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Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven Bd. 72 1992 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Max Weber Stiftung Deutsche Geisteswis- senschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Her- unterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträ- ger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu priva- ten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hin- ausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weiter- gabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.

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Bd. 72 1972

Bd. 71 1971

Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven

Bd. 72

1992

Copyright

Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswis- senschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Her- unterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträ- ger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu priva- ten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hin- ausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weiter- gabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.

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DAS KÖNIGTU M BERNHARD S VO N ITALIE N UND SEI N VERHÄLTNI S ZU M KAISERTU M

von

PHILIPPE DEPREU X

Als Ludwig der Fromme 813 zum Nachfolger Karl s des Gro-ßen bestimmt wurde und 814 die Herrschaft tatsächlic h übernahm, stand Italie n sei t mehreren Jahrzehnte n unte r de r Herrschaf t de r Franken. Trotzdem war am Anfang seiner Regierung Ludwigs Be-ziehung zu diesem Königreic h nich t problemlos. 1 Auch seine Hal -tung gegenüber dem Papsttum scheint zweideutig gewesen zu sein. In Verbindung damit werden zwei Vorfälle noch heute von den For-schern meh r ode r wenige r i n ihren institutionelle n Ursache n un d Folgen verschwommen geschildert: die Salbung Ludwigs des From-men i n Reim s durc h Paps t Stepha n IV. 2 und de r Aufstand Bern -

1 Dies e Studie is t vo r alle m de n Beziehunge n zwische n Ludwig dem From -men und Bernhard von Italien gewidmet. Vgl. dazu K. F. Werner, Hludo-vicus Augustus. Gouverne r Tempir e chretien. Id6es et rSalites, in: P. God -man, R . Collin s (Hg.) , Charlemagne' s Heir . Ne w Perspective s o n th e Reign o f Loui s th e Piou s (814-840) , Oxfor d 1990 , S. 3-123, hie r S . 31 ff. Für seine Vorschläge bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Reinhard Elze . Was die Sprache anbelangt, bin ich Herrn Dietmar von der Pfordten (Mün -chen) und Frau Isabel Zeilinger (München) für ihre Hilfe dankbar .

2 Hie r können nicht alle Studien erwähnt werden, in denen diese Feierlichkeit behandelt wird. Die ausführlichste Studie , die auf die weitere Literatur hin-weist, is t W . Mohr , Reichspoliti k un d Kaiserkrönun g i n de n Jahre n 81 3 und 816, Die Welt als Geschichte 20 (1960) S. 168-186. H. H. Anton, Be -obachtungen zu m fränkisch-byzantinische n Verhältni s i n karolingische r Zeit, in : Beiträge zu r Geschicht e de s Regnum Francorum , Referat e bei m Wissenschaftlichen Colloquiu m zum 75. Geburtstag von Eugen Ewig , hg . von R . Schief fer, Beiheft e de r Franci a 22 , Sigmaringen 1990 , S. 97-119,

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2 PHILIPPE DEPREU X

hards vo n Italien. 3 U m die s z u verdeutlichen , se i hie r ein e neu e Interpretation einige r Quelle n vorgelegt . Beabsichtig t is t abe r nicht, diese Vorfälle selbst zu behandeln, sondern ihren Zusammen-hang bzw. ihre Ursachen zu erhellen und einige Aspekte des institu-tionellen Verhältnisse s zwischen de m Kaisertu m un d de m König -tum von Italien darzustellen.

Zwei Jahre nach de r Eroberun g de s langobardischen König -reichs ließ Karl der Große aus Anlaß eines italienischen Aufstandes alle öffentlichen Ämte r Nichtitalienern (besonder s Franken) über-tragen.4 Sieben Jahre lang regierte Karl allein in Italien. Zu Ostern 781 wurd e sei n Soh n Karlmann/Pippi n gleichzeiti g mi t Ludwi g dem Fromme n durc h Paps t Hadria n zu m Köni g geweiht.5 Vorher hat de r Papst Karlman n getauf t un d ihm den neuen Namen ,Pip -pin* gegeben.6 Es ist bekannt , da ß di e Namenswahl i n diese r Zei t

hier S . 107 f., ha t jüngs t versucht , durc h m.E . nich t überzeugend e Argu -mente die Salbung zu widerlegen. Zur mystischen Bedeutun g de r Reimse r Zeremonie vgl. zuletzt Ph. Depreux, Sain t Remi et la royautS carolingien-ne, Revue Historique 285/2 (1991) S. 235-360, bes. S. 236 ff.

3 B . Malfa t t i , Bernard o r e d'Italia , Firenz e 1876 ; E . Mühlbacher , Zu r Geschichte Köni g Bernhard s vo n Italien , Mitteilunge n de s Institut s fü r Österreichische Geschichtsforschung 2 (1881) S. 296-302; T. F. X. Noble , The Revolt of King Bernhard of Italy in 817: Its Causes and Consequences , Studi Medieval i 1 5 (1974) S . 315-326; Dizionario biografico degl i Italian i 9, Roma 1967 , Art. Bernardo , S . 228-231; und zuletz t J . J a rnu t , Kaise r Ludwig de r Fromm e und Köni g Bernhar d vo n Italien . De r Versuc h eine r Rehabilitierung, Studi Medievali 30/2 (1989) S. 637-648.

4 Annales regni Francorum (= Annales Laurissenses maiores) a. 776, Annales regni Francorum inde ab a. 7U1 usque ad a. 829 qui dicuntur Annales Lauris-senses maiores et Einhardi, hg. von F. Kurze, MG H SS rerum Germanica -rum i n usum scholarum separatim edit i VI, 1895, S. 44: et disposuit omnes per Francos. Vgl. E . Hlawitschka , Franken , Alemannen , Bayer n un d Burgunder in Oberitalien (774-962) . Zum Verständnis der fränkischen Kö -nigsherrschaft i n Italien, Freiburg i. B. 1960.

5 Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a . 781, S. 56, und di e überarbeitet e Version (Ann. q. d. Einhardi), S. 57. Pippin beka m da s Königreic h Italie n und Ludwig das Königreich Aquitanien.

6 Chronicon Moissiacense, a. 781, hg. von G. Per tz, MG H SS 1,1826, S. 297; Pauli continuatio romana, a. 781, hg. von G. Waitz, MGH SS rerum Lango-bardicarum et Italicarum, saec. VI-IX, 1878 , S. 202.

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DAS KÖNIGTUM BERNHARDS VON ITALIEN 3

eine politisch-programmatische Bedeutun g hatte: 7 Sie kann i n die -sem Fal l schwerlic h ander s interpretier t werde n al s ein e a n Kar l den Großen 8 gerichtete Ermahnung , sich in einer Zeit, da der Paps t Mißerfolge i n seine r Italienpoliti k hatte, 9 so wohlwollen d wi e sei n Vater gegenüber dem Papsttum zu verhalten.10

Die sogenannt e Divisio regnorum vo n 80 6 hatte Vorsorg e fü r den Fal l getroffen , da ß Pippi n sein e Brüder nich t überlebte . Dan n sollte sei n Königreic h i n zwe i Teil e geteil t werden : Kar l sollt e di e östlichen Gebiet e Norditalien s einschließlic h Pavi a sowi e da s Her -zogtum Spolet o un d Ludwi g de n westliche n Tei l Norditalien s be -kommen. Ein e entsprechend e Teilun g vo n Karl s ode r Ludwig s Reich wa r ebenfall s vorgesehen. 11 Nu r i m Fall , da ß eine r vo n de n Erben Karl s des Großen einen Sohn habe, den die Großen (populus) zum Köni g wähle n (eligere) wollten, sollte n beid e Onke l au f ihr e Rechte verzichte n un d erlauben , da ß ih r Neff e i m Teilreic h seine s Vaters regiere.12 So kam es, daß Bernhard seinem Vater nachfolgte .

Pippin von Italien starb am 8. Juli 810,13 in seinem 33. Lebens-jahr.14 Di e Chroni k vo n Moissa c berichtet : Anno 810 ...Et ipsa aestate mortuus est Pippinus rex Langobardorum, filius Karoli impe-ratoris; et ipse piissimus Karolus constituit Bernardum, filium Pippi-ni, regem super Italiam in loco patris sui. 15 Der Chronis t faß t jedoc h

7 Vgl . J. J a rnu t, Chlodwi g und Chlothar . Anmerkungen zu den Namen zwei-er Söhne Karls des Großen, Francia 12 (1984) S. 645-651.

8 D a Pippin zu diesem Zeitpunkt erst vierjährig war, konnte der Papst nichts von dem Knaben verlangen.

9 Vgl . L. Halphen , Charlemagn e e t Tempire carolingien, Pari s 1947 , 21968, S. 102 ff.

10 Vgl . K. F. Werner, Hludovicus Augustus (wi e Anm. 1) S. 21 Anm. 66. 11 MG H Capitulari a regum Francorum I , hg. von A. Boret ius, 1883 , Nr. 45

c. 4, S. 127-128. 12 Ebd. , c. 5: Quod si talis filius cuüibet istorum triumfratrum natusfuerit, quem

populus eligere velit ut patri suo in regni hereditate succedat, volumus ut hoc consentiant patrui ipsius pueri et regnare permittant filium fratris sui in por-tione regni quam pater eius,frater eorum, habuit.

13 Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 810, S. 132. 14 Thegan , Vita Hludowici imperatoris, c. 5, hg. von G. Per tz, 1829 , MGH SS

H, S. 591. 15 Chronicon Moissiacense (wie Anm. 6) a. 810, S. 309.

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den Vorgang, der nach Pippins Tod stattfand, zu knapp zusammen: Pippin wurde nicht sofort ersetzt, und die Verwaltung Italiens wur-de de n missi dominici anvertraut, dere n berühmteste r Adalhar d war,16 doch der Abt von Corbi e war nicht de r einzige Verwalter.17

Obwohl Karl der Große nach Pippins Tod als alleiniger Herrsche r in Italien anerkannt wurd e (wie es in der Datierung der Privatur -kunden nachweisbar ist 18), läßt sich feststellen, da ß Kar l sehr frü h die Absich t hatte , da s Königreic h ungeschmäler t seine m Enke l Bernhard zu übergeben.

Der erste Grund dafü r wa r Karls Liebe zu Pippin. Ermoldu s Nigellus weist nach, daß Karl ihn besonders gern hatte,19 und Ein -hard bestätigt dieses Zeugnis, wenn er schreibt, daß Karl wegen sei-ner pietas, das heiß t seine r Zuneigung , Bernhar d da s Erb e seine s Vaters gegeben habe. 20 Das wichtigste Zeugni s besteht abe r nich t

16 Z u Adalhard s. B. Kasten, Adalhard von Corbie. Die Biographie eines ka-rolingischen Politikers und Klostervorstehers, Düsseldorf 1985.

17 G . P . Lambertenghi , Code x diplomaticu s Langobardiae , Historia e Pa -triae Monumenta 13 , Torino 1873, Nr. 88 (vom 4. 6. 813), S. 164-166 (Prä -ambel).

18 C . Manares i ,I placit i del regnum Italiae, vol. 1, Fonti per la storia d'Italia 92, Roma 1955, Nr. 25 (März 812), S. 77-80, und Lambertenghi» Code x (wie Anm. 17) Nr. 87 (April 812), S. 162-163.

19 Ermol d l e Noir , Poem e su r Loui s l e Pieu x e t Spitre s a u ro i PSpi n (Hg . E. Faral), Paris 1932, 21964: In honorem Hludowici Carmen I, V. 74, S. 8; II (carmen) ad eundem Pippinum, V . 175-176, S. 230.

20 Eginhard , Vie de Charlemagne (Hg. L. Halphen), Paris 1938,21981, c. 19, S. 60. Thegan schreibt, daß Bernhard ein illegitimes Kind war: filius Pippir ni ex concubina natus (Thegan , Vita [wie Anm. 14] c. 22, S. 596). Dazu s . E. Tremp, Studien zu den Gesta Hludowici imperatoris des Trierer Chor -bischofs Thegan, Schriften de r MGH 32 , Hannover 1988 , S. 95 ff. Thegan s Behauptung wurde zunächst von den Forschern verworfen (K . F. Werner, Die Nachkommen Karl s des Großen bis um das Jahr 100 0 [1.-8. Genera -tion], in : Kar l de r Groß e 4 : Da s Nachlebe n [Hg . W . Braunfels , P . E . Schramm], Düsseldorf 1967 , S. 403-479, hier S. 445). Nach dem Ergebnis der Forschungen von K . Schmid, Zu r historischen Bestimmun g des älte-sten Eintrag s im St . Galle r Verbrüderungsbuch , Alemannische s Jahrbuc h 1973/1975, Festschrift fü r Brun o Boesch , Büh l 1976 , S. 500-532, scheint es aber, daß Thegan zu Recht Bernhard als illegitimes Kind König Pippins bezeichnet hat (K. F. Werner, Hludovicus Augustus [wie Anm. 1] S. 34 und Anm. 110).

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DAS KÖNIGTUM BERNHARDS VON ITALIEN 5

hierin, sondern in der Aussage, die in der Translatio s. Viti martyris, dem Wer k eine s Mönches von Corbie , zu lesen ist . Allerdings steh t im 6 . Kapitel , da ß di e Verwaltun g de s Langobardenreiche s Adal -hard, dem Abt von Corbie , anvertraut wurde , bis Bernhard, der 810 noch zu jung war,21 volljährig wurde: Sed iam dicto abbati Mo in tem-pore commissa erat cura maxima, videlicet ut regnum Longobardorum gubernare deberet, donecfilius Pippini Bernkardus nomine crescereL22

Bernhard, de r i m Kloste r Fuld a erzoge n wurd e un d danac h wahr -scheinlich ein e kurz e Zei t i n Aache n verbrachte, 23 heiratet e Cuni -cunda24 (vielleich t ein e Enkeli n Suppos, 25 des Grafen vo n Brescia) .

Bernhards Geburtsdatu m is t unbekannt. D a Ludwig de r Fromme in der Ordinatio imperii bestimmt, daß die Mündigkeit nach der lex Ribuaria mit 15 Jahren eintrit t (MG H Capitulari a I [wie Anm. 11] Nr. 136 c. 16, S. 273), wird vermutet , Bernhar d se i 797 geboren. Vgl. K. F. Werner, Di e Nach-kommen (wie Anm. 20) S. 445. Translatio sancti Viti martyris - Übertragun g des hl. Märtyrers Vitus, bear-beitet und übersetzt von I. Schmale-Ott, Veröffentlichunge n de r Histori-schen Kommission für Westfalen 41 : Fontes minores 1, Münster i . W. 1979, S. 36ff. Epistolarum Fuldensium fragmenta, hg. von E. Dummler, MG H Epistola e V, 1898-1899 , S . 517: Bernkardus, filius Ludovici imperatoris, in Fuldensi coenobio in adolescentia sacras litteras didicit usque ad iuvenilem aetatem, sed postea ad patrem in aulam remissus est, ut patet ex epistola Fuldensium ad imperatorem. Die Bezeichnung als „Sohn" Ludwigs des Frommen hat nichts mit der Genealogie, sondern vielmeh r mit der Hierarchie zu tun (dagegen sind zwe i gleichrangig e Herrsche r „Brüder" ; vgl . L. Halphen , Charle -magne [wie Anm. 9] S. 123f.; zu dieser Frage s. zuletzt A. Angenendt, Die Karolinger un d die „Famili e de r Könige" , Zeitschrift de s Aachener Ge-schichtsvereins 96 [1989] S. 5-33, mit Angabe weiterer Literatur). Von wel-cher aula ist aber die Rede? Da Bernhards Schwestern nach Pippins Tod in der Pfalz in Aachen mit Karls Töchtern erzogen wurden (Eginhard , Vie de Charlemagne [wi e Anm. 20] c. 19, S. 60) - dagege n behaupte t Alpcharius , der bajolus von Pippins Tochter Adelheid, er sei per iussionem domno Pippir no rege, d . h. also, als Pippin noc h lebte , in Franciam ad domnum Carolum imperatorem gezogen (Manaresi, I placiti [wie Anm. 18] Nr. 45, S. 150) - , ist es höchst wahrscheinlich, daß der Jüngling auch dorthin gezogen ist. G. Pochet t ino, I Pipinidi in Italia (sec . VIE-XII), Archivio storico lom-bardo 54 (1927) S. 1-42, bes. S. 2ff. Vgl. J. Fischer, Königtum , Adel und Kirche im Königreich Italien (774 -875), Bon n 1965 , Exkurs: „Königi n Cunigund a un d di e Supponiden" , S. 205-207.

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Obwohl Bernhar d währen d seine r Kindhei t kein e besondere Bezie -hung zu Italien hatte, war er dort gern gesehen und beliebt. 26

Die erste Erwähnung der Tätigkei t Bernhard s in Italien steh t im Berich t de r Reichsannale n übe r da s Jah r 812 . Anläßlic h de r Reichsversammlung sende t Kar l de r Groß e seinen Enke l nach Ita -lien: Quibus dimissis Imperator generali conventu Aquis sollemniter habito Bernhardum filium Pippini, nepotem suum, in Italiam misit...21 E r wir d vo n Wala 28 begleitet , a n desse n Verwandtschaf t mit de m karolingische n Hau s an diese r Stell e in den Annalen erin -nert wird . Adalhard s Brude r sollt e Italie n gege n eine n sarazeni -schen Angriff verteidigen . Infolgedessen wa r seine Kompetenz zeit -lich und inhaltlic h begrenzt . Was Bernhards institutionellen Statu s betrifft, is t dieser Text leide r verschwommen. Ers t i m Berich t zu m Jahr 81 3 wir d Bernhar d mi t de m königliche n Tite l erwähnt . I m September diese s Jahres findet ein e Reichsversammlung i n Aache n statt, währen d de r Kar l de r Groß e seine n Soh n Ludwi g zu m Mit -kaiser erhebt.29 Erst danac h sol l Karl nach diese r Quell e seinen En -kel mit der Regierung Italiens beauftragt un d allen befohlen haben , ihn als König anzuerkennen: Ac deinde habito generali conventu, evo-catum ad se apud Aquisgrani filium suum Hludowicum Aquitaniae regem, coronam Uli inposuit et imperialis nominis sibi consortemfecit; Bernhardumque nepotem suum, filium Pippini filii sui, Italiae prae-

26 Andrea s von Bergamo , Historia, c. 5, hg. von G . Waitz, MG H S S rerum Langobardicarum e t Italicarum, saec. VI-IX, 1878 , S. 224: Reliquid filium Bernardum nomine, cui Karolus Italia concessit. Qui cum esset penuriaefamis Italiae preucupata, subito ut Bernardo regnum accepit, dignitatem ubertatem-que advenit, et sicfuit dum ipse regnavit. Vielleicht ist dieser Eindruck, unte r Bernhards Regierung habe eine „goldene Zeit" geherrscht, entstanden, weil der König von Italien unter tragischen Umständen bzw. als »Märtyrer* und Opfer der »Grausamkeit* Ludwigs des Frommen - un d möglicherweise sei-ner Gemahlin (s. unten Anm. 63) - 81 8 gestorben ist.

27 Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 812, S. 136-137. 28 Z u Wala s. L. Weinrich, Wala , Graf , Mönch und Rebell . Die Biographi e

eines Karolingers, Historische Studien 386, Lübeck-Hamburg 1963. 29 J . F . Böhmer , E . Mühlbacher , Regest a imperi i 1 : Die Regeste n de s

Kaiserreichs unter den Karolingern, 751-918, mit einem Vorwort, Konkor -danztabellen und Ergänzungen von C. Brühl un d H . H. Kaminsky, Hil -desheim 1966 (künftig zitiert als BM2), Nr. 479(466) a & b.

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DAS KÖNIGTUM BERNHARDS VON ITALIEN 7

fecit et regem appellari iussit.zo Obwohl keine Quelle von einer Krö-nung spricht, ist Carlrichard Brühl der Meinung, daß Bernhard aus diesem Anlaß gekrönt wurde.31 War aber Bernhard nicht schon vor-her König , das heißt sei t de r Aussendung im Jahre 812? Hier muß man sic h a n ander e Quelle n halten , insbesonder e a n di e italieni -schen Privaturkunden.

Darunter gib t es Urkunden, die vor der Aachener Reichsver -sammlung vom September 813 entstanden sind, in deren Datierung Bernhard al s Köni g bezeichne t ist. 32 Aus den Datierunge n de r i n Bernhards Regierungszei t ausgestellte n Privaturkunden 33 kan n man schließen , da ß Bernhard s Regierungsantrit t zwische n de m 20. Juli 812 und Oktober/Novembe r 81 2 stattfand,34 als o ungefäh r ein Jahr vor der Aachener Versammlung im September 813. Selbst-verständlich konnte diese Erhebung zum König nur aus Anlaß der Versammlung im Sommer 812, als Bernhard nach Italien geschickt worden war, stattgefunden haben . Dafür gib t es auch einige Bewei-se i n erzählende n Quellen . I n de n Salzburge r Annalen 35 (Annales Iuvavenses maximi, Annales Iuvavenses maiores, Annales s. Emme-rammi maiores) wird Bernhard s Einsetzun g jedesma l unte r de m Jahr 812 erwähnt und (außer in den Annales Iuvavenses maiores, wo sie unter 814 geführt ist ) die Erhebung Ludwigs des Frommen zum Mitkaiser unter der Jahreszahl 813. In der Reimser Handschrift de r Annales Laurissenses minores kann man lesen: Bernardus filius Pip-

Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 813, S. 138. C. Brühl, Fränkische r Krönungsbrauch und das Problem der Festkrönun-gen, Historisch e Zeitschrif t 19 4 (1962 ) S . 265-326. Nachdruc k i n ders. , Aus Mittelalter und Diplomatik 1, Darmstadt 1989, S. 351-412, hier S. 387. Manaresi, I placit i (wi e Anm . 18) Nr . 26, S . 80-84. Lambertenghi , Codex (wie Anm. 17) Nr. 88t S. 164-166, und Nr. 89, S. 166. Ich konnte nicht alle italienischen Privaturkunden einsehen; für diese Stu-die wurden nur die Sammlungen von Lambertenghi und Manaresi benützt. Manaresi, I placiti (wi e Anm. 18) Nr. 26 (Apri l 813 = 1 . Jahr von Bern-hards Herrschaft), Nr. 28 (Februar 814 = 2. JBH), Nr. 29 (November 815 = 4. JBH) ; Lambertenghi , Code x (wi e Anm . 17) Nr . 88 (4 . Jun i 81 3 = 1. JBH), Nr . 89 (24 . Juni 813 = 1 . JBH), Nr . 90 (3 . März 914 = 2 . JBH), Nr. 92 (19. Juli 816 = 4. JBH). Annales ex annalibus Iuvavensibus antiquis excerpti, hg. von H. Bresslau , MGH SS XXX, 2,1934, S. 738-739.

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pini, fratris Hludoici filii Karli magni imperatoris, constituitur pro patre suo in regnum Italiae.™ Hier sin d kein e Date n genannt , di e Ordnung de s Texte s is t abe r wichtig : ers t danac h wir d Ludwig s Krönung erwähnt . Deswege n mu ß ma n trot z de s Widerspruch s zum Bericht der Reichsannalen annehmen , daß Bernhard 812 zum König erhoben wurde.

Es gib t meine s Erachten s nu r ein Mittel , u m diese n Wider -spruch z u lösen . Hie r is t di e Frag e nac h de r Entstehungszei t de r Reichsannalen zu stellen. Obwohl man auf diese m Gebie t sehr vor-sichtig sein muß, erlaubt es der Stand der Forschung anzunehmen, daß die Annalen, was die Jahre vom End e de s 8 . Jahrhunderts a n betrifft, meh r oder weniger zeitgleic h mi t de n jeweiligen Ereignis -sen geschrieben wurden, jedes Jahr oder alle zwei oder drei Jahre.37

Deswegen is t e s möglich, da ß di e Bericht e über di e Jahre 812 und 813 erst nach Karl s Tod und Ludwigs Regierungsantrit t geschrie -ben wurden. 38 Nu r wen n ma n diese r Hypothes e folgt , kan n ma n verstehen, warum der Verfasser der Reichsannalen Bernhard s Ein-setzung i m Jahr e 81 2 verschweigt . De r sogenannt e Astronomu s weist nach, 39 da ß Ludwig de r Fromm e un d sein e Ratgebe r nac h Pippins Tod (Juli 810) und dem Ableben Karls des Jungen (Dezem-ber 811) sehr ungeduldig waren, da sie darauf hofften , Ludwi g wer-de di e Gewal t übe r da s ganze Reic h bekomme n (spes universitatis potiundae in eum adsurgebat). Das bedeutete, daß Ludwig auch An-

Annales Laurissenses minores, hg. von G. Per tz, MGH SS 1,1826, S. 121. F. L. Ganshof, L'historiographie dans la monarchie franque sous les Me>o-vingiens et les Carolingiens, in: La storiografia altomedievale . Settimana di studio 17 , Spoleto 1970 , S. 631-685, hier S . 676. Über de n Abschnit t vo n 808 bis 829 (mit vielleicht einer Teilung nach dem Jahr 820) vgl. W. Levi-son, H . Löwe , in: Wat tenbach - Levison , Deutschland s Geschichts -quellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger 2, Weimar 1953, S. 253. Eindeutig is t di e Art de r Abfassung fü r da s Jahr 81 3 synchronistisch. Di e Krönung Ludwigs des Frommen wird als wichtigstes Ereignis fast ganz am Anfang de r Notiz erwähnt , obwohl es der inneren Chronologi e de s Textes nicht entspricht . Über Diachroni e und Synchroni e vgl. M. McCormick , Les Annales d u hau t Moyen-Age , Typologi e de s Source s d u Moyen-Ag e occidental 14, Turnhout 1975, S. 31 ff. Anonymi vita Hludowici imperatoris, c. 20, hg. von G . Per tz, MG H S S II, 1829, S. 617.

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spruch auf Italien erheben sollte. Deshalb kann man sich vorstellen, daß Bernhard s Ernennun g a m aquitanischen Ho f schlech t aufge -nommen wurde, weil das Verhältnis zwischen dem Erben Karls des Großen, Ludwig, der selbstverständlich da s Kaisertum ode r doc h mindestens da s gesamte Reic h erbe n wollte , und Bernhar d unge -klärt war . Nimm t ma n an , da ß de r Verfasse r de r Annalen i n de r Umgebung Kaise r Ludwig s des Frommen schrieb , wird verständ -lich, waru m e r de r Versuchun g nich t widerstehe n konnte , Bern -hards Erhebung erst nach derjenigen Ludwigs zu datieren.

Die Nennung des Königs von Italien is t an diese r Stelle, das heißt im Bericht für 813 , trotzdem nich t unbegründet. Wir wissen durch Thegan , daß Kar l de r Große seinen Sohn vor de r Krönun g unter andere m daz u ermahn t hat , mi t seine n Geschwister n un d Neffen barmherzig zu sein. Erst nachdem Ludwig geantwortet hat -te, da ß e r die s sein werde , erlaubte ih m sei n Vater , sich selbst zu krönen.40 Nach dem Zeugnis der Reichsannalen kann man vermu-ten, daß besonders Bernhards Rechte vor Ludwigs Krönung garan-tiert wurden. Man kann ihre Aussage (... Bernhardumque ... Italiae praefecit et regem appellari iussit) relativ leicht verstehen, wenn man bedenkt, da ß nebe n Ludwi g Bernhar d (vielleich t nich t zu m ersten,41 sonder n zu m zweite n Mal 42) gekrön t wurd e - wen n e r überhaupt eine Krönung empfing.

Trotz alledem hat Ludwig der Fromme an der Ernennung sei-nes Neffen teilgenommen . Vielleicht wurde er dazu von seinem Va-ter gezwunge n (wa s rechtlich legitimier t war 43), obwohl der soge-nannte Astronomu s e s al s freiwillig e Ta t bezeichne t un d meint , Ludwig habe sich bei Karl dem Großen als Fürsprecher seines Nef -40 Thegan , Vita (wie Anm. 14) c. 6, S. 592. Dazu vgl. E. Tremp, Studien (wie

Anm. 20) S. 93. 41 Wi e Brühl, Krönungsbrauch (wie Anm. 31) S. 387, schreibt, der Bernhards

Einsetzung erst im Jahre 813 annimmt. 42 Brüh l stützt sich darauf, daß man durch die Krönung einen König „macht",

um z u sagen , da ß Bernhar d höchstwahrscheinlic h gekrön t wurde . Wen n man annimmt, daß er 812 zum König erhoben wurde, dann muß er aus die-sem Anlaß gekrönt worden sein.

43 Divisio regnorum, MGH Capitulari a I (wi e Anm . 11) Nr . 45, c . 5, S . 128: ...volumus ut hoc consentiant patrui ipsius pueri et regnare permittant filium fratris sui ...

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fen betätigt.44 Nolens volens mußte aber Ludwig seine Zustimmun g geben. Man kan n vielleich t denken , da ß di e Gehorsamkei t de s Kö -nigs von Aquitanien eine List war, um gegenüber Kar l dem Große n seinen Ehrgei z z u verberge n un d u m Zei t z u gewinnen. 45 Dahe r kann das Zerwürfnis de r folgenden Jahre rühren .

Im Jahre 814 ging es noch einmal um die Frage von Bernhard s Königtum. Thega n schreibt , da ß Ludwi g „all e Teilreich e (omnia regna), di e Got t seine m Vate r gegebe n hatte , ohn e Widerspruc h (sine ulla contradictione) übernahm". 46 Dagege n schreib t Nithard : . . . quo undique ad se venientem populum absque quolibet impedimento sue ditioni addixit, de ceteris, qui sibi (minus)* 7 creduli videbantur, de-liberaturus.iS Sol l Bernhar d z u de n Leuten , dere n Treu e unsiche r war, gezähl t werden ? Ma n mu ß allerding s verstehen , da ß Thega n und der sogenannte Astronomus einen sehr klaren Unterschied zwi -schen dem Empfan g de r verschiedenen Botschafte n un d Bernhard s Ankunft i n Aache n machen. 49 E s wär e abe r seh r gewagt , ein e wei -tergehende Hypothes e aufzustellen . Trotzde m solle n zwe i Tatsa -chen angeführ t werden . Einerseit s wurd e Bernhar d zu r Reichsver -sammlung, di e i m Somme r 81 4 i n Aache n stattfand , vorgeladen 50

44 Anonymi (wi e Anm. 39) c. 29, S. 623:. .. cui ipse maxima, ut rexfieret, apud patrem causa fuerat... Di e Annales Lobienses (a. 811) sprechen auch von ei-ner Billigun g Ludwigs des Frommen: Domnus Imperator consensu filiorum suorum Karoli et Ludowici Bernardum, filium Pippini, regem Italiae pro patre suo restituit (hg. von G. Waitz, MGH SS XIII, 1881, S. 231).

45 Ludwig s Strategie, vor dem Vater seinen Ehrgei z zu verbergen, „dami t e r keinen Argwoh n hat" , is t durc h de n sogenannte n Astronomu s bestätigt : Anonymi vita (wie Anm. 39) c. 20, S. 617.

46 Thegan , Vita (wie Anm. 14) c. 8, S. 592. 47 Ph . Lauer hat dieses Wort dem Text beigefügt. D a es in der einzigen Hand-

schrift fehlt , wa r frühe r dies e Stelle unverständlich (Nithardi Historiarum libri IUI, hg . von E . Müller , MG H S S rerum Germanicaru m i n usu m scholarum separatim editi XLIV, 1907, S. 2 Anm. b).

48 Nithard , Histoir e des fils de Louis le Pieux (Hg . Ph. Lauer) , Pari s 1926, I. Buch, c. 2, S. 6.

49 Thegan , Vita (wie Anm. 14) c. 12, S. 593, und Anonymi vita (wie Anm. 39) c. 23, S. 619.

50 Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 814, S. 141:... Bernhardum regem Italiae, nepotem suum, ad se evocatum muneribus donatum in regnum remi-sit...

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(für sic h genomme n bedeute t die s nicht s Besonderes , d a e s gan z normal ist , da ß ei n Unterköni g de n Oberherrsche r besucht , auc h wenn er evocatus ist, und an den Reichsversammlungen teilnimmt) . Andererseits - hie r lieg t di e Merkwürdigkei t - wa r diese r Besuc h gefährlich fü r Bernhard . S o schreib t Thegan : Eodem tempore venu Bernhardus, filius fratris sui Pippini, et tradidit semetipsum ei ad procerem, etfidelitatem cum iuramento promisit. Suscepit eum libenter domnus Hludowicus, et magnis donis ac honorificis honoravit eum; permisit eum iterum ire incolumem in Italiam. 51 De r Behauptun g Thegans, da ß Bernhar d wohlbehalte n nac h Italie n zurückkehre n durfte, entsprich t di e Datierun g eine r italienische n Gerichtsnotiz , für dere n Verfasse r Bernhard s Rückkeh r ei n Ereigni s ist. 52 W o lag aber die Gefahr? Möglicherweise in der Uneinigkeit über den Statu s des Königs von Italien .

Wir wissen , da ß Ludwi g de r Fromm e gan z andere r Meinun g als sein Vate r war , wa s das Kaisertu m un d sein e Bedeutun g anbe -langte.53 Von Anfang a n ha t e r ander s al s Kar l de r Groß e regiert. 54

Für Ludwi g wa r i n gewisse r Hinsich t di e Divisio regnorum scho n vorbei; die Ordinatio imperii wa r im Entstehen begriffen . Trotzde m ist dies e Erklärun g nich t befriedigend . Ma n ha t vermutet , da ß Bernhard sic h als unabhängiger Köni g benehmen wollte und in den ersten Monaten der Regierung Ludwigs des Frommen eine dement-sprechende Politi k betriebe n hatte . Obwoh l die s ziemlic h „kühn "

51 Thegan , Vita (wie Anm. 14) c. 12, S. 593. 52 Manares i , I placit i (wie Anm. 18) Nr. 29, S. 90: In nomine Patri et Filii et

Spiritus Sancti. Regnante domno nostro Hludouuico Serenissimus augustus a Deo coronatus magnus et pacificus imperatore anno secundo et domno nostro Bernardus rege Langobardorum, anno regni eius, postquam in Dei nomine in Italia reversus est, quarto, mense november, indictione nona. Diese Notiz is t um s o interessanter , al s die Vorlage für di e Bezeichnun g Kaise r Ludwig s eindeutig eine Urkunde Kaiser Karls des Großen ist, da die Art dieser Da-tierung der Intitulatio Karls ähnlich ist.

53 Vgl . L. Halphen, Charlemagn e (wie Anm. 9) S. 197ff. 54 J . Semmier , Iussit .. . Princeps renovare .. . praecepta. Zur verfassungs -

rechtlichen Einordnun g de r Hochstift e un d Abteie n i n di e karolingisch e Reichskirche, in : Consuetudine s Monasticae . Ein e Festgab e fü r Kassiu s Hallinger au s Anla ß seine s 70 . Geburtstage s (Hg . J . F . Angere r -J. Lenzenweger) , Studia Anselmiana 85, Roma 1982, S. 97-124.

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scheint, „fehlt es nicht an Thatsachen, welche geeignet sind eine sol-che Annahme zu unterstützen" - u m Mühlbacher s Formulierun g zu benützen.55 In der Tat gibt es einige italienische Privaturkunden vom Frühjahr 814 , die in ihrer Datierung Bernhard allein erwähnen und di e Herrschaf t Ludwig s de s Fromme n verschweigen. 56 Meh r weiß man darüber nicht.

Thegans Zeugni s sol l abe r noc h untersuch t werden . E r be -schreibt ausführlich , wa s i n Aache n geschah. 57 Bernhar d leistet e eine traditio seiner selbst und schwor dem Kaiser seine Treue (fideli-tatem cum iuramento promisit). Was genau bedeute t dies e traditio? Ein Vorfall, der sich ungefähr gleichzeitig ereignete, kann dies erhel-len. Es handelt sic h um di e Huldigung de s Dänen Herioldus . Der König, der aus seinem Königreich verbannt ist , kommt zu Ludwig dem Frommen, um den Kaiser um Hilfe zu bitten. Der sogenannte Astronomus führt an , daß er iuxta morem Francorum manibus illius se tradidit.5S Der Verfasser de r Reichsannalen schreibt aber: et se in manibus illius commendaviL59 Diese traditio ist also eine Huldigung, durch die Herioldus wie Bernhard vassi Ludwigs des Frommen ge-worden sind. 60 Man kan n di e Parallelitä t zwische n Herioldu s und

55 E . Mühlbacher, Zu r Geschichte (wie Anm. 3) S. 299. 56 G . Ei ten, Da s Unterkönigtum im Reiche der Merowinger und Karolinger ,

Heidelberg 1907 , S. 53 Anm. 2. Allerdings muß gesag t werden , da ß einig e Urkunden Ludwigs des Frommen, die er als König von Aquitanien ausstel-len ließ, in der Datierung nur auf Ludwig s Regierungsjahr hinweisen , ohne Karl den Großen zu erwähnen: BM2 518(499) und 519(500). Genauso heißt es in einer im Jahr 801 für da s Kloster Conque s ausgestellten Privaturkun -de: G. Des jardins, Cartulair e de l'abbaye de Conques en Rouergue, Paris 1879, Nr. 1, S. 1-3. Bi s jetzt ha t abe r kei n Historike r behauptet , Ludwi g habe die Herrschaft seine s Vaters verneinen wollen. Was die Interpretatio n der Datierungen, di e Bernhard allei n erwähnen , anbelangt , mu ß man also sehr vorsichtig sein.

57 S . oben Anm. 51. 58 Anonymi vita (wie Anm. 39) c. 24, S. 619. 59 Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 814, S. 106. 60 Zu m Lehnswesen s. F. L. Ganshof, Qu'est-c e que la f6odalit6?, Paris 1944,

51982, und zuletzt W. Kienast, Di e fränkische Vassalitä t (Hg . P. Herde), Prankfurt a . M. 1990 . Man finde t da s Wor t tradere i n diese m Sin n i n de r Formel von Tours Nr. 43 (Ganshof, S. 24).

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Bernhard nicht sehr weit ziehen, da der Däne durch die Huldigung, seine königliche Würde wahrscheinlich verlor,61 während Bernhard s Königtum von Kaiser Ludwig anerkannt wurde. 62 Trotzdem sollte man sic h noch einmal an Thega n halten . E r behauptet , Bernhar d habe sich ad procerem tradiert , da s heißt nich t al s König, sondern als einer der Großen Ludwigs. Es ist im übrigen zu bemerken, daß Thegan de n junge n Man n niemal s al s Köni g erwähnt , s o al s se i Bernhard kein König.

Dies ist noch ein weiteres Indiz dafür, daß Bernhards Lage un-sicher war, insofern Thegan s Zeugnis beweist, daß sein Königtu m vermutlich nicht von allen (fränkischen) Große n anerkannt wurde. Wahrscheinlich ist , daß Bernhard am Hofe Ludwigs des Frommen Feinde hatte. Dabei wäre in erster Linie Ludwigs erste Gemahlin , Irmingard, zu nennen, wenn wir dem Zeugnis des Andreas von Ber-

Vor der Huldigung von 814 wird Herold in den Reichsannalen (wie Anm. 4) gemeinsam mi t Reginfri d al s rex Danorum bezeichnet; danac h is t e r ohn e Titel erwähnt . Dagege n bezeichne t Ermoldu s Nigellu s Herol d al s rex (Poeme [wi e Anm. 19], In honorem Hludowici carmen IV, V . 1970, S. 150), und nach seinem Zeugnis scheint Ludwig der Fromme nicht die Absicht ge-habt zu haben, ihn durc h die Taufe zu unterwerfen (V . 1984-1985, S. 150), was dem End e de s Abschnittes widerspricht . Nac h de r Tauf e ha t Ludwi g der Fromme seinem Patenkind eine Corona (V. 2262, S. 172) geschenkt. Dies darf abe r nich t unbeding t al s königliches Merkma l angesehe n werden , d a Obertürhüter Gerun g auch eine Corona trägt (V . 2297, S. 176) und Matfri d und Hug o coronati sind (V . 2306, S . 176). Am End e de s Treffen s huldig t Herold und tradier t dem Kaiser sich selbst und sein Reich (V . 2484-2485, S. 188). Danach schenkt Ludwig seinem fidelis (V. 2493, S. 188) Güter. Da-gegen (ode r ergänzend) schreibt der sogenannte Astronomus, es sei Herold ein comitatus verliehen worde n (Anonymi vita [wie Anm. 39] c. 40, S. 629). Zum Schlu ß schreib t Ermoldu s Nigellus , da ß Ludwi g de r Fromm e ei n Reich zugleic h fü r Got t gewonne n un d dem Frankenreic h angeschlosse n habe (V . 2514-2515, S. 190). Diesen Anschluß muß man so verstehen, da ß Herold mindestens an Prestige verloren hat . Praeceptum de rebus forfactis et postea restitutis, Formulae imperiales, Nr. 8, hg. von K. Zeumer, MG H Formulae Merowingici et Karolini aevi, 1882-1886, S. 293: ... Bernardus, quem Italie domnus et genitor Karolus pie recor-dationis Serenissimus imperator sive nos regem praeposuimus ... I n de r Urkunde vom 17 . November 816 für da s Kloste r Sa n Salvatore in Monta -miata, BM 2 639(619), wird Bernhar d als dilectus filius noster Bernardus rex bezeichnet.

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gamo glaube n dürfen. 63 De r Verfasse r faß t Bernhard s Regierun g sehr kur z zusammen un d schreibt , da ß e r durc h di e Kaiserin nac h Aachen gerufe n un d dor t nesciente imperatore vo n ih r geblende t wurde. Obwoh l die s eine Fabe l ist , is t di e Erwähnun g vo n Irmin -gards Feindschaf t nich t ohn e Interesse , d a si e un s zu m Aufstan d Bernhards und seinen Ursachen führt . Obgleic h der Kaise r und de r König zueinande r gut e Beziehunge n unterhielten , wa s Bernhard s Anwesenheit be i de n Reichsversammlungen 64 un d de r ih m anver -traute Auftra g i n Rom 65 beweisen , un d da s »Mißverständnis ' vo n 814 bereinigt schien , griff Bernhar d 81 7 unerwartet gege n den Kai -ser zu den Waffen. Hie r ist nicht der Ort , den Aufstand ausführlic h zu beschreiben.66 Die Ereignisse sind im Grunde wohlbekannt.67 An dieser Stelle sei nur in Erinnerung gebracht , da ß Bernhard Ludwi g den Frommen stürzen wollte.68

Die Chronik vo n Moissac liefert i m Unterschied z u den ande-ren Zeugnisse n Bernhard s Motivation: 69 Si e berichtet , wi e Lotha r 817 zum Kaise r erhobe n wurde . Danach erwähn t de r Chronis t di e Nennung Arnulfs , eine s unehelichen Sohn s Ludwigs des Frommen , als Gra f vo n Sen s un d schreib t zuletzt : Audiens autem Bernardus (filius Pippini regis) rex Italiae, quod factum erat, cogitavit consilium Pessimum, voluitque in imperatorem et in filios eius insurgere, et per tyrannidem imperium usurpare. E s ist klar, daß nach dem Verfasse r

Andreas von Bergamo, Historia (wie Anm. 26) c. 6, S. 225. Juli 815 : unter andere n Thegan , Vita (wie Anm. 14) c . 14, S. 693; Augus t 816: Chronicon Moissiacense (wie Anm. 6) S. 312. Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 815, S. 142-143. Vgl. Noble, Th e Revol t (wi e Anm. 3), und Ja rnu t , Kaise r Ludwi g (wi e Anm. 3). Allerdings mu ß ma n sagen , da ß di e Frag e bezüglic h de r Ratgebe r Bern -hards, die ihn zum Widerstand geführt haben , sowie die Frage bezüglich ih-rer Persönlichkei t un d ihre s Einflusse s au f de n junge n Köni g noc h nich t ganz gelöst sind und der Stand der Forschung noch nicht befriedigend ist . Thegan, Vita (wie Anm. 14) c . 22, S. 596: .. . voluit eum a regno expellere. Jarnu t , Kaise r Ludwig (wie Anm. 3) S. 646, zweifelt an der Glaubwürdig -keit dieser Nachricht und spricht von einer „angebliche(n ) Verschwörung " Bernhards. De r Versuch , di e ganze Schul d au f Ludwi g de n Fromme n z u werfen, überzeugt aber nicht wirklich. Chronicon Moissiacense (wie Anm. 6) a. 817, S. 312.

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die Ordinatio imperii di e Ursache war für Bernhard s Aufstand. Ma n muß abe r noc h weite r i n de r Erklärun g gehen : Die Historike r sin d in de r Mehrhei t de r Meinung , da ß di e Regelung vo n 81 7 eine Auf-hebung der Rechte des Königs von Italien war,70 „bien que YOrdina-tio n'eüt poin t port6 atteinte ä sa Situation".71 Die Quellen erlaube n uns nicht festzustellen , da ß Bernhar d „nich t zur Teilnahme (a n de r Reichsversammlung vo m Jul i 817 ) eingelade n wurde"; 72 seine Ab -wesenheit is t abe r höchs t wahrscheinlich . Freilic h mu ß ma n be -tonen, da ß Bernhar d i m Tex t de r Ordinatio nich t erwähn t ist . Da s 17. Kapitel is t seinem Königreic h gewidmet : Regnum vero Italiae eo modo praedicto filio nostro, si Deus voluerit ut successor noster exsis-tat, per omnia subiectum sit, sicut et patri nostro fuit et nobis Deo vo-lente praesenti tempore subiectum manet.™

Einiges is t hie r z u beobachten . Ersten s is t z u bemerken, da ß Lothars Herrschaf t i n Italie n i m Gegensat z z u de r seine r Brüder , deren Regierun g i n de n ihne n zugeteilte n Königreiche n sofor t be -gann,74 erst mit dem Tode seines Vaters in Kraft trete n sollte. Bern-hard sollt e als o unte r Lotha r wi e unte r desse n Vate r sein e Regie -rung beibehalten. Zweitens muß aber festgestellt werden , daß Bern -hard sei n Königreic h seine n Nachkommen 75 nich t al s Erbschaf t überlassen durfte. 76 Hie r lieg t de r Gegensat z z u de n Söhne n Lud -wigs de s Frommen. 77 Di e Vernichtun g de r Zukunf t seine s Ge -

70 Noble , The Revolt (wie Anm. 3) S. 317. 71 F . L. Ganshof , Observation s sur YOrdinatio imperii de 817, in: Festschrif t

für Guido Kisch, Stuttgart 1955, S. 15-32, hier S. 29. 72 W . Mohr, Di e kirchliche Einheitspartei und die Durchführung de r Reichs-

ordnung von 817, Zeitschrift fü r Kirchengeschicht e 7 2 (1961) S. 1-45, hie r S.4.

73 MG H Capitularia I (wie Anm. 11) Nr. 136, S. 273. 74 Ebd. , c. 1 (Pippin) und c . 2 (Ludwig), S. 271. Seit 814 ist Pippin in der Ta t

schon König von Aquitanien. 75 Bernhar d hatt e einen Sohn namens Pippin: Werner, Hludovicus Augustus

(wie Anm. 1) S. 32 und Anm. 104. 76 Die s is t i m Tex t nich t deutlic h ausgedrückt . D a nu r Lothar s Recht e er -

wähnt sind, muß man aber annehmen, daß die Errichtung eines selbständi-gen königlichen Geschlechtes in Italien nicht in Frage kam.

77 Nac h dem 14 . Kapitel de r Ordinatio imperii wird da s Königreich (Aquita -nien ode r Bayern ) eine m de r Erbe n überlassen . I m Unterschie d z u de m

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schlechts78 und vielleicht auch ein Gefühl von Ungerechtigkeit sol-len de n Köni g vo n Italien zu m Aufstan d getriebe n haben . Ei n Punkt bleib t dunkel : Wi r wisse n nich t genau , womi t Bernhar d nicht einverstande n war . Möglicherweise hatt e de r Kaise r Bern -hard um den Anspruch auf ein erbliches Königreich gebracht, ohne seinen Neffen z u befragen, ode r es handelte sich nur um eine rück-sichtslose, aber rechtlic h begründet e Ta t des Kaisers - wen n wir annehmen, daß Bernhard seit 814 an Prestige verloren hatte.79 Wir können vermuten , da ß Bernhard ein e Verbesserung seine s Statu s erwartet hatte , die durch die Ordinatio zu seiner Enttäuschun g je-doch nicht eintrat. Dies ist aber nur eine Vermutung.

Wir haben gesagt, daß Bernhard allem Anschein nach im Juli 817 nicht in Aachen war. Wo könnte die Ursache dieser Verschlech-terung in den Beziehungen zwischen Ludwig und seinem Neffen lie-gen? Obwohl sie im November 816 noch gut waren,80 neige ich dazu, die Krönung Ludwigs des Frommen in Reims, die im Oktober die-ses Jahres stattfand,81 als Ursache zu betrachten.82 An dieser Stelle

5. Kapitel der Divisio regnorum vom Februar 806 , nach dem das Erbe für einen Sohn des verstorbenen Unterkönig s nur möglich - abe r nich t zwin -gend - war , ist die Überlassung de r Regierung al s etwas Automatische s vorgesehen. Damit die Herrschaft nich t weiter geteilt wird, sollen aber die Großen einen der überlebenden Söhn e des jeweiligen Unterkönigs wählen , der erben soll.

78 Kehre n wi r zu Andreas von Bergamo zurück (s . oben Anm. 63), dann ge-winnt sein Zeugnis an Gewicht, wenn er behauptet, daß Kaiserin Irmingard Bernhards Hauptfein d war . Es ist nich t unwahrscheinlich , da ß Ludwig s Gemahlin wünschte , ihr e Söhn e allein sollte n da s Reich erben . Vielleich t hat sie eine Rolle bei der Verringerung von Bernhards Rechten gespielt. Zu-mindest ist sicher, daß Ludwig der Fromme nach Bernhards Aufstand seine anderen Neffen entgege n seinem früheren Verspreche n ausschaltete, dami t sie die Einheit des Reiches (unter seinen eigenen Söhnen) nicht gefährdeten . Vgl. Nithard, Histoire (wie Anm. 48) I. Buch, c. 2, S. 8.

79 Da s hängt davon ab, ob man dem Zeugnis Thegans glaubt, Bernhard hab e sich ad procerem tradiert (s . oben Anm. 51).

80 Vgl . BM2 639(619). 81 Vgl . Depreux, Saint Remi (wie Anm. 2) S. 236ff. 82 Ic h folge hier der Ansicht von Werner, Hludovicus Augustus (wi e Anm. 1)

S. 39ff. Der Vf. stützt seine Meinung auf dynastische Gründe (Krönung der Irmingard).

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sollen di e Beziehungen de r karohngischen Famili e zum Papsttu m kurz zusammengefaßt werden .

Wenn wir dem Zeugnis der Clausula de unctione Pippinis glau -ben dürfen, hatte 754 Papst Stephan IL aus Anlaß der Salbung des Frankenkönigs Pippin und seinen Söhnen Karlmann un d Kar l die Würde des Patricius Romanorum verliehen.83 Dies brachte für de n Inhaber dieses Titels sowohl das Recht als auch die Pflicht, di e rö-mische Kirche und das Patrimonium Petri zu schützen (und gleich-zeitig zu kontrollieren), was Karl de r Groß e sehr wohl verstanden hatte, als er erst nach der Eroberung der Stadt Pavi a und Deside-rius* Absetzung (Jun i 774) 84 sich nebe n seine m doppelte n König -tum s o in seinen Urkunden tituliere n ließ. 85 Im Gegensat z zu dem Franken- und Langobardenkönigstitel löste sich der Patricius-Titel in der kaiserlichen Würd e auf: vo n Karolus gratia Dei rex Franco-rum et Langobardorum verwandel t sic h Karl s Titulatu r a b 80 1 in Karolus Serenissimus augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanorum gubernans imperium, 86 was man wege n de s hierarchischen Statu s des Patricius sehr leicht verstehen kann . Is t es aber denkbar , da ß di e defensio de r römischen Kirch e ab Weih -nachten 80 0 wesentlich mi t de m Kaisertu m verbunde n war ? Was

Clausula quae dicitur de Pippino, hg . von B. Kruseh (i n der Einleitung zu Gregor von Tours, Libri octo miraculorum), MG H SS rerum Merövingica-rum 1,1885, S. 465f.; A. J. Stoclet, La »clausula de unctione Pippini regis': mises au point et nouvelles hypotheses, Francia 8 (1980) S. 1-42, häl t die-sen Text für einen nicht vor dem Ende des 10. Jh.s geschriebenen „essa i ä caractfcre d e curiosite * historique" (S . 34). Trotzde m verwirf t Stocle t di e clausula nicht als »Fälschung* und erkennt ihren Wert, besonders was den Patricius-Titel betrifft , fü r den wir den Nachweis anderer Quelle n habe n (S. 26-28). Stocle t ha t ein e neu e Editio n de s Texte s herausgegebe n (S.2-3). Vgl. K. Schmid, Zur Ablösung der Langobardenherrschaft durch die Fran-ken, QFIAB 52 (1972) S. 1-35 . J. Dee> , Zu m Patricius-Romanorum-Tite l Karl s de s Großen , Archivu m Historiae Pontificiae 3 (1965) S. 31-86, hier S. 63. Vgl. P. Classen, Romanorum gubernans imperium. Zur Vorgeschichte der Kaisertitulatur Karl s de s Großen , in : Ausgewählt e Vorträg e vo n Pete r Classen, Vorträge und Forschungen 28, Sigmaringen 1983, S. 187-204.

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18 PHILIPPE DEPREUX

die Person Karl s de s Große n betrifft , mu ß ma n die s bejahen. Gil t dasselbe auch für die Zeit nach ihm?

Es is t bekannt , da ß Kar l de r Groß e zunächst nich t dara n ge -dacht hat , sei n Kaisertu m eine m seine r Söhn e z u überlassen . An -läßlich eine r Reichsversammlung i m Februa r 80 6 teilte de r Kaise r sein Reich zwischen den dre i Erben Karl , Pippin un d Ludwig. 87 I m 15. Kapitel der sogenannten Divisio regnorum heißt es: Super omnia autem iubemus atque praecipimus, ut ipsi tres fratres curam et defen-sionem ecclesiae sancti Petri suscipiant simul, sicut quondam ab avo nostro Karolo et beatae memoriae genitore nostro Pippino et a nobis postea suscepta est, ut eam cum Dei adiutorio ab hostibus defendere nitantur et iustitiam suam, quantum ad ipsos pertinet et ratio postula-verit, habere faciant.. . ^ Zutreffenderweise bemerk t Walte r Schlesin -ger, daß es sich nicht um ein kaiserliches Vorrecht handelt , da s den drei Erben zusamme n zugebillig t worden sei. 89 Es hängt auch nich t von de m Patricius-Titel ab , d a Kar l Martel l erwähn t ist : diese de-fensio de r römische n Kirch e mu ß ma n als o ehe r al s ein Rech t de r karolingischen Famili e betrachten, das jeder König in gleicher Wei-se besaß. Obwohl wir einige Indizien dafü r haben , daß di e neue Re-gelung, wenigstens was die zugeteilten Territorie n angeht , sofor t i n Kraft trat, 90 schein t Kar l de r Groß e sei n Vorrech t gegenübe r de r römischen Kirche bis zu seinem Tod beibehalten zu haben.

Wenn ma n annimmt , da ß Bernhar d da s Erb e seine s Vater s vor de r Übertragun g de s Kaisertum s a n Ludwi g de n Fromme n (und i n einer Zeit , da sie vielleicht am Hof e Karl s des Großen noc h nicht - zumindes t nich t al s etwa s Dringende s - in s Aug e gefaß t wurde) angetrete n hat , dan n mu ß ma n auc h annehmen , da ß Pip -pins Recht e übe r di e römische Kirch e seine m Soh n verliehe n wor -den waren . Dies e Frag e wär e übrigen s auc h nich t gelöst , wen n

87 MG H Capitularia I (wie Anm. 11) Nr. 45, S. 126-130. Dazu W. Schlesin-ger, Kaisertu m und Reichsteilung. Zur Divisio regnorum von 806, in: For-schungen z u Staat un d Verfassung , Festgab e fü r Frit z Härtung , Berli n 1958, S. 9-52.

88 MG H Capitularia I (wie Anm. 11) S. 129. 89 Schlesinger , Kaisertum (wie Anm. 87) S. 24. 90 Schmid , Zur historischen Bestimmung (wie Anm. 20) bes. S. 522-525.

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DAS KÖNIGTUM BERNHARDS VON ITALIEN 19

Bernhard ers t nac h Ludwig s Erhebun g zu m Mitkaise r di e königli -che Würde empfangen hätte , da einerseits , wie schon gesagt , die de-fensio de r römische n Kirch e nac h de m Geis t de r Divisio regnorum von 806 grundsätzlich nich t di e Sache des Kaisers, sondern de r ka -rolingischen Famili e war,91 und andererseits die Aachener Feierlich -keiten vo m Septembe r 81 3 nicht römisc h (obwoh l da s Vorbil d de r byzantinische Brauc h war ) un d nich t geistlic h waren. 92 E s finde t sich i n de n Quelle n kein e Spu r vo n eine r römische n „Dimension " der Aachener Krönung, und es scheint, daß es tatsächlich keine gab. Deswegen is t e s nich t küh n anzunehmen , da ß Ludwi g un d Bern -hard a m 28 . Januar 81 4 gleich e Recht e gegenübe r de r römische n Kirche hatten. 93

In de r Fortsetzun g de s Paulu s Diaconu s is t Lothars 94 Krö -nung in Rom zu Ostern 823 so beschrieben: Lotharius imperator pri-mo ad Italiam venu et diem sanctum pascae RomaefeciL Pascalis quo-que apostolicus potestatem, quam prisci imperatores habuerunt, ei super populum Romanorum concessit. 95 Sei t 81 7 wa r Lotha r (Mit-)Kaiser;96 e r war in derselben Lage wie Ludwig zwischen Sep -tember 81 3 un d Janua r 814 . Trotzde m ha t e r möglicherweis e i n Rom nich t nu r di e Salbun g erhalten , di e e r au s Anla ß seine s Be -

Schlesinger, Kaisertu m (wie Anm. 87) S. 24-26. Für die ausführliche Beschreibun g de r Zeremonie s . B . Simson, Jahrbü -cher des fränkischen Reiches unter Ludwig dem Frommen 1, Leipzig 1874, S. 3-5; vgl. auch W. Wendung, Di e Erhebung Ludwigs des Frommen zum Mitkaiser im Jahre 813 und ihre Bedeutung für die Verfassungsgeschicht e des Frankenreiches, Frühmittelalterliche Studien 19 (1985) S. 201-238. Trotzdem macht das Papsttum schon vor 816 deutlich, daß es Kaiser Lud-wig ist, der den Streitfall zwischen dem Papsttum und einer anderen Partei lösen soll. S. zum Beispiel Agnellus, Pontificalis ecclesiae Ravennatis, hg. von O. Holder-Egger, MG H SS rerum Langobardicarum et Italicarum, saec. VI-IX, 1878 , c. 169, S. 387. Zum Mitkaisertum Lothar s s. J . Jarnut, Ludwi g der Fromme, Lothar I . und da s Regnu m Italiae , in : P . Godman , R . Collin s (Hg.) , Charle -magne's Heir (wie Anm. 1) S. 349-362. Man kann dem Vf. aber nicht fol-gen, wen n er schreibt, da ß der Papst 82 3 „Lotha r nicht nu r zum Kaiser , sondern auch zum Rex Italiae krönte" (S. 354). Pauli continuatio (wie Anm. 6) a. 823, S. 203. Simson, Jahrbücher (wie Anm. 92) S. 102-103.

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suchs zu Ostern empfing, 97 sondern zudem auch „di e Gewalt über die Römer, die die damaligen Kaiser hatten". Die Gewalt über Rom (und die damit verbundenen Rechte über die römische Kirche) hat-te Lothar noch nicht, obwohl er von seinem Vater 822 nach Italien geschickt worden war.98 Gibt es keine Zeremonie in der Regierungs-zeit Ludwig s des Frommen, mi t der man Lothars römisch e Krö -nung vergleichen könnte ? Die Krönung in Reims im Oktober 816 kommt einem hier in den Sinn.

Hier soll nicht die Frage behandelt werden, ob diese Krönung wirklich „ohne konstitutive Bedeutung"99 war; in der Tat war Lud-wig der Fromme der Meinung, daß sein Kaisertum dadurch erneu-ert würde.100 Hier sei nur untersucht, ob es irgendwo in den Quellen ein Indi z dafü r gibt , da s uns erlaubt z u sagen , da ß Ludwi g der Fromme erst im Oktober 816 allein die Gewalt über Rom bekom-men hat. Allerdings muß man bemerken, daß Ludwig in den ersten Jahren seine r Regierung keine engen Beziehunge n zum Papsttum hatte.101 Erst nach dem Reimser Besuch ist Ludwigs Politik gegen-

Epistolae selectae Leonis IV, hg . von A. von Hirsch-Gereuth, MG H Epi-stolae V, 1898-1899, S. 604-605 Nr. 36 und S. 605-606 Nr. 37. Annales regni Francorum (wie Anm. 4) a. 822, S. 159. Lothar wurde von sei-ner Gemahli n begleite t (Thegan , Vita [wie Anm. 14] c. 29, S . 597). Nac h dem Berich t de r Annales regni Francorum, a . 823, S . 160, sollte e r Rech t sprechen:... cum secundum patris iussionem in Italia iustitias Jaceret... Th. Schief f er, Handbuch der europäischen Geschichte 1: Europa im Wan-del von der Antike zum Mittelalter, Stuttgart 1979 , S. 584. Urkunde für die Reimser Kirche , BM2 801(777): ...ad nomen et potestatem imperialem coronari meruimus. Daz u s . Depreux , Sain t Rem i (wi e Anm. 2) S. 236; vgl. ders., Zur Echtheit einer Urkunde Kaiser Ludwigs des Frommen für die Reimser Kirche (BM2 801), Deutsches Archiv 48/1 (1992) [im Druck]. T. F. X. Noble, Louis the Pious and the Papacy: Law, Politics and Theor y of Empire in the Early Ninth Centur y (Diss . Michigan Stat e University, 1974, masch.), S. 114, unterstreicht di e religiöse Dimension die-ser Krönung. J. Fried, Ludwig der Fromme, das Papsttum und die fränkische Kirche, in: P. Godman, R . Collin s (Hg.) , Charlemagne's Heir (wie Anm. 1) S. 231-273, bes. S. 239ff. S. auch T. F. X. Noble, The Republic of St. Peter. Birth of the Papal State, 680-825, Philadelphia 1984, S. 299ff.

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DAS KÖNIGTUM BERNHARDS VON ITALIEN 21

über dem Papsttum aktiver, wie zuerst das Hludowicianum102 (817), später di e sogenannte Constitutio romanam (824) , di e Lotha r i m Namen beider Kaiser schloß, beweisen. In seiner Titulatur erwähnt Ludwig der Fromme niemals das römische Imperium.104 Trotzdem bezeichnet er sich in den wahrscheinlich im November 816 entstan-denen Capitula legi addita folgendermaßen: Hludowicus divino nutu coronatus, Romanorum regens imperium, Serenissimus augustus. 105

Wie kann man diese außergewöhnliche Intitulatio rechtfertigen? Im Jahre 816 wird Stephan IV . zum Papst erhoben. Es ist die

erste Papstwah l unte r eine m karolingische n Kaiser . Wi r wissen , daß Stephan sehr rasch den Römern befahl, Ludwig dem Frommen einen Treueid zu leisten106 und dem Kaiser mitteilte, daß er gewählt sei.107 Obwoh l de r Liber pontificalis die Krönun g vo n Reim s ver -

102 A . H ahn, Das Hludowicianum. Die Urkunde Ludwigs des Frommen für die römische Kirche von 817, Archiv für Diplomati k 2 1 (1975) S. 15-135, mit Edition der Urkunde, S. 130-135.

103 MG H Capitularia I (wie Anm. 11) Nr. 161, S. 322-324. 104 Ludwi g ist in der Urkunde für Fuld a vom 27. Februar 839 , BM2 989(958),

als Romanorum imperator bezeichnet. Die Echtheit dieser Intitulatio wurde von Th . Sickel , Act a regu m e t imperatoru m digest a e t enarrata . Lehr e und Regeste n de r Urkunden de r ersten Karolinge r (751-840) , Wien 1867, Bd. 1, S. 379 Anm. 10, und Bd. 2, S. 354 Anm. L.368, bezweifelt. Außerde m wird Ludwi g i n einige n Fälschunge n s o tituliert : patricius Romanorum: BM2 661(647); Romanorum rex: BM2 852(826); Romanorum imperator: BM2

657(643), 792(767), 793(768), 864(835) - angebliche s Original - , 908(879) , 1011(979); A. Bernard , A . Brue l (Hg.) , Recueil des chartes de Tabbaye de Cluny 1, Paris 1876, Nr. 2, S. 1-5 .

105 MG H Capitularia I (wie Anm. 11) Nr. 134, S. 267-268. 106 Thegan , Vita (wie Anm. 14) c. 16, S. 594: Qui statim postquam pontificatum

suscepit, iussit omnem populum Romanum fidelitatem cum iuramento promit-tere Hludowico...

107 Annales regni Francorum (wi e Anm. 4) a. 816, S. 144: ...nondumque duobus post consecrationem suam exactis mensibus quam maximis poterat itineribus ad imperatorem venire contendit, missis interim duobus legatis, qui quasi pro sua consecratione imperatori suggererenU Darüber schreibt Noble, Louis the Pious (wie Anm. 100) S. 67: „The sources say, among other things, that Ste-phen desired to make satisfaction t o Louis concerning his election. Since we hear of no irregularities this can only mean that h e desired clarification of whatever rights Louis might claim."

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schweigt108 und nu r sagt , da ß de r päpstlich e Besuch 109 pro confir-manda pace et unitate sanctae Dei ecclesiae geschehen sei,110 bedeutet dies nicht, da ß die Feier ohne Wichtigkeit war. 111 Warum war de r Papst so in Eile, wenn es sich für ihn nicht darum handelte, klar zu zeigen, wen er als Herrscher in Rom anerkannte? Ermoldus Nigel-lus beschreibt die Feierlichkeiten von Reims ausführlich.112 E s gibt in seinem Gedicht Indizien dafür, da ß Papst Stephan IV. dem Kai-ser deutlich die Herrschaft übe r Rom, das heißt sowohl das Recht als auch die Pflicht anbot , die ewige Stadt zu schützen. Der Papst , der als Gebieter des Patrimonium Petr i bezeichnet wird,113 schenkt Ludwig de m Fromme n ein e Krone , angeblic h diejenig e Kaise r Konstantins, di e als Roms Geschen k und al s munera Petr i gelten soll.114 Diese Aussage gewinnt an Gewicht, wenn man sich erinnert, daß Konstantin nac h der Behauptung des Constitutum Constantini dem Papst di e Herrschaftsinsignien verliehe n habe.115 Diese Krone

Brühl, Krönungsbrauc h (wi e Anm. 31) S. 380. Ludwig de r Fromm e befah l seine m Neffe n Bernhard , de n Paps t (wahr -scheinlich bis zu den Alpen) z u begleiten (Anonymi vita [wi e Anm. 39] c. 26, S. 620). L. Duchesne, Liber pontificalis 2, Paris21955, S. 49. Der Liber pontificalis verschweig t genauso Lothars Krönung zu Ostern 823, obwohl si e rogante Paschale (Annales regni Francorum [wi e Anm. 4] a. 823, S. 160) stattfand. Ermold l e Noir , Poem e (wi e Anm . 19) , In honorem Hludowici Carmen II, V. 848-1133, S. 66-88 . Ebd., II, V. 1034, S. 80: Petri qui regmina curas. Ebd., II , V . 1074-1077, S . 84: Roma tibi, Caesar, transmittit munera Petri,/ Digna satis digno, conveniensque decus./ Tum jubet adferri gemmis auroque coronam,/ Quae Constantini Caesaris ante fuit. Darübe r schreib t Nob le , Louis the Pious (wi e Anm. 100) S . 85: „The lines doubtless have some sym-bolic value but I think that it would be dangerous to assign any precise sig-nificance t o them . I thin k i t possibl e t o dismis s ou t o f han d th e ide a tha t Louis became a Roman Emperor. " Vorher unterstreicht de r Vf., da ß Paps t Stephan IV . Ludwig s Hilf e gege n di e Unruhe n i n Ro m braucht e (ebd. , S. 68). Ich will auch nicht behaupten, Ludwig sei 816 römischer Kaise r ge-worden. Trotzdem mußten seine Rechte über Rom deutlich anerkannt wer-den, damit der Kaiser eingreifen konnte. Das Constitutum Constantini, hg . vo n H . Fuhrmann , MG H Fonte s iuri s Germanici antiqu i i n usu m scholaru m separati m edit i X , 1968 , c . 14, Z. 209-227, S. 86-88 .

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ist Ludwigs Belohnung für seinen Schutz: Hoc tibi Petrus, ovans ces-sit, mitissime, donum, / Tu quia Justitium cedis habere sibi. m Da -durch beseitigte der Papst Bernhard s Anspruch au f Rom . Hier is t vielleicht auc h eine Ursache für desse n Aufstand i m Jahre 817 zu suchen: E r hatt e möglicherweis e da s Gefühl , zuers t vo m Paps t (Reims, im Oktobe r 816 ) und danac h vo m Kaise r (Ordinatio vom Juli 817) in seinen Rechten beschnitten worden zu sein.

Die Erinnerung a n Bernhar d vo n Italie n (un d besonder s a n seinen Tod ) ha t di e Regierung Ludwig s de s Frommen mi t eine m Makel behaftet.117 Da Lothars Status ein ganz anderer als derjenige

Ermold l e Noir , Poem e (wi e Anm. 19), In honorem Hludowki Carmen II, V. 1100-1101, S. 86. Cf. H . H o üben, Visio cuiusdam pauperculae mulieris, Überlieferun g un d Herkunft eine s frühmittelalterlichen Visionstexte s (mi t Neuedition) , Zeit -schrift fü r di e Geschicht e de s Oberrhein s 12 4 (1976 ) S . 31-42, hie r S . 42. Bernhards Tod ist problematisch. Hier müssen ein paar Worte dazu gesagt werden. Bei Hochverrat is t der Tod die normale Strafe, wie der Vorfall von 792 nachweist : S . Abel , Jahrbüche r de s fränkische n Reiche s unte r Kar l dem Große n 2 , Leipzig 1883 , S. 46. Allerdings wurde Pippin de r Bucklig e begnadigt un d in s Kloster Prü m eingesperr t (ebd. , S . 47). Auch Bernhar d von Italien wurde zum Tod verurteilt; Ludwig der Fromme aber hat ihn zur Blendung begnadigt . J a rnu t , Kaise r Ludwi g (wi e Anm . 3) S . 646, be -schreibt als „Gipfel der Heuchelei" die Behauptung des sogenannten Astro-nomus, Bernhar d hab e Selbstmor d verübt : Etenim Bernardus et Reginhe-rius, dum inpatientius oculorum ablationem tulerunt, mortis sibi consciverunt acerbitatem (Anonymi vita [wie Anm. 39] c. 30, S. 623). Allerdings weist The-gan nach, daß die Nachricht vo n Bernhards Tod den Kaise r bewegt habe : magno cum dolore flevit multis temporibus (Vita [wie Anm. 14] c. 23, S. 596). Dagegen schenkt J a rnu t (S . 648) de n Gegner n Ludwigs des Frommen z u großes Vertrauen, wenn er „trot z der Umstände" dem im Jahr 833 von ih-nen vorgebrachte n Vorwur f glaubt , Ludwi g hab e seinen Neffe n töte n las -sen. Meiner Meinung nach muß man - obwoh l K. F. Werner, Hludovicus Augustus (wi e Anm. 1) S. 46 Anm. 154, diese Haltung fü r nai v häl t - di e Nachricht von Bernhards Selbstmord ernst nehmen, weil sie erklärt, warum dieser To d eine n s o tragischen Nachklan g gehab t hat : Durc h de n Selbst -mord ha t Bernhar d sein e Sünde verschärf t (dazu : Augustinus , De civitate Dei, I, 17 , hg. von B . Dombar t, A . Kalb , Corpu s Christianorum , Serie s Latina XLVI I [Aureli i Augustin i opera , par s XIV , 1] , 1955, S. 18). Noch schlimmer: Ma n durft e kei n Almose n fü r da s Hei l de r Seel e eines Selbst -mörders geben (Konzil von Orleans [533] c. 15, hg. von F. Maassen, MG H

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Bernhards war, können wir Ludwigs rechtliche Beziehungen zu Ita-lien in der Zeit von Bernhards Regierung als etwas Vorübergehen-des betrachten . Trotzde m sin d dies e Jahr e vo n besondere m Ge -wicht, weil die Geschichte der ersten Jahre der Herrschaft Ludwig s des Frommen die Folgen andeutet: Ludwig hat niemals dauernden

Concilia I , 1893 , S. 63), der auch nich t christlic h begrabe n werde n durft e (Konzil von Brage I. [561] c. 16, ed. J. Vives, Concilios Visigöticos y Hispa-no-Romanos. Espana cristiana , Texto s 1 , Barcelona-Madrid 1963 , S. 74). Das Hei l seine r Seel e wa r als o gefährdet . Selbstmordfäll e sin d zwa r i m Frühmittelalter selten, aber sie kommen vor: vgl. H. F. Haefele, Wolo ceci-dit. Zur Deutun g eine r Ekkehard-Erzählung , Deutsche s Archiv 3 5 (1979) S. 17-32, bes. S. 30. Gegen die Hypothese des Selbstmords scheint folgen -des zu sprechen: Bernhard sei in Sant'Ambrogio zu Mailand begraben wor-den. Bei den 1498 durchgeführten Ausgrabunge n wurde seine Grabinschrif t gefunden (B . Malfat t i, Bernard o [wie Anm. 3] S. 46f., S . 61). Die Zusam-menhänge (vgl . V. Forcella, Iscrizion i dell e chiese e degli altr i edific i d i Milano da l secolo Vm a i giorn i nostr i 3 , Milano 1890 , S. 201 f.) erlaube n uns, sie als „fort suspecte" (J. Ch. Picard, L e souvenir des Sveques. S§pul-tures, listes 6piscopales et culte des eVeques en Italie du Nord de s origines au Xe siecle, Rome 1988, S. 94 Anm. 268) zu beurteilen. B. Simson, Jahr -bücher (wie Anm. 92) S. 125, sprach vom „angeblichen Leichenstein Köni g Bernhard's mit einer Inschrift", di e er für „unecht " hielt. Die Inschrift wur -de abgedruckt in A. Silvagni, Monument a epigraphica christiana saeculo XIH antiquiora qua e in Italia e finibus adhu c exstant... , Civita s Vaticana 1943, Bd. u/1 (Mediolanum), Tafel V Nr. 5. Anscheinend gibt es keinen pa-läographischen Grund , die Echtheit diese r Inschrif t z u bezweifeln (sowoh l für Hinweis auf den Abdruck als auch für sein epigraphisches Urteil bin ich Herrn Prof . Robert Favreau , CESC M Poitiers , dankbar) . Allerdings mu ß erwähnt werden , da ß di e Nachricht vo n Bernhard s Übertragung un d Be -gräbnis in Mailand nur von späteren Quelle n überliefert is t (B . Malfat t i , Bernardo [wie Anm. 3] S. 46). E. Besta, Milan o sotto gli imperatori caro-lingi, in : Stori a d i Milan o 2 (Hg . G . Treccan i degl i Alfieri) , Milan o 1954, S . 361, ha t ein e Abbildun g de r Freskomalere i de s 17 . Jh.s au s San-t'Ambrogio veröffentlicht, au f der König Bernhard und ein Bischof, der für Anselm von Mailand gehalten wird, zusammen als liegende Figuren darge-stellt sind . I m übrige n schreib t Thegan , di e Bischöf e hätte n Ludwi g zu r Buße verurteilt , quia non prohibuit consiliariis suis hanc debilitatem agere (Vita [wi e Anm. 14] c. 23, S . 596). Mi t debilitas ist hie r di e Blendun g ge -meint. Ludwig konnte sich die Blendung seines Neffen nur insoweit vorwer-fen, da diese Verletzung Bernhard zum Selbstmord geführ t hat . Es ist aber unberechtigt, ihm vorzuwerfen, er habe Bernhard töten lassen.

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Erfolg in seiner italienischen Politik gekannt.118 Das „rfcgne promet -teur", wi e es Pierre Rich ö nennt, 119 war als o vielleich t vo n Anfan g an gefährdet. 120

RIASSUNTO

L'articolo d dedicato essenzialmente a tre questioni: 1. La data della nomina di Bernardo a re d'Italia e le circostanze di tale nomina; si eviden-zia che Bernardo venne designato re indipendentemente dalla incoronazio-ne di Ludovico il Pio a co-imperatore. 2.1 rapporti giuridici fra Timperato-re Ludovico e Bernardo d'Italia dppo la morte di Carlo Magno con partico-lare attenzion e all'att o d i fedelt ä dell'ann o 814 . 3 . L'incoronazion e d i Ludovico, celebrata nel 816 a Reims da Stefano IV , della quäle viene pro-posta una nuova interpretazione alla luce dei rapporti giuridici esistenti fra Ludovico ed il papato.

118 Die s ist selbstverständlich deutliche r ab 829 und noch mehr nach 834. Den Höhepunkt bilde t siche r da s Jah r 83 7 (vgl . Simson , Jahrbüche r [wi e Anm. 92] Bd. 2, Leipzig 1876, S. 164ff.), als Hlotharius autem clusas in Alp-ibus muris firmissimis arceri praecepit, um seinen Vater dara n z u hindern , sich nac h Ro m z u begebe n (Annale s d e Saint-Bertin , a . 837, hg . vo n F . Grat , J . Vieillar d und S. CISmencet, Pari s 1964, S. 22).

119 P . Rich6, Les Carolingiens, une famille qui fit TEurope, Paris 1983, S. 149. 120 Werner , Hludovicus Augustus (wi e Anm. 1) S . 34, schreibt ebenso , Lud -

wigs Schwierigkeiten seie n vor seine m Regierungsantrit t „programmiert " gewesen.