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Deutsche Biographie – Onlinefassung NDB-Artikel Raupach, Ernst Benjamin Salomo (Pseudonym Leb(e)recht Hiersemenzel, Emil beziehungsweise Emanuel Leutner, Sturmfeder) Dramatiker, * 21.5.1784 Straupitz bei Liegnitz (Schlesien), † 18.3.1852 Berlin, ⚰ Berlin, Friedhof d. Dreifaltigkeitsgemeinde. (evangelisch) Genealogie V →Johann Christoph († 1794), Pastor in St.; M N. N. († nach 1794); B →Johann Friedrich (1775–1819), Physiker, Schriftst., zunächst in St. Petersburg, seit 1809 Prof. d. Math. an d. Ritterak. in L. (s. Pogg. II; Kosch, Lit.- Lex. 3 ); 4 Schw; – ⚭ 1) 1816 Cäcilie v. →Wildermeth († 1817), Prinzenerzieherin in St. Petersburg, 2) 1848 →Pauline Werner (* 1810), Schausp. (s. L); kinderlos. Leben Nach dem Besuch der Liegnitzer Stadtschule studierte R. 1801-03 Theologie in Halle und war anschließend als Lehrer in Groß-Wiersewitz bei Liegnitz, seit 1806 auf einem Gut bei Moskau tätig. 1814 wurde er in St. Petersburg Privatlehrer für Sprachen und Geschichte und 1817 an der dortigen Universität o. Professor für allgemeine Weltgeschichte. Nach einer Italienreise (1822/23) wurde R. im Aug. 1823 auf eigenen Wunsch als ksl. Hofrat aus russ. Diensten entlassen. Seit 1824 lebte er in Berlin. Russ. Verhältnisse wählte R. als Handlungsvorwurf für seine erfolgreichen frühen Stücke, die historische Tragödie „Die Fürsten Chawansky“ (UA 1820), die Reminiszenzen an „Macbeth“ und Schillers Dramen aufweist, sowie für „Isidor und Olga, oder Die Leibeigenen“ (1826), das den Streit ungleicher Brüder zum Inhalt hat. 1827 schrieb R. das Libretto für die Festoper „Agnes von Hohenstaufen“, die von Gaspare Spontini komponiert und zur Hochzeit der weimar. Prinzessin Marie mit Carl von Preußen aufgeführt wurde. Von 1828 bis zu seinem Tod erhielt R. regelmäßige Einkünfte von den preuß. Königen Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. In seinen Schauspielen nahm R. unterschiedliche Traditionen auf, u. a. das Theater Calderons (Die Tochter d. Luft, UA 1827) und die dt. Klassik (Tassos Tod, UA 1833). 1830-37 brachte er die Geschichte der stauf. Kaiser in einem 16teiligen Dramenzyklus auf die Bühne, in dem er sein von den

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    NDB-ArtikelRaupach, Ernst Benjamin Salomo (Pseudonym Leb(e)recht Hiersemenzel,Emil beziehungsweise Emanuel Leutner, Sturmfeder) Dramatiker, * 21.5.1784Straupitz bei Liegnitz (Schlesien), 18.3.1852 Berlin, Berlin, Friedhof d.Dreifaltigkeitsgemeinde. (evangelisch)GenealogieV Johann Christoph ( 1794), Pastor in St.;M N. N. ( nach 1794);B Johann Friedrich (17751819), Physiker, Schriftst., zunchst in St.Petersburg, seit 1809 Prof. d. Math. an d. Ritterak. in L. (s. Pogg. II; Kosch, Lit.-Lex.3);4 Schw; 1) 1816 Ccilie v. Wildermeth ( 1817), Prinzenerzieherin in St.Petersburg, 2) 1848 Pauline Werner (* 1810), Schausp. (s. L); kinderlos.LebenNach dem Besuch der Liegnitzer Stadtschule studierte R. 1801-03 Theologiein Halle und war anschlieend als Lehrer in Gro-Wiersewitz bei Liegnitz,seit 1806 auf einem Gut bei Moskau ttig. 1814 wurde er in St. PetersburgPrivatlehrer fr Sprachen und Geschichte und 1817 an der dortigen Universitto. Professor fr allgemeine Weltgeschichte. Nach einer Italienreise (1822/23)wurde R. im Aug. 1823 auf eigenen Wunsch als ksl. Hofrat aus russ. Dienstenentlassen. Seit 1824 lebte er in Berlin.Russ. Verhltnisse whlte R. als Handlungsvorwurf fr seine erfolgreichenfrhen Stcke, die historische Tragdie Die Frsten Chawansky (UA 1820),die Reminiszenzen an Macbeth und Schillers Dramen aufweist, sowie frIsidor und Olga, oder Die Leibeigenen (1826), das den Streit ungleicherBrder zum Inhalt hat. 1827 schrieb R. das Libretto fr die Festoper Agnesvon Hohenstaufen, die von Gaspare Spontini komponiert und zur Hochzeitder weimar. Prinzessin Marie mit Carl von Preuen aufgefhrt wurde. Von 1828bis zu seinem Tod erhielt R. regelmige Einknfte von den preu. KnigenFriedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV.In seinen Schauspielen nahm R. unterschiedliche Traditionen auf, u. a.das Theater Calderons (Die Tochter d. Luft, UA 1827) und die dt. Klassik(Tassos Tod, UA 1833). 1830-37 brachte er die Geschichte der stauf. Kaiserin einem 16teiligen Dramenzyklus auf die Bhne, in dem er sein von den

  • Zeitgenossen gewrdigtes bhnenpraktisches Talent zeigte (u. a. Kg. Enzio, UA1831, Ouvertre v. R. Wagner z. Leipziger UA 1832; Kg. Konradin, UA 1834).Mit dieser imperialen' Vorstellung von einer Restitution des alten Reicheskam R. sowohl der nationalromantischen Bewegung wie den literarischenVorlieben der beiden preu. Monarchen entgegen. Mit seiner 117 Stckeumfassenden Bhnenproduktion gehrte R. neben Ernst Christoph Frhr. v.Houwald, Adolf Mllner und Zacharias Werner zu jener Generation, die um dieNachfolge Schillers als Dramatiker konkurrierten. Seine Komdien Kritik undAntikritik (1825), Die Schleichhndler (1828) und Der Zeitgeist (1830)verdankten ihren Kassenerfolg einer pointensicheren Handlung, die jedochkritische Zeitbezge aussparte.R.s Theaterhegemonie (M. Martersteig) endete 1840, als sich mit KarlGutzkow, Heinrich Laube und Robert Prutz eine neue Generation auf derBhne durchsetzte. Whrend der Mrztage 1848 trat R. in Zeitungsartikelnschroff fr die absolute Monarchie ein.|AuszeichnungenRoter Adlerorden III. Kl. (1835); GHR (1842); Ghzgl.-Schs. Orden v. WeienFalken (1847).Werkeu. a. Erzhlende Dichtungen, 1821;E. R.s dramat. Werke komischer Gattung, 4 Bde., 1829-35;E. R.s dramat. Werke ernster Gattung, 16 Bde., 1835-43;Die Aufgabe d. jetzigen Kammern, 1849;A. Merbach, ber d. heutigen Zustand d. Theaters, Von E. R., Denkschr. an d.Kg. Friedrich Wilhelm d. Vierten v. Preuen aus d. J. 1842, in: Die Schaubhne7/2, 1911, Nr. 23/33, 17.8.1911, S. 120-24. |NachlassNachla: Archiv d. Berlin-Brandenburg. Ak. d. Wiss., Berlin; GStA Preu.Kulturbes., Berlin.LiteraturADB 27;Pauline Raupach, R., Einebiogr. Skizze, 1853;M. Martersteig, Das dt. Theater im 19. Jh., 1904, S. 226 ff. u. .;P. E. Wolff, R.s Hohenstaufendramen, 1912;

  • C. Bauer, R. als Lustspieldichter, 1913;K. W. M. O. Kohlweyer, R. u. d. Romantik, 1923;F. Sengle, Das dt. Gesch.drama, 1952, bes. S. 149-52;J. M. Leaver, The First Performances of F. Hebbel's Genoveva andNibelungen Dramas and Their Connection with R.s Dramas on the SameSubjects, in: The Modern Language Review 55, 1960, S. 392-98;G. W. F. Hegel. ber die Bekehrten, in: ders., Vermischte Schrr. aus d. BerlinerZeit, 1968, S. 459-69;R. Freydank, Theater in Berlin, 1988 (P);K. Gutzkow, in: Berlin, Panorama e. Residenzstadt, 1995, S. 133 f.;G. M. Rsch, Gesch. u. Ges. im Drama, in: Zw. Restauration u. Rev. (18151848), hg. v. G. Sautermeister u. U. Schmid, 1998, S. 378-420;dies., Theater f. d. kgl. Hof, Eine Studie zu E. R. u. z. Berliner lit. Leben imVormrz, in: Imprimatur NF 17, 2002, S. 81-104;dies., in: Mitteldt. Jb. f. Kultur u. Gesch. 9, 2002, S. 181-87 (P);Gedenktage d. mitteldt. Raumes, 1984;Ostdt. Gedenktage, 1984 (P);C. B. Sucher, Theaterlex., 21999;Kosch, Theater-Lex.;Kosch, Lit.-Lex.3;KillyPortraitslgem. v. F. W. Herdt, 1832 (Slg. Porz-Wahn, Inst. f. Theaterwiss., Univ. Kln),Abb. in: Die Zeit d. Staufer II, hg. v. Ch. Vterlein, 1977, Abb. 681;Stich nach e. Zeichnung v. F. Krger, in: E. R.s dramat. Werke komischerGattung, Erster Theil, 1829, u. in: R. Freydank, Theater in Berlin, S. 160 (s. L).AutorGertrud Maria Rsch

  • Empfohlene ZitierweiseRsch, Gertrud Maria, Raupach, Ernst Benjamin Salomo, in: Neue DeutscheBiographie 21 (2003), S. 206-207 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/.html

    http://www.deutsche-biographie.de/.htmlhttp://www.deutsche-biographie.de/.html
  • ADB-ArtikelRaupach: Ernst Benjamin Salomo R. wurde zu Straupitz, einem Kirchdorfebei Liegnitz in Schlesien, am 21. Mai 1784 geboren. Sein Vater war Prediger,ein ernster Mann von strenger, alter Sitte, allen Neuerungen, aber auchjeglicher Frohnatur vom Grunde seines Herzens aus abhold. Sein Einflu aufden Bildungsgang, das ganze Wesen des Kindes ist vom ersten Augenblickean ein so bestimmter, so tiefgehender, da der Charakter Ernst's, niemalsSchwankungen ausgesetzt, das ganze Leben hindurch in scharfen Zgendas Geprge der vterlichen Leitung aufweist. Der Vater, indem er alleindie Erziehung seines Sohnes in die Hand nahm, bezweckte vor allem einemglichst frhzeitige Ausbildung des Verstandes. Bereits in den erstenKnabenjahren mute Ernst allsonntglich die Kirche besuchen, um dannvom Vater geprft zu werden, ob er aufmerksam gewesen und das Gehrtebegriffen habe. Aber whrend diese Art und Weise, ein Kind schon in derfrhesten Jugend zum Nachdenken anzuhalten, es daran zu gewhnen, stetsseine Gedanken in Ordnung zu halten, vortrefflich ist, wenn nebenher aucheine einsichtige Pflege des Herzens und des Gemthes geht, bte sie bei R.nur eine durchaus einseitige Wirkung, da allein der Verstand, das logischeDenken ausgebildet wurden, das Gemth aber vollkommen unbercksichtigtblieb. Dieser Theil der Erziehung pflegt sonst auch wohl mtterlicher Pflegeund Sorgfalt anheimzufallen, aber die Frau Pastorin R. scheint vollstndigvon der Leitung ihrer Kinder ausgeschlossen gewesen zu sein; denn auch imspteren Leben derselben tritt sie fast gar nicht hervor. Dazu kam, da demKnaben der Umgang mit Altersgenossen, die Spiele der Kinder, ihre glcklicheSinnenwelt versagt blieb. Die Bauernkinder waren ja, nach des Vaters strengerAnschauung, nicht standesgem, also von vornherein ausgeschlossen; seinBruder Friedrich aber, um elf Jahre lter als Ernst, besuchte seit 1787 dieStadtschule in Liegnitz. So konnte auch er den unersetzlichen Verlust derKinderwelt ihm nicht vergten. Im Gegentheil! Die gelegentlichen Besuche deslteren, erfahreneren Bruders im Elternhause muten auf Ernst einen Einfluben, welcher der Verstandesrichtung in der vterlichen Erziehung nur nochneue Nahrung gab. So blieben die vier Schwestern, von denen eine lter, dreijnger als Ernst waren; aber auch sie wurden jedenfalls in derselben Weisewie ihr Bruder erzogen, und daher kam es, da dieser in seiner Gemthsweltauf sich selbst angewiesen, vereinsamte. Vom Vater dazu angehalten, jedeGefhlsuerung durch die Vernunft zu beherrschen, gerieth der Knabe immermehr in die Bahn eines nchternen, kalt berechnenden Verstandesmenschenhinein. Dennoch schlug in seinem Inneren ein warmes Herz, und da er stetsgezwungen wurde, seine Gefhle in sich zu verschlieen, begann er schon|jetzt, seine Mitmenschen zu hassen. Er selbst schildert uns diesen Zustand ineinem Briefe an den Bruder vom Jahre 1803: Ich hatte ohnstreitig ein gutesHerz, ich fhlte tief und heftig, und hatte fr jedes Unglck, auch fr dasallerentfernteste, Thrnen des Mitleids, und auch den Muth zu helfen, selbstwenn es ber meine Krfte ging. Htte ich nun einen Freund gefunden, dermit mir gleich gedacht, der diese Gefhle in mir genhrt htte, so wrde sichdas Kindische, was noch dabei war, nach und nach losgewickelt haben, unddie dafr eintretende Festigkeit des reiferen Alters htte mich gewi zu einem

  • wahren Menschen gemacht. Allein der fehlte mir; ich ward mit diesen meinenGesinnungen verlacht und zum Gesptt. Eine Probe: Der Rector Werdermannlas uns einst bei der Prparation zum Abendmahl ein wirklich schnes Gedichtber den Tod Jesu vor. Er weinte, ich noch heftiger. Als er fort war, belehrtemich das laute Gelchter aller meiner Mitschler um mich her, da mir dieThrnen noch in den Augen standen; man nannte mich einen WeichgebackenenNarren, einen Schwrmer und dergleichen. Diese und hnliche Vorflle stieenmich zurck; ich ward verschlossen und in mich gekehrt; ich fing an, michdieser Empfindungen zu schmen, und die Menschen zu verachten, die michdeswegen verlachten, da ich doch berzeugt war, da ich nicht Unrecht that.Den ersten erschtternden Seelenschmerz erfuhr der Knabe ganz unvorbereitetan seinem zehnten Geburtstage: mit dem Vater nichts ahnend im Gartenspazierend, sank dieser pltzlich vom Schlage getroffen todt zusammen. Warder Knabe bisher schon weit ber sein Alter hinaus ernsthaft gewesen, so wichseit diesem Unglckstage jeder Frohsinn von ihm. Dazu kamen jetzt noch dieSorgen um das Dasein, welche die Familie bedrngten: die Wittwe stand mitihren sechs, zum grten Theil unerzogenen Kindern vollkommen mittellosda, und so mute sich der lteste Sohn, Friedrich, 21 Jahre alt, entschlieen,sein Fortkommen im Auslande zu suchen, um die Familie vor Mangel zuschtzen. Er ging auf den Ruth ausgewanderter Franzosen nach Petersburg,wo er als Lehrer und Erzieher in adligen Husern die Mittel zur Untersttzungseiner Angehrigen zu finden hoffte. Die Mutter war inzwischen nach Liegnitzgezogen, um auch Ernst eine Gymnasialbildung zu Theil werden zu lassen.Hier hie es nun eifrigst vorwrts streben und den erhhten Anforderungengengen. Aber auch materielle Sorgen blieben schon jetzt dem Knabennicht erspart: er wohnte bei einem Schulkameraden und mute sich dieseVergnstigung durch Nachhlfeunterricht verdienen. Entschiedene Fhigkeitenund groer Flei zeichneten ihn aus, so da er bereits nach zurckgelegtemdreizehnten Lebensjahre in die erste Classe des Gymnasiums aufrckenkonnte. Aber Phantasie, Herz und Gemth blieben auch auf dem Gymnasiumunbercksichtigt; man freute sich eben ber das so frh entwickelte geistigeDenken des Knaben; mute er ja, noch nicht 14 Jahre alt, eine Rede ber denWerth der Menschenkenntni halten! Und keine Erholung gab es fr ihn imgeselligen Verkehr; er mied den Umgang mit seinen Kameraden, jedenfallsabgeschreckt durch Spttereien wie die oben erzhlte, und suchte in seinenMuestunden mit Vorliebe einsame Spazierwege auf. Da hierdurch eingewisser Menschenha erzeugt, sein eigenes Selbstgefhl aber bedeutendgesteigert wurde, ist nur zu natrlich; er bekennt dies selbst in dem obenangefhrten Brief an den Bruder: So begann ich denn allmhlich mich frbesser als Andere zu halten, und die Verachtung, die ich gegen Manche hegte,breitete sich nach und nach auf Mehrere und fast Alle meines Alters aus. Mich liebte Niemand, ich liebte Niemanden lieben mu der Mensch ich liebte mich also selbst. Dabei beschftigte er sich mit Dingen, dieunter anderen Verhltnissen seinem Alter noch fern gelegen htten: er triebPhilosophie,|und trotz seiner 14 Jahre verehrt er doch schon Kant mit derheiligsten Ehrfurcht.

  • Bei diesem eifrigen Streben des jungen Mannes kann es auch nicht Wundernehmen, da er bereits im Frhjahr 1801, also noch nicht 17 Jahre alt, dieUniversitt Halle bezog, um Theologie zu studiren. Freilich das Studiumselbst war jetzt noch Nebensache; denn hier auf dem ungewohnten Bodenakademischer Freiheit, in der neuen Umgebung, erfolgte der Rckschlaggegen das bisherige einsame und trbe Leben. Aber zum Besten von Gemthund Herz gewi nicht. Es ging ihm wie so vielen jungen Leuten, die nacheiner traurigen Knabenzeit in das freie akademische Leben hinauskommen:er sprang mit beiden Fen in das wilde Burschenleben, das damals diedeutschen Universitten charakterisirte. Und am tollsten war es gerade inHalle. Whrend im benachbarten Leipzig die Studenten sich bemhten, deneleganten Ton, das gespreizte Wesen nachzuahmen, das damals die Bewohnervon Klein-Paris auszeichnete, konnte man sich in Halle noch vollkommen indie Zeiten des Simplicissimus versetzt fhlen. Wild und ungebunden, aber auchohne jede Genialitt, so schildern verschiedene Zeitgenossen das HallenserStudentenleben. Und der tollsten einer war R., er, der bisher stets einsam,in sich verschlossen gelebt, der nie einen Freund besessen, er sah jetzt inJedem, der sich ihm nherte, einen Freund. So ward er in einen Kreis gezogen,wo durch Flei und Kenntnisse keine Ehre mehr zu erwerben war, wohl aberdurch Rohheit, durch den Muth, nichts zu scheuen. Und R. war ehrgeizig genug,um auch hierbei der Erste sein zu wollen. Doch auch im wildesten Jubel undTrubel seiner Genossen fhlte er sich innerlich vereinsamt, die Nichtigkeitseines Treibens stand ihm vor Augen; er schildert uns diesen Zustand in einemBriefe vom 8. November 1803: Geschmack hatte ich eigentlich nie daran,aber es zerstreute mich und lie mich nie zu mir selbst kommen, und daswnschte ich. Ich war stets allein; mein schlechteres Ich hatte stets Bekannteund Freunde im Ueberma, aber der bessere Mensch in mir war verlassen.Eine heitere Stunde habe ich whrend dieser ganzen Zeit nie gehabt, ichwar immer unter dem wthendsten Haufen, um mich zu bertuben, undalle meine Bekannten haben mich versichert, da sie sich nicht erinnerten,mich jemals wahrhaft froh gesehen zu haben. So ging es das ganze ersteJahr fort, von Studien, Besuch der Collegien war natrlich keine Rede; aberwhrend Andere in einem solchen Leben zu Grunde gehen, vermochte es R.,sich bereits nach einem Jahre loszuringen. Er war sich eben stets ber sichselbst, seinen Zustand im Klaren, wie aus dem oben mitgetheilten Briefehervorgeht, und Selbsterkenntni ist bereits der Anfang der Heilung. Allerdingstrug eine heftige Leberentzndung, eine Folge des wsten Lebens, viel dazubei, ihn zur Besinnung zu bringen; und so wandte er sich wieder mit Flei denverlassenen Studien zu. Freilich kehrte jetzt auch der Hang zur Einsamkeit,der Ha gegen Menschen mit verdoppelter Schrfe zurck. R. hatte ebennur die abstoendsten Seiten des Studentenlebens kennen gelernt, keineinziger edler Mensch hatte sich ihm freundschaftlich genhert, an dem er sichhtte auflichten knnen. Im Gegentheil! Es blieb ihm nicht erspart, in seinenBekannten, die er fr Freunde gehalten, sich bitter getuscht zu sehen: er hingmit ganzer Seele an einer Verbindung, die er selbst begrndet; aber als manhier gegen ihn intriguirte, zog er sich verbittert zurck und seine Schpfungzerfiel. Diese Undankbarkeit, die man gegen mich sich zu schulden kommenlie, gab meiner ohnehin schwachen Anhnglichkeit an Menschen meinesAlters den letzten Sto; ich lebte jetzt eingezogener als je.

  • Es gehrte eine stark entwickelte Willenskraft dazu, aus dieser verbittertenStimmung sich herauszureien und sich wieder einer gedeihlichen Thtigkeitzuzuwenden. Und hier bewhrte sich die strenge Erziehung, die R. vonseinem Vater|erhalten, und die eben darauf ausgegangen war, Gefhle durchden Verstand beherrschen zu knnen. R. hrte Dogmatik, Moral, rmischeAlterthmer, die franzsische Sprache lernte er autodidaktisch, indem er alleSchriften von Rousseau und Voltaire las und den ganzen Lafontaine aus demDeutschen in das Franzsische bersetzte. Vor allem beschftigte er sichindessen mit Geschichte, denn sie ist eigentlich meine Welt, in der ich lebe.Aber leider verhinderte ihn die Enge seiner Verhltnisse, wissenschaftlichweiter zu streben; leicht htte er auf diesem Wege durch die Schrfe seinesVerstandes und die Leichtigkeit seiner Auffassungsgabe sich einen ehrenvollenPlatz in der deutschen Wissenschaft erringen knnen. Aber die traurigeLage seiner Familie, die angegriffene Gesundheit des Bruders, des Ernhrersderselben, erforderten, da Ernst nicht nur sich selbst erhalte, sondern daer auch dem Bruder die Last erleichtere oder ganz abnehme. Was blieb ihmda brig, als ebenfalls die unglckselige Laufbahn eines Informators zubetreten, auf der schon so viele edle, aufstrebende Menschen verkmmertoder zu Grunde gegangen waren? Aber sein Bruder, die Enge der deutschenVerhltnisse wohl kennend, verlangte, da er auch in Ruland sein Fortkommensuche; und all' sein Lernen und Studiren sollte jetzt eine Vorbereitung hierzusein. Die Hauptsache war das Franzsische, weil alle Unterrichtsstundenin dieser Sprache abgehalten werden muten. So finden wir ihn bereits imNovember 1803 mit diesen Vorbereitungen zu seiner russischen Stellung inLiegnitz beschftigt.Eine Hauslehrerstelle in Gro-Wiersewitz, einem Gute in der Nhe von Liegnitz,die er im Frhjahre 1804 antrat, war fr ihn der Anfang seiner pdagogischenThtigkeit. Freilich blieb er nicht lange hier: bereits im Sommer desselbenJahres berief ihn der Bruder nach Ruland, und so verlie Ernst seine Heimath,um sich in Petersburg eine neue Existenz zu grnden. Er sollte hier anfnglichdie Stelle seines Bruders in der Familie Nowossiltzoff einnehmen, aber diesedrang darauf, da Letzterer erst die Erziehung des zweiten seiner Elevenvollende. Ernst mute sich daher einstweilen mit einer weniger vortheilhaftenStelle begngen, die ihm indes Zeit gewhrte, sich in Mathematik und in derfranzsischen Sprache zu vervollkommnen. Jetzt waren die Brder vereinigt,und Ernst hatte endlich das gefunden, was er Jahre hindurch zu seinem Unheilhatte entbehren mssen: einen vertrauten Umgang mit einem Freundesherzen,mit einem Menschen, zu dem er aufblicken, der ihm Lust am Leben, Freudean den Menschen wieder geben konnte. Freilich kam der mildernde Einfludes Bruders jetzt in mancher Beziehung zu spt; Ernst zeigte bereits jenesschroffe Wesen, das ihn sein ganzes spteres Leben hindurch auszeichnete,und wie es bei einem Menschen, der seine Gedankenwelt stets verschlossenim eigenen, vereinsamten Heizen trgt, erklrlich ist. Und auch den Bruderstrte die Rcksichtslosigkeit, mit der Ernst das einmal als gut erkannteaussprach und durchfhrte, whrend er andererseits an ihm hervorragendeFhigkeiten, leichte Fassungsgabe, reifen Verstand rhmt. Leider dauerte diesZusammenleben der Brder nur ein Jahr: Ernst gab seine Stellung in Petersburgauf und ging nach Moskau, von wo ihm vortheilhafte Anerbietungen gemachtworden waren. Indessen wurde er in seinen Hoffnungen betrogen: er bernahm

  • eine Stelle bei einem reichen, aber ungebildeten Russen, der den grtenTheil des Jahres auf einem Gute, 250 Werst hinter Moskau, zubrachte. Hierwar seines Bleibens nicht lange; denn der biedere Hinterwldler war jeglichereuropischen Bildung durchaus abhold, und so rumte R. freiwillig dieses Feldunfruchtbarer Thtigkeit.Er kehrte wieder nach Petersburg zurck und trat nun Anfang des Jahres 1807das Amt als Erzieher des jngsten Sohnes im Hause der Generalin|Nowossiltzoffan. Sein Bruder verlie noch in demselben Jahre Petersburg und ging nachLiegnitz zurck, wo er 1809 Professor der Mathematik an der Ritterakademiewurde und als solcher 1819 starb. Ernst lebte nun mit Eifer und angestrengtemFlei seinen Pflichten als Lehrer und erwarb sich durch sein gerades, jedemueren Scheine abholdes Wesen zwar nicht die Liebe, so doch die Achtungseiner Umgebung. Ich lebe hier vllig so, als ob ich Herr von diesem Gutewre; ich geniee einer unumschrnkten Freiheit; denn Alles im Hause, vonder Frau bis zum letzten Bedienten, frchtet mich, weil ich es mir von Anfangzum Gesetz gemacht, nie um ein Haar breit zu weichen in dem, was rechtund vernnftig ist, und da ich zu stolz bin, um jemals unbescheiden zu sein,so gelten meine Befehle wie die Befehle der Frau, und Niemand hat es nochgewagt, mich zu fragen, warum ich dies oder jenes thue oder nicht thue.Es geht so weit, da Madame, die sonst hufig des Abends auf Belvedereging, jetzt keinen Fu mehr dahin setzt, weil sie frchtet, mich im Arbeitenzu stren. So schreibt R. am 8. August 1811 an seinen Bruder und scheintalso mit seiner ruhigen Stellung zufrieden zu sein. Aber auch die alte Klagetritt wieder hervor: er fhlt sich nicht glcklich, es ist Niemand da, der ihnliebt, und dem er Liebe entgegenbringen kann, er steht unter Menschendennoch einsam und verlassen. Da beginnt er, sich selbst eine Welt in seinemInneren aufzubauen, eine Welt, die er liebt, die ihm Ersatz bietet fr seineEinsamkeit, in der er leben und weben kann: er beginnt seine dichterischeThtigkeit. Die russische Geschichte hatte ihn zuerst angeregt, Gestalten, dieihn anzogen, dichterisch zu verkrpern, und so vollendete er im Sommer 1811ein Trauerspiel, Die Frsten Chawansky, spter ein Lustspiel, Die Matronevon Ephesus. Freilich lagerten diese Stcke vor der Hand noch in seinemSchreibtisch, und nur der vertraute Bruder wute darum. Er empfand eben jetztnoch eine reine Freude am Schassen selbst, es war ja seine Welt, in die er sichaus seiner Verlassenheit flchten konnte. Aber je mehr er spter diese Weltnach seinen Anschauungen ausgestaltete, je mehr er sie dem Ideale, das ihmvorschwebte, zu nhern suchte, desto lebhafter empfand er das Verlangen, sieder Welt da drauen vorzufhren, mit der sie ja so sehr contrastirte.Diese Beschftigung mit den Musen regte ihn auch wieder zuwissenschaftlicher Thtigkeit an: er suchte seine Theologie hervor undversuchte sich als Prediger in der deutschen Gemeinde. Dies gelang ber allesErwarten; ja er erwarb sich binnen kurzem einen solchen Ruf als Kanzelredner,da, als der deutsche Propst gestorben war, er sich um diese Stelle bewerbenkonnte. Zwar wurde ihm sein Mitbewerber, der Hofprediger des Prinzen vonOldenburg, Volborth, vorgezogen, aber sein Ruf war in der ganzen deutschenColonie jetzt fest begrndet. Dies kam ihm von nun an sehr zu statten: erverlie nmlich 1814, nachdem die Erziehung seines Zglinges vollendet war,das Haus der Generalin und privatisirte als Lehrer fr Sprachen und Geschichte.

  • Er war als solcher in den weitesten Kreisen so bekannt und geschtzt, daer 1816 an die Petersburger Universitt als Ordinarius der philosophischenFacultt berufen und 1817 zum Professor der allgemeinen Weltgeschichteernannt wurde. Fast schien es, als ob ihm nun ein dauerndes Glck blhensollte: er, der bisher vereinsamt dagestanden, fand eine Gefhrtin fr dasLeben; er verheirathete sich Anfang des Jahres 1816 mit Ccilie v. Wildermeth,einer Erzieherin aus Biel in der Schweiz. Aber nur ein Jahr dauerte sein Glck;da traf ihn das Schicksal schwerer als je, seine Frau starb, ihn in der alten,dsteren Einsamkeit zurcklassend. Und wie schrecklich mute ihm dieseerscheinen, nachdem er ein Jahr lang das seste Glck genossen! Er wargebrochen an Leib und Seele. Auch als es den Bemhungen seines Brudersgelungen war, einen Verleger fr seine|Dichtungen zu finden DramatischeDichtungen von Ernst Raupach, Liegnitz., und Kotzebue das Bndchengnstig recensirte, vermochte dieser Erfolg nicht, ihm neue Lebensfreudigkeiteinzuflen. Er schreibt an den Bruder: Soll ich Dir mein Glaubensbekenntnivorlegen, so finde ich jetzt eine auerordentliche Gleichgiltigkeit gegenLob und Tadel dieser Art in mir. Es gab eine Zeit, wo ich nichts Hheres,Wnschenswertheres auf Erden kannte, als einen ausgebreiteten litterarischenRuf, wo dies das Ziel alles meines Strebens war. Das ist nun anders . Esgehrte wirklich eine eiserne Charakterfestigkeit dazu, diesen Schicksalsschlagzu berstehen; zum Ueberflu wurde R. noch genthigt, seine Thtigkeit alsUniversittslehrer, von der wir berhaupt sehr wenig wissen, aufzugeben.Die altrussische Partei, der die Fremdlinge ein Dorn im Auge waren, begannIntriguen gegen die Deutschen ins Werk zu setzen. R. und andere in russischenDiensten stehende Deutsche wurden in eine Untersuchung gezogen: manverdchtigte sie wegen der Beziehungen, welche sie mit dem Vaterlandeunterhielten. Und wenn auch die Untersuchung kein greifbares Resultat ergab,so war doch R. dadurch der Aufenthalt in Petersburg unleidlich geworden.Er erbat im Herbste 1822 die Erlaubni zu einer Reise nach Italien undDeutschland, in die Heimath, nach der er sich Jahre lang so sehr gesehnt hatte.Den Winter verlebte er in Italien und ging im Frhjahr 1823 nach Deutschlandzurck. Er war jetzt entschlossen, Ruland nicht wieder zu sehen, erbat underhielt seine Entlassung aus russischen Diensten, in denen er Titel und Rangeines kaiserlichen Hofrathes gefhrt hatte, unter dem 18. August 1823.R. hatte sich in Ruland so viel erworben, da er in Deutschland unabhngigleben konnte; so strebte er denn nach keinem Amte mehr, sondern dieDichtkunst allein sollte der Zweck seines Daseins werden. Weimar, wo nochdie Erinnerungen an die alte geistige Gre lebendig waren, zog ihn an; hierwollte er sich niederlassen. Aber R. und Goethe das ging nicht. Schon dieerste Begegnung beider zeigte die Unmglichkeit: R. in seinem beraus groenSelbstgefhl vermochte es nicht, sich als Jnger dem Meister unterzuordnen,er wollte neben, nicht unter ihm leben. So trat er denn Goethen nicht alsder aufstrebende Dichter als solcher htte er stets von dem Altmeistergerechte Wrdigung erfahren sondern als der Professor der Geschichtegegenber und konnte sich nicht entschlieen, seinen Docententon abzulegen.Dergleichen litt Goethe im persnlichen Umgange nur dann, wenn er Hoffnunghegte, selbst etwas Neues, Positives zu erfahren, belehrt zu werden. Aber R.konnte ihm nichts Anderes bieten, als was Goethe im Laufe seines berreichenLebens selbst erprobt und errungen hatte. Daher trennten sich Beide kalt.

  • Goethe behandelte R. naturgem nicht anders als jeden anderen Fremden,der von fernher gekommen war, eine Anschauungsaudienz bei dem HerrnGeheimrath durchzumachen; R. aber hatte Beachtung seiner Persnlichkeiterwartet, und, da er sie nicht gefunden, gab er den Plan auf, sich in Weimarniederzulassen. Er wandte sich nach Berlin. Berlin war damals vielleicht dergnstigste Boden fr ein aufstrebendes Talent, welches versucht, sich Geltungzu verschaffen: das geistige Leben war so rege wie zur Zeit, da Lessing undMendelssohn den Mittelpunkt desselben bildeten. Mnner wie Chamisso,Hegel, Friedrich v. Raumer und andere waren jetzt tonangebend, nicht nur frdie preuische Monarchie, sondern auch fr die weitesten Theile Gesammt-Deutschlands. Ganz besonders aber durfte ein junger dramatischer Dichtervon einiger Bedeutung auf anerkennende Frderung rechnen. Das kniglicheHoftheater sollte im Norden Deutschlands dieselbe Stellung einnehmen, diedas Burgtheater in Wien seit Jahrzehnten im Sden behauptete; aber da eskeine so glnzende Vergangenheit, keine altbewhrten Traditionen|aufzuweitenhatte wie das Burgtheater, so mute es versuchen, das durch die Neueren zuwerden, was dieses in der Glanzzeit deutscher Litteratur geworden war.Hier trat nun R. ein, fremd, von Niemandem empfohlen, nur mit dem festenWillen ausgestattet, sich einen bedeutenden Wirkungskreis zu schaffen, undmit der Zuversicht begabt, dieses Ziel zu erreichen; und da er es erreicht,das verdankt er zum groen Theile seiner offenen Geradheit, mit welcherer der Welt entgegentrat und wie sie im Vertrauen auf seine Krfte in ihmwurzelte. Er reichte der Theaterintendanz sein Lustspiel Lat die Tobtenruhen", ein und sagte einfach: Ich habe hier ein Stck, dessen Auffhrung ichwnsche. Einer der anwesenden Herren nahm es ihm ab und sagte (es warRaupach's eigene, sehr klare, aber beraus feine Handschrift): Das ist sehrschlecht geschrieben. R. nahm sein Manuscript wieder und sagte: Schlechtgeschrieben ist es nicht, aber klein geschrieben. Damit ging er zur Threhinaus. Dieses Vorgehen imponirte; der Hofrath Esperstedt, der schon von R.gehrt hatte, ging ihm nach, und durch seine Vermittelung wurde das Stckmit Beifall aufgefhrt, ebenso das bald nachher vollendete Trauerspiel Isidorund Olga. Von nun an blieb R. in Berlin; die knigliche Hofbhne wurde seineigentlichstes Wirkungsfeld, fr sie schuf er seine Dichtungen, hier wurden siezuerst aufgefhrt. Der Generalintendant Graf v. Redern war sein besondererGnner und blieb es auch, trotzdem Neid und Scheelsucht diese Verbindungvielfach zu verdchtigen suchten. R. war contractlich verpflichtet, jedes neueStck zuerst dem Hoftheater einzureichen, aber dieses mute auch jedes,selbst das milungenste, im Fluge hingeschleuderte Stck zur Auffhrungbringen. Auerdem erhielt R. ein erhhtes Honorar, das bei anderen Dichternallerdings nur 20 Thaler pro Act betrug. Wie er so Jahre hindurch nicht nur dieBerliner Hofbhne, sondern alle deutschen Theater zu beherrschen vermochte,soll weiter unten beleuchtet weiden. Hier sei nur noch erwhnt, da auch seineDictatur ber die Schauspieler eine unumschrnkte war; doch wird erzhlt,da er bei aller Strenge und Schroffheit niemals die Gerechtigkeit aus denAugen lie. Im Groen und Ganzen war somit sein Verhltni zur kniglichenHofbhne ein angenehmes und ehrenvolles; mit unermdlichem Fleie sorgteer fr das tgliche Brod der Bhne, wie Goethe einmal sagt. Als aber seinGnner, der Graf v. Redern, im Jahre 1842 sein Amt als Generalintendantniederlegte, achtete auch er seine Zeit gekommen, um sich von der kniglichen

  • Bhne zurckzuziehen, fr seine fast zwei Decennien umfassende Thtigkeitreich belohnt durch viele Gnadenbezeugungen des Knigs, der ihm auch einenjhrlichen Ehrensold bewilligte.Von nun an lebte er wieder fern vom ffentlichen Leben in stillerZurckgezogenheit und widmete sich mehr allgemein-wissenschaftlichenStudien. Nur dem Kreise von Mnnern, welche damals den Kernpunktdes schngeistigen Berliner Lebens bildeten und die R. bald nach seinemersten Auftreten in ihre Mitte gezogen hatten, blieb er treu. Es war dieLitteraria, deren fast niemals fehlendes Mitglied R. war und bis zu seinemTode blieb. Hier verkehrte Alles, was nur irgendwie Anspruch auf Beachtung inwissenschaftlichen oder knstlerischen Kreisen machte. Und die bedeutendstenunter den Mitgliedern dieser Gesellschaft waren auch Raupach's Freunde.So pflegte vor Allem Hegel mit ihm vertrauten Umgang; der groe Philosophwirkte besonders in der spteren Zeit sehr lebhaft auf R., und wir werden beiBesprechung der Werke Raupach's manche der sthetischen AnschauungenHegel's in den Dramen seines Freundes verkrpert finden. Auch in derLitteraria blieben Beide verbunden in der Bekmpfung Tieck's und seinerBestrebungen. War auch R. niemals in persnliche Beziehungen zu Tieckgetreten, so konnte ihm doch nicht verborgen|geblieben sein, wie vernichtenddieser sich ber einige Raupach'sche Stcke, so besonders ber Isidor undOlga ausgesprochen hatte; bei aller Anerkennung des Verdienstlichen in derBhnenthtigkeit Raupach's war Tieck doch unerschpflich in Schmhungenauf die Zumuthung, sich an der Darstellung solcher Zustnde, wie sie indiesem Stcke geschildert werden, ergtzen zu sollen. Dazu kam nun noch dieFeindschaft zwischen Hegel und Tieck; von vornherein war zwischen diesenbeiden Mnnern eine innere Annherung und Ausgleichung unmglich, undauch eine persnliche Begegnung Beider verschrfte nur die Gegenstze. Tieckkonnte sich niemals mit der Strenge und scharfen Dialektik Hegel's befreunden,und diesem lag eine den Alten verwandte Kunstanschauung nher als dasGefhlsleben der Romantiker. Alles dies wirkte zusammen, um R. in Gegensatzzu Tieck zu bringen, ein Gegensatz, der sich merkwrdiger Weise niemals nachAuen hin Luft machte, wie man es doch bei Raupach's Natur erwarten sollte.Aber von einem ffentlichen polemischen Auftreten gegen Tieck mag ihn wohldie innige Freundschaft abgehalten haben, welche ihn mit Friedrich v. Raumerverband, dem begeisterten Freunde Tieck's und Vertreter desselben in denBerliner Kreisen. Raumer war infolge seiner mannigfachen Bestrebungen zurHebung der deutschen Bhne von dem Generalintendanten Graf Redern in dasLesecomit, das ber alle dem kniglichen Theater eingereichten neuen Stckezu entscheiden hatte, berufen worden; und hier nherte er sich R. Es entspannsich zwischen Beiden ein reger Verkehr, welcher durch die Gleichheit mancherpolitischen und knstlerischen Anschauung Nahrung empfing. Besonderswurde Raumer durch diejenigen Stcke Raupach's angezogen welche aufder Grundlage seines Geschichtswerkes die Schicksale der Hohenstaufendramatisch behandelten; er betrachtete diese historischen Dramen nicht wieTieck lediglich vom streng kritischen Standpunkte aus, sondern erkannte ihnenin nationaler Beziehung weittragende Bedeutung zu, in welchem Sinne er sieauch gegen Solger und Lbell vertheidigte.

  • Neben Hegel und Raumer sind nun noch Adalbert v. Chamisso und derSchauspieler Pius Alexander Wolff als dem Freundeskreise Raupach's angehrigzu betrachten; besonders war das Verhltni zu Wolff ein recht innigesund herzliches, das nur zu frh durch den Tod Wolff's im J. 1828 gelstwurde. Aus dem ferneren Leben Raupach's ist nur noch ein Punkt besondershervorzuheben: das Verhltni des Dichters zur Bewegung des Jahres 1848. R.hat zu seinen Lebzeiten und bald nach seinem Tode wegen seiner politischenGesinnungen so viele Angriffe erfahren, da hier nothwendigerweise einegenaue Darstellung seiner Anschauungen gegeben werden mu. R. war einMann einer vergangenen Zeit, mit allen Fasern seines Wesens wurzelte er infrheren Jahrzehnten: und was sein Geist einmal fr gut erkannt, das hielter fr alle Zeiten fest, mochte auch Alles um ihn her vorwrts strmen. Sowar ihm auch von frher Jugend auf ein Abscheu vor jeder eigenmchtigenEmprung der Vlker eingeprgt worden; der lange Aufenthalt in Ruland,die Sympathien, welche er mit den dortigen Zustnden hegte, hatten seinenGlauben an das souvern bestehende Recht des Knigs, an den Absolutismus,als die allein wahre Regierungsform, nur noch mehr entwickelt. So stand erdenn allen liberalen Bestrebungen fremd, ja feindlich gegenber und konnteund wollte niemals an eine Besserung der Volkszustnde aus dem Willen desVolkes heraus glauben. Gedankenfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetze, dassind die beiden Gter, welche das Volk mit Recht von seinen Frsten verlangenkann, sagte er einst zu dem Schauspieler Genast, was darber hinausgeht,sprengt die Schranken der ewigen Ordnung. Noch schroffer tritt er in denmeisten seiner spteren historischen Dramen den Forderungen der Mengeentgegen:| Die Freiheit ist's, die Sklavenketten schmiedet,Weit mehr als Tyrannei ihr Glck ermdetheit es in Friedrich II., 3. Theil; und der groe Monolog Cromwells verfichtdenselben Gedanken von dem Mibrauche, der mit dem Schlagworte Freiheitgetrieben wird. Ja das Drama Mirabeau, welches dem Jahre 1849 entstammt,ist vollstndig dem politischen Kampfe gewidmet. Die Gegner blieben natrlichdie Antwort nicht schuldig: man nannte ihn Frstenknecht und verdchtigteihn wegen der freundschaftlichen Beziehungen, welche ihn an den BerlinerHof und besonders an den Prinzen Wilhelm fesselten. Als er nun gar in einempolitischen Flugblatte die Aufgabe der jetzigen Kammern seine gegen alleconstitutionellen Forderungen gerichteten Ansichten niederlegte, wandte sichdie ffentliche Meinung vollkommen von ihm ab. Er war aber viel zu ehrlich,viel zu berzeugungstreu, als da er um der Gunst des Volkes willen auchnur ein wenig nachgegeben htte, und auf der anderen Seite verlangte man,da vor Allem die deutschen Dichter berufen seien, sich an die Spitze derBewegung zu stellen, und so vereinsamte er immer mehr. Da brachte er einenEntschlu zur Reife, der ihn schon Jahre lang beschftigt: er verheirathete sichmit der Schauspielerin Pauline Werner. Im Zusammenleben mit dieser Frau,welche bereits 18 Jahre hindurch ihm eine treue Freundin gewesen, in einerstillen Huslichkeit, wollte er Ersatz finden fr das, was er im ffentlichen Lebenverloren. Aber nicht mehr lange sollte er das Glck dieser Ehe genieen: erstarb pltzlich am 18. Mrz 1852 nach nur zweitgigem Krankenlager.

  • Ueberblicken wir noch einmal das Leben dieses Mannes, welcher, ausarmseligen Verhltnissen hervorgehend, durch eigene Kraft und festen Willensich einen weiten Wirkungskreis und berhmten Namen schuf, um schlielichnoch bei seinen Lebzeiten der Vergessenheit anheimzufallen, so mssen wirsagen, er war ein Charakter; freilich ein Charakter voll rauher, abstoenderZge, wie sie die Folge einer jede Herzensregung unterdrckenden Erziehungwaren, aber gesthlt und hart geworden im Kampfe mit dem Schicksal.R. hatte es mit wenig Ausnahmen niemals vermocht, sich Liebe undZuneigung zu erwerben; man achtete, ja man frchtete ihn, aber warme,entgegenkommende Liebe und Freundschaft erweckte er nur selten. Dazu hattesein Aeueres eben nichts Anziehendes: Eduard Genast schildert ihn als einehagere, knochige Gestalt mit ehernem Gesicht, in dem kein freundlicher Zugzu erblicken, mit Augen, welche ungleichfarbig nach verschiedenen Richtungenhinblickten, kurz, er war ein Mann, der beim ersten Anblick durchaus keineSympathien erweckte. Trat man dann aber in nheren, freundschaftlicherenVerkehr zu ihm, lernte man seinen Geist und Scharfsinn, seine oft bezauberndeLiebenswrdigkeit kennen, so konnte man kaum einen anziehenderenGesellschafter finden. Wenn dagegen Jemand das Unglck hatte, ihm vonvornherein aus irgend einem Grunde zu mifallen, so zeigte er sich als daswahre Urbild seines Till"; dann fand er seine Freude darin, durch schroffe,geradezu impertinente Zurechtweisungen sein Gegenber in Verlegenheitzu bringen, berhaupt den Geist zu spielen, der stets verneint, wobei ihmseine auerordentlich entwickelte Dialektik vortrefflich zu statten kam. Aberalle Zge von Schroffheit, Sarkasmus, Bitterkeit und Menschenverachtungbildeten doch nur die uere, rauhe Schale, unter der ein warm fhlendes,nur Liebe begehrendes Herz schlug; und diese abstoenden, verletzendenZge, sie verschwanden neben seiner strengen Wahrheitsliebe, seiner Flle vonKenntnissen, seiner edlen und ehrlichen Gesinnung. Daher starb er auch, vonder groen Menge, die nur nach Aeuerlichkeiten urtheilt, bereits vergessen,von wenigen wahren Freunden aber tief und aufrichtig auch als Menschbetrauert. Es wird auf den ersten Blick befremden, da wir sagen: R. starb inVergessenheit; denn wie wenige Jahre trennen das Jahr seines Todes 1852von den Zeiten, da er den Hhepunkt seines Ruhmes erreicht hatte, da diedeutschen Bhnen nur Einen Dichter, R., zu kennen schienen! Und doch istes so: Man lese den Nachruf, welchen Ludwig Rellstab in der AllgemeinenZeitung seinem langjhrigen Freunde widmete: Welche' tiefern Eindruck htteRaupach's Tod gemacht, wenn der Trauerfall vor 10 oder 12 Jahren eingetretenwre! Seit so langer Zeit ungefhr kann man den scharf denkenden, kritischsichtenden Dichter als von seiner Thtigkeit fr die Bhne zurckgetretenbetrachten. Wer sich aber einmal aus der regsamen Thtigkeit desTheaterlebens herausbegibt, wer in diesem wetteifernden Jagen nach Erfolgen,in diesem Kampf der Intriguen nicht selbst fr sich sorgt, der ist schnellverabsumt, bald vergessen. Und sehen wir, wie bald alle deutschen Bhnendie Dichtungen Raupach's, welche nur wenige Jahr vorher das gesammteRepertoire beherrscht hatten, fallen lieen, wie z. B. am Berliner Hostheater1861 nur mehr an zwei, 1864 an vier Abenden Stcke unseres Dichtersaufgefhrt wurden, so finden wir Rellstab's Urtheil nur besttigt. Und heute ist

  • Raupach's Andenken vollkommen verschollen und verklungen, heute kenntman seine Dichtungen kaum mehr dem Namen nach, und wo man noch vonihm und seinem Streben spricht, da werden allein bertrieben scharfe, einseitignur die Fehler heraushebende Urtheile laut. Der Historiker aber, welcher einBild unseres Jahrhunderts entwerfen will, mu unbekmmert um Urtheil undvernderten Geschmack der Menge, auch der Persnlichkeit, welche zweiJahrzehnte hindurch die deutsche Bhne zu beherrschen vermochte, die ihrgebhrende Stellung in der Entwickelung unserer Litteratur anweisen.Man hat die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wiederholt mit demAlexandrinischen Zeitalter in Vergleichung gebracht, als eine Zeit, der jedeschpferische Kraft fehlte, die man einzig und allein mit der Verarbeitunggegebener, allerdings sehr nachhaltiger Aufgaben beschftigt hielt. Und inder That, das Neue und Groe, welches die Revolutionszeit der deutschenLitteratur gebracht, mute noch auf lange Zeit hinaus der gesammtenGeistesentwickelung Deutschlands die bestimmende Richtung geben.Aber trotzdem kann nicht behauptet werden, da die dramatische PoesieDeutschlands, als Ein geistiges Princip gefat, in der Periode, da Goethe undSchiller die Hhe ihrer knstlerischen Thtigkeit erreicht hatten, sich erschpft,da sie eine solche Verkrperung gefunden, da jede weitere Entwicklungentweder in den Grenzen bloer Nachahmung, wie die Dichtungen TheodorKrner's, htte stehen bleiben, oder aus den Grenzen der Kunst berhauptabirren mssen. Vielmehr reien sich jetzt die in jener Periode vereinigtenMomente von einander los und streben einer einseitigen Ausbildung zu, selbstvor den uersten Folgerungen nicht zurckschreckend, indem bald dergemeine, nchterne Verstand die Dichtkunst beherrscht, bald eine bermigeGenialitt alle Schranken durchbricht. Zunchst erhebt sich eine Richtung,welche, auf Diderot's Princip begrndet, das Streben nach unmittelbarerNaturwahrheit zu ihrer Hauptaufgabe macht. Vertreter dieser Richtung sind:noch im vorigen Jahrhundert Iffland, mit Anfang des unserigen Kotzebue.Freilich setzt Iffland ein Element hinzu, das den Franzosen vollkommen fremdist, nmlich das moralische Ergebni, welches aus jedem seiner Stckegezogen werden kann. Und indem er nun diese moralische Tendenz nach undnach immer mehr ausbildet, wird ihm schlielich der Lehrzweck Hauptsacheund ein wohlfeiles Ersatzmittel fr die fehlenden knstlerischen Ideen. Konntesomit Iffland's Muse in dem Lehrzweck immerhin noch ein Princip aufweisen,auf dem ihr Dasein beruht, so fehlt dieses vollkommen bei Kotzebue. Hierfeiert allein die dramatische Form ihre Triumphe; denn sehen wir nach denbehandelten Stoffen, nach den geschilderten Charakteren, fragen wir nach denetwaigen bewegenden|Ideen seiner Stcke, so gerathen wir sogleich in eineso bunte Mannigfaltigkeit, in ein solches Chaos von atomistischen Momentenhinein, die unter sich gar nichts gemein haben, da man gezwungen wird, Allesauf ein formales Princip zurckzufhren, wonach viele seiner Fabeln nur dieserSituationen, dieser Collisionen, dieser Effecte willen erfunden sind. Dazu kommtnun noch, da in Kotzebue's Stcken der gesellschaftliche Indifferentismus,gemengt mit einer gewissen witzigen Frivolitt, zur Herrschaft gelangt, soda wir, im Hinblicke auf Iffland's gutmthige Pedanterie, in Kotzebue dieganze Richtung ihren letzten Entwickelungspunkt erreichen sehen. Es konntenicht fehlen, da diese eben besprochenen Tendenzen bald eine heftigeOpposition hervorriefen: dem religisen und moralischen Indifferentismus trat

  • eine am Glanze des Mittelalters aufgezogene Mystik, dem gesellschaftlichendie Begeisterung der Freiheitskriege entgegen. Es ist bekannt, da es dasVerdienst der ersten Romantiker, Schlegel und Tieck, war, auch die Bhne freigemacht, die dramatische Poesie von der nchternen Prosa des gewhnlichenLebens gesubert zu haben; und zwar wirkte Tieck vornehmlich zerstrenddurch seine Comdien, Schlegel aufbauend durch die Uebersetzungenfremder Meisterwerke, der Englnder und Spanier. Beider Bestrebungenschufen nun bald eine Schule, freilich eine Schule, deren Gliedern es vlligan dem umfassenden Geist mangelte, der jene auszeichnete; vielmehr istin Jedem irgend eine extreme Bestimmtheit ausgedrckt: so in ZachariasWerner die Mystik, in Mllner und Grillparzer eine miverstandene antikeWeltansicht, in Immermann eine sklavische Nachahmung von Shakespeareund Molire, bei Platen eine ebenso sklavische Nachahmung AristophanischenSinnes und Geistes. Diese innerliche Beschrnkung verengt dann natrlichauch den darzustellenden Stoff zu entsprechender Bestimmtheit. Alleobengenannten Dichter Zeigen aber gleichmig einen willkrlichenSubjectivismus in Auffassung und poetischer Durchfhrung, wie er aus dersubjectiven Ironie entspringen mute. Indem nun die beiden Richtungen, dieIffland-Kotzebue'sche einerseits, die romantischironische andererseits sichgegenberstehen, knnte man erwarten, nunmehr einen Dichter auftretenzu sehen, der die Gegenstze vermittelt, aus ihnen ihr wesentlich Gutesaufnimmt und dieses zu einer neuen Einheit herausgestaltet. Das trat nun nichtin vollem Mae ein, vielmehr erkannte ein scharf reflectirender Geist dieseNothwendigkeit und suchte die Aufgabe allein durch den Verstand zu lsen: esist unser R.Wir haben oben als Grundzug der Erziehung Raupach's die einseitigeAusbildung einer strengen Verstandesthtigkeit erkannt; wie nun in demstarren Charakter des Mannes diese unglckselige Erziehungsart sichwiderspiegelt, so tritt sie auch in seiner gesammten dichterischen Thtigkeitunverkennbar hervor: hier ist ein Mangel jeglicher Phantasie, ein Mangel einesreichen, berquellenden Dichterherzens, der uns immer und immer wiederzur Erkenntni bringt, da alle diese Dramen ihre Entstehung lediglich demZusammenwirken eines philosophisch streng geschulten Verstandes undeiner groen Fertigkeit im Beherrschen der dramatischen Form verdanken.Die erste Nachricht, da der Hofmeister im Hause der russischen Generalinauch dichterische Bestrebungen hege, gibt er selbst in einem Briefe anseinen Bruder Friedrich vom August 1811: Vorigen Sonntag habe ich meinepoetischen Arbeiten fr dieses Sommerhalbjahr beendet. Sie bestehen inzwei dramatischen Gedichten. Das erste ist ein Trauerspiel in 5 Aufzgen,betitelt: Die Frsten Chawansky es ist das lngste Stck, was ich bis jetztgeschrieben habe, denn es enthlt 4000 Verse. Das zweite ist ein Lustspielin 5 Aufzgen und in Versen, genannt: Die Matrone von Ephesus. DiesesStck ist viel krzer als das vorige, es enthlt nur ungefhr drittehalbtausendVerse. Es ist bezeichnend fr die Art und Weise, wie R. sein|Dichten alsArbeit auffat, da er dem Bruder von seinem Streben nicht viel mehrals die Anzahl der verfertigten Verse mitzutheilen wei. Diese zwei Dramenneben den schon vorher vollendeten Timoleon und Lorenzo und Cecilia warenauch die ersten, die R. an die Oeffentlichkeit gelangen lie: sie erschienenals dramatische Dichtungen 1818 in Liegnitz. Nur wenig Gutes kann von

  • diesen Erstlingsarbeiten berichtet werden: es sind eben noch vollkommenunselbstndige Versuche, unselbstndig in Form und Sprache; und wenn auchvielleicht ein reicheres inneres Leben in ihnen quillt als in vielen der spterenStcke Raupach's, so kranken sie doch durchgngig an einer zu allgemeinenIdealistik in der Haltung der Charaktere, wir sehen Schattenbilder vor uns,keine Menschen von Fleisch und Blut, und ebenso gehen auch die Verhltnisseder Handlung zum groen Theile ber die Sphre der Wirklichkeit hinaus.Freilich dieselben Vorwrfe mu man fast allen nichthistorischen DramenRaupach's machen, wie sie in grerer Anzahl am Beginne seines dichterischenSchaffens und auch vereinzelt whrend seiner reifsten Zeit entstanden. Nurdie Form lernt R. gar bald in hohem Grade beherrschen: vor Allem zeichnensich die Expositionen aller seiner Stcke durch knappe Gedrngtheit undUebersichtlichkeit aus, niemals wird die Handlung mit Episoden berladen,der Dialog ist gewandt und sicher. Dagegen wird man nur in wenigen Dramenwirkliche Menschen finden, seine Charaktere haben alle etwas Schemenhaftesund dabei Allzugleichfrmiges, nur zu deutlich sieht man die Dialektik, undSophisterei ihres Herrn und Meisters in ihr Fleisch und Blut bergegangen.Diese nichthistorischen Dramen sind es auch, die zuerst auf der Bhneerschienen: im December 1821 wurde in Berlin Die Erdennacht, dramatischesGedicht in 5 Aufzgen, erstmalig aufgefhrt. Das Stck rief vielfachgetheilte Ansichten hervor, doch allgemein erkannte man, da es durchGedankenreichthum die anderen Bhnenerzeugnisse der Zeit weit berrage.Dies ist auch wahr, aber leider erstickt der Gedankenreichthum jeglichesdramatische Leben; man merkt, das Drama entstammt keiner Dichterseele,es ist das Erzeugni eines scharfen Verstandes, der dramatisch den Satzerrtern und lsen wollte, den Cicero, de officiis aufstellt: Wenn der Vaternach tyrannischer Herrschaft strebt, so soll der Sohn das Vaterland dem Vatervorziehen und den Vater anklagen." Diese zu Grunde liegende Idee wird nunder ganzen Wucht ihrer Tragik dadurch entkleidet, da man nicht verkennenkann, der Vater, Faledro, ist im vollen Rechte, wenn er die eingenisteteHerrschaft des Adels strzen und sich selbst zum unumschrnkten Herrndes Staates machen will; Rinaldo, der Sohn, aber verwechselt den Begriffdes Vaterlandes mit dem der Regierungsform. Hierdurch wird es dem Autorunmglich, die That seines Helden, der dem Vater und sich selbst den Tod gibt,anders als durch Scheingrnde zu motiviren, welche in endlosen moralisch-politischen Gesprchen entwickelt werden. Auch die beiden folgendenStcke, Die Gefesselten und Die Kniginnen in den Jahren 1820 und1821 entstanden, sind in derselben Weise componirt wie Die Erdennacht":eine frei erfundene Fabel, welche die Lsung einer ethischen Grundfragegeben soll. R. ringt auch hier noch mit seiner Aufgabe: wiederum erfolgtdie Lsung nicht aus den Charakteren selbst, sondern aus philosophischenErrterungen, wobei die Handelnden etwa dieselbe Stellung einnehmen wiedie Sprechenden in einem Ciceronianischen Dialoge. Auf einer in dramatischerBeziehung entschieden hheren Stufe steht das Drama in 5 Acten Isidorund Olga oder die Leibeigenen, welches im Mrz 1825 zum ersten Male inBerlin aufgefhrt wurde. Der Stoff ist aus dem russischen Leben gegriffen:all' der Jammer, das Elend, welches die Leibeigenschaft in Ruland mit sichbrachte, wird vorgefhrt, die Charaktere sind lebensvoll und wahr gezeichnet,da der Dichter sie uns zeigt,|wie er sie in Ruland gesehen hat, nicht so

  • falsch idealisirt wie in den frheren Stcken; dagegen darf nicht verkanntwerden, da R. hier, wenn auch mit groer Sicherheit, nach dem Aeuerstenstrebt, das fr den Effect in der Tragdie gestattet sein drfte: Motive undBenehmen sind unedel, die Situation bertrieben roh, und auf die ,das heit auf Schnheit, Vergngen und Anmuth, wie sie Aristoteles (Poetik.XIV, 5. 11) neben der Reinigung der Leidenschaften verlangt, ist gar keineRcksicht genommen. Dennoch fand das Stck viel Beifall und war Jahrelangauf allen Bhnen sehr beliebt. Mit den Leibeigenen" und dem in derselben Zeitentstandenen Schauspiele Alanghu" schliet die erste Periode in Raupach'sEntwicklungsgange; der Dichter wendet sich jetzt fr eine Zeit von demernsten Drama, das ihm bisher zur Lsung ethischer und gesellschaftlicherFragen gedient hatte, ab und erblickt die Hauptstrke seines Talentes imLustspiele; erst spter entstehen neben seinen reifsten historischen Dramenund seinen feinsten Lustspielen auch wieder einige Stcke nach Art der bisherbesprochenen. Von ihnen nennen wir Der Nibelungen Hort", Tragdie in 5Acten, zuerst aufgefhrt im J. 1828, und Die Schule des Lebens. Schauspielin 5 Aufzgen, aus dem Jahre 1835. Der Nibelungen Hort fhren wir mehrder Wahl des Stoffes als der Behandlung wegen an: Das Stck ist vielleichtdie schwchste unter den vielen dramatischen Bearbeitungen der Sage, inseine fnf Acte ist die ganze Erzhlung von Siegfried's Kampfe mit Fafnerbis zu dem Blutbade in Etzel's Palaste zusammengedrngt; aber leider istdas Ganze mehr eine Art Inhaltsangabe aus dem Heldengedichte als einDrama. R. hat einfach Zeichnung der Charaktere, Motive, Situationen demEpos entnommen, ohne sie dramatisch neu zu beleben, er steht zu seinerQuelle etwa in demselben Verhltnisse wie in den Hohenstaufen zu Raumer'sGeschichtswerke. Dadurch wird die Handlung eine Reihe von Ereignissen, diein einem gewissen Zusammenhange ohne innere Nothwendigkeit auf einanderfolgen. Bei weitem mehr Anerkennung und Beachtung verdient Die Schule desLebens, zuerst aufgefhrt zu Berlin im Mai 1835. Das Stck ist eigentlich keinSchauspiel, wie es R. benennt, steht auch nach Form, Inhalt und Ausfhrungdurchaus auerhalb der brigen Schauspiele des Dichters; vielmehr knnteman es ein Lustspiel im Sinne der letzten comedies Shakespeare's nennen.Der Stoff scheint einer lteren spanischen Novelle entnommen zu sein: Isaura,einzige Tochter und Erbin des Knigs von Castilien, ein trotziges, launischesund herrschschtiges Mdchen, wird, nachdem sie aus Eigensinn selbst dietrefflichsten Freier ausgeschlagen, eines Liebeshandels mit einem Edelknabenbeschuldigt. Vom Vater verurtheilt, flieht sie und mu nun vom Schenkmdchenbis zur Bettlerin eine gewaltige und grausame Schule durchmachen, aus dersie aber gelutert als ein Engel des Lichtes hervorgeht. Der Einheit derHandlung entsprechend ist der Charakter Isaura's einheitlich gestaltet, vollwahren Lebens und nur wenig idealisirt, entwickelt er sich aus sich selbst. Auchdie anderen wenig hervortretenden Personen zeigen dieselben Vorzge, die wirbisher in Raupach's Stcken nicht beobachten konnten. Die Sprache endlichist bei R. etwas seltenes, edel, ohne hochtrabende Phrasen, anmuthig und seinausgearbeitet; kurz, das Ganze kann als eine der gelungensten SchpfungenRaupach's bezeichnet werden, fand aber vielleicht gerade wegen seiner vielenVorzge bei Kritik und Publicum weniger Beachtung als die rohen, kunstlosenPossen. Nur am Schlusse wird der einheitlich-dramatische Eindruck, den dieSchule des Lebens macht, etwas gestrt: wir erfahren nmlich, da alle diePrfungen, welche Isaura durchzumachen gehabt, von ihrem eigenen Vater

  • veranstaltet gewesen, zu dem Zwecke, sie zu lutern. Diese Art und Weise,Personen, Charaktere und dadurch die Handlung gleichsam als Drahtpuppenvon einem Menschen, der inmitten des|Stckes steht und Alles berschaut,Alles voraussieht, leiten zu lassen, ist eine Lieblingsidee Raupach's, die er inseinen Lustspielen besonders herausbildet; ja diese Idee wird zum Princip,auf dem er seine Lustspiele aufbaut. Er construirt sich da einen lebendenMittelpunkt, einen Mann ohne Leidenschaften, der mit satirischen Augendie ganze ihn umgebende Welt betrachtend und bespttelnd, die Fden derHandlung in seinen Hnden hlt. Am Anfange eines jeden Stckes erfahrenwir, welche Schwierigkeiten sich den Hauptpersonen entgegenstellen, da trittdieser deus ex machina hervor, zeigt uns, wie das Schicksal es machen mte,um die wider einander streitenden Gegenstze und Interessen zu vereinigen,und erklrt sich schlielich bereit, die Rolle des Schicksals zu bernehmen. Erlt nun vor unseren Augen die Leute nach seinem Plane mit einander undgegen einander spielen und lst dadurch die Schwierigkeiten. Er ist demnachdas verkrperte Schicksal oder vielmehr ein Mensch, der mit dem Schicksale zuspielen vermag, er ist das Glied, welches die Schicksalstragdie Mllner's undGrillparzer's mit den indifferenten Schauspielen eines Kotzebue verbinden soll.Dort schleicht ein geheimnivolles Schicksal hinter der Bhne, schwebt berden Handelnden und tritt in dem Ergebnisse des Stckes wieder hervor; hiersteht uns das Fatum verkrpert gegenber als ein Mensch, der mit den anderenMenschen sein Spiel treibt, sie dreht und wendet wie er will, um schlielichdie streitenden Gegenstze zu vereinen. Dieses Spielen mit dem Schicksal,mit dem auerweltlichen, soll, wie Hegel in seinem Aufsatze ber Raupach'sBekehrte ausfhrt (Hegel's Werke, XVII, 414 ff.), das wahre Wesen, Naturund Aufgabe des Lustspiels sein. Beispiele hierzu sind fast alle Lustspiele undPossen Raupach's.Am 13. Juni 1825 erschien auf der Berliner Hofbhne als erstes LustspielRaupach's Lat die Todten ruhen! Bereits dieses Stck beruht auf denoben gezeigten Principien, und ebenso tritt auch hier schon die Person auf,welche bestimmt ist, das Schicksal zu verkrpern, Till, der, wie seine Aufgabeimmer dieselbe ist, auch in seinem Charakter stets unverndert erscheint,mag er nun als Bedienter oder als Steuerbeamter, als Chirurgus oder alsKaufmann auftreten. Er ist demnach ein Typus, und in ihm finden sich Zge vonEulenspiegel, Harlekin und Raupach selbst. Was die brigen vorkommendenPersonen anbetrifft, so liegt es in der Natur der Auffassung, welche R. vomLustspiele hegt, da ihre Charakterisirung stets eine oberflchliche bleibt, essind eben Puppen in der Hand Till's. Die Sprache, in der alle diese Lustspielegeschrieben sind, mu im Allgemeinen als roh, die Witze, welche den Dialogbeleben sollen, als plump und gewhnlich bezeichnet werden. Und dennochfanden diese Producte der Raupach'schen Muse allgemeinen und ungetheiltenBeifall, so da immer neue Possen und Lustspiele entstanden; wir nennen alsdie beliebtesten: Kritik und Antikritik", Lustspiel in 4 Aufzgen, 1825; DieBekehrten", Lustspiel, 1826; Die Schleichhndler", 1828; Die feindlichenBrder", Posse, 1829; Der Zeitgeist, Posse, 1830; Denk' an Csar, Posse,1833.Die dritte und letzte Stufe in Raupach's Entwicklungsgang wird gekennzeichnetdurch seine historischen Dramen (histories), nmlich die Reihenfolge

  • von Stcken, welche die Hohenstaufengeschichte behandeln, und dieCromwelltrilogie. Fr unsere Betrachtung besonders wichtig sind die 15Hohenstaufendramen. Sie wurden in den Jahren 18251832 geschaffen undverdanken ihre Entstehung einer eigenthmlichen Ansicht von Wesen undZweck des vaterlndischen historischen Dramas. Es ist kein rein knstlerischerAntrieb, dem die Hohenstaufen entspringen, sondern R. will mit diesenDramen ein nationales Bildungsmittel schaffen: die Bhne soll eine Lehrstttefr das Volk werden, das Lehrmittel die deutsche Geschichte sein. Von diesemGesichtspunkte aus will R. seine geschichtlichen Dramen beurtheilt wissen,wie er selbst in seiner Vorrede zu den Hohenstaufen ausfhrt: Das Theaterhat, selbst wenn man es als eine bloe Gauklerbude handhabt, immereinen bedeutenden Einflu auf den Geist des Volkes; es scheint mir daherwnschenswerth, ja der Vernunft wie der Klugheit angemessen, da manes sogleich als eine Schule der Volksbildung betrachte und behandle. Diesaber wrde unstreitig am sichersten erreicht, wenn man die Sagen und dieGeschichte des Volkes zum Inhalt der dramatischen Erzeugnisse machte, dennimmerdar bleibt unsere eigene Vergangenheit unsere beste Lehrerin, und dieVergangenheit eines Volkes ist seine Geschichte. Ja, ein echtes deutschesNationaltheater sei erst dann mglich, wenn die deutsche Geschichte vonHeinrich I. bis zum westflischen Frieden in 7080 Dramen auf der Bhnedargestellt wrde. Was nun die Ausfhrung dieses Planes betrifft, so geht R.von dem Grundsatz aus, da der Dichter die Geschichte, soll sie wirklich ihrenLehrzweck auf der Bhne erfllen, in nichts verndern oder umgestalten, amallerwenigsten mit eigenen Erfindungen ausstatten drfe. Die geschichtlichenBhnendarstellungen sollen also ungefhr ebenso gestaltet sein, wie diebiblischen im Mittelalter. Hiermit stellt sich R. in bewuten Gegensatz zur Lehredes Aristoteles, welcher mit Bezug auf das Drama sagt, der Dichter mssesich des Gegebenen angemessen bedienen, aber auch erfinden (,Poetik, XIV, 11). Und im neunten Capitel der Poetik, welches das Verhltnider Dichtkunst zur Geschichte behandelt, heit es: nicht die Darstellungdessen, was geschah, ist die Aufgabe des Dichters, sondern dessen, wie eshtte geschehen knnen; d. h. der Dichter soll sich nicht blo auf das wirklichGeschehene beschrnken, sondern er soll erdichten, erschaffen. Hiergegenwendet sich R. mit dem einseitigen Lehrzweck, den er seinen Dramen gibt,indem er behauptet, die Geschichte berwiege durch die Kraft der Wahrheitihres Inhaltes alle dichterischen Erfindungen, sie sei eben deshalb lehrreichund philosophisch. Daher lt er in den meisten der Hohenstaufendramendas sthetische Moment vollkommen bei Seite und gibt uns eigentlich nichtsmehr als eine Dialogisirung seiner Quelle. Dazu kommt nun noch, da dieseQuelle nicht etwa eine Chronik aus der geschilderten Zeit selbst ist wiebei Shakespeare, sondern eine moderne Darstellung, die Geschichte derHohenstaufen von Friedrich v. Raumer. Die Hohenstaufen beginnen mitFriedrich Barbarossa; der Dichter fhrt uns in 4 Dramen die Hauptabschnitteaus dem Leben und Wirken des groen Kaisers vor: Friedrich und Mailand,Friedrich und Alexander, Friedrich und Heinrich der Lwe, Friedrich's Abschied.Die Figur des Kaisers steht zwar stets in der Mitte der Handlung, aber trotzdemknnen wir nicht zu einem concentrirten und klaren Bilde von seinem Charakterkommen. Mit voller Umstndlichkeit sehen wir die Verhandlungen mit demLombardenbunde, mit dem Papste, mit Heinrich dem Lwen sich abspielen,der Kampf mit Mailand, mit dem Sachsenherzoge zieht vor uns vorber,

  • aus allen Bedrngnissen geht der Kaiser siegreich hervor, aber vergeblichsuchen wir rein menschliche Zge als Gegengewicht gegen die einseitigeHervorhebung des Staatsmannes und Kriegers. Am schwchsten, weil amwenigsten Handlung enthaltend, ist der zweite und vierte, besser der dritteTheil, welcher das Hinausgreifen eines gewaltigen Menschen ber seineBahn, endlich sein Unterliegen unter das Schicksal zeigt. Die folgenden zweiStcke, welche der Geschichte Kaiser Heinrich's VI. gewidmet sind, knnenauch in knstlerischer Beziehung viel mehr Beachtung beanspruchen als dievorhergehenden. Sie sind vor Allem einheitlicher gestaltet, ein Held, Heinrichselbst, der trotz aller seiner Schwchen unser Interesse fr seine Plne, unserMitgefhl mit seinem Schicksale rege erhlt, trgt die Handlung. Besondersder zweite Theil, Heinrich's Tod, ist eine vortreffliche, abgerundete und in ihrenTheilen wie in ihrem Schlusse ergreifende Tragdie, in|der Schuld und Shneim rechten Verhltnisse zu einander stehen. Freilich erlaubt sich R. hier docheine Abweichung von dem historisch Feststehenden, indem er Heinrich anGift, das ihm mit Wissen Constanze's gereicht wird, sterben lt. Auch dasfolgende Stck, Knig Philipp, wirkt durch seine reich bewegte Handlung, mehrnoch durch das traurige Geschick des edlen Knigs anziehend. Dann kommenaber 5 Dramen, welche die Geschichte Friedrich's II. behandeln, die kaum alsdramatische Gebilde bezeichnet werden knnen. In breiter Einfrmigkeit flietAct auf Act dahin, und der Mangel an Handlung wird weder durch treffendeCharakterzeichnungen noch durch inhaltsreiche Dialoge ersetzt. Was sollte nunbei dieser Art der Ausfhrung auf die Zuschauer belehrend wirken? War ja dieMacht des Stoffes infolge der Ueberladung mit zwar historischen, aber fr diedramatische Entwicklung hemmenden Einzelheiten erstickt und gebrochen.In der That vermochten die Hohenstaufen niemals festen Boden in weiterenKreisen zu fassen; man bewunderte den Flei und den Muth des Autors, der sogewaltige Stoffmassen beherrschte, indessen der Lehrzweck war verfehlt.R. hat auf der mit den Hohenstaufen beschrittenen Bahn keine Schler undNachfolger gefunden, wie er selbst geglaubt hatte. Ein reicher, poetischer Geisthtte vielleicht den Trugschlu, auf dem sich diese neue historische Tragdieaufbaute, berwinden knnen; aber Poesie, das ist es gerade, was R. fehlt:er ist kein Dichter. Keines seiner Werke ist den Eingebungen der Phantasieentsprungen, bei keinem fhlt man Herz und Gemth des Dichters. Sie alle,Lustspiele, Dramen. Tragdien sind viel mehr Combinationen eines scharfdenkenden Verstandes als Dichtungen. R. ist ein geschickter Arbeiter, dessenGebilde zwar gut geformt sind, die aber doch nur Formen bleiben, da ihnen ihrMeister den gttlichen, belebenden Odem der Poesie nicht einhauchen konnte.LiteraturPauline Raupach, E. B. S. Raupach 1854. Nekrolog, 1852, Nr. 63. EduardGenast, Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers. III, 2151. Karl von Holtei, Charpie, I, 124. Morgenblatt, 11. April 1852. Allgemeine Zeitung, 26. Mrz und 28. Mrz1852.

  • AutorM. Bendiner.Empfohlene ZitierweiseBendiner, M., Raupach, Ernst Benjamin Salomo, in: Allgemeine DeutscheBiographie (1888), S. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/.html

    http://www.deutsche-biographie.de/.htmlhttp://www.deutsche-biographie.de/.html
  • 4. August 2018 Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften