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Nervenarzt 2013 · 84:1183–1189 DOI 10.1007/s00115-013-3735-6 Online publiziert: 15. September 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 K. Kühlmeyer · R.J. Jox Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München Prophylaxe und Therapie  der posttraumatischen  Belastungsstörung mit Propranolol Evidenz und ethische Analyse Der nichtselektive β-Adrenozeptor- Antagonist Propranolol wird in kli- nischen Studien eingesetzt, um das Auftreten einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu verhin- dern oder die psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit PTBS zu verbessern. Die Studien basieren auf Untersuchungen an Tiermodellen und gesunden Probanden, in denen die Verabreichung von Propranolol zu einer verringerten Konsolidierung einer Lernerfahrung geführt hat. Die Studien werfen wissenschaftliche und neuroethische Fragen auf. Die PTBS ist eine der wenigen psychi- schen Störungen, denen immer ein auslö- sendes Ereignis vorausgeht: das trauma- tische Erlebnis. Die diagnostischen Kri- terien nach DSM-5 sind in . Infobox 1  dargestellt. Die Einjahresprävalenz von PTBS unter der Allgemeinbevölkerung in Europa wird auf 1,1% geschätzt [8], wo- bei ein Großteil der exponierten Patien- ten keine PTBS entwickeln. Gerade weil man davon ausgeht, dass die Symptoma- tik durch einen „Lernprozess“ verursacht wird, werden Medikamente gesucht, wel- che die Konsolidierung der Gedächtnis- spur abschwächen bzw. verhindern oder das therapeutische Vergessen des bereits konsolidierten Engramms fördern könn- ten. Da das Gedächtnis essenziell für die individuelle Persönlichkeit des Menschen ist, aber auch eine Bedeutung für die Iden- tität einer Gesellschaft hat, ist es gerecht- fertigt, Interventionen am Gedächtnis auf mögliche neuroethische Implikationen hin zu prüfen und zu bewerten. Der vorliegende Artikel will zwei Fra- gen beantworten: F   Ist Propranolol bei der Prophylaxe und Therapie der PTBS wirksam? F   Inwiefern sind klinische Studien zu diesem Einsatz ethisch vertretbar? Die Frage nach der Wirksamkeit kann nur auf der Grundlage einer kritischen Bewer- tung gegenwärtiger Evidenz, d. h. der Be- lege der Wirksamkeit durch Studien, be- urteilt werden. Die zweite Frage basiert zwar auf der Evidenz, kann aber nur mit- tels Überlegungen und zusätzlicher Ar- gumente beantwortet werden. Dabei be- schränkt sich dieser Artikel auf die kli- nische Forschung und klammert einen potenziellen Lifestyle-Gebrauch von Pro- pranolol aus (vgl. hierzu etwa [10, 12, 16]). Zwar werden noch weitere Medikamen- te zur Prophylaxe von PTBS erprobt, z. B. Glukokortikoide [20, 21, 22, 30] oder Ben- zodiazepine [11]. Der vorliegende Artikel konzentriert sich jedoch auf Propranolol, da zu dieser Substanz die meisten klini- schen Studien zum prophylaktischen Ein- satz kurz nach einem traumatischen Er- eignis durchgeführt wurden und in der neuroethischen Debatte zumeist darauf Bezug genommen wurde [12]. Biologische Begründung zum Einsatz von Propranolol bei PTBS Propranolol wurde in den 1960er Jahren zur Therapie der arteriellen Hypertonie, tachykarder Arrhythmien sowie der ko- ronaren Herzerkrankung entwickelt [23]. Hierfür ist es seit langem auch in Deutsch- land zugelassen. Weitere Anwendungsge- biete sind die Hyperthyreose, der essen- zielle Tremor, die Migräneprophylaxe und das primäre Angstsyndrom. Die intensive physiologische Stress- reaktion beim Erleben eines traumati- schen Ereignisses verursacht unter ande- rem eine zentrale Freisetzung von Nor- adrenalin aus dem Locus coeruleus im dorsalen Tegmentum des Pons. Dessen noradrenerge Efferenzen projizieren breit in verschiedenste Gebiete des zentralen Nervensystems, darunter auch zu Zen- tren, die für die Gedächtnisbildung we- sentlich sind (Hippokampus, Amygda- la, präfrontaler Neokortex). Es wird an- genommen, dass die übermäßige zen- trale Noradrenalinfreisetzung im Rah- men eines traumatischen Erlebens durch die angstinduzierende Wirkung an der Amygdala eine „Überkonsolidierung“ des traumatischen Ereignisses begünstigt [5]. Propranolol kann durch seinen Antago- nismus an β-Adrenozeptoren die zentra- le Noradrenalinaktivität reduzieren [28]. Dadurch soll die Substanz der Überkon- solidierung des Erlebten vorbeugen bzw. ein erneutes Abspeichern der Erfahrung unter der Bedingung fehlenden Stress- empfindens ermöglichen. Eine ausführ- liche Diskussion der Wirkmechanismen der β-Rezeptor-Blocker bei der Modula- tion emotionaler Gedächtnisinhalte wür- de den Rahmen dieses Artikels überstei- gen (vgl. hierzu [9, 11, 24]. Es sind verschiedene Zeitpunkte des Einsatzes von Propranolol bei der Pro- phylaxe und Therapie einer PTBS denk- bar (. Tab. 1), wobei die meisten Stu- dien zur posttraumatischen Prophyla- xe durchgeführt wurden. Um die Evi- 1183 Der Nervenarzt 10 · 2013| Leitthema

Prophylaxe und Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung mit Propranolol; Prophylaxis and therapy of post-traumatic stress disorder with propranolol;

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Nervenarzt 2013 · 84:1183–1189DOI 10.1007/s00115-013-3735-6Online publiziert: 15. September 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

K. Kühlmeyer · R.J. JoxInstitut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München

Prophylaxe und Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung mit Propranolol

Evidenz und ethische Analyse

Der nichtselektive β-Adrenozeptor-Antagonist Propranolol wird in kli-nischen Studien eingesetzt, um das Auftreten einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu verhin-dern oder die psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit PTBS zu verbessern. Die Studien basieren auf Untersuchungen an Tiermodellen und gesunden Probanden, in denen die Verabreichung von Propranolol zu einer verringerten Konsolidierung einer Lernerfahrung geführt hat. Die Studien werfen wissenschaftliche und neuroethische Fragen auf.

Die PTBS ist eine der wenigen psychi-schen Störungen, denen immer ein auslö-sendes Ereignis vorausgeht: das trauma-tische Erlebnis. Die diagnostischen Kri-terien nach DSM-5 sind in . Infobox 1 dargestellt. Die Einjahresprävalenz von PTBS unter der Allgemeinbevölkerung in Europa wird auf 1,1% geschätzt [8], wo-bei ein Großteil der exponierten Patien-ten keine PTBS entwickeln. Gerade weil man davon ausgeht, dass die Symptoma-tik durch einen „Lernprozess“ verursacht wird, werden Medikamente gesucht, wel-che die Konsolidierung der Gedächtnis-spur abschwächen bzw. verhindern oder das therapeutische Vergessen des bereits konsolidierten Engramms fördern könn-ten. Da das Gedächtnis essenziell für die individuelle Persönlichkeit des Menschen ist, aber auch eine Bedeutung für die Iden-tität einer Gesellschaft hat, ist es gerecht-fertigt, Interventionen am Gedächtnis auf mögliche neuroethische Implikationen hin zu prüfen und zu bewerten.

Der vorliegende Artikel will zwei Fra-gen beantworten:F  Ist Propranolol bei der Prophylaxe

und Therapie der PTBS wirksam?F  Inwiefern sind klinische Studien zu

diesem Einsatz ethisch vertretbar?

Die Frage nach der Wirksamkeit kann nur auf der Grundlage einer kritischen Bewer-tung gegenwärtiger Evidenz, d. h. der Be-lege der Wirksamkeit durch Studien, be-urteilt werden. Die zweite Frage basiert zwar auf der Evidenz, kann aber nur mit-tels Überlegungen und zusätzlicher Ar-gumente beantwortet werden. Dabei be-schränkt sich dieser Artikel auf die kli-nische Forschung und klammert einen potenziellen Lifestyle-Gebrauch von Pro-pranolol aus (vgl. hierzu etwa [10, 12, 16]). Zwar werden noch weitere Medikamen-te zur Prophylaxe von PTBS erprobt, z. B. Glukokortikoide [20, 21, 22, 30] oder Ben-zodiazepine [11]. Der vorliegende Artikel konzentriert sich jedoch auf Propranolol, da zu dieser Substanz die meisten klini-schen Studien zum prophylaktischen Ein-satz kurz nach einem traumatischen Er-eignis durchgeführt wurden und in der neuroethischen Debatte zumeist darauf Bezug genommen wurde [12].

Biologische Begründung zum Einsatz von Propranolol bei PTBS

Propranolol wurde in den 1960er Jahren zur Therapie der arteriellen Hypertonie, tachykarder Arrhythmien sowie der ko-ronaren Herzerkrankung entwickelt [23]. Hierfür ist es seit langem auch in Deutsch-land zugelassen. Weitere Anwendungsge-

biete sind die Hyperthyreose, der essen-zielle Tremor, die Migräneprophylaxe und das primäre Angstsyndrom.

Die intensive physiologische Stress-reaktion beim Erleben eines traumati-schen Ereignisses verursacht unter ande-rem eine zentrale Freisetzung von Nor- adrenalin aus dem Locus coeruleus im dorsalen Tegmentum des Pons. Dessen noradrenerge Efferenzen projizieren breit in verschiedenste Gebiete des zentralen Nervensystems, darunter auch zu Zen-tren, die für die Gedächtnisbildung we-sentlich sind (Hippokampus, Amygda-la, präfrontaler Neokortex). Es wird an-genommen, dass die übermäßige zen-trale Noradrenalinfreisetzung im Rah-men eines traumatischen Erlebens durch die angstinduzierende Wirkung an der Amygdala eine „Überkonsolidierung“ des traumatischen Ereignisses begünstigt [5]. Propranolol kann durch seinen Antago-nismus an β-Adrenozeptoren die zentra-le Noradrenalinaktivität reduzieren [28]. Dadurch soll die Substanz der Überkon-solidierung des Erlebten vorbeugen bzw. ein erneutes Abspeichern der Erfahrung unter der Bedingung fehlenden Stress-empfindens ermöglichen. Eine ausführ-liche Diskussion der Wirkmechanismen der β-Rezeptor-Blocker bei der Modula-tion emotionaler Gedächtnisinhalte wür-de den Rahmen dieses Artikels überstei-gen (vgl. hierzu [9, 11, 24].

Es sind verschiedene Zeitpunkte des Einsatzes von Propranolol bei der Pro-phylaxe und Therapie einer PTBS denk-bar (. Tab. 1), wobei die meisten Stu-dien zur posttraumatischen Prophyla-xe durchgeführt wurden. Um die Evi-

1183Der Nervenarzt 10 · 2013  | 

Leitthema

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denz für die entsprechende Wirksamkeit zu überprüfen, wurden die Datenban-ken PubMed, PSYNDEX, PsycINFO und Web of knowledge zuletzt am 03.06.2013 nach den Schlüsselwörtern „proprano-lol“ und „post-traumatic stress disorder“ oder „PTSD“ für den Zeitraum von 1995 bis 2013 durchsucht und folgende klini-sche Studien identifiziert.

Wirksamkeit von Propranolol bei der Prophylaxe von PTBS

Den klinischen Studien zur PTBS-Pro-phylaxe gingen Experimente an Tiermo-dellen voraus, in denen amnestische Ef-fekte von Propranolol nachgewiesen wur-den. So führte die subkutane Injektion von Propranolol bei Nagetieren dazu, dass das Lernen einer Navigationsaufga-be verlangsamt wurde [6]. Erfolg verspre-chend verliefen auch Studien an gesun-den Probanden, die mit einer aufregen-den Geschichte konfrontiert wurden und weniger Aspekte der Geschichte erinner-ten, wenn sie mit Propranolol behandelt worden waren [7]. In einer frühen Stu-die wurden Patienten, die einer Einnah-me von Propranolol zustimmten (n=11), über 7 Tage mit 3-mal 40 mg Proprano-lol pro Tag behandelt, und mit denen ver-glichen, die Propranolol ablehnten (kei-ne Randomisierung, keine Verblindung; [27]). Zwei Monate später unterschieden sich beide Gruppen in der Häufigkeit und Ausprägung von PTBS (Häufigkeit: 1/11 vs. 3/8; p=0,012, Ausprägung medianer PTBS-Score 6,18 vs. 11,75; p=0,037), was jedoch angesichts der kleinen Stichpro-ben und methodischen Schwächen dieser Studie noch nicht als Beleg für die Wirk-samkeit ausreicht. Drei randomisiert-kon-trollierte Studien sind in . Tab. 2 darge-stellt und konnten keine signifikante Wir-kung von Propranolol bei der Prophylaxe der PTBS nachweisen, allerdings konnte in den Studien von Pitman et al. und Ho-ge et al. bei therapieädhärenten Patienten eine Reduktion der physiologischen Er-regung bei einer erneuten Konfrontation mit dem Trauma gemessen werden.

Kritisieren kann man an diesen Stu-dien die relativ kleinen Stichproben sowie die Latenz zwischen Trauma und Medika-tion. Keine der Studien untersuchte, wie am Tiermodell, eine Medikamentengabe vor dem Erleben des traumatischen Ereig-nisses – was bei Risikogruppen wie Poli-zisten oder Rettungspersonal durchaus denkbar wäre. Zusammenfassend lässt sich aktuell kein Nachweis der Wirksam-keit feststellen.

Wirksamkeit von Propranolol bei der Therapie von PTBS

Forschungsergebnisse an Tiermodellen legen die Hypothese nahe, dass die Re-aktivierung einer bereits konsolidierten Erinnerung diese erneut in einen labilen Zustand versetzen kann, in der sie ver-stärkt, geändert oder sogar gelöscht wer-den kann (Rekonsolidierung). Dies eröff-net einen neuen PTBS-Behandlungsan-satz mit Propranolol, der jüngst in einer klinischen Studie umgesetzt wurde [3].

Neunzehn Patienten wurden zu einer Propranololgruppe (n=9) oder einer Pla-cebogruppe (n=10) randomisiert. Sie lit-ten unter einer chronischen PTBS, die erlebten Traumata reichten im Durch-schnitt 10 Jahre zurück. Mit jedem Pa-tienten wurden zwei Skripte des trauma-tischen Erlebnisses erstellt und auf Ton-band aufgezeichnet. Anschließend erhiel-ten sie 40 mg Propranolol oder Placebo, gefolgt von 60 mg nach 2 h. Eine Woche später wurden die Patienten aufgefordert, sich die Aufnahme anzuhören und sich das Erlebnis erneut vorzustellen. Die phy-siologische Erregung (anhand der Krite-rien Herzfrequenz, Hautleitfähigkeit, Mi-mik) während der Imagination war in der Verumgruppe signifikant geringer. In einer späteren Publikation ergänzten die Autoren, dass auch die PTBS-Rate redu-ziert worden seien, allerdings nicht signi-fikant gegenüber der Placebogruppe (19% vs. 11%; [4]). Da jedoch die Dosis sehr ge-ring war, prüften sie, welche Auswirkun-gen größere Dosen und längere Behand-lungsintervalle hatten. Sie fanden positi-ve Effekte, in zwei von drei Studien ohne den Vergleich mit einer Kontrollgruppe und in der dritten Studie ohne eine rando-misierte Zuteilung der Patienten. In einer weiteren Open-label-Studie mit 33 Pa-tienten fanden die Autoren, dass eine sol-che Behandlung nicht nur positive Effekte auf die Symptomlast hatte, sondern auch auf depressive Begleitsymptome, negative Emotionen und die Lebensqualität, und identifizierten Patienten (Frauen), die be-sonders von einem solchen Behandlungs-ansatz profitieren könnten [18].

Die genannten Studien erzielten zwar signifikante Effekte, bezogen sich aber nur auf kleine Stichproben und waren zumeist nicht placebokontrolliert. Damit ist die

Infobox 1  Posttraumatische Be-lastungsstörung (PTBS) im DSM-5

Die PTBS wurde in einem neuen Kapitel „Trauma- und stressbezogene Störungen“ klassifiziert und gehört nicht mehr den Angststörungen an. Mithilfe des DSM-5 wird das A-Kriterium (Trauma) nun spezifischer und breiter erfasst. Neben der Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod und schwerer Verletzung wird nun explizit auch sexuelle Gewalt aufgeführt. Die Art der Konfrontation wird vierfach differenziert: Das Ereignis wird entweder1.   direkt erlebt,2.   der Betroffene ist Zeuge des Ereignisses,3.   er erfährt von einem traumatischen Er-

eignis, das ein enger Angehörigen oder Freund erfahren hat, oder

4.   er erfährt wiederholt oder nachhaltig aversive Details eines traumatischen Ereignisses (allerdings nicht über Medien im Freizeitgebrauch).

Die subjektiven Reaktionen auf das Trauma (Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen) wurden gegenüber dem DSM-IV gestrichen.

Es ist immer noch erforderlich, dass die Symptome der PTBS mindestens einen Mo-nat andauern müssen, um eine Diagnose zu rechtfertigen. Aus den bisher drei Symptom-gruppen wurden vier:1.   das Wiedererleben der Erinnerung an das 

Trauma (z. B. durch Flashbacks, Intrusi-onen oder Alpträume,

2.   die Vermeidung von Reizen, die mit der traumatischen Erinnerung verknüpft sind (z. B. der Ort des Traumas),

3.   negative Änderungen in Kognitionen und Stimmung (worunter auch Symptome fallen, die zuvor als Abstumpfen beschrie-ben wurden) und

4.   eine erhöhte physiologische Erregung.

Die psychische Störung verursacht Leiden und Beeinträchtigungen in wichtigen Funkti-onsbereichen des Betroffenen.

1184 |  Der Nervenarzt 10 · 2013

Leitthema

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Evidenzlage vergleichbar zur Prophylaxe, wenn auch noch die Ergebnisse randomi-siert-kontrollierter Studien ausstehen.

Ethische Analyse

Als Grundlage für die folgende Analyse dienen die vier Prinzipien biomedizini-scher Ethik (vgl. [2]), die sich als heuristi-sches Instrumentarium zur Identifikation ethischer Implikationen medizinischen Handelns bewährt haben:F  dem Patienten nutzen (Prinzip der

Fürsorge, „beneficence“),F  Schaden für den Patienten vermeiden

(Prinzip des Nichtschadens, „non-maleficence“),

F  die Selbstbestimmung des Patienten respektieren (Prinzip des Respekts vor der Autonomie),

F  eine faire Verteilung von Gesund-heitsleistungen, Risiken und Belas-tungen zwischen alle Betroffenen be-achten (Prinzip der Gerechtigkeit).

Mittels eines kohärentistischen Begrün-dungsverfahrens lassen sich aus diesen Prinzipien Kriterien spezifizieren, die eine Einschätzung der ethischen Aspekte ermöglichen (vgl. z. B. [1]):F  Nutzen- und Schadenspotenziale für

den Studienteilnehmer (Prinzip der Fürsorge, Prinzip des Nichtschadens),

F  Einwilligung in eine Studienteilnah-me (Prinzip des Respektes vor der Autonomie),

F  Verteilungsgerechtigkeit im Gesund-heitswesen (Prinzip der Gerechtig-keit),

F  Auswirkungen auf Dritte (Prinzip der Gerechtigkeit; Prinzip der Fürsorge; Prinzip des Nichtschadens).

Nutzen- und Schadenspotenziale für einen Studienteilnehmer

Der Nutzen von Propranolol ist nicht schon mit dessen klinischer Wirksamkeit gegeben, aber er setzt den Nachweis der Wirksamkeit voraus. Eine durch Propra-nolol verursachte Änderung patienten-relevanter Outcomeparameter im Hin-blick auf das angestrebte Therapieziel (die belastenden Symptome der PTBS in der Häufigkeit ihres Auftretens und der In-tensität ihrer Ausprägung zu reduzie-

ren) über den Placeboeffekt hinaus wur-de bisher noch nicht nachgewiesen. Die Einnahme von Propranolol kann zu un-erwünschten Wirkungen führen, die durch den jahrelangen Einsatz des Medi-kamentes gut beschrieben sind (v. a. zen-tralnervöse und kardiovaskuläre Neben-wirkungen).1 Wenn eine Expositionsthe-rapie den gleichen Nutzen für den Patien-ten hat wie ein Placebo, ist es nicht ge-rechtfertigt die Risiken ihrer Nebenwir-kungen einzugehen, selbst wenn das Me-dikament als nebenwirkungsarm gilt.

»  Beim prophylaktischen Einsatz werden viele  Menschen letztlich ohne Nutzen behandelt

Beim prophylaktischen Einsatz kommt das Problem hinzu, dass eine große Grup-pe von resilienten (d. h. widerstandsfähi-gen, auch ohne Behandlung gesund blei-benden) Menschen letztlich ohne Nutzen behandelt werden müsste. Daher sollten anhand von personen- und traumabezo-genen Prädiktoren diejenigen Fälle identi-fiziert werden, die ein hohes Risiko für die Entwicklung einer PTBS tragen (z. B. Per-sonen mit initial erhöhter physiologischer Erregung [17]).

Eher unwahrscheinlich ist, dass Pro-pranolol das deklarative Gedächtnis (bei-spielsweise die Erinnerung an das Ereignis selbst) beeinträchtigt, was aber mitunter als ein Schadenspotenzial diskutiert wur-de [25]. Subjektive Berichte einer solchen Beeinträchtigung von Patienten sind nicht bekannt. Spezifische Studien, in denen Pa-tienten, die Propranolol aus anderen In-dikationen einnehmen, auf mnestische Nebenwirkungen hin untersucht wur-den, gibt es bislang nicht, wären jedoch wünschenswert. In einer Studie, die den Einfluss von Propranolol auf die Erinne-rung von Gesichtsausdrücken untersuch-te, wurde im Gegensatz zu Kortisol kei-ne mnestische Einschränkung festgestellt [26].

Es wurde die Sorge geäußert, Pro-pranolol könnte die gesunde Verarbei-tung eines Traumas behindern und inso-

1   Siehe Fachinformation für Propranolol: http://www.fachinfo.de/data/fi/jsearch?wirkstoff (Zugriff 21.06.2013).

fern die Persönlichkeitsentwicklung be-einträchtigen [29]. Die Bewertung die-ser Aussage hängt davon ab, was man

Zusammenfassung · Summary

Nervenarzt 2013 · 84:1183–1189DOI 10.1007/s00115-013-3735-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

K. Kühlmeyer · R.J. JoxProphylaxe und Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung mit Propranolol. Evidenz und ethische Analyse

ZusammenfassungDer β-Blocker Propranolol wird zunehmend in klinischen Studien eingesetzt, um als Pro-phylaxe das Auftreten einer posttraumati-schen Belastungsstörung (PTBS) zu verhin-dern oder die psychotherapeutische Behand-lung der PTBS zu verbessern. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Evidenz für dessen Wirksamkeit und den ethischen Im-plikationen der Erforschung dieser Behand-lungsansätze. Die Effektivität eines prophy-laktischen wie auch eines therapeutischen Einsatzes konnte im letzten Jahrzehnt nicht bewiesen werden. Beide Einsatzmöglichkei-ten des Medikaments werfen ethische Fragen auf, die bereits bei klinischen Studien mitbe-dacht werden sollten.

SchlüsselwörterGedächtnis · Posttraumatische Belastungsstörung · Propranolol · Neuroethik · Ethik

Prophylaxis and therapy of post-traumatic stress disorder with propranolol. Evidence and ethical analysis

SummaryThe beta-antagonistic agent propranolol is increasingly being used in clinical trials for the prophylaxis and treatment of post-trau-matic stress disorder (PTSD). This article dis-cusses the evidence for the effectiveness of propranolol in the prophylaxis and treatment of PTSD and the ethical implications of re-search on these treatment approaches. The efficacy of a prophylactic or therapeutic use could not be shown during the last decade. Both treatment approaches raise ethical questions that should already be addressed during the clinical trials.

KeywordsMemory · Post-traumatic stress disorder · Propranolol · Neuroethics · Ethics

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als „normale“ Verarbeitung eines Erleb-nisses definiert – zumal ja die PTBS be-reits eine Abweichung von einer norma-len Verarbeitung darstellt. Möglicherwei-se könnte das Medikament der Verarbei-tung und psychotherapeutischen Arbeit eher förderlich sein, indem die Kommu-nikation über das Trauma erleichtert wird.

Die Nutzen-Risiko-Bewertung hängt maßgeblich von der Wirksamkeit und der systematischen Erfassung der Schadens-potenziale ab, weshalb wir weitere Studien für gerechtfertigt halten, welche die Aus-wirkungen von Propranolol auf Gedächt-nisinhalte und Traumaverarbeitung mit untersuchen sollten.

Einwilligung in die Studie

Da die prophylaktische Propranololein-nahme nur dann Erfolg versprechend ist, wenn sie in den ersten Stunden nach dem traumatischen Erlebnis stattfindet, gestal-tet es sich schwierig, die informierte Ein-willigung („informed consent“) des Be-troffenen einzuholen. Bei manchen Trau-mata suchen die Betroffenen erst viele Stunden oder Tage danach medizinische Hilfe. Wenn Menschen aufgrund schwe-rer Verletzungen medizinische Hilfe auf-suchen, sind sie häufig nicht daran inter-essiert, an einer Studie über die Behand-lung einer möglichen psychischen Folge-erkrankung teilzunehmen. Selbst wenn, wie etwa bei Unfallopfern, eine frühe

notfallmedizinische Versorgung die Re-gel ist, stellt sich die Frage, ob unter die-sen Bedingungen eine informierte Ein-willigung überhaupt möglich ist. Unmit-telbar nach einem traumatischen Ereig-nis erleben viele Menschen eine akute Be-lastungsreaktion, die oft gekennzeichnet ist durch Betäubung, Bewusstseinsein-engung, Verleugnung oder die Unfähig-keit, neue Reize und Informationen zu verarbeiten. Unter diesen Bedingungen kann nicht nur die Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigt, sondern auch die medizi-nische Aufklärung erschwert sein.

Da die Anforderungen an die infor-mierte Einwilligung bei Forschungsstu-

dien noch höher sind als beim klinischen Einsatz, wird gerade diejenige Forschung erschwert, die für die Indikationserweite-rung von Propranolol Voraussetzung wä-re. Ein mögliches Prozedere wäre es, Risi-kopersonen vor einem Einsatz mit Trau-marisiko über die Studie zu informie-ren und vorab ihre Einwilligung einzu-holen (z. B. bei Feuerwehrleuten). Selbst einwilligungsfähigen Personen dürfte je-doch die Abwägung schwer fallen, denn sie müssten das statistische PTBS-Risiko im Fall einer Nichtprophylaxe gegen die noch nicht ausreichend erforschten Risi-ken der Medikation balancieren. Da je-doch die unmittelbaren Nebenwirkungen des Medikaments gut beschrieben sind, könnten sie zumindest hierüber gut auf-geklärt werden.

»  Ein „informed consent“ ist beim prophylaktischen Einsatz erschwert

Anders verhält es sich mit der informier-ten Einwilligung beim therapeutischen Ansatz. Hier fällt der Zeitdruck für eine Entscheidung weg, die Menschen befin-den sich nicht mehr in der akuten Krisen-reaktion und ein Großteil gerade solcher Personen, die einen akuten Leidensdruck verspüren, können sehr wahrscheinlich eine persönliche Nutzen-Risiko-Abwä-gung vornehmen. Jedoch müssten sie da-rüber aufgeklärt werden, wie die Chan-cen für eine Verbesserung aufgrund einer

Tab. 1  Mögliche Behandlungsansätze von PTBS mit Propranolol

Behandlungsart Anwendungszeitpunkt Möglicher Einsatz

Prätraumatische Prophylaxe Einnahme vor einem potenziell traumatischen Ereignis

Das Medikament wird Perso-nen verabreicht, die ein erhöh-tes Risiko haben, ein traumati-sches Ereignis zu erleben. Zum Einnahmezeitpunkt ist noch nicht bekannt, ob die Person den Einsatz tatsächlich als trau-matisch erleben würde

Posttraumatische Prophylaxe Einnahme nach einem  traumatischen Ereignis

Das Medikament wird unmit-telbar nach einem traumati-schen Ereignis verabreicht, oh-ne mit Sicherheit vorhersagen zu können, ob der Betroffene eine PTBS ausbilden würde

Therapie Einnahme nach der Diagnose-stellung einer PTBS (mind. 1 Monat nach dem traumati-schen Ereignis)

Das Medikament wird in Kombination mit etablierten Therapieverfahren an Patien-ten verabreicht, bei denen eine PTBS diagnostiziert wurde

PTBS posttraumatische Belastungsstörung.

1187Der Nervenarzt 10 · 2013  | 

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bisher anerkannten Therapiemaßnahme (z. B. Expositionstherapie allein) sind.

Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen

Da Propranolol nicht mehr patentge-schützt ist, sind die Kosten für die Medi-kation relativ gering, zumal nur eine Ga-be über wenige Tage bis Wochen vorgese-hen ist [10]. Ein Medikament, das effek-tiv die PTBS-Symptomatik im beschrie-benen Sinne reduzieren könnte, wäre so-wohl für die individuellen Betroffenen als auch – angesichts der volkswirtschaftli-chen Folgekosten, die mit dieser häufi-gen, chronischen Erkrankung verbun-den sind [15] – für die Gemeinschaft von großem Nutzen. Die geringen Kosten von Propranolol könnten es andererseits be-günstigen, dass die Substanz bei entspre-chender Wirksamkeit auch außerhalb des Trauma/PTBS-Kontext nachgefragt und eingenommen würde, etwa zur gezielten

Modulation unangenehmer Erinnerun-gen. Ein Lifestyle-Gebrauch von β-Block-ern ist bereits zur Dämpfung der Nervosi-tät bei Prüflingen oder Musikern bekannt [14] und müsste gesondert z. B. unter Ge-sichtspunkten der Fairness betrachtet werden (vgl. die Diskussion zum Neuro-enhancement, [19]).

Auswirkungen auf Dritte

Vorausgesetzt, Propranolol würde rele-vante Aspekte von Erinnerungen verän-dern, könnte dies sich auf die Authentizi-tät der Schilderung einer Erinnerung aus-wirken und so ein Problem für die Straf-verfolgung darstellen. Opfer von Ver-brechen könnten möglicherweise weni-ger detailreiche Zeugenaussagen gegen-über der Polizei oder vor Gericht able-gen, wenn sie direkt nach dem Ereignis Propranolol zur PTBS-Prophylaxe erhiel-ten [13]. Dies wäre eine gravierende Kon-sequenz für die Gesellschaft und die Si-

cherheit der Bürger. Dieses Problem wäre beim therapeutischen Einsatz insofern ge-ringer, da hier die Medikation in der Re-gel nach einer Zeugenaussage eingesetzt werden könnte. Gerade bei der Berück-sichtigung der gesellschaftlichen Interes-sen an der „Unversehrtheit“ von Erinne-rungen, brauchen wir theoretische Mo-delle, die Risiken- und Nutzenpotenziale für den Patienten gegenüber gesellschaft-lichen Risiken- und Nutzenpotenzialen abwägen können, die noch nicht ausrei-chend zur Verfügung stehen.

Weiterhin wurde die Sorge ausge-drückt, gedächtnismodifizierende Me-dikamente könnten bei breitem gesell-schaftlichen Lifestyle-Einsatz dazu füh-ren, dass negative Erinnerungen an un-moralisches oder gar kriminelles Ver-halten gezielt unterdrückt werden könn-ten, wodurch ein Anreiz für moralisches Verhalten wegfiele [25]. Dieses Argument basiert jedoch auf den wenig plausiblen Vorannahmen, dass Propranolol tatsäch-

Tab. 2  Randomisiert kontrollierte Studien zur Prophylaxe einer PTBS mit Propranolol

Studie Stichprobe Teilnehmer Traumata Zeitfenster Dosis Messungen Ergebnis

Pitman et al. [17] 

n=41IG: n=18;PG: n=23

Patienten in Notaufnahme, nach einem traumatischen Erlebnis

Gemischt nach DSM-IV (vorwie-gend Verkehrs-unfall)Erhöhte Herzfre-quenz

<6 h nach Trauma

Initialdosis: 40 mg; Behandlungs-phase: 4×40 mg für 10 Tage; Ab-klingphase: 9 Ta-ge, stufenweise Reduktion

Punktwert auf CAPS nach 1 und 3 Monaten; physiologische Erregung nach 3 Monaten

CAPS-Wert nach einem Monat: kein signifikan-ter Unterschied, aber IG: 27,6±15,7 VS PG: 35,5±21,5 (p=0,15);CAPS-Wert nach 3 Mo-naten kein UnterschiedPhysiologische Er-regung: signifikanter Unterschied IG: (0/8); PG (6/14) (p<0,05)

Stein et al. [31] 

n=48IG: n=17PG: n=17(IG 2 Ga-bapeptin: n=14)

Patienten in einer chirur-gischen Klinik nach schwerer Verletzung

Gemischt; vorwie-gend Verkehrsunfall

24–48 h nach Trauma

Initialdosis: mg für 2 Tage; Be-handlungsphase: 3×40 mg für 8 TageAbklingphase: 4 Tage, stufenwei-se Reduktion

Punktwerte auf dem ASD-Score nach 1 Monat und PCL-C-Sco-re nach 4 und 8 Monaten

Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen zu keinem Zeitpunktz. B. PTBS nach 4 Mona-ten: IG 25% (3/12); PG 25% 4/16, Gabapeptin 20% (2/10) χ2<1

Hoge et al. [32] 

n=41IG: n=21PG: n=20

Patienten in der Not-aufnahme nach einem traumatischen Erlebnis

Gemischt nach DSM-IV

<12 h nach Trauma

Initialdosis: 40 mg; später 60 mg; Be-handlungsphase: 2×120 mg für 10 Tage; Abkling-phase: 9 Tage, stufenweise Re-duktion

Punktwerte auf CAPS und physiologische Erregung nach 1 und 3 Mo-naten

Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen zu keinem Zeitpunkt; Post-hoc-Ana-lyse mit Teilnehmern mit hoher Therapieadhärenz zeigten Unterschiede in der physiologischen Er-regung nach 1 Monat: IG 32,6±5,9; PG M 44,6±SD 17,5; p<0,05

IG Interventionsgruppe (Propranolol), PG Placebogruppe, CAPS Clinician-Administered PTSD Scale, PCL-C Posttraumatic Stress Disorder Checklist, ASD Acute Stress Disor-der Scale, PTBS posttraumatische Belastungsstörung.

1188 |  Der Nervenarzt 10 · 2013

Leitthema

Page 7: Prophylaxe und Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung mit Propranolol; Prophylaxis and therapy of post-traumatic stress disorder with propranolol;

lich eine solch tiefgreifende Wirkung hät-te und sich in Zukunft ein gesellschaft-lich breiter Lifestyle-Einsatz entwickeln würde. Überdies ist es nicht nur die eige-ne leidvolle Erinnerung bzw. Reue, wel-che uns von unmoralischen Handlungen abhält, sondern auch die gesellschaftli-che (moralische und rechtliche) Sanktion eines solchen Verhaltens.

Fazit für die Praxis

F  Die Evidenz für einen klinischen Ein-satz von Propranolol in der Prophyla-xe oder Therapie der PTBS ist zum jet-zigen Zeitpunkt nicht ausreichend.

F  In Bezug auf den Informed Consent wäre der therapeutische Einsatz mit weniger Problemen verbunden als der Einsatz zur Prophylaxe der PTBS.

F  Weitere Studien sind vertretbar, Pa-tienten sollten jedoch angesichts der geringen Evidenz für eine Wirksam-keit des Ansatzes über alternative Be-handlungsansätze aufgeklärt werden.

F  Bei den Studien zur Wirkung von Pro-pranolol in der Prophlylaxe oder The-rapie der PTBS sollte ermittelt wer-den, ob und inwieweit das Medika-ment unter diesen Bedingungen das deklarative Gedächtnis beeinflusst.

Korrespondenzadresse

Dr. K. KühlmeyerInstitut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität MünchenLessingstr. 2, 80336 Mü[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  K. Kühlmeyer und R.J. Jox geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.   Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

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