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Pyvido[4,3-bJcarbazole als neue Cytostatika Ulf Pindur Pyrido[4,3-b]carbazole als neue Cytostatika Entwicklung, Chemie und klinische Anwendung Das Carbazolalkaloid Ellipticin (aus Apo- cynacecn) ist aufgrund seines vollig ebencn Haus, seiner funktionellen Gruppen und seiner Molekiilgriil3e befahigt zur DNA- Intcrcalation. Einleitung Die jungsten Forschungen zum Verstandnis der subtilen Mechanismen, denen die Ent- wicklung der Krebszellen unterliegt, lassen die Hoffnung aufkommen, neue und vor al- lem spezifischere Krebstherapien zu finden. Heute steht immer noch die Chemotherapie in Kombination mit chirurgischen Eingriffen, mit der Bestrahlungstherapie und in gerin- gem Umfang mit der neueren Immunothera- pie an erster Stelle. Unter den chemothera- peutischen Stoffen spielen vor allem einige Naturstoffe (2. B. Vinblastin, Vincristin, Po- dophyllotoxin, Daunorubicin, Daunomycin, Mitomycin C, Dactinomycin, Maytansin, Navelbin) eine besondere Rolle [l]. In der vorliegenden Ubersicht werden die Entwick- lung, Chemie und klinische Anwendung der Pbarrnazie in unserw Zeit / 16. Jahrg. 1987 / Nr. 2 0 V C H Verlagsgesellschaji mbH, 0-6940 Weinheirn, 1987 0048-3664/87/0203-0047 $ 02.50/0 antitumoraktiven Pyrido[4,3-b]carbazole vorgestellt, die als Naturstoffe und vor allem chemisch modifiziert in den letzten Jahren als neue Cytostatika im Hinblick auf Wirkungs- selektivitat Aufsehen erregten. Vorkommen und Entwicklung Das 18 nheteroaromatische Gerust der Pyri- do[4,3-b]carbazole 1 ist Basistetracyclus von uber einem Dutzend pharmakologisch inter- essanter Carbazolalkaloide [I, 21. Von diesen uberwiegend in Apocynaceaen verbreiteten [3-51 Alkaloiden sind Ellipticin 2 und 9-Me- thoxyellipticin 3 sowie das zu 2 regioisomere Olivacin 4 fur die Krebsforschung attraktiv, da diese eine ausgepragte cytotoxische Akti- vitat gegenuber bestimmten Leukamie-For- men (z.B. Typ L 1210) und auch gegeniiber 47

Pyrido[4,3-b]carbazole als neue Cytostatika Entwicklung, Chemie und klinische Anwendung

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Pyvido[4,3-bJcarbazole als neue Cytostatika

Ulf Pindur Pyrido[4,3-b]carbazole als neue Cytostatika Entwicklung, Chemie und klinische Anwendung

Das Carbazolalkaloid Ellipticin (aus Apo- cynacecn) ist aufgrund seines vollig ebencn Haus, seiner funktionellen Gruppen und seiner Molekiilgriil3e befahigt zur DNA- Intcrcalation.

Einleitung

Die jungsten Forschungen zum Verstandnis der subtilen Mechanismen, denen die Ent- wicklung der Krebszellen unterliegt, lassen die Hoffnung aufkommen, neue und vor al- lem spezifischere Krebstherapien zu finden. Heute steht immer noch die Chemotherapie in Kombination mit chirurgischen Eingriffen, mit der Bestrahlungstherapie und in gerin- gem Umfang mit der neueren Immunothera- pie an erster Stelle. Unter den chemothera- peutischen Stoffen spielen vor allem einige Naturstoffe (2. B. Vinblastin, Vincristin, Po- dophyllotoxin, Daunorubicin, Daunomycin, Mitomycin C, Dactinomycin, Maytansin, Navelbin) eine besondere Rolle [l]. In der vorliegenden Ubersicht werden die Entwick- lung, Chemie und klinische Anwendung der

Pbarrnazie in unserw Zeit / 16. Jahrg. 1987 / Nr. 2 0 VCH Verlagsgesellschaji mbH, 0-6940 Weinheirn, 1987 0048-3664/87/0203-0047 $ 02.50/0

antitumoraktiven Pyrido[4,3-b]carbazole vorgestellt, die als Naturstoffe und vor allem chemisch modifiziert in den letzten Jahren als neue Cytostatika im Hinblick auf Wirkungs- selektivitat Aufsehen erregten.

Vorkommen und Entwicklung

Das 18 nheteroaromatische Gerust der Pyri- do[4,3-b]carbazole 1 ist Basistetracyclus von uber einem Dutzend pharmakologisch inter- essanter Carbazolalkaloide [I , 21. Von diesen uberwiegend in Apocynaceaen verbreiteten [3-51 Alkaloiden sind Ellipticin 2 und 9-Me- thoxyellipticin 3 sowie das zu 2 regioisomere Olivacin 4 fur die Krebsforschung attraktiv, da diese eine ausgepragte cytotoxische Akti- vitat gegenuber bestimmten Leukamie-For- men (z.B. Typ L 1210) und auch gegeniiber

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Pyrido[4,3-b]carbazole als neue Cytostatika

verschiedenen anderen tumorosen Zellen im hoheren Organismus aufweisen [6, 7, 81.

und demzufolge gute Substrate fur eine opti- male Interkalation in die DNA-Doppelhelix darstellen (Abb. 2, vgl. auch Abb. 3). Celiptium @

Biogenetisch gesehen sollten diese Verbin- dungen, die speziell in Aspidosperma-, Ochrosia-, Tabernaemontana- und Strych- nos-Spezies zu finden sind [3-51, aus einem 2-Vinylindol-Pracursor 6 gebildet werden [9]. Dieses reaktive Intermediat [lo] konnte durch Ringoffnungs- und Abbau-Reaktionen aus dem Stemmadenin 5 entstehen 191.

* 5 COOCHj

HO

P -N-CHJ

@ 6

Pyrido [4,3 - b]carbazcl - Alkaloide

Ein vollsynthetisch gewonnenes Derivat der Pyridocarbazole, welches ca. 15 Jahre lang entwickelt wurde, ist das 2-Methyl-%hydro- xyellipticinium-acetat (Celiptium@) 7 [ 1 I , 121. Diese Verbindung ist bereits in Frank- reich und in den USA erfolgreich in der klini- schen Erprobung. Infolge der N-Alkylierung und durch die 9-Hydroxygruppe in 7 wird im Vergleich zu 2 unter volligem Verlust der mu- tagenen Komponente eine potenziertere und relativ selektive Anticancer-Aktivitat erreicht [ 1 1 - 131.

I . . H CH3

7

Das Stammalkaloid Ellipticin 2 wurde erst- mals 1959 von S. Goodwin et al. [14] aus Ochrosia elliptica Labill. und Ochrosia sand- wichensis (Apocynaceae) isoliert und seine cytostatische Aktivitat relativ fruh erkannt [15]. Die erste Totalsynthese hat R. B. Wood- ward realisiert [16].

Strukturaufklarung

Die Strukturaufklarung nach der Erstisolie- rung dieser Alkaloide [14] wurde in erster Li- nie auf nai3chemischem Wege vorgenommen und zunachst am Olivacin 4 (Ochrosia ellipti- ca Labill.) vorexerziert [17, 181. Olivacin 4 lai3t sich regioselektiv an N-2 methylieren und dann mit NaBH, zum bekannten Alka- loid Guatambuin 8 (Aspidosperma ulei) [19] transformieren. Hofmann-Abbau und Re- duktion fuhren schliei3lich zu einem einfach gebauten Carbazol 9, welches leicht analy- siert werden kann.

Das Substitutionsmuster und die Substituen- ten in Verbindung 9, welche auch cytostatisch aktiv ist [l], geben Auskunft uber die regio- chemischen Verhaltnisse im Olivacin 4.

Strukturvariationen der Pyridocarbazole

Die zunachst experimentell gefundene cyto- statische Aktivitat der Pyrido[4,3-b]carbazole regte erwartungsgemai3 das synthetische Interesse der Chemiker an, und es hat nicht gefehlt, zahlreiche Synthese-Strategien zu realisieren und dabei auch weitere nicht ge- nuine Derivate fur die cytostatische Prufung darzustellen. Bei der Syntheseplanung wur- den hauptsachlich drei Ziele ins Auge ge- fafit:

a) Einfuhrung besonderer Funktionalitaten,

b) Darstellung bio(isosterer) Systeme,

c) Variation des Anellierungsmusters [ 11.

Aus den Entwicklungen der letzten zehn Jah- re sollen einige interessante Vertreter exem- plarisch vorgestellt werden.

Fur die experimentelle Pharmakologie reiz- voll sind insbesondere die (9-Aza)-Derivate 10a und lob, wobei die Aminoalkylsubstitu- tion eine besonders hohe Affinitat dieser Mo- lekiile zur D N A induziert [25,26]. Die DNA- Komplexierung via Interkalation ist hier durch Wechselwirkung der basischen Kette mit dem Phosphat-Ruckgrat der D N A stark ausgepragt. Die Verbindungen 10 zeigen strukturelle Verwandtschaft zum antitumor- aktiven Anthracendion 11.

Auch das 8,9,1O-Trimethoxyellipticin 12 [27] sowie das Benzo[k]ellipticin 13 [28] sind anti- tumoraktiv. Jedoch wird von ihnen die cyto- statische Aktivitat der 9-hydroxylierten und zugleich 10-unsubstituierten Derivate (z. B. 7 ) in keiner Weise ubertroffen.

9

Weitere und vor allem elegantere Methoden zur Strukturaufklarung der Ellipticin-Deri- vate sind die NMR-Spektroskopie ('H, 13C, 15N) [20-22] und die Rontgenkristallogra- phie [23, 241 Abb. I , Abb. 2).

Die Rontgenstrukturanalyse zeigt am Bei- spiel von 2 [23] und 7-Methylellipticin [24], dai3 diese Molekule hoch planar gebaut sind

'N' \ H CH3

100

R' = H. Alkyl

R2 = H, ,H3

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Pyrido[4,3-b]carbazole als neue Cytostatika

1

1 Ob

n = 1.2 R = H, Ct-3

w-N-oH H

HO 0 H N m N - O H

1 1 H

2

Beim Bis(benzo[b]carbazolyl)decan 14, ei- nem 2-Desazaderivat, ist eine Klammerung in und um die DNA-Helix besonders stark aus- gepragt 1.291.

CQ-J-p H CH3

132.4 YL,o -- I \11g

l4095 lM,O

3

a

Pharrriazie in unserer Zeit / 16. Jabrg. 1987 / Nr. 2 49

Pyrido~4,3-b]carbazole als neue Cytostatika

In der Reihe der nichtlinear-anellierten Ver- treter wurden N-Positionsisomere wie 15 synthetisiert. Die DNA-Affinitat dieser Ver- bindungen ist mit derjenigen der Ellipticine vergleichbar [30].

.. (Pyridin - Ring)

Analog [c]-anellierte, aber symmetrisch di- mere Pyridocarbazole wie 16 besitzen zwar hohe DNA-Affinitat, jedoch ist ihre in-vivo- Antitumoraktivitat gegenuber der L 1210- Leukamie in Mausen stark vom jeweiligen Substituenten abhangig [I]. In vitro sind diese Molekule potente bifunktionelle DNA-In- terkalatoren.

Cytotoxischer Mechanismus

Der Mechanismus der in-vivo-Aktivitat der Pyrido[b]carbazole ist noch nicht in allen Einzelheiten gesichert. Aus zahlreichen in- vitro-Experimenten werden DNA-Interka- lation und Alkylierung von nukleophilen Biosubstraten diskutiert [31].

Ellipticin-Derivate sind Matrizeninaktivato- ren [24], besitzen hohe Affinitat zu DNA- Strukturen bis M) [31] und weisen aufgrund ihrer planaren Geometrie gute In- terkalationseigenschaften auf. Die Komple- xierung mit der D N A fuhrt zum Aufbrechen der helicalen Struktur [I , 311. Am Beispiel des 7-Methylellipticins und weiterer Derivate wurden empirische Kraftfeldrechnungen [24] unter Zuhilfenahme computerunterstutzter molekulgraphischer Darstellungen zur Inter- kalation in die D N A vorgenommen. An klei- nen DNA-Modellstrukturen wie z. B. der selbst komplementaren dimeren Iod-CpG*-

Einheit konnten aus Kristallstrukturanalysen in Korrelation mit molekulmechanischen Rechnungen die optimalen (energiearmsten) dreidimensionalen Komplexe ermittelt wer- den [24] (Abb. 3).

Trotz der erschopfenden Studien zu dieser Problematik sollte die DNA-Affinitats- und Interkalations-Eigenschaft der Ellipticine nicht allein fur die relativ hohe mutagene und cytotoxische Aktivitat dieser Stoffe verant- wortlich sein. Die Entdeckung der alkylie- renden Eigenschaft von Ring A/B-oxidier- ten Ellipticin-Derivaten [32] konstituierte ei- nen weiteren Schritt zum Verstandnis des Wirkungsmechanismus. 9-Hydroxyellipticin- Derivate wie 7 reagieren namlich glatt uber die Stufe eines Chinonimins (Michael-Ak- zeptor) mit mehreren nukleophilen Biomole- kulen [33, 341. Sorgfaltig durchgefuhrte Stu- dien an verschiedenen Ellipticin-Derivaten stutzen die im folgenden aus in-vitro-Expe- rimenten abgeleitete Arbeitshypothese, die am Beispiel des Celiptiumk 7 in einer me- chanistischen Sequenz aufgefuhrt ist. 7 IaRt sich leicht zum Chinonimin 17 oxidieren 133, 341, welches ein ausgezeichnetes Elektrophil gegenuber Biomolekulen wie z. B. Amino- sauren, Thiolen, Alkoholen, Aminen, Nu- kleosiden u. a. darstellt. Diese addieren sich regioselektiv an der 10-Position von 17 zu 18 und nach Oxidation von 18 weiter an das Fol- geintermediat zu 19 [31].

Die in-vitro-Studien lehren ferner, daR Nu- kleoside bevorzugt mit der 2’,3’-Diolstruktur der Ribose zu 20 reagieren [34]. Purinnukleo- tide werden nach diesem Mechanismus ra- scher alkyliert als die Pyrimidinanalogen, wobei sicher elektronische und geometrisch bedingte Orientierungseffekte eine Rolle spielen. DNA-Typ-Strukturen konnen in- folge der 2-Desoxyribose-Funktionalitat nicht zu Derivaten des Typs 20 alkyl‘ iert wer- den.

Aus diesen Untersuchungen wird daher abgeleitet, dafl wahrscheinlich in vivo die Ellipticin-Derivate (die nichthydroxylierten via mikrosomaler Biotransformation uber die 9-Hydroxyellipticine) in erster Linie die Nukleotid-Terminals in der t-RNA oder m-RNA rnit Purin-Funktionalitat blockie- ren. Dies hat schlieRlich zur Folge, daR die zellulare Maschinerie aus dem Gleichgewicht gerat und u. a. die Zellteilung gestort wird.

*Cp: Cytidinphosphat, G: Guanosin

H 7

810 - NU

17

H 20

Ausgewahlte Syntheseverfahren zu Pyrido[4,3-b]carbazolen und Analogen

Zur Synthese von Ellipticin und Derivaten sind in den letzten 20 Jahren zahlreiche Ver- fahren realisiert worden [35], und es kommen laufend noch neue hinzu, da an dieser Struk- turklasse wegen der cytostatischen Aktivitat grofles und sehr reges Interesse besteht. In der Literatur sind bisher 8 Hauptstrategien I-VIII verfolgt worden, wobei als Ziel die regio- kontrollierte Ringanellierung an vorgegebe- nen Pracursoren im Vordergrund stand. In den Formeln I-VIII ist die Bindungs-Bil- dung der Schlusselreaktionen in gebrochener Bindung verdeutlicht. Aus den zahlreichen Darstellungsverfahren zu den Pyrido[b]car- bazolen sollen exemplarisch kommerziell interessante und/oder besonders elegante Methoden vorgestellt werden.

Eine sehr effektive nach Strategie I11 realisier- te Synthesesequenz zu Ellipticin 2 und zu Analogen, die im Ring A variabel substituiert

50 Phurmuzie in unserer Zeit / 16. Jahrg. 1987 / Nr. 2

Pyrido[4,3-bJcarbazole als neue Cytostatika

Q-@ "

H I

Q-fp "

\ f

H II

H Ill

H IV

ze - via Strategie IV verlaufende - Synthese zu 2 nach konvergentem Prinzip wurde von J. Bergman et al. [39] entwickelt. Schlusselsub- strat stellt das 3-Vinylindol 23 dar, welches nach Quaternisierung disrotatorisch 6 7c-

elektrocyclisch (Pyrolyse) direkt den Tetra- cyclus 2 liefert (72 %). Als reaktives Interme- diat wird ein Indolochinodimethan 25 ther- misch generiert [40].

H V

H VI 23

. > 350%. 5 min -

24

H VII

H Vlll

sind, wurde von A. H. Jackson 136, 371 ent- wickelt. Man startet mit dem 1,4-Dimethyl- 3-formylcarbazol 21, welches durch Formy- lierung des 1,4-Dimethylcarbazols mit Vils- meier-Reagenz oder noch eleganter rnit dem Diethoxycarbenium-tetrafluoroborat (HC(OEt),+BF,-) [38] in sehr guten Ausbeu- ten zuganglich ist. Bei der Anellierungsse- quenz erfolgt zunachst Formylderivatisie- rung mit dem Aminoacetaldehyd-diethylace- tal. AnschlieBend wird die Iminofunktion hydriert und das daraus resultierende Pro- dukt zu 22 tosyliert. HC1-Katalyse fuhrt von 22 iiber den Weg des elektrophilen Ring- schlusses in einem Syntheseschritt zum Ellip- ticin 2 (87 Yo). Diese Darstellungsmethode, die der Pomeranz-Fritsch-Isochinolin-Syn- these ahnelt, ist mehrfach variiert und opti- miert worden; sie wird auch zur kommerziel- len Gewinnung von 7 eingesetzt [35].

OEt

2. H2/RaNi H 5. TsCL

21

22

Eine sehr elegante und vor allem augerst kur-

L

Kiirzlich wurde eine interessante Synthese zu hubstituierten 5H-Pyridol[4,3-b]benzo[fl- indolen 28 publiziert. Diese neuen Polycy- d e n weisen starke cytotoxische Aktivitaten in vitro auf [41]. Das via metallorganischer Reaktionsfolge und Formylierung gut zu- gangliche Pyrrolopyridin-Derivat 26 wird elektrophil zu 27 cyclisiert und anschliegend nach einer SNAr-Reaktion der Chlorsubsti- tuent in 27 durch ein Arnin ausgetauscht (Ausbeute 47-48 70).

Wir erproben in unserern Laboratoriurn z. Z. ein neues konvergentes Synthesekonzept zur Gewinnung von Pyrido[b]carbazolen und Derivaten nach einem interessanten Cyclisie-

rungsweg, namlich den direkten Aufbau der Ringe C/D am vorgegebenen Indolgeriist [42]. Nach retrosynthetischer Analyse sollte z. B. zur Darstellung des Hydroxyderivates 31 (bzw. des Tautomeren) das Indolylenamid 29 ein potentielles Edukt darstellen. Dieses sollte nach intramolekularer [4 + 21-C~- cloaddition direkt das tetracyclische Basisge- rust liefern. Es ist uns gelungen, das nach be- kannten Methoden zugangliche [4 + 2]n- System 29 in 30 % Ausbeute zu synthetisie- ren. Thermisch induzierte Cycloaddition von 29 irn Autoklaven liefert den tautomeriefahi- gen Tetracyclus 30. DDQ-katalysierte Dehy- drierung von 30 ergibt das a-Pyridon-anel- lierte Carbazol31 (1 5 70). Dieses 1aGt sich mit POCI, an der I-Stellung chlorieren und via Halogenmetallaustausch und nachfolgender 1-Protonierung in das Ellipticin 2 umwan- deln.

30 31

$ 2

Eine Optimierung dieser neuen Methode und die Ubertragung auf die Darstellung weiterer Pyridocarbazole werden von uns aktiv ver- folgt. Zahlreiche weitere Synthesen nach Stra- tegie I-VIII sind in Lit. [I] und [35] ausfiihr- lich beschrieben.

Pharmakologische Eigenschaften, therapeutische Anwendung

Die Ellipticin-Derivate weisen zwei charakte- ristische biologische Wirkungen auf: sie hem- men die zellulare Proliferation und sie sind cardiovascular aktiv [22]. Eine gezielte Ver- mehrungshemmung von Blutzellen der lym- phoblastischen Leukamie des Typs L 1210 (2.B. in Mausen) ist insbesondere bei den 9-Methoxy- und 9-Hydroxyellipticinen aus- gepragt [43]. Bei Tierexperimenten wurden durch Ellipticin-Applikation mehrere Ef- fekte beobachtet, u. a. Blutdruckabfall, Bra-

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Pyrido[4,3-b]carbazole als neue Cytostatika

dycardie, Hamolyse, Hypothermie, Ausbil- dung einer Fettleber, Ataxie und Erbrechen. Wahrend Ellipticin und einige Derivate ne- ben ihrer Cytotoxizitat auch carcinogene und mutagene Eigenschaften aufweisen, fehlt bei den N-quaternisierten Verbindungen (z. B. bei 7) nach bisherigen Studien die mutagene Komponente [ l , 441.

Die Ellipticin-Derivate werden zu ca. 80 % rnit der Gallenflussigkeit ausgeschieden, der Rest wird in der Leber durch Cytochrom P 450-Oxygenase an der 9-Stellung hydroxy- liert und als Glucuronid und 0-Sulfat elimi- niert 1451.

Das in der Klinik in einer z .Z. laufenden Studie eingesetzte 2-Methyl-9-hydroxyellip- ticinium-acetat 7 wird zur Behandlung von Brustkrebsmetastasen, von Brustkrebs, von soliden Tumoren (Schilddriisen-, Nieren- krebs) sowie von myeloblastischer Leukamie verwendet [46]. Die cytotoxische Selektivitat gegeniiber Krebszellen kann allgemein als gut bezeichnet werden. In einer Phase I-Stu- die wurden z. B. 38 Patienten mit soliden Tu- moren rnit einer tag]. Dosis von 15-125 mg/ m2 Hautoberflache iiber einen Zeitraum von ca. 3 Wochen behandelt. Als Nebenwirkun- gen traten Ubelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Hamolyse, Blutdruckabfall und ZNS-Sym- ptome auf. Die Tumor-Reduktions-Rate lag unter 50% [l]. Bei einer groger angelegten Phase 11-Studie konnten bei 105 Patienten mit Mammacarcinom bei einer einmaligen wo- chentlichen Infusion von 100 mg/m2 7 19 % Ruckgangsrate des Tumors beobachtet wer- den [I]. In einer neueren Phase 11-Studie in den USA wurden 13 Patienten mit fortge- schrittenem Brustkrebs rnit 7 behandelt, wo- bei bei 7 Patienten Riickbildung des Tumor- gewebes eintrat [47]. Die klinischen Studien, insbesondere zur Analyse der Erfolgsraten bei der Behandlung anderer Tumorformen, sind noch voll im Flu&

Es bleibt zu hoffen, dafi auch in weiterer Zu- kunft die Naturstoffchemiker in Gemein- schaft mit den Synthetikern und Medizinern, wie hier am Ellipticin und seinen Derivaten aufgezeigt, noch weitere neue und vor allem sehr krebszellenselektive Cytostatika finden und entwickeln.

Inzwischen ist ein weiteres Pyridocarbazol in die klinischen Studien als Cytostatikum auf- genommen, namlich das Ditercalinium 32, welches einen bifunktionellen DNA-Inter- kalator darstellt.

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Das vollstandige Literaturverzeichnis kann beim Autor angefordert werden.

Prof. Dr. Ulf Pindur (Jg. 1943) studierte Phar- mazie und Lebensmittelchemie an der Uni- versitat Marburg (Staatsexamina 1970 und 1971). 1974 erfolgte die Promotion iiber ein synthetisches Thema der Pharmazeutischen Chemie und 1980 die Habilitation im glei- chen Fach an der Universitat Marburg. 1980 war er Priv.-Dozent an der Universitat Mar- burg und folgte im gleichen Jahr einem Ruf auf eine Professur an die Universitat Wurz- burg. Dort war er 4 Jahre in Forschung und Lehre tatig und folgte 1985 einem wei- teren Ruf auf eine Professur fur Pharma- zeutische Chemie an die Universitat Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die me- chanistische (Farbreaktionen) und syn- thetische (organische) Pharmazeutische Chemie: Strukturaufklarung in der Arz- neistoffanalytik, Indolfunktionalisierungen, Carbazol- und Carbazolalkaloidsynthesen, Sit ylenolether-Funktionalisierungen.

Anschrift:

Prof. Dr. U. Pindur, Fachbereich Chemie und Pharmazie der Universitat Mainz, Saarstrage 21, D-6500 Mainz 1.

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