Psychische Belastungen bei unbegleiteten …...• UMF haben weniger Schutzfaktoren durch den Wegfall der sozialen Unterstützung durch die Familie • Durch das Fehlen von Familienmitgliedern

Psychische Belastungen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Andreas Witt, Dipl.-Psych.

Baden-Württembergisches Vierteljahrestreffen der Kinder- und Jugendpsychiatrie

16.10.2017, Ulm

• Hintergrund

• Psychische Auffälligkeiten bei unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen

• Inanspruchnahmen von Hilfen

Psychische Auffälligkeiten bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen | Andreas Witt | 16.10.2017

Agenda

Agenda

Hintergrund


Hintergrund Hintergrund

• Kriege und Konflikte

• Diskriminierung

• Folgen des Klimawandels

• Ausbeutung

Hintergrund

Fluchtursachen



• Diskriminierung


• Ausbeutung

Hintergrund

Fluchtursachen


• Ca. 500000 Rohingya seit 25. August 2017 auf der Flucht

• Muslimische Minderheit

• Flucht aus Angst vor Sicherheitskräften nach

Anschlägen von Rohingya Militanten

• Menschen berichten von Tötung von Zivilisten, von

Vergewaltigungen, Folter und der systematischen

Zerstörung von Dörfern in Myanmar

Hintergrund: Aktuell

Rohingya Myanmar



• Diskriminierung


• Ausbeutung

Hintergrund: Fluchtrouten

Fluchtursachen



• Diskriminierung


• Ausbeutung

Hintergrund: Fluchtrouten

Fluchtursachen


Ausgangslagen: Flüchtlingszahlen in Deutschland


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Flü

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Syrien Afghanistan

Start Bürgerkrieg

BAMF 2017

Fluchtursachen


Quelle: Bildung für Nachhaltige Entwicklung Sachsen https://bne-sachsen.de/flucht-asyl/fluchtursachen

https://bne-sachsen.de/flucht-asyl/fluchtursachen

• Befragung von 2349 Geflüchteten (>18):

Fluchtursachen

Fluchtursachen

Psychische Auffälligkeiten bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen | Andreas Witt | 16.10.2017Brückner et al. 2017

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Angst vor Krieg Verfolgung Zwangsrekrutierung prekäre persönlicheLebensverhältnisse

Fluchtursachen

• Achtung der Menschenrechte (73 %)

• Bildungssystem (43 %)

• Willkommensgefühl (42 %)

• Wirtschaftskraft Deutschlands (ca. 25%)

Fluchtursachen

Gründe für Deutschland

Psychische Auffälligkeiten bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen | Andreas Witt | 16.10.2017Brückner et al. 2017

• Weltweit 50% der auf der Flucht lebenden Menschen < 18 Jahren (UNHCR, 2017).

• Deutschland: 2016

• 36% der Asylwerber < 18 Jahre (30,3% <16 Jahre) (BAMF, 2017)

• 35939 Asylerstanträge von unbegleiteten Minderjährigen (91,1% männlich)

Hintergrund


Hintergrund

Herkunftsländer: UMF


BAMF 2017

• Zahl psychischer Störungen ist bei Flüchtlingskindern erhöht (Gavranidouet al. 2008; Fazel, Wheeler und Danesh 2005)

• UMF besonders vulnerable Gruppe im Vergleich zu begleiteten Flüchtlingen (Huemer, Karnik und Steiner 2009; Derluyn und Broekaert 2007)

• Jugendliche: in Begleitung geflohen: im Durchschnitt 3, UMF 7 traumatische Ereignisse (Stotz et al., 2015)

• UMF sind in der Regel von einer schwerwiegenderen Traumatisierung und Symptomatik betroffen als begleitete Minderjährige mit Flucht- oder Migrationserfahrung (z. B. Michelson & Sclare, 2008; Bean et al., 2007)

Hintergrund


• Mehr erlebte traumatische Erlebnisse

• Höhere Vulnerabilität aufgrund fehlender Ressourcen (Familie)

• Meist männliche Jugendliche >16

• Hohes Maß an Eigenständigkeit auf der Flucht und im Heimatland

Besonderheiten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Besonderheiten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge


• potentiell traumatische Ereignisse im Heimatland oder während der Flucht,

• Asylprozess

• Akkulturationsstress

• Alltagsstressoren

Hintergrund: Stressoren


Psychische Auffälligkeiten


Psychische AuffälligkeitenPsychische Auffälligkeiten





Systematisches Review

• 22 Stichproben mit Daten zu insgesamt 6.030 UMF

• überwiegend männliche UMF

• 93 unterschiedlichen Herkunftsländern





• Häufig Studien mit Screening-Fragebögen (Angaben zu psychischen Auffälligkeiten)

• Fünf Studien machen Angaben zu psychischen Störungen

• Mehrzahl der Studien stammt aus Europa: Norwegen, Schweden, Belgien, Niederlande, Großbritannien, Österreich

• 2015 keine Studien aus Deutschland

Psychische Auffälligkeiten: Ergebnisse


• Mehrzahl der UMF (bis zu 97%) hat traumatische Erfahrungen

• Verlust einer nahestehenden Person

• Krieg

• Körperliche Misshandlung

• UMF haben signifikant häufiger traumatische Erfahrungen als begleitete Flüchtlinge (Batista Pinto Wiese & Burhorst, 2007; Bean et al., 2007; Michelson & Sclare, 2009)



Häufigstes Störungsbild/ Auffälligkeiten: Posttraumatische Belastungsstörung

• Prävalenzen für Posttraumatische Stresssymptome:

• zwischen 17% - 62% für männliche UMF

• bis 71% für weibliche UMF

• Prävalenz für PTBS im klinischen Interview (kleine Stichproben):

• 20-30%



Weitere Störungsbilder/ Auffälligkeiten:

Depression:

• Fragebogen bis 44%

• Im klinischen Interview: 9,4% (Depression) und 14,6% (Dysthymie)

• In Aktenanalysen: bis 47% für affektive Störungen



Weitere Störungsbilder/ Auffälligkeiten:

Angst:

• Im Fragebogen: bis 38,8%

• Im Interview: 3,8% (Generalisierte Angststörung) und 4,4% (Agoraphobie)

• In Aktenanalysen: bis 97% (inklusive PTBS)

Externalisierende Symptome:

• Im Fragebogen: 22,8% – 72,2%

• Im Interview: 7,3%

• Weniger Auffälligkeiten aus diesem Bereich als Vergleichsstichproben

Psychische Auffälligkeiten: Beispiel Bean et al. 2007


Bean et al. 2007

• Befragung von insgesamt 3273 Teilnehmern

• 3 Gruppen:

• Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (N=1078)

• Begleitete Immigranten/Flüchtlinge (N=1152)

• Holländische Jugendliche (N=972)

Instrumente:

• HSLC-37A:

• internalisierende Symptome

• externalisierende Symptome

• Angst

• Depression

• RATS: PTBS

• SLE

Psychische Auffälligkeiten: Beispiel Bean et al. 2007


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InternalisierendeSymptome

externalisierendeSymptome

Angst Depression PosttraumatischeStresssymptome

URM Immigrants/Refugees Native



• Prävalenz psychischer Störungen: 42-56%

• Resilienz (kein psychiatr. Störungsbild): 44%-58%

• Lebenszufriedenheit nicht schlechter als bei jugendlicher Kontrollgruppe



Risikofaktoren Schutzfaktoren

Anzahl an belastenden Lebensereignissen

Kontakt zur Familie im Heimatland: geringere Depressionswerte

Direkte körperliche Verletzung

Weibliches Geschlecht



• Fünf Längsschnittstudien: 1-3,4 Jahre

• Hinweise auf chronischen Verlauf psychischer Auffälligkeiten

• Alltagsbelastungen haben starken Einfluss auf Prognose psychischer Erkrankung

Psychische Auffälligkeiten: neuere Studien aus Deutschland


Möhrle et al. 2016



• N=191 männliche Jugendliche

• Befragung in Jugendhilfeeinrichtungen (CJD)

• Emotionale und Verhaltensauffälligkeiten (SDQ) und gesundheitsbezogene Lebensqualität (ILK)

Möhrle et al. 2016



• Lebensqualität in allen Bereichen (Schule, Gleichaltrige, Freizeit, körperliche und psychische Gesundheit) schlechter als Normstichprobe





• Retrospektive Datenanalyse einer Inanspruchnahmepopulation (2013 – 2015)

• Bewohner einer Clearingstelle, die notfallmäßig/geplant in KJP vorgestellt wurden

• 75 Jugendliche in Clearinghaus, 56 in KJP vorstellig



55 von 56 (98%) erlebten mindestens 1 traumatisches Erlebnis:

• Körperliche Gewalt

• Tötung eines Familienmitglieds

• Inhaftierung

Walg et al. 2016



Walg et al. 2016



Walg et al. 2016

Psychische Auffälligkeiten: Hilfen


Systematisches Review: Eberle-Sejari et al. 2015

• 8 Studien signifikante Reduktion der PTSS

• Vielversprechende Methoden:

• Narrative Exposure Therapy

• EMDR

Fallserie: Unterhitzenberger et al. 2015

• 6 Fälle

• TF-CBT

• Klinisch signifikante Reduktion der PTSS

Therapie

Review: Inanspruchnahme von Hilfen


Inanspruchnahmen von HilfenInanspruchnahmen von Hilfen

Review: Inanspruchnahme von Hilfen


• 16 Studien, meist qualitativ, an kleinen Stichproben anhand semistrukturierter Interviews

• Bildung zentrales Anliegen (Schulbesuch, Sprachunterricht)

• Kein Wunsch nach Einzelzimmern, wollen mit anderen Jugendlichen zusammenleben

Inanspruchnahme von Hilfen


• Misstrauen vs. staatliche Institutionen und vs. Psychiatrie

• Pharmakotherapie häufig akzeptierter

• Negative Einstellung zu psychischen Problemen

• Bei 58% laut Betreuern psychiatrischer Betreuungsbedarf, nur von 6% der Jugendlichen so gesehen

• Qualität von Dolmetschern bemängelt

Inanspruchnahme von Hilfen: Besondere Anforderungen


• UMF sind in der Regel von einer schwerwiegenderen Traumatisierung und Symptomatik betroffen als begleitete Minderjährige mit Flucht- oder Migrationserfahrung (z. B. Michelson & Sclare, 2008; Bean et al., 2007)

• UMF haben weniger Schutzfaktoren durch den Wegfall der sozialen Unterstützung durch die Familie

• Durch das Fehlen von Familienmitgliedern bleibt die Anamnese lückenhaft (frühe Entwicklung der ersten Lebensjahre, Familienanamnese)

Inanspruchnahme von Hilfen: validierte Verfahren

• Reactions of Adolescents to Traumatic Stress Questionnaire (RATS) (Bean et al., 2006)

• Erfassung posttraumatischer Stresssymptome bei Jugendlichen (12 bis 18 Jahre) mit verschiedenen kulturellen Hintergründen im Selbsturteil2

• Hopkins Symptom Checklist-37 (HSCL-37A) (Bean et al., 2007a)

• Erfassung internalisierender und externalisierender Auffälligkeiten, die mit Reaktionen auf traumatische Erlebnisse in Zusammenhang stehen, im Selbsturteil2

• Stressful Life Events Checklist (SLE) (Bean et al., 2004)

• Erfassung von Art und Anzahl erlebter traumatischer Erfahrungen im Selbsturteil2

• Child Behavior Checklist (CBCL) (Achenbach, 1991a; Achenbach & Edelbrock,1983)

• Erfassung von unangepassten emotionalen Zuständen und Problemverhalten von Kindern und Jugendlichen im Fremdurteil; externalisierende und internalisierende Verhaltensauffälligkeiten

• Teacher Report Form (TRF) (Achenbach, 1991b)

• Lehrerurteil, Pendant zur CBCL1 Evaluiert von der niederländischen Arbeitsgruppe um T. Bean und P. Spinhoven2 Verfügbar in 19 Sprachen: Albanisch, Amharisch, Arabisch, Badini, Chinesisch, Dari, Deutsch, Englisch, Farsi, Französisch, Mongolisch, Niederländisch, Portugiesisch, Russisch, Serbokroatisch, Soerani, Somali, Spanisch, Türkisch

Inanspruchnahme von Hilfen: validierte Verfahren

(Rassenhofer, Fegert, Plener & Witt, 2016)

Fazit


• Kinder und Jugendliche mit Fluchtbelastung sind eine große

Herausforderung für unterschiedliche Hilfesysteme (Jugendhilfe

und Medizin) und den ehrenamtlichen Bereich

• Posttraumatische Belastungsstörungen, Depression und Angst

häufige Auffälligkeiten

• Krisen

• Schwer (multipel und sequentiell) traumatisierte Jugendliche

brauchen einen sicheren Ort und therapeutische Unterstützung

• Dolmetscher als zentrale Rolle

• Speziell für UMF validierte Screeninginstrumente, die einen

Einstieg in die Diagnostik ermöglichen existieren

Diagnostik: PORTA

• Providing Online Ressource and Trauma Assessment for Refugees (PORTA) - Ein internetbasiertes Tool zur Belastungseinschätzung und Interventionsplanung bei minderjährigen Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung

• Ziel: unkomplizierte, schnelle Erfassung einzelner Belastungsfaktoren, denen minderjährige Flüchtlinge ausgesetzt waren und sind, sowie eine schnelle und angemessene Interventionsplanung

Intervention: Mein Weg

Ausblick


Intervention: START

Qualifizierung: SHELTER https://shelter.elearning-kinderschutz.de/

Ausblick


https://shelter.elearning-kinderschutz.de/

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Kontakt:

Andreas Witt, Dipl.-Psych.

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

[email protected]


mailto:[email protected]

Bean, T., Derluyn, I., Eurelings-Bontekoe, E., Broekaert, E., & Spinhoven, P. (2007). Comparing psychological distress, traumatic stress reactions, and experiences of unaccompanied refugee minors with experiences of adolescents accompanied by parents. J.Nerv.Ment.Dis., 195(4), 288-297. doi:10.1097/01.nmd.0000243751.49499.93 [doi];00005053-200704000-00003 [pii]. Retrieved from PM:17435478

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Literatur

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Documents

Psychische Belastungen bei unbegleiteten …...• UMF haben weniger Schutzfaktoren durch den Wegfall der sozialen Unterstützung durch die Familie • Durch das Fehlen von Familienmitgliedern