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Geographie „Ballermann“ war besser Qualitätstourismus auf Mallorca: Thomas Schmitt Ballermann, Betonburgen, Billigtourismus: Von diesem Negativimage will Mallorca weg, hin zum umweltverträg- licheren, hochwertigen und teuren Qualitätstourismus auf einer grünen behüteten Insel. Aber ist der Qualitäts- tourismus tatsächlich verträglicher als der Massentouris- mus? Langjährige Studien zur Landschaftsveränderung auf Mallorca zeigen das Gegenteil. Abb. 1: Massentourismus auf Mallorca – Ballermann, Betonburgen und Urlauberschwemme am Strand. Geowissenschaften Rubin 2007

Qualitätstourismus auf Mallorca: „Ballermann“ war besser · den Residenzialtourismus ist die Ge-meinde Calvia im Südwesten der In-sel (Abb. 5a u. b). Hier lassen sich ... Macchie

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Geographie

„Ballermann“ war besserQualitätstourismus auf Mallorca:

Thomas Schmitt Ballermann, Betonburgen, Billigtourismus: Von diesem Negativimage will Mallorca weg, hin zum umweltverträg-licheren, hochwertigen und teuren Qualitätstourismus auf einer grünen behüteten Insel. Aber ist der Qualitäts-tourismus tatsächlich verträglicher als der Massentouris-mus? Langjährige Studien zur Landschaftsveränderung auf Mallorca zeigen das Gegenteil.

Abb. 1: Massentourismus auf Mallorca – Ballermann, Betonburgen und Urlauberschwemme am Strand.

Geowissenschaften Rubin 2007

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Die Urlauberschwemme, die Mallorca seit Beginn der 1960er Jahre in immer grö-

ßerem Ausmaß überflutete, löste seinen unkontrollierten Bauboom aus. Allein in der Anfangsphase des Tou-rismus verachtfachte sich die Zahl der Urlauber auf Mallorca von 360.000 (1960) auf über 2,8 Mio. (1973, s. Abb. 3). Die Ölkrise (1973) brach-te diese Entwicklung kurzzeitig zum Stillstand; zu Beginn der 1980er Jah-re setzte dann die zweite Wachstum-sphase mit einer weiteren Verdopp-lung der Touristenzahlen ein. Die von der Urlauberflut betroffenen Küsten-regionen büßten einen großen Teil ihrer Natur- und traditionellen Kul-turlandschaft unwiederbringlich ein. Betonburgen säumen die Küsten und repräsentieren diesen Prozess der Landschaftszerstörung, der in der spa-nischen Fachliteratur als „Balearisie-rung“ traurige Berühmtheit erlangt hat. Fortgesetzte, auf Billigangebote ausgerichtete Fehlentwicklungen in der Erschließung und Bebauung der Insel lockten eine besondere Urlau-berklientel mit gesellschaftlich wenig akzeptierten Umgangsformen an und sorgten dafür, dass Mallorca interna-tional zunehmend auf ein „Sonne, Sex und Suff“-Image reduziert wurde. Die Balearenregierung sah dem Ima-geverlust Mallorcas lange untätig zu. Sie betrieb eine absolute Vorrang-politik für den Tourismus, aus dem ca. 80 Prozent des Bruttoinlandpro-duktes der Insel stammen. Ein Um-denken begann erst, als in den aus-gehenden 1980er Jahren die Inflati-on in den Herkunftsländern der Tou-risten und die wachsende Stärke der spanischen Währung für eine Verteu-

erung des Urlaubs auf der Insel und so für ein jähes Ende des Booms sorgte. Der Sturz der Wirtschaftsbilanz weck-te den politischen Willen zur Begren-zung des Massentourismus und zur Etablierung von gehobenen, teuren Tourismusformen. Der erste Schritt zu einer umwelt-verträglicheren touristischen Land-schaftserschließung ließ noch bis 1991 auf sich warten, als ein Gesetz zur Bauordnung in speziell ausgewie-senen Schutzgebieten erlassen wur-de. Es erscheint zeitgleich mit der Absicht der balearischen Regierung, Kapital aus der Schönheit der noch nicht erschlossenen inneren Inseltei-le zu schlagen und dort andere, ver-meintlich landschaftsschonendere Ar-ten des Tourismus zu etablieren. Seit-her versucht die balearische Touris-muspolitik mit den Leitmotiven „Na-turschutz“ und „Qualitätstourismus“ dem Urlauber ein neues Image zu ver-kaufen: das einer grünen, naturnahen, behüteten Insel. Doch der Reformprozess wurde vom Zeitgeschehen überrollt: Politische Krisen im östlichen Mittelmeergebiet

(z.B. Golfkrise, Balkankrieg) und der eröffnete Markt in den neuen Bun-desländern führten ab 1991 zu einer starken Zunahme der Touristenzahlen (vgl. Abb. 3). Erst im Jahr 2000 ende-te der neue Boom. Mitverantwortlich dafür war sicher die schlechte Pres-se, die Mallorca aufgrund der Ein-führung der geringfügigen Ökosteu-er erhielt. Sie sollte in Maßnahmen zur Erhaltung von Natur-, Landschaft- und Umweltqualität fließen. Es zeigte sich, dass auch und gerade auf Mal-lorca fromme Wünsche an harten

Ökosteuer weg – wieder mehr Touristen

wirtschaftlichen Realitäten, Lobbyis-mus und kurzzeitigem Profitdenken scheitern. Die für die Einführung der Ökosteuer verantwortliche Regierung wurde angesichts der sinkenden Ur-lauberzahlen abgewählt, die neue Re-gierung nahm die Steuer umgehend zurück und tatsächlich stiegen die Touristenzahlen wieder an. Handelt es sich bei der vielbeschwo-renen Absicht zur Abkehr vom Mas-

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Abb. 2 links: Bettenburgen säumen die Küsten und prägen das Image der Insel ne-gativ: „Balearisierung“ ist das Phänomen.

Abb. 2 rechts: Idyllische Ferienvilla mit eigenem Pool. Das lassen sich Touristen etwas kosten, so hofft man.

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tourismus) gehen mit der die Ent-wicklung eines hochrangigen Hotel-lerie- und Gastgewerbes einher. Aber ist diese Art des touristischen Angebots wirklich umweltschonen-der? Unsere intensiven Studien zum Landschaftswandel auf Mallorca-zeichnen ein anderes Bild: Es han-delt sich ganz im Gegenteil um eine hochgradig landschaftsverändernde und ökologisch nachteilige Form des Tourismus mit höchsten Flächenan-sprüchen. Da sich die bestehenden massentouristischen Zentren für ei-nen Qualitätstourismus nur begrenzt eignen, greift die Etablierung des An-gebots zwangsläufig auf noch nicht er-schlossene Räume über. Dabei entfal-tet der Nautische Tourismus sein zer-störerisches Potenzial hauptsächlich in den Meeres- und Küstenökosyste-men. Hafenanlagen mit weit ins Meer hineinragenden Molen verändern na-türliche Strömungen und führen zur Erosion von Sandstränden. Durch den Golf-, vor allem aber durch den Re-sidenzialtourismus steigt der Land-schaftsverbrauch drastisch an: Wäh-rend sich der Bau von Zweitwohnsit-zen in den 1980er Jahren noch fast ausschließlich auf die Küsten kon-zentrierte, ist heute die intensive re-sidenzielle Erschließung des landwirt-schaftlich geprägten Inselinnern und des Gebirges (Serra Tramuntana) un-verkennbar. Der Residenzialtouris-mus ist unter ökologischen Aspekten und aus Sicht des Landschafts- und Naturschutzes die wohl aggressivs-te Tourismusform auf Mallorca und zugleich die einzige, die noch immer völlig ohne Planung verläuft. Allein marktwirtschaftliche Gesetze von An-gebot und Nachfrage bestimmen seine Entwicklung und bedingen eine ex-zessive Zunahme an Zweitresidenzen mit einem entsprechenden Verbrauch der Umweltressourcen Landschaft, Boden und Wasser. Die Volkszählung 2001 erbrachte, dass die Anzahl der Zweitwohnsitze in einigen Gemein-den die der Hauptwohnsitze über-steigt (Abb. 4). Verständlicherweise wächst in der einheimischen Bevöl-kerung sicht- und hörbar die Ableh-nung gegen den „Ausverkauf Mallor-

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Abb. 3: In den vergangenen 45 Jahren sind die Touristenzahlen auf Mallorca explodiert. Rück-gänge waren vorübergehend durch die Ölkrise (1973), durch wirtschaftliche Entwicklungen in Europa Ende der 1980er Jahre und bei Einführung der Ökosteuer im Jahr 2000 zu verzeichnen.

Anstieg der Touristenzahlen

Mio.9,0

8,5

8,0

7,5

7,0

6,5

6,0

5,5

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,060 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04

jährliche Wachstumsrate TouristenzahlJahr

30%

20%

10%

0%

-10%

-20%

-30%

Tour

iste

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Wac

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sentourismus etwa nur um ein Lip-penbekenntnis? Wenn ja, welchen Sinn könnte es haben?Die planlose Bautätigkeit, die das Ne-gativimage der Insel mitbestimmte, führte in den touristischen Ausbauzo-nen nicht nur zur Bedrohung und Ver-nichtung der Umweltqualität, sondern damit auch zur Zerstörung der touris-tischen Qualität. Dem begegnete man mit der Erschließung neuer Räume von noch hoher Güte und integrier-te so immer größere Teile der Insel in den zerstörerischen Kreislauf „Er-schließung – Qualitätsverlust – mas-sentouristisches Billigziel“. Die tou-ristische Überprägung von weiten Tei-len ihrer Insel hat bei der mallorqui-nischen Bevölkerung in den 1980er und 1990er Jahren ein ausgeprägtes Bewusstsein für die notwendige Be-grenzung des Tourismus geschaffen. Die Einbeziehung neuer Räume in die

touristische Erschließung – eine un-ausweichliche Notwendigkeit bei der Etablierung des Qualitätstourismus – konnte in der Bevölkerung nur Rück-halt finden, wenn der Eindruck ver-mittelt wurde, dass dies ein probates Mittel zur Begrenzung des Massen-tourismus ohne finanzielle Einbußen ist. Sollte hier der Sinn des Lippenbe-kenntnisses liegen? Das Konzept des in den 1990er Jah-ren aufstrebenden mallorquinischen Qualitätstourismus baut auf die Er-neuerung und größere Vielfalt des Urlaubsangebotes mit abwechslungs-reichen Angeboten abseits des klas-sischen Badetourismus und verfolgt die Dezentralisierung des Tourismus. Das neue Angebot ist qualitativ hoch-wertig, d.h. vor allem teuer: Die Anla-ge von Golfplätzen (Golftourismus), Yachthäfen (Nautischer Tourismus) und Zweitwohnsitzen (Residenzial-

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Nutzflächen (z.B. Oliven- und Man-delhaine) sowie von natürlichen Steil-küsten (Abb. 6). An ihre Stelle sind bebaute Flächen und urbane Freiflä-chen getreten. Die Erholungsfunktion der Landschaft (touristisches Potenzi-al) sowie ihre Lebensraumfunktion für

Zahl bedrohter Arten steigt

Flora und Fauna (Naturschutzpoten-tial) sind in allen vom Residenzial-tourismus geprägten Arealen der In-sel nachweislich drastisch zurückge-gangen. Dadurch sinkt die Biodiversi-tät der Insel und die Roten Listen der gefährdeten und vom Verlust bedroh-ten Biotope, Tier- und Pflanzenarten wachsen sprunghaft an. Aber damit nicht genug: Auch auf eine Vielzahl anderer Umweltas-pekte wirkt sich der Qualitätstouris-mus negativ aus. Dies gilt insbeson-dere für die Wasserressourcen. Trotz

cas“ und gegen eine weitere kulturelle Überfremdung ihrer Gemeinden.Ein repräsentatives Beispiel für den hohen Landschaftsverbrauch durch den Residenzialtourismus ist die Ge-meinde Calvia im Südwesten der In-sel (Abb. 5a u. b). Hier lassen sich mit dem Golf- und dem Nautischen Tourismus zwei weitere Formen des Qualitätstourismus identifizieren. Der gravierende Landschaftswandel nahm etwa 1990 mit der Anlage des ersten Golfplatzes und dem Ausbau von Zweitwohnsitzen seinen Anfang. Bis 2004 entstanden in der Gemeinde Calvia fünf der insgesamt 18 Golfplät-ze Mallorcas und über 20.000 Zweit-wohnsitze. Der Landschaftsverbrauch macht sich bemerkbar im Verlust von typischen Elementen und Biotopen des klassischen mallorquinischen Landschaftsbildes, z.B. von Kiefern-wäldern, Garrigue (Strauchheiden), Macchie (Gebüschformationen) und traditionellen landwirtschaftlichen

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der bereits in den 1980er Jahren sehr angespannten Trinkwassersituation sind die beiden folgenden Jahrzehnte durch einen steten Anstieg von För-derung und Verbrauch gekennzeich-net. Die Höhe des Wasserverbrauchs korreliert eng mit dem touristischen Erschließungsgrad der Gemeinden und der vorherrschenden Tourismus-form. Viele der ländlichen Gemein-den verzeichnen nur einen Pro-Kopf-Verbrauch von weit weniger als 100 l Wasser pro Tag (Abb. 7), während der Konsum in zahlreichen touristischen Gemeinden, so auch in Calvia mit sei-nen vielen Zweitwohnsitzen, auf mehr als 250 l pro Kopf und Tag ansteigt und gelegentlich sogar über 400 l liegt (z.B. in Alcudia und Son Serve-ra, wo, wie in vielen Küstengemein-den auf Mallorca Massen- und Qua-litätstourismus nebeneinander existie-ren). Zwar liegen keine exakten Da-ten über den Anteil des Qualitätstou-rismus am Wasserverbrauch vor, aber

Abb. 4: In Gemeinden wie Calvia und Andratx im Südwesten der Insel liegt der Anteil von Zweitwohnsitzen bei über 60 Prozent. Nach einer internen Studie der Universität der Bale-aren ist durch den Verkauf von Zweitwohnsitzen bereits ein Fünftel der Inselfläche in aus-ländisches, überwiegend deutsches Eigentum gelangt. In vielen Gemeinden beträgt der An-teil von europäischen Ausländern an der Wohnbevölkerung zwischen 10 und 15 Prozent, in Gemeinden der Küste sogar bis zu 20 Prozent und mehr.

2°30‘ ö.L. 3°00‘ ö.L. 3°30‘ ö.L.

39°30‘ ö.B.39°30‘ ö.B.

Anteil der Zweitwohnsitze in Prozent

Gemeindegrenze

< 30

30-40

40-50

50-60

>60

Datengrundlage: Govern de Illes Balears 2002

0 5 10 km

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Abb. 5a: Ein Vergleich von Luftbildern vom Puig de sa Sirvi (Gemeinde Calvia) südlich von Santa Ponsa aus den Jahren 1968, 1990 und 2004 (S. 25) lässt auf den ersten Blick das Schrumpfen der Natur- und Kulturlandschaft zugunsten des Qualitätstourismus erkennen.

1968 1990

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Inselverwaltung und Forscher sehen ihn als erheblich an. Besonders kri-tisch sind Residenzial- und Golftou-rismus. Vor allem die bei Zweitwohn-sitzen üblichen Poolanlagen und die ganzjährige Gartenbewässerung, aber auch die Bewässerung von Golfplät-

zen führen zu einem Pro-Kopf-Ver-brauch der Residenzial- und Golftou-risten, der weit über dem Wasseran-spruch „herkömmlicher Touristen“ liegt. So entspricht der tägliche Was-serbedarf eines Golfplatzes von bis zu 2000 cbm dem Tagesverbrauch eines

Ortes mit ca. 8000 Einwohnern. Die Grundwasserentnahme hat zwischen 1989 und 1999 mit 20 Mio. cbm um 23 Prozent zugenommen mit heute noch steigender Tendenz. Ein Ver-gleich der Luftbilder (s. Abb. 5a) ver-deutlicht den Beitrag des Residenzial- tourismus an dieser Entwicklung. Er zeigt nicht nur die enorme Zunah-me an zu bewässernder Gartenflä-che, sondern auch die Zunahme der Zahl der Pools von 173 im Jahr 1990 auf 634 im Jahr 2004. Residenzial- und Golftourismus sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Was-serverbrauch in der Gemeinde Calvia in den Monaten Juli/August mit fast 3000 cbm etwa doppelt so hoch ist wie in den Wintermonaten (Abb. 8). Das ökologische Gleichgewicht von Grundwasserneubildung und Grund-wasserentnahme ist auf Mallorca auf lange Sicht verloren. Die Ausbeute des Grundwassers führte bereits in den 1990er Jahren zur Absenkung des Grundwasserspiegels und Einsicke-rungen von Meerwasser ins Grund-wasser. In der Folge liegt der Salz-gehalt des Wassers aus den Brunnen im gesamten Becken von Palma und auch andernorts bei bis zu 5000 mg/L (Der WHO-Grenzwert für gesund-heitlich unbedenkliches Wasser liegt

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Abb. 6: Der Vergleich der Biotoptypen am Puig de sa Sirvi zwischen 1968 und 1998 zeigt einen deutlichen Rückgang natürlicher Elemente wie Wälder, Steilküsten, Garrigue (Strauchheiden) und Macchie (Gebüschformationen) zugunsten bebauter Flächen und urbaner Freiflächen wie z.B. Grünanlagen, Spielplätze, Golfplätze.

ha

Biotoptypen

Flachküsten

Steilküsten

Triften, Garigue und Macchie

Wälder

landwirtschaftl. Nutzflächen

Brachflächen/Ödland

Urbane Freiflächen

Bebaute Flächen

Freizeitflächen

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1001968 in ha1998 in ha

0,10,0

47,529,6

89,838,4

10,00,00,3

3,1

15,231,6

14,874,7

0,42,5

21,518,1

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Abb. 5 b): Der erste Golfplatz in Santa Ponsa, 1990: Heute ist die Zufahrtsstraße vierspurig und Zweitwohnsitze reihen sich entlang der Straße.

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2°30‘ ö.L. 3°00‘ ö.L. 3°30‘ ö.L.

39°30‘ ö.B.39°30‘ ö.B.

Wasserverbrauch in Liter pro Kopf/Tag

Gemeindegrenze

< 100

100-149

150-199

200-249

250-299

≥ 300

0 5 10 km

Datengrundlage: Blazquez et al. 2002

begrenzenden Faktor der Bevölke-rungs- und Beherbergungskapazi-tät Mallorcas anzusehen. Unter die-sem Aspekt hätte die Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung auf Mal-lorca ihre Grenzen längst erreicht. Aber angetrieben von den vermeint-lich lockenden hohen Gewinnen aus dem Qualitätstourismus sehen die im März 1999 erlassenen Richtlinien zur Raumordnung eine Bebauungsdichte vor, die eine potentielle Einwohner-zahl von 4,2 Mio. ermöglicht. Derzeit beträgt die Einwohnerkapazität Mal-lorcas, d.h. die Zahl der permanenten und temporären Bewohner 1,45 Mio. Die angestrebte Bebauungsdichte kal-kuliert also mit einer maximal mög-lichen Bevölkerungskapazität, die das Sechsfache der aktuellen perma-nenten Bevölkerung und das Dreifa-che der gegenwärtigen Einwohner-kapazität beträgt. Bei vollständiger Umsetzung der Bebauungsrichtlinie hätte Mallorca somit eine potentiel-le Bevölkerungsdichte von 800 EW/qkm. Die Insel würde damit mittel-europäische Länder wie Deutschland

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Wasserverbrauch

Januar/ März/ Mai/ Juli/ September/ November/ Februar April Juni August Oktober Dezember

Abb. 8: Der Tourismus sorgt dafür, dass der Wasserverbrauch in der Gemeinde Calvia in den Sommermonaten doppelt so hoch ist wie im Winter.

Was

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insp

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x 1

000

cbm

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

Abb. 7: Während der Wasserverbrauch in einigen ländlichen Gebieten des Inselinneren bei weniger als 100 Liter pro Kopf und Tag liegt, beträgt er in Gemeinden mit vielen Zweit-wohnsitzen und Golfplätzen z.T. mehr als das Dreifache.

bei 250-500 mg/L, bis 1000 mg/L ist Wasser noch trinkbar. Danach beste-hen Gefährdungen für den Wasser- und Stoffhaushalt der Zellen). Die seit 2000 in der Bucht von Palma be-triebene Meerwasserentsalzungsanla-ge entschärft zwar die Situation. Man

darf aber nicht vergessen, dass die Versorgung mit dem elementarsten „Lebensmittel“ in Abhängigkeit von einer Hightech-Anlage geraten ist. Ökologisch sinnvoll und raumpla-nerisch verantwortungsvoll wäre es, die Wassersituation als natürlichen

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(230 EW/qkm) oder die Niederlande (380 EW/qkm) bei weitem übertref-fen. Diese „Planung“, die sich weder an der sozialen Tragfähigkeit der In-sel noch an der ökologischen orien-tiert, birgt für Mallorca die realisti-sche Gefahr des tiefen ökonomischen Einbruchs, wenn nicht sogar des Zu-sammenbruchs.Unterzieht man den mallorquini-schen Qualitätstourismus also einer kritischen Bewertung, zeigt sich deut-lich, dass es sich hierbei mit Ausnah-me des Agrotourismus (Ferien auf dem Bauernhof) absolut nicht wie stets propagiert um eine umweltver-trägliche Alternative zum Massentou-rismus handelt. Der Begriff „Quali-tät“ bezieht sich nicht auf die Berück-sichtigung von Belangen des Natur- und Umweltschutzes in der Touris-musplanung, sondern charakterisiert allein das Prestige und die Finanzkraft dieser Urlaubsform. Die Anfang der 1990er Jahre unter dem Motto „För-derung eines Qualitätstourismus“ be-gonnene Begrenzungspolitik bestand in Absichtserklärungen zur Limitie-rung der Urlauberzahlen im Billigtou-rismus, verfolgte aber zu keiner Zeit die dringend notwendige räumliche Begrenzung des Tourismus. Die Fehler der massentouristischen Erschließung werden dabei auf ho-hem Preis- und Prestigeniveau wie-derholt. Vorhaben wie der geplante Ausbau des Flughafens Palma (jähr-

liche Abfertigungskapazität ab 2015: 38 Mio. Passagiere), der 133 Mio. Euro teure, von nur 6,9 Prozent der Bevölkerung gebilligte Bau der Au-tobahntrasse Inca-Manacor, die An-lage eines zweiten Autobahnrings um Palma und die Aufhebung des Bau-verbots in besonders geschützten In-selteilen versetzen die Insel zurück in die 60er Jahre. Die mallorquinische

Fehler auf hohem Niveau wiederholt

Tourismuswirtschaft ist dabei, ihr grundlegendes Wirtschaftsgut und -kapital, die Insellandschaft mit ihrem Natur- und Erholungspotenzi-al, ersatzlos zu verspielen. Es drängt sich die Frage auf, zahlt sich diese unverantwortliche Vorge-hensweise wirtschaftlich aus? Nein! Die Mehreinnahmen aus dem Quali-tätstourismus stehen in keinem Ver-hältnis zu den monetären und öko-logischen Kosten ihrer Etablierung. Die Wirtschaftbilanz der Balearen be-legt für 2001 einen Anteil des Golf-tourismus von 1,9 Prozent und des Nautischen Tourismus von 4,4 Pro-zent am Gesamteinkommen aus dem Tourismus. Für den Residenzialtou-rismus liegen keine Daten vor, es ist aber von ähnlichen Größenordnungen auszugehen. Der große Unterschied zwischen traditionellem Massen- und neuem Prestigetourismus besteht da-

rin, dass der Massentourismus sehr viel höhere Einnahmen bei gleichzei-tig sehr viel geringerem Landschafts-verbrauch erzielt. Unter ökologischen Aspekten war der pure Massentouris-mus aufgrund seiner räumlichen Be-schränkung eindeutig umweltver-träglicher als das mallorquinische Modell des Qualitätstourismus, das landschaftlich und ökologisch zer-störerisch wirkt und daher auch ein enormes ökonomisches Schadpoten-zial in sich birgt. Eine bessere Lösung als die Erschlie-ßung immer neuer Gebiete für den Tourismus wäre die Qualitätsverbes-serung in bestehenden Gebieten mit dem Ziel gleich bleibender Gästezah-len. Optische Verbesserungen im Orts-bild und die Aufwertung der Hotel-qualität könnten die bisherigen Mas-senziele wieder attraktiver machen. Gelingt es nicht, auch den „Qualitäts-tourismus“ rasch und räumlich mög-lichst eng zu begrenzen, dann könnte es sein, dass Mallorca keine Zukunft hat, sondern nur eine Gegenwart, die sich sehr schnell in eine dunkle Ver-gangenheit verwandeln könnte.

Prof. Dr. Thomas Schmitt, Geographisches Institut, Landschafts-ökologie und Biogeographie

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