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BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER 48 InternatIonaler traIner-Kongress 2011 Am ITK 2009 in Pforzheim über- raschten die Vortragenden mit einer ungewohnten Akzentuierung eigent- lich bekannter Trainingsformen in pädagogisch-methodischer Hinsicht. Harttgen und Struck arbeiten seit mehreren Jahren in einem ähnlichen Themenbereich, der das Leistungs- verhalten mehr unter psychologisch- gesundheitlichen Aspekten erforscht. Sie können auf umfangreiche Studien und Erfahrungen aus dem Leistungs- bereich zurückgreifen. Sie erweitern und vertiefen die Eindrücke des ITK 2009 auf Basis ihrer Erkenntnisse. Prof. Dr. Milles, der die Forschungen leitet und in der Vortragsvorberei- tung eng eingebunden war, war während des Kongresses leider ver- hindert. Unsere Forschungen zur Persönlich- keitsentwicklung starteten 2002, als schlechte Leistungen der National- mannschaft zu der Frage führten, warum es an geeignetem Nachwuchs fehle. Schnell kam die Fachwelt zu der Übereinstimmung, dass man in den klassischen Trainingsbereichen bereits an Grenzen stößt und andere Kriterien noch völlig unberücksichtigt waren. Talentförderung anreichern Aktuell werden in den Nachwuchsleis- tungszentren Technik, Taktik, und Kon- dition sehr umfassend trainiert. Dabei sind zunehmend Spezialisten wie Athletiktrainer z. B. für das Schnellig- keits- und Krafttraining involviert. In diesen Bereichen der Leistungsausbil- dung sind keine großen Fortschritte mehr möglich, weil alleine schon die zeit l iche Auslastung durch häufiges und differenziertes Training sowie die nötigen Erholungsphasen berücksich- tigt werden müssen. Leistungsentwicklung: selten l inear Trotz hervorragender Arbeit in den Nachwuchsleistungszentren an diesen klassischen Trainingsinhalten ist ein li- nearer Leistungsaufbau höchs tens Hoff- nung, aber selten Realität. In der Praxis kämpfen die Spieler mit wechselhaften Leistungsphasen, die mitunter sowohl Stagnation und Rückschritte, als auch Entwicklung und Lernfortschritte be- inhalten. Die Spieler müssen lernen damit umzugehen. Persönlichkeitsentwicklung als Leis- tungspotenzial Persönlichkeitsentwicklung bietet in der Auseinandersetzung mit Lernpro- zessen zweierlei Potential. Einerseits können neben den klassischen Leis- tungsfaktoren neue Ressourcen nutz- bar gemacht werden, andererseits hilft sie, Leistungstäler gefestigt durch- schreiten zu können. Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining Prof. Dr. Dietrich Milles, Universität Bremen Dr. Uwe Harttgen, Direktor des Leistungszentrums SV Werder Bremen Henning Struck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität Bremen

Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining · Unsere Forschungen zur Persönlich - keitsentwicklung starteten 2002, als ... Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining

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Page 1: Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining · Unsere Forschungen zur Persönlich - keitsentwicklung starteten 2002, als ... Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining

BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER

48 InternatIonaler traIner-Kongress 2011

Am ITK 2009 in Pforzheim über-

raschten die Vortragenden mit einer

ungewohnten Akzentuierung eigent-

lich bekannter Trainingsformen in

pädagogisch-methodischer Hinsicht.

Harttgen und Struck arbeiten seit

mehreren Jahren in einem ähnlichen

Themenbereich, der das Leistungs-

verhalten mehr unter psychologisch-

gesundheitlichen Aspekten erforscht.

Sie können auf umfangreiche Studien

und Erfahrungen aus dem Leistungs-

bereich zurückgreifen. Sie erweitern

und vertiefen die Eindrücke des ITK

2009 auf Basis ihrer Erkenntnisse.

Prof. Dr. Milles, der die Forschungen

leitet und in der Vortragsvorberei-

tung eng eingebunden war, war

während des Kongresses leider ver-

hindert.

Unsere Forschungen zur Persönlich-keitsentwicklung starteten 2002, als

schlechte Leistungen der National-mannschaft zu der Frage führten,warum es an geeignetem Nachwuchsfehle. Schnell kam die Fachwelt zu derÜbereinstimmung, dass man in denklassischen Trainingsbereichen bereitsan Grenzen stößt und andere Kriteriennoch völlig unberücksichtigt waren.

Talentförderung anreichern

Aktuell werden in den Nachwuchsleis-tungszentren Technik, Taktik, und Kon-dition sehr umfassend trainiert. Dabeisind zunehmend Spezialisten wie Athletiktrainer z. B. für das Schnellig-keits- und Krafttraining involviert. Indiesen Bereichen der Leistungsausbil-dung sind keine großen Fortschrittemehr möglich, weil alleine schon diezeit liche Auslastung durch häufigesund differenziertes Training sowie dienötigen Erholungsphasen berücksich-tigt werden müssen.

Leistungsentwicklung: selten linear Trotz hervorragender Arbeit in denNachwuchsleistungszentren an diesenklassischen Trainingsinhalten ist ein li-nearer Leistungsaufbau höchs tens Hoff-nung, aber selten Realität. In der Praxiskämpfen die Spieler mit wechselhaftenLeistungsphasen, die mitunter sowohlStagnation und Rückschritte, als auch Entwicklung und Lernfortschritte be -inhalten. Die Spieler müssen lernendamit umzugehen.

Persönlichkeitsentwicklung als Leis-

tungspotenzial

Persönlichkeitsentwicklung bietet inder Auseinandersetzung mit Lernpro-zessen zweierlei Potential. Einerseitskönnen neben den klassischen Leis-tungsfaktoren neue Ressourcen nutz-bar gemacht werden, andererseits hilftsie, Leistungstäler gefestigt durch-schreiten zu können.

Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining

Prof. Dr. Dietrich Milles, Universität Bremen

Dr. Uwe Harttgen, Direktor des Leistungszentrums SV Werder Bremen

Henning Struck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität Bremen

Page 2: Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining · Unsere Forschungen zur Persönlich - keitsentwicklung starteten 2002, als ... Qualifizierung der Persönlichkeit im Leistungstraining

Das Besondere an den zur Persönlich-keitsentwicklung wirkungsvollen Trai-ningsformen ist, dass sie sich mit denFormen zur Steigerung der klassischenLeistungsfaktoren des Fußballs pro-blemlos verbinden lassen. Denn alleswas in der Persönlichkeitsbildung ge-fordert ist, kann im und durch das nor-male Fußballtraining eingeübt werden!Somit lassen sich fußballspezifischeRessourcen und solche der Persönlich-keit langfristig ausbilden. Die dabei an-zusteuernden Kriterien sind in derAbbildung unten dargestellt.

Befragungen von Spielern im Junio-

renleistungssport: Die Ergebnisse

Wenn es um die Talententwicklunggeht, wird meistens über, in den sel-tensten Fällen aber mit den Spielerngesprochen. Nimmt man die Jugendli-chen als Teil der Ausbildung ernst,muss man sie jedoch selbst fragen.Daher fand im Rahmen unserer Studieeine Befragung von Spielern unter die-sen Bedingungen statt:• Querschnittserhebungen: in den Jah-

ren 2002, 2005 und 2008• Insgesamt 1.400 Spieler von der

U15 bis zur U19• Spieler aus Lizenzvereinen der 1. und

2. Bundesliga

Hohe BundesligaorientierungFast alle befragten Spieler eint derTraum, Fußballprofi zu werden. Deut-lich über 90 Prozent der Spieler möch-ten unbedingt Profi werden. Bei derFrage nach einer ernsthaften Alterna-tive stößt man jedoch auf Irritationen.Das Problem im befragten Alters -bereich ist, dass noch gar nicht abzu-sehen ist, wer eine Fußballerkarriereeinschlagen kann. Andererseits haben Jugendliche gene-rell noch nicht unbedingt eine ernst-hafte Berufsorientierung. Zudem würdekein Leistungssportler den Aufwandwie die Nachwuchsspieler betreiben,wenn er die Gewissheit hätte, dassseine Ambitionen nicht erfolgreich seinmüssen. Diese fast bedingungsloseBundesligaorientierung überlagert undbeeinflusst alle anderen Umfrageer-gebnisse.

Belastung in der Ausbildung der Leis-tungsjuniorenEines der untersuchten Hauptkriterienwar die Belastung der Spieler in ihremTrainings- und Lebensalltag. Die An-forderungen in Schule und Sport lassenkaum mehr Freiräume. In direkten Fra-gen zu ihrer Belastung geben die Spie-ler eher nicht zu, dass sie enorme

Leistungen zu erbringen haben. In in-direkten Kontrollfragen jedoch zeigtsich, dass die Belastungen der Spielergrößer sind als sie offen zugeben. DieseErgebnisse sind auffällig:• Drei Viertel der Befragten sagen, sie

empfinden die Anzahl der Trainings-einheiten gar nicht oder nur etwasals Belastung.

• Auch die Fahrten zum Training wer-den von 86 Prozent als nicht oderkaum belastend angegeben. Trotzder Fahrtstrecken von bis zu 180 km!

Diese beiden Ergebnisse zeigen also,dass die Spieler für sich keine Überbe-lastung registrieren. Widersprüchlichdazu sind jedoch die Ergebnisse derKontrollfragen:• 40 Prozent der befragten Spieler

geben an, dass sie zu wenig Zeit zurRegeneration von körperlichen An-strengungen haben.

• 85 Prozent der Befragten sehen inder Gestaltung ihrer Wochentageeine Monotonie, die im Wechsel zwi-schen Schule und Training immer imgleichen Muster abläuft.

Monotonie ist Stagnation im All tags -trott, mit dem die Jugendlichen umge-hen müssen. Daher ist das Trainingabwechslungsreich und angereichertzu gestalten. Zum Thema der Belas-

BUND DEUTSCHER FUSSBALL-LEHRER

InternatIonaler traIner-Kongress 2011 49

Kriterien der Persönlichkeitsentwicklung

Körperliche Entwicklung,

Begabung,

Lernalter,

Pubertät,

Entwicklungs -aufgaben,

Sozialisation

= Aufbau einer eigenen Identität

Selbsteinschätzung,

Leistungsverhalten,

Selbstwertgefühl,

psychosoziale Einstellungen

Belastungen und Bewältigungen,

Burnout,

Staleness,

Umgang mit Anforderungen inSchule und Sport

Entwicklungspsycho-logische Aspekte

Einschätzungen inSelbstkonzepten

Stresstheoretische Aspekte

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tung lassen sich folgende Ergebnissekonstatieren:• Die jungen Fußballtalente dürfen

keine Belastung anführen, weil diesedem Selbstwert widerspricht und dieKonkurrenz verstärkt.

• Sie werden in wachsendem Maßedurch eigene Erwartungen, prakti-sche Umstände und gesellschaftlicheAnforderungen gefordert.

• Gleichzeitig haben die jungen Spie-ler ein überdurchschnittlich positivesSelbstkonzept. Im Vergleich zu Schü-lern außerhalb des Leistungssportskönnen bei den befragten Fußball-spielern signifikant positivere Selbst-konzepte nachgewiesen werden.

Fazit ist, dass die Talentförderung dieBelastungen und Anforderungen fürdie Spieler organisieren muss. Der Rahmen muss umsichtig geplant undvorgegeben sein, da Spieler wenig Ein-flussmöglichkeiten auf die Trainings-und Belastungssteuerung haben kön-nen. Während also das sportlicheSelbstkonzept der Spieler bezüglich derBelastung spannungsgeladen ist, istihre Selbsteinschätzung als Persönlich-keit positiv optimistisch. Diese Bewer-tung der eigenen Person ist einepersonale Ressource, mit hohen Anfor-derungen umgehen zu können!

Soziale BeziehungenDazu sind auch soziale Ressourcen be-deutend. Eltern, Mannschaft, Trainer

und sonstige wichtige Bezugspersonengeben Rückhalt, Rat und Mut. Die Befragungsergebnisse sind auch hierteilweise überraschend:• Sportlichen Rat suchen die Spieler zu

85 bis 90 Prozent in der Familie. Dasist ein unerwartet hoher Wert, denneigentlich ist der Trainer für diesportliche Einschätzung und Rück-meldung verantwortlich. Darüber hi-naus steigt die Orientierung an derFamilie mit zunehmendem Alter.Dies ist insofern überraschend, daman annehmen könnte, dass Spielermit dem Erwachsenwerden unab-hän giger von den Eltern werden. Die Familie ist also ein bedeutender Unterstützungsmechanismus! DerEinfluss der Familie auf das Verhal-ten des Sportlers dominiert mit 75Prozent gegenüber Team, Trainer,Freunde/Freundin.

• Die sportliche Selbsteinschätzung imTeamgefüge ist für die Spieler nachwie vor schwierig. die Frage, ob siesich selbst unter den ersten vier Spie-lern einer Mannschaft sehen, ant-worten 60 Prozent realistisch und 40Prozent ordnen sich selbst zu hochein.

• Die Spieler suchen Freundschafteninnerhalb ihrer Mannschaften, vorallem die im Internat untergebrach-ten Juniorenspieler. Gleichzeitig ste-hen sie aber auch in Konkurrenzzueinander!

• Die Konkurrenz fördert Neid. 37 Pro-zent der Befragten empfinden beistarken eigenen Leistungen starkenNeid der Konkurrenten, weitere 40Prozent mittleren Neid.

Diese Ergebnisse zu den sozialen Beziehungen lassen klare Schlussfol -gerungen zu. Die Rückmeldung undder Austausch bei sportlichen Proble-men ist nicht unbedingt so, wie dieSpieler sie erhoffen beziehungsweiseerwarten. In vielen Fällen ist es sinnvolldie Eltern bei schulischen und sportli-chen Karriereplanungen mit einzubin-den.

Kommunikation mit dem TrainerDer Austausch mit dem Trainer ist fürdie Spieler hinsichtlich ihrer Entwick-lung als Persönlichkeit bedeutend.Sinnvolle Auseinandersetzungen überLernfortschritte und Leistungsverhaltensind unmittelbar mit dem allgemeinenLernprozess verknüpft. Wie bereits bei den ersten beiden Themenkomplexen zu Belastung undsozialen Beziehungen wird die Rolledes Trainers in den Befragungsergeb-nissen widersprüchlich dargestellt.• 50 Prozent der Stamm- und sogar 70

Prozent der Auswechselspieler wün-schen sich mehr Gespräche mit demTrainer über ihre sportliche Situation.Dagegen wollen sie sich mit ihm weniger über persönliche Dinge aus-tauschen.

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50 InternatIonaler traIner-Kongress 2011

Belastung in der Leistungsausbildung Soziale Beziehungen

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• Die Kommunikation mit dem Trainerwirkt der Abwärtsangst entgegen. Jebesser der Austausch eingeschätztwird, desto geringere Ängste habendie Spieler vor dem sportlichen undpersönlichen Abstieg. Vor allem Ein-zelgespräche, also eine individuelleBetreuung, werden eingefordert.

• 51 Prozent wenden sich bei sportli-chen Problemen nicht von sich ausan den Trainer! Trotz ihrer hohenBundesligaorientierung suchen dieSpieler nicht das Gespräch mit demTrainer. Bei der Einschätzung dersportlichen Leistung vertrauen sieeher ihren Eltern, obwohl die Zu-sammenarbeit zwischen Trainer undSpieler den eigentlichen Kern dersportlichen Entwicklung darstellensollte.

Die Ergebnisse der Untersuchung zei-gen eindeutig auf, dass die Spieler einegute Kommunikation mit dem Trainerals förderlich und eine negative als hin-derlich – für ihre sportliche Entwick-lung – empfinden.

Mitwirkung und BildungsniveauIn diesem Themenkomplex wurde un-tersucht, inwieweit die Spieler diesportlichen Vorgaben hinterfragen, sichselbst einbringen und ihre Bildung sichauf die Entwicklungsprozesse auswirkt.Bereits der erste Wert ist ernüchternd: • 93 Prozent der Spieler setzen sich

nicht oder kaum damit auseinander,

wie das Training gestaltet werdenkönnte. Sie sind inaktiv, nur Emp-fänger von Vorgaben und verstehendas Training nur selten als ihre Ent-wicklungschance. Selbstständigkeitund eine kritische Auseinanderset-zungsfähigkeit werden damit ver-nachlässigt. Aber die Spieler sollenauf dem Platz aktiv sein, Problemelösen, Initiative ergreifen und Ver-antwortung übernehmen! Es istwichtig, dass die Trainer das Trainingals angereicherte Qualifizierungs-maßnahme verstehen.

• Knapp 50 Prozent der Leistungsfuß-baller sind mittlerweile Gymnasias-ten. Im Durchschnitt ist damit derAnteil an Gymnasiasten deutlichhöher als in der Bundesbevölkerung.Der Fußball hat sich verändert!Heute und zukünftig müssen sich sowohl Spieler als auch Trainerschon in frühen Jahren der Talent-förderung mit schnelleren und tak-tisch anspruchsvolleren Aufgabenanfreunden, was höhere sensomoto-rische und kognitive Qualifikationenfordert.

• Der Anteil des durch den Leistungs-fußball versäumten Unterrichtssteigt. Besonders für die guten Spie-ler, die in Landes- und U-National-auswahlmannschaften eingesetztwerden, verpassen viele Unterrichts-stunden. Ohne Schulkooperationkönnte ein Lehrer daher zu Recht

darauf verweisen, dass man diesenSchüler nicht bewerten kann!

Aufgrund komplexerer Anforderungenkorrespondiert die Leistungsentwick-lung der Fußballtalente zunehmendmit dem Bildungsniveau. Die Persön-lichkeitsentwicklung benötigt einebreite und stabile Grundlage, dazu ge-hört auch die schulische Qualifikation.

Persönlichkeitsentwicklung im Fuß-

balltraining

Zwei Ansätze begründen, warum Fuß-balltraining auch Persönlichkeitsent-wicklung beinhaltet.

Verändertes FreizeitverhaltenEinerseits erlaubt die enge Zeitplanungzwischen Schule und Leistungssportden Jugendlichen kaum noch Räume,in denen sie sich mit Gleichaltrigentreffen und entwickeln können. Nor-male Entwicklungssituationen wie Dis-kussionen, Auseinandersetzungen, dasErleben von Gemeinsamkeiten, Grup-pengefühl und auch das Positionierenin einer Gruppe ist damit nicht mehr soeinfach möglich. Entwicklungsprozessein der Peer Group finden jedochebenso innerhalb der Mannschaft dem-nach auch im Training statt.

Leistungsentwicklung und Persönlich-keitsentwicklung zusammen gestaltenAndererseits ist Persönlichkeit ein Be-reich der Qualifikation, der im Sinne

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InternatIonaler traIner-Kongress 2011 51

Kommunikation mit dem Trainer Mitwirkung und Bildungsniveau

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der Leistungssteigerung mit zu ent -wickeln ist. Wenn man in der Leis-tungsspitze weiterkommen möchte,sollten Trainer und Verein die Leis-tungs einschätzung und Selektion nicht ausschließlich nach herkömmlichenKriterien einstufen. Ein starres Stärken-Schwächen-Profil bildet nicht den Spie-ler ab. Die Verantwortlichen können dagegendynamische Prozesse der Persönlich-keitsentwicklung annehmen, Verän-derlichkeiten akzeptieren, die Spielernicht in Schemata pressen und ihnenimmer wieder neue Möglichkeiten er-öffnen.

Persönlichkeitsentwicklung als Trai-ningsinhaltDie Entwicklung der Persönlichkeit istein Prozess, der eine eigene Dynamikin der Auseinandersetzung mit der Um-welt darstellt. Die Veränderbarkeit vonpersonalen und sozialen Kompetenzenist Ansatzpunkt für den Trainer. Wieauf die fußballspezifischen Leistungs-faktoren kann er auch Einfluss auf diePersönlichkeitsentwicklung der Talentenehmen.

Trainer, die diese Veränderbarkeit nichtnutzen, vernachlässigen Entwicklungs-möglichkeiten. Es ist erforderlich, denTunnelblick auf reine Fußballinhalteabzulegen und die bestehenden Po-tentiale zur Persönlichkeitsentwicklungzu nutzen. Im Training sind alle Ein-flussfaktoren auf die Leistung zu be-rücksichtigen. So ist es zum Beispiel möglich durchRollenzuweisung die Simulation vonDrucksituationen, Verantwortlichkeitengegenüber Team und Trainer undkleine, in der Praxisdemonstration vor-gestellte Kniffe, kann verantwortungs-volles und konsequentes Verhaltengeschult werden, ohne dass die Fuß-ballinhalte verändert werden. Damitwerden die Situationen und Rollen fürdie Spieler verständlich greifbar, sinn-haft und handhabbar, was sich positivauf das Kohärenzgefühl der Talenteauswirkt.

Angereichertes FußballtrainingDas Fußballtraining muss nicht neu erfunden werden. Es ist problemlosmöglich, personale und soziale Kom-petenzen in alltäglichen fußballspezifi-

schen Trainingsformen einzuüben.Lernfortschritte und Lernsituationen imsportlichen Training sollten deshalbunmittelbar die allgemeinen Entwick-lungsaufgaben, (wie z. B. personaleund soziale Kompetenzen) berücksich-tigen.

Ausblick: Studienergebnisse auf eine

breitere Basis stellen

Die im Beitrag dargestellten Ergeb-nisse und die daraus abgeleiteten Trainingsvorschläge können in dennächsten Jahren in einen breiterenKontext gestellt werden. Es muss inweiteren Forschungsansätzen geklärtwerden, ob die bisherigen Ergebnisseebenso auf den Frauen- und Mädchen-fußball zu übertragen sind. Eine Längs-schnittuntersuchung, bei der einzelneSpieler über einen längeren Zeitraumbegleitet werden, würde neue Perspek-tiven eröffnen. Ein wichtiger Schritt, die Erkenntnissein die alltägliche Arbeit mit Junioren-fußballspielern einfließen zu lassen, istschließlich ein Modul zur Persönlich-keitsentwicklung in der Traineraus -bildung. •

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52 InternatIonaler traIner-Kongress 2011

Angereicherte Entwicklungsaufgaben in der Praxis

Unabhängigkeit –Fähigkeit zur

selbstständigen Auseinandersetzung

Emotionale Unabhängigkeitvon Trainer und Eltern

entwickeln

Sich nicht irritieren lassen

Stimmung in der Mannschaftwahrnehmen und sich davon

lösen können

Meinungsmache der Medien

Verantwortung

Eigene Fitness entwickeln

Eigene Leistung verantworten

Stärken und Schwächen richtig einsetzen

Soziale Verantwortung

Handlungsfähigkeit –Eigene Problem -

lösungskompetenz

Erfahrungen sammeln

Kommunizieren

Gemeinschaftliche

Ziele umsetzen

Eigene Ziele integrieren

Durchsetzungsfähigkeit

entwickeln

Selbständige Problemlösung

in unbekannten Situationen

realistische Maßnahmen

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InternatIonaler traIner-Kongress 2011 53

Bälle ins Partnerfeld spielen

• Jeder Spieler im Schussfeld muss einen Ball erfolgreichzum Partner gespielt und jeder Spieler im Annahmefeldeinen Ball erfolgreich kontrolliert haben!

• Zuspiel aus der Hand mit der Innenseite.• Ballkontrolle ohne Bodenkontakt: Anstoppen mit Brust,

Kopf oder Oberschenkel, dann den Ball fangen (2 Kontakte).

Gemeinsame Zusatzaufgabe

• Hier: der Größe nach aufstellen.• Durchgang 2: dem Alter nach aufstellen.• Variationsmöglichkeiten: Erschweren durch stumme Kom-

munikation und verschiedene Aufgaben aus Fußball, an-deren Sportarten, Gesellschaft, Geschichte usw.

Alle Bälle ins leere Feld

• Alle Spieler passen gemeinsam die Bälle zielgenau insleere Feld. Fehlschüsse spielt der Torhüter zurück.

• Variationsmöglichkeiten: verschiedene Schuss- und Pass-techniken, Eigen-/Fremdvorlage, vom Boden oder volleyusw.

Gemeinsamer Felderwechsel

• Das komplette Team inklusive des Torhüters wechselt Handin Hand das Feld. Hier: Auf dem linken Bein springen.

• Nach dieser Aufgabe beginnt der zweite Durchgang.• Im zweiten Durchgang Felderwechsel variieren, z. B. Rück-

wärtslauf o.ä.• Nach zwei Durchgängen: welches Team war schneller?

Teilaufgaben des Spiels

1

2

3

4

10 11

9.

9.

8

8

77

6.

6.

5

4

3

3

2

11

11

Inselspiel als Teamwettkampf

Organisation und Ablauf

• Die Spieler in zwei Mannschaften einteilen, jede Mann-schaft in zwei Gruppen. Diese stehen sich in parallelen Fel-dern, den „Inseln“, wie in der Abbildung gegenüber.

• Die Gruppe mit den Bällen spielt die Bälle zu den Partnernauf der Insel gegenüber: Jeder Spieler mit Ball muss einenBall zum Partner bringen, jeder Spieler ohne Ball muss einZuspiel unter Kontrolle bringen. Das Team kann die Auf-gabe nur erfüllen, wenn alle Mitglieder dies schaffen!

• Verunglückte Zuspiele/Ballkontrollen spielt der Torhüterins ursprüngliche Feld zurück, bis die Aufgabe erfüllt ist.

• Sind alle Bälle auf der Partnerinsel, laufen die Spieler zwi-schen den Feldern zusammen und erfüllen eine Zusatzauf-gabe (siehe unten), bevor sie als komplettes Teamgemeinsam alle Bälle in das leere Feld schießen.

• Dann wechseln sie als komplettes Team und Hand in Handdie Felder. Nun beginnt der zweite Durchgang. WelchesTeam hat zuerst beide Durchgänge absolviert?

• Ziele: Kooperation, Verantwortung, Motivation, Problem -lösungskompetenz, Führungsrollen.

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54 InternatIonaler traIner-Kongress 2011

10

9.8

7

6.5

43

2

1

11

Ballstafette mit Zusatzaufgaben

Organisation und Ablauf

• Die Mannschaft mit einem Ball befindet sich beim Spiel-start im Mittelkreis.

• Aufgabe: Torabschluss außerhalb des Strafraums nacheiner Ballstafette, in der jeder Spieler den Ball minde-stens einmal berührt hat.

• Maximal zwei Ballkontakte pro Spieler.• Nach der Kennenlernphase: Abschluss innerhalb von 10

Sekunden!

Hinweise

• Die Mannschaften sollen sich eine Strategie ausdenken,mit der sie die Aufgabe schnell und sicher erfüllen kön-nen. Foto: Das Team Orange passt den Ball im Kreis, dervorletzte Spieler legt dem letzten den Ball zum Torschussin den Lauf. Team Gelb berät sich in der Zwischenzeit.

• Ziel: Problemlösungskompetenz, Kreativität, Führungs-rolle, Kommunikation usw.

Variationen

• Direktspiel.• Die Spieler werden durchnummeriert und müssen in der

entsprechenden Reihenfolge zueinander passen.• Der Trainer ruft im Laufe der Passfolge eine Spielernum-

mer. Der aufgerufene Spieler muss innerhalb des Straf-raums eine Flanke abschließen.

10

9.

8

5

4

8

7

6.

3

Flugballeckchen

Organisation und Ablauf

• Eckenspiel in zwei Feldern mit einem Ball: 4-gegen-2bzw. 3-gegen-2 mit maximal zwei Kontakten in den bei-den Feldern, wobei die beiden Verteidiger zunächst zwi-schen den Feldern postiert sind und entscheiden müssen,wo sie den Ball jagen.

• Die Spieler mit Ball können einen Flugball in das andereFeld spielen, um die Verteidiger laufen zu lassen (s. Abb.).Der Flugball darf nicht auf dem Boden aufticken undmuss mit dem ersten Kontakt in der Luft volley wiederins Eckchenspiel gebracht werden.

• Die Defensivspieler müssen ihre Strategie so anpassen,dass sie in einem der Felder den Ball erobern. Foto: diebeiden Spieler links im Bild sind die Defensivspieler, dieeinem Flugball hinterhersprinten, um Druck auf den Ballzu bekommen, bevor er sicher kontrolliert wird.

• Bei Balleroberung wechselt der Spieler in die Mitte, derden Ballverlust verursacht hat. Der am längsten in derMitte befindliche Spieler wechselt aus der Mitte heraus.

Hinweise

• Ziele: Strategie, Kommunikation, Frustrationstoleranz.• Vereinfachen: Der Flugball darf einmal aufticken. Bälle,

die außerhalb des Feldes landen, dürfen mit dem erstenKontakt ins Feld zurückgespielt werden.

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InternatIonaler traIner-Kongress 2011 55

10

10

11

8

7

7

6.

4

4

Spielform 3-gegen-1 auf 6-gegen-3

Organisation und Ablauf

• Drei-gegen-1 im kleinen zentralen Feld. • Erobert der Spieler in der Mitte den Ball, sucht er sofort

einen seiner Mitspieler im großen Feld. Dort 6-gegen-3.• Gewinnt das Dreierteam den Ball wieder zurück, dann

müssen sie möglichst schnell ins zentrale Feld zurück-kommen, um dort wieder in Überzahl spielen zu können.

• Es muss nicht immer der gleiche Spieler des 6er-Teams indie Mitte zum 3-gegen-1.

• Die Überzahlmannschaft spielt jeweils nur mit zwei Kon-takten.

Hinweise

• Ziele: Kommunikation, Strategie, Kreativität, Führungs-rollen, mit ungewohnten Anforderungen konfrontieren.

Akive Erholung: Jonglieren mit Zusatzaufgabe

Organisation und Ablauf

• Die Spieler in Dreiergruppen mit je einem Ball einteilen,in der Gruppe freies Jonglieren.

• Zusatzaufgaben während des Jonglierens:- Gruppe 1: Ein Hütchen umherreichen (Foto)- Gruppe 2: Ein Leibchen umherreichen- Gruppe 3: Von 1.111 abwärts zählen- Gruppe 4: Von 1.111 aufwärts zählen- usw.

• Fällt der Ball auf den Boden, gilt dies als Fehler. DasTeam, das als erstes drei Fehler erzeugt, verliert.

Hinweise

• Drucksituation, Kooperation, Kommunikation.

Auslaufen mit Zusatzaufgabe

Organisation und Ablauf

• Die Mannschaft läuft gemeinsam 5 Runden aus.• Nach einer Runde stellt der Trainer eine Frage. Wenn die

Mannschaft diese Frage beantwortet, muss sie nur eineRunde weniger laufen bzw. kann sofort aufhören, Run-den zu laufen. Wird die Frage nicht oder falsch beant-wortet, folgt eine neue Frage.

• Mögliche Fragen:- Wie war die Reihenfolge der ersten acht Vereine nach

der letzten Bundesligasaison?- Wer waren die letzten fünf Gewinner des „Goldenen

Schuhs“?- ...

Hinweise

• Kommunikation: typische Jugendthemen, die sonst inder Peer Group besprochen werden.