Reader "Theaterwissenschaft & Postnazismus" (bagru thewi)

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    THEATERWISSENSCHAFTUND POSTNAZISMUS

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    THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER

    Impressum:Herausgeberin: H Uni Wien, Altes AKH, Unicampus Hof 1, Spitalgasse 2-4, 1090 Wien |bagru thewi/ StV Theater-, Film- und Medienwissenschaft- Unicampus Hof 2 |[email protected] | www.thewi.atRedaktion: Stefanie Elias, Sarah Kanawin, Tom Ogrisegg, Sara Vorwalder, Florian WagnerAutorInnen: Martina Cuba, Stefanie Elias, Klaus Illmayer, Sarah Kanawin, Eva Krivanec, TomOgrisegg, Birgit Peter, Peter Roessler, Thomas Rothschild, Gerhard Scheit, Sara Vorwalder, FlorianWagnerFotos: Sara Vorwalder, Florian Wagner, Dominik Wurnig. Alle Fotos sind in und um das Institut

    fr Theater-, Film- und Medienwissenschaft im Jnner 2009 entstanden.Layout: Dominik WurnigLektorat: Laura SllnerDruck: FacultasErscheinungsdatum: April 2009

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    Vorwort 4basisgruppe theater-, film- und medienwissenschaftEinleitung 6

    Basisgruppe PolitikwissenschaftKindermanns Hof 8

    Eva KrivanecMargret-Dietrich-Gasse 10

    Florian WagnerFlyer zur Ausstellung, Podiumsdiskussion und Fachhistorischen Tagung 12Tagungsprogramm 14Aufarbeitung nach der Mode? 16

    Flyer zur Podiumsdiskussion der bagru thewi 17Wissenschaft nach der Mode? 18

    Birgit PeterIm Gehege der Phrase 22

    Peter RoesslerPostnazistische Anstalt 26Gerhard ScheitDer heutige Umgang mit der eigenen Geschichteam Institut fr TFM 32

    Martina Cuba & Birgit PeterKuriosittenkabinett 33Thomas RothschildMaske und Kothurn 40Steffi Elias & Sarah KanawinInsitutsgeschichte 41

    Klaus Illmayer

    Nachwort 46Sara Vorwalder & Florian Wagner

    INHALTSVERZEICHNIS

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    Theodor W. Adorno merkte bereits 1959 imRahmen seines Vortrages Was bedeutet:Aufarbeitung der Vergangenheit an, dass derNationalsozialismus nachlebt. Er stellt dieFrage, ob der Nationalsozialismus in seinerWirkung so monstrs war, dass er an seinemvermeintlichen Tode im Jahr 1945 gar nichtstarb und in den Individuen ebenso wie in dengesellschaftlichen Verhltnissen, die sie um-klammern, fortwest. Adorno sieht im Nachlebendes Nationalsozialismus in der Demokratie einegrere Bedrohung, als im Nachleben faschisti-scher Tendenzen gegen die Demokratie.1 Er the-

    matisiert damit die Integration ehemaliger Nazisin das demokratische System, sei es in Politik,Justiz oder Wissenschaft. Das Faktum, dass esim Jahr 1945 keineswegs einen Bruch gab undviele Nazis in die postnazistische Demokratie in-tegriert wurden, hinterlie Spuren, die weit berdie unmittelbaren Nachkriegsjahre hinaus indieser Gesellschaft wirksam sind. Dieses durchden Nationalsozialismus und sein demokrati-sches Fortwirken geschaffene gesellschaftlicheVerhltnis kann mit dem Begriff Postnazismusgefasst werden.

    Bereits seit den 1960er Jahren wird der BegriffPostfaschismus verwendet. Prgenddafr waren etwa die Schriften desAdorno-Schlers Hans-Jrgen Krahl so-wie die Ausfhrungen zum Verhltnisvon Faschismus und Demokratie desPolitikwissenschaftlers Johannes Agnoli.

    Doch so wie der Faschismus Italiens oderSpaniens vom Nationalsozialismus abzugrenzenist, sollte auch zwischen Postfaschismus undPostnazismus differenziert werden. Der entschei-dende Unterschied zwischen dem Faschismus

    etwa Mussolinis und dem Nationalsozialismus,stellt die Shoah, die planmig durchgefhrteindustrielle Massenvernichtung der Juden undJdinnen in Europa dar. Genau hier setzt derBegriff Postnazismus als Begriff der Kritik an.2

    Mit diesem Reader wollen wir die Debatteum die Geschichte der Theater-, Film- und

    1 vgl. Adorno, Theodor W., Was bedeutet: Aufarbeitungder Vergangenheit, Erziehung zur Mndigkeit. Vortrgeund Gesprche, Hg. Gerd Kadelbach, Frankfurt: Suhrkamp

    1971. S. 102 vgl. Grigat, Stephan, Transformation der postnazistischenDemokratie. Postfaschismus als Begriff der Kritik,Grigat, Stephan (Hg.), Transformation des Postnazismus.Der deutsch-sterreichische Weg zum demokratischenFaschismus, ca ira: Freiburg 2003

    Medienwissenschaft in Wien weiterfhren undinsbesondere der Kritik an Vergangenheit undGegenwart des Instituts Raum geben.

    Eva Krivanec befasst sich in ihrem Beitragmit der unmittelbaren Grndungsgeschichtedes Zentralinstituts fr Theaterwissenschaftim Rahmen der nationalsozialistischenWissenschafts- und Kulturpolitik. Sie behandeltauch die Re-Etablierung von Heinz Kindermannnach 1945. Mit der Tatsache, dass die StadtWien im Jahr 2007 eine Gasse nach dem NSDAPMitglied Margret Dietrich benannt hat, setzt

    sich Florian Wagner auseinander.

    Wir dokumentieren in diesem Reader auch dieAnkndigung zur Erffnung der AusstellungWissenschaft nach der Mode? in denRumlichkeiten des Instituts. Mit der Kritik aneiner Podiumsdiskussion, die im Rahmen derAusstellungserffnung im Audimax stattfand, befasst sich der Text Aufarbeitung nach derMode, der auch als Flugblatt verteilt wurde.

    Die Basisgruppe Theater-, Film- und

    Medienwissenschaft organisierte einePodiumsdiskussion mit dem TitelTheaterwissenschaft und Postnazismus, ander Birgit Peter, Peter Roessler und GerhardScheit teilgenommen haben. Aus dieserDiskussionsveranstaltung ging auch die Idee frdiesen Reader hervor.

    Gerhard Scheit befasst sich in seinem Beitragkritisch mit einer Aufarbeitung, die sich wei-gert ihre eigene Versptung zu reflektieren.Peter Roessler setzt sich u.a. mit der BroschreTheaterwissenschaft und Faschismus aus-

    einander, die er gemeinsam mit Monika Maier

    VORWORT

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    und Gerhard Scheit in den 1980er Jahren ver-ffentlichte. Birgit Peter fasst in ihrem Beitragden Entstehungsprozess der AusstellungWissenschaft nach der Mode? als gemeinschaft-liche Arbeit von Lehrenden und Studierendenzusammen.

    In einem weiteren Beitrag erlutert Birgit Petergemeinsam mit Martina Cuba, wie es heute umdie Aufarbeitung der Vergangenheit am Institutfr Theater-, Film- und Medienwissenschaftsteht. Die Kritik der Basisgruppe Theater-,Film- und Medienwissenschaft, insbesonderean dem Verhalten Wolfgang Greiseneggers bei

    der Audimax-Podiumsdiskussion, bezeichnenPeter und Cuba als polemisch. Dass Polemikdurchaus angebracht ist, um den postnazi-stischen Konsens zu durchbrechen, beto-nen sowohl Gerhard Scheit als auch ThomasRothschild in ihren Beitrgen. Unter demTitel Kuriosittenkabinett zeichnet ThomasRothschild einige Lebenslufe am Institut frTheater-, Film- und Medienwissenschaft nach.Insbesondere die zweite Generation erkaufte sich

    ihre Karrieren ber ein ffentliches Schweigen,was die nationalsozialistische Einstellung vonKindermann und Dietrich betrifft. An BirgitPeter und Martina Cuba kritisiert Rothschild inZusammenhang mit dem Polemik-Vorwurf ge-gen die Basisgruppe, dass sie das Verhalten ihreLehrerInnen reproduzieren.

    Der Text von Sarah Kanawin und Stefanie Elias beschftigt sich mit der InstitutszeitschriftMaske und Kothurn. Die Zeitschrift war bereitsseit der Zeit des Nationalsozialismus von HeinzKindermann geplant, wurde nach dem Krieg ge-grndet und erscheint unter dem gleichen Namen

    bis heute. Klaus Illmayern reflektiert in seinemBeitrag die Institutsgeschichte im Spannungsfeldvon Diskussion und Konfrontation.

    basisgruppe theater-, film- und medienwissen-schaft

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    Im folgenden Text soll nach Grnden undBegrndungen gesucht werden, wieso die ster-reichische Gesellschaft eine Postnazistischeist und was das berhaupt bedeutet.

    Postnazismus,,Je weiter eine Sache zurck liegt, desto leich-ter lsst sich darber diskutieren - beim ThemaNationalsozialismus scheint es in sterreichgenau umgekehrt zu sein. Der Wunscheinen ,,Schlussstrich zu ziehen scheint hier(sterreich) und jetzt (die letzten 10-20 Jahre)am grten zu sein. Noch bevor so richtig mit

    einem Prozess der den Namen ,,Aufarbeitungverdient htte, begonnen wurde, krhen auchschon die Ersten, dass jetzt aber wirklich schongenug aufgearbeitet wurde und berhaupt gbees doch wohl ein paar wichtigere Probleme zulsen. Diese Strategie der Verdrngung hatdurchaus System. Sie ist es, die dieses hsslicheFortbestehen nationalsozialistischer Ideologemein der sterreichischen Gesellschaft erst mg-lich machte. Die Basis eines Phnomens, das wirPostnazismus nennen.

    Die Geschichte ist vermutlich allbekannt:Relativ bald schon nach dem Ende des zweitenWeltkrieges wurden die meisten Naziswieder in die Gesellschaft integriert, d.h.sie bekamen hohe Posten, etwa im Justiz-oder Bildungsbereich zurck oder mus-sten sie erst gar nicht verlassen. Nachdemden ehemaligen NSDAP-Mitgliedern das

    Wahlrecht, dass ihnen ursprnglich aberkanntwar, wieder zugestanden wurde, begann auchdas Reintegrieren und Umgarnen von Nazisdurch die Groparteien. Eine hchst offizielleRehabilitation also, wie sie in diesem Ausmae

    weltweit wohl nur in diesem konsensgeilenLand namens sterreich mglich gewesenwre. Dazu kam, dass sterreich internatio-nal nicht als ,,Tter, sondern als ,,Opfer desNationalsozialismus angesehen wurde - und das,obwohl die heftigsten antisemitischen Pogrome(Ausschreitungen) im Zuge der sogenannten,,Reichskristallnacht 1938 nicht im ,,Altreich,sondern in Wien stattfanden.

    Da sterreich also auch keinen internationalenDruck versprte, zu bemerken, dass in seiner

    Geschichte irgendetwas falsch gelaufen seinknnte, das aufzuarbeiten wre und da dieAlliierten (USA, Sowjetunion, Grobritannien,Frankreich) auch keine Notwendigkeit einerReeducation (also einer Um- oder Neuerziehungim Sinne von Vernunft, Demokratie und

    Selbstndigkeit) sahen, blieben die geistig-ideo-logischen Wurzeln des Nationalsozialismus inder sterreichischen Gesellschaft haften.

    Die allgemeine Auffassung des NSDie allgemeine (nicht-wissenschaftliche)Auffassung des Nationalsozialismus ist teil-weise einigermaen haarstrubend. VielenLeuten scheint die Einzigartigkeit der natio-nalsozialistischen Verbrechen nicht klar, oderauch nicht plausibel, zu sein. Auf sie wirkt derNationalsozialismus einfach wie ein weiterestotalitres Regime, dass halt vor allem des-

    halb schlecht war, weil es gescheitert ist (was ja, so nebenbei bemerkt, berhaupt ein tollerIndikator ist um ein System/Regime zu beur-teilen) und viele Menschen umgebracht hat.Das fhrt dann gerne zum Vergleich, der denNationalsozialismus mit irgendeinem anderenMordregime in Relation setzt, z.B. mit StalinsSowjetunion (hat ja schlielich auch ein paarMillionen Menschen auf dem Gewissen). Mal ganzabgesehen davon, dass der Nationalsozialismusin krzerer Zeit mehr Menschen umbrachte,bersieht dieser Vergleich aber den entschei-

    denden Punkt: Wer starb wie und warum?Analysiert man den Nationalsozialismusnach diesen Gesichtspunkten, werden dieUnterschiede zwischen Nationalsozialismusund anderen Regimen rasch deutlich und dieGrnde warum der Nationalsozialismus bis datoeinzigartig ist, klarer:

    Wer: Der Nationalsozialismus richtete sichnicht ausschlielich gegen uere Feinde,also andere ,,Vlker, sondern zuerst mal gegendie ,,Feinde im Innern: Jdinnen und Juden,

    Schwule, ZigeunerInnen, AbweichlerInnen al-ler Art - z.B. auch die ,,Zeugen Jehovas undWiderstand aller Couleur.Wie: Die Massenvernichtung dieserMenschen geschah systematisch und ,,in-dustriell. Symbolhafter Ausdruck dieserVernichtsungsmaschinerie sind die Gaskammernin den Konzentrationslagern.Warum: Sptestens hier muss derAntisemitismus als zentrale handlungsanlei-tende nationalsozialistische Kategorie gesehenwerden. Das NS-Programm war auf die voll-

    stndige Vernichtung aller Jdinnen und Judenweltweit ausgelegt. Dieser Vernichtungswahnspeiste sich aus kruden Verschwrungstheorien(etwa der ,,Protokolle der Weisen von Zion,einer Flschung des damaligen russischenGeheimdienstes des Zaren, in welchen eine j-

    EINLEITUNG

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    dische Weltverschwrung dargestellt wird) die,egal wie immer das konkrete Handeln einesJudens [sic!] auch aussah, darin nur einen wei-teren Beweis fr eine perfide weltumspannendejdische Weltverschwrung sahen.

    Gerade der Antisemitismus ist es aber, der z.B.im Geschichtsunterricht gerne vernachlssigtwird.

    GeschichtsunterrichtDer Geschichtsunterricht an sterreichischenSchulen steht vor einem komplexen Problem:

    Einerseits muss er sich staatstragend geben,darf also seine Kritik am Nationalsozialismusnicht so weit treiben, dass die Kontinuittendes NS, die bis heute fortbestehen, auffallenwrden. Auf der anderen Seite scheint aber aucheine Verharmlosung des NS, nach der in den90ern recht breiten ,,Aufarbeitungsdebatte,nicht mehr opportun. Der Geschichtsunterrichtmuss also einen ewigen Eiertanz zwischendiesen beiden Polen auffhren, was dann auchzu einem etwas diffusen, verschleiernden Bilddes Nationalsozialismus fhrt: So wird gerne

    ein Bild des NS gezeichnet dass ihn als ein vlligtotalitres und manipulatives System darstellt,in dem die einzelnen Menschen zu willenlosenObjekten wurden, die dem ,,Fhrer aufgrunddessen Manipulationskraft, bedingungslosfolgten. Eine derartige Darstellung bersiehtaber gleich zwei entscheidende Dinge: DerNS baute seine Ideologie nicht im luftleerenRaum auf, sondern er entwickelte sich in einerGesellschaft, die bereits massive, z.B. antisemi-tische Tendenzen aufwies. Auch dass jedEr der/die irgendwie Widerstand gegen das Regime btesofort erschossen oder deportiert wurde, ist ein

    Mythos der letztlich nur eine Legitimation frdie TterInnen ist: ,,Wir konnten ja gar nicht an-ders.

    SchuldabwehrDiese Schuldabwehr ist in der sterreichischen(und auch deutschen) Gesellschaft nur allzu ver-breitet und endet nicht zufllig in der Meinung,dass nun aber wirklich genug aufgearbeitetworden sei. Vielmehr noch muss sie, um vonsich abzulenken, selbst auf TterInnensuchegehen und so ist es wohl kein Zufall, dass die

    TterInnen-Opfer Umkehr in sterreich ein be-liebter ,,Volkssport ist, in welchem die Opferdes NS wieder zu den eigentlichen TterInnenumfunktioniert werden: Etwa in der These, dassdie Juden den Holocaust instrumentalisierenwrden, um sich daraus finanzielle Vorteile zu

    holen (diese Sicht wurde insbesondere ange-sichts der Diskussion um Restitutionszahlungen- also Entschdigungszahlungen der Republiksterreich und private Firmen an dieNachkommen der NS-Opfer - gerne vertreten).Geradezu so, als ob die sterreicherInnen da-mals nicht massiv von den Enteignungen derJdinnen und Juden massiv profitiert htten.

    Diese Mischung aus Schuldabwehr, materiellenInteressen und dem Versuch den guten Rufzu wahren sind es, die eine Aufarbeitung derVergangenheit so schwer machen. Da TterInnen

    nicht benannt werden drfen (immerhin handeltes sich zumeist um ,,honorige Personen), dasImage des Landes keinen Schaden tragen darfund eine grundlegende Analyse der Verhltnissesowieso nur selten gemacht wird, haben gera-de Gedenkfeiern oft einen hchst merkwrdi-gen Touch. Gerade wenn dann versucht wirdaus den Gedenkfeierlichkeiten selber nochmalKapital zu schlagen. Etwa Deutschland, demWeltmeister der ,,Aufarbeitung, dass dann ger-ne andere Lnder belehrt und zeigt, wieviel esdoch aus der Vergangenheit gelernt hat, und

    daraus schliet jetzt anderen Lndern guteTipps zur eigenen Vergangenheitsbewltigunggeben zu knnen.Aufarbeitung, die diesen Namen verdie-nen will, bentigt also zuerst einmal eine bedingungs- und schonungslose Analyseder Verhltnisse. Sie darf sich nicht scheu-en TterInnen beim Namen zu nennenund sie darf sich nicht scheuen entsprechendeKonsequenzen zu ziehen.

    Basisgruppe Politikwissenschaft

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    THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER

    Warum das Wiener Institut fr

    Theaterwissenschaft in der Hofburg residiertund warum sich niemand darber wundert

    Das Zentralinstitut fr Theaterwissenschaftwar eine von neun Institutsneugrndungen ander Universitt Wien in den Jahren 1938 bis1945, neben einschlgigen Grndungen wiedem Institut fr Rechtsvereinheitlichung,dessen Grnder und Leiter Ernst Swobodadie Erzeugung eines einheitlich national-sozialistisch durchtrnkten deutschen Rechts1als wichtigste Aufgabe nach dem Anschluss

    ansah, oder des Rassenbiologischen Instituts,das sowohl an der medizinischen als auch an der

    philosophischen Fakultt verankert sein sollteund das bisherige Institut fr Anthropologie insich aufnehmen sollte2. Im Bereich der Geistes-und Kulturwissenschaften sind auch noch dasInstitut fr Zeitungswissenschaft sowie diegermanisch-deutsche Volkskunde zu erwh-nen.

    Fr die Grndung des Instituts fr

    Theaterwissenschaft setzte sich nebenHeinz Kindermann, einem sterreichischenGermanisten, der zu dieser Zeit Professor ander Universitt Mnster war und nach demAnschluss gerne nach sterreich zurck-kommen wollte, vor allem Reichsstatthalter

    KINDERMANNS HOFBaldur von Schirach ein, der Wien zum kul-turellen Zentrum des Reiches machen [woll-te] und plante, die Reichstheaterwoche unddie Reichstheaterfestwochen der HJ in Wienstattfinden zu lassen3. Die PhilosophischeFakultt hingegen strubte sich sowohl gegendas neue Institut als auch gegen Kindermann,gab dem Ausbau anderer Bereiche, etwa derSdosteuropaforschung den Vorzug, und warfihm vor, kein Theaterwissenschafter zu sein,was dieser zum Anlass nahm, innerhalb einesJahres ein umfangreiches theaterhistorischesWerk vorzulegen, in dem er die Art nieder-

    legte, in der wir nun rassisch und volkhaft bedingte Theatergeschichte betreiben sollen4.Nach langen Kontroversen schien schlielicheine freigewordene Planstelle an der katho-lisch-theologischen Fakultt, sowie nachhaltigeInterventionen von Kindermann selbst und derReichsstatthalterschaft, die Institutsgrndungund Berufung Kindermanns als Ordinarius zugestatten, doch der Vorschlag der Fakultt vomDezember 1942 reihte Kindermann lediglich andritter Stelle, was zwar eine symbolische Gesteder Opposition war, den Ruf Kindermanns nach

    Wien im Jnner 1943 jedoch nicht verhind-erte. Das Institut wurde denn auch nicht ander Universitt selbst eingerichtet, sondern in12 Rumen in der Hofburg, die von Baldur vonSchirach zur Verfgung gestellt wurden. Die fi-nanzielle Ausstattung des Instituts war frst-lich, sie betrug mit 225.000 RM soviel wie dieHlfte des gesamten jhrlichen Sachaufwandsder Universitt, was angesichts des Zeitpunktsder Errichtung und des wohl nicht bermi-gen Interesses Berlins an dieser Konkurrenzerstaunlich ist5.

    Heinz Kindermann hatte, bevor er Institutsleiterwurde, bereits eine beachtliche Karrierehinter sich. Er trat 1918 ins Ressort frVolksbildung im deutsch-sterreichischenUnterrichtsministerium ein und schuf dort eineWanderbhne, die Theatergemeinschaft derBundeslnder und mehrere Volksbchereien,habilitierte sich 1924 an der UniversittWien und ging zunchst als Professor frneuere Literaturgeschichte an die TechnischeHochschule Danzig, 1936 wechselte er nachMnster. Die Liste seiner Publikationen ist

    unberschaubar lang, das Bemhen und derKampf ums Deutschtum ist jedoch allenSchriften zwischen 1933 und 1945 anzu-sehen, Titel wie Von deutscher Art und Kunst(1935), Dichtung und Volkheit (1937), Rufeber Grenzen. Dichtung und Lebenskampf der

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    Deutschen im Ausland (1938), Kampf um diedeutsche Lebensform (1941), Der grodeutscheGedanke in der Dichtung (1941), FerdinandRaimund. Lebenswerk und Wirkungsraum einesdeutschen Volksdramatikers(1943), sprechenfr sich und beschreiben den Wirkungsraumeines durchwegs praxisorientiertenGeisteswissenschafters im Nationalsozialismus.Seit den Dreiiger Jahren begleiten seinePublikationen den Weg der herrschenden na-tionalsozialistischen Macht wie ein verllicherKommentar.6

    Nach 1945 gelang ihm - nach kurzer Absenz und

    ohne grere Schwierigkeiten - die glnzendeWeiterfhrung seiner Karriere. Im Zuge desVerbotsgesetzes 1945 wurde Kindermann sei-nes Dienstpostens enthoben, konnte jedoch1954, trotz ablehnender Gutachten und ei-ner kritischen Haltung in der ffentlichkeit,wieder an die Universitt zurckkehren, zu-nchst als auerordentlicher Professor, 1955 bereits wieder als Institutsvorstand, 1959 alsOrdinarius7. Seine Vertrautheit mit den mini-steriellen Gepflogenheiten und sein innigesBemhen um das sterreichische in den

    Jahren des Wiederaufbaus drften ihm eini-ge Wege geebnet haben. Das Interesse konser-vativer Kulturpolitik an einer ideologisierendenKulturnation-Rhetorik schien Kindermann jedenfalls bestens bedienen zu knnen, schonab 1949 konnte er mit Untersttzung desMinisteriums als Freier Wissenschafter rech-nen. Innerhalb weniger Jahre setzte sich dasInstitut fr Theaterwissenschaft mit ihm an derSpitze ins Zentrum des staatlich-institutionel-len Theaterlebens setzen und baute ein mch-tiges Beziehungsnetz auf, das vom Reinhardt-Seminar, dessen Direktor Hans Niederfhr

    eine ganz hnliche Karriere hinter sich hat-

    te, ber das Burgtheater zu den Salzburgerund Bregenzer Festspielen, Theaterkritikern,Ministerialrten und Politikern reichte. 1964schlielich konnte er die Kommission fr ster-reichische Theatergeschichte an der Akademieder Wissenschaften grnden und wirkte dortnoch weit ber seine Emeritierung 1966 hin-aus8. Zahlreiche Festschriften zu seinem 70., 80.und 90. Geburtstag, sowie seine - nach wie vorals Standardwerke gehandelten - Publikationensichern ihm auch heute posthume Ehre undWirkung. Und Generationen von StudentInnenbewegen sich in jenen Rumen, die einst derReichsstatthalterschaft gehrten, ohne dass es

    dazu irgendwo einen Hinweis gbe.

    Eva Krivanec

    Dieser Artikel erschien im Jahr 2002 in derZeitschrift Context XXI

    1 vgl. Edith Saurer: Institutsneugrndungen 1938-1945.- in: Gernot Hei, Siegfried Mattl, u.a. (Hg.): WillfhrigeWissenschaft. Die Universitt Wien 1938-1945. - Wien:Verlag fr Gesellschaftskritik 1989. S.313f.2 vgl. ebenda, S.317-319.3 ebenda, S.315.4 Brief Kindermanns an den Dekan Christian,3.10.1941 zit. in ebenda, S.316.5 vgl. ebenda, S.316f.6 Sebastian Meissl: Wiener Ostmark-Germanistik. -in: G.Hei, S. Mattl (Hg.): Willfhrige Wissenschaft.[s.o.] S.145.7 vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner: Theater im Wiederauf-

    bau. Zur Kulturpolitik im sterreichischen Parteien- undVerbndestaat. - Wien: Sonderzahl 2001. S.290f.8 vgl. ebenda, S.292-296.

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    Am 6. Mrz 2007 hat der Wiener Gemeinde-ratsausschuss fr Kultur und Wissenschaft be-schlossen, in Floridsdorf eine Gasse nachMargret Dietrich zu benennen. Als Be-grndung werden die Ttigkeiten Marg-ret Dietrichs als Universittsprofessorin,Leiterin des Instituts fr Theaterwissen-schaft sowie als Direktorin des Instituts

    fr Publikumsforschung der sterreichischenAkademie der Wissenschaft angegeben. IhreNSDAP-Mitgliedschaft wird mit keinem Worterwhnt.

    Noch immer sind viele Straen in Wien nachNationalsozialistInnen und AntisemitInnen be-nannt und die Stadt Wien hat sich in den letztenJahren - bis auf wenige Ausnahmen geweigert,diese Straen umzubenennen oder wenigstensauf Hinweisschildern kritisch zu kommentieren.Eine neue Strae im Jahr 2007 einem NSDAP-Mitglied zu widmen, ist jedoch an Dreistigkeitkaum zu berbieten.

    Die 1920 in Lippstadt (Westfalen) geboreneMargret Dietrich trat bereits 1933 in den Bund

    deutscher Mdchen ein. 1938 wurde sie Mitgliedder NSDAP. Gemeinsam mit Heinz Kindermannbaute sie ab 1942 im Zuge der nationalsozialis-tischen Wissenschaftspolitik das Zentralinstitutfr Theaterwissenschaft in Wien auf, dassschlielich 1943 offiziell gegrndet wurde.

    Nach 1945 leugnete Margret Dietrich ihre NS-DAP-Mitgliedschaft und gab sogar eine eides-stattliche Erklrung ab, derzufolge sie nie NS-DAP-Mitglied gewesen sei. Wie im Nachkriegss-terreich blich, machte sich niemand die Mhegenauer nachzuforschen. Und selbst wenn ihreNSDAP-Mitgliedschaft damals nachgewiesenworden wre, htte das wohl kaum grere Aus-wirkungen auf ihre weitere Karriere gehabt.

    Denn sogar der allgemein als berzeugterNationalsozialist und Antisemit bekannte HeinzKindermann bekam bereits im Jahr 1954 seinen

    Lehrstuhl zurck und leitete das Institut frTheaterwissenschaft bis zu seiner Emeritierungim Jahr 1966. Danach bernahm Margret Diet-rich bis 1983 die Leitung des Instituts.

    Dietrich schaffte es, ihre NSDAP-Mitglied-schaft bis zu ihrem Tod im Jahr 2004 zuverheimlichen.

    In einem Nachruf, der noch heute auf derHomepage der Akademie der Wissenschaftenabrufbar ist, wird Margret Dietrich in hchsten

    Tnen gelobt. Hervorgehoben wird ihre Warm-herzigkeit, die Frderung interdisziplinrer For-schungsanstze sowie ihr Einfluss auf die Kom-mission fr Theatergeschichte an der Akademieder Wissenschaften, deren Programm sie un-ter Einbeziehung komparatistischer Methoden

    MARGRET-DIETRICH-GASSE

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    vor allem in Hinblick auf die Multikulturalittder Regionen ausweitete1. Ihr bereits damalsfr jede/n interessierte/n LeserIn ihrer Disser-tation2 nachvollziehbarer Antisemitismus, wirdhingegen mit keinem Wort erwhnt.

    Dass in Wien-Floridsdorf nun doch keine Gassemehr nach Margret Dietrich benannt ist, kannsich weder das Institut fr Theater-, Film- undMedienwissenschaft, noch die sterreichischeAkademie der Wissenschaften auf die Fahnenschreiben. Lediglich einzelne Lehrende hervor-zuheben ist hier insbesondere Birgit Peter

    setzten sich, gemeinsam mit der BasisgruppeTheater-, Film- und Medienwissenschaft, freine neuerliche Umbenennung ein. Nachdemmehrere Zeitungen und die Grnen in Florids-dorf, die Margret-Dietrich-Gasse ffentlich the-matisierten, konnte eine Neubenennung der ge-planten Verkehrsflche erreicht werden.

    Am 7. Oktober 2008 beschloss der Gemeinde-ratsausschuss fr Kultur und Wissenschaft, dieMargret-Dietrich-Gasse in Helene-Richter-Gasseumzubenennen. Helene Richter war Anglistin

    und Theaterwissenschaftlerin. Sie starb 1942im Konzentrationslager Theresienstadt.

    Noch heute ist das am Institut fr Theaterwis-senschaft vorherrschende Bild von MargretDietrich in hchstem Mae verklrt. Auf derHomepage des Instituts ist von ihr lediglich alsWissenschaftlerin die Rede, die das Fach inhalt-lich und methodisch entscheidend rekonzeptu-alisiert3 hat. Ihre NSDAP-Mitgliedschaft wirdauf der offiziellen Webprsenz des Instituts frTheater-, Film- und Medienwissenschaft ebensoverschwiegen, wie ihre antisemitischen und ras-

    sistischen Schriften vor und nach 1945.

    Florian Wagner

    1 sterreichische Akademie der Wissenschaften, MargretDietrich (19. Februar 1920 17. Januar 2004), http://www.oeaw.ac.at/kkt/mitarbeit/gro/nachruf.pdf,4. Februar 20092 vgl. Margret Dietrich, Wandel der Gebrde auf dem deut-schen Theater vom 15. zum 17. Jahrhundert. Vom Spt-mittelalter zum Barock, Universitt Wien 1944

    3 Institut fr Theater-, Film-, und Medienwissenschaft,Das Institut, http://tfm.univie.ac.at/institut/, 4. Februar2009

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    Flyer zur Ausstellung, Podiumsdiskussion und Fachhistorischen Tagung Seite 1

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    Flyer zur Ausstellung, Podiumsdiskussion und Fachhistorischen Tagung Seite 2

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    Tagungsprogramm Mittwoch, 7. Mai 2008

    Tagungsprogramm Donnerstag, 8. Mai 2008

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    Tagungsprogramm Freitag, 9. Mai 2008

    Tagungsprogramm Samstag, 10. Mai 2008

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    Flyer zur Diskussionsveranstaltung Theaterwissenschaft und Postnazismus

    der bagru thewi am 16. Juni 2008

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    THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER

    Die Grndung desZentralinstituts frTheaterwissenschaftan der UniversittWien 1943Ein Projektbericht.

    Im Herbst 2007 star-tete im Rahmen desF o r s c h u n g s s e m i -nars Theaterhistorio-graphie und Archivdie Arbeit an der Aus-

    stellung Wissenschaftnach der Mode?Anlass war der 65. Jah-restag der Instituts-grndung, die Ideeentstand aufgrund derFlle an aufgefunde-nen Dokumenten inZusammenhang mitder Rekonstruktiondes Archivs TFM. MitStefan Hulfeld war

    eben die Planungs-phase der fachhisto-risch orientiertenTagung Theater-wissenschaft im20. Jahrhundertabgeschlossenworden und die

    Notwendigkeit einerintensiven Auseinan-dersetzung mit dereigenen Geschichtegerade von Wien aus

    diskutiert worden. DasMedium Ausstellungerschien Martina Cubaund mir als geeignet einer breiteren ffentlich-keit diese Materialien vorzustellen. Die intensi-ve Einbindung von Studierenden war Voraus-setzung, da die kritische Auseinandersetzungmit der Institutsgeschichte seit 1945 wesentlichdurch Studierende geleistet wurde.1 Als Rahmenwurde das Forschungsseminar gewhlt und ineiner Kombination aus Team- und Kollektivar-beit die Ausstellung sowie der Katalog produ-

    ziert2

    .

    Zentrale Ausgangsfrage des Projektes war, wiekann Wissenschaftsgeschichte dar- und aus-gestellt werden? Als Orientierung diente uns zu-erst, von der Geschichte des Ortes auszugehen.

    So stellen die Grndung und die Wahl der Ru-me in der Hofburg erste Beleg der prekrenpolitischen Dimension dar. Denn es muss inErinnerung gerufen werden, dass 1943 ein un-gewhnliches Datum ist, um ein neues Instituteinzurichten. So war diese Grndung auch durchhohe politische Protektion, seitens des Reich-statthalters und Gauleiters von Wien, Baldur

    von Schirach und seitens des Reichserziehungs-ministers Bernhard Rust, durchgefhrt worden.Daran schliet die zweite Ausgangsfrage an, wieder Protagonist dieser Grndung, der bisher vorallem als NS-Literaturwissenschaftler rezipier-te Heinz Kindermann, einzuschtzen ist und

    Wissenschaft nach der Mode?

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    welchen Wissenschaftsbegriff er vertrat. Dazuanalysierten wir die bereits vorhandene Litera-tur, arbeiteten die am Institut zurckgelassenenMaterialien auf, die als Originale beispielhaftin dieser Ausstellung gezeigt werden undrecherchierten im sterreichischen Staatsarchiv,im Universittsarchiv, im Dokumentationsarchivdes sterreichischen Widerstandes, in der Wien-bibliothek, dem Theatermuseum und der Thea-tersammlung der NB. Was wir aufgefunden ha-ben, wobei die Schwerpunkte auf dem Wissen-schaftsbegriff, NS-Wissenschaftspolitik unddem Studienalltag 1943 liegen, montierten wir

    angeregt durch Aby Warburgs Mnemosyne-System. Denn der Ort soll als Erinnerungsortskizziert werden. Vor allem im Raum Ikonen?werden verschiedenen Schichtungen von Erin-nerung und daraus resultierende Vorstellun-gen von Gedchtnis thematisiert. Ausgehendvon den Sammlungen des Instituts, die wir imZuge dieses Projekts wieder aufgefunden ha- ben, werden vergessene und unvergesseneIkonen der Theaterwissenschaft nebeneinan-

    der und gegenbergestellt. Wir wollen damitBewusstsein fr Zeugnisse und Dokumentedurch die Veranschaulichung anregen, und Ben- jamins Einschtzung aus dem Jahr 1931 vonHeinz Kindermanns Wissenschaftsgestus alsWissenschaft nach der Mode reflektieren. Dieam Erffnungstag angesetzte Podiumsdiskussi-on im Audi Max sollte die Positionen verschiede-ner Generationen zur NS-Vergangenheit des In-stituts versammeln. Ausstellung und vor allemdie Podiumsdiskussion hatten eine intensiveAuseinandersetzung mit der NS-Vergangenheitdes Instituts zur Folge. Die Basisgruppe fhrte

    den Diskurs weiter, indem sie die Thematisierungvon Heinz Kindermanns Rolle um die seiner As-sistentin und spteren Nachfolgerin MargretDietrich erweiterten. Sie recherchierten, dassin Wien 2006 eine Gasse nach Margret Dietrichbenannt worden war und forderten die Umben-ennung. Obwohl 2005 bereits bei Hilde HaiderPregler ihre NSDAP Mitgliedschaft publiziertworden war3, wurde diese von der zustndigenBehrde nicht wahrgenommen. Mit 13 Jahren

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    trat sie in die HJ ein und hatte dort bis 1942verschiedene Positionen wie Jungmdelfhre-rin, Kreisschulungsreferentin und Ringfhre-rin inne, 1938, als 18jhrige wurde sie NSDAP-Mitglied. NS-Ideologie und Antisemitismus fin-den sich in einem erhalten gebliebenem ReferatDietrichs bei Kindermann aus dem Jahr 1941,das wir in den Bestnden am Institut aufgefun-den haben, ebenso in ihrer Dissertation 1944.Bei Kindermann und Nadler schrieb sie ber denWandel der Gebrde auf dem deutschen Thea-ter vom 15. zum 17. Jahrhundert. In der Einlei-tung betont Dietrich die Rassenpsychologie als

    notwendige Hilfswissenschaft. Ihr Geschichts-bild beschreibt sie als organisch-vlkische Auf-fassung von Vergangenheit, die Gebrde wirdnach den Kriterien stndische Zugehrigkeit,Zeitgeschehen und irrationale Zeitstrmungenund Ausdruck der Rasse untersucht4. Im Jn-ner 1945 fllt sie fr das Nachwuchsamt desReichsforschungsrates einen Fragebogen frDozenten-Nachwuchs aus. Sie gibt als Habili-tationsvorhaben folgenden Titel an: Das Pro-blem der Menschengestaltung in den Schriftender europischen Dramaturgie.5 Europische

    Dramaturgie. Der Wandel ihres Menschenbil-

    des von der Antike bis zur Goethezeit heitdann 1952 ihre Publikation6. Als grundlegendesWerk wird von ihr in der Einleitung Kinder-manns 1932 verffentlichtes Werk, GoethesMenschengestaltung angegeben, jener Bandmit dem Kindermann seine literaturhistorischeAnthropologie vorstellte. Hier betonte er dasstammesgeme als wesentlichste Kategorieder Literaturforschung sowie die Bedeutung vonPhysiognomik und Charakterologie7.

    Dietrich setzte ihre wissenschaftliche Karrie-re in Wien fort. Da sie deutsche Staatsbrgerin

    war, musste sie sich nicht in sterreich denEntnazifizierungsbehrden stellen Dies magdazu beigetragen haben, dass Dietrichs Behaup-tungen nach 1945 niemals der NSDAP angehrtzu haben und keinerlei ideologische Nhe zumNationalsozialismus empfunden zu haben, nichtberprft wurden. Die Gasse wird nach denletzten Meldungen auf unseren Vorschlag nachder Theaterkritikerin und TheaterhistorikerinHelene Richter8 benannt werden.

    Birgit Peter

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    1 Thomas Arzt, Paul M. Delavos, Sylvia Anna Ertl, Kathrin

    Feichtinger, Caroline Herfert, Lukas Hochrieder, Veroni-ka Holzmann, Klaus Illmayer, Julia Jennewein, BirgitteKenscha-Mautner, Ester Kocarova, Claudia Mayerhofer,Gerald Piffl, Inge Praxl, Alexandra Riegler, Gabrielle Sgur-Cabanac, Gertrude Elisabeth Stipschitz, Gerald Tschank.2 Birgit Peter und Martina Payr (Hg.): Wissenschaftnach der Mode? Die Grndung des Zentralinstituts frTheaterwissenschaft an der Universitt Wien 1943. Wien:LIT 2008.3 Hilde Haider-Pregler: Die frhen Jahre der Theater-wissenschaft an der Universitt Wien. In: MargareteGrandner, Gernot Heiss und Oliver Rathkolb (Hg.): Zukunft

    mit Altlasten. Die Universitt Wien 1945-1955. Innsbruck[u.a.] StudienVerl. 2005, S. 137-155.4 Anne-Margret Dietrich: Wandel der Gebrde auf dem deut-schen Theater vom 15. zum 17. Jahrhundert. UniversittWien: Diss. 1944, S.7.5 UAW Dietrich 1480 fol 1-4.6 Margret Dietrich: Europische Dramaturgie. Der Wandelihres Menschenbildes von der Antike bis zur Goethezeit.Wien: Sexl 1952.7 Vgl. Birgit Peter: Wissenschaft nach der Mode. Heinz Kin-dermanns Karriere 1914-1945. Positionen und Stationen.In: Birgit Peter und Martina Payr (Hg.): Wissenschaft nachder Mode. Wien: Lit 2008, S. 15-51, S. 32.

    8 Helene Richter (1861 1942) wuchs mit ihrer Schwe-

    ster Elise in einem behteten jdischen Elternhaus inWien auf. Sie besuchten keine ffentliche Schule, son-dern wurden von einer Gouvernante privat unterrich-tet. Helene Richter war zeitlebens durch verschiedeneKrankheiten gezeichnet, teilweise ans Bett gefesselt. Sie

    bildete sich durch autodidaktische Studien sowie Vorle-sungen an der Universitt Wien. Ihr Interesse lag nebeneiner Auseinandersetzung mit Mary Wollstonecraft vorallem auf den Gebieten englische Literatur, Schauspiel-kunst und Burgtheatergeschichte. Fr die ShakespeareJahrbcher schrieb sie zahlreiche Theaterkritiken, denSchauspielerInnen Charlotte Wolter, Josef Lewinsky, Adolf

    von Sonnenthal, Josef Kainz u. a. widmete sie intensivebiographisch-sthetische Studien. 1918 wurde ihr BandUnser Burgtheater verffentlicht. Das Lobenswerte auf an-deren Theatern ist im Burgtheater gerade nur mittelmigschrieb sie darin. 1931 wurde Helene Richter das Ehren-doktorat der Universitt Heidelberg verliehen. Im Oktober1942 wurden Helene und Elise Richter nach Theresienstadtdeportiert. Helene Richter starb im November an denFolgen der Deportation.

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    Einige theoretische Reminiszenzen

    Kritische Analyse und persnliche Erinnerungstehen in einem Spannungsverhltnis zueinan-der. Im besten Fall kann das dazu fhren, dieAnalyse nicht ohne Reflexion auf die eigeneSubjektivitt vorzunehmen und zugleich wie-derum die eigene Position aus den historischenBedingungen zu verstehen. Wenn VertreterInnender Basisgruppe mich hier eingeladen ha- ben, einige Zeilen zum wichtigen ThemaTheaterwissenschaft und Postnazismus bei-zusteuern, dann scheint mir die Verbindung

    von Theorie und Subjektivitt angebracht.

    Bewegt von den aufklrerischen Erosionender frhen 80er Jahre und vom Bewusstseinunbedingter Dissidenz zum Konsens derVerschleierung, war ich als Student 1981 Co-Autor der Publikation Theater-wissenschaftund Faschismus. Als Mitglied der damaligenBasisgruppe empfand ich, so wie die anderenwohl auch, die Situation am Institut als bedrck-kend, das Tabu so nannten wir den Umgangmit dem Nationalsozialismus uerte sich

    nicht nur im Verschweigen, sondern in einemReden, in dem das Verschwiegene mitsprach.Das alles habe ich damals erst langsam begriffen. Aber wo das Bedrckendeund Unertrgliche herrscht, wchst dieAngriffslust und das Gelchter, und icherinnere mich, dass es in- und auerhalbdes Geheges viel zu lachen gab, ein Lachen

    auf dem zugeschtteten Graben. Auch wurdedamals am Institut trotz der Dominanz derOrdinaria und des im Hintergrund werkendenEmeritus in den unteren Rngen nicht miteiner Stimme gelehrt, es gab unterschiedliche

    Stimmen, worber sie sprachen oder nicht spra-chen, musste herausgehrt werden.

    Eine Stimme ist wohl bei vielen, die damals stu-dierten und sich um Alternativen im Politischenwie Sprachlichen bemhten, bis heute nichtverklungen, die Stimme von Paul Stefanek, derein besonderer Lehrer war. Sein Bemhen umein dialektisches Verstehen, sein Aufwerfengesellschaftlicher Fragen und seine Distanzzu phraseologischer Geistesgeschichte und bravem Positivismus waren im Rahmen des

    Instituts als widersetzliche Haltung wahrnehm-bar. Seine Vorlesungen und Seminare waren voneiner dialektischen Immanenz geprgt, die dieWidersprche im Inneren eines Gegenstandesaufsucht, und sie strebten nach dialektischerVermittlung von Positionen, die auseinanderla-

    gen, eine Methode, die sich vom grassierendenRelativismus der Gleichgltigkeit durch ihreBestimmtheit und Kompromisslosigkeit deut-lich unterschied. Fr Paul Stefanek spieltenTexte der Kritischen Theorie eine Rolle, ohnedass er sich dabei was damals nicht selten ge-wesen wre zum ergebenen Interpreten ge-macht htte. Vielleicht ging von diesen Werkenseine intellektuelle Energie aus, die sich nichtauf das festlegen lie, was manche von uns und ich gehrte auch dazu als Standpunkt,Praxis, Weltanschauung einforderten. Indemer uns Schriften von Adorno, Horkheimer,

    Benjamin oder Szondi nahebrachte, einenHegel-Arbeitskreis schuf, Karl Kraus vorlas,aber auch ein erstes Brecht-Seminar veranstal-tete und Gedanken der Theaterwissenschaft ausder DDR einbezog, trieb er uns eigentlich wegvom Institut ins Offene, brachte uns dazu, ande-re Fcher zu studieren und die Phrasen oderBuchhaltereien derjenigen zu belachen, denendie Theaterforschung zur Karrieretechnik ge-worden war. Und er hielt uns doch am Institut,denn wir wollten mit ihm in Kontakt bleiben.Stefanek war der Schpfer des Tutoriums, da-

    mals ein Akt der Unbotmigkeit gegen die au-tokratischen Strukturen und von der Leitung be-kmpft. Jedem und jeder einzelnen dieser ersten(von ihm wie gleichberechtigte Lehrbeauftragte behandelten) TutorInnen, zu denen ich zhl-te, schenkte er am Ende ihrer Ttigkeit ein

    IM GEHEGE DER PHRASE

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    Exemplar von Adornos Minima Moralia; man-che haben darber gelchelt, da die Schrift alszuwenig praktisch galt und dazu gehrte auchich, der sich heute fr dieses Lcheln schmt.Das Gewicht dieses Geschenkes habe ich erstspter verstanden. Obwohl Paul Stefanek esvielleicht selbst nicht so beabsichtigte und es

    schon gar nicht so formuliert htte, war es dochde facto ein Geschenk, das eine intellektuelleGegnerschaft zum Geist des Postnazismus ein-schloss.

    Die studentische Arbeit Theater-wissenschaftund Faschismus sollte ein Bruch mit all demLavieren und Vertuschen sein, das zu erlebenwar. Die treibenden Impulse dieser Schrift

    scheinen mir bis heute richtig, nmlich dieErkenntnis, dass der Nationalsozialismus ausden gesellschaftlichen Verhltnissen hervor-gegangen war, die als kapitalistisch zu benen-nen man sich nicht scheuen sollte, dass 1945keineswegs alles vorbei war und dass das

    Weiterwirken von einschlgigen Ideen in denSchriften von Kindermann und Dietrich auchein groes Problem fr die Gegenwart blieb unddahingehend zu analysieren ist. Das wre im-mer wieder kompromisslos zu versuchen, kom-promisslos gegenber einer Neutralisierung, diemit den Jahreszahlen das Problem zum histori-schen macht, aber auch gegenber den schickenVerwertungen wie sie sich in den 70er und 80erJahren durch sthetisierung (Syberberg) undMnnergruppen-Psychologie (Theweleit) zeig-ten. Kritik an der Unvollkommenheit der Schriftvon uns AnfngerInnen habe ich fter schon

    gebt, fr diesen Zusammenhang hier mch-te ich einmal den eklektizistischen Umgangmit Theorien beim Versuch gesellschaftlicherAnalyse nennen: Ohne Differenzen festzuhal-ten, wurden von uns Wolfgang Fritz Haug, KarlMarx, Friedrich Engels, Theodor W. Adorno, MaxHorkheimer, Walter Benjamin, Georg Lukcs,Albert Klein, Jochen Vogt und Reinhard Khnlherangezogen. Letzterer, der die Theorie vomFaschismus als Diktatur des Monopolkapitalstradierte und verbreitete, fungierte damals hu-fig als Ausweis dafr, dass man sich auf der

    richtigen Seite vermutete. Dass ihm in seinemBuch Faschismustheorien der Antisemitismusund die Ermordung der Juden undJdinnen nur einen Exkurs wert gewesenist, erzeugte jedoch eine Gefangenheitim Postnazismus und muss heute er-schrecken. Ich selbst habe mich nach demAbschluss der Broschre mit Exilliteraturund Exiltheater zu beschftigen begonnen, undvon hier aus neu gelernt.

    Fr die Frage nach dem Postnazismus istAdornos Bemerkung in seinem 1959 gehal-

    tenen Vortrag Was bedeutet: Aufarbeitungder Vergangenheit zentral: Ich betrachtedas Nachleben des Nationalsozialismus in derDemokratie als potentiell bedrohlicher denn dasNachleben faschistischer Tendenzen gegen dieDemokratie. Die Begriffe Postfaschismus oderPostnazismus bezeichnen sinnvoll verwendetnicht nur die unmittelbaren Nachkriegsjahre, dieja gerne als unmodern und kleinbrgerlichbeschrieben werden, um sich dann leicht davondistanzieren zu knnen, sondern beziehen sichauf gesellschaftliche Verhltnisse und ein gesell-

    schaftliches Bewusstsein. Damit ist eine tiefereProblematik benannt, die ihre Aktualitt nichtverloren hat. Das Post kann fr uns bis heutenichts Beruhigendes haben, als htte sich mitdem Vergehen der Jahre das Problem von selbstgelst. Die Auseinandersetzung mit der natio-

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    nalsozialistischen Theaterwissenschaft lsstsich nicht als kurzer Besuch einer Geisterbahnabsolvieren, wo man sich nach dem Schaudernwieder der Grottenbahn in Form einer zivilisier-ten Theatergeschichte zuwendet.

    Heinz Kindermann war kein Borodajkewycz je-ner Professor an der Hochschule fr Welthandel,der wegen seiner antisemitischen Invektivenin den 60er Jahren direkt zu entlarven war ,sondern ein Beispiel fr die Metamorphosen imPostnazismus. So konnte die Situation entstehen,dass zahlreiche Kritiker Kindermanns, die seine

    nach 1945 erschienenen Schriften in einen engenZusammenhang mit dem Nationalsozialismus brachten, als bertreiber und Untersteller an-gesehen wurden. Aber es ist umgekehrt: Nichtwahnhaft ist es, stets nach dem Kontext zumNationalsozialismus zu fragen, sondern wahnhaftist es, dies nicht zu tun. Solcher Zusammenhangnmlich ist in Kindermanns Schriften nach1945 berall greifbar und offenkundig, waseinen freilich nicht von der Anstrengung be-

    freit, diese Verbindungen analytisch zu durch-dringen. Schon ein kleiner Rundgang durch dieSchriften nach 1945 aber zeigt die verkleidetenDenkmler des Grauenhaften im Triumph derPhrase: Ein Antiintellektualismus, in dem sichein unausgesprochener Antisemitismus findet,eine stete Anrufung des Gemeinschaftlichen,die Archaisierung des Theatralen ber denMythos eines rauschhaften Anfangs, ein exi-stentialistisch getnter Pantragismus, der denOpfergedanken perpetuiert und das Geschehenedamit wie in einem Bildungsroman rechtfer-tigt, die Formel vom Krftespiel der Vlker,

    mit dem die Vorstellung von den separier-ten Volkskrpern historisch gewandet wurde,das pltzliche Postulat einer sterreichischenKleinmenschlichkeit, mit der die behaupteteOhnmacht verklrt und als Legitimation frdas Hinnehmen der Verbrechen funktionalisiertwurde. Die Opfer-Bejahung, um hier ein Elementhervorzuheben, bezog sich bei Kindermannim Nationalsozialismus auf Kriegstod undVerfolgung der Juden und Jdinnen, ohne dass

    Heinz Kindermann hat in diesem Ordner Materialien ber kritische Studierende gesammelt.

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    er dies jeweils direkt zu benennen brauchte. Diesptere Feierung und Bejahung des Opfers inden Schriften nach 1945 steht im Banne dieserVorstellung, ihre Beredsamkeit im Vagen undihre Sprachlosigkeit im Konkreten sind Formender Verschleierung und des Anknpfens.Der Glaube, dass mit einem anderen Gesichtauch alles anders wurde, gehrt zu einemNebel, der sich erst langsam lichtet. Bei MargretDietrich, die bereits am NS-ZentralinstitutKindermann zur Seite gestanden hatte, war dasgroe Vorbild Kindermann bis ins Sprachlicheerkennbar und seine zwischen 1957 und 1978

    erschienene Theatergeschichte Europas fun-gierte als Grundlage ihrer Vorlesungen. Diestets Begeisterung demonstrierende Redeweisewar mit einer Gleichgltigkeit gegenber denwesentlichen Fragen der Epoche verknpft.Dem widerspricht nicht, dass Kindermann undDietrich mit einigen aus dem Exil zurckge-kehrten ExilantInnen Kontakte pflegten und siezu BeitrgerInnen von Maske und Kothurnmachten. Der Antiintellektualismus in MargretDietrichs Studie Episches Theater? (1956 inMaske und Kothurn verffentlicht), die sich

    gegen Bertolt Brecht richtete, war nicht nur demAntikommunismus der 50er Jahre geschuldet,sondern in ihrer Apologie des Irrationalismusvon lterer Prgung. Die Schrift ist ebenso wie an-dere Publikationen von einer stndigen Berufungauf den Menschen gezeichnet, die meist in denAppell mndet, Not und Leid im Sein anzuneh-men und sich mutig zu unterwerfen. Diese nichterst nach 1945 als humanistische Fassade wir-kende Rede vom groen Einverstndnis war ausBegriffen wie Persnlichkeit, Verantwortung,selbstgemes Leben oder gar Einsatz desLebens errichtet. Das Lied der Unterwerfung

    gegenber hheren Mchten setzte sich auch in

    Margret Dietrichs Buch Das moderne Drama(1961) fort, worin sie einem trivialisiertenExistentialismus als Dekorateurin diente, umein Wort Walter Benjamins abzuwandeln, dasdieser bekanntlich 1931 in seinem Verriss vonKindermanns Buch Das literarische Antlitzder Gegenwart verwendet hatte. Wer solcher,als Modernitt dargebotenen, Ideologie derUnterwerfung nicht folgte, etwa durch Kritik,erschien als der eigentliche Unmensch, der sichgegen die positive Menschlichkeit richtet.

    Die Publikationen Margret Dietrichs zu ber-

    blicken, und ihre Sprnge nachzuzeichnen,wre gewiss mhsam. Die oft gepriesene spte-re Innovationsfreudigkeit von Margret Dietrichlsst sich als stete Ausweichbewegung gegen-ber gesellschaftlichen Fragen verstehen, dieimmer lauter von auen gestellt wurden, und zudenen die von ihr nie offen gestellte Fragenach dem Nationalsozialismus wohl nicht die ge-ringste gewesen ist. Die Wendung zum Heutigenwurde zum Signum des Unschuldigen, als seinicht im Gegenwrtigen das Vergangene vor-handen. Dabei diente die frhliche Innovation

    dem Vergessen und ist nicht von diesem zutrennen.

    Peter Roessler

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    Lehrjahre zwischen Jargons am Beispiel derTheaterwissenschaft

    In memoriamPaul Stefanek

    I

    Das Institut fr Theaterwissenschaft in Wien,wie ich es Ende der siebziger Jahre kennenlernte,erfllte nicht nur allgemein die Kriterien einer

    postnazistischen Anstalt. Der familire Charak-ter, der hier den Ton angab; die unabwendbareNhe und Vertrautheit im Umgang, noch in derIntrige und im Hass all das stellt sich retro-spektiv als minutis ausgefhrtes Abbild einerNation dar, die zunchst wesentlich in der Fhig-keit bestand, sich klein zu machen (Jean Am-ry)1, um nach dem nazistischen Grenwahn alserstes Opfer Hitlerdeutschlands durchzuge-hen. Das brachte die BrgerInnen einander n-her, nher etwa als inWestdeutschland, so

    nahe, dass jede br-gerliche Distanz inden ffentlichenB e z i e h u n g e nzuschanden ge-hen konnte. DieEnge, die einengeistig fast ersti-

    cken lie, lag demnachsowenig an der geo-graphischen Kleinheitdes Landes wie dieAtmosphre am Insti-

    tut an den eigenartigangelegten Rumlich-keiten in der Hofburg,die aber dafr wie ge-schaffen sind. Sie re-sultierte aus dem Ver-hltnis zu den gemein-schaftlich begangenenVerbrechen, dessensingulre Verlogenheitnur Karl Kraus ahnenkonnte: Mit einem

    frohgemuten Wir ken-nen uns ja eh stellensich die Wiener Per-snlichkeiten vor, undes braucht lange Zeit, bis es unsereinem

    gelingt, sie verkennen zu lernen. Dieses ehbaute die Kultur wieder auf und schrieb Wissen-schaftsgeschichte: Es mag an der Wesensartder sterreicher liegen, erluterte frohgemutHeinz Kindermann 1961, an ihrer sehr beweg-lichen, leicht anpassungsfhigen Art, das Lebenzu meistern und sich selbst zu inszenieren,dass sie sich der Kunstform des Theaters nherwissen als viele anderen Vlker, auch nher alsviele andere Angehrige des deutschen Sprach-gebietes.2

    In bestimmter Hinsicht aber war das Insti-

    tut des anpassungsfhigsten aller Professo-ren von Anfang an als postnazistisches kon-zipiert worden. Kindermann hatte bei seinerGrndung die gesamteuropische vlkerver-bindende Orientierung der Forschung betont als Beitrag zum Werden des neuen Europas3:sie entsprach genau der vlkerverbindenden,gesamteuropischen Endlsung der Judenfra-ge. Carl Schmitt schrieb auch schon 1939 vonder groen politischen Idee, der Achtung jedes

    Volkes als einer durchArt und Ursprung,

    Blut und Boden bestimmten Lebens-wirklichkeit4, und die-se Lebenswirklichkeit,die den europischenVlkern zugestan-den wurde, war nurein anderes Wort frdie Vernichtung, dieauf ein einziges Volk das Gegenvolk, denVlkerfeind, die jdische Gegenrasse

    (Alfred Rosenberg)5 zielte, so wie dernationalsozialistischeRassismus letztlichdie einzelnen Vlker jeweils einstufte nachihrer Bereitschaft undFhigkeit, zu dieserVernichtung beizu-tragen. Vlkerverbin-dung im Namen derAusrottung der Juden

    und Jdinnen: dar-auf beruhte auf inter-nationaler Ebene dienationalsozialistischePolitik und wurdezum unabgegoltenen

    POSTNAZISTISCHE ANSTALT

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    Erbe einer Europischen Union, der Hisbollah-Fhrer als Verhandlungspartner gelten.

    Die Arbeiten zur Theatergeschichte Europas,die Kindermann dann Ruhm und Anerkennungbrachte und die noch nach seiner Emeritierungals Pflichtlektre galt, begannen zu dieser Zeitder Institutsgrndung. Was immer auch derpostnazistischen Gesellschaft Wohlstand undKultur einbringen konnte, es beruhte auf denResultaten des Massenmords an den Juden undJdinnen. Als sekundre Volksgemeinschaft6kann sie aber begriffen werden, insofern sie aus

    diesem einzigartigen politischen Verbrechenauch ihre ideologische Einheit gewonnen hatund es gleichwohl nur auf verschobene Weisezur Sprache bringen durfte. Das vielzitierte Ver-schweigen war demnach von Anbeginn sehr ge-schwtzig, Adorno nannte die erste Ausprgungdavon den Jargon der Eigentlichkeit,7 und inder besonders ausgeprgten postnazistischenAnstalt in Wien wurde er auch besonders aus-dauernd gesprochen, noch lange, nachdem er inWestdeutschland desavouiert war.

    So war die Sprache das Schrecklichste, wennman an diesem Institut zu studieren begann:sie bewahrte dessen Ursprung auf und ver-deckte ihn zugleich. Dazu gehrte nicht zuletztder antikapitalistische Wahn, der stndig nachVerkrperung und Personifizierung aller alsnegativ empfundenen Erscheinungen der br-gerlichen Gesellschaft strebt. Nur durfte ebenjetzt vom Juden in seiner ganzen bswilligenFreundlichkeit, seinem berechnenden Geiz undseiner unterwrfigen Niedrigkeit (Margret Diet-rich 1944) nicht mehr die Rede sein, und darumwaren es Dmonen, die einen verfolgten und

    die es abzuwehren galt, sie knnen die NamenDiktatur, Wirtschaftswunder, das Nichts, Ein-samkeit, Ohnmacht oder gtterloser Himmeltragen; Aufgabe des Theaters aber sei, unshinterher aufatmen [zu] lassen, damit wir mit befreiter Brust das Joch der Dmonen wiederauf die Schultern nehmen knnen; dann werdenwir von ihnen nicht erwrgt. (Margret Dietrich1963)8 Hier ist dieser postnazistische Jargon aufden Punkt gebracht: man kann den Juden undJdinnen Auschwitz nicht verzeihen, aber weilman nicht wagt, das auszusprechen, wie sollte

    man es auch begrnden, werden die Dmonenherbeibeschworen.

    II

    Mit der Broschre Theater-Wissenschaft undFaschismus haben Monika Meier, Peter Roesslerund ich 1982 den Versuch unternommen, die

    Ursprnge dieser Sprache freizulegen. Aller-dings erlagen wir dabei in mancher Hinsicht derSuggestion eines anderen Jargons, den man mitJean Amry den Jargon der Dialektik9 nennenknnte.

    Die Kritik Amrys traf im Kern nicht die Spra-che Adornos, die sie zitiert, sondern die ih-rer Adepten, die sie verballhornten. Denn wasAmry hier wesentlich als Jargon galt, war einneues geschwtziges Schweigen ber die T-terInnen, MitluferInnen und ZuschauerInnen

    der politischen Verbrechen; dass eine missrate-ne Dialektik die Unterschiede zwischen Opfernund TterInnen verwische, indem sie immernur vom Ganzen als dem Unwahren schwadro-niere. Und die Rezeption von Adornos Textenging wirklich in diese Richtung. Die inneren Wi-

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    dersprche der kritischen Theorie zur Sprachezu bringen, hatte kaum jemand Interesse oderMut und so entstand aus ihr ein Jargon, denauch schnoddrige Spiegel-RedakteurInnen unddmmliche UniversittsdozentInnen spielendhandhaben konnten.

    Aber zum Glck gab es auch die Seminare undVorlesungen von Paul Stefanek. Er war zu dieserZeit vielleicht berhaupt der einzige in Wien,der die kritische Theorie in der Reflexion ihrereigenen Widersprche vermitteln konnte (undwoanders war die Situation kaum besser, auch

    nicht in Westberlin, wie ich erfahren musste).Wie merkwrdig eigentlich, dass er Theaterwis-senschaft lehrte. Nicht zufllig war Stefanekauch der einzige, der am Institut mit der Ordi-naria Dietrich in einen offenen Konflikt trat, sodass er nicht mehr ins postnazistische Gefolgepasste, dem Birbaumer, Greisenegger, Haider-Pregler weiterhin zugehrten. Da war pltzlicheine andere Sprache, eine, die Adorno vom Jar-gon seiner NachahmerInnen befreite und zu-gleich die Mglichkeiten in Erinnerung rief, diein den Schriften Peter Szondis, Walter Benjamins

    und des jungen Georg Lukcs dem Denken undUrteilen erffnet werden: kritische Reflexionder Begriffe, womit sich allein der Zusam-menhang der Gesellschaft darstellen lie,ohne ihm unterschiedslos alles zu subsu-mieren. Es verhielt sich also nicht so, dasses bei Stefanek den Schwerpunkt National-sozialismus gegeben htte; es war nur die

    Art seiner Ausfhrungen und der Diskussionen,in die man mit ihm geraten konnte, die es ge-radezu unmglich machte, sich nicht die Fragezu stellen, woher das wahnhafte herrschendeBewusstsein und die falsche Einheit der Gesell-

    schaft kamen.

    Wir standen damals aber auch (darauf hat PeterRoessler in der Diskussion am Institut am 16.6. 08 aufmerksam gemacht) unter dem Einflussmarxistisch-leninistischer Faschismustheorien,deren Sinn hauptschlich darin lag, Abwehr undVerdrngung zu vollenden, die letzten Schlupf-winkel des Denkens zu verstopfen, die der Jar-gon noch lie. Obwohl in Theater-Wissenschaftund Faschismus mehr als eine Ahnung sprbarist von der fundamentalen Bedeutung des An-

    tisemitismus fr den Nationalsozialismus undsein Fortwirken, wird schlielich vieles, was hiererhellt werden konnte, wieder verdorben durchjene inferiore Argumentation, die sich auch aufder Rckseite des Covers unserer Broschre nie-

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    dergeschlagen hat: die berhmte Fotomontagevon John Heartfield, die Hitler als kleinen Mannzeigt, der vom groen Mann des Grokapitals,der hinter ihm steht, Geldscheine in die zumFhrergru erhobene Hand gedrckt bekommt:Millionen stehen hinter mir heit es dazu. Vonden Millionen des Kapitals wurde immer nurgesprochen, um die Millionen der TterInnen,MitluferInnen und ZuschauerInnen zum Ver-schwinden zu bringen.

    Es war nun wiederum nicht so, dass Paul Stefanekuns gerade in dieser Frage kritisiert und uns die

    wirklichen Verhltnisse nationalsozialistischerHerrschaft und ihrer Nachfolgegesellschaft be-wusst gemacht htte. Vielmehr waren wir es, dieihn mit konkreten Fragen dazu konfrontiertenund durch unsere Obsession, was dieses Themabetraf, lsten wir wohl auch etwas bei ihm aus.10Aber er wusste, dass sich in der Form der Ablei-tung und des Urteilens, wie wir sie praktizier-ten, eine dunkle Stelle befand. Und er hat dasBeste getan, was mglich war, uns aus diesemBannkreis zu befreien. Als er, durchaus gegenden allgemein herrschenden Geist des Instituts

    gewandt, zusammen mit der damaligen Basis-gruppe ein Tutorium aufbaute, schenkte er allenTutorinnen und Tutoren ein Exemplar von Ad-ornos Minima moralia. Hier findet sich an zent-raler Stelle und im Zusammenhang mit Benja-min die Ntigung festgehalten, dialektischzugleich und undialektisch zu denken,11 undnach und nach ging mir auf, dass es nur durchdiese Ntigung hindurch mglich ist, ber denNationalsozialismus zu sprechen, ohne die T-terInnen zu exkulpieren und die Opfer zu ver-raten.

    III

    Heute aber wird der Jargon der Narrative ge-sprochen. Er entspricht exakt der neuen Kon-stellation im Postnazismus. Ratifiziert wirddurch ihn, dass die Konflikte ausgeblieben sind,die Aufarbeitung der Vergangenheit zu sptgekommen ist: zu spt, nicht nur, um noch dieGeneration der NationalsozialistInnen zu tref-fen, die ist lngst abgetreten, sondern eben da-durch die einzige Subversion zu initiieren, die

    der postnazistischen Gesellschaft in ihrem In-nersten angemessen wre.

    Wird dieses Zu spt nicht reflektiert, reflek-tierend in die Aufarbeitung selbst mit herein-genommen, bleibt es bei einer neuen Variante

    des Verschweigens. Geschwtzig verschwiegenwird dann, dass der Augenblick des Urteils ver-sumt worden ist. Hitler, Himmler, Heydrich,Kaltenbrunner, das werden Namen sein wieNapoleon, Fouch, Robespierre und Saint Just,schrieb Amry 1966 ber diese Zukunft: Was1933 bis 1945 in Deutschland geschah, so wirdman lehren und sagen, htte sich unter hnli-chen Voraussetzungen berall ereignen knnen...12 Wre da nicht die bloe Existenz des jdi-schen Staats, der aus dem frhen Postnazismusherberreicht in die Gegenwart, alle Konflikteknnten auf diese Weise entsorgt werden und

    die Vergangenheit wre endgltig vergangenund kein brennendes Problem der politischenUrteilskraft mehr. Aber an diesem Staat, demJuden unter den Staaten (Lon Poliakov), derdie Antisemiten hindert, das Werk des National-sozialismus zu vollenden, und seinen Gegne-rInnen, die sich auf ihren Antirassismus vielzugute halten, wird unmissverstndlich sicht- bar, dass sie nicht vergehen kann, so wie derAntisemitismus immer wieder neu der brger-lichen Gesellschaft entspringt. Und ein Institut,das ernsthaft, im Sinn nmlich von Adorno und

    Amry, also nicht als Narrativ, seine Vergangen-heit aufarbeiten mchte, msste zugleich eineLehrveranstaltung anbieten etwa mit demThema: Neuer Antisemitismus auf demTheater und im Film: von Rainer WernerFassbinder bis zu Paradise Now oderauch ein Projekt initiieren zu den Abgrn-den des Philosemitismus in der RezeptionThomas Bernhards.

    Dass die Vergangenheit endgltig vergangen,das Versumte kein brennendes Problem derUrteilskraft mehr wre, darauf jedoch beruht

    geradezu ein Wissenschaftsbegriff, der den Jar-gon wechselt, um sich selbst nicht zum Gegen-stand zu werden, seine eigenen Voraussetzun-gen nicht zu reflektieren. Hatte die BroschreTheater-Wissenschaft und Faschismus die Frageder Kontinuitt zwar falsch beantwortet, aberals den springenden Punkt der Gegenwart im-merhin noch aufgeworfen und damit das Ver-sumte zum Kriterium der eigenen Urteilskraftgemacht, erscheint sie in dem Ausstellungskata-log Wissenschaft nach der Mode? schon als einThema aus einer anderen, abgeschlossenen Epo-

    che und eben darin ist man selber integrierterTeil dieser Kontinuitt geworden. Peter Roess-ler sieht dabei (in seinem Interviewbeitrag frden Katalog) durchaus das Problematische, dasim neutralen Referieren von Daten und Doku-menten der NS-Zeit liegt: Die NS-Schriftstcke

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    seien davon geprgt, dass vieles gar nicht aus-gesprochen wird. So bleibt beim nachtrglichenReferieren der Dokumente heute ihr tiefererZusammenhang mit den Verbrechen oft ausge-blendet ().13 Die Daten und Dokumente desPostnazismus sind aber nicht minder davongeprgt, dass vieles gar nicht ausgesprochenwird; und ihr anders gelagerter Zusammenhangmit den Verbrechen erforderte erst recht, jederAbgeklrtheit entgegenzutreten. Hier genauliegen die Grenzen der Aufarbeitung, die in derAusstellung und dem Katalog insgesamt gebo-ten wird. Und deren Gestalterinnen Birgit Peter

    und Martina Cuba suggerieren schlielich in ih-rer Stellungnahme zur Podiumsdiskussion vom7. 5. 08 im Audi Maxder Universitt Wien,das Versumte seiberhaupt eine Frageder Kommunikation,worin anscheinenddie verschiedenenNarrative in Gestaltvon unterschiedlichenPersnlichkeiten sich

    endlich austauschensollen: Dem Vorwurfeiner Ausein-anderse tzungnach der Modewollen wir einegewissenhafte,serise, kritische

    Auseinandersetzung mit dem Eigenen entge-genstellen. Dazu gehrt unserer Meinung nacheben diese verschiedenen Generationen zu Wortkommen zu lassen, um berhaupt eine ffentli-che Diskussion um NS-Vergangenheit und Strate-

    gien bzw. Strukturen des Nicht-Sprechens nach1945 fhren zu knnen. Dass eine Podiumsdis-kussion keine hinreichende Antwort oder Er-klrung solch komplexer gesellschaftlicher undpolitisch-ideologischer Vorgnge geben kannerscheint uns nicht verwunderlich. Ein solchesForum kann aber leisten, dass gesprochen wird.Auerdem war es uns wichtig, auf dieses Podi-um so unterschiedliche Persnlichkeiten undderen Zugnge zum Thema NS-Aufarbeitungeinzuladen, wie sie durch: Gernot Heiss, HildeHaider-Pregler, Oliver Rathkolb, Wolfgang Grei-

    senegger, Veronika Zangl und Peter Roesslerreprsentiert wurden. Diese Diskussion war dieerste ffentliche zum Thema NS-Grndung desInstituts. Sichtbar wurde der groe Diskussions-und Forschungsbedarf. Deshalb begrten wirauch sehr, dass die Basisgruppe die Diskussion

    weiterfhren wollte, kritisieren aber die Pole-mik gegen Vertreter einer anderen Generation.Da uns Polemik nicht als angemessenes wissen-schaftliches Instrumentarium zur Erforschunggesellschafts- und wissenschaftspolitischerKonstellationen im postnazistischen sterreicherscheint.14 Wenn eine ffentliche Diskussi-on so verstanden wird, dass keine Polemikgegen die Vertreter einer anderen Generationgeuert werden soll, ist das keine ffentlicheDiskussion, sondern ein sterreichischer Mit-tagstisch, wo leider auch viel gesprochen wirdund leider auch von unterschiedlichen Persn-

    lichkeiten.

    Wissenschaft nachder Mode? Es gengtkeineswegs, von Wal-ter Benjamin den Ti-tel zu entlehnen. Derletzte Satz seiner Kin-dermann-Rezensionlautet: Und wie wresie mglich, jene neueJugend, ohne diese

    modernen, flotten,wissenschaftlichenProspekte, in denendie Urteilslosigkeitabwgend, die Ober-flchlichkeit grnd-lich, die Instinktlosig-keit temperamentvoll

    zu Worte kommt! Wenn so einmal gegen dieprnazistische Wissenschaft polemisiert wor-den ist, dann braucht es heute, angesichts ih-rer postnazistischen Fortsetzung, nicht we-niger von solcher Humanitt, die sich an der

    Zerstrung bewhrt15: Polemik erweist sich inbestimmten Konstellationen als das einzig an-gemessene wissenschaftliche Instrumentarium;sie vermag die familire Eintracht der Nationzu zerstren, den Konsens, der die Generati-onen verbindet. Sie schafft berhaupt erst dieDistanz, und damit die Bedingung der Mglich-keit, zu differenzieren und die Konstellationenim postnazistischen sterreich in ihrer ganzenKomplexitt darzustellen. Sie ist gegen die Ver-treterInnen welcher Generation auch immer zufhren, soweit sie sich an der jeweiligen Mode

    des Vergessens beteiligten und beteiligen.

    Gerhard Scheit

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    1 Jean Amry: Aspekte des sterreichischen. In: ders.: Auf-

    stze zur Politik und Zeitgeschichte. Werke Bd. 7. Hg. v.Stephan Steiner. Stuttgart 2005. S. 562.2 Karl Kraus: Aphorismen. In: ders.: Schriften. Hg. v. Chri-stian Wagenknecht. Bd. 8. Frankfurt am Main 1986, S. 198.3 Heinz Kindermann: Theaterland sterreich. In: Maskeund Kothurn 7. Jg., 1961, S. 2.4 Heinz Kindermann: Lebendige Theaterwissenschaft. In:Deutsche Dramaturgie 2. Jg., 1943, H. 11/12, S. 186ff.Ders.: Die europische Sendung des deutschen Theaters.Wien 1944, S 54.5 Carl Schmitt: Der Reichsbegriff im Vlkerrecht. In: ders.:Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar Genf

    Versailles 1923-1939. 3. Aufl. Berlin 1994, S. 354.6 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. 7.Aufl. Mnchen 1942, S. 462 u. 675.7 Vgl. dazu Gerhard Scheit: Die Meister der Krise. ber denZusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand.Freiburg 2001, S. 93ff.8 Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. In: ders.:Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurtam Main 1997, Bd. 69 Margret Dietrich: Wandel der Gebrde auf dem deutschenTheater vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Wien 1944, S.13810 Margret Dietrich: Bildungstheater und Affekttheater. In:Maske und Kothurn 9. Jg., 1963, S. 31411 Jean Amry: Jargon der Dialektik. In: ders.: Aufstze

    zur Philosophie. Werke Bd. 6. Hg. v. Gerhard Scheit. Stutt-

    gart 2004, S. 265ff.12 Vgl. dazu Paul Stefaneks Vorwort zum Wespennest-HeftNr. 56, 1984 (Theater und Faschismus), S. 213 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. In: ders: Gesam-melte Schriften, Bd. 4, S. 17314 Jean Amry: Jenseits von Schuld und Shne. In: ders.:Werke Bd. 2. Hg. v. Gerhard Scheit. Stuttgart 2002, S. 145f.15 Theaterwissenschaft und Faschismus eine Spurensu-che. In: Wissenschaft nach der Mode? Hg. v. Birgit Peteru. Martina Payr. Wien 2008, S. 22516 Birgit Peter, Martina Cuba: Der heutige Umgang mit dereigenen Geschichte am Institut fr TFM. http://tfm.uni-

    vie.ac.at/veranstaltungen/ (29. 11. 08)17 Walter Benjamin: Wissenschaft nach der Mode. In: ders.:Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann u. HermannSchweppenhuser. Frankfurt am Main 1980, Bd. III, S. 30218 Walter Benjamin: Karl Kraus. In: ders.: GesammelteSchriften, Bd. II, S. 367

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    THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER

    Zum ersten Mal in der Institutsgeschichte wurdedie Auseinandersetzung mit der NS-Vergangen-heit von Heinz Kindermann und Margret Diet-rich, die Institutsgrndung als NS-politischesVorzeigeprojekt in einer breiten ffentlichenForm dargestellt (siehe Ausstellung und Katalog).Die Idee und der Wunsch nach einer umfassen-den Erforschung begann seitens Birgit Peter alsStudienrichtungsvertretung und wurde in denLehrveranstaltungen Wissenschaftsgeschichteals Forschungsdesiderat an die Studierendenherangetragen. Die Institutsgeschichte ist beivielen InstitutsmitarbeiterInnen Teil einfhren-

    der Lehrveranstaltungen. Diplomarbeiten zumThema, ein Abschnitt in der Habilitationsschriftvon Evelyn Deutsch-Schreiner, Texte von HildeHaider-Pregler sind seit den 1990er Jahren Teileiner Aufarbeitungsgeschichte an der TFM.

    Die Ausstellung und der Katalog sind ein Pro-jekt mit Studierenden, die im Rahmen eines For-schungsseminars die Grndungsgeschichte de-tailgenau erforscht, dokumentiert und prsen-tiert haben und damit die Basis fr eine tieferge-hende Auseinandersetzung gerade fr Beschf-

    tigung mit Kontinuitten geleistet haben.Einmalig an diesem Projekt ist die egali-tre Zusammenarbeit von Studierenden,Lehrenden und der FachbereichsbibliothekTFM, welche unserer Meinung nach die Vo-raussetzung fr eine kritische Auseinan-dersetzung mit der eigenen Geschichte

    darstellt. Die hier vertretenen Standpunkte ver-schiedener Generationen wurden komplettiertdurch erzhlte Geschichte der Generation,die unter Kindermann und Dietrich ans Institutkamen. Besonders hervorgehoben sollen Wolf-

    gang Greisenegger und Edda Fuhrich werden,

    die der Auseinandersetzung mit der eigenenGeschichte nicht aus dem Weg gingen und die-ses Projekt intern nachhaltig untersttzen.

    Den Vorwurf einer Auseinandersetzung nachder Mode wollen wir eine gewissenhafte, se-rise, kritische Auseinandersetzung mit demEigenen entgegenstellen. Dazu gehrt unsererMeinung nach, eben diese verschiedenen Gene-rationen zu Wort kommen zu lassen, um ber-haupt eine ffentliche Diskussion um NS-Ver-gangenheit und Strategien bzw. Strukturen desNicht-Sprechens nach 1945 fhren zu knne.

    Dass eine Podiumsdiskussion keine hinreichen-de Antwort oder Erklrung solch komplexer ge-sellschaftlicher und politisch-ideologischer Vor-gnge geben kann, erscheint uns nicht verwun-derlich. Ein solches Forum kann aber leisten,dass gesprochen wird. Auerdem war es unswichtig, auf dieses Podium so unterschiedlichePersnlichkeiten und deren Zugnge zum The-ma NS-Aufarbeitung einzuladen, wie sie durch:Gernot Heiss, Hilde Haider-Pregler, Oliver Rath-kolb, Wolfgang Greisenegger, Veronika Zanglund Peter Roessler reprsentiert wurden. Diese

    Diskussion war die erste ffentliche zum The-ma NS-Grndung des Instituts. Sichtbar wurdeder groe Diskussions- und Forschungsbedarf.Deshalb begrten wir auch sehr, dass dieBasisgruppe die Diskussion weiterfhren woll-te, kritisieren aber die Polemik gegen Vertretereiner anderen Generation. Da uns Polemik nichtals angemessenes wissenschaftliches Instru-mentarium zur Erforschung gesellschafts- undwissenschaftspolitischer Konstellationen impostnazistischen sterreich erscheint.

    Birgit Peter und Martina Cuba

    DER HEUTIGE UMGANG MIT DER EIGENENGESCHICHTE AM INSTITUT FR TFM

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    Es scheint geradezu eine Gesetzmigkeit zusein, dass die wegen ihres Alters unbelastetenNachfolgerInnen der Wiener ProfessorInnen inden Fchern Germanistik, Theaterwissenschaftund Volkskunde, die bis in die spten sechzigerJahre fast ausschlielich ehemalige Mitgliederder NSDAP waren und sich zum Teil, wie Hfler,Seidler, Kindermann oder Wolfram, durch be-sonderen politischen Eifer ausgezeichnet hat-ten, zu deren Vergangenheit schwiegen, sie bisweilen sogar moralisch relativierten undallenfalls nach dem Tod ihrer Frderer ein paarkritische Tne verlauten lieen, um weiterhin

    die Vergnstigungen zu genieen, die sie ih-rem frheren Stillhalten verdanken. Im Hausdes Henkers spricht man nicht vom Strick.

    Was mit einem formalen Loyalittsverstndnisveredelt werden sollte, war stets purerOpportunismus. Denn nirgends auch das kannman bei Wiesinger und Steinbach nachlesen haben ProfessorInnen so entscheidenden Einflussauf die Berufung ihrer NachfolgerInnen wie insterreich. So beklagt sich Hilde Haider-Pregler,ihrerseits ab 1966 Assistentin, dann ab 1987

    Professorin am Institut fr Theaterwissenschaftder Universitt Wien: Dass die offeneAuseinandersetzung mit der Vergangenheit desInstituts auch noch unter Margret Dietrich, zu-nchst Assistentin, dann Nachfolgerin HeinzKindermanns, wohl aus Rcksichtnahme auf ih-

    ren verehrten Lehrer wenn berhaupt nur ineuphemistischen Andeutungen stattfand, sollteder jetzt am Institut ttigen Professoren-Generation damals waren wir Assistenten in der Folge manch unverdienten rgerund ungerechtfertigte Vorwrfe imHinblick auf unreflektierte Kontinuitteinbringen. Margret Dietrich war bereitsHeinz Kindermanns Assistentin, als dieser1943 (!) auf den eigens fr ihn eingerichtetenLehrstuhl berufen wurde, dann von 1966 (demJahr, in dem Haider-Pregler als Assistentin an-gestellt wurde) bis 1985 Professorin am Institut

    fr Theaterwissenschaft. Den Aufsatz, aus demdas Zitat stammt, verffentlichte Haider-Pregler1993. Margret Dietrich war seit acht Jahrenemeritiert. Als StudentInnen, die gleichaltrigwie oder gerade ein, zwei Jahre jnger, aber umEiniges begabter waren als Haider-Pregler, 1968mit einem Theateroktober die versteinertenVerhltnisse am Institut zum Tanzen bringenwollten, erwies sich die Assistentin als treueDienerin ihrer Herrin. Jedenfalls ist keiner undkeinem der Beteiligten in Erinnerung, dass siedamals durch Aufmpfigkeit aufgefallen wre.

    Selbstverstndlich (?) hat die ebenso strebsamewie biedere Haider-Pregler es 1984, neun Jahrevor ihrer gewundenen Erklrung zur offenenAuseinandersetzung mit der Vergangenheit,nicht versumt, Heinz Kindermann zu sei-nem 90. Geburtstag mit einem Beitrag zu einer

    KURIOSITTENKABINETT

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    Festschrift zu gratulieren. Selbstverstndlich(selbstverstndlich?) hat sich die Professorinin spe schon zu Kindermanns 80. Geburtstagin die Tabula Gratulatoria eintragen lassen neben den Emeriti Otto Hfler, RichardWolfram, Moriz Enzinger und dem damalsnoch nicht emeritierten Hans Sedlmayr. Undoffenbar als Lob ist es gemeint, wenn MargretDietrichs Nachfolger Wolfgang Greisenegger

    seiner Vorgngerin 1991 in einer ihr gewid-meten Festschrift attestiert, sie sei seit derGrndung des Instituts fr Theaterwissenschaft,die 1943 nach Selbstdarstellung im Zuge dernationalsozialistischen Kulturpolitik unterder gide des Reichsstatthalters Baldur von

    Schirach erfolgt war, profilgebend an sei-nem Aufbau beteiligt gewesen. Unverdienterrger und ungerechtfertigte Vorwrfe imHinblick auf unreflektierte Kontinuitt?

    Erst 2001, sechzehn Jahre nach KindermannsTod und Dietrichs Emeritierung, entdeckte dieMitarbeiterin am Institut fr TheaterwissenschaftEva Krivanec die Zustnde an KindermannsHof. Evelyn Deutsch-Schreiner, heuteProfessorin an der Kunstuniversitt Graz, ge-lang es noch, zu Heinz Kindermanns Lebzeitenin ihrer Dissertation aus dessen Buch ber das

    Burgtheater (Erstauflage 1939, zweite Auflage1944!) ohne ein Wort der Distanzierung eineStelle ber die Direktion Jelusich zu zitieren: Eskam jedoch nicht zur Bespielung des [fr eindeutsches Theater mit deutschem Spielplan ge-pachteten Raimund-] Theaters, weil die WienerStadtverwaltung in den letzten Monaten derSchuschnigg-Zeit in der heimtckischsten Weisedie Erffnung ... verhindert hatte. Deutsch-Schreiner setzt, immer unter Verwendung derQuelle Kindermann, fort: Mirko Jelusich, derder Direktor dieses judenfreien Theaters ge-

    worden wre, brauchte sich nicht sehr lan-ge zu gedulden: Am 12. Mrz 1938 wurdeer Direktor des Burgtheaters. So war es dieschnste Genugtuung, dass man ihm nun we-nigstens den neuen Einsatz und bergang dergrten Sprechbhne der Ostmark, ja eines derbedeutendsten Theater der ganzen Nation derDeutschen, anvertraute. Das klingt noch ver-gleichsweise unverfnglich. Im Zusammenhangund in der berarbeiteten zweiten Auflage vonKindermanns Buch lautet die entsprechendeStelle, die an Deutlichkeit nichts zu wnschenbrig lsst, so: Gleichwohl war die Aufgabe,

    die Dr. Mirko Jelusich im Augenblick des ju-belnden Anschlusses und der nationalsozialisti-schen Befreiung bernahm, unendlich schwie-rig. Man hatte Jelusich nicht nur als einender alten ostmrkischen Nationalsozialistenund als bekannten Dramatiker, sondern auchdeshalb als Wegbereiter des bergangs beru-fen, weil die Wiener Stadtverwaltung in denletzten Monaten der Schuschniggzeit in derheimtckischesten Weise die Erffnung einesunter seiner Leitung vorgesehenen judenfrei-en Privattheaters verhindert hatte. Evelyn

    Deutsch-Schreiner vermeidet auch den Hinweisauf Heinz Kindermanns Verdienste um einenationalsozialistische Kulturpolitik bereits inden Jahren vor dem Anschluss sterreichs,als die NSDAP in sterreich verboten war, mitder sich Kindermann in der ihm angeborenen

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    Bescheidenheit brstet, zugleich dokumentie-rend, welchen Einfluss Nationalsozialisten, gegendie offizielle Politik, selbst unter sozialdemokra-tischen und christlichsozialen Ministern (nur?)der Zwischenkriegszeit hatten, ohne dass dasihrer Karriere unter sozialdemokratischen undchristlichsozialen Minister der Nachkriegszeitnachhaltig geschadet htte. Kindermann: Da ge-lang es dem Schreiber dieser Zeilen, wenigstensin bescheidenem Mae das Schlimmste hintan-zuhalten. Der erste Unterrichtsminister des kleingewordenen Rumpfsterreich, der deutschvl-kische Vertreter der Sudetendeutschen im soge-

    nannten Konzentrationskabinett, StaatssekretrRaphael Pacher, hatte mich als blutjungen Doktorder Germanistik ins Unterrichtsministeriumgeholt. Er erwartete von mir, der als Studentschon vor vlkischen Arbeitergruppen ge-sprochen hatte und fr ein vlkisch ausge-richtetes Volksbildungswesen eingetretenwar, die Neueinrichtung einer Abteilung frErwachsenenbildung, Kunsterziehung undVolksbchereiwesen. Schon im Augenblickmeines Dienstantrittes war das erste Kabinettgestrzt, und die Sudetendeutschen wurden

    zwangsweise der Tschechoslowakei einver-leibt. Seitdem hatte ich mein Referat siebenJahre lang unter einem sozialdemokratischen,sonst unter lauter christlichsozialen Ministernzu fhren. Aber mit indirekter Untersttzungder Grodeutschen konnte ich trotzdem in-mitten dieser sonst so trostlos-parlamenta-rischen Splitterung und Zerfahrenheit einigebescheidene Neuerungen durchsetzen. EvelynDeutsch-Schreiner verschweigt, wer damals inKindermanns eigenen Worten dessen segensrei-che Arbeit als administrativer Referent fr dasBurgtheater behindert hat: Die jdisch-marxi-

    stische Presse, die meine vlkische Einstellung

    kannte, schimpfte und brachte Karikaturen vonmir. Aber dem jungen alten Kmpfer und tapfe-ren Krieger fr die Sache eines nationalsozialisti-schen Theaters, dessen Einstellung in der von ihrbearbeiteten Zeit auch Frau Deutsch-Schreiner beim Studium im Michaelerkuppeltrakt derHofburg, wo Kindermann im Kriegsjahr 1943ein Zentralinstitut fr Theaterwissenschaft [...]errichten und bald nach dem Zusammenbruchdes Nationalsozialismus wieder leiten durfte,zur Kenntnis gelangen musste, ohne dass siedeshalb zum Schimpfen Anlass gefunden ht-te, blieb der Erfolg dennoch nicht versagt: Der

    Gefahr, ein Theater fr Schieber und Literatenzu werden, ist das Burgtheater damit entgan-gen. Was darber hinaus noch hundertfltigntig gewesen wre, konnte und kann freilicherst der Nationalsozialismus bereinigen. KeinKommentar in Deutsch-Schreiners Dissertation.Karrieren hinterlassen in sterreich brei-te Schleimspuren. Und wer da meint, dieZitate kommentierten sich selbst, kennt diesterreicherInnen nicht. Aus KindermannsStzen sprechen fr sie siehe unten le-diglich die nationalsozialistischen Ideale,

    und wer htte schon etwas gegen Ideale. ()Auf dem Gebiet der Hochschullehre war derTheaterwissenschaftler Heinz Kindermanndie Regel, nicht die Ausnahme. In denspten fnfziger Jahren und weit in diesechziger Jahre hinein gab es, wie im er-sten Teil des Kuriosittenkabinetts imJuni dieses Jahres belegt, am GermanistischenInstitut der Universitt Wien nicht einen einzi-gen Ordinarius, der nicht eifriges Mitglied derNSDAP gewesen wre. Kindermann zeichnetesich lediglich durch besondere Verbissenheit

    aus. Das wusste lngst, wer es wissen wollte.

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    THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER

    Das Institut fr Theaterwissenschaft in einemSeitentrakt der Hofburg, der so genanntenBatthyanystiege gleich gegenber der Wohnungim kaiserlichen Ambiente, die der Staat Gottfriedvon Einem und Lotte Ingrisch zur Verfgunggestellt hat, hatte seine Leichen im Keller wieJosef Fritzl seine Kinder. Man vermied es blo,in den Keller hinunter zu gehen, wenn manoben, im Institut, seinen Aufstieg vorbereitete.Und so werden uns nun, da die Betroffenentot sind, alle paar Jahre Entdeckungen pr-sentiert, die hchstens belegen, wie man ausder jahrelangen bewussten Unterdrckung

    der Wahrheit ein weiteres Mal Profit schla-gen kann. Der Fall Kindermann ist heute nurnoch von historischem Interesse. Aktuell wreeine Untersuchung ber Motive und Taktikenderer, die ihre Karriere auf Komplizenschaftmit den kaum geluterten Nazis und auf pardon Arschkriecherei aufgebaut habenund zum Teil heute noch Lehrsthle besetzen.

    Kindermanns Schriften befinden sich nachwie vor unkommentiert in den Bibliothekender Univiersitt Wien. Trotz ihrer NSDAP-

    Mitgliedschaft, soll in naher Zukunft eine Straein Wien-Floridsdorf nach Margret Dietrich be-nannt werden, bemerkt die BasisgruppeTheater-, Film und Medienwissenschaftan der Universitt Wien im Internet. DasErstaunen zeugt von Weltfremdheit.Nicht trotz, sondern wegen!Vergeblich sucht man im Roten Wien

    des Ex-Burschenschaftlers Michael Hupl eineMarie-Jahoda-Strae, eine Rudolf-Carnap-Allee,einen Karl-Popper-Park, einen Hanns-Eisler-Platz oder eine Erich-Fried-Gasse. Dafr gibtes eine Jahngasse, einen Wagner-Jauregg-Weg,

    eine Strae mit dem Namen und dem akade-mischen Grad Dr. Johann Schobers, der 1927demonstrierende Arbeiter niederkarttschenlie und den Karl Kraus deshalb zum Rcktrittaufgefordert hat, sowie einen Ring, einenPlatz und eine Brcke, die nach Hupls anti-semitischem Vorgnger, dem christlich-sozialenBrgermeister Dr. Karl Lueger benannt sind. Dasssich der Floridsdorfer Bezirksausschuss dieserTage entschlossen hat, doch auf die Margret-Dietrich-Gasse zu verzichten, ist die eigentlicheSensation. Die von der Basisgruppe in die nahe

    Zukunft verlegte, laut Pressemeldung vom 3.September 2008 aber bereits vor zwei Jahrenerfolgte Benennung, von der die nun fr dieAbmontage flligen Straenschilder zeugen,muss hingegen als normal gelten.

    Die Basisgruppe Theaterwissenschaft kommen-tiert nicht nur Straenbenennungen. In einemDiskussionsforum sieht sie sich, wie sie gewun-den einleitet, gezwungen (wer zwingt sie?),folgende Stellungnahme abzugeben: Dankder Podiumsdiskussion wissen wir jetzt jeden-falls, dass manche Menschen scheinbar einenber den Durst trinken mssen, um Nazis wieHeinz Kindermann, als ebensolche zu benen-nen. Doch auch andere, an diesem Abend zumbesten gegebenen Anekdoten, lieen uns rat-los bis entsetzt zurck. Wenn ein mittlerweilepensionierter Universittsprofessor seine

    Verdrngungs-Karriere im Jahr 2008 als (schlech-ten) Witz verkleidet und derartige uerungenohne deutlichen Protest verhallen, sagt das nichtnur etwas ber die postnationalsozialistischensterreichischen Verhltnisse im Allgemeinen,sondern auch viel ber jene am Institut frTheater-, Film- und Medienwissenschaft imBesonderen aus. Fr die Form dieser zahmenKritik entschuldigen sich die Studierenden amEnde des Statements. Sie spielen damit auf ei-nen Diskussionsbeitrag des Ex-OrdinariusWolfgang Greisenegger an, in dem er erzhlt

    hatte, dass er als junger Assistent HeinzKindermann auf irgendeiner Feier nach einigenGlsern Wein seine Meinung zu dessenVergangenheit gesagt und sich am nchsten Tagbei ihm fr die Form, nicht aber fr den Inhaltentschuldigt habe.

    Aber schon solche harmlosen Stze beunruhi-gen die angeblich um historische Wahrheit be-mhten Ausstellungs- und BuchmacherInnenBirgit Peter und Martina Cuba, die bis vor kur-zem noch Martina Payr hie. Sie halten es freinmalig, dass Studierende und Lehrende ega-

    litr zusammenarbeiten. (Ja was tut man denn

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    sonst an einer sterreichischen Hochschule,mchte man erstaunt nachfragen.) Auf derWebsite der Universitt erklren sie nach die-sem revolutionren Bekenntnis zu einer didakti-schen Selbstverstndlichkeit diensteifrig, aberunter Missachtung von Kommaregeln: DemVorwurf einer Auseinandersetzung nach derMode wollen wir eine gewissenhafte, serise,kritische Auseinandersetzung mit dem Eigenenentgegenstellen. Dazu gehrt unserer Meinungnach eben diese verschiedenen Generationen zuWort kommen zu lassen, um berhaupt eine f-fentliche Diskussion um NS-Vergangenheit und

    Strategien bzw. Strukturen des Nicht-Sprechensnach 1945 fhren zu knne. Dass eine

    Podiumsdiskussion keine hinreichende Antwortoder Erklrung solch komplexer gesellschaftli-cher und politisch-ideologischer Vorgnge ge-ben kann erscheint uns nicht verwunderlich. Einsolches Forum kann aber leisten, dass gespro-chen wird. Auerdem war es uns wichtig, aufdieses Podium so unterschiedlichePersnlichkeiten und deren Zugnge zum Thema

    NS-Aufarbeitung einzuladen, wie sie durch:Gernot Heiss, Hilde Haider-Pregler, OliverRathkolb, Wolfgang Greisenegger, VeronikaZangl und Peter Roessler reprsentiert wurden.Diese Diskussion war die erste ffentliche zumThema NS-Grndung des Instituts. Sichtbar wur-

    de der groe Diskussions- und Forschungsbedarf.Deshalb begrten wir auch sehr, dass dieBasisgruppe die Diskussion weiterfhren woll-te, kritisieren aber die Polemik gegen Vertretereiner anderen Generation. Da uns Polemik nichtals angemessenes wissenschaftlichesInstrumentarium zur Erforschung gesellschafts-und wissenschaftspolitischer Konstellationenim postnazistischen sterreich erscheint.

    Polemik ist der vage Begriff, mit dem man jedeMeinung herabsetzt, die einem nicht passt.Verrterisch ist dabei, wie aus der Erforschung

    der Theaterwissenschaft in der Zeit desNationalsozialismus flugs die Erforschung ge-

    sellschafts- und wissenschaftspolitischerKonstellationen im postnazistischen sterreichwird. Die Angegriffenen haben erkannt, worumes geht und dass es sich keineswegs um