Realismus 1848-1870, bzw. I Geschichtlicher Hintergrund ...westensee.org/download/deutsch/realismus_lang.pdf · 1848-1850 Deutsch-Dänischer-Krieg: Der erste deutsch-dänische Krieg

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  • Realismus 1848-1870, bzw.

    I Geschichtlicher Hintergrund

    1848 Revolution: Februar in Frankreich März in DeutschlandZiel: Durchsetzung liberaler,

    nationaler und teilw. sozialer Forderungen, demokratische Verfassung, Aufhebung der

    Karlsbader Beshlüsse von 1819

    Vorboten der Revolution:

    -Erfolge der Liberalen in Preußen 1847

    -Selbstvertrauen der Bürger ist gewachsen

    -wirtschaftliche Schwirigkeiten und Mißernten haben die allgemeine erregung verstärkt

    -Unzufriedenheit mit dem Zensuswahlrecht (Wahlrecht, das an den Nachweis eines

    bestimmten Besitzes, Einkommen oder einer bestimmten Steuerleistung gebunden ist

    (Zensus)

    -Unzufriedenheit mit der Regierung

    -soziale Umsturzpläne der Radikalen führen zum Sturz des Bürgerkönigs und zu

    sozialistischen Maßnahmen (Recht auf Arbeit)

    -Vorbild französische Februarrevolution

    Wichtigste Ereignisse im März 1848:

    - in nahezu allen dt. Staaten kam es zu Versammlungen, Demonstrationen und z.T. zu

    gewaltsamen Aktionen

    -in den deutschen Mittel und Kleinstaaten erzwingen die Volksmassen liberale Ministerien

    -in Österreich, Böhmen und Ungarn erheben sich die Landstände

    -am 31. März trat in der Pauluskirche in Frankfurt ein Vorparlament zusammen, das eine

    deutsche Verfassung beraten soll. Der Ausbau eines Nationalstaates sollte einer einer

    gewählten verfassungsgebenden Nationalversammlung anvertraut werden. (Frankfurter

    Nationalversammlung). In der Nationalversammlung bildeten die liberalen Gruppen die

    Mehrheit. Sie wollten die neue deutsche Verfassung mit den bestehenden staatlichen

    Gewalten ohne weitere Revolutionen auf dem Wege der Vereinbarung verwirklichen. da

    sich die Verfassungsberatungen wegen der Parteiengegensätze innerhalb der Frankfurter

    Nationalversammlung sowie aufgrund der vielfältigen Probleme in die Länge zogen, konnten

    die alten Mächte die Zeit für die politische Gegenoffensive nutzen. Zunächst wurde die

    Revolution in Österreich militärisch niedergeworfen. Danach setzte der preußische König

    Friedrich Wilhelm der IV seine Truppen gegen die preußische Nationalversammlung ein, die

    am 05.12. 1848 aufgelöst wurde.

    am gleichen Tag erließ der König eine preußische Verfassung.

    Warum mußte die Revolution scheitern?

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    -sie hatte in einer schwierigen Situation zu viele Aufgaben zu bewältigen:

    1. den deutschen Nationalstaat zu begründen

    2. die politische Freiheit eines jeden Bürgers durch die Verfassung zu gewährleisten

    3. die soziale Frage, die sich durch das Massenelend des Vormärz stellte zu lösen.

    Anmerkung: Vormärz ist die Epoche zwischen dem Wiener Kongreß 1815 und der Deutschen

    Revolution 1848/49. Der Vormärz ist gekennzeichnet durch denäußeren Frieden und

    gewatsam erzwungene Ruhe, durch Zersplitterung in zeitweise 39 Einzelstaate, die im

    Rahmen des Deutschen Bundes nur locker verbunden waren, durch eine reaktionäre

    Unterdrückung aller nationalen und Liberalen Bewegungen im Metternischen System, durch

    eine nur zögernd einsetzende Industrialisierung und ein besonders seit 1830 verbreitetes

    Massenelend, welches durch starkes Bevölkerungswachstum bei fehlenden neuen

    Arbeitsmöglichkeiten sowie durch die Bauernbefreiung und Aufhebung der Zunftsverfassung

    bedingten Veränderungen des Gesellschaftsgefüges. Auf dem Land gekennzeichnet durch sehr

    arme Kleinbauern und Tagelöhner ohne regelmäßige Arbeit, in den Städten durch arbeitslose

    Handwerker, wurde das MassenelendPauperismus durch Mißernten und Hungersnöte in

    den 40er und 50er Jahren verstärkt. Mit dem Durchbruch der industriellen Revolution um die

    Mitte des 19.JH. wurde der Pauperismus besiegt.

    Dabei wurde die Schwierigkeit der Situation durch drei weitere Umstände verschärft:

    1. Für jedes Problem boten sich mindestens zwei widerstreitende Lösungen an:

    -die nationale Frage war gekennzeichnet durch den Gegensatz der großdeutrschen und

    kleindeutschen Partei

    - die Verfassungsfrage durch die Alternative Republik oder konstitutionelle Monarchie

    -die soziale Frage wollten einige durch Rückkehr zur vorkapitalistischen Wirtschaftsordnung,

    andere durch staatliche und soziale Reformen auf der Basis der Demokratie lösen

    2. neben dem Gegensatz von Radikalen (wollten demokratische Republik auf der Grundlage

    sozialer Reformen, z.B. Struve, Fröbel) und Liberalen wirkte sich nachteilig aus das

    Deutschland kein politisches Zentrum besaß

    3. die europäischen Großmächte widersetzten sich der Deutschen Einigung.

    politische Kräfteverhältnisse waren bereits entscheidend zugunsten der etablierten Mächte

    verschoben, als die Frankfurter Nationalversammlung im

    März 1849 auf der Basis eines eines Kompromisses zwischen kleindeutschen Liberalen

    (politische Gruppierung, die eine Einigung Deutschlands unter preußischer Führung bei

    gleichzeitigem Ausschluß Österreichs anstrebte, waren überwiegend norddeutsche

    Protestanten) der und Demokraten ihre Reichsverfassung verabschiedete. Zwar setzte sich in

    der Frankfurter Nationalversammlung die kleindeutsche Konzeption durchsetzen, konnte

    allerdings erst in veränderter Form durch die Reichsgründung unter Bismarck verwirklicht

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    werden. Letzte Versuche der Radikalen, durch die Aufstände in Sachsen, Baden und der

    Pfalz die Revolution noch weiter durchzuführen, scheiterte an der militärischen Überlegenheit

    der preußischen Truppen.

    -die Nationalversammlung löst sich auf

    - Die Union soll ein Fürstenbund sein, Österreich lehnt auch diese kleindeutsche Lösung ab.

    Rußland steht hinter Österreich, weshalb Preußen keinen Krieg wagt. Der preußisch-

    österreichische Dualismus ist nur militärisch zu lösen.

    03. April 1849 schlug Friedrich Wilhelm IV von Preußen die ihm angebotene deutsche

    Kaiserkrone aus. Er will die Kaiserkrone weder vom Volk noch durch Krieg. Fürsten warfen

    Revolution nieder

    die Grundrechte sind in Deutschland zum erstenmal formuliert. Das deutsche Bürgertum

    hat die Einheit bejaht und die Revolution gewagt, doch der deutsche Nationalstaat kann nur

    gegen Österreich geschaffen werden.

    Heeresreform: Durch die Heeresreform soll die Heeresstärke der Bevölkerungszahl angepaßt

    werden. Dabei geht es auch um die Stellung des Heeres im Verfassungsstaat, um die Frage

    Parlament oder Königsheer

    1848-1850 Deutsch-Dänischer-Krieg: Der erste deutsch-dänische Krieg entzündete sich an

    dem Versuch Dänemarks, das mit Holstein (das zum Deutschen Bund gehörte) in Realunion

    verbundene Herzogtum Schleswig (das nicht zum Dt. Bund gehörte) zu annektieren. Im

    Rahmen der nationalliberalen Bewegung des 19.Jh. betonten Schleswig und Holstein

    zunehmend ihre Einheit und strebten verstärkt ihre Eigenständigkeit und den Anschluß an

    Deutschland an. Als 1848 das dänische Kabinett umgebildet und hauptsächlich mit

    Eiderdänen(wollten Einverleibung Schleswigs bis zur Eider) besetzt wurden, erhoben sich am

    23./24. März 1848 die schleswig-holsteinischen Stände und bildeten eine provisorische

    Regierung. Preußen eilte im Auftrag des Deutschen Bundes zur Hilfe, mußte jedoch unter

    britischem und russischem Druck mit Dänemark am 26. August 1848 den Waffenstillstand

    von Malmö schließen. Die provisorische Schleswig-holsteinische Regierung wurde zum

    Rücktritt gezwungen. Endgültig zum Abschluß kam dieser D-D-Krieg im Frieden von Berlin

    (2.Juli 1850).

    1850 1. Londoner Protokoll: hier forderten am Ende des ersten Deutsch-Dänischen Krieges

    Österreich, Großbritanien, Frankreich, Rußland, Schweden und Norwegen die Erhaltung des

    dänischen Gesamtstaates, garantierten dessen Integrität aber nicht. Preußen unterzeichnete erst

    in der Folge der Olmützer Punktation und gab damit Schleswig -Holstein preis.

    29.Nov. 1850 Olmützer Punktation: von Preußen und Österreich in Olmütz geschlossener

    Vertrag, der einen Schlußstrich unter den Versuch König Friedrich Wilhelms IV von Preußen

    zog, die in der Frankfurter Nationalversammlung gescheiterte deutsche Einheit unter

    preußischer Führung auf antirevolutionärenm Wege zu verwirklichen.

  • 4

    1852 2. Londoner Protokoll vom 8. Mai : regelten die Signatarmächte des 1. Protokolls die

    Thronfolge im Gesamtstaat Dänemark zugunsten Prinz Christians IX, nachdem er zugesichert

    hatte, die territorialen und machtpolitischen Verhältnisse der Herzogtümer Schleswig und

    Holstein nicht zu verändern.

    1858-1888 Wilhelm der I (bis 1861 Prinzregent, 1871 deutscher Kaiser)

    1862 Bismarck Ministerpräsident

    1864: Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark, das 1863 die Abmachungen des

    2. Londoner Protokoll dadurch brach, daß es eine Verfassung für das ganze dänische Land,

    einschließlich Schleswig, erließ und damit erneut Schleswig von Holstein abzutrennen

    versuchte. Am 1. Februar 1864 überschritten- wiederrum im Auftrag des Deutschen Bundes-

    preußische und Österreichische Truppen die Grenzen Schleswig-Holsteins und zwangen

    Dänemark zum Frieden von Wien. (30.Oktober 1864) Dänemark trat die Herzogtümer

    Schleswig und Holstein ab, die bis 1866 unter preußisch-österreichisches Kondominium

    gestellt wurden.

    1866 Krieg Preußens gegen Österreich und seine Bundesgenossen, der preußisch-

    österreichische Dualismus um die Führung im Deutschen Bund sowie die Spannungen wegen

    der seit 1864 unter preußisch Österreichischen Kondominum stehenden Elbherzogtümer

    Schleswig und Holstein führten 1866 zum Deutschen Krieg. Preußen verbündete sich mit

    Italie, das die Österreichischen Truppen im Süden band, erklärte am 14.Juni 1866 Österreich

    den Krieg, das seinerseits von Sachsen, Hannover und Kurhessen unterstützt wurde. Die

    Entscheidung fiel in Böhmen: Nachdem Preußen zuvor Hannover geschlagen hatte, siegten

    die preußischen Armeen nach einem unkonventionellen Plandes preußischen

    Generalstabschefs von Moltke bei Königgrätz am 03.Juli 1866 über die österreichische

    Nordarmee und die mit ihr verbündeten Sachsen. Im Frieden von Prag wurde der Deutsche

    Bund aufgelöst; Österreich verlor Venetien und alle Rechte in Schleswig-Holstein

    , ebenso Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main an Preußen. Hiermit war die

    politisch-militärische Macht Preußens in Deutschland gesichert und führte zur Gründung des

    Norddeutschen Bundes: Bundesstaat von 22 Mittel-und Kleinstaaten sowie freien Städten

    nördlich der Mainlinie, wurde von Bismarck beabsichtigt und war die wichtigste

    Zwischenstufe im Prozeß der Entstehung des Deutschen Reiches. Wirtschaftlich und

    militärisch stand der N.B. unter der faktischen und der durch die am 17. April 1867

    verkündete, am 01.07.1867 in Kraft getretene Verfassung auch institutionell verankerten

    Hegemonie Preußens. Durch den Deutschen Zollverein waren auch die süddeutschen Staaten

    mit dem N.B. verbunden, durch das System der militärischen Schutz-und Trutzbündnisse

    wurden ihre Streitkräfte für den Kriegsfall unter den Oberbefehl des Königs von Preußen

    gestellt. Der N:B: war als Provisorium gedacht, da die abwartende Haltung der süddeutschen

    Staaten, aber auch der Widerstand Frankreichs 1866 den Weg zu einer kleindeutschen Lösung

    der deutschen Frage versperrte. Die liberalen und föderalistischen Elemente des N.B. kamen

    den süddeutschen Staaten entgegen, die unverkennbare Tendenz zur Absicherung der

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    preußischen Hegemonie war Ausdruck der Reichsgründung von oben. Zu Beginn des

    Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 schlossen sich die süddeutschen Staaten dem N.B.

    an, der, so erweitert, im Dezember 1870 den Namen Deutsches Reich annahm und dessen

    Verfassung im wesentlichen in die Reichsverfassung von 1871 übernommen wurde.

    1870/71 Deutsch-Französischer Krieg

    Den äußeren Anlaß zum D-F.Krieg gaben die spanische Thronkandidatur eines Mitgliedes des

    Hauses Hohenzollern und die Emser Depesche (Telegramm des Geheimrats H. Abeken vom

    13. Juli 1870 aus Bad Ems, in dem er Bismrck über die Gespräche des dort zur Kur weilenden

    preußischen Königs Wilhelm I. mit dem französischen Botschafter Graf Benedetti

    unterrichtete. Benedetti hatte nach dem Verzicht des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-

    Sigmaringen auf die spanische Thronfolgekandidatur weitergehende preußische

    Zugeständnisse gefordert, die der König jedoch ablehnte.), auf deren Veröffentlichung in

    verkürzter und dadurch in inhaltlich verschärfter Form durch Bismarck Frankreich unter

    Napoleon III. am 19.Juli 1870 mit einer Kriegserklärung an Preußen reagierte. Unter Führung

    des preußischen Generalstabschefs Moltke drang in den ersten Augusttagen die deutsche

    Armee in Frankreich ein; ein Teil der des französischen Heeres wurde bei Metz eingeschlosse;

    der deutsche Sieg bei Sedan bedeutete das Ende des französischen Kaiserreiches. Die nach

    Ausrufung der Dritten Republik aufgebotenen Massenheere leisteten den deutschen Truppen

    wirkungsvollen Widerstand. Die militärische Entscheidung fiel im Januar 1871 vor der seit

    dem 15. September 1870 von deutschen Truppen eingeschlossenen französischen Hauptstadt

    Paris. Am 28. Januar 1871 kam es zum Waffenstillstand. Eine neue französische

    Nationalversammlung sollte entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen Frieden zu

    schließen sei. Nach dem Vorfrieden von Versaille (26. Februar 1871) folgte im Mai 1871

    der Frankfurter Friede, in dem Frankreich Elsaß und Lothringen an Deutschland abtrat und

    sich zur Zahlung von 5 Mrd. Francs als Kriegsentschädigung verpflichtete. Der D-F.K.

    1870/71 förderte entscheidend die seit 1868 stagnierende deutsche Einigungsbewegung

    (Reichsgründung). Noch während der Belagerung von Paris fand am 18.Januar 1871 im

    Spiegelsaal von Versailles die Kaiserproklamation statt, die zum bildhaften Ausdruck für

    die Gründung des Deutschen Reiches wurde.

    1871 Deutsches Reich amtliche Bezeichnung des deutschen Staates 1871-1945. Die

    Gründung des D.R. kann nicht auf den 18. Januar 1871, die Ausrufung Wilhelm I zum

    Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versaille festgesetzt werden, sondern vollzog sich in

    einzelnen Etappen, geginnend mit der Deutschen Revolution, über den Deutschen Krieg von

    1866 und die Gründung des Norddeutschen Bundes von 1867 bis zum Deutsch-Französischen

    Krieg 1870/71. Die reichsverfassung von 1871, die aus der Verfassung des Norddeutschen

    Bundes und den Bündnissen mit den süddeutschen Staaten hervorging, stellte den Endpunkt

    dieser Entwicklung dar. Aus historischen Gründen und um die partikularen Interessen und die

    unterschiedlichen Verfassungen der deutschen Staaten mit dem Einheitsgedanken in Einklang

    zu bringen, entstand das D.R. als konstitutinell-monarchischer Bundesstaat auf der Grundlage

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    eines Fürstenbundes. Staatsoberhaupt war bis 1918 der preußische König als deutscher Kaiser.

    Daneben standen die Bundesfürsten die Regenten der einzelnen Flächenstaaten.

    Anmerkung: Bismarcks Bündnissystem

    Nach 1871 war die Außenpolitik Otto von Bismarcks auf Erhaltung und Sicherheit der der

    gegebenen territorialen und machtpolitischen Verhältnisse ausgerichtet. Die Revanche

    Frankreichs für den verlorenen Krieg 1870/71 und v.a. für den Verlust Elsaß-Lothringen

    fürchtend, strebte Bismarck das Ziel der Auskreisung und Isolierung Frankreichs und die

    gleichzeitige Einbindung des Deutschen Reiches in ein umfassendes europäisches

    Bündnissystem an. Grundlage dafür war die Vorstellung des Gleichgewichts der europäischen

    Mächte, wechselseitiger Sicherheit, Ablenkung europäischer Gegensätze an die

    Peripherie(Kissinger Diktat von 1877) und die Furcht, vor einem Deutschland gefährdenden

    Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Rußland. Bismarcks Bündnissystem (Dreikaiserbund

    1873 u.1881, Zweibund, Dreibund, Mittelmeerabkommen sowie der

    Rückversicherungsvertrag 1887 war nicht auf einen Kriegsfall konzipiert, sondern sollte die

    europäische Friedensordnung stützen. Erst gegen Ende seiner Kanzlerschaft wurden in der

    französisch-russischen Annäherung die Grenzen seines Systems sichtbar.

    1873 Dreikaiserbund und 1881 Informelles Bündnisverhältnis zwischen dem Deutschen

    Reich, Österreich-Ungarn und Rußland, das bei einem Treffen der drei Monarchen im

    September 1872 in Berlin vereinbart worden war und der Auskreisung Frankreichs dienen

    sollte. Auf der Basis dieses Treffens kam es 1873 zu einem in der praktischen Bedeutung

    zweifelhaften deutsch-russischem Militärabkommen und zwischen Österreich und Rußland zu

    einem Konsultativabkommen, dem auch das Deutsche Reich beitrat und in dem die drei

    Mächte sich im Falle einer europäischen Krise zu gegenseitiger Verständigung über eine

    gemeinsame Handlungsweise verpflichteten.

    Der russisch-österreichische Gegensatz in der Balkanfrage blieb jedoch beherrschend und

    wirkte sich vor allem nach dem Berliner Kongreß 1878 auch auf den Dreikaiserbund aus.

    Dennoch gelang es Bismarck 1881 erneut ein Dreikaiserbündnis abzuschließen, in dem sich

    die drei Partner Neutralität beim Angriff einer vierten Macht zusicherten. Die sich nach 1886

    zuspitzende Balkankrise ließ den Dreikaiserbund endgültig zerbrechen. Das Deutsche Reich

    suchte Ersatz im Rückversicherungsvertrag.

    1877 Kissinger Diktat vom 14.Juni 1877 Während eines Kuraufenthaltes in Bad Kissingen

    legte Bismarck am 15.Juni 1877 seine Grundgedanken über seine Außenpolitik des Deutschen

    Reiches nieder. Der durch die Mittelllage Deutschlands bedingte Alpdruck möglicher

    Bündnisse gegen das Deutsche Reich erfordere eine Politik, durch die die bestehenden

    Spannungen zwischen den europäischen Mächten insbesondere zwischen Österreich und

    Rußland sowie Großbritanien und Frankreich erhalten werden sollen, so daß sie sich nicht

    untereinander gegen Deutschland verbünden können, sondern vielmehr, mit Ausnahme

    Frankreichs-auf das Reich angewiesen und an Deutschland gebunden seien.

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    1878 Berliner Kongreß Zusammenkunft führender Staatsmänner der europäischen

    Großmächte Großbritanien, Frankreich, Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien

    sowie der Türkei in Berlin. Anlaß war der Vorfriede von San Stefano 1878, durch den

    Rußland seinen Einfluß auf dem Balkan so vergrößert hatte, daß Großbritanien von

    Österreich-Ungarn sich in ihren Interessen bedroht fühlten. Unter dem Vorsitz des deutschen

    Reichskanzler Bismarcksd, der das deutsche Desinteresse am Balkan bekundet hatte, wurde

    ein Kompromiß ausgehandelt. Der Berliner Kongreß vermehrte zwar das internationale

    Ansehen Deutschlands, die Machtminderung jedoch, die Rußland hinnehmen mußte, bewirkte

    eine Abkühlung des deutsch-russischen Verhältnisses und der russisch-österreichischen

    Rivalität auf dem Balkan.

    1879 Zweibund Defensiver Bündnisvertrag zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen

    Reich vom 07.Oktober 1879. Beide Mächte verpflichteten sich bei einem Angriff Rußlands

    oder dessen Unterstützung für eine andere angreifende Macht (Frankreich) zu

    wechselseitigem Beistand. Der politische Hintergrund des Vertrages lag im deutsch-

    französichen Krieg 1870/71 und in der russisch-österreichischen Rivalität auf dem Balkan.

    Der Zweibund wurde abgeschlossen, als Rußland aus Enttäuschung über mangelnde deutsche

    Unterstützung auf dem Berliner Kongreß mit Drohgesten reagierte sowie vor dem Hintergrund

    von Bismarcks Furcht vor einer britisch-französischen-österreichischen Allianz gegen das

    Deutsche Reich. Mit dem Verfall des Bismarckschen Bündnissystems unter seinen

    Nachfolgern wurde der Zweibund zum Fundament der Außénpolitik des Deutschen Reiches.

    1881 Dreikaiserbund siehe 1873

    1882 Dreibund Am 20. Mai 1882 abgeschlossenes, bis zum ersten Weltkrieg mehrfach

    erneuertes geheimes Verteidigungsbündnis zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-

    Ungarn und Italien. Die vertragsschließenden Parteien sicherten sich gegenseitig

    Unterstützung bei einem Angriff von zwei oder mehreren Großmächten auf einen der

    Vertragspartner zu; im Falle eines Krieges zwischen einem der Bündnispartner mit einer

    Großmacht sollten die unbeteiligten Partner Neutralität bewahren.

    1887 Mittelmeerabkommen und Rückversicherungsvertrag

    Mittelmeerabkommen: Zwei zwischenstaatliche Vereinbarungen von 1887 zur Sicherung

    des Status quo(=der bestehenden territorialen und machtpolitischen Verhältnisse) im Balkan-

    und Mittelmeerraum. Am 12. Februar 1887 verpflichtete sich Großbritanien und Italien, denen

    sich am 24. März auch Österreich-Ungarn anschloß (Mittelmeerdreibund), die bestehenden

    Machtverhältnisse im Mittelmeer aufrecht zu erhalten. (Sicherung des britischen und

    italienischen Einflusses im Mittelmeerraum). Am 12/16. Dezember 1887 vereinbarten

    dieselben Mächte die Aufrechterhaltung des Status Quo im Orient und Sicherung der

    Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches. Beide Abkommen waren nicht Verträge im

    eigentlichen Sinn, da sie jeweils nur durch geheimen Notenaustausch der Partner zustande

    kamen. Sie erloschen stillschweigend, als Großbritanien die Anträge auf Erneuerung 1895 und

    1896 stillschweigend ablehnte. Die Vereinbarungen waren wichtige Ergänzungen zu

  • 8

    Bismarcks Bündnissystem, da sie Großbritaniendem Dreibund näherbrachten und Österreich-

    Ungarn gegenüber Rußland stärkten. Bismarck förderte deshalb ihr Zustandekommen und

    schloß sich ihnen aber wegen des gegen Rußland gerichteten Inhalts aus Rücksicht auf den

    deutsch-russischen Rückversicherungsvertrag nicht an.

    Rückversicherungsvertrag: Am 18. Juni 1887 zwischen dem Deutschen Reich und Rußland

    geschlossener Geheimvertrag mit dem Bismarck als Ersatz für den Dreikaiserbund eine

    Sicherung gegen einen drohenden Zweifrontenkrieg zu gewinnen suchte. Mit diesem Vertrag

    verpflichteten sich die Vertragspartner zur Neutralität, falls Deutschland von Frankreich oder

    Rußland oder Rußland von Österreich-Ungarn angegriffen werden sollte. Bei provoziertem

    Krieg, der von einer der vertragsschließenden Parteien ausgehe gelte jedoch das beidseitige

    Neutralitätsversprechen nicht. Ein Zusatzprotokoll erkannte die russischen Interessen in

    Bulgarien und am Bospurus an, widers�õ-��åh��-�.� €� �Geist des Deutsch-

    österreichischen Zweibunds, des Dreibunds und der von Bismarck untersützten

    Mittelmeerabkommen. Der Rückversicherungevertrag hatte eine Laufzeit von drei Jahren,

    wurde aber 1890 von Deutschland nicht mehr erneuert, was Alexander III zum Bündnis mit

    Frankreich bewog.

    1888-1918 Wilhelm II 1888 Thronwechsel, eine Herschergeneration wird übersprungen. Der

    junge Wilhelm II ist ohne feste Ziele. Im Inneren wächst der Gegensatz zwischen

    Arbeiterbewegung und Regierung, Außenpolitisch weckt die Politik der freien Hand ûnd

    Aufrüstung das Mißtrauen der Großmächte. Neue Machtverhältnisse entstehen, Bismarcks

    Bündnissystem löst sich auf.

    1890 Entlassung Bismarcks-Rückversicherungsvertrag nicht erneuert

    Mit der Entlassung Bismarcks wurden in der Deutschen Außenpolitik seine Vorstellungen

    zugunsten eines neuen Kurses aufgegeben. Der neue Reichskanzler G.L. von Caprivi hielt

    einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Rußland für unvermeidlich und wollte daher die

    Bundesgenossen, v.a. Österreich-Ungarn, fester an Deutschland binden. So wurde auf seine

    Veranlassung 1890 der Rückversicherungsvertrag mit Rußland nicht mehr erneuert, wodurch

    Rußland frei wurde für ein Bündnis mit Frankreich.B.B. brach endgültig auseinander, als

    deutschland Großbritanien durch seine Flottenpolitik brüskierte und die

    Bündnisverhandlungen (1898-1901) scheitern ließ, ohne die britische Warnung, man werde

    mit Rußland und Frankreich zusammengehen, ernstzunehmen. Mit dem Abschluß der

    britisch-französischen Entente 1904 und der Tripelentente mit Rußland war aus der von

    Bismarck angestrebten Isolierung Frankreichs eine des Deutschen Reichs geworden.

    1898-1901 Bündnisverhandlungen

    1898 Beginn der Weltpolitik der USA

    1902 Englisch-japanisches Bündnis

    1904 britisch-französischen Entente

    Bezeichnung für das Verhältnis engen Einverständnisses weitgehender Interessenidentität in

    bestimmten politischen Fragen (Entente). Eine Entente kann muß aber nicht ihren Ausdruck in

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    einem formellen Bündnis finden. Die Entente cordiale bezeichnet das einem Bündnis

    nahekommende Verhältnis zwischen Großbritanien und Frankreich nach ihrer Einigung über

    koloniale Differenzen. Kern der Entente wurden später militärische Absprachen für den Fall

    eines Krieges gegen das Deutsche Reich. Durch den Beitritt Rußlands zu dem britisch-

    französischen Bündnis wurde die E.cordiale zur Tripelentente erweitert 1907.

    1905 Russische Niederlage im Krieg gegen Japan

    Das Übergreifen des russischen Imperialismus auf die Mandschurei und Korea und das

    japanische Großmachtstereben in Ostasien hatten bereits im letzten Jahrzehnt schwere

    Spannungen ausgelöst. Die russische Weigerung, Korea dem japanischen Einfluß zu

    überlassen, führte Anfang 1904 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch Japan

    und zur Zerstörung der russischen Kriegsflotte in Port Arthur. Rußland erfuhr eine Reihe von

    Niederlagen.

    1907 Tripelentente mit Rußland

    Historischer, politischer und sozialer Hintergrund

    Die deutsche Geschichte im zweiten und dritten Drittel ist durch zwei Entwicklungsstränge

    bestimmt, die in gewisser Weise divergent zueinander verlaufen:

    a)nationalpolitische

    b)wirtschaftlich technische Entwicklung

    Periodisierungsprobleme:

    a) Beginn

    Zwar legt die ältere Forschung (Hugo Bieber) den Beginn der neuen Epoche schon um 1830

    mit der Julirevolution, dem Tod Hegels und Goethes fest, so ist dies zumindest teilweise

    dadurch gerechtfertigt, daß auch das Biedermeier und die Jungdeutschen sich in begrenztem

    Maße der Wirklichkeit zuwandten und realistische Tendenzen verfolgten. Doch die neuere

    Literatur legt kaum kontrvers den Beginn mit dem Revolutionsjahr 1848 fest.

    Das Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848/49 veränderte die Historisch-politische,

    geistige und literarische Lage in Deutschland so weitgehend, so daß man trotz

    Überschneidungen im Einzelfall (etwa bei Stifter und Hebbel) um die Mitte des Jahrhunderts

    den Beginn jener Periode ansetzen darf, die als bürgerlicher oder poetischer Realismus

    bekannt wurde. Mit der Betonung der Zäsur 1848/49 ist der deutsche Realismus stärker als

    zuvor in den geschichtlich-politischen Zusammenhang eingebettet.

    Der ideelle Träger der 48 Revolution war das liberale Bürgertum, das für politische

    Selbstbestimmung und für die Einheit der Nation kämpfte. Durch Freiheit zur Einheit dieser

    Grundgedanke bezeichnete die gegen die Obrigkeisstaatliche Monarchie gerichtete,

    bürgerlich-demokratische Zielrichtung der Revolution. Eine tiefe Hoffnungslosigkeit und

    Niedergeschlagenheit beherrschte die zeitstimmung der nachrevolutionären Jahre. Das Prinzip

    der nationalen Einheit siegte über das Freiheitsverlangen. Das Bürgertum wollte ein

  • 10

    mächtiges, einheitliches Deutschland um jeden Preis, traute sich selbst eine Lösung des

    Problems aber nicht mehr zu. Spätestens nach dem Krieg mit Österreich 1866 war der

    großdeutsche Gedanke aufgegeben. Immer mehr Liberale schlugen sich auf die Seite

    Bismarcks und begruben damit ihre Hoffnungen auf eine freiheitliche Erneuerung

    Deutschlands. Der Grund für die Entwicklung zu einer bonapartischen Monarchie und zur

    Verpreußung Deutschlands liegt in der ideologischen Kapitulation des liberalen Bürgertums

    nach 1848. Die Einst demokratische Substanz des Einheitsstrebens wurde immer mehr

    verwässert. Der Liberalismus entpolarisierte sich, suchte ein neues Betätigungsfeld in

    Wirtschaft und Wissenschaft und neigte zusehends zu Kompromissen und Versöhnung. Die

    politisch-soziale Depression drückte sich in Schopenhauers pessimistischer Philosophie aus.

    Wirtschaftlicher Aufschwung des Bürgertums und weitreichender Einfluß materialistischen

    Denkens bedingten sich gegenseitig, und das Aufkommen des Positivismus in der

    Wissenschaft kennzeichnete einen Bruch mit den fortschrittlichen Grundlagen des Denkens

    vor 1848. Das Wirtschaftswachstum infolge der seit etwa 1850 beschleunigten

    Kapitalentwicklung ging Hand in Hand mit seelischer und geistiger Verarmung des

    Bürgertums.

    b) Ende

    Dissonanzen hinsichtlich der Enddatierung. Die literarische Entwicklung im letzten Jahrzehnt

    des Jahrhunderts ist derart vielschichtig, daß eine befriedigende Lösung nicht nicht gefunden

    werden kann.Das Ende der Periode mit dem Todesjahr Fontanes oder Meyer.

    II. Begriff des Realismus (Auffassungen):

    aus den theoretischen Äußerungen der Realisten läßt sich geschichtlich ein bestimmtes

    Formprinzip herausschälen, das von älteren und modernen Kritikern bürgerlicher oder

    poetischer Realismus genannt wird:

    a)poetischer Realismus

    Der Begriff stimmt tendenziell mit dem Sprachgebrauch der Zeit überein. Geprägt von Otto

    Ludwig, der in den 50ger seine Vorstellungen entwickelte. Diese wurden erst postum

    veröffentlicht (1871), so daß erst dort seine Position zum Literaturtheoretiker begründet

    wurde.

    Eigenständigkeit realistischer Dichtung, nicht bloße Widerspiegelung von Realität, sondern

    künstlerische Transformation.poetische Verklärung, Fontane

    Mittel: Auswahl poetischer Lebensmomente, Humor, Versöhnung und Verklärung

    "Poetischer Realismus zielte auf realistische Autonomie des dichterischen Sprechens und

    damit auf einen ihm eigenen Erkenntniswert. Im Kontakt mit der beobachteten und erfahrenen

  • 11

    Wirklichkeit, mit ihren Motivationen und Bedingungen, stellt der Dichter eine eigene Wirk-

    lichkeit her.

    Unter historischem Aspekt ist der Begriff des poetischen Realismus schon deshalb angreifbar,

    weil er teilweise auf die Literatur vor 1848 anwendbar ist. Andererseits ist der Begriff des

    bürgerlichen Realismus nur solange haltbar, wie das Atribut bürgerlich, das weder dem

    Lebensstandard noch dem Selbstverständnis der Schriftsteller jener Epoche entspricht, keine

    standesspezifische Bedeutung im Hinblick auf die Herkunft der Autoren erhält.

    b) Bürgerlicher Realismus

    Die Jahre nach 1848 waren

    a)Jahre der polit. Entmächtigung und Auflösung eines liberal-oppositionellen Bürgertums

    b) wirtschaftlich und gesellschaftliche Expansion, die den politischen Liberalismus zu einem

    Wirtschaftsliberalismus verengte, zu ökonomisch-industriellem Machtgewinn führte und auch

    auf die Bildung zurückwirkte.

    Das Bürgertum verstand sich nach 1848 aber gegenüber der Regierung und Adel als Schicht,

    der der wirtschaftlich demokratische und nationale, kulturelle und humane Fortschritt

    überantwortet war. Die Autoren entstammen dem Bürgertum. Trotz kritischer Distanz einiger

    Autoren (ältere Gottfried Keller, Raabe, Fontane) blieben sie an sie gebunden. Die Kritik am

    Bürgertum zielte auf deren Verteidigung gegenüber einer von ihnen abfallenden Wirklichkeit.

    Kapitalisierung, Technisierung, Bürokratisierung und Atomisierung der Gesellschaft brachten

    schon in den fünfziger Jahren die alte soziologische Dreiteilung in Adel, Mittelstand und Volk

    in Bewegung. Die industrielle Revolution legte den Grund für eine Veränderung und

    Umschichtung der Gesellschaft, die die nächsten Jahrzehnte entscheidend prägen sollten. Das

    Individuum wurde aus den althergebrachten ethischen und religiösen und sozialen Bindungen

    in eine Scheinfreiheit gesetzt, um dann in der Massengesellschaft völlig isoliert und dabei voll

    funktionalisiert zu werden. Die Entfremdung von der äußeren Welt warf den Menschen auf

    sich selbst zurück. Sein Realitätsbezug war entscheidend gestört und verunsichert, wenn auch

    in ganz verschiedener Weise, die beiden neuen soziologischen Typen der Zeit: den

    wirtschaftlich expansiven Erfolgsbürger, den Bourgois, und den von der Hand in den Mund

    lebenden Industriearbeiter, den Proletarier. Das Bürgertum versuchte durch seine Bindung an

    Kultur und Tradition sich gegen das Proletariat abzuschirmen. Der einstmals gegen den

    Feudaladel gerichtete emanzipatorische Bildungsgedanke richtete sich nunmehr als

    klassenbedingtes Vorrecht gegen die Unterschichten und wurde damit in seiner humanitären

    Substanz beraubt. Besitz und Bildung wurden deckungsgleich, was einer totalen

    Verdinglichung der Bildung gleichkam und besonders in der Gründerzeit häufig zu einer

    idealisierenden Verschleierung kapitalistischer Profitinteressen gleichkam.

  • 12

    Die vom Liberalismus in ihrer Unabhängigkeit verherlichte Persönlichkeit stand gegen die

    realen Zuständlichkeiten und Determinationen eines undurchsichtig gewordenen Weltganzen.

    Die Innerlichkeit des Ich wurde nicht nur von äußeren Mächten bedroht, sondern auch innere

    Wertmaßstäbe lösten sich auf. Das Ich geriet in einen Widerspruch mit sich selbst zu einer

    Zeit, da auch die Abwehr determinierenden Drucks durch äußere Mächte immer schwieriger

    wurde. Die Gefahr des Leidens an Vereinzelung und Vereinsamung, die die Dichtung sehr

    häufig gestaltete, liegt auf der Hand.

    Ihre Themen signalisieren eine Entwicklung, die von einer Positivität der Übereinstimmung

    mit der bürgerlichen Gesellschaftsideologie /etwa Gustav Freytag) zur Negation (der späte

    Raabe, Fontane, Keller) führt, die den Helden, indem er ihn die eigentlichen Werte zu

    behaupten sucht, resignieren oder scheitern läßt.

    Der Roman der bürgerlichen Aufstiegsillusion durch Erfüllung der gesellschaftlich-sittlichen

    Wertsetzungen (Freytags Soll und Haben 1855, Stifters Der Nachsommer) wird in der

    Produktion nach 1870/71 in der Gründerzeit zum Roman der Desillusion.

    Der Adel wird nur noch kritisch-negativ (Freytag, der jg. Raabe, Storm) oder (Fontane

    gesellschaftsproblematisch dargestellt. (Nur in der Unterhaltungsbelletristik bleibt, jedoch

    moralisch differenziert). Denn das Bürgertum glaubte, einen, eine human zivilisatorische

    Mission zu vertreten gegen den Klassenegoismus des Adels, an den man sich im Lebensstil

    gleichwohl gerne anpaßte.

    Die nach 1850 auftretenden Probleme (Industrieproletariat) werden fast gänzlich ignoriert.

    Aufgrund der Bildung städtischer Industriezentren, die die keleinen Handwerks und

    Manufakturbetriebe ablösten, und die durch die Heranziehung von Arbeitskräften bedingte

    Landflucht verursachten eine Proletarisierung weiter Schichten, die nichts besaßen außer ihrer

    Arbeitskraft. Hierdurch traten die Polarität von Stadt und Land immer deutlicher ins

    Bewußtsein. Die Literatur nimmt im Prozeß der demokratischen zum nationalen Liberalismus,

    dann zu konservativem Nationalismus, eine Selektion unter der Perspektive der bürgerl.

    Lebenswelt vor-sie legitimiert den Begriff bürgerlichen Realismus.

    Der literarisch versierte und kritische Leser war so nicht gegeben. Dem Niveaustand des

    Autors entsprach nun der Leser außerhalb der büprgerlichen Normalität. Rezeptionsselektiv

    wirkten sich nicht nur das Kunstniveau sondern auch die Regional differenzierende

    Dialektliteratur aus. (Fritz Reuter, Kain Hüsing) die zwischen Volk und Literatur zu

    vermitteln bemüht war. Erhebliche Steuerung in der Distribution kam den Leihbibliotheken

    zu. Selbst Storm, mit Selbstironie Raabe, orientierten sich hier an Geschmackspräferenzen.

    Rezeptionsanleitungen für ein literarisch wenig versiertes Publikum übernahmen bürgerliche

  • 13

    Familienzeitschriften (z.B. die Gartenlaube, gegr. 1852, 1860: 100.000, 1875: 400.000)

    Romanreihen und -zeitungen (Dt. Romanzeitung 1863)

    Roman und Erzählung gewannen Übergewicht. Die erzählende Prosa als vertrautes Mittel der

    Bewußtseinslenkung wie im Vormärz. Außerdem ist die erzählende Dichtung Wirklichkeits

    näher als die stilisierende Formen von Drama und Epos und konnte so eher für den einzelnen

    Menschen, der zwiscjen Innen und Außen, Ich und Welt, Vereizelung und Gemeinsamkeit

    den Ausgleich suchen.

    Mit dem Begriff der bürgerlichen Realismus dürfte mit der Breitendimension, der

    gesellschaftlich-geschichtliche, und literarische Ort in der zweiten Jahrhunderthälfte

    erfaßt sein.

    Fazit: der Begriff des Realismus zielt nicht auf die kategoriale Gleichsetzung von Dichtung

    und Wirklichkeit. Als Voraussetzung aller Definitionen sollte man sich die kategriale

    Differenz von Realität und fiktiver, künstlerisch hergestellter Wirklichkeit der Dichtung

    klarmachen, ohne dabei die geschichtlichkeit des Kunstwerks zu bestreiten. Erst dann läßt

    sich der Realismus als historischer Zeitstil umreißen, und man kann zu dem Ergebnis

    kommen, daß die Dichtung in dieser Zeit sich stofflich, thematisch, in ihren

    Problemstellungen und in ihren Formprägungen, also in der von ihr gedichteten, fiktiven

    Welt, an die Grenzen hält, die durch die natürliche oder endliche Erfahrung in Zeit, Raum,

    Kausalität und durch die seelisch-psychologische Erfahrung des Menschen als ein existieren

    in der Erfahrungswelt bestimmt werden. Realistische Dichtung bezieht ihr Material zwar aus

    der wirklichen Welt, verwandelt es aber unter spezifisch künstlerischen Form- und

    Strukturgesetzen und weist in ihrer autonomen Beschaffenheit als Symbolstruktur über die

    eigene Wirklichkeit hinaus in die reale Welt zurück. Eine solche Definition kennzeichnet aber

    nicht nur den bürgerlichen Realismus, sondern auch andere realistische Kunstrichtungen.

    Entscheidend für das Entstehen des bürgerlichen Realismus war eine Verunsicherung und

    Verstörung des Realitätsbewußtseins im Zeitalter der gescheiterten politisch-sozialen

    Revolution, des wirtschaftlich industriellen Aufschwungs und der Entwicklung zur modernen

    Massengesellschaft nach 1871 bei einer gleichzeitig explosierenden Anhäufung

    wissenschaftlicher Einzelerkenntnisse in Naturwissenschaft und Technik, Ökonomie und

    Psychologie. Die Objektivität des Tatsächlichen spaltete und zerfaserte sich, löste sich auf und

    wurde dadurch erst eigentlich zum Problen des realistischen Dichters.

    Eingrenzung des Realismus: Zwar stellte der bürgerliche Realismus den Menschen nicht,

    wie der Naturalismus als Produkt materieller Kräfte dar, aber der Kampf mit diesen Kräften,

    die Suche nach Gleichgewicht, führte fast immer zu Scheitern im Tode oder zu Resignation

    und Entsagung.

  • 14

    d) Realismus-Programm

    Daß der Realismus in Deutschland eine Theorie besaß ist spät erkannt worden. Die

    herausragenden Dichterpersönlichkeiten dieses Zeitraums, Theodor Storm, Wilhelm Raabe,

    Gottfried Keller, Friedrich Hebbel, Theodor Fontane und Conrad Ferdinand Meyer

    beschäftigten sich nicht systematisch mit literaturtheoretischen Fragen. Erst neuerdings hat

    man eine neue Ebene der literarischen Meinungsbildung beobachtet: die literarische und

    politische Journalistik. Hier fand man in vielen miteinander konkurrierenden Zeitschriften

    nach 1849 den Versuch, neue Werte und literarische Maßstäbe durchzusetzen:

    Grenzboten:

    "Die Grenzboten" (leipzig, herausgeber seit 1848: herausgeber Gustav Freytag und Julian

    Schmidt) beeinflußten am nachhaltigsten den Literaturbetrieb im Sinne eines realistischen

    Programms. Die Blätter für die literarische Unterhaltung pflegten unter Marggraf zuerst das

    vormärzliche Erbe, schwenkten dann aber auf eine neue Linie, wobei besonders die die

    Anknüpfung an Goethe propagiertz wurde.(liberale Herkunft) Die "Preußischen Jahrbücher"

    waren von nationalliberaler Ausrichtung und galten als wichtigste oppositionelle Zeitschrift.

    Das Realismus-Programm, das nach 1848 in den Grenzboten durch Julian Schmidt und

    Gustav Freytag entwickelt wurde stützte sich zwar auch auf die Dofgeschichte, war aber, nach

    englischem Muster, primär auf die Erneuerung des Romans hin orientiert. Eine Poetik der der

    kürzeren Erzählung wurde nicht entwickelt. Dies bedeutete eine Verspätung der Bemühungen

    um die künstlerische Ausgestaltung ihrer vom Vormärz tradierten lockeren Form, die

    erzähltechnische erst Paul Heyse in seiner beschränkten Novellentheorie 1871 festlegte.,

    ohne allerdings bei den bedeutenden Autoren damit durchdringen zu können. Sie hatten in

    hrer literarischen Praxis zwar schon wesentlich zur künstlerischen Disziplinierung ders

    Erzählens in Gehalt, Aufbau und Stil beigetragen, aber die Legitimation zur freien

    individuellen Handhabung behauptet.

    In Vorreden zu deutschen Romanen, in lieraturtheoretischen Abhandlungen und in

    polemischen Artikeln wurde zwischen 1849 und 1860 eine neue Auffassung von Gestalt und

    Funktion der literarischen Kultur propagiert. Der literaturpädagogische Impuls verebbte in den

    60er Jahren, die neue Auffassung hatte sich durchgesetzt.

    Das Trauma der Revolution: Die Redakteure und Herausgeber waren in den den 40 er Jahren

    großteils engagierte Demokraten gewesen. Die Geschichte der gescheiterten Revolution ging

    daher bemerkbar in die Bestimmung der neuen literarischen Richtung ein. Der Neubeginn

    zeigt sich in der Abgrenzung zur Biedermeierliteratur, die publizistischen Wagnisse der

    Jungdeutschen und die Tendenzlyrik des Vormärz. Es zeigt sich weiterhin an der Kritik in der

    radikalen Umwälzung der Gesellschaft. Deshalb war die hauptsächliche Zielrichtung des

    programmatischen Realismus eine Entspannung in politischer, weltanschaulicher und

    Stilistischer Hinsicht. Der Zusammenhang zwischen der neuen Poetik und dem Bedürfnis

  • 15

    nach Ruhe und Ordnung, das sich parteipolitisch in eine Annäherung zwischen Konservativen

    und Liberalen umsetzte, tritt demonstrativ bei Gustav Freytag zutage.

    Die breite Masse des mittelständischen Bürgertums fand sich in der gemäßigt liberalen Staats-

    und Gesellschaftsauffassung der Grenzboten und den Preußischen Jahrbüchern repräsentiert.

    Bald aber orientierte sich auch der Liberalismus in seiner Mehrheit an den politischen Zielen

    Bismarcks, der 1862 preußischer Ministerpräsident und Außenminister geworden ist. Nach

    dessen politischen Erfolgenverzichteten die Liberalen auf die Opposition, mit diesem Verzicht

    war auch die Geschichte des programmatischen Liberalismus zu Ende. Eine gegenüber dem

    Bürgertum kritischere Auffassung löste ihn ab. Diese äußerte sich aber nicht programmatisch,

    sondern entwickelte sich in den Erzählwerken von Raabe, Keller, Fontane, Storm und

    Spielhagen.

    Forderung der Grenzboten: nicht die zufälligen Erscheinungen der Wirklichkeit zu fixieren,

    sondern ihren bleibenden Gehalt= Programmatiker der Weimarer Klassik, Neu: eine derart

    idealistische Position sollte auf die historische Wirklichkeit konkret einwirken, die Kunst

    sollte vorwegnehmen, was man für den politischen Alltag erwünschte:Konsequenzen für

    das poetische Verfahren:

    Stoff:

    -Poesie soll sich zwar an erfhrbarer Wirklichkeit orientieren und Dinge des Alltags darstellen

    -Künstler soll Gegenstände so auswählen, daß an ihnen die andere, die wahre Wirklichkeit

    ablesbar ist.

    -an dem Zugriff aus der Wirklichkeit liegt es, ob die Darstellung notwendig in einen rohen

    naturalistischen Realismus abgeleitet oder ob sie das Ideal hinter der Erscheinung aufleuchten

    lassen kann.Julian Schmidt: der Dichter soll die Wirklichkeit dort suchen, wo die

    Tüchtigkeit des Volkes zur Geltung kommt: bei seiner Arbeit.

    Darstellung:

    Die Poesie muß etwas vorwegnehmen, solange die whre Wirklichkeit noch nicht die auch die

    empirische geworden ist. solange Individuum und Gesellschaft nicht in Harmonie leben.

    Der Verstand nimmt nur das jeweilige Gegebene wahr, also muß sich der Dichter an das

    Gefühl wenden.so kann verklärendes Dichten die erhoffte gesellschaftliche Harmonie

    vorwegnehmen.

    Kunstregeln:

    1. Wahrscheinlichkeit, 2. Integration der Elemente, 3. kompositorische EinheitVerwendung

    dieser Regeln hat einen politischen Akzent

    zu 1: das Dargestellte soll vom Leser/ Zuschauer nachprüfbar seinGriff ins Alltagsleben, die

    sittliche Normalität, eine durchschnittliche Vernünftigkeit der Konfliktentwicklung und den

    mittleren Stil, d.h. die Annäherung an die Alltagssprache und die Vermeidung der Extreme

    von Komik und Pathos.

  • 16

    Problem : Die Forderung nach Integration der Elemente, eine bloße Aufsummierung von

    Elementen ergibt kein Ganzeses bedarf einer Technik, die das Detail mit dem Ganzen

    verbindetdas soll der Humor leisten, Vorbilder: Romane von Charles Dickens, Wiliam

    Thackeray: Humor als Ausdruck einer Haltung, die über den Dingen steht oder sie wenigstens

    aus der Gelassenheit der Distanz betrachtet, lasse die partikulare Wirklichkeit in größeren

    Zusammenhängen erscheinen.

    Schreibnormen und Ideologie:

    faßte Gustav Freytag in eiener Anleitung zum Schreiben eines Romans zusammen:

    -eine Begebenheit soll erzählt werden

    -muß in allen Teilen verständlich sein

    -geschlossene Einheit bildeneinheitliche Färbung in Stil, Schilderung und Charakteristik der

    darin auftretenden Personen

    -innere Einheit und Zusammenhang muß sich logisch entwickeln

    Fazit: Durch die Rezensionen und das praktische Vorbild von Freytags Roman Soll und

    Haben (1855) prägten derartige Postulate als normative Schreibanleitungen fortan die

    Produktion der vielgelesenen Literatur.Poetik und Programmatik der Realisten konnten so

    über den Literaturbetrieb im weitesten Sinne zum Mittel der gesellschaftspolitischen

    Ideenbildung werden. Hinter der Forderung nach dem kompositorischen Zusammenhang und

    hinter der damit verbundenen Kritik an einem wildwüchsigen oder einem reflektierendem

    Erzählen, wie man beides in den 1830er Jahren finden konnte, steht die Vorstellung nach

    Harmonie des Individuums mit der Gesellschaft. Die Aussicht auf eine glückliche Lösung der

    dargestellten Konflikte verweist auf eine allgemeinere Problembewältigung im realen

    politischen Leben. Kunst und Kunsttheorie führen vor, was nach 1848 vom Bürgertum erhofft

    und politisch erwünscht wurde.

    Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 (1853)

    Für die politische Zwiespältigkeit des bürgerlichen Realismus ist Fontane ein geeigneter

    Zeuge.

    Fontane war Angehöriger der zwischen 1815 und 1825 geborenen Generation. In den

    fünfziger Jahren an keiner Gruppierung beteiligt, besah er den Literaturbetrieb von außen,

    seine Urteile sind mit Maßen objektiv. Von seiner Biographie her steht er beispielhaft für

    viele zwischen Engagement und und Abwehr schwankenden Vormärzler, die resignierten oder

    sich für das politische Gegenteil engagierten. Kurz nach dem Rehgierungsantritt Wilhelm IV ,

    der einige Zeit als scheinbar liberaler Herrscher begrüßt wurde, machte sich der junge Fontane

    das politische Credo des Liberalismus zu eigen,: nationale Einheit und die Republik als

    Staatsform. Der Apothekerlehrling trat wider Willen in Leipzig dem Herwegh Club bei, in

    dem hochrangige politische Männerverkehrten. Er wurde 1843 ein engagiertes Mitglied der

    konservativen Dichtervereinigung, Tunnel über der Spree. Im Revolutionsjahr 1848

    bekämpfte Fontane jedoch in Artikeln für die radikale Zeitungshalle in Berlin den preußischen

    Staat mit aller Schärfe und wurde zum Wahlmann für die Erneuerung des des Landtages

  • 17

    aufgestellt. Schon 1849 zog er sich deprimiert aus dem politischen Geschehen heraus, wurde

    wieder Beobachter

    Dieses politische Schwanken machte Fontane zum guten Gewährsmann dafür, daß die

    programmatische Poetik von Ludwig Schmidt, Gustav Freytag ung Julian Schmidt

    verallgemeinerbar ist.

    Als positives Kennzeichen des Realismus erscheint zum einen die Berufung auf das gegebene

    Wirkliche, das im Alltag unmittelbar Erfahrbare. Der Gegenbegriff ist das Spekulieren;

    Gustav Freytag sprach literaturhistorisch genauer, nämlich gegen die Romantik gewendet,

    von Phantasiekram. Aus der empirischen Materalität sollen die Stoffe und Themen kommen.

    Allerdings: die bloße Wiedergabe dieser Art von Wirklichkeit darf nicht das Ziel der

    poetischen Arbeit sein. Als naturalistisch wird getadelt, wenn die Probleme der

    Erfahrungswelt ohne ästhetische Korrektur in das Kunstwerk eingehen. Verklärung:,

    Poetisierung, Verklärung, bezeichnen zugleich eine politische Einstellung zur historischen

    Realität des Nachmärz: nicht mehr in der Politik, sondern in der Kunst soll nun eine

    Vermittlung zwischen moraliuschen und ästhetischen Werten und empirischen Alltag,

    zwischen Ideal und Lebenspraxis stattfinden.

    Idealrealismus nannte F.TH. Vischer die Anwendung der idealistischen Poetik auf die

    zeitgenössischen Lebensverhältnisse.

    -Annahme einer höheren WirWirklichkeit über und hinter der empirischen Erscheinung äußert

    sich ein Glaubensbekenntnis: Jede geschichtliche Zeit hat ihre Ideale-für die Zeit nach 1850

    waren es Einheit der Nation, Sittlichkeit des Alltags, Bildung, je angemessener diese Ideale in

    der Praxis realisiert wredn, desto deutlicher entwickelt sich aus der empirischen Wirklichkeit

    die Wahre. Kunst soll dazu beitragen, die Ideale im Alltag zu verankern.

    - Die Basis dieser Anschauung ist das liberale Bürgertum selbst, dessen politische Werte

    Einheit und Nationalstaatlichkeit waren.

    Romansituation:

    Gründe für das Scheitern des Gesellschaftroman in Deutschland

    Im Festhalten an der Perspektive des einzelnen und der Schau von innen unterscheidet sich

    das deutsche Erzählen von der europäischen Entwicklung. Während in England, Frankreich

    und Rußland der Zeit und Gesellschaftsroman vorherrschten, hielt der deutsche Realismus am

    Entwicklungsroman fest (Stifter, Keller, z.T. auch Raabe) oder begrenzte den geschilderten

    Weltausschnitt in der Kurzform der Novelle (Keller, Storm, Meyer) oder im kurzen Roman

    (Raabe, Fontane). Da sich die objektive Wirklichkeit immer mehr verdinglichte,

    verkomplizierte und entfremdete kam es in der Dichtung zur Subjektivierung der

    Erzählsprache, die sich vorallem an der Symbolsprache und an den Gestaltungen des Humors

    nachweisen läßt.

    Zwar zeigen die Werke von Storm und Raabe aus den sechziger Jahren eine verstärkte

    gesellschaftskritische Tendenz, aber eine breite epische Darstellung der Totalität der

    gesellschaftlichen Verhältnisse wurde weiterhin verhindert durch die Unentwicklung eines

  • 18

    gesamtgesellschaftlichen Bewußtseins, das auf die noch nicht überwundene territoriale

    Zersplitterung und das Fehlen einer einer ausstrahlungs- und anziehungskräftigen Hauptstadt

    zurückzuführen ist.

    Nachwirkung romantisch-subjektiver und jungdeutscher Formtradition in Roman und

    Erzählung, die erst in den Spätwerken Stifters und Kellers, Storms, Raabes und Fontanes ganz

    abgebaut werden.

    Realistisches Erzählen

    Die Gemeinsamkeiten realistischen Erzählens von Stifter und Ludwig bis Fontane und

    Meyer liegt in der Suche nach einem Ausgleich des problematischen Ineinander und

    Gegeneinander von Subjektivität und Objektivität. Formal hält eine Objektivierung des

    Gestaltens in Novelle und Roman-sichtbar an Stifters und Kellers Umarbeitungen und in

    Storms, Raabes, Fontanes und Meyers Spätwerken der subjektivierenden Perspektivik noch

    die Waage. Die formale Strenge der Novellendichtung und die formprägende Kraft des

    Humors bewirken eine Relativierung des nur Subjektiven. Man suchte immer wieder, wenn

    auch immer vergeblicher, einen Zusammenhang der Dinge, ein übergreifendes

    Ordnungsprinzip.

    Probleme:

    -Verlust des Totalitätsbewußtseins der klassisch-idealistisch-romantischen Epoche

    -Versuch althergebrachte Bindungen im Landschaftlich-Naturhaften, Volkhaften, Geschicht-

    lichen oder sittlichen zu erneuern, daran war zu erkennen wie sehr die

    Allgemeinverbindlichkeit dieser Werte verloren gegeangen war Bindung an die Werte war

    fragwürdig, weil das romantische Konzept des Volkes angesichts von Klassenunterschieden

    und Gruppeninteressen unhaltbar war (Marx, Engels), außerdem: Säkularisierung und

    Materalisierung des Lebens, relativieren die an religiöse Grundlagen gebundene

    Sittlichkeitsforderungen.

    Mangel an Gegenwartsbezug bei der großen dt. Dichtung, die bürgerlichen Realisten sparen

    im Gegensatz zu den französischen oder russischen Realismus den Bereich des sozialen

    Kollektivs aus.die Krisenlage des Bürgertums wurde nicht mit offener Kritik begegnet

    Das Bewußtsein zwischen Altem und Neuen in einer Übergangszeit zu leben, führte zu zwei

    Abwehrhaltungen

    a) die bürgerlichen Dichter wehrten sich gegen Beschränkung und Erstarrung in einem

    spießbürgerlichen Biedermeiertum

    b) man wandte sich gegen den die neue Zeit prägenden Erfolgs- und Erwerbsegoismus des

    Bourgeois, der einer scharfen Kritik unterzogen wurde.

    Problem der Dichter: vertraten nicht eine einheitliche soziale Gruppe (z.B. Bürgertum gegen

    Adel), sondern gerieten innerhalb der eigenen Klasse zwischen die Fronten.

    ausgeprägtes Bewußtsein irdischer Vergänglichkeit und Nichtigkeit, das bei allen

    Schriftstellern der Zeit zu beobachten ist, führte zu Zweifel und Resignationzu dieser

    Melancholie kam die Einsicht hinzu, daß man sich dem Neuen nicht verschließen könne.

  • 19

    Lebensvertrauen und Hoffnung auf die Zukunft waren nicht ganz begraben, erwiesen sich

    aber nicht stark genug zur Kritik oder zur konkreten Utopie.

    Der Widerspruchscharakter des Lebens und der gesellschaftlich-politischen Ordnung wurde

    durch den erzählerischen Humor verschleiert oder nur hintergründig angedeutet als beißende

    Ironie

    im dt. Realismus fehlen die radikalen Darstellungen gesellschaftlicher Krisen und Konflikte,

    die die übrige europäische Romansituation kennzeichnen. Dies hängt einerseits davon ab, daß

    die außerdeutsche Romanentwicklung-abgesehen von Dickens- für den dt. Realismus nicht

    maßgebend wurdeder dt. Realismus bildete sich in relativer nationaler Abgeschlossenheit

    aus.

    Humor

    macht auf den Widersinn und Unvernunft aufmerksam, am deutlichsten bei Keller und

    Raabe, am wenigsten bei Stifter und Storm

    Humor ist die künstlerische Entsprechung der Ambivalenz, Vielschichtigkeit und

    Widersprüchlichkeit aller Dinge, die in wachsendem Maß nicht nur die Zeitstimmung jener

    Jahrzehnte beherrschten, sondern auch Stellung und Funktion des Schriftstellers in der

    bürgerlichen Gesellschaft kennzeichneten.

    die realistischen Erzähler wandten sich nicht allein gegen eine das Tatsächliche

    objektivistisch spiegelnde, naturakistische Schreibweise, sondern sie lehnten auch den

    jungdeutschen Subjektivismus des Erzählens ab. Humor ist demnach nicht ausschließlich von

    der individuell subjektiven Weltanschauung eines Dichters abzuleiten. Dem Humor wohnt

    durchaus ein objektivierendes Prinzip inne. Schon bei den Romantikern sollte der Humor

    zwischen dichterischer und faktischer Welterfahrung vermitteln

    Friedrich Schlegel bezeichnet den Humor als angewandte Phantasie, dieser befreit den

    Dichter von der Determination durch das nur Faktische und bewahrt ihn zugleich vor allzu

    subjektivischem Poetisieren.

    nach Hegel soll der objektive Humor die Verinnigung im Gegenständlichen erreichen. Er

    soll ein Objektives, auf das der Dichter bezogen bleibt, im subjektiven Reflex gestalten. So

    kann im erzählerischen Humor die Entfremdung zwischen subjektiver Phantasie und

    Objektiver Wirklichkeit überwunden werden.

    Daß eine solche Vermittlung von Subjektivität und Objektivität mittels des poetischen

    Prinzips Humor eine Vielfalt individueller Ausprägungen erlaubt, versteht sich von selbst.

    Ausprägungen des Humors:

    a) das eine Extrem humoristischer Darstellung liegt in Ironie und Groteske, die aber von

    wenigen Ausnahmen wie bei Keller und Raabe, nicht zeittypisch sind

    b) das andere Extrem liegt in einem Abgleiten in das Sentimentale und Elegische, wobei der

    Humor seine objektivierende Macht verliert, und ein rührender oder trauriger Tatbestand so

    die Ästhetik der Zeit gefühlsmäßig überzuckert wurde, wo man also eine versönliche

  • 20

    Surrogatlösung der herben Desillusionierung vorzog. Diese Gefahr bedrohte vor allem Storm

    und Raabe, z.T. aber auch Fontane

    Von der Art des Humors hängt es demnach ab, wie für die Erzählliteratur der Zeit so

    typische Resignation und Entsagung zu interpretieren sind.

    Raabe, Wilhelm, (*8. Sept. 1831 in Eschershausen/Braunschweig, gest. 1910 in Braun-

    schweig)

    Sohn eines Justizaktuars (Beamten). 1845 Tod des Vaters 1849-53 Buchhändlerlehrling.

    1854-56 Gasthörer stud.phil. in Berlin, 1856 nach dem Erfolg der Chronik der Sperlingsgasse

    Aufgabe des Studiums, lebte von da an als Schriftsteller, 1856 Rückkehr nach Wolfenbüttel,

    1862 Heirat und Übersiedlung nach Stuttgart, 1862-1870 in Stuttgart, seitdem in

    Braunschweig.

    Allgemein: die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte hat zu einem neuen Raabe-Bild

    geführt, in dem dieser immer noch zu wenig gelesene Autor als bedeutender Künstler

    gewürdigt gewürdigt und sein Werk in engem Zusammenhang mit dichtungs- und

    gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklungen der zweiten Jahrhunderthälfte interpretiert wird.

    widerlegt These Raabe als versponnener Heimatdichter

    Grundthema: die Selbstbehauptung und Sinnerfüllung individuell menschlichen Lebens im

    Kampf gegen die umklammernden und determinierenden Mächte der Zeitlichkeit und der

    bürgerlichen Gesellschaft.Raabes Erzählen spiegelt den Bruch zwischen Subjektivität und

    Objektivität, der zu Resignation oder Weltüberwindung im Humor führt.

    Erfahrungen von 1848 und 70/71 trieben Raabe zu einer völligen Ablehnung des

    Spießbürgertums einerseits und des expansiven gründerzeitlichen Erfolgsbürgertums

    andererseits

    es ging im im Akt des Erzählens um eine individuelle Verwirklichung des Humanen, die er

    immer wieder der Veräußerlichung und Verdinglichung der spätbürgerlichen Zeit, dem

    Egoismus des Säkulum entgegensetzte.

    fast immer erzählt Raabe einen beschränkten Weltausschnitt

    bevorzugt die lockere Form der ausgedehnten Erzählungstrenge Formanspruch der

    Novelle war mit seiner subjektiven Erzählhaltung nicht zu vereinbaren

    Kennzeichnung seines Erzählens: Skepsis, Ironie und Humor, Polyperspektivismus

    Raabe selbst gliederte sein Werk in:

    -eine Jugendepoche von 1854-1862

    - die Stuttgarter Zeit von 1862-1870

    -die Alters- und Reifeperiode in Braunschweig 1870-1902

    Zum Wilden Mann, 1873/74 (Novelle)

  • 21

    Entstehungsgeschichte: gehört zu den kleineren Erzählungen, die im Jahre 1879 unter Dem

    Titel Krähenfelder Geschichten vorgelegt werden, nachdem sie vorher in den Westermanns

    Monatsheften erschienen sind. gehört zu den Alterswerken

    äußerer Anstoß, der für die Erläuterung aber fast unerheblich ist. Raabe hat im

    Hochsommer 1873 im nördlichen Eingang des Dorfes Bündheim, das talwärts vor Bad

    Harzburg liegt, eine Apotheke besucht, in ihr hatte ein Dutzend Jahre früher ein unverheireter

    Apotheker gleich seinen beiden Vorgängern bankrott gemacht. Anlehnung an die Geschichte

    von Joh. Karl-August Musäus (1787) Märchen Volksmährchen der Dt. Geschichte, Der

    Schatzgräber: Hier verschafft sich ein Verlumpter, der schlecht behandelt bei seiner Frau

    haust, im roten Mantel des Scharfrichters, eine Springwurzel, vor der sich eine schatzhaltige

    Harzhöhle öffnet, die Lage der Höhle ist vordem einem Schäfer von dem gespenstischen

    Harzgeist des Widen Mannes beschrieben worden. Der Schatzgräber gibt den Schatz an den

    Liebhaber seiner Tochter Lucine weiter, der trübsinnig geworden ist, weil er wegen Armut das

    Mädchen nicht erhalten kann. Er stiftet auf diesem Wege Ehe und sichert sich zugleich den

    Zugriff seiner galligen Frau den geheimgehaltenen Vorteil des Schatzes.Motive sind bei

    Raabe eingegangen.

    Personen:

    -Phillipp Kristeller, 55 Jahre

    Dorette Kristeller, seine Schwester

    Johanne, seine fast Frau, starb mit 21 am Hochzeitstage

    Pastor Schönlank

    Förster Ulebeule

    Landphysikus Dr. Eberhard Hanff

    August Mördling, Eramt des Scharfrichters bzw. Dom Agostin Agonista, Offizir

    Stilmittel: Ironie getränkter ernster Humor

    -Perspektivenwechsel

    Handlungsverlauf

    Läuft auf Zerstörung und Enteignung hinaus. Den Held der Raabschen Novelle, den

    Apotheker Kristeller, besucht nach vielen Jahren sein flüchtiger Freund August, der ihm vor

    seiner Auswanderung das Geld zum Erwerb der Apotheke gegeben hat. August nun als Dom

    Agostin ein Kapitalist reinsten Wassers, nimmt sein Darlehen in aller Freundlichkeit mit Zins

    und Zinseszins zurück. Er läßt Kristeller mit seiner Schwester über Nacht verarmt zwischen

    vier kahlen Wänden zurück, nachdem die Freunde des Apothekers die besten

    Einrichtungsgegenstände ersteigert haben. Die Schlußworte Kristellers, bezeichnend für seine

    Lebenssicht, lesen sich wie ein ironischer Kommentar Raabes: Jetzt heißt es, Mut zu fassen

    und den Kopf nich hängen zu lassen.

  • 22

    Die Novelle hat es mit Geld, Spekulation, Kapital und Besitz zu tun. Der Gegenspieler

    Kristellers ist der Zufallsbekannte August, der den gehaßten Beruf seines Vaters nicht ausüben

    will. Er versucht, seiner familiären Vergangenheit zu entfliehen, indem er all sein Erbe an

    Kristeller übergibt und auswandert. Der zurückkehrende Dom Agostin hat am ehemaligen

    Freund kein Interesse mehr, er kümmert sich um den Geldwert der Dinge, nicht um diese

    selbst. Weil er den Apotheker samt seiner Erfindung, den Kristeller Likör, nicht nach

    Brasilien mitnehmen kann, nimmt er die Erfindung ohne den Menschen, aber mit dessen

    Kapitalien- ungeachtet dessen, daß er eben erst mit allen Ehren beherbergt worden ist.

    Zeitkritik:Die neue Zeit des Kapitals, des Verlust an zwischenmenschlichenBeziehungen, geht

    über Kristeller hinweg mit der Elementargewalt des Wassers. Der Haupteil der Raabeschen

    Novelle dient der Schilderung der gemütlichen und gemütvollen Vergangenheit. Das

    charakterisiert die Hauptfigur und dient zugleich erzähltechnisch dazu, die ökonomischen

    Machenschaften in ihrer unglaublichen Dynamik heraustreten zu lassen. Denn die Enteignung

    Kristellers beansprucht verhältnismäßig wenig Raum. Das kritische Gespür Raabes hat die

    neue Qualität der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Gründerzeit genau erfaßt.

    Gestalt Kristeller wird beschrieben, seine Umgebung, seine Lebensäußerungen, denen Raabe

    subjektiv mit wohlwollendem Behagen oder Bedauern zusiehtobjektiv wird ein

    fundamentales gesellschaftliches Verhältnis und ein paradigmatischer Prozeß kodifiziert

    subjektiv objektiv

    großzügiges Geschenksichert materielle

    Existenz

    Agonista spricht von Zahlen, Geschäften,

    beängstigt den Apotheker, Likörgeschäft

    meint Agonista sei noch rentabler

    Absichten Agonista: Kristellerschen Besitz

    zu verkaufen, in Brasilien Industrie zu

    gründen

    Agnista=Wettkämpfer, nicht mehr August =

    Erhabener

    Agonista hinterläßt Leere und Kälte, durch

    den zwangsläufigen Ausverkauf der Apothe-

    ke.

    Erfolgsbürgertum, Möglichkeit binnen

    weniger Jahre mit Erfindungen Industrie aus

    dem Boden zu stampfenPhysiognomie des

    Gründers, bedenkenlos und skrupellos seinen

    Vorteil zu suchenin AGONISTA; dem

    Gründer, kohäriert ein Bewußtsein, daß im

    Deutschen Reich in den sechziger und frühen

    siebziger entstandfieberhaftes

    Spekulantentum, eine riesige Geldmasse

    kommt ins Land und wird in Industrien

    geworfengnadenloser Konkurrenzkampf

    der Bürger in der Phase des

    Hochkapitalismus ist die Folge

  • 23

    Darstellung der Räumlichkeitensolides

    Haus, in ordentlichem Zustand, präsentabel,

    Hausherr arbeitet und residiert, Eisener Ofen

    und Wärme, gepolsteter Lehnstuhl

    Darstellung der bisherigen bürgerlichen

    WeltInventar bürgerlichen Behagens ist die

    Biedermeierlichkeit

    Bilder Wände sind bedeckt mit Kupfer-

    stichen, Szenen mit Napoleon, Friedrich II,

    Straßenszenen aus dem Jahre 1848 und

    dazwischen ein echter Dürerischer Kupfer-

    stich Melancholia

    hierin vollendet sich ein bürgerliches

    Bewußtsein, das Komlement

    gründerzeitlicher Eruptionen delesen werden

    kann, Triebkräfte von Epochen sind zur

    Beschaulichkeit verklärt

    Kristeller hat im stillen Winkel gesessen,

    während andere sich allerlei um die Nase

    wehen lassen, Umwälzungen durch Agonista

    von außen gefährdet das Schicksal die

    materielle ExistenzDschungel draußen

    Kristeller nur solide, wird absorbiert durch

    Erinnerungen, Andenken, melancholischer

    Phantasiennegierte Aktivität des

    geschichtl. Prozesses

    Archivkasten, den er von alten Zeiten

    verlocket, süßen Erinnerungen nachhängt

    Gegenstände haben Warencharakter,

    Verleugnung= Verleugnung der Geschicht-

    lichkeit

    Kristeller ist blind gegen die Vorgänge

    Kristeller Repräsentant vorbürgerlicher

    Eigentumsverhältnisse, allerdings Verstand

    und Handel, beinahe kapitalistisch

    Agonista: Abenteuerer Typ des Gründers

    Verhältnis zur Geschichte: Selbstentfrem-

    dung des Menschen, Kristellers Lebensäuße-

    rungen sind entfremdet

    blind gegen die Geschichte, sieht nicht

    diemenschlichen WertverlusteKälte und

    LeereZeigt den Stand der bürgerlichen

    Werte

    Pfisters Mühle, 1884

    Entstehungsgeschichte

    Raabe entdeckte auf seinen donnerstäglichen Spaziergängen von Braunschweig zum Grünen

    Jäger, dem Vereinslokal der Männer-Genossenschaft, Kleiderseller, beim Anblick der durch

    die Zuckerfabrik Rautenheim verunreinigten Wabe aufgefallen war. Die eigenen

    Wahrnehmungen an den Ergebnissen eines seit dem 29. Dezember 1881 anhängenden

    Abwasserprozesses der Mühlenbesitzer Müller und Lüderitz aus Bienrode und Wenden gegen

    die Rautenheimer Zuckerfabrik zu messen und mit den für die Kläger angefertigten

    abwasserbiologischen Gutachten der Chemiker Ferdinand Cohn (Breslau) und Heinrich

    Beckurts(Braunschweig), eines zeitweiligen Mitgliedes der Kleiderseller zu untermauern.

    raabe war über den Verlauf des Prozesses genau unterrichtet. Die Entscheidung, die beim

    herzoglichen Landgericht Braunschweig vom 14. März 1883 als rechtskräftiges Urteil erging,

  • 24

    fügte er fast wörtlich in den Erzähltext ein. Gegen dieses Urteil legte die beklagte Partei

    jedoch Berufung ein, der das Reichsgericht am 20. Mai 1884, also knapp zwei Wochen nach

    Fertigstellung des Raabeschen Manusskript, stattgab: Der Autor hatte offenbar den Fortgang

    des von ihm als abgeschlossenen beschriebenen Prozeß ignoriert, weil den durch die

    Industrialisierung heraufgeführten Problemen der Luft- und Wasserverschmutzung nicht mehr

    mit den mit den Rechtsnormen des Bürgerlichen Gesetzbuches beizukommen war.

    Gattungsgeschichtliche Einordnung

    Erzählprosa: Die bedeutendste Leistung des Realismus liegt auf dem Gebiet der Erzählprosa.

    Sie ist von der literarästhetischen Tradition nicht vorbelastet und konnte sich dadurch den

    historischen und sozialen Erscheinungen der Zeit anpassen, erfüllte somit das

    Aktualitätsbedürfnis der Leserschaft und eroberte sich mit ihrer Elastizität gegenüber der

    Wirklichkeit immer deutlicher das literarische Feld

    Themen: Komposition (epische Inegration) und Figurendarstellung (Lebendigkeit,

    Individualpsychologie, Vermeidung der durch die Fiktion nicht motivierten Redeweisen.)

    unterscheiden die Erzählprosades Realismus von der erzählerischen Praxis in der

    Biedermeierzeit und weisen auf die Veränderungen im Weltbild zurück

    Realistische Erzählprosa gliedert sich in Roman und Novelle:

    Martini unterscheidet Roman und Novelle, indem er die Erzählung dem Roman zuordnet.

    Bezüglich des Romans umreißt er vier stoffliche Grundtypen, die er nach thematischen

    Bezugskreisen ermittelt hat:

    a) gesellschaftskritischer Zeitroman: (räumlich, zuständlich, Prinzip des Nebeneinander)

    b) Geschichtroman und Geschichtserzählung (national, positivistisch)

    c) Dorfroman und Dorferzählung (regionalidylische Abwehrhaltung gegenüber Stadtkultur

    und moderner wirtschaftlicher Entwicklung)

    d) Entwicklungs- und Bildungsroman (biographische Verdichtung intrapersoneller und

    interpersoneller Wachstumsbedingungen)

    Roman

    Einheit, Totalität, Authentizität und Objektivität sind die zentralen Begriffe des realistischen

    Romans.

    Einheit=bedeutet Funktionalität der Teiledramenähnlicher Aufbau, die aktähnliche

    Buchgliederung in Freytags Soll und Haben, der analytische Aufbau in Fontanes Cecile oder

    Raabes Stopfkuchen, bezeichnend dafür ist Fontanes Lob über Soll und Haben

    Totalität: umfaßt sowohl die extensive Fülle aller beobachtbaren Vorgänge und

    Gesetzesmäßigkeiten (besonders bei Spielhagen) als auch die intensive Dichte symbolischer

    Verweise.

  • 25

    Anspruch des Autenthischen: gehört die Aktualität des Erzählten, Gegenwärtigkeit, Relevanz)

    als auch des Erzählens(moderne verfeinerte Erzähl- Darstellungs-und Beschreibungstechniken

    Objektivität: meint die epischen Darstellungsprinzipien der Gelassenheit, Sachlichkeit und

    Überlegenheit

    Spielhagen: Der Objektivitätsbegriff ist eng mit der Romantheorie Spielhagens verbunden.

    Der Roman darf nach Spielhagen weder einen alleswissenden, überlegen kommentierenden

    und reflektierenden noch planenden, einteilenden oder sich gar an den Leser wendenden

    auktorialen Erzähler erkennen lassen. er darf nicht erwecken, daß seine Geschichte eine

    beliebige Erfindung des Erzählers ist, sondern muß Wirklichkeit und Geschehen an sich, d.h.

    unvermittelt präsentieren. Das gelingt nur dann, wenn der Held des Romans die Aufgabe

    übernimmt, seine Geschichte selbst zu erzählen, deshalb bevorzugt Spielhagen den Ich-

    Roman. Spielhagen glaubt, mit der Wahl dieser Erzählhaltung das erkenntnistheoretische

    Problem der Wahrnehmung und das w

    issenschaftlich-positivistische Problem der Beschreibung am besten und für alle Zeiten gültig

    gelöst zu haben.Spielhagenstheorie wurde mit Skepsis betrachte

    Thematischer Spielraum:

    -Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft (bevorzugt dargestellt an den

    empfindlichsten Exponenten dieser Beziehung, den Frauen und Kindern)

    - die Modellierung eines städtischen und dörflichen Zusammenlebens

    -die Analyse der Konfliktbildung und die Finalität der tragischen, Versöhnten resignierten

    Lösung

    -Der realistische Roman umfaßt ebenso die Möglichkeiten der der historischen

    Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik wie die ahistorischen Probleme der

    individuellexententiellen Selbstfindung und Selbstbewahrung.

    -Die Innerlichkeitsthematik bleibt als komplementärer, kontrastiver und alternativer

    Bezugspunkt der gesellschaftlichen und geschichtlichen Bewegungen und Konstellationen

    überall sichtbar.Der Roman spiegelt unmittelbar die Zeittendenzen wider, er reagiert auf die

    geschichtliche-gesellschaftliche und philosophisch-erkenntnistheoretische Situation.

    Ausgangspunkt: Stern 1885 sieht in der Zersplitterung der gegenwärtigen Kulturzustände die

    Triebkraft einer literarischen Form, die sich Spiegelung und Verklärung in einem zum Ziel

    setzt

    - Lukcs interpretiert diese Zeklüftung als die spezifische Oberfläche eines kapitalistischen

    Systems, dessen ökonomische Einheitlichkeit die Einheit der Romanform bedinge, zugleich

    aber deren kritisch-utopische Opposition hervorrufe.

    der realistische Roman knüpft nicht an die Romantradition der Romantikeran, seine

    prägenden Vorbilder findet er in England in den Werken Scotts, Dickens und Thackerays.

  • 26

    Anmerkung: neuere Forschung: Geschichte des Romans in Deutschland keineswegs

    Sonderentwicklung, auch wenn der Bildungsroman vorherrscht, vielmehr gelingt es der dt.

    Romankunst, wenn auch mit Verzögerung, den Anschluß an die euröp. Erzähltradition zu

    finden.

    Zeitroman

    (Begriff soll hier auch Gesellschafts- und Eheroman umfassen) ist der Prüfstein aller

    Realismustheorien. Ohne auf die Realismusepoche festgelegt zu sein gilt er doch als Inbegriff

    einer die aktuelle Wirklichkeit ergreifenden Romanform. die wissenschaftliche Erforschung

    des realistischen Zeitromans steht bis heute im Banne der für die Deutsche Kunstleistung

    negativ ausfallenden Realismusbestimmung, Lukacs, dtsprachige Roman habe das hohe

    Niveau des europ. nicht erreichen können, da sozial gesehen, die objektive-wirtschaftliche

    Einheit einer durchkapitalisierten Gesellschaft fehle und das noch immer kleinliche,

    geographisch zerrissene, gesellschaftlich unorganisch-hetrogene deutsche Leben keine

    wirklich neuen Kunstmittel der Wirklichkeitswiedergabe entstehen lasse.Auerbachgeht

    auch von einer kritischen Wirklichkeitsanalyese aus und macht das Provinzielle, Altmodische

    und Rückständige des dt. Lebens für das Ausbleiben einer authentischen realistischen

    Romankunst verantwortlich Beide Erklärungsansätze haben den Charakter von Hypothesen,

    da sie den kausalen oder dialektischen Zusammenhang von Kunst und Wirklichkeit nicht

    ausdrücklich beweisen, sondern voraussetzenBrinkmann, Preisendanz, Ohl haben dies

    erkannt und dabei zugleich auf die besondere Leistung des dt. Realismus herausgearbeitet.

    Die Struktur des dt. realistischen Romans erfaßt in der polaren Bezogenheit von humanen

    Menschenbild und widerständiger Realität nicht altfränkisches Winkeldasein, sondern einen,

    wenn auch negativen, so doch wesentlichen Grundzug der Epoche. Daneben bleibt aber das

    Interesse an der Wirklichkeitserfassenden Kapazität des Zeitromans bestehen. Die

    wirtschaftlichen (Industrialisierung, Kapitalisierung), gesellschaftlichen (Auseinandersetzung

    des Bürgertums mit dem Adel und viertem Stand, (schichtinterne Konfliktbildung), politische

    (Reichserwartung und Reichsgründung) und philosophischen (Positivismus, Materialismus,

    Pessimismus) Bewegungen dienen nicht nur als historische Grundlage für die Erklärung

    literarischer Eigenart, sondern bilden einen Katalog von Fakten und Zusammenhängen.Den

    Anspruch, die zeitgenössische Wirklichkeit wahrheitsgetreu und lebensecht wiederzugeben,

    konnte kein Realist einlösen.Forschung reagierte: Abwertung des dt. Zeitromans gegenüber

    europäischen, wertete das Realismusprinzip ab, indem sie es als schlechte Ästhetik

    verwarf(Welle). Problem es erwies sich als unmöglich, aktuelle Wirklichkeit im literarischen

    Medium wiederzuspiegeln, gesellschaftl. und polit. Zersplitterungdie dt. Realisten von den

    Grenzboten-Programmatikern bis Fontane, wußten um diesen Diskussionsverlauf und

    schlugen eigene Wege ein.

    Historischer Roman

  • 27

    (mit Geschichtserzählung und -Novelle) gehört zu den erfolgreichsten Gattungen der zweiten

    Jahrhunderthälfte. Faktoren der literarischen Tradition, der politisch-ideologischen

    Konfrontation in der Zeit des Kulturkampfes der aktuellen Histographie und der schulischen

    Erziehung begünstigen Entfaltung und Konsolidierung dieses Genresliterarisches Vorbild

    Walter Scott

    Besonderheiten in Struktur und Thema:

    - Abschnitt aus der Nationalgeschichte, der zeitlich nicht über sechzig Jahre zurückliegen

    sollte, damit er interssant und aktuell bleibt

    - wird durch das Medium eines fiktiven und mittleren Helden dargestellt

    -politische und soziale Interessenkonflikte

    allerdings in Deutschland: entfernt sich der Held des deutschen historischen Romans immer

    entschiedener vom Scottschen und profiliert sich in der Rolle des aktiven Mitstreiters.

    Anmerkung:

    Während die Jungdeutschen Scott wegen mangelneder Aktualität abgelehnt hatten, sahen ihn

    die Realisten als Vorbild für eine Literaturform, die sich gegen alles Romantisch-

    Phantastische und Subjektiv-Tendenziöse wandte. Man begrüßte die Vereinigung von

    Dichtung und Geschichte als die wahre historische Poesie.

    Bildungsroman

    wenn man im Realismus vom Bildungsroman spricht, denkt man vor allem an zwei Romane:

    Stifters Nachsommer und Kellers der Grüne Heinrich., Freytags Soll und Haben erzählt zwar

    auch von einem Bildungsgang, doch rechnet dei Forschung dieses Wek zum Individual- oder

    Zeitroman zu, dem entspricht auch eine unterschiedliche Ausrichtung auf literarische

    Vorbilder, nicht Wilhelm Meister, sondern David Copperfield und Edward Waverley gelten

    als literarische Leitfiguren. Der Bildungsroman bleibt im Realismus eine Sondererscheinung.

    Das heißt aber nicht, daß der Realismus auf eine umfassende Darstellung der individuellen

    Entfaltungsmöglichkeiten verzichtet, aber er sieht in dem einzelnen Lebenslauf weniger die

    innere Reifung als einen Sozialisationsprozeß, in dem sich die Persönlichkeitsstruktur und

    Gesellschaftsstruktur wechselseitig bedingen, wobei die rationalen, emotionalen und

    irrationalen Faktoren der Persönlichkeitsbildung sichtbar werden.

    Zur Gattung Novelle im bürgerlichen Realismus

    Faktoren der literarischen Distribution (Zeitschriften, beginnende Massenproduktion

    begünstigen die epische Kunstform und verwandelten sie schon in der vorrealistischen Zeit zu

    einem Modeartikel, zum nivellierten Genre der Tagesproduktion. An die Stelle des

    biedermeierlichen Taschenbuches treten in der Realismuszeit Novellensammlungen, Stifters

    Bunte Steine

    Neben dem Roman ist die Novelle die dominierende Literaturform des Realismus.Weil:

  • 28

    Gesamteuropäisch verdrängte die Erzählprosa die übrigen , in der Poetik höher eingestuften

    Gattungen

    Insbesondere die Programmatik des dt. Realismus war im Hinblick auf das erzählerische

    Medium formuliert

    Leserinteresse war extensiv geworden, d.h. ausgerichtet auf vielartige, kleinteilige, inhaltlich

    rasch wechselnde Lektüre

    Anmerkung: Schon in 1830 er Jahren war ein Novellenmarkt entstanden, auf dem die Gattung

    zur Massenware herunterkam. Die aktuelle Neuigkeit des Tages war Erzählkern. Zugleich

    rückte das Interesse an der Politik die Novelle in neue Zusammenhänge. Man schrieb

    Novellen auf öffentliche Wirkung hin. Die oppositionellen Jungdeutschen versuchten auf dem

    Schleichwege der Belletristik eine Beeinflussung des Lesers. Novellistisches Erzählen wurde

    derart zur aktuellen Form, es konnte sich mehr als das Drama vor der Zensur verstecken. Dies

    endete in der zweiten Jahrhunderthälfte, zurück blieb das Marktinteresse, das mit einem neuen

    Kunstanspruch verkleidet wurde. Denn für das ausufernde Vorabdruckwesen in Zeitungen und

    Familienblättern und für den Zwang in kurzer Zeit auf Nachfrage zu schreiben und immer

    etwas zu Veröffentlichung bereitzuhalten, bot sich die Novelle an.

    - schmales Format,

    -ihr engwinkliger Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse,

    -ihr Interesse für unalltägliche Ereignisse und für verschlungene psychologische Ereignisse

    eigneten sich gut für die Bedürfnisse der zahlreichen Unterhaltungsmedien, die untereinander

    in scharfer Konkurrenz standen.viele Autoren, wie Wilhelm Raabe, waren freie

    Schriftsteller und von der periodischen Presse abhängig.

    Schon die romantische Literaturtheorie sah in der Novelle mehr noch als im Roman ein

    wirklichkeitsnahes Genre. Das realistische in ihrer nachmärzlichen Erscheinung liegt darin,

    daß sie eine reale oder jedenfalls mögliche Begebenheit darstellt, bei äußerster Verdichtung

    und punktueller Konzentration ein Höchstmaß an Typik und Symbolik erzielt und in der

    Vermittlung zwischen dichterischer Subjektivität und novellistischger Totalität jene Polarität

    erfaßt, die Epochentypisch ist.

    Sie war Gebrauchs- und Erbauungsliteratur in dem Sinne, daß sie in ihrer großen Verbreitung

    die Werturteile, Verhaltensnormen und die Geschmacksbildung ihrer Leser bestimmen und

    bestätigen konnte. In zahlreichen Distributionsorganen, in raschem Umsatz, in ständigen

    Neulieferungen war sie dem Publikum gegenwärtig. Für diese Art Lebenshilfe waren die

    kurze Form, die knappe Motivierung, die umweglose Zuspitzung zum Konflikt und die Wahl

    von begrenzten Lebensausschnitten dienlich. Dabei wurde lediglich die innere

    Sozialgeschichte des Bürgertums berücksichtigt. Das historische Sittenbild erfuhr seit dem

    Ende der 1850er Jahre durch Heinrich Riehl und Gustav Freytag geprägt.

    Nach 1848 bestimmte die bürgerliche Stube fast ausschließlich den Horizont für den

    Erzählvorgang und erzähltes Geschehen: familiale Innerlichkeit, bürgerliche

    Wertvorstellungen und Abgrenzung vom politischen Geschäft.

  • 29

    Zugleich verwirklicht sich der Realismus in der novellistischen Form sehr deutlich. Das gegen

    die kompositorische Lockerheit der biedermeierlichen Erzählprosa gerichtete realistische

    Programm von der epischen Integration kommt hier voll zur Geltung. Die hohen strukturellen

    und thematischen Anforderungen des Dramas werden jetzt auf die Novelle übertragen.

    Technik der Novelle:

    Hierzu schrieben Otto Ludwig, Gustav Freytag und Paul Heyse zahlreiche Erörterungen. In

    der Orientierung am poetologisch hochrangigen Drama stellten sie formalästhetische

    Forderungen im Sinne einer Schreibanleitung: Eine realistische novelle solle

    -einen durchsichtigen Handlungsverlauf

    -einen strengen Aufbau haben

    -der Konflikt sei deutlich zuzuspitzen

    -der Wendepunkt müsse klar erklennbar sein

    Forderungen laufen auf eine formale Disziplinierung hinaus. Diese sollte im Gegenzug zur

    Massenkonfektion der Tagesschriftstellerei die Novelle gleichberechtigt neben das Drama

    treten lassen.Postulate waren mit ihrem Rückbezug auf die klassischen Normen ein

    Gegenentwurf gegen die Schreibverhältnisse im Biedermeier und Vormärz. Denn die nun

    geforderte künstlerische Autonomie trat an die Stelle der biedermeierlichen Ausrichtung auf

    außerästhetische Ziele. Das vormärzliche Novellen produzieren, das aktuelle Gegenstände für

    unmittelbare Wirkungen suchte, sollte durch ein Novellendichten abgelöst werden.

    Der Disziplinierung durch die Novellenpoetik unterwarfen sich jedoch nur die zahlreichen

    durchschnittlichen Erzähler. Raabe nahm derartige Versuche nicht zur Kenntnis. Storm

    verließ sich auf seine genauen Beobachtungen des Marktes und sein Gespür für besseres

    Erzählenbei diesen Erzählern läßt sich auch eine lange und zum Teil schwierige

    Entwicklung feststellen, in denen sich eine je eigene, unverwechselbare Erzählmethode

    herausbildete; zwar immer im großen Rahmen des Realismusprogramms, doch differenziert

    nach der Ausbildung der kompositorischen Verfahren, nach sprachlichen und stilistischen

    Mitteln, nach der Verwendung von Symbolen und Leitmotiven.

    Das charakteristische einer Novelle:

    Die Konzentration auf die Einzelerzählung, die man zuletzt als Ausdrucks des Versagens der

    Möglichkeit wählte, angesichts eines Einzelfalls noch ein verbindlich Allgemeines erzählen

    zu können, im kleinen Format noch ein gesellschaftlich Gemeines durchblicken zu lassen,

    diese Zerstückelung der Welterfahrung wirkt sich in allen Erzählelementen aus:

    - in der Darstellung der Erzählfiguren und erzählten Figuren

    - in der Konzeption der ungewöhnlichen Begebenheit, sei es als Handlung, sei es als

    zuständliche Situation

    -in der Gewichtung zwischen Ereignis einerseits und psychologischen Problem andererseits

    - in den erzählerischen Handhabungender Rahmen oder Erinnerungsestaltun

    - in der Themenführung

  • 30

    -in den Stil und Tonlagen des Erzählens

    -in den Graden der Beteiligung des Erzählers an dem, was er erzählt.

    Gattungsproblematik: Erzählung/ Nov