werden. Dann kann im Bereich des öffentlichen Eigentums Gewinn erwirtschaf-tet werden, der schließlich auch seiner erweiterten Reproduktion dient So kann öffentliches Eigentum, öffentlicher Reichtum aus sich selbst heraus gemehrt werden, wachsen.

Höhere Produktivität führt auch zu Freisetzung von Arbeitszeit, die gesellschaftlich gerecht verteilt werden soll: Sicherung der Vollbeschäftigung bei sinkender gesetzlicher Arbeitszeit und vollem Lohnausgleich. Damit sollten wir populistischem Arbeitsfetischismus widersprechen. Wenn wir beispielsweise die Verringerung oder Einstellung von Rüstungsproduktion fordern, würden viele Beschäftigte freigesetzt. Im Sinne des CDU-Grundsatzprogramms »Sozial ist, was Arbeit schafft« wäre das sogar asozial. Derartige Wertungen/Orientierungen sollte die LINKE auch nicht im Ansatz bedienen.

Auch mit demokratischer Einflussnahme und Kontrolle durch den Staat ist das Prinzip »Eigentum verpflichtet« auch in privatkapi-talistischen Unternehmen wenigstens im Ansatz durchzusetzen, wobei Steuer-, Antikartell- und Umweltgesetzgebung eine große Rolle spielen.

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80 Anlage: Beschlüsse zur Führung der Programmdebatte

DIE LINKE. Sachsen Landesvorstand B 2 – 023

Führung der Programmdebatte in Sachsen Beschluss aus der gemeinsamen Beratung des Landesvorstandes und der Kreisvorsitzenden am 15./16. Januar 2010 in Burgstädt

Beschlüsse:

1. Der Landesvorstand Sachsen DIE LINKE Sachsen beauftragt die Grundsatzkommission mit der Organisation, inhaltlichen Begleitung und Aufarbeitung der Programmdebatte in Sachsen.

2. Als Verantwortlicher für die Programmdebatte in Sachsen wird Stefan Hartmann benannt.

3. Die Kreis- und Ortsverbände der LINKEN Sachsen sowie die Landesweiten Zusammenschlüsse und der Jugendverband werden gebeten, eigenständig Formen der Programmdebatte auf ihren Ebenen zu gestalten. Die Grundsatzkommission wird beauftragt, diese Angebote insbesondere durch ReferentInnen zu unterstützen.

4. Die Grundsatzkommission wird beauftragt, ausgehend vom Zeitplan für die Führung der Pro grammdebatte des Parteivor-standes, einen Zeitplan für die Programmdebatte in Sachsen zu entwerfen und die entsprechenden Veranstaltungen vorzuberei-ten. (Termin: 26.02.)

5. Die Grundsatzkommission wird beauftragt, in Kommunikation zu den vom Parteivorstand vor zuschlagenden westdeutschen Landesverbänden zu treten und die bundesweiten regionalen Programmkonferenzen im September/Oktober 2010 mit zu organisieren.

6. Die Landesgeschäftsstelle wird beauftragt, die Grundsatzkom-mission organisatorisch zu un terstützen.

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81Landesvorstand und Kreisvorsitzende

7. Die Grundsatzkommission berichtet dem Landesvorstand regelmäßig über den Verlauf der Programmdebatte und schlägt gegebenenfalls weitere Beschlüsse vor.

8. Die politischen Bildungsträger und politische Vereine im Umfeld der LINKEN. Sachsen werden gebeten, sich an der politischen Debatte zu beteiligen und diese nach Möglichkeit zu unter stützen.

Abstimmungsergebnis: Einvernehmlich beschlossen.

Bemerkungen:

Der Landesvorstand verabschiedet die Vorlage in Erfüllung des Beschlusses des Parteivorstands 2009-110 »Führung der Pro-grammdebatte in der Partei DIE LINKE«. Die guten Erfahrungen des Lan desvorstandes im Parteineubildungsprozess und in der Debatte zum Landeswahlprogramm bilden die Grundlage für die Beauftragung der Grundsatzkommission mit den genannten Aufgaben.

f. d. R. Antje Feiks – Landesgeschäftsführerin Dresden, 18. Januar 2010

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82 Anlage: Beschlüsse zur Führung der Programmdebatte

DIE LINKE Landesverband Sachsen B 2 - 038

Fahrplan für die Programm-debatte innerhalb des Landesverbandes Sachsen Beschluss aus der Landesvorstandssitzung vom 26. Februar 2010

Beschluss: Der Landesvorstand beschließt den unten aufgeführten Fahrplan für die Programmdebatte im Landesverband Sachsen und beauf-tragt die Grundsatzkommission den Fahrplan in Abstimmung und mit Unterstützung der Landesgeschäftsführerin umzusetzen. Abstimmungsergebnis: Bei einer Stimmenthaltung mehrheitlich beschlossen.

Bemerkungen: Mit der Berufung der Grundsatzkommission wurde sie gleich-zeitig gebeten einen Fahrplan für die Organisation der breiten Programmdebatte innerhalb des Landesvorstandes zu entwerfen um eine größtmögliche Beteiligung aller Strukturen und Ge-nossInnen zu erreichen. Die Grundsatzkommission hat diesen Fahrplan am 11. Februar 2010 erarbeitet:

15./16.01.2010 : Tagung des Landesvorstandes: Beschluss B 2 – 023 »Führung der Programm-debatte in Sachsen« 11.02.2010: 1. Tagung der Grundsatzkommission; Erarbeitung der Zeitleiste; Verteilung der Aufgaben, Kommunikation, Ansprache von VertreterInnen der Bundesebene 26.02.2010: Tagung Landesvorstand: Vorstellung der Ergebnisse der 1. Tagung der Grundsatz-kommission, Beschlussfassungen 27.2.2010: Gemeinsame Beratung von Landesvorstand, Landesrat, Kreisvorsitzenden und Vor-stand der Landtagsfraktion: Vorstellung der Ergebnisse der 1. Tagung der Grundsatzkommission und der entsprechenden Beschlüsse des Landesvorstand

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83Landesvorstand

zum 27.2.2010: Brief der Grundsatzkommission an die Kreisvorstände, Jugendverband und LWZ zur Führung der Programmdebatte mit dem Angebot der Unterstützung durch ReferentInnen und der Bitte um Durchführung von Veranstaltungen

Februar/März 2010: ggf. Teilnahme an Veranstaltungen zur Programmdebatte regionaler und lokaler Gliederungen 21./22.03.2010: Veröffentlichung des Programmentwurfes (vermutlich) 25.03.2010: 2. Tagung der Grundsatzkommission, Debatte zum Programmentwurf, weiteres Vorgehen in Sachsen, Vorbereitung Regionalkonferenzen etc. 26.03.2010: Vorschlag an LV: Tagung des Landesvorstandes - Debatte zum Programmentwurf 27.03.2010: Vorschlag an Landesrat: Tagung des Landesrates – Debatte zum Programmentwurf 31.03.2010: Auftakt-Veranstaltung zur Programmdebatte im Landesverband Sachsen (Chemnitz) April 2010 Vorschlag an LV: Tagung des Landesvorstandes - Debatte zum Programmentwurf April 2010 3. Tagung der Grundsatzkommission April/Mai 2010: Diskussion zum Programmentwurf in den regionalen und lokalen Gliederungen, im Jugendverband und den LWZ entsprechend der lokal und regional entwickelten Angebote 22.-24.5.2010: Pfingstcamp des Jugendverbandes: Workshop zum Programmentwurf 29.5.2010: Gemeinsame Beratung LV/KV: Debatte zum Programmentwurf Mai 2010: 4. Tagung der Grundsatzkommission Juni 2010: 3 Regionalkonferenzen: Leipzig (08.06.), Dresden (02.06.), Chemnitz (01.06.) Juni 2010: 5. Tagung der Grundsatzkommission 26.06.2010: Sächsischer Programmkonvent Juli 2010: Erarbeitung einer Dokumentation zur sächsischen Programmdebatte Juli 2010: 6. Tagung der Grundsatzkommission, Vorbereitung der gemeinsamen Regional-beratungen mit den zugeteilten westdeutschen Landesverbänden 18.09.2010: Programmkonvent gemeinsam mit Bayern und Baden-Württemberg (wahrscheinlich Erlangen)

f. d. R. Antje Feiks – Landesgeschäftsführerin Dresden, 26.02.2010

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84 Anlage: Beschlüsse zur Führung der Programmdebatte

DIE LINKE Landesverband Sachsen B 2 - 113

Weiterführung der Programm-debatte – Erstellung des Leitantrages an den Bundes-parteitag bis zum 31.03.2011 Beschluss aus der gemeinsamen Beratung des Landesvor-standes und des Landesrates vom 04. September

Beschluss: Die gemeinsame Beratung des Landesvorstandes und des Landesrates der LINKEN Sachsen beschließt folgenden Antrag an den Parteivorstand:

Der Parteivorstand möge beschließen: Der Beschluss 07/2010 vom 03.07.2010 wird im Abschnitt IV im 5. Anstrich durch ein konkretes Datum ergänzt. Nach der Passage: »Erstellung des Leitantrages für den Programmparteitag« wird angefügt: »bis zum 31.03.2011«

Abstimmungsergebnis: Mehrheitlich, bei 3 Enthaltungen beschlossen.

Bemerkungen: Die Veröffentlichung eines 1. Programmentwurfs ließ erwarten, dass diesem ein 2. Entwurf folgen würde. Mit seinem Beschluss vom 03.07.2010 hat der Parteivorstand den ursprünglichen Ablauf der Programmdebatte geändert. Es gibt keine Programm-kommission mehr und auch keinen 2. Entwurf. Da es nun Aufgabe einer Redaktionskommission ist, »eine synoptische Entscheidungsgrundlage für den Leitantrag des Parteivorstandes zu erarbeiten«, steht zu befürchten dass der nächste veröffent-lichte Entwurf bereits der Leitantrag an den Parteitag im Herbst

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85Landesvorstand und Landesrat

2011 ist. Im schlechtesten Falle erfolgt die Veröffentlichung mit der Versendung der Parteitagsmaterialien an die Delegierten. Damit haben die Genossinnen und Genossen in den Kreis- und Landesverbänden keine Möglichkeit mehr, den Stand der Debat-te zu kennen und gegebenenfalls einzugreifen. Die synoptische Entscheidungsgrundlage wie auch der Leitantrag selbst, wären dann zwar das Ergebnis der Arbeit verdienstvoller und kluger Genossinnen und Genossen. Aber der Prozess bis dahin ist alles andere als transparent. Um die Parteibasis frühzeitig über den Debattenstand zu informieren und somit an der Diskussion zu beteiligen, ist notwendig, denn Beschluss des Parteivorstand mit einem konkreten Datum der Veröffentlichung zu versehen. Dieser sollte deutlich vor dem Sommer 2011 liegen. Deshalb schlagen wir den 30.04.2011 als Termin der Veröffentlichung vor.

f. d. R. Antje Feiks – Landesgeschäftsführerin Dresden, 04.09.2010

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86 Anlage: Beschlüsse zur Führung der Programmdebatte

DIE LINKE Landesverband Sachsen B 2 – 116

Fortsetzung der Programm-debatte im Landesverband der LINKEN Sachsen Beschluss aus der gemeinsamen Beratung des Landesvorstan-des und des Landesrates vom 04. September 2010

Beschlüsse: 1. Der Landesvorstand beschließt zeitgleich zur Jahresplanung Herbst 2010 bis Herbst 2011 einen weiteren Fahrplan für die Programmdebatte.

2. In diesem Fahrplan sollen insbesondere Veranstaltungen enthalten sein, die den Erfordernissen der breit angelegten Diskussion und der Antragsarbeit gleichermaßen gerecht werden.

3. Die Veranstaltungen zur Programmdebatte organisiert der Landesvorstand gemeinsam mit der Grundsatzkommission.

Abstimmungsergebnis: Einvernehmlich beschlossen.

Bemerkungen:

Der auf Grundlage des Parteivorstandsbeschlusses 110 – 2009 »Führung der Programmdebatte in der Partei DIE LINKE« erarbeitete »Fahrplan für die Programmdebatte innerhalb des Landesverbandes Sachsen« (DS 2 – 038) wurde bis zum Ende des Sommers 2010 eingehalten und erfüllt. In zahlreichen Diskussionen, Arbeitsgruppen, Konferenzen und anderen Veran-staltungen setzte sich in allen Kreisverbänden ein großer Teil der Mitgliedschaft mit dem »1. Entwurf des Programms« auseinan-der. Dabei kam es zu anregenden, kontroversen und fast immer

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87Landesvorstand und Landesrat

kulturvoll ausgetragenen Debatten über Stärken und Schwächen des vorliegenden Entwurfstextes. Auf die Erarbeitung konkreter Änderungs- oder Ergänzungsanträge wurde bisher mit Verweis auf die im Parteivorstand-Beschluss 110 – 2009 festgelegte Zeitschiene verzichtet. Die Zwischenergebnisse werden bis Ende September in einem Reader zusammengefasst.

Mit dem Beschluss 07 – 2010 des Parteivorstandes wurden folgende Stationen der Programmdebatte benannt:

– Veröffentlichung des Programmentwurfs

– Regionalkonferenzen

– Programmkonvent

– Verständigung im Parteivorstand

– Erstellung des Leitantrages für den Programmparteitag

– Programmparteitag

– Mitgliederbefragung

Entsprechend dieser Stationen ist es nun notwendig, die Ideen und Anregungen aus unserem Landesverband in Form von Anträgen zu verdichten und dem Parteivorstand zu seiner Verständigung zur Verfügung zu stellen.

f. d. R. Antje Feiks – Landesgeschäftsführerin Dresden, 04.09.2010

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Landesvorstand DIE LINKE. Sachsen Großenhainer Straße 101 01127 Dresden Telefon: 0351 / 85 32 70

[email protected] www.dielinke-sachsen.de