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j/ QUELLEN UND STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES DEUTSCHEN ORDENS BAND 36 Veröffentlichungen der INTERNATIONALEN HISTORISCHEN KOMMISSION ZUR ERFORSCHUNG DES DEUTSCHEN ORDENS BAND 1 herausgegeben von Prof. Dr. Udo Arnold N. G. ELWERT VERLAG MARBURG

QUELLEN UND STUDIEN ZUR GESCHICHTE DESDEUTSCHEN … · nicorum Jerosolimitanorum", kürzer "Ordo Theutonicorum" angenommen hat. Zwei Merkmale scheinen dabei diewichtigsten zusein:

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QUELLEN UND STUDIEN

ZUR GESCHICHTE

DES DEUTSCHEN ORDENS

BAND 36

Veröffentlichungen der

INTERNATIONALEN HISTORISCHEN KOMMISSION

ZUR ERFORSCHUNG DES DEUTSCHEN ORDENS

BAND 1

herausgegeben von

Prof. Dr. Udo Arnold

N. G. ELWERT VERLAG MARBURG

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BEITRAGE

ZUR GESCHICHTE DES

DEUTSCHEN ORDENS

BAND 1

herausgegebenvon

Udo Arnold

( '1~gln)N. G. ELWERT VERLAG MARBURG

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Wendepunkte der Deutschordensgeschichtevon

Marian Biskup

I

Die Geschichte der geistlichen Korporation, die wir meist "Deutscher Orden" nen-nen, umfaßt schon beinahe acht Jahrhunderte. Diese lange Tradition ist eine Tatsacheund eine Last, die wir Ordenshistoriker in unseren Forschungen deutlich spüren.Aber auch die intensive Verknüpfung der langen Ordensgeschichte mit der allgemei-nen europäischen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit erleichtert nicht dieLage. Dieser Orden hat nämlich nicht nur seine eigene "interne" Geschichte, sonderner gehört auch zur deutschen Geschichte wie auch zur Geschichte einiger europäi-scher Staaten und Völker, besonders im Ostseegebiet, welche verständlicherweise miteigenen Augen auf diese Vergangenheit, besonders des mittelalterlichen Ordens,schauen. Das führt öfters zu einer gewissen" Verkürzung" der Ordensgeschichte, diedann nur auf einige Zeitabschnitte, besonders die mittelalterlichen Perioden, oder aufdas Staatswesen, besonders in Preußen und Livland, begrenzt ist, also auf rund350 Jahre der Existenz dieser ritterlich-geistlichen Korporation. Die restlichen450 Jahre werden überwiegend als ein Nachklang des Ordens betrachtet, mit einer ge-wissen Abschwächung seiner damaligen Bedeutung. Dagegen ist die mittelalterlicheVergangenheit seit dem 19. Jahrhundert durch die schöne Literatur weiter lebendig -wenn auch in spezifischer Gestalt.

Der Forscher muß sich also dieser sehr komplizierten Lage bewußt sein, wenn erheute auch nur über die Hauptmerkmale und über die Wendepunkte der Geschichtedes Deutschen Ordens, dabei in notwendig kürzester Form, sprechen will. Er mußversuchen, die Ge sam the i t der Ordensgeschichte als einer geistlichen Korpora-tion zu durchleuchten und die Hauptmerkmale ihrer Veränderungen aufzuzeigen, so-wie sich von dem einseitigen, territorialen Blickfeld wenigstens teilweise zu befreien.

Die Geschichte des Deutschen Ordens beginnen wir heute - überwiegend - mit denJahren 1189/90, d.h. von der Entstehung eines kleinen Zeltspitals im Lager der deut-

.- Im folgenden handelt es sich um die erweiterte Fassung des Referats einer öffentlichen Sitzung im "Jo-sephinum" in Wien anläßlich der Gründungssitzung der Internationalen Historischen Kommissionzur Erforschung des Deutschen Ordens in Wien am 4. IX. 1985.

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sehen Kreuzfahrer vor Akkon während des dritten Kreuzzuges. Die Verbindung die-ses Spitals mit dem älteren deutschen St. Marien-Hospital in Jerusalem wurde jetzt inZweifel gezogen, ob zu recht, wird die weitere Diskussion entscheiden '. Diese be-scheidene Hospital-Bruderschaft von 1189/90 ist entstanden im Kreise der deutschenBürger aus Lübeck und Bremen, aber schon von Anfang an unter dem bedeutendenEinfluß der Vertreter der deutschen Fürsten mit Friedrich von Schwaben an der Spit-ze. Die Geistlichen und Beamten aus seinem Kreise haben vielleicht auch die erste,kleine Hospital-Gemeinschaft gegründet, welche im Jahre 1191 durch Papst ClemensIII. bestätigt wurde.

Schon im Jahre 1198, während des unterbrochenen Kreuzzuges des staufischenKaisers Heinrich VI., kam es unter dem Einfluß der deutschen Fürsten aus dem stau-fischen Kreise zu einer Umwandlung der Hospital-Bruderschaft in einen geistlichenRitterorden; Papst Innozenz III. hat ihn schon im Jahre 1199 bestärigr-.

Der neue Orden ist also als ein spätes Kind der Kreuzzugsidee entstanden, in derdie Verschmelzung des Ritters mit dem Mönch für den Heidenkampf im Sinne derLehre Bernhards von Clairvaux realisiert wurde. Der Deutsche Orden entstand imSchatten der älteren Ritterorden im Heiligen Lande, mit Johannitern und Templernan der Spitze, welche nicht immer ein gutes Beispiel - besonders in ihrem Strebennach weltlicher Herrschaftsbildung - gegeben haben. Der neue Orden hat die Regelder Johanniter für die Krankenpflege übernommen, für die Ritterbrüder wurde dieRegel der Templer angenommen. Die neue geistlich-ritterliche Korporation, durcheinen Hochmeister geleitet, sollte also weiter Hospitalpflichten erfüllen wie auch Hei-denkampf gegen die Sarazenen betreiben. Es war eine Do p pel auf gab e, welchesich in der Ordensgeschichte dauernd zeigen und auch zu einem gewissen Wider-spruch führen sollte, was bei anderen Ritterorden in Palästina ebenfalls bemerkbarwar.

Die Jahre 1190-1198 bilden also die erste Etappe in der Aus b i Idun g des neuenRitterordens, welcher offiziell den Namen "Fratres hospitalis sanctae Mariae Theuto-nicorum Jerosolimitanorum", kürzer "Ordo Theutonicorum" angenommen hat.Zwei Merkmale scheinen dabei die wichtigsten zu sein: 1) die späte Bildung des neuenRitterordens, in dem von Anfang an das deutsehe Element die Hauptrolle gespielt hat;2) die bedeutende Rolle des ritterlich-fürstlichen Elements aus staufischern Kreise, dasauf die neue Korporation auch in politischer Hinsicht gewirkt hat und wirken wollte.

1 Die breite Diskussion referiert und rekapituliert G. Müll er, Jerusalem oder Akkon. über den An-fang des Deutschen Ordens nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung, Bad Münstereifel 1984.

2 Ausführlicher und moderner H. Boo c k man n , Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seinerGeschichte, München 1981, S. 28 ff., mit reichen Literaturangaben. Einen guten überblick über dieGesamtgeschichte des Deutschen Ordens geben M. Turnier, Der Deutsche Orden im Werden,Wachsen und Wirken bis 1400, Wien 1955; de r s e Ibe und U. Arnold, Der Deutsche Orden. Vonseinem Ursprung bis zur Gegenwart, Bad Münstereifel 31981.

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II

Das Jahr 1198 eröffnet also die erste Etappe der Wir k un g des noch kleinen, jungenOrdens, welche bis zu den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts dauern sollte. DerBesitz des Ordens in Palästina hat sich vergrößert, obwohl er weiter bescheiden blieb.Dagegen beginnen schon um das Jahr 1200 die Schenkungen für den neuen Hospital-und Ritterorden in Süditalien und Sizilien, besonders aber im Deutschen Reiche mitThüringen an der Spitze an Bedeutung zuzunehmen. Dazu kamen noch kleinere Ver-leihungen in den Niederlanden, der Schweiz und Frankreich, wo überall Deutschor-denskonvente und Hospitäler gegründet wurden. Sie übten dort ihre milde, karitativeTätigkeit aus und bildeten eine Nachschubbasis für den Orden im Heiligen Lande.Die erste Rolle spielen überall die Ritter, was auch in der Ordensregel seinen Aus-druck findet, neben den Priestern sowie den Halbbrüdern. Ordensschwestern kom-men viel seltener vor.

Im Deutschen Reiche hatte der Orden die Besitzungen meistens im mittleren, west-lichen und südwestlichen Teile des Landes, d.h. in Sachsen, Thüringen, Franken, imRheinland und im Südwesten bekommen. Es waren also Gebiete, wo der niedere Adel- Reichsministerialität - überwog. Dieser Adel hat in dem neuen, reich beschenktenOrden nicht nur eine fromme, religiöse Institution gesehen, sondern ihn auch als eineHilfe zum schnelleren, sozialen Aufstieg betrachtet - was uns die Forschungen ausder Schule von Manfred Hellmann klar gezeigt haben", Diese deutschen Regionensollten also in Zukunft den Hauptnachwuchs für den Deutschen Orden liefern.

Aus diesen Gebieten, nämlich aus Thüringen, stammte auch der vierte HochmeisterHermann von Salza (1210-1239), der als der wahre Gründer des mittelalterlichenDeutschen Ordens betrachtet werden muß. Hermann, ein Politiker von hohem For-mat, hatte mit Hilfe des Staufers Friedrich II. vor allem den Besitz des Ordens in Palä-stina abgerundet. Doch schien die wichtigste Aufgabe für ihn zu sein, eine territorialeStütze in Mitteleuropa zu finden, um die Bildung eines größeren, geschlossenen Herr-schaftsgebiets zu erreichen, das den Rang des Ordens, aber auch seines Vorgesetztenerhöhen sollte. Der erste Versuch wurde in Südosteuropa durchgeführt, im sieben-bürgischen Burzenlande, wo der Orden seit 1211 den ungarischen Staat vor den türki-schen, heidnischen Kumanen schützen sollte. Doch die Verselbständigung des zuge-wiesenen Territoriums ist nicht gelungen. Als nämlich das Burzenland dem Papst alspatrimonium sancti Petri angeboten wurde, kam es zur gewaltsamen Vertreibung desOrdens als eines zu selbständig sich gebärdenden Helfers durch die Ungarn (1225).

3 Vgl. M. Hell man n , Bemerkungen zur sozialgeschichtlichen Erforschung des Deutschen Ordens.in: Historisches Jahrbuch 80, 1961, S. 126 ff.; D. Wo j te c k i, Studien zur Personengeschichte desDeutschen Ordens im 13. Jahrhunden (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 3),Wiesbaden 1971; L. Sc hol z , Beiträge zur Personengeschichte des Deutschen Ordens in der erstenHälfte des 14. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Herkunft livländischer und preußischer Deutschor-densbrüder, Diss. phil. MünsterlWestf. 1969.

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Hermann von Salza versuchte während des folgenden Kreuzzuges, die palastinensi-sehen Besitzungen mit Monfort an der Spitze, das die Hauptresidenz bilden sollte, zusichern. Er hatte auch von Kaiser Friedrich II. Verleihungen auf Zypern bekommen(1228). Doch es war für ihn klar, daß es zu einer größeren Herrschaftsbildung in Palä-stina nicht kommen würde. Deshalb hat er sich endgültig um 1230 dem Ostseegebietzugewandt - nach Preußen, etwas später auch nach Livland.

III

Die Einschaltung des Deutschen Ordens in diese nördlichen Länder bildet einen ent-scheidenden Wendepunkt in seiner mittelalterlichen Geschichte, welche ihm eine vielbreitere Ausdehnung und wahre Größe bringen sowie seine Schicksale auf einige Jahr-hunderte bestimmen sollte. Die erste Phase dieser Hinwendung nach Nordosten dau-erte rund 85 Jahre (1226-1309). Gewiß, der Orden blieb damals noch weiter im Mit-telmeergebiet, vor allem im Heiligen Lande bis 1291, d.h. bis zum Falle Akkons undder übersiedlung der Hochmeister nach Italien, nach Venedig. Gewiß, es folgte wei-terhin der Ausbau der Ordensbesitzungen im Deutschen Reich. Um 1280 existiertendort schon 13Ordensprovinzen, d.h. Balleien, von Utrecht bis Österreich und Bozeneinschließlich Böhmen, dann entstanden je eine in Frankreich und Griechenland undzeitweise in Syrien sowie drei in Italien. In Spanien wurden nur drei Kommenden(Komtureien) gebildet, in Schweden eine. In all diesen Balleien, außer in Griechen-land, trat der Deutsche Orden vor allem als Hospitalorden, gleichzeitig aber als Basisfür das Heilige Land auf, doch nach 1230 in überwiegendem Maße für die baltischenGebiete. Preußen und Livland wecken also seit den dreißiger Jahren des 13. Jahrhun-derts das Hauptinteresse des Deutschen Ordens, besonders in den deutschen Balleien.In Preußen und Livland trirt nämlich der Deutsche Orden von Anfang an als eigentli-cher Ritterorden auf, der seine Hauptaufgabe im Heidenkampf und in der Schaffungder Bedingungen zur Christianisierung der unterworfenen heidnischen Völker sieht.

Der Griff des Ordens nach Preußen wurde durch den Vorschlag des polnischenHerzogs Konrad von Masovien vom Jahre 1225/26 verursacht und erleichtert. Preu-ßen - ein durch den baltischen, noch heidnischen Stamm der Prußen bewohntes Landzwischen derunteren Weichsel und der Memel-Iag schon seit Ende des 10. Jahrhun-derts im Bann der Christianisierungsbestrebungen der polnischen und pommerelli-sehen Herrscher, die dabei auch rein politische Ziele im Auge hatten. Diese polnischeMission, in die sich Anfang des 13. Jahrhunderts auch das Papsttum einschaltete undden Zisterziensermönch Christian zum preußischen Bischof ernannte (1215), wurdedurch den anwachsenden Abwehrkampf der Prußen erschwert. Deshalb versuchteHerzog Konrad - wohl unter Einfluß Schlesiens -, die Situation zu retten durch dieBerufung des Deutschen Ordens nach Polen. Zur Erfüllung seiner Aufgaben sollteder Orden das angrenzende, polnische Kulmerland, doch nur als private Ausstattung,

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von Herzog Konrad bekommen, der dagegen - als Fundator - auf die EroberungPreußens für sich durch den Deutschen Orden hoffte+,

In den Jahren 1226-1234 entfaltete sich ein intensives und feines politisches Spiel,in dem Hermann von Salza sowohl den polnischen Herzog als auch Bischof Christianüberflügelt hat. Der Orden hatte schon 1226 ein großes Privileg, die "GoldeneBulle", von Kaiser Friedrich II. bekommen, worin er dem Orden in Preußen dieselbständige Herrschaft verliehen hat, aber ohne einen Lehnsverbund mit dem Rei-che. Doch wichtiger für die nächste Zukunft waren die Abmachungen des Ordens mitHerzog Konrad, die ihm die rechtliche Inbesitznahme des Kulmerlandes bestätigt unddon den Weg zur Territorialherrschaft geöffnet haben (1228-1230). Aufgrund derAbmachung mit Bischof Christian sollte der Orden zuerst ein Drittel der erobertenGebiete besitzen. Nachdem Christian im Jahre 1233 in prußische Gefangenschaft ge-riet, hat der Orden im nächsten Jahre ein päpstliches Privileg erworben, in dem derPapst ihm nicht nur die Schenkung des Kulmerlandes bestätigte, sondern auch die inZukunft zu erobernden Gebiete überließ. Dies geschah aufgrund einer Urkunde Her-zog Konrads, angeblich in Kruschwitz im Jahre 1230 ausgestellt, die - wohl mit Recht- als sehr verdächtig, wenn nicht gar als Fälschung betrachtet wird. Doch der Papsthatte auch gleichzeitig die preußischen Lande als patrimonium saneti Petri in seinenSchutz genommen und dem Orden überlassen, unter Ausschaltung jedweder andererHerrschaft. Es wurden also nicht nur der Kaiser, sondern auch Bischof Christian undHerzog Konrad ausgeschaltet. Der Deutsche Orden sollte nur den zukünftigen Bi-schöfen den dritten Teil Preußens als Ausstattung abtreten. Allerdings betrachtetesich Herzog Konrad weiter als Fundator des Ordens im Kulmerland, welches 1235durch die Ordensherrschaft vollkommen übernommen wurde. Im Jahre 1243 hat dasPapsttum dem Deutschen Orden dann ganz Preußen als Lehen formell übergeben.Preußen also als patrimonium saneti Petri und das Kulmerland blieben seitdem unterder Herrschaft des Ordens als Fundament seines geistlichen Staates an der Ostsee.

Schon in dieser Zeit, seit 1231, tobte der militärische Kampf des Deutschen Ordensmit den Prußen, mit Hilfe der Kreuzfahrer aus dem Reiche wie der polnischen Teil-fürsten. Dieser recht blutige Kampf, der einem Teil der Prußen, besonders im östli-chen Teil des Landes, das Leben gekostet oder die Besiegten zur Auswanderung ge-zwungen hat, hat zur vollen Unterwerfung ganz Preußens bis zum Jahre 1283 wieauch zur - ziemlich oberflächlichen - Einführung des Christentums unter der prußi-sehen Bevölkerung durch die Pfarr-Geistlichkeit und - in sehr begrenztem Maße - dieBettelorden gefühn. Schon im Jahre 1243 wurde Preußen in vier Bistümer geteilt,welche ein Drittel des Landes als Ausstattung bekommen haben. Die Kapitel wurdenüberwiegend dem Deutschen Orden inkorporiert. Dabei zeigten sich früh die Bestre-bungen des Ordens nicht nur nach Übernahme des Einflusses über das ganze Land

4 Vgl. K. G ö r s k i, l'Ordine Teutonico, Aile origine dello stato Prussiano, Torino 1971; d e r s e lb e,Zakon Krzy:iacki a powstanie parisrwa pruskiego, Wroclaw 1977; Historia Pomorza, Bd. 1, hg. v.G. Labuda, Poznan 1971.

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und nach Bildung von ziemlich begrenzten Bedingungen für die Christianisierung derbesiegten Prußen, sondern auch nach Unterwerfung derselben. Der Widerstand einesbedeutenden Teiles der Prußen gegen diese Bestrebungen hat schließlich dazu geführt,daß nur ein Teil der sog. prußischen Freien (Kleinbesitzer) ihre persönliche Freiheitund ihr Vermögen behalten hat. Dagegen wurden die prußischen Bauern als eigentlichunfreie Untertanen behandelt und mit bedeutenden Naturalabgaben und Frondien-sten belastet.

Der Orden hatte im Kulmerlande und in Preußen eine Verwaltung eingeführt, inder die Ordenskonvente (Komtureien) die Zentren sowohl des religiösen als auch desadministrativen Lebens bildeten, mit den Landkomturen an der Spitze. Es wurdenauch die Ordensburgen gebaut, mit Thorn, Elbing und Königsberg an der Spitze,welche einen ausgesprochenen Konventhaustypus in Backstein darstellten. Der Or-den hat auch eine großangelegte ländliche Siedlung mit Hilfe der ins Land gerufenendeutschen Bauern und Bürger begonnen, wobei das sehr günstige Kulmer Recht einebedeutende Rolle gespielt hat.

Schon im Jahre 1237 hatte der Deutsche Orden sich auch in Livland an der unterenDüna etabliert". In diesem durch die finnischen Liven und baltischen Letten sowieugrofinnischen Esten bewohnten Land versuchte man aus Norddeutschland im An-schluß an die Handelskontakte vom Ende des 12. Jahrhunderts das Christentum ein-zuführen, wobei Bischof Albert als oberster geistlicher Herr des neugegründeten Rigadie wichtigste Rolle spielte. Er hatte mit dem schwachen Schwertbrüderorden (ge-gründet im Jahre 1202-1203) das Land geteilt, während in Estland die Dänen sichetablierten. Nach dem Tode Alberts und der Niederlage des Schwertbrüderordens imJahre 1236 kam es unter dem Druck des Papsttums zur Union dieses Ordens mit demDeutschen Orden. Es wurde 1237 die Deutschordensregel eingeführt und das Amteines livländischen Landmeisters eingerichtet. Doch die Oberherrschaft des RigaerBischofs wurde weiter anerkannt, Estland den Dänen weiter überlassen. Der Versucheines Vorstoßes nach Osten in russische Gebiete und Städte wurde jedoch 1242 durchAlexander Nevski auf dem Peipussee abgewehrt. Der Deutsche Orden blieb also inden vorigen Grenzen Livlands, wo er allerdings die Herrschaft mit den Erzbischöfenvon Riga und den Bischöfen von Dorpat, Osel-Wiek und teilweise Kurland teilenmußte. In seinem Landesteil hatte der Orden bedeutende Burgen (im Ganzen bis zu60), mit Wenden an der Spitze, wieder als Sitz der Konvente und der Verwaltung ge-baut. Es wurde ebenfalls eine rege städtische Siedlung, vor allem aus Westfalen betrie-ben, wenn auch die großen Städte - Riga, Reval und Dorpat - anfangs nicht in Hän-den des Ordens waren. Dagegen wurden auf dem Lande überwiegend norddeutsche

5 Vgl. R. Wi ttr am, Baltische Geschichte, München 1954, S. 23 H.; M. Hell m an n, Die Stellungdes livländischen Ordenszweiges zur Gesamtpolitik des Deutschen Ordens vom 13. bis zum 16. Jahr-hundert, in: Von Akkon bis Wien. Studien zur Deutschordensgeschichte vom 13. bis zum 20. Jahr-hundert. Festschrift M. Turnier, hg. v. U. Arnold (Quellen und Studien zur Geschichte des Deut-schen Ordens 20), Marburg 1978, S. 6 H.

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Marienburg, Hochmeisterpalast, vor 1945

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Gutsbesitzer (Vasallen) angesiedelt, besonders auf den bischöflichen Latifundien undin Estland. Die unter Zwang getauften lettischen, livischen und estnischen Bauernblieben auf dem Lande nur als Untertanen, weil im Gegensatz zu Preußen nach Liv-land keine deutschen Bauern gekommen sind.

Die livländischen Landmeister blieben allerdings unter dem Einfluß der Landmei-ster von Preußen, wo man Livland anfangs als eine Flankensicherung betrachtete undversuchte, eine unmittelbare Verbindung zwischen beiden Ordensstaaten zu schaffen,vor allem durch die Eroberung des heidnischen Samaiten. Dieses Land sollte nämlichmit dem ganzen, noch heidnischen Litauen das nächste Ziel des Heidenkampfes undder Unterwerfung für den Deutschen Orden werden.

IV

Mit dem Anfang des 14. Jahrhunderts erfolgte eine neue, bedeutende Wende in derOrdensgeschichte, nämlich die übersiedlung des Hochmeisters von Venedig nachPreußen. Vor allem das Schicksal des Templerordens in Frankreich war ein Anlaß,daß man das sichere, entfernte Preußen als Zentrum der Ordensverwaltung undHauptziel der Tätigkeit des Ordens zu betrachten begonnen hat. Dabei kam es in Liv-land zu großen Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof von Riga, welcher einenkanonischen Prozeß an der Kurie angestrengt hat. Und schließlich haben sich diepreußischen Ordensbeamten entschieden, die verwickelte politische Lage im benach-barten, slavischen Pommerellen auszunützen. Durch dieses Land am linken Weichsel-ufer verlief der kürzeste Weg ins Deutsche Reich; dabei spielte der Hafen von Danzigan der Weichselmündung schon eine bedeutende Rolle. Im Jahre 1308 wurden Burgund Stadt Danzig durch die Ordenstruppen, welche die polnische Besatzung des pol-nischen Herzogs Wladislaw Lokietek - des Herrn von Pommerellen - gegen die Bran-denburger zur Hilfe gerufen hatte, blutig besetzt. Im nächsten Jahre wurden das gan-ze Land gewaltsam besetzt, die polnischen Truppen aus demselben verdrängt und dieStadt Danzig überwiegend liquidiert. Der Orden hat dann die angeblich "besserenRechte" auf Pommerellen von den Markgrafen von Brandenburg gekauft und wollteauch an Polen Geld zahlen. Diese Schritte des Ordens - "politische Meisterstücke,freilich wenig passend für einen geistlichen Orden"6 haben den preußischen Ordens-staat wesentlich abgerundet und seine Bedeutung im Ostseegebiet erhöht. Im Jahre1309 übersiedelte auch der Hochmeister aus Venedig nach Marienburg an der Nogat,trotz erbitterten Widerstandes mancher Ordenskreise, die mit dem Verzicht des Or-dens auf ein Zentrum im Mittelmeerraum nicht einverstanden waren. Im Falle Pom-merellens hat der Orden zum ersten Mal ein schon christianisiertes Land gewaltsamerobert und dabei die Rechte, Interessen und ethnisch-sozialen Verbindungen des

6 M. TurnIer (wie Anrn. 2), S. 321 f.

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polnischen Staates und seiner Gesellschaft schwer angetastet. Es war also ein rein poli-tischer Schritt, mit Machtmitteln durchgeführt. Deshalb entstand - erst jetzt! - einelangjährige Feindschaft zwischen Polen und den Ordensbrüdern, welche ehemals alsamici Regni [PoloniaeJ, jetzt aber als Feinde angesehen wurden. Trotz zweimaligerkanonischer Prozesse, welche die avignonesische Kurie in Polen veranstaltet hat, undtrotz ihrer für das polnische Königreich günstigen Urteile hat der Orden Pommerel-len - wie auch das Kulmer Land - nicht aus der Hand gegeben. Zwar verlief der blu-tige militärische Kampf 1327-1332 ungünstig für Polen, doch hat er das dortigeNationalbewußtsein wesentlich vertieft. Im Jahre 1343wurde im Frieden von KalischPommerellen dem Orden als Almosen überlassen - doch unter der Bedingung derWahrung ewigen Friedens mit dem Königreich und unter dem Zwang der damaligenLage in Polen.

Fast gleichzeitig erfolgte auch in Livland die Erweiterung des Ordensgebiets undseiner Herrschaft. Im Jahre 1330 hatte er die große Stadt Riga unterworfen, außerdemim Jahre 1346 ganz Estland mit Reval von Dänemark gekauft. Doch das Streben zurErlangung der unantastbaren Vorherrschaft auch in Livland, besonders durch die Be-zwingung der Rigaer Erzbischöfe, gelang den Ordensbehörden nicht, aufgrund desWiderstandes der livländischen Vasallen. Immerhin führte der livländische Ordens-zweig den Kampf mit Litauen und unterstützte dabei die Bestrebungen des preußi-schen Zweiges, während doch in Livland seit Anfang des 15. Jahrhunderts die Bedro-hung seitens des Moskauer Großfürstentums akut wurde.

Das 14. Jahrhundert bildet also die Blütezeit des Deutschen Ordens an der Ostseein politischer, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Zahl der Ordenshospitälerwar in Preußen nicht groß (bis zu 25)1. Doch besonders in Preußen und Pommerellenwurden damals bedeutende Siedlungsaktionen durchgeführt, auf dem Lande wie auchin den Städten, mit Hilfe zuerst der ankommenden deutschen, dann der einheimi-schen - prußischen und polnischen - Siedler. Es entstanden im ganzen 93 Städte, wo-bei die wichtigste Rolle die großen Handelsstädte mit Danzig, Thorn und Elbing ander Spitze gespielt haben, die mit dem hansischen Handel eng verbunden waren. Es istauch langsam eine neue, ständische Gesellschaft der "Preußen" entstanden, welche -unabhängig von ihrer Abstammung - sich mit dem Lande (patria) verbunden fühlte.Preußen erlag also dem Prozeß der Territorialisierung mit der sich entwickelndenStändegesellschaft, die von den Ordensbehörden zur wirklichen Mitherrschaft nichtzugelassen wurde. Der Orden konkurrierte auch mit den Städten auf dem Gebiete desHandels, den er intensivausgebaut hat, bis zur Nordsee. Er hat den einheimischenAdel zur Aufnahme in seine Reihen nicht zugelassen, er wahrte auch seine Gerichts-befugnisse als geistliche Institution. Es waren schon damals Anzeichen der Verweltli-chung der Ordensmitglieder sichtbar. Die Zahl der Ordensbrüder in Preußen betrug

7 Vgl. eh. Pro b s t , Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen. Hospital, Firmarieund Arzt bis 1525 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 29), Bad Godesberg1969, S. 40 ff.

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bis zu 700 Rittern, die anfangs die Vorschriften der schweren Ordensregel einhieltenund Verwaltungsfunktionen in den Konventen ausübten, mit Hilfe der Ordensprie-ster (aus den Reihen der einheimischen Bevölkerung) und der sog. Halbbrüder, beieiner beschränkten Zahl von Ordensschwestern. Noch in der Mitte des 15. Jahrhun-derts versuchten die Hochmeister eine Reform im inneren Leben der Ordenskorpora-tion durchzuführen, welche die religiösen Elemente vertiefen sollte. Doch es siegtendie Merkmale des Kampfes und die täglichen Verwaltungs- und Wirtschaftsbeschäfti-gungen, was sich auch in der Außenpolitik des preußischen Ordensstaates widerspie-gelte.

In den einzelnen Komtureien entstanden prächtige Burgen (bis zu 90), mit demManenburger Schloß an der Spitze, die bis heute als Spitzenleistung der mittelalterli-chen Wehrarchitektur an der Ostsee gelten. Auch die großen, gotischen Kirchen,Häuser und Rathäuser in den Städten aus roten Backsteinziegeln gehören zu den be-deutenden materiellen und kulturellen Leistungen. All diese Kunstdenkmäler sindentstanden auf Anregung nicht nur der Ordensbehörden, sondern auch der kirchli-chen und städtischen Insrinnionen. Dagegen hat der Orden für das geistliche Lebensehr wenig Sorge getragen: Die im Jahre 1386 geplante und durch das Papsttum bestä-tigte Einrichtung einer Universitat zu Kulm an der Weichsel kam nicht zu Stande. AlsLandesuniversitäten funktionierten also Prag und Krakau, später Leipzig''.

Als seine Hauptpflicht betrachtete der Orden nämlich weiterhin den Heidenkampf,der gegen Litauen gerichtet wurde, wobei die westeuropäischen, ritterlichen Kreuz-fahrer gerne zur Hilfe kamen im Geiste der spätmitte1alterlichen, ritterlichen Ideolo-gie und Mode.

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Doch in den Konventen im Reiche kam es schon Mitte des 14. Jahrhunderts zur wah-ren Krise, hervorgerufen durch die wirtschaftlichen und sozialen Zustände in Westeu-ropa. Das alles hat folglich zur Senkung auch des religiösen Lebens geführt, wobeilangsam die Ordensinstitution vor allem als Versorgungsanstalt. als "Spital des deut-schen Adels" betrachtet wurde. Es wurde auch die Bezeichnung "Herren" statt"Brüder" eingeführt. Der Orden hat sich dabei nur für die Vertreter des deutschenAdels geöffnet, die ihre Abstammung von adeligen Ahnen beweisen konnten. Dabeizeigten sich in den deutschen Balleien die Bestrebungen nach Verselbständigung, diesich in der Festigung der Funktion des Deutschmeisters und in der Ausbildung seinerschon vorher bestehenden Residenz im fränkischen Horneck offenbarten. Es fanden

8 Vgl. H. B ooc km ann, Die preußischen Studenten an den europäischen Universitäten bis 1525, in:Historisch-geographischer Atlas des Preussenlandes, hg. v. H. u. G. Mortensen u. R. Wens-ku s, Lieferung 3, Wiesbaden 1973, Kommentar, S. 11.

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Page 16: QUELLEN UND STUDIEN ZUR GESCHICHTE DESDEUTSCHEN … · nicorum Jerosolimitanorum", kürzer "Ordo Theutonicorum" angenommen hat. Zwei Merkmale scheinen dabei diewichtigsten zusein:

sich auch Anzeichen der inneren Zersplitterung der mittelalterlichen Ordenskorpora-tion.

Der schwerste Stoß kam für den Orden in Preußen und Livland jedoch Ende des14. Jahrhunderts, als Litauen - vor genau 600 Jahren - eine Union mit Polen schloßund die Christianisierung auf friedlichem Wege langsam übernahm. Diese Faktenhaben dem Deutschen Orden die ideellen Grundlagen seiner Existenz an der Ostseegenommen, weil nun kein Heidenkampf mehr nötig war. Es ist also der tiefste Wen-depunkt in der Geschichte des mittelalterlichen Deutschen Ordens, welcher sich mitder neuen Situation nicht abfinden konnte und wollte. Die Leugnung der Christiani-sierung Litauens, der weitere Kampf um Samaiten wie auch die Versuche der militäri-schen Einkreisung Polens, z.B. durch die Erwerbung der Neumark 1402, haben we-nig geholfen. Schließlich kam es zum großen Kampf, den der Orden Polen und Litau-en 1409 angesagt hat. Die große Schlacht bei Tannenberg/Grunwald vom 15. Juli1410 endete mit einer tiefen Niederlage für den Orden. Sie hat den Niedergang seinerGröße an der Ostsee bedeutet". Den territorialen Bestand in Preußen einschließlichPommereIlens konnte der Orden noch retten, dank der Hilfe aus den deutschen Bal-leien. Doch Samaiten war endgültig verloren, wenn auch der livländische Ordens-zweig militärische Hilfe gegeben hatte. Bis zum Jahre 1435 wurde die Lage endgültiggeklärt. Litauen wurde von den Ordensansprüchen befreit. Dabei wurden auf demKonzil zu Konstanz die ideellen Grundlagen des Heidenkampfes des Ordens durchdie polnischen Juristen, mit Paulus Vladimiri aus der Krakauer Universität an derSpitze, schwer angegriffen: Es setzte sich die Ansicht durch, daß auch die Heiden einRecht (Naturrecht) haben und daß die Schwertmission nicht mehr akzeptabel seinsollte!".

VI

Die Periode nach 1410 bildet ebenso einen bedeutenden Wendepunkt in der Ordens-geschichte, doch nicht nur an der Ostsee. Im Reich entwickelte sich der Prozeß derVerselbständigung des deutschen Zweiges weiter, welcher sich von der Oberaufsichtder Hochmeister befreien wollte, auch weil dieselben ständig finanzielle und militäri-sche Hilfe von den Balleien verlangt haben. Die Deutschmeister, nun fest mit ihremkleinen Hof und der Kanzlei in Horneck etabliert, strebten nach Bildung eines größe-ren Territoriums ("Deutschmeisterstaates") in Anlehnung an die große Ballei Fran-

9 Vgl. S. M. Kuczynski, Wielka Wojna z Zakonem Krzyzackim w latach 1409-1411, Warszawa1960; S. E kd ah I, Die Schlacht bei Tannenberg 1410. Quellenkritische Untersuchungen, Bd. 1 (Ber-liner Historische Studien 8), Berlin 1982 (dort zahlreiche Literaturangaben).

10 Vgl. H. B oockm ann, Johannes Falkenberg, der Deutsche Orden und die polnische Politik (Veröf-fentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 45), Göttingen 1975, S. 50 ff.

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ken!". Im Jahre 1494 wurde schließlich der Deutschmeister ein lehnbarer Fürst desReiches - entgegen den päpstlichen Privilegien aus dem 13. Jahrhundert über die"Lehnsexemtion" des Ordens, jetzt als Beweis der veränderten sozialen und rechtli-chen Situation. Es erfolgte auch langsam die Anpassung der einzelnen Balleien an diererritorialen Behörden und Institutionen des Reiches. Die Ballei Böhmen ging schonam Anfang des 15. Jahrhunderts verloren, außer der Kommende Troppau. In Italienund überhaupt im Mittelmeerraum gingen ebenfalls im 15. und 16. Jahrhundert alleBalleien und fast alle Kommenden verloren.

In Preußen mußte der schon verarmte und verkleinerte Orden (nur ca. 300 Brüder)sich aus finanzieller Not mit den Ständen arrangieren. Die Stände traten nun mit eige-nen Interessen auf, wobei die privilegierte Stellung der Ordensritter im Handel undGerichtswesen angegriffen wurde. Es zeigte sich eine gewisse Entfremdung gegenüberden Ordensbrüdern, welche weiter vor allem aus dem Reiche kamen und antistän-disch gesinnt waren. Das Streben der Stände nach Beschränkung der Oberherrschaftdes Ordens, welcher im Namen seiner privilegierten Stellung als geistliche Institutionnicht nachgeben wollte, hat schließlich zum Ausbruch des offenen Kampfes geführt,im Rahmen des Preußischen Bundes (seit 1440), einer Konföderation des Adels undder Städte. Sie suchten eine Stütze in Polen, das wirtschaftliches Hinterland für diegroßen Weichselstädte und politisches Vorbild für die Adligen war. Gerade diese in-terne Opposition - ein Beweis, daß der Rahmen des Ordensstaates für seine neue,durch den Orden geschaffene Gesellschaft schon nicht mehr attraktiv war - hat diesenStaat gesprengt. Es geschah während des Aufstandes im Jahre 1454, InkorporationPreußens durch die polnische Krone und während des Dreizehnjährigen Krieges Po-lens und des Preußischen Bundes gegen den Deutschen Orden. Im zweiten ThornerFrieden von 1466 mußte er die Übernahme der westlichen, reichsten Gebiete an derunteren Weichsel mit Danzig und Marienburg durch Polen akzeptieren, als sog. Kö-niglich Preußenv. Der östliche Teil mit Königsberg - der neuen Residenz des Hoch-meisters - also Ordenspreußen, wurde polnisches Quasi-Lehen. Der Hochmeisterwurde ein vereidigter fürstlicher Ratgeber Polens mit bestimmten Pflichten, beson-ders der Waffenhilfe . Der Thorner Vertrag wurde zwar vom Papsttum aus politischenMotiven nicht bestätigt, doch die Wirklichkeit war anders, weil die (west- )preußi-sehen Stände die Ordensherrschaft an der Weichsel nicht mehr dulden wollten; auchfür die polnische Wirtschaft war der Besitz der Weichselmündung direkt unentbehr-

11 Vgl. H. H. Hof man n, Der Staat des Deutschmeisters. Studien zu einer Geschichte des DeutschenOrdens im Heiligen Römischen Reich deutseher Nation (Studien zur bayerischen Verfassungs- undSozialgeschichte 3), München 1%4, S. 77 ff.

12 Vgl. E. Wei s e , Das Widerstandsrecht im Ordenslande Preußen und das mittelalterliche Europa(Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 6), Göttingen 1955; M. Biskup,Zjednoczenie Pomorza Wschodniego z Polska w polowie XV wieku, Warszawa 1959; de rse lbe,Der Preußische Bund 1440-1454 - Genesis, Struktur, Tätigkeit und Bedeutung in der GeschichtePreußens und Polens, in: Hansische Studien 3, Weimar 1975, S. 210 H.; d e rs el be, Trzynastoletniawojna z Zakonem Krzyiackim 1454-1466, Warszawa 1967.

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lich. Die letzten Versuche der beiden fürstlichen Hochmeister - Friedrich von Sach-sen und Albrecht von Hohenzollern-Ansbach, welche seit 1498 den Thorner Friedennicht beschworen haben und nach voller Restituierung der Herrschaft an der Weichselstrebten, verliefen zwecklos: Polen wollte zwar den Orden aus dem östlichen Preußennicht ganz entfernen, doch konnte es ihm auch die Weichselmündung mit Danzignicht zurückgeben. Dabei zeigten sich im Ordenspreußen die krassen Merkmale derVerweltlichung (Privatbesitzl) innerhalb der Ordenskorporation, welche unwiderruf-lich welkte, so daß das Land sich auf ein territoriales Fürstentum hin enrwickelre->.Die Anfänge der lutherischen Reformation hatten in Ordenspreußen nach 1520 brei-ten Widerhall gefunden. Der zähe Widerstand Albrechts gegen das polnische Verlan-gen nach der Eidesleistung wurde durch den Deutschmeister und den livländischenLandmeister nicht genügend unterstützt, weil beide nach Verselbständigung strebtenund nicht genügend Geldmittel zur Aushilfe besaßen. Polen hat schließlich seine Zu-stimmung zur Säkularisierung Ordenspreußens im Jahre 1525 erteilt. Albrecht wurdepolnischer, weltlicher Lehnsmann, der Orden wurde in Preußen endgültig liqui-diert-+.

In Livland konnte sich der Deutsche Orden noch weiter behaupten, weil er sich imJahre 1435 mit den Ständen friedlich geeinigt und ihnen gewisse Mitbestimmungs-rechte bei den äußeren und inneren Angelegenheiten zugesichert hatls. Das hat die in-terne Opposition teilweise beruhigt, wobei auch die anwachsende Bedrohung seitensMoskaus in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dem Orden die Rolle eines Be-schützers Europas gegen die Schismatiker - als eine Art , ,antemurale" - verliehen hat.Das nützte vor allem der Ordensmeister Wolter von Plettenberg (seit 1494) aus, wel-chem es gelungen ist, Livlands östliche Grenze zu schützen und die Neutralität zwi-schen Moskau und Polen-Litauen zu erhalten. Doch in Livland wurde die lutherischeReformation eingeführt, wobei in manchen Konventen katholische und prorestanti-sehe Ordensritter zusammenlebten. Der Orden welkte hier sehr langsam, bis zumAngriff Moskaus im Jahre 1558. Dieser Angriff hat schließlich zur Übergabe Livlandsim Jahre 1561 an Polen-Litauen und zur Inkorporation in jenen Staat geführt, wobeider letzte Landmeister Gorthard Kettler lehnbarer Fürst nur von Kurland wurde.

Der Deutsche Orden ist also nach über 300 Jahren aus den Ostseeländern ver-schwunden. Es blieben vor allem die Folgen seiner Wirkung in den durch denselben

13 Vgl. K. For s t r e u t e r, Vom Ordensstaat zum Fürstentum, Kitzingen 1951; L. D r a II e, Der Staatdes Deutschen Ordens in Preußen nach dem 2. Thorner Frieden (Frankfurter Historische Abhandlun-gen 9), Wiesbaden 1975; M. Bis k up, Polska a Zakon Krzyzacki w Prusach w poczarkach XVI w. Uzrödel sekularyzacji Prus Krzyzackich, Olsztyn 1983.

14 Vgl. M. Biskup, Das Ende des Deutschordensstaates Preußen imJahre 1525, in: Die geistlichenRitterorden Europas, hg. v. J. Fie c ken s te i n u. M. Hell man n (Verträge und Forschungen 26),Sigmaringen 1980, S. 403 ff.; don weitere Literatur.

15 Vgl. J. Ko s trz ak, Narodziny ogölnoinflanckich zgromadzeri stanowych od XIII do polowy XVwieku, Warszawa-Poznan-Torun 1985; derselbe, Frühe Formen des altlivländischen Landtages,in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 32, 1984, S. 163-198.

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teilweise geschaffenen oder angeregten sozialen, ethnischen und religiösen Struktu-ren, auf dem Lande wie besonders in den Städten, welche durch Jahrhunderte wirk-sam waren. Es blieb auch das politische Restgebilde Herzogtum Preußen, das in derZukunft zum Entstehen des Königreichs Preußen und zu einer bedeutenden Um-wandlung an der Ostsee - auf Kosten des polnischen Staates - beitragen sollte. Amnachhaltigsten war die Wirkung des Ordens auf das traurige Schicksal der Prußen, diesich schließlich langsam mit den deutschen und teilweise polnischen BewohnernOrdenspreußens assimiliert und als selbständiger Stamm zu existieren aufgehörthaben. Der Orden beschleunigte auch manche politischen Prozesse an der Ostseedurch die Notwendigkeit einer Abwehr gegen seinen Heiden-, aber auch Eroberungs-kampf, was besonders im Falle Polens und Litauens sichtbar ist.

Es blieben auch die Denkmäler der Backsteingotik in Preußen und Livland, die ingroßer Zahl bis heute bestehen und sich unter Denkmalschutz befinden - Marienburgan der Spitze. Sie gehören zu der allgemeinen, menschlichen Kultur im Ostseegebiet.

VII

Es blieb auch der deutsehe Zweig des Ordens im Reich, der seit 1525 eine selbständigeGeschichte entwickelt hat, bis 1809. Diese Etappe der Ordensgeschichte ist uns nochnicht klar und breit genug dargestellt worden 16. Man kann schon sagen, daß diese Ge-schichte vor allem zur Geschichte des Deutschen Reiches der Neuzeit gehört, dochwiederum mit manchen Anknüpfungen an die allgemeine Geschichte in Südeuropa,viel schwächer von Nordosteuropa. Der Orden versuchte zuerst, seine Existenz imReich zu retten, sowie Preußen mit Hilfe Kaiser Karls V. zurückzugewinnen. Dieerste Aufgabe wurde durch Deutschmeister Walter von Cronberg erfüllt, der nach1525 den Orden als "Spital des Deutschen Adels" gerettet und die Residenz von derim Bauernaufstand zerstörten Hornecker Burg nach Mergentheim in Franken verlegthat. Im Jahre 1529 wurde Cronberg auch Administrator des Hochmeistertums, undim nächsten Jahr hat er in seiner Eigenschaft als Reichsfürst Preußen als Lehen vomKaiser angenommen. Doch diese, wie auch weitere Schritte haben trotz allem dieRückgabe Preußens nicht bewirken können. Auch die Nachfolger Cronbergs hattenkeine Möglichkeit, nach 1561 Livland oder wenigstens Kurland zurückzuerhalten. Esblieben nur die rechtlichen Ansprüche, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erfolg-los betont wurden, zuerst gegenüber Polen-Litauen, doch seit dem Ende des 16. Jahr-

16 VgI.H.H.Hofmann (wieAnm.ll),S.181 ff.;B.Demel, DerDeutscheOrdenzwischenBau-emkrieg (1525) und Napoleon (1809), in: Von Akkon bis Wien (wie Anm. 5), S. 177 H.; d e rse lb e ,Mergentheim - Residenz des Deutschen Ordens, in: Zeitschrift für Württembergische Landesge-schichte 34/35, 1978, S. 142 ff.; d e rs el be, Der Deutsche Orden und die Stadt Gundelsheim, Gun-delsheim 1981, S. 9 H.

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hunderts vor allem gegenüber den ansbachischen und brandenburgischen Hohenzol-lern, als sie sich im Herzogtum Preußen etabliert batten!".

Nur teilweise wurde die materielle Substanz des Ordens im Reich erhalten, weil dieFortschritte der Reformation die Möglichkeit des Bestehens eines nur katholischenOrdens unmöglich machten. Die Balleien Sachsen und Thüringen wurden durch dieprotestantischen Fürsten konfisziert, doch eine Gruppe der Ordensritter hat den lu-therischen Ritus angenommen und vegetierte bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.In der Ballei Utrecht hatten die Ordensbrüder den Kalvinismus angenommen. InHessen kam es zu einer sonderbaren Erscheinung, zum Zusammenleben der dreiKonfessionen - der lutherischen, kalvinistischen und katholischen. Nur 7 Balleienblieben also katholisch: Altenbiesen, Koblenz, Lothringen, Elsaß, Franken, Öster-reich und An der Etsch. Das sonderbare und lobenswerte Zusammenleben der dreiKonfessionen war erträglich - der Orden wurde von den Ordensrittern in erster Linieals eine adelige Versorgungsanstalt betrachtet, die Priester haben weiterhin eine unter-geordnete Rolle gespielt. Es herrschte allerdings als Grundsatz, daß der Hochmeisterkatholisch sein mußte.

Bis 1809 konzentrierte also der Deutsche Orden seine Tätigkeit auf die südwestli-chen Teile des Reiches, wobei die Ballei Franken mit der Hochmeister-Residenz inMergentheim die Hauptrolle spielte. Dort entstand ein fürstlicher Hof mit Beamten-hierarchie, die allmählich die amtlichen Funktionen von den Ordensrittern übernom-men hat. Im Jahre 1577 - nach den Reformationsstürmen und -verlusten - zählte derganze Orden nur noch 119 Ritter und 52 - also sehr wenig - Priester-".

Cronberg und seine Nachfolger als Hoch- und Deutschmeister hatten auch absicht-lich die Ordensgüter in die sog. Reichs- und Kreisverfassung im Reiche eingebracht.Das rettete diese Güter vor dem Verschlucken durch die Territorialfürsten, wennauch der Orden zusätzliche finanzielle und militärische Pflichten tragen mußte. EineStütze hat er in der Habsburgerdynastie gefunden, die vom Ende des 16. Jahrhun-derts an ihre Vertreter dem Orden als Hochmeister langsam aufgezwungen hat. Dererste habsburgische Hochmeister war ab 1590 Erzherzog Maximilian, der unglück-liche Kandidat für den polnischen Thront". Der Orden war somit auf dem Wege zueinem habsburgischen "Hausorden", was ihm übrigens auch materielle Vorteile ge-bracht hat, besonders um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Güterkomplexe in Oster-reichisch Schlesien und Mahren-",

17 Vgl. U. Ar nold, Mergentheim und KönigsberglBerlin - die Rekuperationsbemühungen des Deut-schen Ordens auf Preussen, in: Württembergisch Franken 60, 1976, S. 14 H.

18 Vgl. Deutschordens-Zentralarchiv Wien, Ordensstand 614/7, S. 1-21.19 Vgl. H. No fl a t s c he r , Erzherzog Maximilian als Hoch- und Deutschmeister (1585/90-1618). Das

Haus Habsburg, der Deutsche Orden und das Reich im trikonfessionellen Zeitalter (Quellen und Stu-dien zur Geschichte des Deutschen Ordens II), Marburg 1986.

20 Vgl. W. Ir gan g, Freudenthal als Herrschaft des Deutschen Ordens 1621-1725 (Quellen und Stu-dien zur Geschichte des Deutschen Ordens 25), Bonn 1971.

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Die Haupttätigkeit des Ordens im 16. und 17. Jahrhundert zeigte sich weiter imHeidenkampf, der gegen die Türken gerichtet war. Seine Hauptaufgabe beruhte je-doch nur auf der Verteidigung der südöstlichen Grenze Österreichs, besonders an derungarischen Seite. Die Pläne der Zuweisung dauernder Stützpunkte an der türkischenGrenze wurden durch die Hochmeister nicht realisiert, weil sie die allzugroßenKosten gefürchtet haben. Doch in den Jahren 1618-1809 haben an den Türkenkämp-fen rund 720 Ordensritter teilgenommen, wenn auch nur als Hilfskräfte in der habs-burgischen Armee, nicht mehr als Hauptorganisatoren und Befehlshaber, wie früherin Preußen oder Livland-", In den reformierten Ordensstatuten vom Jahre 1606wurde sogar die Pflicht eines 3jährigen Waffendienstes, besonders an der ungarischenGrenze, für die jungen Ordensritter vorgesehen. Die Ordensvertreter haben auch beider Verteidigung Wiens 1683 einen wesentlichen Beitrag geleistet, besonders Guidovon Starhemberg. Die Ordensabteilungen unter Hochmeister Ludwig Anton nahmendann an der siegreichen Offensive der Osterreicher gegen die Türken teil (übrigensbestanden zwischen diesem Hochmeister und dem polnischen König Johann III.Sobieski engere Kontakte). Dank Ludwig Anton wurde sogar im Jahre 1696 das"Hoch- und Deutschmeisterregiment" gebildet, mit Ordensoffizieren, das später inWien stationiert war.

Diese Teilnahme des Ordens an den Türkenkriegen ist nicht zu verkennen. Wesent-lich ist aber auch sein Anteil an der Entwicklung der kulturellen und überhaupt derBildungsinstitutionen im Reiche. An erster Stelle muß man die Gründung der Prie-sterseminare in Köln (1574) und Mergentheim (1606) nennen, die einen zahlreichenkatholischen Priesternachwuchs ausgebildet haben. Der Orden hat auch höhere Stu-dien, vor allem seiner Priester, unterstützt-",

Ein besonders Kapitel bildet die rege Bautätigkeit des Ordens seit der Mitte des17. Jahrhunderts, für die die bis heute stehenden, imposanten Barockkirchen undSchlösser in Franken und in der Tschechoslovakei den besten Beweis abgeben. DiesesWirken des Ordens hat wahre Perlen deutschen Barocks geschaffen, mit den Schlös-sern in Mergentheim, Ellingen und Altshausen sowie Freudenthal an der Spitze. DasWirken in den Städten hat ebenfalls künstlerische Werke und gute Erinnerung an dieOrdensherrschaft hinterlassen.

Diese adelige Korporation zählte am Ende des 18. Jahrhunderts (1788) rund1.550 Dörfer mit 100.000 Untertanen, 96 adelige Ordensritter und 71 Priester+', DerOrden gehörte also dem adeligen, deutschen Stand und seiner - teilweise auch derbürgerlichen - Kultur im alten Deutschen Reich an.

21 Vgl. H. Hartmann, Deutschordensritter in den Kriegen des 17. und 18. Jahrhunderts, in: VonAkkon bis Wien (wie Anm. 5), S. 228 ff.; U. Arnold, Regelentwickung und Türkenkriege beimDeutschen Orden, in: Dienst für die Geschichte. Gedenkschrift für Walther Hubatsch, hg. v. M.Salewski u. J. Schröder, Göttingen 1985, S. 25-40.

22 Vgl. B. Dem e 1, Das Priesterseminar des Deutschen Ordens zu Metgentheim (Quellen und Studienzur Geschichte des Deutschen Ordens 12), Bad Godesberg 1972.

23 Vgl. H. H. Hofm an n (wie Anm. 11), S. 445 H.

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Einen weiteren Wendepunkt für diesen Orden bilden die napoleonischen Kriege, dieder Korporation beinahe den Todesstoß gegeben haben. Dies geschah etappenweiseseit dem Jahre 1797 und wurde im Schönbrunner Vertrag 1809 abgeschlossen: DerDeutsche Orden wurde durch Napoleon im Deutschen Reich liquidiert, seine Besit-zungen vor allem durch die Königreiche Württemberg und Bayern übernommen. DerOrden blieb nur in Osterreich und Schlesien, doch als mediatisierte Institution, d.h.den Habsburgern zur Verfügung überlassen. Der Hochmeister siedelte von Mergent-heim nach Wien über, das wertvolle Mergentheimer Hauptarchiv wurde ganz will-kürlich zerteilt, nur ein Teil ging nach Wien über. Im Jahre 1809, nach rund 610 Jah-ren, schien der alte Deutsche Orden ganz zugrunde zu gehen.

Die Jahre 1809-1834 bilden wohl die schwerste Periode in der Ordensgeschichte,weil der Wiener Kongreß an seiner Lage nichts geändert hat. Der Orden war eigent-lich auf die Gnade des Kaisers Franz I. angewiesen und vegetierte in Osterreich, ohneZuwachs an neuen Mitgliedern und ohne Priesterseminare. Schließlich hat sich derKaiser im Jahre 1834 entschieden, dem Orden eine gewisse Selbständigkeit zurückzu-geben, wenn auch weiter unter dem Patronat der Habsburger, was in der Hochmei-sterwahl seinen Ausdruck gefunden hat. Der Name des Ordens lautete seitdem"Deutscher Ritterorden" als einer vollkommen katholischen, ritterlich-geistlichenInstitution. Doch die damals durchgeführte Reform hat eigentlich zu der ursprüng-lichen, karitativen Tätigkeit des Ordens zurückgeführt: Es wurde wieder die Institu-tion der Ordensschwestern berufen, die im Hospitalwesen und in den Schulen wirk-ten. Es wurden auch Konvente für die Priester und Seminare gegründet. Dagegenhaben die Ordensritter sich vor allem mit dem Sanitätsdienst in Form der Errichtungvon Feldlazaretten beschäftigt. Um die materiellen Mittel zu sichern, wurde im Jahre1866 die Institution der Ehrenritter berufen, und im Jahre 1871 die sog. Marianer,d.h. Familiaren. Zu diesen Institutionen gehörte ein bedeutender Teil des österreichi-schen Adels, besonders die hohen Offiziere; auch Polen aus Galizien waren beteiligt,wie der Erzbischof von Lemberg Josef Bilczewski-". Im Ersten Weltkrieg wirktenvier große Feldlazarette des Deutschen Ritterordens. Er war also ein Stück der adeli-gen Kultur der habsburgischen Donaumonarchie, mit ihren zeremoniellen Festlich-keiten und Sitten, dabei die karitative Tätigkeit betreibend.

Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte im Königreich Preußen dierecht hagiographische Anerkennung der Vergangenheit des mittelalterlichen Deut-schen Ordens, besonders an der Ostsee, wo der Orden als Vorgänger der Hohenzol-lern und der "östlichen Mission Deutschlands" bezeichnet wurde. Dies hat seinenWiderhall in der reichen wissenschaftlichen wie auch der schönen Literatur gefunden.Als Antwort entstanden in Polen die kritischen historiographischen und die literari-

24 Vgl. G. Müll er, Die Familiaren des Deutschen Ordens (Quellen und Studien zur Geschichte desDeutschen Ordens 13), Marburg 1980, S. 319.

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sehen Werke - mit dem Roman "Die Kreuzritter" (Krzyzacy) von Henryk Sienkie-wicz an der Spitze -, die sich der einseitigen, glorifizierenden Tendenz der preußi-schen Historiographie und Publizistik sehr scharf widersetzt haben. Die Behördendes Deutschen Ritterordens in Wien haben sich mit gewisser Reserve dieser preußi-schen Apologie widersetzt, am schärfsten der Verherrlichung des letzten Hochmei-sters in Preußen Albrecht von Hohenzollern-Ansbach, dabei im Kontext der politi-schen Konkurrenz zwischen Habsburgern und Hohenzollern sich befindend-",

IX

Einen folgenden, dabei entscheidenden Wendepunkt bildete für den Deutschen Rit-terorden das Jahr 1918 und die Zertrümmerung der habsburgischen Monarchie, weildie Nachfolgestaaten den Orden nur als einen Ehrenorden des habsburgischen Hausesbetrachten wollten. Deswegen hat der habsburgische Hochmeister Erzherzog Eugenim Jahre 1923 freiwillig resigniert. Der Diplomarie der Republik Osterreich ist es imJahre 1927 gelungen, die Nachfolgestaaten zu überzeugen, daß der Orden eine geist-liche Institution gewesen war, wenn auch mit besonderer Verbindung zum HauseHabsburg. Der Orden mußte jedoch seinen Charakter wandeln, was im Jahre 1929geschah, als Papst Pius XI. ihm eine neue Regel bestätigte. Sie hat die Institution derOrdensritter in dem wieder so benannten "Deutschen Orden" liquidiert, dagegen diegeistlichen Ordensbrüder (Priester) und die Schwestern bestehen lassen. Die Institu-tion der Ehrenritter wurde noch beibehalten.

Der schon geistliche Deutsche Orden wurde also mit seelsorgerischen und karitati-ven Pflichten beladen. Diese neue Regel konnte nur noch ein paar Jahre in der Repu-blik Osterreich, der Tschechoslovakei, Jugoslavien und Italien (Südtirol) ohne Pro-bleme fungieren, weil der Einmarsch der Nationalsozialisten und der AnschlußOsterreichs ans Deutsche Reich schon imJahre 1938 erfolgten. Im nächsten Jahr wur-de auch die Tschechoslovakei annektiert. Die Nationalsozialisten haben den Deut-schen Orden inOsterreich und in der Tschechoslovakei liquidiert: Er entsprach nichtden ideologischen Anschauungen besonders im Geiste von Alfred Rosenberg überden mittelalterlichen Deutschen Orden, dessen einseitig interpretierte Tradition indie offizielle Propaganda eingeschaltet wurde. Himmler wollte sogar gerade inWien einen neuen "Deutschen Orden" gründen, der sich auf die Rassenlehre stützensollte-".

25 w. Wi P per man n , Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deut-schen Geschichtsschreibung und Publizistik (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommissionzu Berlin 24), Berlin 1979; de r se Ibe, "Gen Ostland wollen wir reiten!" Ordensstaat und Ostsied-lung in der historischen Belletristik Deutschlands, in: Germania Slavica II, hg. v. W. H. Fr i t z e (Ber-liner Historische Studien 4), Berlin 1981, S. 187-235.

26 M. Tumler/U. Arnold (wie Anm. 2), S. 88-89; W. Wippermann, Ordensstaat (wieAnm. 25), S. 261.

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Der Zusammenbruch des Dritten Reiches 1945 hat jene Pläne durchkreuzt. Dergeistliche Deutsche Orden konnte seit dieser Zeit mühsam seine karitative und erzie-herische Tätigkeit entwickeln aufgrund der Regel vom Jahre 1929, zuerst vorwiegendin Osterreich und Norditalien. Er kam auch bald wieder nach Westdeutschland zu-rück, wo vor allem zahlreiche Schwesternniederlassungen in Bayern und im Rhein-land entstanden sind. Der Orden kehrte also vollkommen zu seinen ursprünglichenAufgaben zurück - zu der Sorge für die Kranken und Alten, bereichert um den Schul-unterricht und die Seelsorge. Seine Tätigkeit konnte er seit dem Jahre 1965 besondersdurch den Ausbau der Institution der Familiaren durchführen. Mit ihrer Hilfe kannder Deutsche Orden auch größere, karitative Werke leisten wie besonders den Baumoderner Altersheime, z.B. das Haus des "goldenen Herbstes" in Köln-Brück, dasein gutes Beispiel darstellt.

Der heutige, geistliche Deutsche Orden hat sich noch eine neue Aufgabe gestellt:die Erforschung der eigenen Geschichte, und dies in internationaler Zusammenarbeit.Die zahlreichen Bände der "Quellen und Studien zur Geschichte des DeutschenOrdens" und die Unterstützung der Bildung der "Internationalen HistorischenKommission zur Erforschung des Deutschen Ordens" sind genügende Beweise, daßder Orden den Mut hat, seine eigene Vergangenheit in den verflossenen acht Jahrhun-derten - in der ganzen Komplexität, mit allen Errungenschaften, aber auch mit denSchatten und Niederlagen - kennenzulernen und zu verbreiten. Auch das ist ein be-deutender Wendepunkt in der Geschichte des gegenwärtigen Deutschen Ordens.

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