7
PROTEINDYNAMIK-SIMULATIONEN | BIOPHYSIK Proteine steuern und verrichten praktisch alle Prozesse im Körper. Man kann sie mit gutem Recht als biochemische Nanomaschinen der Zelle bezeichnen. Aber wie funktionieren sie? Was macht sie so erstaunlich effizient? Computersimulationen ermöglichen neue, überraschende Einblicke. P roteine sind nanotechnische Wunderwerke, hervorge- gangen aus einer jahrmilliardenlangen Evolution. Sie sind nicht einfach auf zufällige Weise verknäulte Polymere, sondern besitzen eine auf atomarer Ebene präzise definier- te dreidimensionale Struktur (Abbildung 1 und „Protein- struktur“ auf S. 76). Wie bei Maschinen aus Menschenhand sind es erst die Bewegungen der Proteine, die letztlich ihre Funktion bewirken. Daher ist die interne Proteindynamik äußerst fein abgestimmt. In vielen Fällen kommt es bei Pro- teinen sogar auf die Bewegung einzelner Atome an – die Na- tur zeigt uns hier die Grenze der Miniaturisierung auf. Das hat auch zur Folge, dass eine Reihe von Erbkrankheiten durch wenige Atome verursacht wird, die in einem be- stimmten Protein an entscheidender Stelle fehlen. Manch- mal ist es sogar nur ein einziges Atom. Die über die Zeit gemittelte Struktur von Proteinen lässt sich in vielen Fällen mit atomarer Auflösung vermessen. Die oft sehr schnellen Bewegungen eines Proteins auf atomarer Ebene sind dagegen experimentell äußerst schwer zugäng- lich (siehe auch Physik in unserer Zeit 2004, 35 (6), 274). Diese Lücke kann die Computersimulation der Protein- dynamik schließen. Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100 000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral- lelcomputer und ausgeklügelte numerische Methoden er- lauben es, solche Bewegungen mit hinreichender Genauig- keit zu berechnen. Molekulardynamik-Simulationen sind ein wichtiges Werkzeug der computergestützten molekularen Biophysik. Mit Hilfe dieser Methode und in enger Zusammenarbeit mit vielen experimentellen Arbeitsgruppen beginnen wir, uns einen Traum zu erfüllen – den Traum, auch komplexe Le- bensprozesse auf der Grundlage der bekannten physikali- schen Gesetze zu verstehen. Diese Herangehensweise wol- © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 2/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 73 Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter der Lupe B ERT L. DE G ROOT | R AINER A. B ÖCKMANN | HELMUT G RUBMÜLLER DOI: 10.1002/piuz.200501098 len wir im Folgenden mit zwei faszinierenden Beispielen illustrieren. Im ersten werden wir die Funktionsmechanis- men eines molekularen Motors, der F-ATP-Synthase, genau- er betrachten. Im zweiten Beispiel wenden wir uns einem Wasserkanalprotein zu,das in vielen Zellmembranen als sehr effizienter Wasserfilter dient. Zunächst wollen wir die Me- thode der Molekulardynamik-Simulation erläutern, die die- se tiefen Einblicke erlaubt. Abb. 1 Beispiele sind das Hormon Insulin in atomarer (a) und vereinfachter Bänder- darstellung (b), der Sauerstofftransporter Hämoglobin (c), die lichtgetriebene „Protonenpumpe“ Bakteriorhodopsin (d) bewirkt in Bakterien Photosynthese, ein Teil des molekularen Linearmotors Myosin (e), ein Antikörper (f) als molekularer Sensor zur Erkennung einzelner Moleküle, der molekulare Filter Porin (g) gehört zu den Membranproteinen.

Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

  • Upload
    others

  • View
    6

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

P R O T E I N D Y N A M I K - S I M U L A T I O N E N | B I O PH YS I K

Proteine steuern und verrichten praktisch alleProzesse im Körper. Man kann sie mit gutemRecht als biochemische Nanomaschinen der Zelle bezeichnen. Aber wie funktionierensie? Was macht sie so erstaunlich effizient?Computersimulationen ermöglichen neue,überraschende Einblicke.

Proteine sind nanotechnische Wunderwerke, hervorge-gangen aus einer jahrmilliardenlangen Evolution. Sie

sind nicht einfach auf zufällige Weise verknäulte Polymere,sondern besitzen eine auf atomarer Ebene präzise definier-te dreidimensionale Struktur (Abbildung 1 und „Protein-struktur“ auf S. 76). Wie bei Maschinen aus Menschenhandsind es erst die Bewegungen der Proteine, die letztlich ihreFunktion bewirken. Daher ist die interne Proteindynamikäußerst fein abgestimmt. In vielen Fällen kommt es bei Pro-teinen sogar auf die Bewegung einzelner Atome an – die Na-tur zeigt uns hier die Grenze der Miniaturisierung auf. Dashat auch zur Folge, dass eine Reihe von Erbkrankheitendurch wenige Atome verursacht wird, die in einem be-stimmten Protein an entscheidender Stelle fehlen. Manch-mal ist es sogar nur ein einziges Atom.

Die über die Zeit gemittelte Struktur von Proteinen lässtsich in vielen Fällen mit atomarer Auflösung vermessen. Dieoft sehr schnellen Bewegungen eines Proteins auf atomarerEbene sind dagegen experimentell äußerst schwer zugäng-lich (siehe auch Physik in unserer Zeit 2004, 35 (6), 274).Diese Lücke kann die Computersimulation der Protein-dynamik schließen. Allerdings enthalten Proteinsysteme oftviele 100 000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer und ausgeklügelte numerische Methoden er-lauben es, solche Bewegungen mit hinreichender Genauig-keit zu berechnen.

Molekulardynamik-Simulationen sind ein wichtigesWerkzeug der computergestützten molekularen Biophysik.Mit Hilfe dieser Methode und in enger Zusammenarbeit mitvielen experimentellen Arbeitsgruppen beginnen wir, unseinen Traum zu erfüllen – den Traum, auch komplexe Le-bensprozesse auf der Grundlage der bekannten physikali-schen Gesetze zu verstehen. Diese Herangehensweise wol-

© 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 2/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 73

Proteindynamik-Simulationen

Molekulare Nanomaschinenunter der LupeBERT L. DE GROOT | RAINER A. BÖCKMANN | HELMUT GRUBMÜLLER

DOI: 10.1002/piuz.200501098

len wir im Folgenden mit zwei faszinierenden Beispielen illustrieren. Im ersten werden wir die Funktionsmechanis-men eines molekularen Motors, der F-ATP-Synthase, genau-er betrachten. Im zweiten Beispiel wenden wir uns einemWasserkanalprotein zu,das in vielen Zellmembranen als sehreffizienter Wasserfilter dient. Zunächst wollen wir die Me-thode der Molekulardynamik-Simulation erläutern, die die-se tiefen Einblicke erlaubt.

Abb. 1 Beispiele sind das Hormon Insulin in atomarer (a) und vereinfachter Bänder-darstellung (b), der Sauerstofftransporter Hämoglobin (c), die lichtgetriebene„Protonenpumpe“ Bakteriorhodopsin (d) bewirkt in Bakterien Photosynthese, einTeil des molekularen Linearmotors Myosin (e), ein Antikörper (f) als molekularerSensor zur Erkennung einzelner Moleküle, der molekulare Filter Porin (g) gehört zuden Membranproteinen.

Page 2: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

Prinzip der Molekulardynamik-SimulationenIn einem makromolekularen System wirken interatomareKräfte unterschiedlichen Typs. Das zeigt das Beispiel des inAbbildung 2 links dargestellten Proteins (rot) in wässrigerUmgebung (blau). Die blauen und grünen Kugeln stellenhier gelöste Salzionen dar. Chemische Bindungskräfte, sym-bolisiert durch Federn, zwingen gebundene Atome in ihren

Gleichgewichtsabstand (grüne Pfeile) oder in Gleichge-wichtswinkel (violett). Die quantenmechanisch bedingtePauli-Abstoßung (graue Pfeile) verhindert, dass sich Atomedurchdringen. Langreichweitige Kräfte schließlich, beson-ders elektrostatische Kräfte (rot, blau) zwischen den zahl-reichen partiell geladenen Atomen (δ+, δ–) und Van-der-Waals-Kräfte tragen wesentlich zur Stabilität einer Protein-struktur bei.

Alle diese Kräfte – und noch einige weitere – bestimmendie räumliche Struktur des Proteins und die Bewegung je-des einzelnen Atoms innerhalb dieser Struktur. Daher wer-den sie in einer Molekulardynamik-Simulation berücksich-tigt. Man definiert dazu ein Kraftfeld V(x1,x2,...,xN) als Po-tentialfunktion aller N Atome mit Positionen x1,x2,...,xN.Aus diesem Kraftfeld kann man dann durch Gradientenbil-dung die Kraft Fj berechnen, die auf jedes einzelne Atom jwirkt:

Fj = –∇∇j V(x1,x2,...,xN).

Die Atombewegungen unter dem Einfluss dieser Kräftewerden nun in klassischer Näherung durch numerische In-tegration der Newtonschen Bewegungsgleichungen be-schrieben mit

mj dt2 xj (t) = Fj (x1(t),x2(t),...,xN (t)).

Diese Näherung funktioniert für Zimmertemperatur bei denmeisten Fragestellungen sehr gut.

74 | Phys. Unserer Zeit | 2/2006 (37) www.phiuz.de © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

A B B . 2 | PR I N Z I P D E R M O L E KU L A R DY N A M I K- S I M U L AT I O N

Links: Typisches Simulationssystem, bestehend aus Protein (rot), gelöst in Wasser(blau) mit Natrium- und Cloridionen (blau und grün). Rechts: einige Kräfte (sieheText), die die Bewegung der einzelnen Atome des Simulationssystems bestimmenund daher in Molekulardynamik-Simulationen berücksichtigt werden.

A B B . 3 | F- AT P- S Y N T H A S E

Struktur und Funktionsprinzip der F-ATP-Synthase. Links: Ein Protonenfluss (rote Pfeile) durch den F0-Teil der F-ATP-Synthaseversetzt diesen Teil in Drehung (gelber Pfeil). Eine rotierende Achse (rot-orange) überträgt sie in den F1-Teil, in dem die eigent-liche ATP-Synthese stattfindet. Rechts: F1-Teil von unten gesehen. Im Verlauf des Synthesezyklus ist eine der drei ββ-Unterein-heiten (grün) leer, eine bindet Phosphat (nicht gezeigt) und Adenosindiphosphat (ADP), eine enthält das fertige ATP.

Page 3: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

P R O T E I N D Y N A M I K - S I M U L A T I O N E N | B I O PH YS I K

Allerdings ändern sich diese Kräfte mit der Atombewe-gung rasch. Deshalb müssen sie wiederholt in kurzen Zeit-schritten von typischerweise 10–15 s berechnet werden.Nach einigen 107 derartigen Integrationsschritten erhältman eine Beschreibung der Bewegung eines jeden Atoms,die Trajektorie x1(t),x2(t),...,xN (t), für die relativ kurze Zeit-spanne einiger zehn Nanosekunden. Dies ist gegenwärtigdie Länge einer typischen Molekulardynamik-Simulation,be-grenzt durch die heute verfügbare Computerleistung. Einedetailliertere Darstellung der Methode, ihrer Anwendungund ihrer Grenzen geben [2-4].

Der kleinste Motor der WeltDas Molekül Adenosintriphosphat (ATP) hat als universel-ler Träger chemischer Energie eine zentrale Bedeutung inallen Organismen. Produziert wird es von einem außeror-dentlich effizienten Enzym,der F-ATP-Synthase. Der mensch-liche Körper setzt pro Tag etwa 50 kg ATP um, bei großerkörperlicher Anstrengung sogar hochgerechnet bis zu einerTonne. Zur ATP-Synthese nutzt das Enzym elektrische Ener-gie, die es zunächst in mechanische und anschließend inchemische Energie umwandelt. Wie läuft diese erstaunlicheUmwandlung ab?

Die F-ATP-Synthase besteht aus zwei Teilen (Abbildung3, links), einem Kopfteil (F1-Teil, grün) und einem Fußteil(F0-Teil,grau). Der Fußteil ist direkt in der inneren Membranvon Mitochondrien verankert, den „Kraftwerken”der Zelle.Die Synthese von ATP wird durch eine faszinierende Nano-mechanik getrieben. Die dazu erforderliche Energie stammtwie bei einer Batterie aus einer elektrischen Spannung. Die-se Spannung erzeugt eine Differenz in der Konzentration ge-ladener Wasserstoffionen (H+) zwischen dem Inneren desMitochondriums, der „Mitochondrienmatrix“ im oberenBildbereich,und dem Äußeren. Das Äußere entspricht demIntermembranraum der Mitochondrien, der unterhalb derMembran mit ihren hier blau angedeuteten Molekülen liegt.Dieser Ladungsunterschied wird über den Fußteil ausge-glichen (roter Pfeil), was den zylinderförmigen Rotor (dun-kelgrau) fast wie in einem Elektromotor in Drehung ver-setzt. Da der Kopfteil über einen Stator (gelb) fixiert ist,dreht sich die mit dem Fußteil verbundene asymmetrischeAchse (orange) innerhalb des Kopfteils. Das ganze Enzymist nur etwa 2,5·10–8 m groß. Das entspricht etwa demzweitausendsten Teil des Durchmessers eines Haares. Damitist es der kleinste bekannte Motor der Welt.

Der Kopfteil besteht aus sechs Komponenten (Abbil-dung 3 rechts). Drei von ihnen sind aktiv an der ATP-Syn-these beteiligt, sie heißen β-Untereinheiten (grün). Jede β-Untereinheit enthält eine Bindungstasche, in der die ei-gentliche ATP-Synthese aus Adenosindiphosphat (ADP) undPhosphat stattfindet. Das ADP kann man sich als ein ATPvorstellen, das irgendwo im Organismus Energie zur Verfü-gung gestellt und dabei eine Phosphatgruppe abgespaltenhat. Nun lädt es die ATP-Synthese wieder mit Energie auf.

Erste Hinweise auf den Funktionsmechanismus der F-ATP-Synthase ergaben sich aus der 1994 aufgeklärten

räumlichen Struktur des Kopfteils (Abbildung 3, rechts) [5].Eine der drei Bindungstaschen ist in dieser Struktur nämlichleer,die zweite lediglich mit dem Ausgangsmolekül ADP be-setzt, und die dritte enthält das eigentliche Reaktionspro-dukt, das ATP. Die beiden Moleküle in den gefüllten Bin-dungstaschen werden also unterschiedlich stark gebunden– und das, obwohl die drei β-Untereinheiten in ihrem chemischen Aufbau völlig identisch sind. Doch sie unter-scheiden sich in ihrer räumlichen Struktur, nehmen alsoverschiedene „Konformationen“ an (Abbildung 4, links).Während die untere Hälfte der leeren β-Untereinheit vonder Achse weg nach außen geklappt ist (grau angedeutet),sind die beiden anderen, beladenen β-Untereinheiten ge-schlossen (rot, der blaue Pfeil zeigt die Bewegung).

Diese Beobachtung ließ vermuten,dass die vom Fußteilbewirkte Drehung der Achse (gelber Pfeil in Abbildung 3rechts ) ein wechselseitiges Öffnen und Schließen der dreiβ-Untereinheiten erzwingt – ähnlich den Kolbenbewegun-gen eines Ottomotors. Diese Abfolge unterschiedlicher Kon-formationen in jeder der drei β-Untereinheiten geht ihrer-seits mit unterschiedlichen Bindungsstärken (Affinitäten)für die Edukte Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat(nicht gezeigt) und das Produkt ATP einher. Dieser Wech-sel der Bindungsstärken treibt schließlich den ATP-Synthe-sezyklus in den Bindungstaschen an. Insbesondere dientdie durch die Drehung der Achse übertragene Energie da-zu, das nach der Synthese in der Bindungstasche fest ge-bundene ATP-Molekül freizusetzen.

Wie die rotierende Achse die Strukturänderungen inden β-Untereinheiten auslöst, war bisher nicht bekannt.Auch wusste man nicht, auf welche Weise Energie mecha-

© 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 75

A B B . 4 | AT P- B I N D U N G S TA S C H E

Mechano-chemische Energieumwandlung in der ATP-Bindungstasche der F1-ATP-Synthase. Links: Eine Kippbewegung (blauer Pfeil) der unteren Hälfte der ββ-Unter-einheit (rot und grau überlagert) setzt sich durch das Protein hindurch fort. Sieführt zur Lockerung der elektrostatischen Kräfte, die das fertige ATP-Molekül nochin der Bindungstasche halten (rote Pfeile im rechten Bild). Die Vergrößerung rechtszeigt eine Überlagerung der Aminosäuren, die die Bindungstasche bilden, mit demgebundenen ATP-Molekül (blau) vor (gelb) und nach (rot) der mechanisch getriebe-nen Konformationsänderung.

Page 4: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

76 | Phys. Unserer Zeit | 2/2006 (37) www.phiuz.de © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

PROT E I N S T R U K T U R |

Proteine sind komplex gefaltete Poly-mere, die aus den zwanzig natürlichvorkommenden Aminosäuren aufge-baut sind. Ihre Summenformel istH(NH–HCR–CO)n–OH, das R steht füreinen der zwanzig Aminosäurereste.Die Abfolge (Sequenz) dieser Resteentlang der Polypeptidkette, derPrimärstruktur des Proteins, ist gene-tisch festgelegt. Sie bestimmt Art,räumliche Struktur (Tertiärstruktur)und Funktion des jeweiligen Proteins.Im Unterschied zu den meisten anderenPolymeren ist die Position eines jedeneinzelnen Atoms im Proteinmolekülgenau definiert, teilweise bis aufBruchteile eines Zehntelnanometers.Diese Position lässt sich etwa durchRöntgenbeugung an Proteinkristallenexakt bestimmen.

Bild (a) zeigt etwa das relativ kleineProtein Bovine Pancreatic TrypsinInhibitor (BPTI). Es besteht aus 58Aminosäuren und kann bei Bedarf dasVerdauungsenzym Trypsin blockieren.Bis auf unpolare Wasserstoffatome sindalle seine 568 Atome als Kugeln dar-gestellt, mit dem jeweiligen Van-der-Waals-Radius. Die Kohlenstoffatomesind grau, Sauerstoffatome rot,Stickstoffatome blau, polare Wasser-

stoffatome weiß und Schwefelatomegelb gezeichnet.

Die Bilder (b) und (c) zeigen das gleicheProtein mit besser erkennbarer chemi-scher Struktur. Der räumliche Verlaufder Peptidkette ist hervorgehoben,indem dieses „Proteinrückgrat“ ineinem kontinuierlichen Übergang vonrot über gelb, grün nach blau eingefärbtist. Jede der 58 Aminosäuren trägtsechs Atome [–CO–HCα–NH–] zumProteinrückgrat bei. Dabei zweigt vomso genannten Cα–Atom jeweils eine derzwanzig verschiedenen Seitengruppenab, rechts oben zum Beispiel dieSeitengruppe eines Arginins.

Die vereinfachende Bänderdarstellung(d) stellt die Architektur des Proteinsübersichtlicher dar. Sie zeigt lediglichden Verlauf des Proteinrückgrats undverzichtet auf die Darstellung derSeitengruppen. Sie symbolisiert auchdie beiden häufigsten lokalen Struk-turmotive (Sekundärstrukturelemente)der Peptidkette, die α-Helices (rot/oran-ge) durch Schraubenlinien und die β-Faltblätter (grün/cyan) durch Pfeile.Alle vier Darstellungsformen basierenauf einem atomar aufgelösten Struk-turmodell [1].

Abb. Beispiele für Proteinstrukturen.

nisch auf die Bindungstaschen übertragen wird,so dass dortdie Bindungsstärke von ATP sinkt und es freigesetzt werdenkann. Nicht zuletzt war unklar, wie die leere Untereinheitnach der Freisetzung des ATP-Moleküls wieder in ihren ge-schlossenen Ausgangszustand zurückkehrt.

Wir konnten jüngst mit umfangreichen Computersimu-lationen verfolgen,was bei Drehung der Achse passiert. Die-se Simulationen zeigen im atomaren Detail, wie sich dabeiinnerhalb der F1-ATP-Synthase Strukturen ändern, bis hinzu den aktiven Synthesezentren [6,7]. Für diese Simulatio-nen haben wir den F1-Teil des Proteins im Computer Atomfür Atom modelliert. Diese Atome sind in Abbildung 3 linksals Kugeln dargestellt. Dann haben wir es mit einer großenZahl von Wassermolekülen (blaue Punkte) und gelöstenSalzionen (rot, gelb) umgeben. Das virtuelle Protein befandsich also quasi in seiner natürlichen Umgebung. Insgesamtumfasste das Modell etwa 200 000 Atome, deren Bewegun-gen in anschließenden Molekulardynamik-Simulationen ge-nau berechnet wurden. Die Simulation erforderte auf ei-nem Linux-Rechencluster annähernd ein Jahr Rechenzeit.

Die Simulationen offenbarten eine faszinierende „Nano-mechanik“ innerhalb der β-Untereinheit, an der hauptsäch-lich die in Abbildung 4 links rot gefärbten Teile beteiligtsind. Fast wie bei einem mechanischen Hebelwerk wird dieKippbewegung der unteren Hälfte der Untereinheit in eineVerformung der Bindungstasche umgesetzt, die auf atoma-rer Ebene präzise koordiniert ist (Abbildung 4, rechts). Dasgeschieht über eine Reihe von Strukturänderungen,die sichdominoartig fortpflanzen. Eine wichtige Rolle spielen dabeidrei positiv geladene Aminosäuren (Arginine). Die Bewe-gung zieht sie in genau definierter Abfolge von den negativgeladenen Phosphatgruppen des ATP-Moleküls, die in Ab-bildung 4 rechts rosa eingefärbt sind, weg (Pfeile). Das re-duziert die wechselseitige elektrostatische Anziehung unddamit die Affinität. Der „Griff“ um das gebundene ATP-Molekül lockert sich, und es kann die Bindungstasche ver-lassen.

Die Simulationen zeigten ferner,dass sich die leere β-Un-tereinheit nach Drehen der Achse sehr schnell schließt –wie eine zurückschnellende Feder. Dies war ein über-raschender Befund, da bisher allgemein angenommen wur-de,dass erst durch die erneute Bindung eines ADP-Molekülsdie leere β-Untereinheit in den geschlossenen Zustandzwingt. Insgesamt verdeutlichen die gewonnenen Einsich-ten Funktionsprinzipien,die denen des Ottomotors äußerstähnlich sind. Die Bewegung der β-Untereinheiten entsprichtder Kolbenbewegung. Und die rotierende Achse funktio-niert wie eine Kurbelwelle, die die Bewegung der Kolbenaneinander koppelt und sie synchronisiert. So bewirkt siedie chemo-mechanische Energieumwandlung.

Die Wasserfilter der ZelleWir wenden uns nun dem zweiten Beispiel zu, dem Aqua-porin. Das sind Proteine, die einen wasserleitenden Kanaldurch die Zellwand formen [8]. Sie finden sich in der an-sonsten wasserundurchlässigen Zellmembran vieler Pflan-

Page 5: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

P R O T E I N D Y N A M I K - S I M U L A T I O N E N | B I O PH YS I K

zen und Tiere. Dort ermöglichen sie über die „osmotischeRegulierung“, dass die Zellen zum Beispiel bei einer Ände-rung der Salzkonzentration in der Umgebung ihr Volumenanpassen können. Beim Menschen regulieren Aquaporineunter anderem den Wasserhaushalt in der Niere, in den roten Blutkörperchen, in der Augenlinse und im Gehirn. EinDefekt oder eine Fehlfunktion dieser Proteine löst Krank-heiten aus, wie Diabetes insipidus, den grauen Star (Kata-rakt) oder einen neuronal verursachten Gehörverlust.

In allen Fällen ist ein hocheffizienter, aber selektiverWassertransport von zentraler Bedeutung. So erreichenAquaporine die erstaunlich hohe Wasserleitfähigkeit vonbis zu 3·109 Wassermolekülen pro Sekunde und Kanal. Ei-ne 10 ×10 cm2 große Membran mit eingebetteten Aquapo-rinen könnte somit etwa einen Liter Wasser in wenigen Se-kunden filtern oder entsalzen. Trotz dieser hohen Durch-flussrate müssen die Aquaporine gleichzeitig verhindern,dass die Zelle Nährstoffmoleküle oder Ionen verliert. DieEvolution hat sogar auch eine Antwort auf die Frage ge-funden, wie sich in einem solchen Kanal der Durchflussvon Protonen unterbinden lässt. Für die Zelle hat das einesogar lebenswichtige Bedeutung, da ihr eine unterschied-liche Protonenkonzentration (pH-Wert) zwischen dem Innern und dem Äußeren als primärer Kurzzeit-Energie-speicher dient. Ähnlich einer elektrischen Batterie würdedieser Speicher bei Durchfluss von Protonen die Ladungs-trennung kurzschließen, welche die F-ATP-Synthasen an-treibt. Wie lässt sich diese hohe Selektivität verstehen?

Effizient, aber selektivErste Antworten ergaben sich aus der räumlichen Atom-struktur von AQP1, dem Aquaporin der roten Blutkörper-chen. Sie wurde erst vor kurzem als erste Struktur einesAquaporins durch elektronenmikroskopische Messungenentschlüsselt [9,10]. Es zeigte sich, dass das Protein in derZellmembran einen zwei Nanometer langen und an derengsten Stelle nur 0,3 nm breiten Kanal bildet. Er ist gera-de groß genug, um ein einzelnes Wassermolekül passierenzu lassen, aber zu eng für größere Moleküle. Das erklärt dieSelektivität gegenüber größeren Molekülen sehr einfach.

Allerdings ist Wasser selbst ein relativ guter Protonen-leiter. Protonen springen dort sehr schnell über Wasser-stoffbrückenbindungen von Wassermolekül zu Wassermo-lekül. Wie also verhindert Aquaporin, dass sich der Proto-nenfluss auch durch den wassergefüllten Membrankanalfortsetzt? Und wie erreicht es dennoch diese außerordent-lich hohe Durchflussrate? Über die Antwort auf diese Fra-gen konnte man bisher nur spekulieren, solange man nurdie statische räumliche Struktur des Wasserkanalproteinskannte. Vor allem war es nicht möglich, die Bewegung derWassermoleküle durch den Kanal zu beobachten. Damitblieb offen, auf welche Weise das Aquaporin diese wider-streitenden Anforderungen erfüllt.

Wir haben daher die Bewegung einzelner Wassermo-leküle durch einen Aquaporin-Kanal mit Hilfe atomar auf-gelöster Computersimulationen im Detail und in Echtzeit

© 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 77

I N T E R N E T |Videosequenzen zur Simulation von Aquaporinwww.phiuz.de (Zusatzmaterial zu den Heften)

Bilder und Videosequenzen der Simulationen, kurzes Proteindynamik-Tutorialwww.mpibpc.mpg.de/groups/grubmueller/

PDB-Proteindatenbankwww.rcsb.org/pdb

Programm zur Darstellung von Proteinstrukturenwww.pymol.org

Programmpaket zur Molekulardynamik-Simulationwww.gromacs.org

verfolgt [11,12] (für Animationsfilme siehe „Internet“ oben). Für diese Simulationen haben wir das Protein wie-der im Computer Atom für Atom „nachgebaut“ (Abbildung5). Dann haben wir es in eine virtuelle Membran eingebet-tet und mit einer großen Zahl von Wassermolekülen um-geben. Wie bei allen biologischen Zellen besteht die Mem-bran aus einer Doppelschicht aus Phospholipid-Molekülen,die ihre hydrophilen „Köpfe“ (gelb in Abbildung 5) nachaußen orientieren und ihre hydrophoben „Schwänze“ im In-neren der Membran verstecken. Dieser wasserabstoßendeTeil würde ohne das Aquaporin als Schleuse den Transportvon Wassermolekülen durch die Membran verhindern.

A B B . 5 | AQ UA P O R I N - M E M B R A N - S YS T E M

Das Computermodell zeigt die biologisch aktive Form vonAquaporin. Sie ist ein aus vier Aquaporin-Molekülen beste-hender Komplex (orange, cyan, magenta, blau). Er ist in dieaus einer Lipid-Doppelschicht aufgebaute Zellmembran(grün-gelb) eingelagert. Auf der Innen- und Außenseite derMembran wurde flüssiges Wasser (rot-weiß) simuliert, dasdurch die vier Aquaporin-Moleküle hindurch tritt.

Page 6: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

Das Computermodell des Proteins befand sich also in ei-nem virtuellen Modell seiner natürlichen Umgebung. Beidezusammen umfassten etwa 100 000 Atome. Ihre Bewegun-gen wurden wieder in Molekulardynamik-Simulationen be-rechnet, was mehrere Monate Rechenzeit auf einem Linux-Rechencluster benötigte. Diese Simulationen ermöglichtenes, jedes Detail der Bewegung einzelner Wassermoleküleam Bildschirm zu betrachten und zu analysieren (Abbildung6). Unser besonderes Augenmerk lag dabei auf der Energe-tik der Wechselwirkungen zwischen dem Protein und derhindurch tretenden Wassermoleküle. Zudem interessiertenwir uns für elektrostatische Effekte im Protein. Beide Me-chanismen konnten wir quantifizieren. Eine wichtige Be-stätigung für die Genauigkeit der Simulation war, dass diedaraus bestimmte Durchflussgeschwindigkeit des Wasserssehr genau mit dem Experiment übereinstimmte.

Die Computersimulationen offenbarten einen faszinie-renden, fein choreographierten „Tanz“ der Wassermoleküle.Er wird durch einzelne, genauestens in der Innenseite desKanals positionierte Aminosäuren gesteuert (Abbildung 6,Mitte). Wie die aus den Simulationen berechneten mittlerenWechselwirkungsenergien (rechts) zeigen, ist diese präziseSteuerung der Schlüssel zum Verständnis der hohen Durch-flussrate, die im Experiment beobachtet wird. So bewirktdie Enge des Kanals, dass einige Wasserstoffbrückenbin-dungen zwischen den durchtretenden Wassermolekülenkurzfristig aufgebrochen werden. Normalerweise würde daseine beträchtliche Energiemenge erfordern, denn allein diehohe Verdampfungswärme des Wassers wird hauptsächlichvon diesen Wasserstoffbrücken verursacht. Die aus den Si-mulationen berechnete mittlere Wechselwirkungsenergie

78 | Phys. Unserer Zeit | 2/2006 (37) www.phiuz.de © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

zwischen benachbarten Wassermolekülen (blaue Kurve imrechten Bild) zeigt in der Tat eine hohe Energiebarriere vonüber 30 kJ/mol (blaue Kurve). Nach der so genannten Über-gangsratentheorie, in die der Boltzmann-Faktor der Barrie-renhöhe eingeht, entspräche das einer Durchtrittsrate vonüber 10 µs. Diese Rate wäre damit über 10 000-mal langsa-mer als die tatsächlich beobachtete Durchtrittsrate.

Das Aquaporin kompensiert diesen Energieaufwand na-hezu vollständig, indem einzelne seiner Aminosäuren imKanalinneren mit den vorbei fließenden Wassermolekülensehr gezielt Wasserstoffbrücken-Bindungen ausbilden: Diezu diesem Mechanismus gehörige grüne Kurve gleicht mitihren Minima die Maxima der blauen Kurve weitgehendaus. Dadurch wird die Gesamtenergie für den Durchtrittder Wassermoleküle (schwarze Kurve) nahezu barrierefrei.Auf diese Weise schirmt das Aquaporin die Wassermolekülefast vollständig von den stark abstoßenden Kräften ab, dievon der hydrophoben Membran ausgehen. Erst das präziseAusrichten und Weiterreichen der einzelnen Wassermo-leküle macht das möglich.

Weitere Simulationen deckten schließlich auch den Mechanismus auf, der trotz des effizienten Wasserflussesverhindert, dass auch Protonen durch die Pore wandern[13,14]. Er beruht auf einem starken elektrostatischen Feld.Dieses Feld entsteht im Zentrum des Kanals und kann ver-einfacht durch eine Doppel-Barriere beschrieben werden.Eine dieser Barrieren ist elektrisch positiv. Sie hält Protonen,H3O+-Ionen und andere positiv geladene Ionen wirkungs-voll zurück. Die zweite Barriere liegt am Eingang des Kanalsund trägt ein umgekehrtes Vorzeichen. Sie blockiert damitden Durchfluss insbesondere von OH–-Ionen, aber auch an-

A B B . 6 | AQ UA P O R I N I N A K T I O N

Schnappschuss und Energetik des Aquaporin-Systems. Links: Wassermoleküle (rot-weiß) diffundieren über Aquaporin (blau)durch die Zellmembran (gelb-grün). Mitte: „Tanz“ eines einzelnen Wassermoleküls auf seinem Weg durch den Kanal. Rechts:mittlere Wechselwirkungsenergien entlang des Kanals, aus den Simulationen errechnet.

Page 7: Proteindynamik-Simulationen Molekulare Nanomaschinen unter … · 2006. 3. 13. · dynamik schließen.Allerdings enthalten Proteinsysteme oft viele 100000 Atome. Erst moderne Höchstleistungs-Paral-lelcomputer

P R O T E I N D Y N A M I K - S I M U L A T I O N E N | B I O PH YS I K

derer Anionen,und ist ebenso wichtig wie die Blockade derProtonen: Der Durchtritt eines OH–-Moleküls entspricht jadem Transport eines Protons in entgegengesetzter Rich-tung, was ebenfalls die lebenswichtige Ladungstrennungkurzschließen würde.

Die effiziente und gleichzeitig hochselektive Wasserlei-tung durch Aquaporine ist also ebenfalls ein eindrucksvol-les Beispiel für die raffinierte molekulare Nanotechnik, diedie Natur über Jahrmilliarden entwickelt hat. Heute ent-decken wir immer mehr solcher ausgeklügelter Nanoma-schinen, die von der Evolution optimiert sind, weil die Zahlder atomar aufgeklärten Proteinstrukturen exponentiellwächst.

Die gängigen Methoden der Strukturaufklärung liefernjedoch überwiegend statische Bilder,die wesentliche Funk-tionsmechanismen oft nicht erkennen lassen. Sie ähnelndamit dem Foto eines Wasserfalls, das kaum Informationüber die dynamischen Eigenschaften des Wassers preisgibt.Computersimulationen von Proteinen auf atomarer Ebeneerlauben es uns nun, die Bewegungen der Nanomaschinensichtbar zu machen. Erst so können wir die erstaunlichenTricks dieser biomolekularen Technik verstehen, die unse-rer Technik weit überlegen ist. Nicht zuletzt verdanken wirdas der rasch wachsenden Rechnerleistung. Die Simulatio-nen der Proteindynamik gehen über die traditionellen Zie-le der Bioinformatik hinaus. Sie verschaffen uns ein tiefge-hendes Verständnis der Physik und Chemie grundlegenderund sehr komplexer biologischer Prozesse, die in Organis-men auf molekularer und atomarer Ebene ablaufen.

ZusammenfassungModerne computergestützte Simulationsverfahren erlaubentiefe Einblicke in biologische Funktionsprozesse. Sie zeigen inatomarer Auflösung, wie Proteine als biologische Nano-maschinen funktionieren. Entscheidend ist dabei deren dyna-misches Verhalten. Die Strukturaufklärung liefert meist nurstatische Bilder der „eingefrorenen“ räumlichen Gestalt derProteine. Molekulardynamik-Simulationen machen dagegenBewegungen sichtbar. Sie konnten zum Beispiel offen legen,wie das Protein F-ATP-Synthase das Adenosintriphosphat(ATP) synthetisiert, den zentralen Energieträger des Körpers.Die F-ATP-Synthase arbeitet dabei wie ein mechano-chemi-scher Dreizylindermotor. Sie ist die kleinste bekannte Nano-maschine der Welt. Ein anderes Beispiel ist die Simulation deskomplexen Mechanismus, mit dem das Protein AquaporinWassermoleküle durch Zellmembranen schleust.

StichworteProteine, Enzyme, ATP-Synthase, Aquaporin, Proteinfunkti-on,Molekulardynamik-Simulation,Proteindynamik,Compu-tersimulation.

Literatur[1] L. Stryer, Biochemistry, 5th Edition, W. H. Freeman & Company,

New York 2002.[2] W. F. van Gunsteren, H.J.C. Berendsen, Angewandte Chemie (Intl.

Ed.) 11999900, 29, 992.[3] T. Hansson, C. Oostenbrink, W. F. van Gunsteren, Cur. Opin. in

Struct. Biol. 22000022, 12, 190.[4] M. Karplus, J. A. McCammon, Nature Struct. Biol. 22000022, 9, 646.[5] D. Stock et al., Cur. Opin. in Struct. Biol. 22000000, 10, 672.[6] R. A. Böckmann, H. Grubmüller, Nature Struct. Biol. 22000022, 9,198.[7] R. A. Böckmann, H. Grubmüller, Biophys. J. 22000033, 85,1482.[8] P. Agre, M.. Bonhivers, M.J. Borgnia, J. Biol. Chem. 11999988, 273, 14659.[9] K. Murata et al., Nature 22000000, 407, 599.

[10] B. L. de Groot, A. Engel, H. Grubmüller, FEBS Letters 22000011, 504, 206.[11] B. L. de Groot, H. Grubmüller, Science 22000011, 294, 2353.[12] Y. Fujiyoshi et al., Cur. Opin. in Struct. Biol. 22000022,12, 509.[13] B. L. de Groot et al., J. Mol. Biol. 22000033, 333, 279.[14] B. L. de Groot, H. Grubmüller, Curr. Opin. Struct. Biol. 22000055, 15, 176.

Die AutorenBert L. de Groot, Chemiestudium an der UniversitätGroningen, Niederlande, dort Promotion. Seit 2003Leiter der Arbeitsgruppe für Biomolekulare Dynamikam MPI für biophysikalische Chemie, Göttingen.

Rainer A. Böckmann, Physikstudium an der Univer-sität zu Köln, Promotion am MPI für biophysika-lische Chemie, Göttingen. Seit 2005 Leiter einerNachwuchsgruppe am Zentrum für Bioinformatikder Universität des Saarlandes, Saarbrücken.

Helmut Grubmüller, Physikstudium an der TUMünchen; 1994 dort Promotion. Postdoktorand amInstitut für Medizinische Optik der LMU München.Danach Gruppenleiter am MPI für biophysikalischeChemie, Göttingen. Seit 2003 dort Direktor derAbteilung Theoretische und ComputergestützteBiophysik. Seit 2005 Honorarprofessor an derUniversität Göttingen.

AnschriftProf. Dr. Helmut Grubmüller, Abteilung für Theoretische und Computergestützte Biophysik, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Am Fassberg 11, 37077 Gö[email protected]

© 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 79