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827 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 83 (2006), Heft 12 1 Vorbemerkungen 1.1 Erdbebenschadenspotentiale in Deutschland Wie in aktuellen Beiträgen gezeigt wer- den kann, ist das Risiko infolge Erd- beben auch in Deutschland nicht ver- nachlässigbar (u. a. [1], [2], [3], [4]). Im Vergleich mit anderen Naturgefah- ren lassen erste Studien die Schluß- folgerung zu, daß bei Berücksichtigung der Ereignisse geringer Eintretensraten Schäden und volkswirtschaftliche Ver- luste deutlich über denen infolge Sturm oder Hochwasser zu liegen kommen. In einer Studie zur Synopse der Na- turgefahren für Köln [5] konnte her- ausgearbeitet werden, daß bei geringen Eintretensraten Erdbeben zur maß- geblichen Naturgefahr werden, wenn die Verlustabschätzung als Kriterium herangezogen wird. Dennoch wird das Erdbebenrisiko in Deutschland kaum nachhaltig, sondern nur kurzzeitig – wie zuletzt 1978, 1992 und in gerin- gem Maße auch 2004 (vgl. [6]) – in einer breiteren Öffentlichkeit wahr- genommen. Ereignisse überregionaler Wirkung wie z. B. beim „Mitteleuro- päischen Erdbeben“ vom 16. Novem- ber 1911 [7] sind grundsätzlich mög- lich. Die Erdbebengefährdung ist un- verändert gegeben, ihre bauprakti- schen Konsequenzen lassen sich an- hand der veränderten Zonenkarte der Erdbebenbaunorm nachvollziehen (vgl. [8], [9]). Für deutsche Erdbebengebiete lie- gen seriöse Untersuchungen vor, die eine Abschätzung der Schäden in- folge Erdbeben auf der Basis des ak- tuellen Gebäudebestandes ermögli- chen [2], [10]. Dies gilt auch für Er- eignisse sehr geringer Eintretensraten, die jedoch nicht ausgeschlossen wer- Jochen Schwarz Tobias Langhammer Christian Kaufmann Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg Die Modellstudie Baden-Württemberg erfolgt nach einem intensitäts-orientierten und damit empirischen Ansatz der seismischen Risikoanalyse. Die wesentlichen Bearbei- tungsschritte werden vorgestellt und die Wirklichkeitsnähe bzw. Streubreite der Ergeb- nisse diskutiert. Regionale Unterschiede in der Bausubstanz und daraus abzuleitenden Konsequenzen für die Schadenserwartung werden herausgearbeitet. Vorgeschlagen wird ein Regionalisierungsfaktor, der die Verletzbarkeit der Bauweisen widerspiegelt und eine Modifikation der Schadensfunktionen bedingt; er wird auf Grundlage von umfäng- lichen Datenerhebungen für die Modellregion ermittelt. Vorgehensweisen und die im Modell implementierten Bearbeitungsebenen werden vorgestellt. Szenarien beziehen sich auf historische Erdbeben mit bemerkenswerter Detaillierung der verfügbaren Schüttergebietskarten. Für diese Ereignisse können unter Berücksichti- gung der maßgeblichen Einflußfaktoren von Baugrund und Bauwerksverletzbarkeit in- tensitätskonforme Verluste ermittelt werden. Verluste aus „Maximalereignissen“ werden durch einfache Intensitätssteigerung ermit- telt; in Worst-case-Szenarien werden die für alle Gemeinden jeweils stärksten abge- schätzten Schütterwirkungen infolge der historisch berichteten Erdbeben summarisch überlagert. Durch Ansatz des Anlagevermögens und anderer statistischer Vermögens- werte wird der bezogene Verlust ermittelt. Um den Grad der Betroffenheit darzustellen, werden die Gemeinden nach Einwohner- zahlenklassen differenziert. Die durchgespielten Szenarien bestätigen, daß in der Mo- dellregion weniger großstädtische Zentren, sondern vielmehr Klein- bzw. Mittelstädte bezüglich der Erdbebenvorkehrungen Aufmerksamkeit verdienen. Assessment of damage and loss potentials due to earthquake (2): Model study Baden Wuerttemberg. For the study area of Baden-Wuerttemberg an intensity-oriented and thus empirical approach of seismic risk analysis is taken. Explaining the essential work steps, the proximity to reality and the scatter of the results are discussed. Regional diffe- rences in the building substance and consequences for the damage expectation to be derived thereof are illustrated. A regionalisation factor is suggested, which reflects the vulnerability of building types and leads to a modification of damage functions; it is deriv- ed from extensive data surveys from the model region. The procedures and the process- ing levels implemented in the model are structured transparently and presented in the paper. The scenarios refer to historical earthquakes with remarkable detailing of the available regional shake maps. For these events it can be proven that losses corresponding to the intensity are calculated if the most important influence factors from soil and building vul- nerability are considered. Losses from maximum events are determined by simply increasing the intensity; for worst-case-scenarios the respectively strongest shake effects for all communities are superimposed summarily. By applying the gross domestic capital and other statistical property values a relative loss can be derived. The communities are differentiated regarding inhabitant numbers in order to illustrate differences in how heavily affected they are. The calculated scenarios confirm that in the model region, small and medium- sized towns deserve more attention regarding earthquake preparation than large city centres. Fachthemen DOI: 10.1002/bate.200610072

Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

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827© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 83 (2006), Heft 12

1 Vorbemerkungen 1.1 Erdbebenschadenspotentiale

in Deutschland

Wie in aktuellen Beiträgen gezeigt wer-den kann, ist das Risiko infolge Erd-beben auch in Deutschland nicht ver-nachlässigbar (u. a. [1], [2], [3], [4]).Im Vergleich mit anderen Naturgefah-ren lassen erste Studien die Schluß-folgerung zu, daß bei Berücksichtigungder Ereignisse geringer EintretensratenSchäden und volkswirtschaftliche Ver-luste deutlich über denen infolge Sturmoder Hochwasser zu liegen kommen.In einer Studie zur Synopse der Na-turgefahren für Köln [5] konnte her-ausgearbeitet werden, daß bei geringenEintretensraten Erdbeben zur maß-geblichen Naturgefahr werden, wenndie Verlustabschätzung als Kriteriumherangezogen wird. Dennoch wird dasErdbebenrisiko in Deutschland kaumnachhaltig, sondern nur kurzzeitig –wie zuletzt 1978, 1992 und in gerin-gem Maße auch 2004 (vgl. [6]) – ineiner breiteren Öffentlichkeit wahr-genommen. Ereignisse überregionalerWirkung wie z. B. beim „Mitteleuro-päischen Erdbeben“ vom 16. Novem-ber 1911 [7] sind grundsätzlich mög-lich. Die Erdbebengefährdung ist un-verändert gegeben, ihre bauprakti-schen Konsequenzen lassen sich an-hand der veränderten Zonenkarte derErdbebenbaunorm nachvollziehen(vgl. [8], [9]).

Für deutsche Erdbebengebiete lie-gen seriöse Untersuchungen vor, dieeine Abschätzung der Schäden in-folge Erdbeben auf der Basis des ak-tuellen Gebäudebestandes ermögli-chen [2], [10]. Dies gilt auch für Er-eignisse sehr geringer Eintretensraten,die jedoch nicht ausgeschlossen wer-

Jochen SchwarzTobias LanghammerChristian Kaufmann

Quantifizierung der Schadenspotentialeinfolge Erdbeben Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Die Modellstudie Baden-Württemberg erfolgt nach einem intensitäts-orientierten unddamit empirischen Ansatz der seismischen Risikoanalyse. Die wesentlichen Bearbei-tungsschritte werden vorgestellt und die Wirklichkeitsnähe bzw. Streubreite der Ergeb-nisse diskutiert. Regionale Unterschiede in der Bausubstanz und daraus abzuleitendenKonsequenzen für die Schadenserwartung werden herausgearbeitet. Vorgeschlagenwird ein Regionalisierungsfaktor, der die Verletzbarkeit der Bauweisen widerspiegelt undeine Modifikation der Schadensfunktionen bedingt; er wird auf Grundlage von umfäng-lichen Datenerhebungen für die Modellregion ermittelt. Vorgehensweisen und die imModell implementierten Bearbeitungsebenen werden vorgestellt. Szenarien beziehen sich auf historische Erdbeben mit bemerkenswerter Detaillierungder verfügbaren Schüttergebietskarten. Für diese Ereignisse können unter Berücksichti-gung der maßgeblichen Einflußfaktoren von Baugrund und Bauwerksverletzbarkeit in-tensitätskonforme Verluste ermittelt werden. Verluste aus „Maximalereignissen“ werden durch einfache Intensitätssteigerung ermit-telt; in Worst-case-Szenarien werden die für alle Gemeinden jeweils stärksten abge-schätzten Schütterwirkungen infolge der historisch berichteten Erdbeben summarischüberlagert. Durch Ansatz des Anlagevermögens und anderer statistischer Vermögens-werte wird der bezogene Verlust ermittelt. Um den Grad der Betroffenheit darzustellen, werden die Gemeinden nach Einwohner-zahlenklassen differenziert. Die durchgespielten Szenarien bestätigen, daß in der Mo-dellregion weniger großstädtische Zentren, sondern vielmehr Klein- bzw. Mittelstädtebezüglich der Erdbebenvorkehrungen Aufmerksamkeit verdienen.

Assessment of damage and loss potentials due to earthquake (2): Model study BadenWuerttemberg. For the study area of Baden-Wuerttemberg an intensity-oriented andthus empirical approach of seismic risk analysis is taken. Explaining the essential worksteps, the proximity to reality and the scatter of the results are discussed. Regional diffe-rences in the building substance and consequences for the damage expectation to bederived thereof are illustrated. A regionalisation factor is suggested, which reflects thevulnerability of building types and leads to a modification of damage functions; it is deriv-ed from extensive data surveys from the model region. The procedures and the process-ing levels implemented in the model are structured transparently and presented in thepaper. The scenarios refer to historical earthquakes with remarkable detailing of the availableregional shake maps. For these events it can be proven that losses corresponding to theintensity are calculated if the most important influence factors from soil and building vul-nerability are considered. Losses from maximum events are determined by simply increasing the intensity; forworst-case-scenarios the respectively strongest shake effects for all communities aresuperimposed summarily. By applying the gross domestic capital and other statisticalproperty values a relative loss can be derived. The communities are differentiatedregarding inhabitant numbers in order to illustrate differences in how heavily affectedthey are. The calculated scenarios confirm that in the model region, small and medium-sized towns deserve more attention regarding earthquake preparation than large citycentres.

Fachthemen

DOI: 10.1002/bate.200610072

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den können. Es darf vorausgesetztwerden, daß Bebenszenarien, die mitder Baunormung korrespondieren,auch für das öffentliche Handeln einegeeignete Entscheidungsgrundlage bil-den. Aufgrund des weit zurückreichen-den Beobachtungszeitraums und derbemerkenswerten Erdbebendokumen-tation kann die historische Erdbeben-tätigkeit in Deutschland als Grund-lage für die Quantifizierung von Scha-denspotentialen herangezogen werden(vgl. [11]). Auf diesen deterministischenAnsatz wird im folgenden Bezug ge-nommen, unbenommen der bestehen-den Möglichkeiten, probabilistisch be-gründete Szenarien wie z. B. in [2],[3] durchzuspielen.

1.2 Modellstudie Baden-Württemberg

Nach Vorliegen der methodischenGrundlagen zur Quantifizierung derSchadenspotentiale und ihrerAnwen-dung in kleinräumigen bzw. regiona-len Testgebieten wurde die Zielstel-lung erhoben, Datenebenen für eineflächendeckende Risikoanalyse vor-zulegen und mögliche Verbindungs-elemente zwischen den verschiedenenBearbeitungsebenen (in beiden Rich-tungen) zu überprüfen bzw. neue An-sätze zu entwickeln. Neben statisti-schen Fakten und der ausgewiesenenErdbebengefährdung (vgl. [7]) warenvornehmlich methodische Gründe(hinsichtlich der Datenverfügbarkeitund Verifizierbarkeit der prognostizier-ten Schäden) von Bedeutung, um sichfür eine Modellstudie Baden-Württem-berg zu entscheiden: – Im Zeitraum der letzten ca.100 Jahre ist eine bemerkenswerteAnzahl Schadensbeben aufgetreten,von denen aufgrund der exzellentenmakroseismischen Erhebungen undingenieurseismologischen Auswertun-gen detaillierte Karten der Schütter-wirkungen (Intensitäten) vorliegen. – Wie die in [11] im GIS-Format auf-bereiteten Schüttergebietskarten amBeispiel der Beben vom 16. 11. 1911,27. 06. 1935 und 03. 09. 1978 verdeut-lichen, gibt es regionale und standort-bezogene Unterschiede in den Erdbe-benwirkungen (Schäden), die partiellauf den Einfluß von Geologie undUntergrund zurückgeführt werdenkönnen. – Vom Albstadt-Beben 1978 liegt einedetaillierte Schadensaufnahme vor, diedie Reinterpretation des Bebens mit

dem entwickelten Instrumentariumder Risikokartierung, der Bauwerks-analyse und meßtechnischer Untersu-chungen ermöglicht ([10]). – Nach Überführung von Schadens-daten in verschiedene Schadensgrade[10] liegen zugleich repräsentativeBasisdaten vor, die für die Beben-stärke relevanter Szenarien aussage-fähig sind. Da für das Beben vom3. September 1978 auch versiche-rungsseitig erhobene und somit abge-sicherte Verlustangaben (Region, ge-samt) für einen repräsentativen Bau-werksbestand vorliegen, ist die Mög-lichkeit der Kalibrierung und desNachweises der Leistungsfähigkeit dereingesetzten Methoden und Hilfsmit-tel gegeben.– Hervorzuheben ist die Tatsache,daß im Hinblick auf die Bauzeit derbetroffene Bauwerksbestand als cha-rakteristisch für andere Gebiete ange-sehen werden kann. Ein vergleichbardokumentiertes Ereignis steht in denNachbarländern (Schweiz, Österreichusw.) nicht zur Verfügung.

Die Modellstudie Baden-Würt-temberg beruht ausschließlich aufeinem intensitäts-orientierten und da-mit empirischen Ansatz. Die Gebäudebzw. der Bauwerksbestand wurden inVerletzbarkeitsklassen überführt, fürdie nach EMS-98 [12] für jede Inten-sität eine Schadenserwartung in be-stimmten Streubreiten unterstellt wer-den kann.

Die bereits in anderen Fallstudienbzw. Testgebieten entwickelte Metho-dik wurde übernommen und auf dieBesonderheiten einer makroskaligenBearbeitungsebene erweitert.

2 Bearbeitungsebenen undSchadenskenngrößen

Wie immer wieder hervorgehobenwerden muß, sind seismische Risiko-analysen und Schadenmodelle mit Un-sicherheiten verbunden; sie könnenje nach Datenbasis und zugrunde ge-legten Modellebenen für das gleicheGebiet zu signifikanten Unterschiedenführen. Ursachen liegen einerseits imSeismizitätsmodell, andererseits undvor allem in der Qualität, mit der dieStandortbedingungen und die regio-nale Verletzbarkeit der Bausubstanzberücksichtigt werden, sowie in denzugrunde gelegten Schadensfunktio-nen, mit denen die Gefährdungs- bzw.Einwirkungsseite mit der Widerstands-

seite zu Schadens- bzw. und Verlust-angaben verknüpft werden.

In der praktischen Durchführungvon Erdbebenszenarien ist deshalbvorab über den geforderten bzw. ausAufwandsgründen vertretbaren Bear-beitungsmaßstab zu entscheiden. Eswerden vier Ebenen unterschieden, diefließende Übergänge besitzen können.Beispiele zu den verschiedenen Bear-beitungsebenen werden in Tabelle 1zusammengestellt, wobei zur Anbin-dung an den ersten Beitrag dieserSerie Schadenskenngrößen des Alb-stadt-Bebens vom 3. September 1978aufgenommen werden [10].

Die hier als punktuell (oderadres-senorientiert) bezeichnete Bearbei-tungsebene bezieht sich auf ein kon-kretes Bestandsgebäude/Einzelobjektmit nachvollziehbaren bzw. erhebba-ren Ausführungsmerkmalen. Über in-strumentelle Untersuchungen kanneine Annäherung an den aktuellenZustand (Steifigkeit in den Haupttrag-richtungen) erfolgen. Im Ergebnis stehtdie einwirkungsabhängige Schadens-verteilung und Schädigung, die sum-marisch über den Schadensgrad Dibeschrieben wird. Der Schadensgradist die Kenngröße zur Beschreibungdes Schadens im mikroskaligen Be-reich.

Die mikroskalige Bearbeitungs-ebene beschreibt auf Grundlage derkonkreten Bauweisen und des Zu-standes die Verletzbarkeitsklassen derEinzelobjekte. Entsprechend vorberei-tete GIS-Datenebenen ermöglichenfür beliebige Szenarien die Angabeeiner wahrscheinlichen Schadensver-teilung. Aufgrund der notwendigenAnonymisierung der Prognosen emp-fiehlt sich eine Ergebnisdarstellung immesoskaligen Maßstab, d. h., die indi-viduellen Schadensgrade Di werdenin Rasterelementen gemittelt oder aufandere Definitionen von Flächenele-menten (z. B. Nutzungspläne, wie in[18], [19] gewählt) bezogen. Die Scha-densverteilung im Beispiel zeigt dierekonstruierten Schadensgrade desAlbstadt-Bebens 1978 und die reprä-sentativen Mittelwerte. Aus der Ver-teilung der Schäden einer Verletzbar-keitsklasse oder auch innerhalb einesGebietes läßt sich als repräsentativerDurchschnittwert der mittlere Scha-densgrad Dm angeben. Der mittlereSchadensgrad ist die Kenngröße zurBeschreibung des Schadens im meso-und makroskaligen Bereich.

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Die mesoskalige Bearbeitungs-ebene beschreibt demzufolge denSchaden in einem lokalen oder regio-nal begrenzten Gebiet. Gewählt wur-den neben der rasterförmigen Gebiets-einteilung (mit der Möglichkeit einerVariation der Elementgröße je nachBebauungsdichte) die Verwaltungs-einheiten (z. B. Gemeinden), so daßein konkreterAnwenderbezug gewähr-leistet werden kann. Ergebnisse sindsomit der mittlere Schadensgrad oderVerlust in einer Gemeinde. (Tabelle 1zeigt die Karte der Schütterwirkun-gen in einer auf die Gemeindeebenenrekonstruierten Form sowie die dar-aus abgeleiteten mittleren Schadens-grade Dm. Die prognostizierte Scha-densverteilung für den Gebäudebe-stand 1978 verdeutlicht den erreichtenGrad der Übereinstimmung zwischenBeobachtung und Simulation, vgl.Abschn. 4.1.2.)

Die makroskalige Bearbeitungs-ebene vermittelt einen Eindruck vomGesamtschaden eines Erdbebens undkann – wie in der Versicherungswirt-schaft üblich – auf Postleitzahlgebieteagglomeriert werden. Die Darstellungin Tabelle 1 zeigt, daß mit dem Über-gang in Postleitzahlgebiete (PLZ) dermakroskalige Bereich erreicht undnahezu das gesamte Bundesland er-faßt ist.

Zwischen den Bearbeitungsebe-nen sind Übergänge aus dem höherenin den geringeren Detaillierungsgradeinfach möglich; dies gelingt nicht inder anderen Richtung. Mit einem ma-kroskaligen Modell können keine ver-trauenswürdigen Aussagen zum Ein-zelobjekt getroffen werden. Als prak-tikable Lösung ist die mikroskaligeUntersuchung von Test- oder Modell-regionen demzufolge unverzichtbar.

Der mittlere Schadensgrad Dm alsBeschreibungsform des Schadens istfür alle Bearbeitungsebenen geeignet,da er sich somit auch in einem kom-plexeren Schadensmodell als dasBindeglied zwischen den verschiede-nen Ebenen anbietet. Durch Kopplungmit standortbezogenen Mikrozonie-rungsarbeiten können lokale Variatio-nen der Einwirkungen effizient be-rücksichtigt werden [11]. Aus diesenBearbeitungsebenen läßt sich ablei-ten, welche Leistungen bzw. Ergeb-nisse durch die Risikoanalyse abgeru-fen werden können.

Die Szenarien zur Quantifizie-rung der Schadenspotentiale in Ba-

J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Tabelle 1. Bearbeitungsebenen zur Beschreibung der beobachteten und prognosti-zierten Schadenskenngrößen Table 1. Working scales for describing the observed and predicted damage para-meters

Zielstellung Beobachtung Prognose

Schaden adreßorientiert: Di

am Einzel- Nichtlineare Analyse; z. B durch objekt Bestimmung der Kapazitätskurve

und einwirkungsabhängige Zuord-nung des Verformungspunktes;Beispiele: [13] ,[14], [15],[16],[17]

Schadens- adreßorientiert: Di Rasterelemente mikroskalig: Dmverteilung

in einerStadt

Schadens- beobachtet mesoskalig: Dm berechnet mesoskalig: Dmverteilung

in einem Gebiet

Gesamt- Gemeindeebene: mesoskalig PLZ-Gebiete: makroskaligschaden

Verteilung Daten sind nicht verfügbarder Schäden oder Ver-luste [€]Schadens-summe

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den-Württemberg konzentrieren sichauf die mesoskalige Bearbeitungs-ebene. Durch Gegenüberstellung derbeobachteten und berechneten Scha-densverteilungen für konkrete histo-rische Ereignisse soll die Vertrauens-würdigkeit des Instrumentariums undder Prognosen für den aktuellen Be-stand begründet werden (Abschn. 4.1).

3 Methodische Grundlagen undgewählte Vorgehensweise

3.1 Übersicht und Darstellungsformen

Die für die Modellstudie Baden-Würt-temberg gewählte Vorgehensweisewird durch Bild 1 schematisch ange-deutet und ist im wesentlichen durchvier Schritte gekennzeichnet, die imfolgenden erläutert werden.

Die Pfeile in Bild 1verdeutlichendie Verknüpfung zwischen den Bear-beitungsebenen und beziehen sich aufdie Qualität der Schadensfunktionen.

3.2 Kennzeichnung des Schüttergebietes3.2.1 Hypothetische Schütterwirkungen

nach Intensitäts-Abnahme-beziehungen (Is)

Der Einfluß des Standortuntergrun-des läßt sich über die Abnahme derseismischen Bodenbewegung undSchütterwirkung (Intensitäten) imwesentlichen über die flächenmäßigeVerteilung der Schütterwirkung, Ano-

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malien im Hinblick auf die Entfer-nungs- und Richtungsabhängigkeitherausarbeiten. Bisherige Arbeiten zurQuantifizierung der Schadenspoten-tiale gehen im wesentlichen von einerradialen, im Umfang gleichförmigenund somit hypothetischen Intensitäts-abnahme aus, die durch die Beziehungvon Sponheuer [20] beschrieben wer-den kann. Die Intensitätsabnahmewird über die angesetzte Herdtiefeund den Absorptionskoeffizienten be-stimmt.

Ausgehend vom Epizentrum wirdals Mindeststufe der Bearbeitung derAnsatz einer radialen Intensitätsab-nahme (IS) unterstellt (s. Bild 1). Dahierbei der Untergrundeinfluß unbe-rücksichtigt bleibt, führen darauf ab-hebende Vorgehensweisen zu Ergeb-nissen, die sich in der Regel nicht mitden historisch beobachteten Schütter-gebieten decken, zumal auch andereSachverhalte zum Tragen kommen.Durch den Ansatz einer richtungsab-hängigen Intensitätsabnahme ist dieMöglichkeit einer Verbesserung desempirischen Konzepts gegeben.

Eine wesentliche Strategie zurVerbesserung des Modells liegt in derBerücksichtigung von Standortein-flüssen (Baugrund, Geologie), die zueinem veränderten Bild der Schütter-wirkungen führen. Dies geschiehtdurch einen standortbezogenen Inten-sitätskorrekturfaktor (DIS).

3.2.2 Beobachtete Schütterwirkungenund Untergrundeinfluß (DDIs)

Karten beobachteter Schütterwirkungliegen in unterschiedlichem Aufberei-tungsgrad vor. Insbesondere für Ba-den-Württemberg sind die Erdbebenvon 1911 durch Sieberg und Lais [7],das Erdbeben von 1935 durch Sieberg[21] und Hiller [22] und auch andereErdbeben aufgrund der detailliertenmakroseismischen Bearbeitung derBefunde in hervorragender Weise ge-eignet, lokale Standorteffekte heraus-zuarbeiten.

Da die makroseismischen Kar-ten in der Regel Intensitätskonturenabbilden, die die Einzelbefunde inflächiger Erweiterung einschließen,gehen wesentliche Detailinformatio-nen verloren. Sofern die Einzelbe-funde als Datenpunkte verfügbar sind,ergibt sich die Möglichkeit einer meß-technischen oder analytischen Über-prüfung. So konnten in [11] auch fürdas Albstadt-Beben 1978 und das Saul-gau-Beben 1935 (Nr. 6 in Tabelle 5)schadensbegünstigende Effekte nach-gewiesen werden.

3.2.3 Analytische Standort-untersuchungen

Von grundsätzlich anderer Qualitätsind analytische Standortuntersuchun-gen, die nicht die beobachteten Effekte

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Bild 1. Beispiel zur gewählten Vorgehensweise: Beben der Epizentralintensität I0 = 7.5 in der Schwäbischen Alb (Bearbei-tungsstufe 1 nach Tabelle 2)Fig. 1. Illustration of the applied procedure using as example an Io = 7.5 earthquake in the Swabian Alb (results are givenfor level of damage elaboration 1 according to Table 2)

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berücksichtigen, sondern die konkre-ten Untergrundbedingungen zum Aus-gangspunkt für die Festlegung von Ver-stärkungseffekten bzw. Überhöhungender Schütterwirkung nehmen. Um einerepräsentative Karte für die Schütter-gebietsmodifikation für das GebietBaden-Württembergs erstellen zu kön-nen, wurden insgesamt 51 Erdbeben-herde gemäß Bild 2 zur Grundlagegenommen und ausgehend von die-sen Herden und zugeordneten Para-metern (Magnitude) unter Verwen-dung der spektralen Abnahmebezie-hungen von [23] die Fels-Bodenbewe-gungen generiert.

In der Modellstudie Baden-Würt-temberg wurde die geologische Unter-grundsituation mittels einer detaillier-ten Bodenprofilauswertung von 95 Pro-filen (siehe blaue Punkte in Bild 2)unter Bezugnahme auf [24], [25] be-rücksichtigt.

Bodenprofile werden nach [25],[26], [27] hinsichtlich des Schichten-aufbaus (Tiefenprofile) und der regio-nalen Verteilung (Lage von Bohrpro-filen) ausgewertet, um in einem gleich-mäßigen Flächenraster entsprechendeProfile zu extrapolieren (vgl. [18]). Fürdas Untersuchungsgebiet liegen somitcharakteristische Profile in Rasterele-

menten vor, die nun für jedes einzelneErdbeben hinsichtlich der Entfernungs-abhängigkeit und die nach Standort-analyse ermittelten Bodenbewegungenausgewertet werden. Insgesamt wer-den mit den 51 Erdbeben 95 reprä-sentative Profile unter Variation derjeweiligen Entfernung des Bebens zumBodenprofil ausgewertet.

Es wird somit in einheitlicherWeise der lokale Untergrund zurGrundlage für die Festlegung von In-tensitäts-Korrekturfaktoren herange-zogen. Die Größe der Intensitäts-Kor-rekturfaktoren unterscheidet sich nurunwesentlich von denen, die in frühe-ren Berichten [28] angenommen wur-den. Sie liegen im Bereich von Delta-Intensitäten DI = –0,3 bis +0,8. Dasheißt, es gibt Intensitätserhöhungen,aber auch -abminderungen.

In den Untersuchungen zu denstandortabhängigen Modifikationender lokalen Intensitäten wird derEinfluß der Topographie ausgespartund könnte gegebenenfalls überprüftwerden. Es sei an dieser Stelle aufdie Ausführungen der Autoren in[10] verwiesen, die eine solche Mo-difikation bei der Reinterpretationdes Albstadt-Bebens von 1978 disku-tieren.

3.3 Verletzbarkeit der Bauweisen undSchadenserwartung

3.3.1 Schadensverteilung und Regiona-lisierungsindex (Ri)

Aus der grundsätzlichen Entscheidungheraus, sich methodisch und modell-seitig auf die makroseismische Inten-sität nach der European Macroseis-mic Scale EMS-98 [12] zu beziehen,ergeben sich neuartige Anforderungenan die Bewertung der Bausubstanz unddie Formulierung der Verletzbarkeits-bzw. Verlustfunktionen (vgl. Bild 1).

Die Quantifizierung der Scha-denspotentiale auf der Grundlage dermakroseismischen Intensität (hiernach der European MacroseismicScale EMS-98 [12]) ist grundsätzlichmit der Aufgabe verbunden, die vor-handene Bausubstanz in typische Bau-weisen und diese wiederum in Ver-letzbarkeitsklassen zu überführen.

Für die Bauweisen sind charak-teristische Bereiche von Verletzbar-keitsklassen abzuleiten; für das Einzel-gebäude oder die Gebäudegruppe istdie charakteristische Verletzbarkeits-klasse innerhalb des Bereiches fest-zulegen.

Eine wesentliche Aufgabe bestandsomit darin, diese entscheidende Da-tenebene der Bauwerksverletzbarkeitbereitzustellen. Die gewählte Vor-gehensweise könnte methodisch alsgeostatistische Extrapolation auf derGrundlage punktueller Detailerhe-bungen beschrieben werden. In ver-schiedenen Modell- bzw. Testgebietenwurde die Bausubstanz im Detail auf-genommen. Als neuartiges Elementzur Verbesserung des Modells wirdein Regionalisierungsfaktor eingeführt,der die Ermittlung charakteristischermittlerer Schadensgrade Dm (Ri) fürdie Standortintensität IS ermöglicht.Der Regionalisierungsindex (Ri) spie-gelt die regionale Verletzbarkeit derBauweisen wider und repräsentiertauf neue Weise die Schadensfunktio-nen (Dm). Der Regionalisierungsfak-tor bzw. -index berücksichtigt die Re-gionalität der Bauweisenverteilung(Verletzbarkeitsklassen).

Die Verletzbarkeit der Bauweisenkann demzufolge entweder nach ei-nem durch die EMS-98 vorgegebenenSchema erfolgen (Ri = konstant), d. h.,es wird eine einheitliche Bebauungs-struktur in der Zielregionen unter-stellt, oder es wird eine differenzierteBetrachtung der Bauweisen nach re-

J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Bild 2. Lage der simulierten Erdbeben auf Grundlage der historischen Erdbeben-tätigkeit und der für die Standortanalyse und die Ableitung von Intensitätskorrek-turfaktoren verwendeten Tiefenprofile Fig. 2. Locations of simulated historical earthquakes and depth soil profiles usedfor site analysis and corresponding the elaboration of intensity correction coefficients

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gionalen Besonderheiten (Ri = varia-bel) gewährleistet.

Hier weicht die Vorgehensweisevon den bisher üblichen Modellender Risikokartierung und Schadens-abschätzung ab; die regionalen Un-terschiede in der Bausubstanz werdenberücksichtigt.

Über den Regionalisierungsindexwird nicht nur die Spezifik der Bau-weisen (hier bezogen auf Gemeinde-ebene) im Sinne derVerletzbarkeit er-faßt, sondern vielmehr auch ein Erwar-tungsbereich des mittleren Schaden-grades festgelegt. Eine wesentlicheInformation zur Verletzbarkeit wirdaus der Altersstruktur abgeleitet.

3.3.2 Zusammenhang zwischenIntensität, Schaden und Verlust

Gemäß der hier verfolgten Vorge-hensweise ist es erforderlich, für dieStärke des Bebens einen mittlerenSchadensgrad zu bestimmen und fürdiesen den Verlust in Form des mitt-leren Schadensverhältnisses (MeanDamage Ratio MDR) als dem klassi-schen Parameter der Versicherungs-wirtschaft zu quantifizieren. Der MeanDamage Ratio beschreibt den Scha-den im Verhältnis zu einer Basisgrößedes Wertes.

Der Zusammenhang zwischenIntensität, mittlerem Schadensgradund Verlust ist durch „Schadensfunk-tionen“ zu beschreiben. Sie bilden dasKernstück der seismischen Risiko-analyse, so daß mit Bezug auf Bild 1und zur Klarstellung auf grundle-gende Besonderheiten bzw. Anforde-rungen hinzuweisen ist:

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– Schadensfunktionen sind aus Inge-nieursicht Verletzbarkeitsfunktionen(� in Bild 1), aus VersicherungssichtVerlustfunktionen (� und � in Bild 1).– Verletzbarkeitsfunktionen � be-schreiben die (Wahrscheinlichkeits-)Verteilung von Schadensgraden inAbhängigkeit von der Einwirkungsin-tensität. Verletzbarkeitsfunktionen �

folgen aus konkreten Ereignissen; siesind somit empirisch-statistische Grö-ßen. Ihre Qualität hängt von den Scha-densdaten ab. Schadensdaten sindSpiegelbild der Verletzbarkeit der lo-kalen Bauweisen und ihrer regiona-len Besonderheiten. Ein Modell solltediesen „Doppelbezug“ nachweisenkönnen. – Verlustfunktionen �, � beschrei-ben die (wahrscheinliche) Schadens-summe im Verhältnis zu einem mehroder weniger realen Bezugswert. DerSchaden als Verlustgröße ist somit einebezogene Größe, die zwischen 0 und 1streuen kann. (Rechnet man Abriß-kosten dazu, wäre grundsätzlich auchein Wert größer 1.0 denkbar [29].)– Der Verlust streut somit im ver-meintlichen Schaden und im ange-setzten Wert; er ist grundsätzlich erstnach Auflistung der Ersatzansprüchebestimmbar.– Empirisch-statistische Verletzbar-keitsfunktionen sind von solchenFunktionen abzugrenzen, die für Ein-zelobjekte oder Bauweisentypen ana-lytisch bestimmt werden können (s. a.obere Zeile in Tabelle 1).

Im Rahmen der Arbeiten desErdbebenzentrums wurde aus grund-legenden methodischen Überlegungenheraus entschieden, Verletzbarkeits-

funktion � und Verlustfunktion � ingetrennter Bearbeitung vorzulegen:– Primär ist der Zusammenhang zwi-schen Intensität und Schaden (Dm)zu untersuchen und darauf abhebenddie Funktionen zwischen mittleremSchadensgrad und Verlust (Dm –MDR) abzuleiten.– Für eine ermittelte Intensität ergibtsich im Untersuchungsgebiet ein mitt-lerer Schadensgrad, der bezüglich desMDR eine charakteristische Streu-breite besitzt; in Abhängigkeit von derVerletzbarkeit des regionalen Ge-bäudebestandes wird über den Regio-nalisierungsfaktor Ri der maßgeblicheVerlust (MDR) festgelegt. Das heißt,die Verlustfunktion � ist von der re-gionalen Zusammensetzung der Bau-weisen abhängig. Eine entsprechendeKarte wurde im Ergebnis aufwendi-ger Datenerhebungen vorgelegt. – Die „klassischen“, in Schadensmo-dellen der Versicherungswirtschaft im-plementierten Verlustfunktionen set-zen als Eingangsinformationen die In-tensität und eine allgemeine Beschrei-bung des Gebäudes (Nutzung, Bau-weise) voraus. Diese Funktionen vomTyp � können durch die Beispiele inBild 3 ebenfalls angegeben bzw. be-dient werden.

Der Zusammenhang zwischenMDR und Dm kann demzufolge durch„standardisierte“ (einheitliche) Verletz-barkeitsfunktionen [MDR (Dm)] oderdurch neuartige, für die regionale Be-bauung ermittelte Funktionen vom Typ[MDR (Dm, Ri)] beschrieben werden.

Aus den Verletzbarkeitskurven,die für die einzelnen Verletzbarkeits-klassen stehen, werden intensitätsab-

J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Bild 3. Zusammenhang zwischen Intensität und Schadenserwartung MDR für Mauerwerksbauten mit den vorhandenenSchwankungsbereichen und ihrer regionalen Zuordnung bzw. Spezifikation, a) Beispiel 1: hohe Verletzbarkeit,b) Beispiel 2: mittlere (durchschnittliche) VerletzbarkeitFig. 3. Correlation between intensity and mean damage ratio MDR for masonry buildings indicating the unspecified range ofvulnerability and the probable impact of regional particularities, a) example 1: high vulnerability, b) example 2: moderate(average) vulnerability

a) b)

Page 7: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

833Bautechnik 83 (2006), Heft 12

hängige Streubreiten ermittelt. Gleich-zeitig wird überprüft, bei welchen Bau-weisen mit besonders starken Abwei-chungen und in welcher Richtung zurechnen ist. Die Bauweise findet so-mit im upper and lower probale da-mage ratio ihre Entsprechung.

Das methodische Vorgehen seifür zwei Gemeinden mit unterschied-lichem Regionalisierungsindex erläu-tert. Bild 3 zeigt die MDR-Bereichefür die vorherrschende Mauerwerks-bauweise mit den charakteristischenSchwankungsbereichen:– Die Schadenserwartung liegt imgrau hinterlegten Bereich 2 (probablerange) mit den oberen und unterenStreubreiten der weniger wahrschein-lichen bzw. Ausnahmefälle (less prob-able, exceptional cases): Bereiche 1und 3. – Die regionaltypische Funktion be-wegt sich in diesem Streubereich undwird durch den Regionalisierungsfak-tor determiniert. Auch hier gibt es ei-nen gewissen Streubereich, der je nachKenntnis der Bauwerksparameter re-duziert oder auf eine spezifische Kurveeingegrenzt werden kann, wobei dieseEingrenzung gemäß Tabelle durchAnalysen (Kapazitätskurven) zu be-gründen wäre.

Beispiel 1 in Bild 3 steht für einenBauwerksbestand bzw. Bauwerke miterhöhter Verletzbarkeit; Beispiel 2 füreine (erkennbar) durchschnittliche Ver-letzbarkeit der Mauerwerksgebäude.Bei gleicher Intensität gilt demzufolge:MDR 1 größer MDR 2. Die konkretenVerluste hängen vom Wert ab.

3.4 Werte und Bezugsgrößen für die Verluste

Das in der Rechnung berücksichtigteWerteinventar kann über verschiedeneModelle ermittelt werden. Im Gegen-satz zu der im Beitrag [10] gewähltenMethode der Inventarermittlung mit-tels Normalherstellungskosten der Ein-zelobjekte, welche einen genauenKenntnisstand der Bebauungssitua-tion im Zielgebiet voraussetzt (mikro-skalige Bearbeitungsebene), wird inder hier vorgestellten höheren Bear-beitungsebene (meso- bzw. makro-skalig) das Inventar über Flächennut-zungen mit zugehörigen spezifischenVermögenswerten [30] berechnet.Der Vorteil liegt in einer verwaltungs-technisch definierten Auflösung derAusgangsdaten, die ihrerseits die Ein-

beziehung statistischer Datenerhebun-gen ermöglichen.

Bei beiden Rechenmodellen kanneine Skalierung des Werteinventarsvon 2000 auf das Werteinventar einesanderen Jahres (z. B. von 1978) sowohlin der mikroskaligen Bewertungsebeneals auch für höhermaßstäblich aufge-löste makroskalige Bewertungsgebiete(z. B. Verwaltungseinheiten) über eineAnpassung mittels eines entsprechen-den Anpassungsfaktors für Baden-Württemberg erfolgen [30]. (Es han-delt sich in beiden Fällen um einevolkswirtschaftliche Gesamtrechnungdes Anlagevermögens in Baden-Würt-temberg, nicht um die Summe derversicherten Werte in den betrachte-ten Gebieten.) Der Gesamtwert fürBaden-Württemberg beläuft sich aufca. 80 % des Kapitalstockes für dasBezugsjahr (1997) und die Modellre-gion (Baden-Württemberg) [30].

ZurVerdeutlichung der politisch-wirtschaftlichen Konsequenzen star-ker Erdbeben wird eine weitere Kenn-größe herangezogen, die einen besse-ren Eindruck von der Größenord-nung möglicher Schäden vermittelnsollen. Es handelt sich um die berei-nigten Ausgaben des Landes Baden-Württemberg, die für die Jahre 2000mit 30264, für 2004 mit 31259 undfür 2005 mit 31977 Mrd. € angegebenwerden [30]. Definitionsgemäß stellendie bereinigten Ausgaben/Einnahmendie Ausgaben/Einnahmen nach Ab-zug haushaltstechnischer Verrechnun-gen sowie der von gleicher Ebeneempfangenen Zahlungen dar [31].

3.5 Bearbeitungsstufen

In Abhängigkeit von der Realisationder durch Bild 1 umrissenen Teilauf-gaben lassen sich in der mesoskali-gen Schadensanalyse verschiedeneBearbeitungsstufen unterscheiden, diesich jeweils im Detaillierungsgrad derrealisierten Teilaufgaben bzw. in derWirklichkeitsnähe der berücksichtig-ten Einflußfaktoren unterscheiden.Insgesamt werden acht Bearbeitungs-stufen (BS) unterschieden, die demSchema aus Tabelle 2 zu entnehmensind. In der höchsten Bearbeitungs-stufe (BS 8) werden Untergrundeffekte(DIs) und regionale Besonderheitender Bebauung bzw. spezifische Scha-densfunktionen berücksichtigt. Nachdiesem Schema können grundsätzlichauch die Arbeiten anderer Forscher-gruppen eingeordnet werden.

4 Szenarien zur Quantifizierung derSchadenspotentiale: Prognosen fürden aktuellen Bestand

4.1 Wiederholung einzelnerhistorischer Beben

4.1.1 Übersicht zu den Szenarientypen

Als erstes sei die Frage aufgeworfen,welche Schäden bei der Wiederho-lung historischer Erdbeben zu erwar-ten wären. Der methodische Ansatzist deterministisch und bezieht sichim folgenden auf – die makroseismischen Schütterge-bietskarten (wie sie u. a. [11] repro-duziert werden), d. h. die beobachte-ten Erdbebenwirkungen („Is,obs“) bzw.

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Tabelle 2. Bearbeitungsstufen der Schadensermittlung (BS) in Abhängigkeit vonder Qualität und Differenzierung der zu realisierenden Teilaufgaben Table 2. Levels of damage elaboration distinguished in dependence of the qualityand the differentiation of realized sub-tasks

BS Realisierung der Teilaufgaben

Intensitäts- Untergrund Verletzbarkeit Schadenabnahme (Regionalisierungsindex)

Is DIs Ri Ri MDR MDRkonst. variabel (Dm) (Dm, Ri)

1 ● ● ●

2 ● ● ●

3 ● ● ●

4 ● ● ●

5 ● ● ● ●

6 ● ● ● ●

7 ● ● ● ●

8 ● ● ● ●

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– die Intensitätsabnahme, d. h. hypo-thetischen Schütterwirkungen (mitund ohne standortbezogener Inten-sitätskorrektur), ausgehend von derEpizentralintensität I0 und den nachIntensitätsabnahmebeziehung ermit-telten Schütterwirkungen („Is,hypo“).

Durch Einführung von Intensi-tätszuschlägen (DI) werden Ereignisseunterstellt, die im historischen Beob-achtungszeitraum nicht aufgetretensind und somit ergänzend durch Aus-

834 Bautechnik 83 (2006), Heft 12

sagen zu ihrer Eintretenswahrschein-lichkeit zu beschreiben wären (Typ„Is,hypo + DI“).

Tabelle 3 gibt eine Übersicht zuden unterstellten Ereignissen, die hierwiederholt oder mit fiktiven Intensi-tätsvorgaben (von I = 6.0 bis 9.0) alsSzenarien durchgespielt werden (Typ„Is,hypo ± DI“).

Zunächst werden drei der stärk-sten historisch berichteten Erdbebenauf dem Gebiet Baden-Württembergs

untersucht, von denen die beobachte-ten Schütterwirkungen in differen-zierter Form vorliegen. Es handeltsich ausnahmslos um Erdbeben des20. Jahrhunderts. Die im GIS-Formataufbereiteten makroseismischen Kar-ten aus [11] können hier, bezogen aufdie Flächenelemente der Gemeinde-ebenen, direkt in die Szenarien bzw.Algorithmen der seismischen Risiko-analyse eingeführt werden. Gleichzei-tig dienen die Karten als Basis zurSkalierung des Modells, wobei die be-rechneten Schadenssummen zugrundegelegt werden.

4.1.2 Albstadt-Beben vom 03. September 1978

Unter Verwendung der in [10] jeweilsauf Gemeindeebene reproduziertenmakroseismischen Schüttergebiets-karten (siehe auch Zeile 2 in Tabelle 1)können mittlere Schadensgrade er-mittelt werden. Die für das „Schütter-gebiet“ berechneten Schäden werdenin Bild 4 als Basisgröße verwendet,um die Größenordnung der in unter-schiedlichen Bearbeitungsstufen be-rechneten Verluste vergleichen zu kön-nen. Die rechnerische Epizentralinten-sität der Szenarien wird zwischen 7.0und 7.5 variiert. Wie bereits in [10]herausgearbeitet werden konnte, wirdbei einer Intensität 7.2 und (höchster)Bearbeitungsstufe (BS 8, Tabelle 2) diebeste Annäherung an den tatsächlichaufgetretenen (bzw. versicherungs-seitig gemeldeten) Schaden erreicht.Diese Größe wird als Horizontallinie„Schäden 1978 (skaliert)“ eingeführt. Bild 5 illustriert analog die Schäden,die für die aktuelle Bebauungssitua-tion und das Werteinventar 2000 mitden entwickelten Hilfsmitteln der Ri-sikoanalyse abgeschätzt werden kön-nen. Wie die Datenerhebungen undAnalysen bestätigen, wäre bei Wie-derholung des Albstadt-Bebens vom3. September 1978 heute von einerdeutlichen Anhebung der volkswirt-schaftlichen Schäden auszugehen. Diesist auf die Erweiterung des bebautenGebietes und die Werteentwicklung,weniger auf die Verletzbarkeit des Be-standes zurückzuführen. Für diesenkann als Ergebnis der Wiederaufbau-bzw. Verstärkungsmaßnahmen eineErhöhung der Erdbebenwiderstands-fähigkeit nachgewiesen werden.

Die Ergebnisse in den Bildern 4und 5 lassen eine deutliche Streu-

J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Tabelle 3. Übersicht zu den in den Szenarien bzw. Untersuchungen zur Betroffen-heit der Gemeinden zugrunde gelegten historischen ErdbebenTable 3. Overview on the historical earthquakes considered as scenario events forthe loss prediction and for the investigation of affected communities

Nr. Datum Koordinaten Beben Intensität HerdtiefeLongitude Latitude I0 h [km]

1 18. 10. 1356 7.60 47.47 Basel 9.0 15

2 29. 03. 1655 9.07 48.50 Tübingen 7.5 10

3 03. 08. 1728 7.92 48.35 Rastatt 7.5 16

4 16. 11. 1911 9.00 48.23 Albstadt 8.0 10

5 20. 07. 1913 9.01 48.23 Albstadt 7.0 9

6 27. 06. 1935 9.47 48.04 Saulgau 7.5 9

7 28. 05. 1943 8.98 48.27 Albstadt 8.0 9

8 28. 06. 1947 9.05 48.26 Albstadt 6.5 9

9 22. 01. 1970 9.03 48.30 Albstadt 7.0 8

10 03. 09. 1978 9.03 48.29 Albstadt 7.5 6

Bild 4. Schäden bei einfacher Wiederholung des Albstadt-Erdbebens 1978 (Nr. 10,Tabelle 3) und bei Ansatz der Werte und Bausubstanz aus 1978: Prognose fürunterschiedliche Bearbeitungsstufen (gemäß Tabelle 2) unter Variation der rechne-rischen Epizentralintensität. Hinweis: Die Schäden infolge der reproduzierten makroseismischen Karte(„Schüttergebiet“) dienen zur Skalierung der Schadenssummen und zurVerifikation der MethodikFig. 4. Damage due to simple repetition of the September 3, 1978 Albstadt earth-quake (no 10, table 3) assuming values and building stock at time of 1978: Re-sults for different levels of damage elaboration (acc. to table 2) and under varia-tion of calculational epicentral intensity. Note: The damage from the reproducedmacroseismic shake map (grey column) serves as scaling value for the predictedamount of losses and the verification of the methodical approach

Page 9: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

835Bautechnik 83 (2006), Heft 12

breite möglicher Schadensprognosenerkennen. Auffällig ist der Zuwachsder Schadenssumme, wenn die Epi-zentralintensität rein rechnerisch in0.1 Intensitätsinkrementen gesteigert

wird. Hier spiegelt sich die größerebetroffene Fläche, aber auch die Be-sonderheit der Intensität 7 wider, dieallmählich in den Bereich relevanterSchäden führt, für die in Baunormen

auch rechnerische Nachweise gefor-dert werden.

4.1.3 Mitteleuropäisches Erdbeben vom 16. November 1911

Ein Ereignis, das nicht nur das heu-tige Territorium von Baden-Württem-berg erschütterte, sondern im Umkreisvon 500 km wahrgenommen wurde,trat im November 1911 in der Schwä-bischen Alb auf; es ist als „Mitteleuro-päisches Erdbeben“ in die Fachlitera-tur eingegangen (Beben Nr. 4 in Ta-belle 3). Die von [7] in bemerkenswer-ter Detaillierung und Erhebungsdichtevorgelegte Schüttergebietskarte des„Mitteleuropäischen Erdbebens“ vom16. November 1911 wird hier in der re-produzierten (auf Gemeindeebene be-zogenen) Karte aus [11] übernommen.

Erneut gelingt für die IntensitätI0 = 8.0 in der höchsten Stufe der Be-arbeitung eine gute Annäherung andie Schadenssumme, die aus einfacherÜbernahme der ursprünglichen Kartefolgen würde (Bild 6). Für die aus denBeobachtungen abgeleiteten Schütter-gebietskarten ist eine Intensitätskor-rektur nicht erforderlich. Die in derKarte verarbeiteten Befunde spiegelnden Einfluß des Untergrundes auf dieBauwerksschäden bereits wider.

Wie aus Tabelle 4 geschlußfolgertwerden darf, würde ein gleichartigesEreignis heute Schäden von mehr als3 Mrd. € verursachen.

4.1.4 Saulgau-Erdbeben vom 27. Juni 1935

Das Saulgau-Beben vom 27. Juni 1935(Beben Nr. 6 in Tabelle 3) wurde eben-falls auf Grundlage umfänglicher Fra-gebogenerhebungen ausgewertet undin der Bewertung der Befunde homo-gen aufbereitet [22]. Es kann wie-derum auf die im GIS-Format repro-duzierte Karte des Schüttergebieteszurückgegriffen werden [11]. Analogzu den vorherigen Beben wird dieSchadenssumme infolge der Schütter-gebietskarte als Referenzwert festge-legt. Die beste Annäherung wird beieiner rechnerischen Intensität von I*

0 =7.4 erreicht, die ausgezeichnet mit derbeobachteten Epizentralintensität vonI(EMS) = VII – VIII (7.5) korrespon-diert (Bild 7).

Ein gleichartiges Beben würdeheute Schäden von ca. 1 Mrd. € ver-ursachen (vgl. Tabelle 4).

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Bild 5. Schäden bei einfacher Wiederholung des Albstadt-Erdbebens 1978 (Nr. 10,Tabelle 3) und bei Ansatz der Werte und Bausubstanz aus 2000: Prognose für un-terschiedliche Bearbeitungsstufen (gemäß Tabelle 2) unter Variation der rechneri-schen Epizentralintensität. Hinweis: Die Schäden infolge der reproduzierten makroseismischen Karte(„Schüttergebiet“) aus 1978 dienen zur Skalierung der Schadenssummen und zurVerifikation der MethodikFig. 5. Damage due to simple repetition of the September 3, 1978 Albstadt earth-quake (no 10, table 3) assuming values and building stock at time of the year2000: Results for different levels of damage elaboration (acc. to table 2) andunder variation of calculational epicentral intensity. Note: The damage from thereproduced macroseismic shake map from 1978 (grey column) serves as scalingvalue for the predicted amount of losses and the verification of the methodicalapproach

Bild 6. Schäden bei einfacher Wiederholung des Mitteleuropäischen Erdbebens1911 (Nr. 4, Tabelle 3) und bei Ansatz der Werte und Bausubstanz aus 2000: Pro-gnose für unterschiedliche Bearbeitungsstufen (gemäß Tabelle 2) unter Variationder rechnerischen Epizentralintensität Hinweis: Die Schäden infolge der reproduzierten makroseismischen Karte(„Schüttergebiet“) dienen zur Skalierung der Schadenssummen und zurVerifikation der MethodikFig. 6. Damage due to simple repetition of the „Central European Earthquake 1911(no 4, table 3) assuming values and building stock at time of the year 2000: Re-sults for different levels of damage elaboration (acc. to table 2) and under varia-tion of calculational epicentral intensity. Note: The damage from the reproducedmacroseismic shake map (grey column) serves as scaling value for the predictedamount of losses and the verification of the methodical approach

Page 10: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

4.2 Schütterwirkungen infolge derÜberlagerung mehrerer Beben

Verläßt man das konkrete Einzel-ereignis und erhebt die Frage, vonwelcher Größenordnung der Schä-den im ungünstigsten Falle auszuge-hen wäre, könnte als erste (weiterhindeterministische) Annäherung eineÜberlagerung historischer Erdbeben-herde entweder im Sinne eines simul-tanen Auftretens oder, was vernünfti-ger sein dürfte, im Sinne der an deneinzelnen Standort jeweils ungün-stigsten Erdbebenwirkungen unter-stellt werden.

836 Bautechnik 83 (2006), Heft 12

Es sei erneut auf [11] verwiesen,worin die makroseismischen Schüt-terwirkungen aller historischen Erd-beben in Baden-Württemberg mit In-tensitäten 6.5 (und größer) auf derGrundlage des Erdbebenkataloges von[32] überlagert werden.

Für diese Beben wird eine Kartemaximaler Schütterwirkungen gene-riert, d. h., es werden die hypotheti-schen Schütterwirkungen für die ein-zelne Rasterpunkte aufbereitet unddas einmalige Maximum abgebildet(Bild 8). Zur Verfeinerung der Aus-wertung in [11] werden in den Flä-chen der Gemeinden mehrere Punktefestgelegt. Intensitäten für diese Ra-sterpunkte einer Verwaltungseinheitkönnen gemittelt werden („mean“)oder es wird das in der jeweiligen Ge-meinde erreichte Maximum für diegesamte Gemeindefläche unterstellt(„max“). In dieser Variante würde dereinmalige Spitzenwert überkonserva-tiv auf die ganze Gemeinde übertragenwerden, was einem weiteren Intensi-tätszuschlag gleichkäme. Dies spiegeltsich auch in den Ergebnissen wider.

Es werden hier nur ErgebnissederVariante „mean“ vorgestellt, wobeidie Intensitäten gemäß Katalog (I0)oder mit Zuschlägen von DI = 0.5 bzw.1.0 Intensitätsgraden erhöht werden.Auf diesem Wege erfolgt der Über-

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Bild 7. Schäden bei einfacher Wiederholung des Saulgau-Erdbebens 1935 (Nr. 6,Tabelle 3) und bei Ansatz der Werte und Bausubstanz aus 2000: Prognose fürunterschiedliche Bearbeitungsstufen (gemäß Tabelle 2) unter Variation der rechne-rischen Epizentralintensität. Hinweis: Die Schäden infolge der reproduzierten makroseismischen Karte(„Schüttergebiet“) dienen zur Skalierung der Schadenssummen und zurVerifikation der MethodikFig. 7. Damage due to simple repetition of the Saulgau earthquake (no 6, table 3)assuming values and building stock at time of the year 2000: Results for differentlevels of damage elaboration (acc. to table 2) and under variation of calculationalepicentral intensity. Note: The damage from the reproduced macroseismic shakemap (grey column) serves as scaling value for the predicted amount of losses andthe verification of the methodical approach

Tabelle 4. Übersicht zu Szenarien und quantifizierten Schadenpotentialen mitdem Werteinventar von 2000; Angabe der prozentualen Anteile der Schadens-summe am Gesamthaushalt bzw. Kapitalstock Baden-Württembergs (BW)Table 4. Overview on the scenarios and the quantified damage potential in rela-tion to the inventory of the year 2000; shares of the whole damage to the budgetand capital stock of Baden-Wuerttemberg

Szenarium Verlustabsolut relativ [%], bezogen auf

Beben (Nr.) Intensität BS [Mrd. €] Ausgaben BW Kapitalstock BWin 20001) Stand 20002)

1356 (Nr. 1) I0 (9.0) 8 7,642 25,25 0,52I0 (8.5) 8 3,692 12,20 0,25I0 (8.0) 8 1,544 5,10 0,11

1655 (Nr. 2) I0 (7.5) 6 0,795 2,63 0,058 2,368 7,82 0,16

1728 (Nr. 3) I0 (7.5) 8 3,283 10,85 0,23

1911 (Nr. 4) I*0 (8.0) 6 1,290 4,26 0,09

8 3,621 11,97 0,25Iobs 6 1,082 3,58 0,07

8 3,230 10,67 0,22

1935 (Nr. 6) I*0 (7.4) 6 0,349 1,15 0,02

8 1,036 3,42 0,07Is,obs 6 0,327 1,08 0,02

8 1,052 3,47 0,07

1978 (Nr. 10) I*0 (7.2) 6 0,074 0,24 0,005

8 0,230 0,76 0,02Is,obs 6 0,057 0,19 0,004

8 0,213 0,70 0,015

Ereignisgruppe I0 2 3,038 10,04 0,21(mean) 4 5,164 17,06 0,36

I0 + 0.5 2 9,210 30,43 0,634 14,290 47,22 0,98

Erläuterungen:* Es wird die rechnerische Intensität

(Klammerangabe) zugrunde gelegt, die gemäß Modell die beste Übereinstimmung mit den Ergebnissen infolge der beobach-teten Schütterwirkungen erkennen läßt. 0.057 – Ergebnis für die Schüttergebiets-

karte0.074 – Ergebnis für die simulierte Karte

und des Schadensmodell in dergenannten Bearbeitungsstufe

1) Bezugsgröße: 30264 Mrd. € [30]2) Bezugsgröße: 1453934 Mrd. € [30]

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den zudem auf die Ausgaben Baden-Württembergs (Haushalt 2000) undden Kapitalstock [30] bezogen.

Folgende Feststellungen könnengetroffen werden. – Das Szenarium infolge der Überla-gerung mehrerer Beben (mit I0) liegtim Bereich des MitteleuropäischenBebens von 1911.– Sprünge um halbe Intensitätsgradelassen den volkswirtschaftlichen Scha-den dramatisch anwachsen, der dannbereits ca. 30 bis 50 % des Haushaltes(Ausgaben) des Landes Baden-Würt-temberg erreicht – Das Albstadt-Erdbeben vom 3. Sep-tember 1978 nimmt sich dagegen sehrbescheiden aus, sofern nicht höhereIntensitäten unterstellt werden. – Erdbeben in der Nähe von Baselkönnen, sofern sie Intensitäten von I0 =8 überschreiten, für das TerritoriumBaden-Württembergs die größtenSchäden verursachen.

Es wird darauf verzichtet, Zah-lenwerte für die historischen Beben(Einzelereignisse) mit Intensitätszu-schlägen in die tabellarische Über-sicht aufzunehmen. Ungeachtet des-sen werden solche Szenarien durch-gespielt, um den Grad der Betroffen-heit von Kommunen bzw. Gemein-den ins Blickfeld zu rücken.

4.5 Betroffenheit (bei Wiederholunghistorischer Erdbebenherde)

Es stellt sich die Frage, ob – auch be-zogen auf die von einem Erdbebeninsgesamt betroffenen Gebiete – dieSumme der Schäden in deutschenKleinstädten ein Potential erreichenkann, das dem durch das einmaligeAuftreten eines mittelstarken Bebensin einem städtischen Großraum wieFrankfurt, Köln oder Stuttgart (vgl.[34]) zu entsprechen vermag.

Zur Verdeutlichung der Betrof-fenheit und Schadenspotentiale wer-den Einwohnerzahlenklassen EWZgemäß Tabelle 5 eingeführt und diesein Anlehnung an [8] auf Gemeinde-ebene aufgeteilt. Es werden insgesamtfünf Einwohnerzahlenklassen (EWZ 1bis EWZ 5) unterschieden, deren re-gionale Verteilung in Baden-Württem-berg Bild 9 zu entnehmen ist. Erläu-terungen zur Farbgebung sind Ta-belle 6 zu entnehmen.

Es darf unterstellt werden, daßmit den in Tabelle 3 aufgelisteten Er-eignissen auch die potentiellen Herde

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Bild 8. Intensitätskarte aus der Überlagerung der hypothetischen Schütterwirkun-gen für das Szenarium „Is,hypo + 0.5“ (hier bezogen auf den Mittelwert der Intensi-tätspunkte innerhalb einer Gemeinde (Variante „mean“)Fig. 8. Macroseismic intensity map derived from the overlapping of hypotheticalshaking effects of all relevant historical earthquake described and the scenariowith an additional intensity increment („Is,hypo + 0.5“) given for the average valuesof all intensity predicted in the area of one community (variant „mean“)

gang von den deterministischen zusemi-probabilistischen Szenarien. Er-mittelte Verluste sind Tabelle 4 zuentnehmen.

4.3 Weitere Szenarien

Da in diesem Beitrag ausschließlichdeterministische Szenarien durchge-spielt werden, sei mit Hinweis aufweiterführende Arbeiten [33] die Fragenach dem Worst-case-Szenarium oderdem kritischen Szenarium aufgewor-fen.

Für ein Worst-case-Szenariumfehlen in der seismischen Risikoana-lyse allgemein anerkannte Definitio-nen, z. B. bezüglich der Zuschläge aufhistorische Ereignisse oder zu dennoch als aussagerelevant betrachtetenEintretenswahrscheinlichkeiten. Es er-scheint in jedem Fall plausibel, ein sol-ches Szenarium auf Grundlage pro-babilistischer Gefährdungsanalysenfestzulegen. Gibt man für das GebietBaden-Württembergs eine Eintretens-rate vor, führen die probabilistischenAnalysen (für ein Netz von Raster-punkten innerhalb des Seismizititäts-modells, das der aktuelle DIN-Kartezugrunde liegt und hier nachempfun-

den wurde) zu dem Ergebnis, daß einstarkes Beben in der Nähe von Tübin-gen als wahrscheinliches „Worstcase-Szenarium“ zu unterstellen ist.

Inwieweit ein Erdbeben außer-halb der Grenzen Baden-Württem-bergs die Wirkungen eines starkenBebens in der Schwäbischen Alb über-trifft, bleibt zu klären. Zu verweisenist auf Tabelle 6, wonach ein Ereignisnahe Basel (Nr. 1), wo in historischerZeit das stärkste Beben von 1356 dieIntensität I0 = IX erreicht haben soll,heute und nur bezogen auf das Terri-torium Baden-Württembergs die größ-ten Schäden verursachen würde.

Als kritisch wäre jenes Szena-rium zu betrachten, das bei Annahmegleicher Intensität, d. h. losgelöst vonder Eintretenswahrscheinlichkeit, diegrößten Schäden verursachen würde.Ein solcher Herd müßte in Nähe dergrößten Wertekonzentrationen, d. h. imRaum Stuttgart angenommen werden.

4.4 Einordnung der wirtschaftlichenKonsequenzen

Tabelle 4 gibt eine Zusammenstellungder für die unterschiedlichen Szena-rien ermittelten Schäden. Diese wer-

Page 12: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

zukünftiger Schadensbeben einge-grenzt sind.

Für die Ereignisse Nr. 1 bis 10(Tabelle 3) werden Szenarien mit Epi-zentralintensitäten zwischen VI (6.0)und IX (9.0) durchgespielt. Die Ereig-nisse in Tabelle 6 umfassen somit dasSpektrum zwischen wiederholt aufge-tretenen (wahrscheinlichen) und hi-storisch einmalig (extrem optimistisch)oder noch nicht beobachteten Ereig-nissen (extrem pessimistisch). Darge-stellt werden für die höchste Bearbei-tungsstufe (BS 8) und unter Betrach-tung aller Einflußfaktoren: – die Anteile der Gesamtschäden desBebens in der prozentualen Vertei-lung auf die EWZ sowie – die Anteile der geschädigten bzw.betroffenen Gemeinden.

Beide Kenngrößen vermitteln re-gional-spezifische Schadenserwartun-gen. Für Baden-Württemberg als demLand mit der flächenmäßig größtenErdbebengefährdung und Betroffen-heit (s. auch [8]) können folgende Aus-sagen getroffen werden (vgl. Tabelle 6):– Von Erdbeben in der SchwäbischenAlb sind bei Erreichen der stärksten hi-storisch bekannten Bebenintensitätenvornehmlich die EWZ 3 und EWZ 4betroffen, wobei dieses Bild sich fürIntensitäten zwischen 6 und 9 relativgleichmäßig darstellt. Während sichbei schwächeren Beben (I = 6.0) Schä-den in den Gemeinden der EWZ 1und EWZ 2 konzentrieren, sind beihöheren Intensitäten die EWZ 1 bisEWZ 3 gleichrangig betroffen. – Von Beben im Bereich Tübingenwären vornehmlich die EWZ 3 be-troffen, derAnteil am Gesamtschadenverteilt sich zwischen den KlassenEWZ 2 bis EWZ 5.– Bemerkenswert ist der hohe Anteilder EWZ 3 bei Beben im Saulgau, beidem stärker als bei den andere Herd-lagen der Anteil der geschädigten Ge-meinden der EWZ 1 am größten ist.– Nur bei sehr starken Beben, diegrößer sind als die historisch aufge-

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tretenen Ereignisse, tragen Großstädtezur Schadenssumme überproportio-nal bei. Aufgrund der Nähe zur Lan-deshauptstadt Stuttgart ist vornehm-lich eine Herdlage in Tübingen in die-ser Hinsicht als kritisch zu betrachten.– Beben aus dem angrenzenden Aus-land (Basel) treffen vornehmlich dieEWZ 4 (wie z. B. Freiburg i. B.) undanteilig (in der Summe) stark dieEWZ 1 und EWZ 2.

Insofern gilt, daß jede der mar-kanten bzw. auffälligen Herdzonenauch unterschiedliche Anforderungenan das Katastrophenmanagement stel-len sollte. Wie bereits in anderem Zu-

sammenhang festgestellt wurde, sindnicht die Großstädte das Problem,sondern wohl eher die Vielzahl derbetroffene kleinen (EWZ 1, EWZ 2)und mittleren (EWZ 3 und EWZ 4)Gemeinden.

In Bild 9 werden die nach Ein-wohnerzahl klassifizierten Gemeindenmit den angedeuteten Konturen derintensitätsbezogenen Gefährdungs-zonenkarte der DIN 4149:2005 über-lagert.

Die Schadenssumme für den ak-tuellen Bestand kann gemäß der Be-arbeitungsstufe beziffert werden (vgl.Tabelle 4).

J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Bild 9. Einwohnerzahlenklassen (bezogen auf Gemeindeebene) und ihre regio-nale Verteilung im Bundesland Baden-Württemberg; überlagert mit den Zonen-konturen der DIN 4149:2005Fig. 9. Map of inhabitant classes (given on the basis of communities) and theirregional distribution in the Federal State of Baden-Wuertemberg; additionally, thecounters of seismic zoning map of DIN 4149:2005 are given.

Tabelle 5. Einwohnerzahlenklassen (EWZ) und Beispiele Table 5. Inhabitant number classes and examples

EWZ 1 EWZ 2 EWZ 3 EWZ 4 EWZ 5

Einwohner kleiner 2000 2000 bis 5000 5000 bis 20000 20000 bis 100000 größer 100000

BeispielKanzach, Bad Buchau Waldkirch Albstadt, Sinsheim, Stuttgart

Betzenweiler Schönbrunn Furtwangen Leonberg Freiburg i. Br.

Erläuterungen:Waldkirch – Beispiele für die Vor-Ort untersuchten Modellstandorte

Page 13: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

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J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Tabelle 6. Betroffenheit der nach Einwohnerzahlenklassen gestaffelten Gemeinden Baden-Württembergs infolge von Herd-lagen historischer Ereignisse und Schadensszenarien für Intensitäten I0 zwischen 6 bis 9 (Typ „Is,hypo ± DI“)Table 6. Affected communities in Baden-Wuerttemberg (separated on the basis of inhabitant number class) due to sourcelocations of historical earthquakes and damage scenarios for epicentral intensities between 6 and 7 (type of scenario „Is,hypo ± DI“)

Beben Anteile am Gesamtschaden Anteile an geschädigten Gemeinden

Nr. 1Basel

Nr. 2Tübingen

Nr. 3Rastatt

Nr. 4(5, 7 bis 10)Albstadt

Nr. 6Saulgau

Page 14: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

4.6 Verlustraten (MDR)

Aus den infolge der unterschiedli-chen Beben und Szenarien ermittel-ten Schäden können die Verlustraten(Mean Damage Ratio MDR) bestimmtwerden. Dies sei exemplarisch fürEreignis Nr. 2 mit einem Herd naheTübingen veranschaulicht. Bild 10schlüsselt die Ergebnisse von Tabelle 6(Nr. 2) nach den betroffenen Gemein-den und für die jeweilige Intensitätauf. In den Szenarium (Intensität I0)der Bearbeitungsstufe 8 werden dieIntensitätsabnahme, die Intensitäts-korrektur und die Regionalität derBauweisen berücksichtigt. Wie die Er-gebnisse für die Intensitäten I0 = 7und I0 = 8 bestätigen, ist für diegleiche Standortintensität mit einemunterschiedlichen MDR zu rechnen.Es kann festgestellt werden, daß dieunteren Einwohnerklassen (EWZ 1,EWZ 2) tendenziell höhere Verlust-raten aufweisen.

Der qualitative Verlauf der streu-enden Punktschar wird durch die im-plementierte Schadensfunktion unddie Intensitätsabnahmebeziehung ge-prägt (vgl. Bild 3). Auffällig ist der si-gnifikante Schadenszuwachs für In-tensitäten größer 7.0.

Daß die rechnerischen Standort-intensitäten größer sein können als dieIntensität des Szenariums (I0) selbst,kann durch die untergrundabhängigeIntensitätskorrektur begründet werden.

5 Ausblick

Mit der Modellstudie für Baden-Würt-temberg gelingt der Nachweis der Lei-

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stungsfähigkeit der entwickelten Me-thoden und Hilfsmittel zur Quantifi-zierung der Schadenspotentiale imgroßräumigen Maßstab. Durch denklar strukturierten (modularen) Auf-bau des Modells und durch Kenn-zeichnung sowie Herausarbeitung derBearbeitungsebenen und Bearbei-tungsstufen können Streubreiten derSchadensprognosen begründet wer-den. Die Ergebnisse werden so aufbe-reitet, daß auch die „Betroffenheit“ in-nerhalb der Verwaltungsebenen zah-lenmäßig faßbar wird.

Der in Vorbereitung befindlichedritte und abschließende Beitrag [35]zu dieser Problematik wird sich mitder Erdbebensituation in der Nieder-rheinischen Bucht und der Reinter-pretation des Roermond-Erdbebensvon 1992 beschäftigen. Von dieser Re-gion bzw. diesem Ereignis liegen um-fängliche makroseismische Auswertun-gen vor, die es ermöglichen, die Intensi-tätsanpassung infolge der Untergrund-bedingungen im Detail zu untersuchen.Während die Hauptschadensgebieteder Schwäbischen Alb vorwiegenddurch felsigen Untergrund bestimmtsind, zeichnet sich das Untersuchungs-gebiet in Teilen von Nordrhein-West-pfahlen und Rheinland-Pfalz durchz. T. mächtige Sedimentauflagen aus.Wie gezeigt werden kann, nimmt derBraunkohletagebau Einfluß auf dieseismischen Übertragungseigenschaf-ten, so daß hier die Besonderheit einerdurch anthropogene Vorgänge verän-derten Ausprägung der Schüttergebieteund die Notwendigkeit sowie metho-dische Ansätze der Intensitätskorrek-tur (DIs) herausgearbeitet werden.

DankDie Untersuchungen wurden im Rah-men eines Projektes 246 118 75 „Scha-denspotentiale infolge Erdbeben“durch die Aon Jauch und Hübener,Hamburg gefördert. Die Bearbeiterdanken für die Unterstützung der For-schungs- und Entwicklungsarbeiten.

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J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

Bild 10. Mittlere Verlustrate (Mean Damage Ratio MDR) in den infolge eines Herdes nahe Tübingen (Nr. 2 in Tabelle 3)betroffenen Gemeinden (vgl. auch Tabelle 6), a) Szenarium: I0 = 7.0, b) Szenarium: I0 = 8.0Fig. 10. Predicted Mean Damage Ratios (MDR) in the different communities due to an earthquake with source nearTübingen (no 2 in table 3), a) scenario for intensity I0 = 7.0, b) scenario for intensity I0 = 8.0

a) b)

Page 15: Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben – Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg

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Autoren dieses Beitrages:Dr.-Ing. Jochen Schwarz, Dipl.-Ing. ChristianKaufmann, Dipl.-Ing. Tobias Langhammer, Zen-trum für die Ingenieuranalyse von Erdbeben-schäden (Erdbebenzentrum), Bauhaus-Univer-sität Weimar, Marienstraße 13B, 99421 Weimar

J. Schwarz/T. Langhammer/Ch. Kaufmann · Quantifizierung der Schadenspotentiale infolge Erdbeben · Teil 2: Modellstudie Baden-Württemberg