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Willkommen im Paradies der Stereotype! Gerade fand in Stuttgart die erste HR-Tec Night statt. Ein zukunftsweisendes Format, von dem vor einigen Jahren maximal geträumt wurde. Doch während HR-Visionäre überzeugt sind, dass Roboter wie Chatbots & Co. den Recruiting-Job übernehmen werden und KI-Algorithmen ohnehin die besseren Personalauswahlentscheidungen treffen, setzen vor allem kleine und mittlere Unternehmen nach wie vor auf vor allem menschliche Recruitingstrategien. Fakt ist: was am Ende wirklich zählt ist die Matchingqualität und der Besetzungserfolg – ob Oldschool- oder High-Tech- Recruiting. Doch genau hier teilen sich beide Varianten ein ganz entscheidendes Grundproblem: Je mehr ein Stellenprofil oder ein Algorithmus auf oberflächlichen oder gar falschen Kriterien, Floskeln und vor allem stereotypen Mustern basiert, umso schlechter wird das Recruiting-Ergebnis ausfallen Digitalisierung und Automatisierung hin oder her. Schließlich haben auch höchst innovative Prozesse keinen Erfolg, wenn die Vorarbeit, sprich das Erstellen eines passgenauen Rollenprofils, schlecht oder gar nicht erst gemacht wird. Wie sich die Stereotypenfalle in dieser beruflichen Form der Partnersuche umgehen lässt, verrate ich in Kapitel 1 meines Buchs „Die Auswahl. Wie eine neue starke Recruiting-Kultur den Unternehmenserfolg bestimmt“. Lust auf mehr? Hier ein kleiner Auszug… Charmanter eloquenter Traummann, kultiviert, gutaussehend, sportlich und sehr vermögend sucht Traumfrau! Selbst ein Online-Dating-Laie würde mit ziemlicher Sicherheit hinter dieser und ähnlicher Kontaktanzeigen eine Mogelpackung vermuten. Wer bei der virtuellen Partnersuche noch mit solchen selbstbezogenen Floskeln arbeitet, sammelt höchstens enttäuschende Erfahrungen anstelle bereichernder Bekanntschaften, geschweige denn findet er die Liebe fürs Leben. Die eindeutig bessere Erfolgsstrategie ist dagegen hinlänglich bekannt: Wer sich seinem Wunschpartner realistisch, glaubhaft und individuell präsentiert und das durch motivierende Botschaften kommuniziert, hat die besten Chancen, sein Ziel zu erreichen und den idealen Partner zu finden. Ein Ziel, das letztendlich genauso auch auf Unternehmen im Recruitingprozess zutrifft. Doch offenbar ist die Datingszene in dieser Hinsicht deutlich cleverer als die Personalszene, denn diese Erkenntnis scheint sich beim Blick auf aktuelle Stellenanzeigen allzu häufig noch nicht immer bis zu den Verantwortlichen herumgesprochen zu haben. Überwiegend finden sich hier nach wie vor phrasenbasierte allgemein gehaltene Unternehmenspräsentationen, stereotype Standardformulierungen, begleitet von einer maximalen Erwartungshaltung an den Bewerber. Was noch immer zu vielen Suchanzeigen fehlt, sind klare und konkrete Aussagen und Botschaften mit Herzblut, die Interessenten nicht nur begeistern sondern auch Identifikation ermöglichen. Das Fatale: Nicht selten sind nichtssagende 08/15-Anzeigen sogar die Wurzel des Übels und ein Grund für Fehlbesetzungen. Noch fataler: Den Prozess-Beteiligten ist dabei oft gar nicht bewusst, an welchem Punkt der Grundstein für den Erfolg oder Misserfolg im Recruiting gesetzt wird, weil sie den Prozess nicht vom Ende her denken. RECRUITING VON OLDSCHOOL BIS HIGHTECH

RECRUITING VON OLDSCHOOL BIS HIGHTECH · keinen Erfolg, wenn die Vorarbeit, sprich das Erstellen eines passgenauen Rollenprofils, schlecht oder gar nicht erst gemacht wird. Wie sich

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Page 1: RECRUITING VON OLDSCHOOL BIS HIGHTECH · keinen Erfolg, wenn die Vorarbeit, sprich das Erstellen eines passgenauen Rollenprofils, schlecht oder gar nicht erst gemacht wird. Wie sich

Willkommen im Paradies der Stereotype! Gerade fand in Stuttgart die erste HR-Tec Night statt. Ein zukunftsweisendes Format, von dem vor einigen Jahren maximal geträumt wurde. Doch während HR-Visionäre überzeugt sind, dass Roboter wie Chatbots & Co. den Recruiting-Job übernehmen werden und KI-Algorithmen ohnehin die besseren Personalauswahlentscheidungen treffen, setzen vor allem kleine und mittlere Unternehmen nach wie vor auf vor allem menschliche Recruitingstrategien. Fakt ist: was am Ende wirklich zählt ist die Matchingqualität und der Besetzungserfolg – ob Oldschool- oder High-Tech-Recruiting. Doch genau hier teilen sich beide Varianten ein ganz entscheidendes Grundproblem: Je mehr ein Stellenprofil oder ein Algorithmus auf oberflächlichen oder gar falschen Kriterien, Floskeln und vor allem stereotypen Mustern basiert, umso schlechter wird das Recruiting-Ergebnis ausfallen – Digitalisierung und Automatisierung hin oder her. Schließlich haben auch höchst innovative Prozesse keinen Erfolg, wenn die Vorarbeit, sprich das Erstellen eines passgenauen Rollenprofils, schlecht oder gar nicht erst gemacht wird. Wie sich die Stereotypenfalle in dieser beruflichen Form der Partnersuche umgehen lässt, verrate ich in Kapitel 1 meines Buchs „Die Auswahl. Wie eine neue starke Recruiting-Kultur den Unternehmenserfolg bestimmt“. Lust auf mehr? Hier ein kleiner Auszug… Charmanter eloquenter Traummann, kultiviert, gutaussehend, sportlich und sehr vermögend sucht Traumfrau! Selbst ein Online-Dating-Laie würde mit ziemlicher Sicherheit hinter dieser und ähnlicher Kontaktanzeigen eine Mogelpackung vermuten. Wer bei der virtuellen Partnersuche noch mit solchen selbstbezogenen Floskeln arbeitet, sammelt höchstens enttäuschende Erfahrungen anstelle bereichernder Bekanntschaften, geschweige denn findet er die Liebe fürs Leben. Die eindeutig bessere Erfolgsstrategie ist dagegen hinlänglich bekannt: Wer sich seinem Wunschpartner realistisch, glaubhaft und individuell präsentiert und das durch motivierende Botschaften kommuniziert, hat die besten Chancen, sein Ziel zu erreichen und den idealen Partner zu finden. Ein Ziel, das letztendlich genauso auch auf Unternehmen im Recruitingprozess zutrifft. Doch offenbar ist die Datingszene in dieser Hinsicht deutlich cleverer als die Personalszene, denn diese Erkenntnis scheint sich beim Blick auf aktuelle Stellenanzeigen allzu häufig noch nicht immer bis zu den Verantwortlichen herumgesprochen zu haben. Überwiegend finden sich hier nach wie vor phrasenbasierte allgemein gehaltene Unternehmenspräsentationen, stereotype Standardformulierungen, begleitet von einer maximalen Erwartungshaltung an den Bewerber. Was noch immer zu vielen Suchanzeigen fehlt, sind klare und konkrete Aussagen und Botschaften mit Herzblut, die Interessenten nicht nur begeistern sondern auch Identifikation ermöglichen. Das Fatale: Nicht selten sind nichtssagende 08/15-Anzeigen sogar die Wurzel des Übels und ein Grund für Fehlbesetzungen. Noch fataler: Den Prozess-Beteiligten ist dabei oft gar nicht bewusst, an welchem Punkt der Grundstein für den Erfolg oder Misserfolg im Recruiting gesetzt wird, weil sie den Prozess nicht vom Ende her denken.

RECRUITING

VON OLDSCHOOL

BIS HIGHTECH

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Gemeint ist eine unreflektierte und ungenaue Stellenbeschreibung und das daraus resultierende Anforderungsprofil. Diese zugegeben etwas aufwendige Basisarbeit ist längst nicht überall verbreitet und das obwohl sie so ausschlaggebend ist für den späteren Besetzungserfolg. Der größte Fehler in puncto „völlig austauschbares Stellenprofil“: Noch immer ist der Blick viel zu sehr auf die zu besetzende Funktion und auf die Frage „Wen wollen wir dafür“, als auf die am Markt verfügbaren potenziellen Interessenten gerichtet. Angesichts des Wandels vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt wäre es höchste Zeit, hier die Perspektive zu wechseln. Stellt sich die Frage: Wer verfasst eigentlich so ein Stellenprofil und wer entscheidet, welche Anforderungen ein Kandidat erfüllen sollte? Meist sind es die direkten Vorgesetzten, flankiert von den Kollegen aus der Personalabteilung. Da das Verfassen von Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofilen in Zeiten von ständigem Termindruck und steigenden Belastungen aber realistisch betrachtet zweifelsohne nicht zu den Lieblingsaufgaben der Verantwortlichen gehört, wird ihm häufig gar keine oder zumindest wenig Beachtung geschenkt – und führt dann zu oben erwähntem Erfolg. Dabei braucht ein wirklich gutes Anforderungsprofil nur Antworten auf eine Frage zu liefern: »Wen brauchen wir wirklich?« Klingt einfach, birgt jedoch den zweitbeliebtesten Stolperstein: Das Wunschlistendilemma. In diesem Fall folgt in der Hit-Liste der Anforderungen gern ein Superlativ auf das Nächste und an erwünschten Kompetenzen und Eigenschaften wird so ziemlich alles reingepackt, was in Frage kommt, um den ultimativen Wunschkandidaten zu beschreiben. Sprich: Ein Kandidat, der ungefähr so leicht zu finden ist, wie Superman in den Kontaktanzeigen des örtlichen Wochenblatts. Gleich nach den schönsten Superlativen der Businesswelt erfreuen sich übrigens auch nichts sagende Standardformulierungen größter Beliebtheit. Dank der Hitliste der floskelhaften Anforderungen wie Flexibilität und Selbstständigkeit, Engagement, Belastbarkeit, Kommunikationsstärke, Führungserfahrung usw. fühlt sich jeder und keiner angesprochen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der gewünschte Ideal-Kandidat. Fazit: Ein Stellenprofil, mit dem sich wirklich die richtigen Bewerber finden lassen, ist zwar aufwändiger – spart aber im Recruitingprozess den großen Aufwand und vor allem Kosten. Die wichtigsten To Dos: Die Blickrichtung ist die des zukünftigen Stelleninhabers. Das heißt, gerade in sehr engen Arbeitnehmermärkten weg von starren und stereotypen Begrifflichkeiten und Begrenzungen hin zu offen gehaltenen Anforderungen und einer konkreten Beschreibung, die Bedeutung, echte Begeisterung und glaubwürdige Werte transportiert. In Anlehnung an den Branding-Grundsatz »nicht was du selbst, sondern was andere über dich sagen« sollte eine aussagekräftige Stellenanzeige idealerweise zusammen mit dem aktuellen Stelleninhaber, den Kollegen oder in Form eines Team-Brainstormings vorbereitet werden. Lust auf mehr zum Thema Recruiting?

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