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Realismus 1848-1870, bzw.
I Geschichtlicher Hintergrund
1848 Revolution: Februar in Frankreich März in DeutschlandZiel: Durchsetzung liberaler,
nationaler und teilw. sozialer Forderungen, demokratische Verfassung, Aufhebung der
Karlsbader Beshlüsse von 1819
Vorboten der Revolution:
-Erfolge der Liberalen in Preußen 1847
-Selbstvertrauen der Bürger ist gewachsen
-wirtschaftliche Schwirigkeiten und Mißernten haben die allgemeine erregung verstärkt
-Unzufriedenheit mit dem Zensuswahlrecht (Wahlrecht, das an den Nachweis eines
bestimmten Besitzes, Einkommen oder einer bestimmten Steuerleistung gebunden ist
(Zensus)
-Unzufriedenheit mit der Regierung
-soziale Umsturzpläne der Radikalen führen zum Sturz des Bürgerkönigs und zu
sozialistischen Maßnahmen (Recht auf Arbeit)
-Vorbild französische Februarrevolution
Wichtigste Ereignisse im März 1848:
- in nahezu allen dt. Staaten kam es zu Versammlungen, Demonstrationen und z.T. zu
gewaltsamen Aktionen
-in den deutschen Mittel und Kleinstaaten erzwingen die Volksmassen liberale Ministerien
-in Österreich, Böhmen und Ungarn erheben sich die Landstände
-am 31. März trat in der Pauluskirche in Frankfurt ein Vorparlament zusammen, das eine
deutsche Verfassung beraten soll. Der Ausbau eines Nationalstaates sollte einer einer
gewählten verfassungsgebenden Nationalversammlung anvertraut werden. (Frankfurter
Nationalversammlung). In der Nationalversammlung bildeten die liberalen Gruppen die
Mehrheit. Sie wollten die neue deutsche Verfassung mit den bestehenden staatlichen
Gewalten ohne weitere Revolutionen auf dem Wege der Vereinbarung verwirklichen. da
sich die Verfassungsberatungen wegen der Parteiengegensätze innerhalb der Frankfurter
Nationalversammlung sowie aufgrund der vielfältigen Probleme in die Länge zogen, konnten
die alten Mächte die Zeit für die politische Gegenoffensive nutzen. Zunächst wurde die
Revolution in Österreich militärisch niedergeworfen. Danach setzte der preußische König
Friedrich Wilhelm der IV seine Truppen gegen die preußische Nationalversammlung ein, die
am 05.12. 1848 aufgelöst wurde.
am gleichen Tag erließ der König eine preußische Verfassung.
Warum mußte die Revolution scheitern?
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-sie hatte in einer schwierigen Situation zu viele Aufgaben zu bewältigen:
1. den deutschen Nationalstaat zu begründen
2. die politische Freiheit eines jeden Bürgers durch die Verfassung zu gewährleisten
3. die soziale Frage, die sich durch das Massenelend des Vormärz stellte zu lösen.
Anmerkung: Vormärz ist die Epoche zwischen dem Wiener Kongreß 1815 und der Deutschen
Revolution 1848/49. Der Vormärz ist gekennzeichnet durch denäußeren Frieden und
gewatsam erzwungene Ruhe, durch Zersplitterung in zeitweise 39 Einzelstaate, die im
Rahmen des Deutschen Bundes nur locker verbunden waren, durch eine reaktionäre
Unterdrückung aller nationalen und Liberalen Bewegungen im Metternischen System, durch
eine nur zögernd einsetzende Industrialisierung und ein besonders seit 1830 verbreitetes
Massenelend, welches durch starkes Bevölkerungswachstum bei fehlenden neuen
Arbeitsmöglichkeiten sowie durch die Bauernbefreiung und Aufhebung der Zunftsverfassung
bedingten Veränderungen des Gesellschaftsgefüges. Auf dem Land gekennzeichnet durch sehr
arme Kleinbauern und Tagelöhner ohne regelmäßige Arbeit, in den Städten durch arbeitslose
Handwerker, wurde das MassenelendPauperismus durch Mißernten und Hungersnöte in
den 40er und 50er Jahren verstärkt. Mit dem Durchbruch der industriellen Revolution um die
Mitte des 19.JH. wurde der Pauperismus besiegt.
Dabei wurde die Schwierigkeit der Situation durch drei weitere Umstände verschärft:
1. Für jedes Problem boten sich mindestens zwei widerstreitende Lösungen an:
-die nationale Frage war gekennzeichnet durch den Gegensatz der großdeutrschen und
kleindeutschen Partei
- die Verfassungsfrage durch die Alternative Republik oder konstitutionelle Monarchie
-die soziale Frage wollten einige durch Rückkehr zur vorkapitalistischen Wirtschaftsordnung,
andere durch staatliche und soziale Reformen auf der Basis der Demokratie lösen
2. neben dem Gegensatz von Radikalen (wollten demokratische Republik auf der Grundlage
sozialer Reformen, z.B. Struve, Fröbel) und Liberalen wirkte sich nachteilig aus das
Deutschland kein politisches Zentrum besaß
3. die europäischen Großmächte widersetzten sich der Deutschen Einigung.
politische Kräfteverhältnisse waren bereits entscheidend zugunsten der etablierten Mächte
verschoben, als die Frankfurter Nationalversammlung im
März 1849 auf der Basis eines eines Kompromisses zwischen kleindeutschen Liberalen
(politische Gruppierung, die eine Einigung Deutschlands unter preußischer Führung bei
gleichzeitigem Ausschluß Österreichs anstrebte, waren überwiegend norddeutsche
Protestanten) der und Demokraten ihre Reichsverfassung verabschiedete. Zwar setzte sich in
der Frankfurter Nationalversammlung die kleindeutsche Konzeption durchsetzen, konnte
allerdings erst in veränderter Form durch die Reichsgründung unter Bismarck verwirklicht
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werden. Letzte Versuche der Radikalen, durch die Aufstände in Sachsen, Baden und der
Pfalz die Revolution noch weiter durchzuführen, scheiterte an der militärischen Überlegenheit
der preußischen Truppen.
-die Nationalversammlung löst sich auf
- Die Union soll ein Fürstenbund sein, Österreich lehnt auch diese kleindeutsche Lösung ab.
Rußland steht hinter Österreich, weshalb Preußen keinen Krieg wagt. Der preußisch-
österreichische Dualismus ist nur militärisch zu lösen.
03. April 1849 schlug Friedrich Wilhelm IV von Preußen die ihm angebotene deutsche
Kaiserkrone aus. Er will die Kaiserkrone weder vom Volk noch durch Krieg. Fürsten warfen
Revolution nieder
die Grundrechte sind in Deutschland zum erstenmal formuliert. Das deutsche Bürgertum
hat die Einheit bejaht und die Revolution gewagt, doch der deutsche Nationalstaat kann nur
gegen Österreich geschaffen werden.
Heeresreform: Durch die Heeresreform soll die Heeresstärke der Bevölkerungszahl angepaßt
werden. Dabei geht es auch um die Stellung des Heeres im Verfassungsstaat, um die Frage
Parlament oder Königsheer
1848-1850 Deutsch-Dänischer-Krieg: Der erste deutsch-dänische Krieg entzündete sich an
dem Versuch Dänemarks, das mit Holstein (das zum Deutschen Bund gehörte) in Realunion
verbundene Herzogtum Schleswig (das nicht zum Dt. Bund gehörte) zu annektieren. Im
Rahmen der nationalliberalen Bewegung des 19.Jh. betonten Schleswig und Holstein
zunehmend ihre Einheit und strebten verstärkt ihre Eigenständigkeit und den Anschluß an
Deutschland an. Als 1848 das dänische Kabinett umgebildet und hauptsächlich mit
Eiderdänen(wollten Einverleibung Schleswigs bis zur Eider) besetzt wurden, erhoben sich am
23./24. März 1848 die schleswig-holsteinischen Stände und bildeten eine provisorische
Regierung. Preußen eilte im Auftrag des Deutschen Bundes zur Hilfe, mußte jedoch unter
britischem und russischem Druck mit Dänemark am 26. August 1848 den Waffenstillstand
von Malmö schließen. Die provisorische Schleswig-holsteinische Regierung wurde zum
Rücktritt gezwungen. Endgültig zum Abschluß kam dieser D-D-Krieg im Frieden von Berlin
(2.Juli 1850).
1850 1. Londoner Protokoll: hier forderten am Ende des ersten Deutsch-Dänischen Krieges
Österreich, Großbritanien, Frankreich, Rußland, Schweden und Norwegen die Erhaltung des
dänischen Gesamtstaates, garantierten dessen Integrität aber nicht. Preußen unterzeichnete erst
in der Folge der Olmützer Punktation und gab damit Schleswig -Holstein preis.
29.Nov. 1850 Olmützer Punktation: von Preußen und Österreich in Olmütz geschlossener
Vertrag, der einen Schlußstrich unter den Versuch König Friedrich Wilhelms IV von Preußen
zog, die in der Frankfurter Nationalversammlung gescheiterte deutsche Einheit unter
preußischer Führung auf antirevolutionärenm Wege zu verwirklichen.
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1852 2. Londoner Protokoll vom 8. Mai : regelten die Signatarmächte des 1. Protokolls die
Thronfolge im Gesamtstaat Dänemark zugunsten Prinz Christians IX, nachdem er zugesichert
hatte, die territorialen und machtpolitischen Verhältnisse der Herzogtümer Schleswig und
Holstein nicht zu verändern.
1858-1888 Wilhelm der I (bis 1861 Prinzregent, 1871 deutscher Kaiser)
1862 Bismarck Ministerpräsident
1864: Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark, das 1863 die Abmachungen des
2. Londoner Protokoll dadurch brach, daß es eine Verfassung für das ganze dänische Land,
einschließlich Schleswig, erließ und damit erneut Schleswig von Holstein abzutrennen
versuchte. Am 1. Februar 1864 überschritten- wiederrum im Auftrag des Deutschen Bundes-
preußische und Österreichische Truppen die Grenzen Schleswig-Holsteins und zwangen
Dänemark zum Frieden von Wien. (30.Oktober 1864) Dänemark trat die Herzogtümer
Schleswig und Holstein ab, die bis 1866 unter preußisch-österreichisches Kondominium
gestellt wurden.
1866 Krieg Preußens gegen Österreich und seine Bundesgenossen, der preußisch-
österreichische Dualismus um die Führung im Deutschen Bund sowie die Spannungen wegen
der seit 1864 unter preußisch Österreichischen Kondominum stehenden Elbherzogtümer
Schleswig und Holstein führten 1866 zum Deutschen Krieg. Preußen verbündete sich mit
Italie, das die Österreichischen Truppen im Süden band, erklärte am 14.Juni 1866 Österreich
den Krieg, das seinerseits von Sachsen, Hannover und Kurhessen unterstützt wurde. Die
Entscheidung fiel in Böhmen: Nachdem Preußen zuvor Hannover geschlagen hatte, siegten
die preußischen Armeen nach einem unkonventionellen Plandes preußischen
Generalstabschefs von Moltke bei Königgrätz am 03.Juli 1866 über die österreichische
Nordarmee und die mit ihr verbündeten Sachsen. Im Frieden von Prag wurde der Deutsche
Bund aufgelöst; Österreich verlor Venetien und alle Rechte in Schleswig-Holstein
, ebenso Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main an Preußen. Hiermit war die
politisch-militärische Macht Preußens in Deutschland gesichert und führte zur Gründung des
Norddeutschen Bundes: Bundesstaat von 22 Mittel-und Kleinstaaten sowie freien Städten
nördlich der Mainlinie, wurde von Bismarck beabsichtigt und war die wichtigste
Zwischenstufe im Prozeß der Entstehung des Deutschen Reiches. Wirtschaftlich und
militärisch stand der N.B. unter der faktischen und der durch die am 17. April 1867
verkündete, am 01.07.1867 in Kraft getretene Verfassung auch institutionell verankerten
Hegemonie Preußens. Durch den Deutschen Zollverein waren auch die süddeutschen Staaten
mit dem N.B. verbunden, durch das System der militärischen Schutz-und Trutzbündnisse
wurden ihre Streitkräfte für den Kriegsfall unter den Oberbefehl des Königs von Preußen
gestellt. Der N:B: war als Provisorium gedacht, da die abwartende Haltung der süddeutschen
Staaten, aber auch der Widerstand Frankreichs 1866 den Weg zu einer kleindeutschen Lösung
der deutschen Frage versperrte. Die liberalen und föderalistischen Elemente des N.B. kamen
den süddeutschen Staaten entgegen, die unverkennbare Tendenz zur Absicherung der
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preußischen Hegemonie war Ausdruck der Reichsgründung von oben. Zu Beginn des
Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 schlossen sich die süddeutschen Staaten dem N.B.
an, der, so erweitert, im Dezember 1870 den Namen Deutsches Reich annahm und dessen
Verfassung im wesentlichen in die Reichsverfassung von 1871 übernommen wurde.
1870/71 Deutsch-Französischer Krieg
Den äußeren Anlaß zum D-F.Krieg gaben die spanische Thronkandidatur eines Mitgliedes des
Hauses Hohenzollern und die Emser Depesche (Telegramm des Geheimrats H. Abeken vom
13. Juli 1870 aus Bad Ems, in dem er Bismrck über die Gespräche des dort zur Kur weilenden
preußischen Königs Wilhelm I. mit dem französischen Botschafter Graf Benedetti
unterrichtete. Benedetti hatte nach dem Verzicht des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-
Sigmaringen auf die spanische Thronfolgekandidatur weitergehende preußische
Zugeständnisse gefordert, die der König jedoch ablehnte.), auf deren Veröffentlichung in
verkürzter und dadurch in inhaltlich verschärfter Form durch Bismarck Frankreich unter
Napoleon III. am 19.Juli 1870 mit einer Kriegserklärung an Preußen reagierte. Unter Führung
des preußischen Generalstabschefs Moltke drang in den ersten Augusttagen die deutsche
Armee in Frankreich ein; ein Teil der des französischen Heeres wurde bei Metz eingeschlosse;
der deutsche Sieg bei Sedan bedeutete das Ende des französischen Kaiserreiches. Die nach
Ausrufung der Dritten Republik aufgebotenen Massenheere leisteten den deutschen Truppen
wirkungsvollen Widerstand. Die militärische Entscheidung fiel im Januar 1871 vor der seit
dem 15. September 1870 von deutschen Truppen eingeschlossenen französischen Hauptstadt
Paris. Am 28. Januar 1871 kam es zum Waffenstillstand. Eine neue französische
Nationalversammlung sollte entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen Frieden zu
schließen sei. Nach dem Vorfrieden von Versaille (26. Februar 1871) folgte im Mai 1871
der Frankfurter Friede, in dem Frankreich Elsaß und Lothringen an Deutschland abtrat und
sich zur Zahlung von 5 Mrd. Francs als Kriegsentschädigung verpflichtete. Der D-F.K.
1870/71 förderte entscheidend die seit 1868 stagnierende deutsche Einigungsbewegung
(Reichsgründung). Noch während der Belagerung von Paris fand am 18.Januar 1871 im
Spiegelsaal von Versailles die Kaiserproklamation statt, die zum bildhaften Ausdruck für
die Gründung des Deutschen Reiches wurde.
1871 Deutsches Reich amtliche Bezeichnung des deutschen Staates 1871-1945. Die
Gründung des D.R. kann nicht auf den 18. Januar 1871, die Ausrufung Wilhelm I zum
Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versaille festgesetzt werden, sondern vollzog sich in
einzelnen Etappen, geginnend mit der Deutschen Revolution, über den Deutschen Krieg von
1866 und die Gründung des Norddeutschen Bundes von 1867 bis zum Deutsch-Französischen
Krieg 1870/71. Die reichsverfassung von 1871, die aus der Verfassung des Norddeutschen
Bundes und den Bündnissen mit den süddeutschen Staaten hervorging, stellte den Endpunkt
dieser Entwicklung dar. Aus historischen Gründen und um die partikularen Interessen und die
unterschiedlichen Verfassungen der deutschen Staaten mit dem Einheitsgedanken in Einklang
zu bringen, entstand das D.R. als konstitutinell-monarchischer Bundesstaat auf der Grundlage
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eines Fürstenbundes. Staatsoberhaupt war bis 1918 der preußische König als deutscher Kaiser.
Daneben standen die Bundesfürsten die Regenten der einzelnen Flächenstaaten.
Anmerkung: Bismarcks Bündnissystem
Nach 1871 war die Außenpolitik Otto von Bismarcks auf Erhaltung und Sicherheit der der
gegebenen territorialen und machtpolitischen Verhältnisse ausgerichtet. Die Revanche
Frankreichs für den verlorenen Krieg 1870/71 und v.a. für den Verlust Elsaß-Lothringen
fürchtend, strebte Bismarck das Ziel der Auskreisung und Isolierung Frankreichs und die
gleichzeitige Einbindung des Deutschen Reiches in ein umfassendes europäisches
Bündnissystem an. Grundlage dafür war die Vorstellung des Gleichgewichts der europäischen
Mächte, wechselseitiger Sicherheit, Ablenkung europäischer Gegensätze an die
Peripherie(Kissinger Diktat von 1877) und die Furcht, vor einem Deutschland gefährdenden
Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Rußland. Bismarcks Bündnissystem (Dreikaiserbund
1873 u.1881, Zweibund, Dreibund, Mittelmeerabkommen sowie der
Rückversicherungsvertrag 1887 war nicht auf einen Kriegsfall konzipiert, sondern sollte die
europäische Friedensordnung stützen. Erst gegen Ende seiner Kanzlerschaft wurden in der
französisch-russischen Annäherung die Grenzen seines Systems sichtbar.
1873 Dreikaiserbund und 1881 Informelles Bündnisverhältnis zwischen dem Deutschen
Reich, Österreich-Ungarn und Rußland, das bei einem Treffen der drei Monarchen im
September 1872 in Berlin vereinbart worden war und der Auskreisung Frankreichs dienen
sollte. Auf der Basis dieses Treffens kam es 1873 zu einem in der praktischen Bedeutung
zweifelhaften deutsch-russischem Militärabkommen und zwischen Österreich und Rußland zu
einem Konsultativabkommen, dem auch das Deutsche Reich beitrat und in dem die drei
Mächte sich im Falle einer europäischen Krise zu gegenseitiger Verständigung über eine
gemeinsame Handlungsweise verpflichteten.
Der russisch-österreichische Gegensatz in der Balkanfrage blieb jedoch beherrschend und
wirkte sich vor allem nach dem Berliner Kongreß 1878 auch auf den Dreikaiserbund aus.
Dennoch gelang es Bismarck 1881 erneut ein Dreikaiserbündnis abzuschließen, in dem sich
die drei Partner Neutralität beim Angriff einer vierten Macht zusicherten. Die sich nach 1886
zuspitzende Balkankrise ließ den Dreikaiserbund endgültig zerbrechen. Das Deutsche Reich
suchte Ersatz im Rückversicherungsvertrag.
1877 Kissinger Diktat vom 14.Juni 1877 Während eines Kuraufenthaltes in Bad Kissingen
legte Bismarck am 15.Juni 1877 seine Grundgedanken über seine Außenpolitik des Deutschen
Reiches nieder. Der durch die Mittelllage Deutschlands bedingte Alpdruck möglicher
Bündnisse gegen das Deutsche Reich erfordere eine Politik, durch die die bestehenden
Spannungen zwischen den europäischen Mächten insbesondere zwischen Österreich und
Rußland sowie Großbritanien und Frankreich erhalten werden sollen, so daß sie sich nicht
untereinander gegen Deutschland verbünden können, sondern vielmehr, mit Ausnahme
Frankreichs-auf das Reich angewiesen und an Deutschland gebunden seien.
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1878 Berliner Kongreß Zusammenkunft führender Staatsmänner der europäischen
Großmächte Großbritanien, Frankreich, Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien
sowie der Türkei in Berlin. Anlaß war der Vorfriede von San Stefano 1878, durch den
Rußland seinen Einfluß auf dem Balkan so vergrößert hatte, daß Großbritanien von
Österreich-Ungarn sich in ihren Interessen bedroht fühlten. Unter dem Vorsitz des deutschen
Reichskanzler Bismarcksd, der das deutsche Desinteresse am Balkan bekundet hatte, wurde
ein Kompromiß ausgehandelt. Der Berliner Kongreß vermehrte zwar das internationale
Ansehen Deutschlands, die Machtminderung jedoch, die Rußland hinnehmen mußte, bewirkte
eine Abkühlung des deutsch-russischen Verhältnisses und der russisch-österreichischen
Rivalität auf dem Balkan.
1879 Zweibund Defensiver Bündnisvertrag zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen
Reich vom 07.Oktober 1879. Beide Mächte verpflichteten sich bei einem Angriff Rußlands
oder dessen Unterstützung für eine andere angreifende Macht (Frankreich) zu
wechselseitigem Beistand. Der politische Hintergrund des Vertrages lag im deutsch-
französichen Krieg 1870/71 und in der russisch-österreichischen Rivalität auf dem Balkan.
Der Zweibund wurde abgeschlossen, als Rußland aus Enttäuschung über mangelnde deutsche
Unterstützung auf dem Berliner Kongreß mit Drohgesten reagierte sowie vor dem Hintergrund
von Bismarcks Furcht vor einer britisch-französischen-österreichischen Allianz gegen das
Deutsche Reich. Mit dem Verfall des Bismarckschen Bündnissystems unter seinen
Nachfolgern wurde der Zweibund zum Fundament der Außénpolitik des Deutschen Reiches.
1881 Dreikaiserbund siehe 1873
1882 Dreibund Am 20. Mai 1882 abgeschlossenes, bis zum ersten Weltkrieg mehrfach
erneuertes geheimes Verteidigungsbündnis zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-
Ungarn und Italien. Die vertragsschließenden Parteien sicherten sich gegenseitig
Unterstützung bei einem Angriff von zwei oder mehreren Großmächten auf einen der
Vertragspartner zu; im Falle eines Krieges zwischen einem der Bündnispartner mit einer
Großmacht sollten die unbeteiligten Partner Neutralität bewahren.
1887 Mittelmeerabkommen und Rückversicherungsvertrag
Mittelmeerabkommen: Zwei zwischenstaatliche Vereinbarungen von 1887 zur Sicherung
des Status quo(=der bestehenden territorialen und machtpolitischen Verhältnisse) im Balkan-
und Mittelmeerraum. Am 12. Februar 1887 verpflichtete sich Großbritanien und Italien, denen
sich am 24. März auch Österreich-Ungarn anschloß (Mittelmeerdreibund), die bestehenden
Machtverhältnisse im Mittelmeer aufrecht zu erhalten. (Sicherung des britischen und
italienischen Einflusses im Mittelmeerraum). Am 12/16. Dezember 1887 vereinbarten
dieselben Mächte die Aufrechterhaltung des Status Quo im Orient und Sicherung der
Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches. Beide Abkommen waren nicht Verträge im
eigentlichen Sinn, da sie jeweils nur durch geheimen Notenaustausch der Partner zustande
kamen. Sie erloschen stillschweigend, als Großbritanien die Anträge auf Erneuerung 1895 und
1896 stillschweigend ablehnte. Die Vereinbarungen waren wichtige Ergänzungen zu
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Bismarcks Bündnissystem, da sie Großbritaniendem Dreibund näherbrachten und Österreich-
Ungarn gegenüber Rußland stärkten. Bismarck förderte deshalb ihr Zustandekommen und
schloß sich ihnen aber wegen des gegen Rußland gerichteten Inhalts aus Rücksicht auf den
deutsch-russischen Rückversicherungsvertrag nicht an.
Rückversicherungsvertrag: Am 18. Juni 1887 zwischen dem Deutschen Reich und Rußland
geschlossener Geheimvertrag mit dem Bismarck als Ersatz für den Dreikaiserbund eine
Sicherung gegen einen drohenden Zweifrontenkrieg zu gewinnen suchte. Mit diesem Vertrag
verpflichteten sich die Vertragspartner zur Neutralität, falls Deutschland von Frankreich oder
Rußland oder Rußland von Österreich-Ungarn angegriffen werden sollte. Bei provoziertem
Krieg, der von einer der vertragsschließenden Parteien ausgehe gelte jedoch das beidseitige
Neutralitätsversprechen nicht. Ein Zusatzprotokoll erkannte die russischen Interessen in
Bulgarien und am Bospurus an, widers�õ-��åh��-�.� €� �Geist des Deutsch-
österreichischen Zweibunds, des Dreibunds und der von Bismarck untersützten
Mittelmeerabkommen. Der Rückversicherungevertrag hatte eine Laufzeit von drei Jahren,
wurde aber 1890 von Deutschland nicht mehr erneuert, was Alexander III zum Bündnis mit
Frankreich bewog.
1888-1918 Wilhelm II 1888 Thronwechsel, eine Herschergeneration wird übersprungen. Der
junge Wilhelm II ist ohne feste Ziele. Im Inneren wächst der Gegensatz zwischen
Arbeiterbewegung und Regierung, Außenpolitisch weckt die Politik der freien Hand ûnd
Aufrüstung das Mißtrauen der Großmächte. Neue Machtverhältnisse entstehen, Bismarcks
Bündnissystem löst sich auf.
1890 Entlassung Bismarcks-Rückversicherungsvertrag nicht erneuert
Mit der Entlassung Bismarcks wurden in der Deutschen Außenpolitik seine Vorstellungen
zugunsten eines neuen Kurses aufgegeben. Der neue Reichskanzler G.L. von Caprivi hielt
einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Rußland für unvermeidlich und wollte daher die
Bundesgenossen, v.a. Österreich-Ungarn, fester an Deutschland binden. So wurde auf seine
Veranlassung 1890 der Rückversicherungsvertrag mit Rußland nicht mehr erneuert, wodurch
Rußland frei wurde für ein Bündnis mit Frankreich.B.B. brach endgültig auseinander, als
deutschland Großbritanien durch seine Flottenpolitik brüskierte und die
Bündnisverhandlungen (1898-1901) scheitern ließ, ohne die britische Warnung, man werde
mit Rußland und Frankreich zusammengehen, ernstzunehmen. Mit dem Abschluß der
britisch-französischen Entente 1904 und der Tripelentente mit Rußland war aus der von
Bismarck angestrebten Isolierung Frankreichs eine des Deutschen Reichs geworden.
1898-1901 Bündnisverhandlungen
1898 Beginn der Weltpolitik der USA
1902 Englisch-japanisches Bündnis
1904 britisch-französischen Entente
Bezeichnung für das Verhältnis engen Einverständnisses weitgehender Interessenidentität in
bestimmten politischen Fragen (Entente). Eine Entente kann muß aber nicht ihren Ausdruck in
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einem formellen Bündnis finden. Die Entente cordiale bezeichnet das einem Bündnis
nahekommende Verhältnis zwischen Großbritanien und Frankreich nach ihrer Einigung über
koloniale Differenzen. Kern der Entente wurden später militärische Absprachen für den Fall
eines Krieges gegen das Deutsche Reich. Durch den Beitritt Rußlands zu dem britisch-
französischen Bündnis wurde die E.cordiale zur Tripelentente erweitert 1907.
1905 Russische Niederlage im Krieg gegen Japan
Das Übergreifen des russischen Imperialismus auf die Mandschurei und Korea und das
japanische Großmachtstereben in Ostasien hatten bereits im letzten Jahrzehnt schwere
Spannungen ausgelöst. Die russische Weigerung, Korea dem japanischen Einfluß zu
überlassen, führte Anfang 1904 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch Japan
und zur Zerstörung der russischen Kriegsflotte in Port Arthur. Rußland erfuhr eine Reihe von
Niederlagen.
1907 Tripelentente mit Rußland
Historischer, politischer und sozialer Hintergrund
Die deutsche Geschichte im zweiten und dritten Drittel ist durch zwei Entwicklungsstränge
bestimmt, die in gewisser Weise divergent zueinander verlaufen:
a)nationalpolitische
b)wirtschaftlich technische Entwicklung
Periodisierungsprobleme:
a) Beginn
Zwar legt die ältere Forschung (Hugo Bieber) den Beginn der neuen Epoche schon um 1830
mit der Julirevolution, dem Tod Hegels und Goethes fest, so ist dies zumindest teilweise
dadurch gerechtfertigt, daß auch das Biedermeier und die Jungdeutschen sich in begrenztem
Maße der Wirklichkeit zuwandten und realistische Tendenzen verfolgten. Doch die neuere
Literatur legt kaum kontrvers den Beginn mit dem Revolutionsjahr 1848 fest.
Das Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848/49 veränderte die Historisch-politische,
geistige und literarische Lage in Deutschland so weitgehend, so daß man trotz
Überschneidungen im Einzelfall (etwa bei Stifter und Hebbel) um die Mitte des Jahrhunderts
den Beginn jener Periode ansetzen darf, die als bürgerlicher oder poetischer Realismus
bekannt wurde. Mit der Betonung der Zäsur 1848/49 ist der deutsche Realismus stärker als
zuvor in den geschichtlich-politischen Zusammenhang eingebettet.
Der ideelle Träger der 48 Revolution war das liberale Bürgertum, das für politische
Selbstbestimmung und für die Einheit der Nation kämpfte. Durch Freiheit zur Einheit dieser
Grundgedanke bezeichnete die gegen die Obrigkeisstaatliche Monarchie gerichtete,
bürgerlich-demokratische Zielrichtung der Revolution. Eine tiefe Hoffnungslosigkeit und
Niedergeschlagenheit beherrschte die zeitstimmung der nachrevolutionären Jahre. Das Prinzip
der nationalen Einheit siegte über das Freiheitsverlangen. Das Bürgertum wollte ein
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mächtiges, einheitliches Deutschland um jeden Preis, traute sich selbst eine Lösung des
Problems aber nicht mehr zu. Spätestens nach dem Krieg mit Österreich 1866 war der
großdeutsche Gedanke aufgegeben. Immer mehr Liberale schlugen sich auf die Seite
Bismarcks und begruben damit ihre Hoffnungen auf eine freiheitliche Erneuerung
Deutschlands. Der Grund für die Entwicklung zu einer bonapartischen Monarchie und zur
Verpreußung Deutschlands liegt in der ideologischen Kapitulation des liberalen Bürgertums
nach 1848. Die Einst demokratische Substanz des Einheitsstrebens wurde immer mehr
verwässert. Der Liberalismus entpolarisierte sich, suchte ein neues Betätigungsfeld in
Wirtschaft und Wissenschaft und neigte zusehends zu Kompromissen und Versöhnung. Die
politisch-soziale Depression drückte sich in Schopenhauers pessimistischer Philosophie aus.
Wirtschaftlicher Aufschwung des Bürgertums und weitreichender Einfluß materialistischen
Denkens bedingten sich gegenseitig, und das Aufkommen des Positivismus in der
Wissenschaft kennzeichnete einen Bruch mit den fortschrittlichen Grundlagen des Denkens
vor 1848. Das Wirtschaftswachstum infolge der seit etwa 1850 beschleunigten
Kapitalentwicklung ging Hand in Hand mit seelischer und geistiger Verarmung des
Bürgertums.
b) Ende
Dissonanzen hinsichtlich der Enddatierung. Die literarische Entwicklung im letzten Jahrzehnt
des Jahrhunderts ist derart vielschichtig, daß eine befriedigende Lösung nicht nicht gefunden
werden kann.Das Ende der Periode mit dem Todesjahr Fontanes oder Meyer.
II. Begriff des Realismus (Auffassungen):
aus den theoretischen Äußerungen der Realisten läßt sich geschichtlich ein bestimmtes
Formprinzip herausschälen, das von älteren und modernen Kritikern bürgerlicher oder
poetischer Realismus genannt wird:
a)poetischer Realismus
Der Begriff stimmt tendenziell mit dem Sprachgebrauch der Zeit überein. Geprägt von Otto
Ludwig, der in den 50ger seine Vorstellungen entwickelte. Diese wurden erst postum
veröffentlicht (1871), so daß erst dort seine Position zum Literaturtheoretiker begründet
wurde.
Eigenständigkeit realistischer Dichtung, nicht bloße Widerspiegelung von Realität, sondern
künstlerische Transformation.poetische Verklärung, Fontane
Mittel: Auswahl poetischer Lebensmomente, Humor, Versöhnung und Verklärung
"Poetischer Realismus zielte auf realistische Autonomie des dichterischen Sprechens und
damit auf einen ihm eigenen Erkenntniswert. Im Kontakt mit der beobachteten und erfahrenen
11
Wirklichkeit, mit ihren Motivationen und Bedingungen, stellt der Dichter eine eigene Wirk-
lichkeit her.
Unter historischem Aspekt ist der Begriff des poetischen Realismus schon deshalb angreifbar,
weil er teilweise auf die Literatur vor 1848 anwendbar ist. Andererseits ist der Begriff des
bürgerlichen Realismus nur solange haltbar, wie das Atribut bürgerlich, das weder dem
Lebensstandard noch dem Selbstverständnis der Schriftsteller jener Epoche entspricht, keine
standesspezifische Bedeutung im Hinblick auf die Herkunft der Autoren erhält.
b) Bürgerlicher Realismus
Die Jahre nach 1848 waren
a)Jahre der polit. Entmächtigung und Auflösung eines liberal-oppositionellen Bürgertums
b) wirtschaftlich und gesellschaftliche Expansion, die den politischen Liberalismus zu einem
Wirtschaftsliberalismus verengte, zu ökonomisch-industriellem Machtgewinn führte und auch
auf die Bildung zurückwirkte.
Das Bürgertum verstand sich nach 1848 aber gegenüber der Regierung und Adel als Schicht,
der der wirtschaftlich demokratische und nationale, kulturelle und humane Fortschritt
überantwortet war. Die Autoren entstammen dem Bürgertum. Trotz kritischer Distanz einiger
Autoren (ältere Gottfried Keller, Raabe, Fontane) blieben sie an sie gebunden. Die Kritik am
Bürgertum zielte auf deren Verteidigung gegenüber einer von ihnen abfallenden Wirklichkeit.
Kapitalisierung, Technisierung, Bürokratisierung und Atomisierung der Gesellschaft brachten
schon in den fünfziger Jahren die alte soziologische Dreiteilung in Adel, Mittelstand und Volk
in Bewegung. Die industrielle Revolution legte den Grund für eine Veränderung und
Umschichtung der Gesellschaft, die die nächsten Jahrzehnte entscheidend prägen sollten. Das
Individuum wurde aus den althergebrachten ethischen und religiösen und sozialen Bindungen
in eine Scheinfreiheit gesetzt, um dann in der Massengesellschaft völlig isoliert und dabei voll
funktionalisiert zu werden. Die Entfremdung von der äußeren Welt warf den Menschen auf
sich selbst zurück. Sein Realitätsbezug war entscheidend gestört und verunsichert, wenn auch
in ganz verschiedener Weise, die beiden neuen soziologischen Typen der Zeit: den
wirtschaftlich expansiven Erfolgsbürger, den Bourgois, und den von der Hand in den Mund
lebenden Industriearbeiter, den Proletarier. Das Bürgertum versuchte durch seine Bindung an
Kultur und Tradition sich gegen das Proletariat abzuschirmen. Der einstmals gegen den
Feudaladel gerichtete emanzipatorische Bildungsgedanke richtete sich nunmehr als
klassenbedingtes Vorrecht gegen die Unterschichten und wurde damit in seiner humanitären
Substanz beraubt. Besitz und Bildung wurden deckungsgleich, was einer totalen
Verdinglichung der Bildung gleichkam und besonders in der Gründerzeit häufig zu einer
idealisierenden Verschleierung kapitalistischer Profitinteressen gleichkam.
12
Die vom Liberalismus in ihrer Unabhängigkeit verherlichte Persönlichkeit stand gegen die
realen Zuständlichkeiten und Determinationen eines undurchsichtig gewordenen Weltganzen.
Die Innerlichkeit des Ich wurde nicht nur von äußeren Mächten bedroht, sondern auch innere
Wertmaßstäbe lösten sich auf. Das Ich geriet in einen Widerspruch mit sich selbst zu einer
Zeit, da auch die Abwehr determinierenden Drucks durch äußere Mächte immer schwieriger
wurde. Die Gefahr des Leidens an Vereinzelung und Vereinsamung, die die Dichtung sehr
häufig gestaltete, liegt auf der Hand.
Ihre Themen signalisieren eine Entwicklung, die von einer Positivität der Übereinstimmung
mit der bürgerlichen Gesellschaftsideologie /etwa Gustav Freytag) zur Negation (der späte
Raabe, Fontane, Keller) führt, die den Helden, indem er ihn die eigentlichen Werte zu
behaupten sucht, resignieren oder scheitern läßt.
Der Roman der bürgerlichen Aufstiegsillusion durch Erfüllung der gesellschaftlich-sittlichen
Wertsetzungen (Freytags Soll und Haben 1855, Stifters Der Nachsommer) wird in der
Produktion nach 1870/71 in der Gründerzeit zum Roman der Desillusion.
Der Adel wird nur noch kritisch-negativ (Freytag, der jg. Raabe, Storm) oder (Fontane
gesellschaftsproblematisch dargestellt. (Nur in der Unterhaltungsbelletristik bleibt, jedoch
moralisch differenziert). Denn das Bürgertum glaubte, einen, eine human zivilisatorische
Mission zu vertreten gegen den Klassenegoismus des Adels, an den man sich im Lebensstil
gleichwohl gerne anpaßte.
Die nach 1850 auftretenden Probleme (Industrieproletariat) werden fast gänzlich ignoriert.
Aufgrund der Bildung städtischer Industriezentren, die die keleinen Handwerks und
Manufakturbetriebe ablösten, und die durch die Heranziehung von Arbeitskräften bedingte
Landflucht verursachten eine Proletarisierung weiter Schichten, die nichts besaßen außer ihrer
Arbeitskraft. Hierdurch traten die Polarität von Stadt und Land immer deutlicher ins
Bewußtsein. Die Literatur nimmt im Prozeß der demokratischen zum nationalen Liberalismus,
dann zu konservativem Nationalismus, eine Selektion unter der Perspektive der bürgerl.
Lebenswelt vor-sie legitimiert den Begriff bürgerlichen Realismus.
Der literarisch versierte und kritische Leser war so nicht gegeben. Dem Niveaustand des
Autors entsprach nun der Leser außerhalb der büprgerlichen Normalität. Rezeptionsselektiv
wirkten sich nicht nur das Kunstniveau sondern auch die Regional differenzierende
Dialektliteratur aus. (Fritz Reuter, Kain Hüsing) die zwischen Volk und Literatur zu
vermitteln bemüht war. Erhebliche Steuerung in der Distribution kam den Leihbibliotheken
zu. Selbst Storm, mit Selbstironie Raabe, orientierten sich hier an Geschmackspräferenzen.
Rezeptionsanleitungen für ein literarisch wenig versiertes Publikum übernahmen bürgerliche
13
Familienzeitschriften (z.B. die Gartenlaube, gegr. 1852, 1860: 100.000, 1875: 400.000)
Romanreihen und -zeitungen (Dt. Romanzeitung 1863)
Roman und Erzählung gewannen Übergewicht. Die erzählende Prosa als vertrautes Mittel der
Bewußtseinslenkung wie im Vormärz. Außerdem ist die erzählende Dichtung Wirklichkeits
näher als die stilisierende Formen von Drama und Epos und konnte so eher für den einzelnen
Menschen, der zwiscjen Innen und Außen, Ich und Welt, Vereizelung und Gemeinsamkeit
den Ausgleich suchen.
Mit dem Begriff der bürgerlichen Realismus dürfte mit der Breitendimension, der
gesellschaftlich-geschichtliche, und literarische Ort in der zweiten Jahrhunderthälfte
erfaßt sein.
Fazit: der Begriff des Realismus zielt nicht auf die kategoriale Gleichsetzung von Dichtung
und Wirklichkeit. Als Voraussetzung aller Definitionen sollte man sich die kategriale
Differenz von Realität und fiktiver, künstlerisch hergestellter Wirklichkeit der Dichtung
klarmachen, ohne dabei die geschichtlichkeit des Kunstwerks zu bestreiten. Erst dann läßt
sich der Realismus als historischer Zeitstil umreißen, und man kann zu dem Ergebnis
kommen, daß die Dichtung in dieser Zeit sich stofflich, thematisch, in ihren
Problemstellungen und in ihren Formprägungen, also in der von ihr gedichteten, fiktiven
Welt, an die Grenzen hält, die durch die natürliche oder endliche Erfahrung in Zeit, Raum,
Kausalität und durch die seelisch-psychologische Erfahrung des Menschen als ein existieren
in der Erfahrungswelt bestimmt werden. Realistische Dichtung bezieht ihr Material zwar aus
der wirklichen Welt, verwandelt es aber unter spezifisch künstlerischen Form- und
Strukturgesetzen und weist in ihrer autonomen Beschaffenheit als Symbolstruktur über die
eigene Wirklichkeit hinaus in die reale Welt zurück. Eine solche Definition kennzeichnet aber
nicht nur den bürgerlichen Realismus, sondern auch andere realistische Kunstrichtungen.
Entscheidend für das Entstehen des bürgerlichen Realismus war eine Verunsicherung und
Verstörung des Realitätsbewußtseins im Zeitalter der gescheiterten politisch-sozialen
Revolution, des wirtschaftlich industriellen Aufschwungs und der Entwicklung zur modernen
Massengesellschaft nach 1871 bei einer gleichzeitig explosierenden Anhäufung
wissenschaftlicher Einzelerkenntnisse in Naturwissenschaft und Technik, Ökonomie und
Psychologie. Die Objektivität des Tatsächlichen spaltete und zerfaserte sich, löste sich auf und
wurde dadurch erst eigentlich zum Problen des realistischen Dichters.
Eingrenzung des Realismus: Zwar stellte der bürgerliche Realismus den Menschen nicht,
wie der Naturalismus als Produkt materieller Kräfte dar, aber der Kampf mit diesen Kräften,
die Suche nach Gleichgewicht, führte fast immer zu Scheitern im Tode oder zu Resignation
und Entsagung.
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d) Realismus-Programm
Daß der Realismus in Deutschland eine Theorie besaß ist spät erkannt worden. Die
herausragenden Dichterpersönlichkeiten dieses Zeitraums, Theodor Storm, Wilhelm Raabe,
Gottfried Keller, Friedrich Hebbel, Theodor Fontane und Conrad Ferdinand Meyer
beschäftigten sich nicht systematisch mit literaturtheoretischen Fragen. Erst neuerdings hat
man eine neue Ebene der literarischen Meinungsbildung beobachtet: die literarische und
politische Journalistik. Hier fand man in vielen miteinander konkurrierenden Zeitschriften
nach 1849 den Versuch, neue Werte und literarische Maßstäbe durchzusetzen:
Grenzboten:
"Die Grenzboten" (leipzig, herausgeber seit 1848: herausgeber Gustav Freytag und Julian
Schmidt) beeinflußten am nachhaltigsten den Literaturbetrieb im Sinne eines realistischen
Programms. Die Blätter für die literarische Unterhaltung pflegten unter Marggraf zuerst das
vormärzliche Erbe, schwenkten dann aber auf eine neue Linie, wobei besonders die die
Anknüpfung an Goethe propagiertz wurde.(liberale Herkunft) Die "Preußischen Jahrbücher"
waren von nationalliberaler Ausrichtung und galten als wichtigste oppositionelle Zeitschrift.
Das Realismus-Programm, das nach 1848 in den Grenzboten durch Julian Schmidt und
Gustav Freytag entwickelt wurde stützte sich zwar auch auf die Dofgeschichte, war aber, nach
englischem Muster, primär auf die Erneuerung des Romans hin orientiert. Eine Poetik der der
kürzeren Erzählung wurde nicht entwickelt. Dies bedeutete eine Verspätung der Bemühungen
um die künstlerische Ausgestaltung ihrer vom Vormärz tradierten lockeren Form, die
erzähltechnische erst Paul Heyse in seiner beschränkten Novellentheorie 1871 festlegte.,
ohne allerdings bei den bedeutenden Autoren damit durchdringen zu können. Sie hatten in
hrer literarischen Praxis zwar schon wesentlich zur künstlerischen Disziplinierung ders
Erzählens in Gehalt, Aufbau und Stil beigetragen, aber die Legitimation zur freien
individuellen Handhabung behauptet.
In Vorreden zu deutschen Romanen, in lieraturtheoretischen Abhandlungen und in
polemischen Artikeln wurde zwischen 1849 und 1860 eine neue Auffassung von Gestalt und
Funktion der literarischen Kultur propagiert. Der literaturpädagogische Impuls verebbte in den
60er Jahren, die neue Auffassung hatte sich durchgesetzt.
Das Trauma der Revolution: Die Redakteure und Herausgeber waren in den den 40 er Jahren
großteils engagierte Demokraten gewesen. Die Geschichte der gescheiterten Revolution ging
daher bemerkbar in die Bestimmung der neuen literarischen Richtung ein. Der Neubeginn
zeigt sich in der Abgrenzung zur Biedermeierliteratur, die publizistischen Wagnisse der
Jungdeutschen und die Tendenzlyrik des Vormärz. Es zeigt sich weiterhin an der Kritik in der
radikalen Umwälzung der Gesellschaft. Deshalb war die hauptsächliche Zielrichtung des
programmatischen Realismus eine Entspannung in politischer, weltanschaulicher und
Stilistischer Hinsicht. Der Zusammenhang zwischen der neuen Poetik und dem Bedürfnis
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nach Ruhe und Ordnung, das sich parteipolitisch in eine Annäherung zwischen Konservativen
und Liberalen umsetzte, tritt demonstrativ bei Gustav Freytag zutage.
Die breite Masse des mittelständischen Bürgertums fand sich in der gemäßigt liberalen Staats-
und Gesellschaftsauffassung der Grenzboten und den Preußischen Jahrbüchern repräsentiert.
Bald aber orientierte sich auch der Liberalismus in seiner Mehrheit an den politischen Zielen
Bismarcks, der 1862 preußischer Ministerpräsident und Außenminister geworden ist. Nach
dessen politischen Erfolgenverzichteten die Liberalen auf die Opposition, mit diesem Verzicht
war auch die Geschichte des programmatischen Liberalismus zu Ende. Eine gegenüber dem
Bürgertum kritischere Auffassung löste ihn ab. Diese äußerte sich aber nicht programmatisch,
sondern entwickelte sich in den Erzählwerken von Raabe, Keller, Fontane, Storm und
Spielhagen.
Forderung der Grenzboten: nicht die zufälligen Erscheinungen der Wirklichkeit zu fixieren,
sondern ihren bleibenden Gehalt= Programmatiker der Weimarer Klassik, Neu: eine derart
idealistische Position sollte auf die historische Wirklichkeit konkret einwirken, die Kunst
sollte vorwegnehmen, was man für den politischen Alltag erwünschte:Konsequenzen für
das poetische Verfahren:
Stoff:
-Poesie soll sich zwar an erfhrbarer Wirklichkeit orientieren und Dinge des Alltags darstellen
-Künstler soll Gegenstände so auswählen, daß an ihnen die andere, die wahre Wirklichkeit
ablesbar ist.
-an dem Zugriff aus der Wirklichkeit liegt es, ob die Darstellung notwendig in einen rohen
naturalistischen Realismus abgeleitet oder ob sie das Ideal hinter der Erscheinung aufleuchten
lassen kann.Julian Schmidt: der Dichter soll die Wirklichkeit dort suchen, wo die
Tüchtigkeit des Volkes zur Geltung kommt: bei seiner Arbeit.
Darstellung:
Die Poesie muß etwas vorwegnehmen, solange die whre Wirklichkeit noch nicht die auch die
empirische geworden ist. solange Individuum und Gesellschaft nicht in Harmonie leben.
Der Verstand nimmt nur das jeweilige Gegebene wahr, also muß sich der Dichter an das
Gefühl wenden.so kann verklärendes Dichten die erhoffte gesellschaftliche Harmonie
vorwegnehmen.
Kunstregeln:
1. Wahrscheinlichkeit, 2. Integration der Elemente, 3. kompositorische EinheitVerwendung
dieser Regeln hat einen politischen Akzent
zu 1: das Dargestellte soll vom Leser/ Zuschauer nachprüfbar seinGriff ins Alltagsleben, die
sittliche Normalität, eine durchschnittliche Vernünftigkeit der Konfliktentwicklung und den
mittleren Stil, d.h. die Annäherung an die Alltagssprache und die Vermeidung der Extreme
von Komik und Pathos.
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Problem : Die Forderung nach Integration der Elemente, eine bloße Aufsummierung von
Elementen ergibt kein Ganzeses bedarf einer Technik, die das Detail mit dem Ganzen
verbindetdas soll der Humor leisten, Vorbilder: Romane von Charles Dickens, Wiliam
Thackeray: Humor als Ausdruck einer Haltung, die über den Dingen steht oder sie wenigstens
aus der Gelassenheit der Distanz betrachtet, lasse die partikulare Wirklichkeit in größeren
Zusammenhängen erscheinen.
Schreibnormen und Ideologie:
faßte Gustav Freytag in eiener Anleitung zum Schreiben eines Romans zusammen:
-eine Begebenheit soll erzählt werden
-muß in allen Teilen verständlich sein
-geschlossene Einheit bildeneinheitliche Färbung in Stil, Schilderung und Charakteristik der
darin auftretenden Personen
-innere Einheit und Zusammenhang muß sich logisch entwickeln
Fazit: Durch die Rezensionen und das praktische Vorbild von Freytags Roman Soll und
Haben (1855) prägten derartige Postulate als normative Schreibanleitungen fortan die
Produktion der vielgelesenen Literatur.Poetik und Programmatik der Realisten konnten so
über den Literaturbetrieb im weitesten Sinne zum Mittel der gesellschaftspolitischen
Ideenbildung werden. Hinter der Forderung nach dem kompositorischen Zusammenhang und
hinter der damit verbundenen Kritik an einem wildwüchsigen oder einem reflektierendem
Erzählen, wie man beides in den 1830er Jahren finden konnte, steht die Vorstellung nach
Harmonie des Individuums mit der Gesellschaft. Die Aussicht auf eine glückliche Lösung der
dargestellten Konflikte verweist auf eine allgemeinere Problembewältigung im realen
politischen Leben. Kunst und Kunsttheorie führen vor, was nach 1848 vom Bürgertum erhofft
und politisch erwünscht wurde.
Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 (1853)
Für die politische Zwiespältigkeit des bürgerlichen Realismus ist Fontane ein geeigneter
Zeuge.
Fontane war Angehöriger der zwischen 1815 und 1825 geborenen Generation. In den
fünfziger Jahren an keiner Gruppierung beteiligt, besah er den Literaturbetrieb von außen,
seine Urteile sind mit Maßen objektiv. Von seiner Biographie her steht er beispielhaft für
viele zwischen Engagement und und Abwehr schwankenden Vormärzler, die resignierten oder
sich für das politische Gegenteil engagierten. Kurz nach dem Rehgierungsantritt Wilhelm IV ,
der einige Zeit als scheinbar liberaler Herrscher begrüßt wurde, machte sich der junge Fontane
das politische Credo des Liberalismus zu eigen,: nationale Einheit und die Republik als
Staatsform. Der Apothekerlehrling trat wider Willen in Leipzig dem Herwegh Club bei, in
dem hochrangige politische Männerverkehrten. Er wurde 1843 ein engagiertes Mitglied der
konservativen Dichtervereinigung, Tunnel über der Spree. Im Revolutionsjahr 1848
bekämpfte Fontane jedoch in Artikeln für die radikale Zeitungshalle in Berlin den preußischen
Staat mit aller Schärfe und wurde zum Wahlmann für die Erneuerung des des Landtages
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aufgestellt. Schon 1849 zog er sich deprimiert aus dem politischen Geschehen heraus, wurde
wieder Beobachter
Dieses politische Schwanken machte Fontane zum guten Gewährsmann dafür, daß die
programmatische Poetik von Ludwig Schmidt, Gustav Freytag ung Julian Schmidt
verallgemeinerbar ist.
Als positives Kennzeichen des Realismus erscheint zum einen die Berufung auf das gegebene
Wirkliche, das im Alltag unmittelbar Erfahrbare. Der Gegenbegriff ist das Spekulieren;
Gustav Freytag sprach literaturhistorisch genauer, nämlich gegen die Romantik gewendet,
von Phantasiekram. Aus der empirischen Materalität sollen die Stoffe und Themen kommen.
Allerdings: die bloße Wiedergabe dieser Art von Wirklichkeit darf nicht das Ziel der
poetischen Arbeit sein. Als naturalistisch wird getadelt, wenn die Probleme der
Erfahrungswelt ohne ästhetische Korrektur in das Kunstwerk eingehen. Verklärung:,
Poetisierung, Verklärung, bezeichnen zugleich eine politische Einstellung zur historischen
Realität des Nachmärz: nicht mehr in der Politik, sondern in der Kunst soll nun eine
Vermittlung zwischen moraliuschen und ästhetischen Werten und empirischen Alltag,
zwischen Ideal und Lebenspraxis stattfinden.
Idealrealismus nannte F.TH. Vischer die Anwendung der idealistischen Poetik auf die
zeitgenössischen Lebensverhältnisse.
-Annahme einer höheren WirWirklichkeit über und hinter der empirischen Erscheinung äußert
sich ein Glaubensbekenntnis: Jede geschichtliche Zeit hat ihre Ideale-für die Zeit nach 1850
waren es Einheit der Nation, Sittlichkeit des Alltags, Bildung, je angemessener diese Ideale in
der Praxis realisiert wredn, desto deutlicher entwickelt sich aus der empirischen Wirklichkeit
die Wahre. Kunst soll dazu beitragen, die Ideale im Alltag zu verankern.
- Die Basis dieser Anschauung ist das liberale Bürgertum selbst, dessen politische Werte
Einheit und Nationalstaatlichkeit waren.
Romansituation:
Gründe für das Scheitern des Gesellschaftroman in Deutschland
Im Festhalten an der Perspektive des einzelnen und der Schau von innen unterscheidet sich
das deutsche Erzählen von der europäischen Entwicklung. Während in England, Frankreich
und Rußland der Zeit und Gesellschaftsroman vorherrschten, hielt der deutsche Realismus am
Entwicklungsroman fest (Stifter, Keller, z.T. auch Raabe) oder begrenzte den geschilderten
Weltausschnitt in der Kurzform der Novelle (Keller, Storm, Meyer) oder im kurzen Roman
(Raabe, Fontane). Da sich die objektive Wirklichkeit immer mehr verdinglichte,
verkomplizierte und entfremdete kam es in der Dichtung zur Subjektivierung der
Erzählsprache, die sich vorallem an der Symbolsprache und an den Gestaltungen des Humors
nachweisen läßt.
Zwar zeigen die Werke von Storm und Raabe aus den sechziger Jahren eine verstärkte
gesellschaftskritische Tendenz, aber eine breite epische Darstellung der Totalität der
gesellschaftlichen Verhältnisse wurde weiterhin verhindert durch die Unentwicklung eines
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gesamtgesellschaftlichen Bewußtseins, das auf die noch nicht überwundene territoriale
Zersplitterung und das Fehlen einer einer ausstrahlungs- und anziehungskräftigen Hauptstadt
zurückzuführen ist.
Nachwirkung romantisch-subjektiver und jungdeutscher Formtradition in Roman und
Erzählung, die erst in den Spätwerken Stifters und Kellers, Storms, Raabes und Fontanes ganz
abgebaut werden.
Realistisches Erzählen
Die Gemeinsamkeiten realistischen Erzählens von Stifter und Ludwig bis Fontane und
Meyer liegt in der Suche nach einem Ausgleich des problematischen Ineinander und
Gegeneinander von Subjektivität und Objektivität. Formal hält eine Objektivierung des
Gestaltens in Novelle und Roman-sichtbar an Stifters und Kellers Umarbeitungen und in
Storms, Raabes, Fontanes und Meyers Spätwerken der subjektivierenden Perspektivik noch
die Waage. Die formale Strenge der Novellendichtung und die formprägende Kraft des
Humors bewirken eine Relativierung des nur Subjektiven. Man suchte immer wieder, wenn
auch immer vergeblicher, einen Zusammenhang der Dinge, ein übergreifendes
Ordnungsprinzip.
Probleme:
-Verlust des Totalitätsbewußtseins der klassisch-idealistisch-romantischen Epoche
-Versuch althergebrachte Bindungen im Landschaftlich-Naturhaften, Volkhaften, Geschicht-
lichen oder sittlichen zu erneuern, daran war zu erkennen wie sehr die
Allgemeinverbindlichkeit dieser Werte verloren gegeangen war Bindung an die Werte war
fragwürdig, weil das romantische Konzept des Volkes angesichts von Klassenunterschieden
und Gruppeninteressen unhaltbar war (Marx, Engels), außerdem: Säkularisierung und
Materalisierung des Lebens, relativieren die an religiöse Grundlagen gebundene
Sittlichkeitsforderungen.
Mangel an Gegenwartsbezug bei der großen dt. Dichtung, die bürgerlichen Realisten sparen
im Gegensatz zu den französischen oder russischen Realismus den Bereich des sozialen
Kollektivs aus.die Krisenlage des Bürgertums wurde nicht mit offener Kritik begegnet
Das Bewußtsein zwischen Altem und Neuen in einer Übergangszeit zu leben, führte zu zwei
Abwehrhaltungen
a) die bürgerlichen Dichter wehrten sich gegen Beschränkung und Erstarrung in einem
spießbürgerlichen Biedermeiertum
b) man wandte sich gegen den die neue Zeit prägenden Erfolgs- und Erwerbsegoismus des
Bourgeois, der einer scharfen Kritik unterzogen wurde.
Problem der Dichter: vertraten nicht eine einheitliche soziale Gruppe (z.B. Bürgertum gegen
Adel), sondern gerieten innerhalb der eigenen Klasse zwischen die Fronten.
ausgeprägtes Bewußtsein irdischer Vergänglichkeit und Nichtigkeit, das bei allen
Schriftstellern der Zeit zu beobachten ist, führte zu Zweifel und Resignationzu dieser
Melancholie kam die Einsicht hinzu, daß man sich dem Neuen nicht verschließen könne.
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Lebensvertrauen und Hoffnung auf die Zukunft waren nicht ganz begraben, erwiesen sich
aber nicht stark genug zur Kritik oder zur konkreten Utopie.
Der Widerspruchscharakter des Lebens und der gesellschaftlich-politischen Ordnung wurde
durch den erzählerischen Humor verschleiert oder nur hintergründig angedeutet als beißende
Ironie
im dt. Realismus fehlen die radikalen Darstellungen gesellschaftlicher Krisen und Konflikte,
die die übrige europäische Romansituation kennzeichnen. Dies hängt einerseits davon ab, daß
die außerdeutsche Romanentwicklung-abgesehen von Dickens- für den dt. Realismus nicht
maßgebend wurdeder dt. Realismus bildete sich in relativer nationaler Abgeschlossenheit
aus.
Humor
macht auf den Widersinn und Unvernunft aufmerksam, am deutlichsten bei Keller und
Raabe, am wenigsten bei Stifter und Storm
Humor ist die künstlerische Entsprechung der Ambivalenz, Vielschichtigkeit und
Widersprüchlichkeit aller Dinge, die in wachsendem Maß nicht nur die Zeitstimmung jener
Jahrzehnte beherrschten, sondern auch Stellung und Funktion des Schriftstellers in der
bürgerlichen Gesellschaft kennzeichneten.
die realistischen Erzähler wandten sich nicht allein gegen eine das Tatsächliche
objektivistisch spiegelnde, naturakistische Schreibweise, sondern sie lehnten auch den
jungdeutschen Subjektivismus des Erzählens ab. Humor ist demnach nicht ausschließlich von
der individuell subjektiven Weltanschauung eines Dichters abzuleiten. Dem Humor wohnt
durchaus ein objektivierendes Prinzip inne. Schon bei den Romantikern sollte der Humor
zwischen dichterischer und faktischer Welterfahrung vermitteln
Friedrich Schlegel bezeichnet den Humor als angewandte Phantasie, dieser befreit den
Dichter von der Determination durch das nur Faktische und bewahrt ihn zugleich vor allzu
subjektivischem Poetisieren.
nach Hegel soll der objektive Humor die Verinnigung im Gegenständlichen erreichen. Er
soll ein Objektives, auf das der Dichter bezogen bleibt, im subjektiven Reflex gestalten. So
kann im erzählerischen Humor die Entfremdung zwischen subjektiver Phantasie und
Objektiver Wirklichkeit überwunden werden.
Daß eine solche Vermittlung von Subjektivität und Objektivität mittels des poetischen
Prinzips Humor eine Vielfalt individueller Ausprägungen erlaubt, versteht sich von selbst.
Ausprägungen des Humors:
a) das eine Extrem humoristischer Darstellung liegt in Ironie und Groteske, die aber von
wenigen Ausnahmen wie bei Keller und Raabe, nicht zeittypisch sind
b) das andere Extrem liegt in einem Abgleiten in das Sentimentale und Elegische, wobei der
Humor seine objektivierende Macht verliert, und ein rührender oder trauriger Tatbestand so
die Ästhetik der Zeit gefühlsmäßig überzuckert wurde, wo man also eine versönliche
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Surrogatlösung der herben Desillusionierung vorzog. Diese Gefahr bedrohte vor allem Storm
und Raabe, z.T. aber auch Fontane
Von der Art des Humors hängt es demnach ab, wie für die Erzählliteratur der Zeit so
typische Resignation und Entsagung zu interpretieren sind.
Raabe, Wilhelm, (*8. Sept. 1831 in Eschershausen/Braunschweig, gest. 1910 in Braun-
schweig)
Sohn eines Justizaktuars (Beamten). 1845 Tod des Vaters 1849-53 Buchhändlerlehrling.
1854-56 Gasthörer stud.phil. in Berlin, 1856 nach dem Erfolg der Chronik der Sperlingsgasse
Aufgabe des Studiums, lebte von da an als Schriftsteller, 1856 Rückkehr nach Wolfenbüttel,
1862 Heirat und Übersiedlung nach Stuttgart, 1862-1870 in Stuttgart, seitdem in
Braunschweig.
Allgemein: die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte hat zu einem neuen Raabe-Bild
geführt, in dem dieser immer noch zu wenig gelesene Autor als bedeutender Künstler
gewürdigt gewürdigt und sein Werk in engem Zusammenhang mit dichtungs- und
gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklungen der zweiten Jahrhunderthälfte interpretiert wird.
widerlegt These Raabe als versponnener Heimatdichter
Grundthema: die Selbstbehauptung und Sinnerfüllung individuell menschlichen Lebens im
Kampf gegen die umklammernden und determinierenden Mächte der Zeitlichkeit und der
bürgerlichen Gesellschaft.Raabes Erzählen spiegelt den Bruch zwischen Subjektivität und
Objektivität, der zu Resignation oder Weltüberwindung im Humor führt.
Erfahrungen von 1848 und 70/71 trieben Raabe zu einer völligen Ablehnung des
Spießbürgertums einerseits und des expansiven gründerzeitlichen Erfolgsbürgertums
andererseits
es ging im im Akt des Erzählens um eine individuelle Verwirklichung des Humanen, die er
immer wieder der Veräußerlichung und Verdinglichung der spätbürgerlichen Zeit, dem
Egoismus des Säkulum entgegensetzte.
fast immer erzählt Raabe einen beschränkten Weltausschnitt
bevorzugt die lockere Form der ausgedehnten Erzählungstrenge Formanspruch der
Novelle war mit seiner subjektiven Erzählhaltung nicht zu vereinbaren
Kennzeichnung seines Erzählens: Skepsis, Ironie und Humor, Polyperspektivismus
Raabe selbst gliederte sein Werk in:
-eine Jugendepoche von 1854-1862
- die Stuttgarter Zeit von 1862-1870
-die Alters- und Reifeperiode in Braunschweig 1870-1902
Zum Wilden Mann, 1873/74 (Novelle)
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Entstehungsgeschichte: gehört zu den kleineren Erzählungen, die im Jahre 1879 unter Dem
Titel Krähenfelder Geschichten vorgelegt werden, nachdem sie vorher in den Westermanns
Monatsheften erschienen sind. gehört zu den Alterswerken
äußerer Anstoß, der für die Erläuterung aber fast unerheblich ist. Raabe hat im
Hochsommer 1873 im nördlichen Eingang des Dorfes Bündheim, das talwärts vor Bad
Harzburg liegt, eine Apotheke besucht, in ihr hatte ein Dutzend Jahre früher ein unverheireter
Apotheker gleich seinen beiden Vorgängern bankrott gemacht. Anlehnung an die Geschichte
von Joh. Karl-August Musäus (1787) Märchen Volksmährchen der Dt. Geschichte, Der
Schatzgräber: Hier verschafft sich ein Verlumpter, der schlecht behandelt bei seiner Frau
haust, im roten Mantel des Scharfrichters, eine Springwurzel, vor der sich eine schatzhaltige
Harzhöhle öffnet, die Lage der Höhle ist vordem einem Schäfer von dem gespenstischen
Harzgeist des Widen Mannes beschrieben worden. Der Schatzgräber gibt den Schatz an den
Liebhaber seiner Tochter Lucine weiter, der trübsinnig geworden ist, weil er wegen Armut das
Mädchen nicht erhalten kann. Er stiftet auf diesem Wege Ehe und sichert sich zugleich den
Zugriff seiner galligen Frau den geheimgehaltenen Vorteil des Schatzes.Motive sind bei
Raabe eingegangen.
Personen:
-Phillipp Kristeller, 55 Jahre
Dorette Kristeller, seine Schwester
Johanne, seine fast Frau, starb mit 21 am Hochzeitstage
Pastor Schönlank
Förster Ulebeule
Landphysikus Dr. Eberhard Hanff
August Mördling, Eramt des Scharfrichters bzw. Dom Agostin Agonista, Offizir
Stilmittel: Ironie getränkter ernster Humor
-Perspektivenwechsel
Handlungsverlauf
Läuft auf Zerstörung und Enteignung hinaus. Den Held der Raabschen Novelle, den
Apotheker Kristeller, besucht nach vielen Jahren sein flüchtiger Freund August, der ihm vor
seiner Auswanderung das Geld zum Erwerb der Apotheke gegeben hat. August nun als Dom
Agostin ein Kapitalist reinsten Wassers, nimmt sein Darlehen in aller Freundlichkeit mit Zins
und Zinseszins zurück. Er läßt Kristeller mit seiner Schwester über Nacht verarmt zwischen
vier kahlen Wänden zurück, nachdem die Freunde des Apothekers die besten
Einrichtungsgegenstände ersteigert haben. Die Schlußworte Kristellers, bezeichnend für seine
Lebenssicht, lesen sich wie ein ironischer Kommentar Raabes: Jetzt heißt es, Mut zu fassen
und den Kopf nich hängen zu lassen.
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Die Novelle hat es mit Geld, Spekulation, Kapital und Besitz zu tun. Der Gegenspieler
Kristellers ist der Zufallsbekannte August, der den gehaßten Beruf seines Vaters nicht ausüben
will. Er versucht, seiner familiären Vergangenheit zu entfliehen, indem er all sein Erbe an
Kristeller übergibt und auswandert. Der zurückkehrende Dom Agostin hat am ehemaligen
Freund kein Interesse mehr, er kümmert sich um den Geldwert der Dinge, nicht um diese
selbst. Weil er den Apotheker samt seiner Erfindung, den Kristeller Likör, nicht nach
Brasilien mitnehmen kann, nimmt er die Erfindung ohne den Menschen, aber mit dessen
Kapitalien- ungeachtet dessen, daß er eben erst mit allen Ehren beherbergt worden ist.
Zeitkritik:Die neue Zeit des Kapitals, des Verlust an zwischenmenschlichenBeziehungen, geht
über Kristeller hinweg mit der Elementargewalt des Wassers. Der Haupteil der Raabeschen
Novelle dient der Schilderung der gemütlichen und gemütvollen Vergangenheit. Das
charakterisiert die Hauptfigur und dient zugleich erzähltechnisch dazu, die ökonomischen
Machenschaften in ihrer unglaublichen Dynamik heraustreten zu lassen. Denn die Enteignung
Kristellers beansprucht verhältnismäßig wenig Raum. Das kritische Gespür Raabes hat die
neue Qualität der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Gründerzeit genau erfaßt.
Gestalt Kristeller wird beschrieben, seine Umgebung, seine Lebensäußerungen, denen Raabe
subjektiv mit wohlwollendem Behagen oder Bedauern zusiehtobjektiv wird ein
fundamentales gesellschaftliches Verhältnis und ein paradigmatischer Prozeß kodifiziert
subjektiv objektiv
großzügiges Geschenksichert materielle
Existenz
Agonista spricht von Zahlen, Geschäften,
beängstigt den Apotheker, Likörgeschäft
meint Agonista sei noch rentabler
Absichten Agonista: Kristellerschen Besitz
zu verkaufen, in Brasilien Industrie zu
gründen
Agnista=Wettkämpfer, nicht mehr August =
Erhabener
Agonista hinterläßt Leere und Kälte, durch
den zwangsläufigen Ausverkauf der Apothe-
ke.
Erfolgsbürgertum, Möglichkeit binnen
weniger Jahre mit Erfindungen Industrie aus
dem Boden zu stampfenPhysiognomie des
Gründers, bedenkenlos und skrupellos seinen
Vorteil zu suchenin AGONISTA; dem
Gründer, kohäriert ein Bewußtsein, daß im
Deutschen Reich in den sechziger und frühen
siebziger entstandfieberhaftes
Spekulantentum, eine riesige Geldmasse
kommt ins Land und wird in Industrien
geworfengnadenloser Konkurrenzkampf
der Bürger in der Phase des
Hochkapitalismus ist die Folge
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Darstellung der Räumlichkeitensolides
Haus, in ordentlichem Zustand, präsentabel,
Hausherr arbeitet und residiert, Eisener Ofen
und Wärme, gepolsteter Lehnstuhl
Darstellung der bisherigen bürgerlichen
WeltInventar bürgerlichen Behagens ist die
Biedermeierlichkeit
Bilder Wände sind bedeckt mit Kupfer-
stichen, Szenen mit Napoleon, Friedrich II,
Straßenszenen aus dem Jahre 1848 und
dazwischen ein echter Dürerischer Kupfer-
stich Melancholia
hierin vollendet sich ein bürgerliches
Bewußtsein, das Komlement
gründerzeitlicher Eruptionen delesen werden
kann, Triebkräfte von Epochen sind zur
Beschaulichkeit verklärt
Kristeller hat im stillen Winkel gesessen,
während andere sich allerlei um die Nase
wehen lassen, Umwälzungen durch Agonista
von außen gefährdet das Schicksal die
materielle ExistenzDschungel draußen
Kristeller nur solide, wird absorbiert durch
Erinnerungen, Andenken, melancholischer
Phantasiennegierte Aktivität des
geschichtl. Prozesses
Archivkasten, den er von alten Zeiten
verlocket, süßen Erinnerungen nachhängt
Gegenstände haben Warencharakter,
Verleugnung= Verleugnung der Geschicht-
lichkeit
Kristeller ist blind gegen die Vorgänge
Kristeller Repräsentant vorbürgerlicher
Eigentumsverhältnisse, allerdings Verstand
und Handel, beinahe kapitalistisch
Agonista: Abenteuerer Typ des Gründers
Verhältnis zur Geschichte: Selbstentfrem-
dung des Menschen, Kristellers Lebensäuße-
rungen sind entfremdet
blind gegen die Geschichte, sieht nicht
diemenschlichen WertverlusteKälte und
LeereZeigt den Stand der bürgerlichen
Werte
Pfisters Mühle, 1884
Entstehungsgeschichte
Raabe entdeckte auf seinen donnerstäglichen Spaziergängen von Braunschweig zum Grünen
Jäger, dem Vereinslokal der Männer-Genossenschaft, Kleiderseller, beim Anblick der durch
die Zuckerfabrik Rautenheim verunreinigten Wabe aufgefallen war. Die eigenen
Wahrnehmungen an den Ergebnissen eines seit dem 29. Dezember 1881 anhängenden
Abwasserprozesses der Mühlenbesitzer Müller und Lüderitz aus Bienrode und Wenden gegen
die Rautenheimer Zuckerfabrik zu messen und mit den für die Kläger angefertigten
abwasserbiologischen Gutachten der Chemiker Ferdinand Cohn (Breslau) und Heinrich
Beckurts(Braunschweig), eines zeitweiligen Mitgliedes der Kleiderseller zu untermauern.
raabe war über den Verlauf des Prozesses genau unterrichtet. Die Entscheidung, die beim
herzoglichen Landgericht Braunschweig vom 14. März 1883 als rechtskräftiges Urteil erging,
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fügte er fast wörtlich in den Erzähltext ein. Gegen dieses Urteil legte die beklagte Partei
jedoch Berufung ein, der das Reichsgericht am 20. Mai 1884, also knapp zwei Wochen nach
Fertigstellung des Raabeschen Manusskript, stattgab: Der Autor hatte offenbar den Fortgang
des von ihm als abgeschlossenen beschriebenen Prozeß ignoriert, weil den durch die
Industrialisierung heraufgeführten Problemen der Luft- und Wasserverschmutzung nicht mehr
mit den mit den Rechtsnormen des Bürgerlichen Gesetzbuches beizukommen war.
Gattungsgeschichtliche Einordnung
Erzählprosa: Die bedeutendste Leistung des Realismus liegt auf dem Gebiet der Erzählprosa.
Sie ist von der literarästhetischen Tradition nicht vorbelastet und konnte sich dadurch den
historischen und sozialen Erscheinungen der Zeit anpassen, erfüllte somit das
Aktualitätsbedürfnis der Leserschaft und eroberte sich mit ihrer Elastizität gegenüber der
Wirklichkeit immer deutlicher das literarische Feld
Themen: Komposition (epische Inegration) und Figurendarstellung (Lebendigkeit,
Individualpsychologie, Vermeidung der durch die Fiktion nicht motivierten Redeweisen.)
unterscheiden die Erzählprosades Realismus von der erzählerischen Praxis in der
Biedermeierzeit und weisen auf die Veränderungen im Weltbild zurück
Realistische Erzählprosa gliedert sich in Roman und Novelle:
Martini unterscheidet Roman und Novelle, indem er die Erzählung dem Roman zuordnet.
Bezüglich des Romans umreißt er vier stoffliche Grundtypen, die er nach thematischen
Bezugskreisen ermittelt hat:
a) gesellschaftskritischer Zeitroman: (räumlich, zuständlich, Prinzip des Nebeneinander)
b) Geschichtroman und Geschichtserzählung (national, positivistisch)
c) Dorfroman und Dorferzählung (regionalidylische Abwehrhaltung gegenüber Stadtkultur
und moderner wirtschaftlicher Entwicklung)
d) Entwicklungs- und Bildungsroman (biographische Verdichtung intrapersoneller und
interpersoneller Wachstumsbedingungen)
Roman
Einheit, Totalität, Authentizität und Objektivität sind die zentralen Begriffe des realistischen
Romans.
Einheit=bedeutet Funktionalität der Teiledramenähnlicher Aufbau, die aktähnliche
Buchgliederung in Freytags Soll und Haben, der analytische Aufbau in Fontanes Cecile oder
Raabes Stopfkuchen, bezeichnend dafür ist Fontanes Lob über Soll und Haben
Totalität: umfaßt sowohl die extensive Fülle aller beobachtbaren Vorgänge und
Gesetzesmäßigkeiten (besonders bei Spielhagen) als auch die intensive Dichte symbolischer
Verweise.
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Anspruch des Autenthischen: gehört die Aktualität des Erzählten, Gegenwärtigkeit, Relevanz)
als auch des Erzählens(moderne verfeinerte Erzähl- Darstellungs-und Beschreibungstechniken
Objektivität: meint die epischen Darstellungsprinzipien der Gelassenheit, Sachlichkeit und
Überlegenheit
Spielhagen: Der Objektivitätsbegriff ist eng mit der Romantheorie Spielhagens verbunden.
Der Roman darf nach Spielhagen weder einen alleswissenden, überlegen kommentierenden
und reflektierenden noch planenden, einteilenden oder sich gar an den Leser wendenden
auktorialen Erzähler erkennen lassen. er darf nicht erwecken, daß seine Geschichte eine
beliebige Erfindung des Erzählers ist, sondern muß Wirklichkeit und Geschehen an sich, d.h.
unvermittelt präsentieren. Das gelingt nur dann, wenn der Held des Romans die Aufgabe
übernimmt, seine Geschichte selbst zu erzählen, deshalb bevorzugt Spielhagen den Ich-
Roman. Spielhagen glaubt, mit der Wahl dieser Erzählhaltung das erkenntnistheoretische
Problem der Wahrnehmung und das w
issenschaftlich-positivistische Problem der Beschreibung am besten und für alle Zeiten gültig
gelöst zu haben.Spielhagenstheorie wurde mit Skepsis betrachte
Thematischer Spielraum:
-Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft (bevorzugt dargestellt an den
empfindlichsten Exponenten dieser Beziehung, den Frauen und Kindern)
- die Modellierung eines städtischen und dörflichen Zusammenlebens
-die Analyse der Konfliktbildung und die Finalität der tragischen, Versöhnten resignierten
Lösung
-Der realistische Roman umfaßt ebenso die Möglichkeiten der der historischen
Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik wie die ahistorischen Probleme der
individuellexententiellen Selbstfindung und Selbstbewahrung.
-Die Innerlichkeitsthematik bleibt als komplementärer, kontrastiver und alternativer
Bezugspunkt der gesellschaftlichen und geschichtlichen Bewegungen und Konstellationen
überall sichtbar.Der Roman spiegelt unmittelbar die Zeittendenzen wider, er reagiert auf die
geschichtliche-gesellschaftliche und philosophisch-erkenntnistheoretische Situation.
Ausgangspunkt: Stern 1885 sieht in der Zersplitterung der gegenwärtigen Kulturzustände die
Triebkraft einer literarischen Form, die sich Spiegelung und Verklärung in einem zum Ziel
setzt
- Lukcs interpretiert diese Zeklüftung als die spezifische Oberfläche eines kapitalistischen
Systems, dessen ökonomische Einheitlichkeit die Einheit der Romanform bedinge, zugleich
aber deren kritisch-utopische Opposition hervorrufe.
der realistische Roman knüpft nicht an die Romantradition der Romantikeran, seine
prägenden Vorbilder findet er in England in den Werken Scotts, Dickens und Thackerays.
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Anmerkung: neuere Forschung: Geschichte des Romans in Deutschland keineswegs
Sonderentwicklung, auch wenn der Bildungsroman vorherrscht, vielmehr gelingt es der dt.
Romankunst, wenn auch mit Verzögerung, den Anschluß an die euröp. Erzähltradition zu
finden.
Zeitroman
(Begriff soll hier auch Gesellschafts- und Eheroman umfassen) ist der Prüfstein aller
Realismustheorien. Ohne auf die Realismusepoche festgelegt zu sein gilt er doch als Inbegriff
einer die aktuelle Wirklichkeit ergreifenden Romanform. die wissenschaftliche Erforschung
des realistischen Zeitromans steht bis heute im Banne der für die Deutsche Kunstleistung
negativ ausfallenden Realismusbestimmung, Lukacs, dtsprachige Roman habe das hohe
Niveau des europ. nicht erreichen können, da sozial gesehen, die objektive-wirtschaftliche
Einheit einer durchkapitalisierten Gesellschaft fehle und das noch immer kleinliche,
geographisch zerrissene, gesellschaftlich unorganisch-hetrogene deutsche Leben keine
wirklich neuen Kunstmittel der Wirklichkeitswiedergabe entstehen lasse.Auerbachgeht
auch von einer kritischen Wirklichkeitsanalyese aus und macht das Provinzielle, Altmodische
und Rückständige des dt. Lebens für das Ausbleiben einer authentischen realistischen
Romankunst verantwortlich Beide Erklärungsansätze haben den Charakter von Hypothesen,
da sie den kausalen oder dialektischen Zusammenhang von Kunst und Wirklichkeit nicht
ausdrücklich beweisen, sondern voraussetzenBrinkmann, Preisendanz, Ohl haben dies
erkannt und dabei zugleich auf die besondere Leistung des dt. Realismus herausgearbeitet.
Die Struktur des dt. realistischen Romans erfaßt in der polaren Bezogenheit von humanen
Menschenbild und widerständiger Realität nicht altfränkisches Winkeldasein, sondern einen,
wenn auch negativen, so doch wesentlichen Grundzug der Epoche. Daneben bleibt aber das
Interesse an der Wirklichkeitserfassenden Kapazität des Zeitromans bestehen. Die
wirtschaftlichen (Industrialisierung, Kapitalisierung), gesellschaftlichen (Auseinandersetzung
des Bürgertums mit dem Adel und viertem Stand, (schichtinterne Konfliktbildung), politische
(Reichserwartung und Reichsgründung) und philosophischen (Positivismus, Materialismus,
Pessimismus) Bewegungen dienen nicht nur als historische Grundlage für die Erklärung
literarischer Eigenart, sondern bilden einen Katalog von Fakten und Zusammenhängen.Den
Anspruch, die zeitgenössische Wirklichkeit wahrheitsgetreu und lebensecht wiederzugeben,
konnte kein Realist einlösen.Forschung reagierte: Abwertung des dt. Zeitromans gegenüber
europäischen, wertete das Realismusprinzip ab, indem sie es als schlechte Ästhetik
verwarf(Welle). Problem es erwies sich als unmöglich, aktuelle Wirklichkeit im literarischen
Medium wiederzuspiegeln, gesellschaftl. und polit. Zersplitterungdie dt. Realisten von den
Grenzboten-Programmatikern bis Fontane, wußten um diesen Diskussionsverlauf und
schlugen eigene Wege ein.
Historischer Roman
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(mit Geschichtserzählung und -Novelle) gehört zu den erfolgreichsten Gattungen der zweiten
Jahrhunderthälfte. Faktoren der literarischen Tradition, der politisch-ideologischen
Konfrontation in der Zeit des Kulturkampfes der aktuellen Histographie und der schulischen
Erziehung begünstigen Entfaltung und Konsolidierung dieses Genresliterarisches Vorbild
Walter Scott
Besonderheiten in Struktur und Thema:
- Abschnitt aus der Nationalgeschichte, der zeitlich nicht über sechzig Jahre zurückliegen
sollte, damit er interssant und aktuell bleibt
- wird durch das Medium eines fiktiven und mittleren Helden dargestellt
-politische und soziale Interessenkonflikte
allerdings in Deutschland: entfernt sich der Held des deutschen historischen Romans immer
entschiedener vom Scottschen und profiliert sich in der Rolle des aktiven Mitstreiters.
Anmerkung:
Während die Jungdeutschen Scott wegen mangelneder Aktualität abgelehnt hatten, sahen ihn
die Realisten als Vorbild für eine Literaturform, die sich gegen alles Romantisch-
Phantastische und Subjektiv-Tendenziöse wandte. Man begrüßte die Vereinigung von
Dichtung und Geschichte als die wahre historische Poesie.
Bildungsroman
wenn man im Realismus vom Bildungsroman spricht, denkt man vor allem an zwei Romane:
Stifters Nachsommer und Kellers der Grüne Heinrich., Freytags Soll und Haben erzählt zwar
auch von einem Bildungsgang, doch rechnet dei Forschung dieses Wek zum Individual- oder
Zeitroman zu, dem entspricht auch eine unterschiedliche Ausrichtung auf literarische
Vorbilder, nicht Wilhelm Meister, sondern David Copperfield und Edward Waverley gelten
als literarische Leitfiguren. Der Bildungsroman bleibt im Realismus eine Sondererscheinung.
Das heißt aber nicht, daß der Realismus auf eine umfassende Darstellung der individuellen
Entfaltungsmöglichkeiten verzichtet, aber er sieht in dem einzelnen Lebenslauf weniger die
innere Reifung als einen Sozialisationsprozeß, in dem sich die Persönlichkeitsstruktur und
Gesellschaftsstruktur wechselseitig bedingen, wobei die rationalen, emotionalen und
irrationalen Faktoren der Persönlichkeitsbildung sichtbar werden.
Zur Gattung Novelle im bürgerlichen Realismus
Faktoren der literarischen Distribution (Zeitschriften, beginnende Massenproduktion
begünstigen die epische Kunstform und verwandelten sie schon in der vorrealistischen Zeit zu
einem Modeartikel, zum nivellierten Genre der Tagesproduktion. An die Stelle des
biedermeierlichen Taschenbuches treten in der Realismuszeit Novellensammlungen, Stifters
Bunte Steine
Neben dem Roman ist die Novelle die dominierende Literaturform des Realismus.Weil:
28
Gesamteuropäisch verdrängte die Erzählprosa die übrigen , in der Poetik höher eingestuften
Gattungen
Insbesondere die Programmatik des dt. Realismus war im Hinblick auf das erzählerische
Medium formuliert
Leserinteresse war extensiv geworden, d.h. ausgerichtet auf vielartige, kleinteilige, inhaltlich
rasch wechselnde Lektüre
Anmerkung: Schon in 1830 er Jahren war ein Novellenmarkt entstanden, auf dem die Gattung
zur Massenware herunterkam. Die aktuelle Neuigkeit des Tages war Erzählkern. Zugleich
rückte das Interesse an der Politik die Novelle in neue Zusammenhänge. Man schrieb
Novellen auf öffentliche Wirkung hin. Die oppositionellen Jungdeutschen versuchten auf dem
Schleichwege der Belletristik eine Beeinflussung des Lesers. Novellistisches Erzählen wurde
derart zur aktuellen Form, es konnte sich mehr als das Drama vor der Zensur verstecken. Dies
endete in der zweiten Jahrhunderthälfte, zurück blieb das Marktinteresse, das mit einem neuen
Kunstanspruch verkleidet wurde. Denn für das ausufernde Vorabdruckwesen in Zeitungen und
Familienblättern und für den Zwang in kurzer Zeit auf Nachfrage zu schreiben und immer
etwas zu Veröffentlichung bereitzuhalten, bot sich die Novelle an.
- schmales Format,
-ihr engwinkliger Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse,
-ihr Interesse für unalltägliche Ereignisse und für verschlungene psychologische Ereignisse
eigneten sich gut für die Bedürfnisse der zahlreichen Unterhaltungsmedien, die untereinander
in scharfer Konkurrenz standen.viele Autoren, wie Wilhelm Raabe, waren freie
Schriftsteller und von der periodischen Presse abhängig.
Schon die romantische Literaturtheorie sah in der Novelle mehr noch als im Roman ein
wirklichkeitsnahes Genre. Das realistische in ihrer nachmärzlichen Erscheinung liegt darin,
daß sie eine reale oder jedenfalls mögliche Begebenheit darstellt, bei äußerster Verdichtung
und punktueller Konzentration ein Höchstmaß an Typik und Symbolik erzielt und in der
Vermittlung zwischen dichterischer Subjektivität und novellistischger Totalität jene Polarität
erfaßt, die Epochentypisch ist.
Sie war Gebrauchs- und Erbauungsliteratur in dem Sinne, daß sie in ihrer großen Verbreitung
die Werturteile, Verhaltensnormen und die Geschmacksbildung ihrer Leser bestimmen und
bestätigen konnte. In zahlreichen Distributionsorganen, in raschem Umsatz, in ständigen
Neulieferungen war sie dem Publikum gegenwärtig. Für diese Art Lebenshilfe waren die
kurze Form, die knappe Motivierung, die umweglose Zuspitzung zum Konflikt und die Wahl
von begrenzten Lebensausschnitten dienlich. Dabei wurde lediglich die innere
Sozialgeschichte des Bürgertums berücksichtigt. Das historische Sittenbild erfuhr seit dem
Ende der 1850er Jahre durch Heinrich Riehl und Gustav Freytag geprägt.
Nach 1848 bestimmte die bürgerliche Stube fast ausschließlich den Horizont für den
Erzählvorgang und erzähltes Geschehen: familiale Innerlichkeit, bürgerliche
Wertvorstellungen und Abgrenzung vom politischen Geschäft.
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Zugleich verwirklicht sich der Realismus in der novellistischen Form sehr deutlich. Das gegen
die kompositorische Lockerheit der biedermeierlichen Erzählprosa gerichtete realistische
Programm von der epischen Integration kommt hier voll zur Geltung. Die hohen strukturellen
und thematischen Anforderungen des Dramas werden jetzt auf die Novelle übertragen.
Technik der Novelle:
Hierzu schrieben Otto Ludwig, Gustav Freytag und Paul Heyse zahlreiche Erörterungen. In
der Orientierung am poetologisch hochrangigen Drama stellten sie formalästhetische
Forderungen im Sinne einer Schreibanleitung: Eine realistische novelle solle
-einen durchsichtigen Handlungsverlauf
-einen strengen Aufbau haben
-der Konflikt sei deutlich zuzuspitzen
-der Wendepunkt müsse klar erklennbar sein
Forderungen laufen auf eine formale Disziplinierung hinaus. Diese sollte im Gegenzug zur
Massenkonfektion der Tagesschriftstellerei die Novelle gleichberechtigt neben das Drama
treten lassen.Postulate waren mit ihrem Rückbezug auf die klassischen Normen ein
Gegenentwurf gegen die Schreibverhältnisse im Biedermeier und Vormärz. Denn die nun
geforderte künstlerische Autonomie trat an die Stelle der biedermeierlichen Ausrichtung auf
außerästhetische Ziele. Das vormärzliche Novellen produzieren, das aktuelle Gegenstände für
unmittelbare Wirkungen suchte, sollte durch ein Novellendichten abgelöst werden.
Der Disziplinierung durch die Novellenpoetik unterwarfen sich jedoch nur die zahlreichen
durchschnittlichen Erzähler. Raabe nahm derartige Versuche nicht zur Kenntnis. Storm
verließ sich auf seine genauen Beobachtungen des Marktes und sein Gespür für besseres
Erzählenbei diesen Erzählern läßt sich auch eine lange und zum Teil schwierige
Entwicklung feststellen, in denen sich eine je eigene, unverwechselbare Erzählmethode
herausbildete; zwar immer im großen Rahmen des Realismusprogramms, doch differenziert
nach der Ausbildung der kompositorischen Verfahren, nach sprachlichen und stilistischen
Mitteln, nach der Verwendung von Symbolen und Leitmotiven.
Das charakteristische einer Novelle:
Die Konzentration auf die Einzelerzählung, die man zuletzt als Ausdrucks des Versagens der
Möglichkeit wählte, angesichts eines Einzelfalls noch ein verbindlich Allgemeines erzählen
zu können, im kleinen Format noch ein gesellschaftlich Gemeines durchblicken zu lassen,
diese Zerstückelung der Welterfahrung wirkt sich in allen Erzählelementen aus:
- in der Darstellung der Erzählfiguren und erzählten Figuren
- in der Konzeption der ungewöhnlichen Begebenheit, sei es als Handlung, sei es als
zuständliche Situation
-in der Gewichtung zwischen Ereignis einerseits und psychologischen Problem andererseits
- in den erzählerischen Handhabungender Rahmen oder Erinnerungsestaltun
- in der Themenführung
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-in den Stil und Tonlagen des Erzählens
-in den Graden der Beteiligung des Erzählers an dem, was er erzählt.
Gattungsproblematik: Erzählung/ Nov