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1 Quantentheoretische Phänomene und Aufstellungsarbeit Dr. Bernhard v. Guretzky 1. Einleitung Matthias Varga (2008) definiert die repräsentierende Wahrnehmung als "die Gesamtheit der spontanen Empfindungsänderungen von Mitgliedern eines Modellsystems mit Abbildungscharakter." Bei dem »Modellsystem« handelt es sich hierbei um eine systemische Strukturaufstellung (SySt) und unter den »Mitgliedern« werden die Teilnehmer, die Repräsentanten, einer solchen Aufstellung verstanden. Von diesen Änderungen körperlicher Empfindungen und nur von ihnen lassen sich Hinweise auf die Empfindungen der zu repräsentierenden Objekte ableiten. Diese Änderungen der körperlichen Wahrnehmungen sind also diejenigen Informationen, mit denen der Gastgeber einer Aufstellung arbeitet. Die Betonung liegt hier auf dem Wort Änderung; denn der Repräsentant nimmt "lediglich Unterschiede zu seinen vorigen Empfindungen" wahr und teilt diese dem Gastgeber mit, er ist also nicht Träger fremder Gefühle. Die im Verlauf einer Aufstellung sich ergebenden Bilder sind folglich auch keine Abbilder einer objektiven Wirklichkeit des Klienten sondern »nur« Möglichkeiten des Modellsystems. Da manchmal die aufgestellten Themen den Repräsentanten auch an eigene Erfahrungen und Empfindungen erinnern, können auch »Resonanzphänomene« die Wahrnehmung beeinträchtigen. Deshalb von »der« Wirklichkeit zu sprechen, die eine SySt repräsentiert, wäre ein therapeutischer Fehler und könnte zu ernsthaften Komplikationen beim Klienten führen. Vielmehr erlaubt die Aufstellung die Durchführung von Probehandlungen; mit ihrer Hilfe lassen sich Veränderungsprozesse des Klienten simulieren, ohne dass dieser "das Risiko der damit verbundenen Konsequenzen tragen muss". Wieso fremde Personen in einer Aufstellung überhaupt – teilweise sogar sehr starke – körperliche Empfindungen spüren, ist ungeklärt; Ziel dieses Blogs ist es ja gerade, Erklärungsmodelle dafür vorzustellen und ihre Passgenauigkeit zu diskutieren. Varga gibt z. B. den folgenden Erklärungsversuch für repräsentierende Wahrnehmung: Er versteht sie als "Gruppenphänomen, das nur durch die Resonanz der repräsentierenden Empfindungen der einzelnen Repräsentanten zusammen mit der Bedeutungsgebung der Klienten entsteht." Was hier der Resonanzkörper sein soll, bleibt allerdings unbestimmt. Seine Frau Insa Sparrer hält dem mit folgenden Worten entgegen (Varga, 2008): "Vielleicht haben wir einfach die Frage falsch gestellt? Wir gehen immer davon aus, dass wir voneinander getrennt sind und diese Verbindung erst herstellen müssen. Es könnte doch sein, dass wir an sich miteinander verbunden sind und es eher darum geht, diese Verbindung nicht zu stören, sondern sie zu fördern, indem wir gute

Quantentheoretische Phänomene und Aufstellungsarbeit

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Dieses Papier versucht eine Verbindung zwischen dem Phänomen der "repräsentierenden Wahrnehmung", wie sie bei Strukturaufstellungen zu beobachten ist und dem dem quantenmechanischen Phänomen der Verschränkung herzustellen.

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Quantentheoretische Phänomene und Aufstellungsarbeit

Dr. Bernhard v. Guretzky

1. Einleitung

Matthias Varga (2008) definiert die repräsentierende Wahrnehmung als "die Gesamtheit der spontanen Empfindungsänderungen von Mitgliedern eines Modellsystems mit Abbildungscharakter." Bei dem »Modellsystem« handelt es sich hierbei um eine systemische Strukturaufstellung (SySt) und unter den »Mitgliedern« werden die Teilnehmer, die Repräsentanten, einer solchen Aufstellung verstanden. Von diesen Änderungen körperlicher Empfindungen und nur von ihnen lassen sich Hinweise auf die Empfindungen der zu repräsentierenden Objekte ableiten. Diese Änderungen der körperlichen Wahrnehmungen sind also diejenigen Informationen, mit denen der Gastgeber einer Aufstellung arbeitet.

Die Betonung liegt hier auf dem Wort Änderung; denn der Repräsentant nimmt "lediglich Unterschiede zu seinen vorigen Empfindungen" wahr und teilt diese dem Gastgeber mit, er ist also nicht Träger fremder Gefühle. Die im Verlauf einer Aufstellung sich ergebenden Bilder sind folglich auch keine Abbilder einer objektiven Wirklichkeit des Klienten sondern »nur« Möglichkeiten des Modellsystems. Da manchmal die aufgestellten Themen den Repräsentanten auch an eigene Erfahrungen und Empfindungen erinnern, können auch »Resonanzphänomene« die Wahrnehmung beeinträchtigen. Deshalb von »der« Wirklichkeit zu sprechen, die eine SySt repräsentiert, wäre ein therapeutischer Fehler und könnte zu ernsthaften Komplikationen beim Klienten führen. Vielmehr erlaubt die Aufstellung die Durchführung von Probehandlungen; mit ihrer Hilfe lassen sich Veränderungsprozesse des Klienten simulieren, ohne dass dieser "das Risiko der damit verbundenen Konsequenzen tragen muss".

Wieso fremde Personen in einer Aufstellung überhaupt – teilweise sogar sehr starke – körperliche Empfindungen spüren, ist ungeklärt; Ziel dieses Blogs ist es ja gerade, Erklärungsmodelle dafür vorzustellen und ihre Passgenauigkeit zu diskutieren. Varga gibt z. B. den folgenden Erklärungsversuch für repräsentierende Wahrnehmung: Er versteht sie als "Gruppenphänomen, das nur durch die Resonanz der repräsentierenden Empfindungen der einzelnen Repräsentanten zusammen mit der Bedeutungsgebung der Klienten entsteht." Was hier der Resonanzkörper sein soll, bleibt allerdings unbestimmt. Seine Frau Insa Sparrer hält dem mit folgenden Worten entgegen (Varga, 2008):

"Vielleicht haben wir einfach die Frage falsch gestellt? Wir gehen immer davon aus,

dass wir voneinander getrennt sind und diese Verbindung erst herstellen müssen. Es könnte doch sein, dass wir an sich miteinander verbunden sind und es eher darum

geht, diese Verbindung nicht zu stören, sondern sie zu fördern, indem wir gute

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Bedingungen dafür schaffen, dass sie ungestört wirken kann."

2. Verschränkung und Komplementarität

Als »Verschränkung« im Kontext der Quantentheorie wird die Tatsache bezeichnet, dass (reine) Systemzustände nicht in entsprechende (reine) Systemzustände von Teilsystemen zerlegt werden können. Görnitz (2002) benutzt im Fall von verschränkten Photonen den Begriff des »Di-Photon«. Aus dem ersten Satz folgt, dass man verschränkte Teilchen stets als Ensemble zu betrachten hat; nur in einer Messung treten dann zwei Teilchen zutage, wobei sie ihre Eigenständigkeit verlieren. Die Eigenständigkeit eines Photons bedeutet etwa die Polarität d.h. dessen Schwingungsrichtung. Mit der Quantentheorie lassen sich Objekte beschreiben, die im Prinzip eine unbegrenzte Ausdehnung oder Wirkung haben, die sich aber nicht teilen lassen. Die klassische Vorstellung der Trennung und Verbindung von Objekten verliert hier ihre Gültigkeit. Verschränkung, Nicht-Trennbarkeit und Aufeinanderbezogenheit von Teilchen führen also dazu, dass die Vorstellung, es handle sich um gesondert zu betrachtende Teile eines Systems mit jeweils eigenen inneren Eigenschaften, weniger bedeutsam ist als die nichttrennbare Natur dieses Systems (Mansfield, 1998, S.148). Dies führt zwangsläufig zu einer holistischen Auffassung der Natur, in der räumlich verstreute »Individuen« ein in Teile nicht separierbares Ganzes mit Ganzheitseigenschaften bildet (Nortmann, 2008, S.161).

Verschränkung oder genauer »Zustandsverschränkung« – die spukhafte Wechselwirkung, als die sie Einstein bezeichnet hatte – ist ein Phänomen, das prinzipiell über beliebig große Entfernungen beobachtet werden kann und weder "durch Wirkungsausbreitung noch durch »verborgene« lokale Beschaffenheiten der involvierten Objekte zu erklären" ist. Also muss die Quantentheorie "Kopplungen unterstellen, die nicht durch lokal begrenzte Wechselwirkungen oder Eigenschaften von Objekten zu erklären sind" (ebd., 160). Deshalb wird diese Annahme als »Nicht-Lokalität« bezeichnet. Die Nicht-Lokalität zwingt dazu, die Vorstellung aufzugeben, Gegenstände als unabhängig voneinander existierende Entitäten zu betrachten, die sich in genau definierten Bereichen lokalisieren lassen.

"Das Plancksche Wirkungsquantum ist diejenige Größe, die den Beziehungscharakter der Wirklichkeit erfasst. Immer dann, wenn man es ignorieren und daher als Null ansehen kann, genügt die klassische Physik und die Beziehungen geraten aus den Augen." (Görnitz, 2008, S.93) Mathematisch gesprochen ist es ein Maß für die Nicht-Kommutatitivität komplementärer Zustandsoperatoren – es ergibt also verschiedene Messergebnisse, ob erst der eine und dann der andere Zustand bzw. umgekehrt gemessen wird. Komplementäre Zustände sind auf eine gewisse Art inkompatibel, andererseits »komplementieren« sie das Gesamtbild eines zu untersuchenden Phänomens. So entspricht dem Teilchenbild die Ortsbestimmung und dem Wellenbild die Impulsbestimmung; nur beide »Bilder« zusammen beschreiben den Gesamtzustand eines Teilchens. Die Nicht-Kommutatitivität von Zustandsoperatoren

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eines Teilchens ist Voraussetzung für Zustandsverschränkungen des zu untersuchenden Systems. Beide Begriffe gehören also zusammen.

Während es in der klassischen Physik gleichgültig ist, ob erst der Impuls eines Teilchen und dann dessen Position bestimmt wird, ist das Plancksche Wirkungsquantum ein Maß für den Unterschied in der Reihenfolge. Für Zustandsgrößen liefert die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation die mathematische Struktur, die für den Einbau der Komplementarität in die Quantentheorie notwendig war. Umgekehrt kann die Komplementarität als ein Ausdruck von Unbestimmtheit verstanden werden. (Görnitz, 2006, S.135) Den Begriff der Komplementarität hat übrigens Bohr aus der Psychologie – genauer von William James – übernommen. James ging davon, dass bei bestimmten Personen das Bewusstsein in zwei Teile gespalten sein könnte und diese Teile Wissen untereinander austauschen. Allein durch die Tatsache, dass man ein Objekt zu einem »Teil« des Bewusstseins erklärt, entfernt man es vom anderen Teil und umgekehrt. (James, 1890, S.206) Dieses Phänomen bezeichnete er als »komplementär«. Umso erstaunlicher ist, dass Jung und Pauli über 50 Jahre später diesen Begriff wieder für die Psychologie nutzbar machten, indem sie etwa damit die Beziehung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem bezeichneten; ganz im Sinne von James' ursprünglichem Gebrauch des Begriffs.

3. Aufstellung als Quantensystem

Nimmt man an (Atmanspacher, 2002), dass auf der Basis einer axiomatisch begründeten Quantentheorie, diese auch Anwendungen außerhalb der Physik hat, so muss es auch Entsprechungen außerhalb der Physik für die Begriffe »Komplementarität« und »Verschränkung« geben. Dazu muss man sich aus dem Korsett einer rein materiellen Sicht, die "letztlich auf einem räumlichen Atombegriff" (Görnitz, 2008, S.53) der klassischen Physik beruht, befreien, um die quantentheoretische Begriffsbildung auf die Psychologie anwenden zu können. So könnte man ganz allgemein »Leib« und »Seele« als komplementäre Zustände einer ursprünglich vorhandenen Einheit betrachten genau so wie das Verhältnis von Bewusstsein zu Unbewusstem oder das Verhältnis der Bewusstseins- (Denken und Fühlen sowie Empfinden und Intuieren) und Einstellungsfunktionen (extravertiert – introvertiert). Die Trennlinie zwischen den beiden komplementären Zuständen wird als »kartesischer Schnitt« bezeichnet; er hebt die ursprüngliche Ganzheit auf und Synchronizitäten können als »Überbleibsel« dieser Einheit verstanden werden.

Die Erkenntnisse der Quantentheorie lassen sich damit auf unser Ich, unser Bewusstsein übertragen (Friedrich, 2008, S.213). Da davon auszugehen ist, dass im Gehirn quantenphysikalische Phänomene ablaufen, so kann man auch davon ausgehen, dass es sich bei der Beziehung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem um eine "Verschränkung zwischen uns selbst und der Welt handelt" (Mansfield, 1998, S.148). Diese Verschränkung würde dem von Sparrer so bezeichneten »Miteinander-

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verbunden-sein« zwischen den Repräsentanten und dem Klienten einer SySt entsprechen. In einer therapeutischen Situation – wie bei einer Analyse oder Aufstellung – existiert diese Trennung unter bestimmten Voraussetzungen dann nicht mehr. Dieses Phänomen ist uns von Zwillingen oder Liebenden bekannt, sie scheinen sich »blind« zu verstehen, so als seien sie auf eine »spukhafte« Weise synchronisiert. Die Erklärungsmetapher für solche Zustände wäre dann die quantenmechanische Verschränkung.

Bei der Trennung, die hier aufgehoben zu sein scheint, werden Quantenzustände erzeugt, die das Bewusstsein des Klienten mit demjenigen des Repräsentanten "verbinden" könnten, wobei der Begriff »Bewusstsein« in diesem Zusammenhang sicher erklärungsbedürftig ist. Ich denke, dass es sich hier eher um eine Verbindung des Unbewussten der Personen handeln könnte und zwar in dem Sinne, wie die Übertragung und Gegenübertragung zwischen Analysand und Analytiker zu verstehen ist. Eine solche »Synchronisierung« könnte über – um den Begriff von Görnitz hier metaphorisch zu verwenden – Di-Photonen ablaufen. Die Intervention des Gastgebers bzw. Analytikers entspräche dann "dem »Messprozess« an den Quantenmöglichkeiten der Psyche der Repräsentanten bzw. des Analysanden. Diese Intervention erzeugt externalisierte Gedanken oder Gefühle, "die ihrerseits neue Möglichkeiten eröffnen, die dem Klienten bzw. Patienten zuvor nicht offen standen".

4. Übertragung – Gegenübertragung – Aufstellung

Sowohl bei der Übertragung wie der Gegenübertragung werden vergangene Erlebnisse bzw. Erfahrungen auf das Gegenüber projiziert. Projektionen sind die Schattenaspekte, also alles was in das Unbewusste verdrängt wird und man zwar beim anderen sehen kann nur nicht bei einem selbst; eben weil es ja unbewusst ist. Unbewusstes wird durch Projektion bewusst gemacht, zunächst allerdings nur für andere. Hier ist der Ansatzpunkt des Analytikers, Unbewusstes auch beim Analysanden bewusst zu machen und dann erst können Projektionen »zurückgenommen« werden. Die Übertragung ist eine spezielle Form der Projektion, nämlich die, welche sich gegen die Analyse wendet. Wenn man sich z. B. in den Analytiker verliebt, blockiert man den analytischen Prozess, weil man in der Analysestunde nur damit beschäftigt ist, sich mit ihm und nicht mit einem selbst auseinanderzusetzen. Entsprechendes gilt bei anderen Affekthandlungen wie Wut etc. Bei der Gegenübertragung kommuniziert der Analytiker quasi auf unbewusster Ebene mit dem Analysanden. Hier werden unbewusste Zustände des Analysanden auf den Analytiker übertragen, die bei ihm Emotionen, Gedanken, innere Bilder, Bedürfnisse, Phantasien oder Wünsche auslösen können und ihm Hinweise auf genau diese (unbewussten) Reaktionen des Analysanden geben.

Analysand und Analytiker sind durch die Übertragung und Gegenübertragung miteinander verbunden. Jung spricht hier von einer "Induktionswirkung, die stets von Projektionen in mehr oder minderem Maße ausgeht, auch beim Analytiker das

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entsprechende unbewusste Material konstelliert". Damit befinden sich beide "in einer auf gemeinsamer Unbewusstheit beruhenden Beziehung" (Jung, 1946, §364) und teilen einen durch gemeinsame Bilder, Gefühle, Fantasien und körperliche Empfindungen definierten Raum (Perry, 1997, S.160). Folgendes Diagramm verdeutlicht diese Situation:

"In diesem Schema sehen wir, wie auf der α-Linie die übliche bewusste Kommunikation zwischen Analytiker und Analysand stattfindet, d.h. beide teilen bewusste Inhalte verbal mit, die vom Bewusstsein aufgenommen werden. Die β-Linie zeigt die Beziehung zwischen dem Bewusstsein des Analytikers bzw. des Analysanden und seinem eigenen Unbewussten. Über diese Linie treten jeweils unbewusste Inhalte in das Bewusstsein und werden dann über α dem anderen mitgeteilt. Dies sind z.B. Träume oder Phantasien. Über γ beobachtet z.B. das Bewusstsein des Analytikers unbewusstes Material beim Analysanden und teilt ihm dies an entsprechender Stelle durch eine Deutung mit, während umgekehrt das Bewusstsein des Analysanden unbewusste Inhalte wie z.B. Fehlleistungen oder stereotype Verhaltensweisen, die dem Analytiker unbewusst sind, feststellen kann. δ ist die therapeutisch wichtigste Linie, da es sich hier um jene unbewusste »participation mystique« der Psyche des Analysanden mit der des Analytikers handelt, die bei jeder zwischenmenschlichen Begegnung eine Rolle spielt und deren Bewusstmachung innerhalb des analytischen Prozesses von großer Wichtigkeit ist." (Dieckmann, 1979, 207f) Übertragung und Gegenübertragung vollzieht sich entlang der γ-Linien. "Mit der Gegenübertragung wird der Analytiker mit der Frage konfrontiert: Was projiziere ich auf meinen Patienten? Und diese Frage wird zu einem wesentlichen technischen und methodischen Hilfsmittel im analytischen Prozess (ebd., S. 212)".

In beiden Fällen handelt es sich um mentale Zustände, die scheinbar nicht zu einem selbst sondern zu dem Gegenüber gehören. Vielmehr sind es Zustände wie Gefühle, Gedanken, innere Bilder, Wünsche, Sehnsüchte oder Phantasien, die diejenigen des Gegenübers und nicht die Eigenen widerspiegeln. Aus diesem Grund können Übertragung wie Gegenübertragung als verwandte Phänomene zur repräsentierenden Wahrnehmung angesehen werden; beide haben einen therapeutischen Wert. Dabei

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handelt es sich – in der Sprache der Quantentheorie – um "verschränkte mentale, nicht materiell induzierte Zustände" (Atmanspacher, 2002) aller Teilnehmer einer Aufstellung, den Repräsentanten, wie dem Klienten als auch dem Gastgeber. Genau wie bei der Übertragung und Gegenübertragung können unbewusste Zustände nur indirekt sichtbar – bewusst – gemacht werden, nämlich durch das Verhalten der Repräsentanten. Indem er die Projektion auf die Repräsentanten zurücknimmt, lernt der Klient unbewusste Inhalte bewusst zu machen. Dieser Bewusstwerdungsprozess durch »Rücknahme der Projektion« entspricht dem quantenmechanischen Messvorgang, denn in beiden Fällen werden globale Zustände (Quantensystem bzw. die Psyche des Analysanden) in einzelne lokale Zustände (der Repräsentanten) aufgeteilt. Damit wird "ein Teil des Bewusstseins", wie Atmanspacher schreibt, "zum Analogon des Messinstruments."

Wir haben hier ein Beispiel, wie die quantentheoretische Beschreibung zweier psychischer Phänomene – repräsentierende Wahrnehmung einerseits und Übertragung/Gegenübertragung andererseits – eine Verbindung dieser Phänomene schafft.

5. Links

[1] Atmanspacher, H. et al. (2002): Weak Quantum Theory: Complementarity and Entanglement in Physics and Beyond; Foundations of Physics, Vol. 32, No. 3.

[2] Dieckmann, H. (1979): "Methoden der Analytischen Psychologie"; Walter Verlag, Olten.

[3] Friedrich, M. (2008): "Vom Neuron zum Qubit"; Tectum Verlag, Marburg.

[4] Görnitz, Th. (2002): Quantentheorie und Bewusstsein; http://www.global-brain-

sounds.info/quantentheorie-und-bewusstsein/

[5] Görnitz, Th. (2006): "Quanten sind anders"; Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.

[6] Görnitz, Th. & B. (2008): "Die Evolution des Geistigen"; Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen.

[7] James, W. (1890): "The Principles of Psychology" Vol. I; Henry Holt, New York.

[8] Jung, C.G. (1946/1957): Die Psychologie der Übertragung; in Gesammelte Werke 16.

[9] Nortmann, U. (2008): "Unscharfe Welt? Was Philosophen über Quantenmechanik wissen möchten";

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.

[10] Mansfield, V. (1998): "Tao des Zufalls, Philosophie. Physik und Synchronizität"; Diederichs.

[11] Perry, C. (1997): Transference and Countertransference", in: "The Cambridge Companion to

Jung", Cambridge University Press.

[12] Varga, M. (2008): Welche Art von Wirklichkeit wird abgebildet? in: Renate Daimler, "Basics

der Systemischen Strukturaufstellungen"; Kösel, München.