9
Recurrens und Nervensystem. (Eine klinisch.epidemi~)logische Erg~inzung zur Arbeit yon Plaut und Steiner.) Von Heinz Zeiss. (Aus dem Institut fiir Schiffs- und Tropenkrankheiten zu Hamburg [Leiter: Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Nocht].) (Eingegangen am 18. Jull 1920.) Bei ihren Versuchen, Paralytiker durch Recurrensinfektion thera- peutisch gtinstig zu beeinflussen, hatten Plaut und Steiner 1) fest- gestellt, ,,dab die Recurrensspirocht~te t~hnlich wie die Syphilisspiro- chtite kurze Zeit nach den ersten ldinischen/~uBerungen der Infektion die Meningen fast immer befi~llt und Liquorvert~nderungen herbeiftihrt. Dabei kann es offenbar in seltenen Ausnahmeft~llen zu klinischen ner- v6sen Symptomen kommen." Im Anschlul3 hieran teilen sie verschie- dene Beobachtungen anderer Forscher fiber Erscheinungen am peri- pheren und zentralen Nervensystem nach Rtickfallfieber mit. Es ist den Verfassern aufgefallen, dab in den gr6Beren Bearbeitungen und monographischen Darstellungen der Beziehungen der Recurrensspiro- chute zum Nervensystem nicht gedacht wird. Es schien mir doch nach allem, was ich an nervSsen Symptomen unter vielen Hunderten yon Recurrensfi~llen in Westkleinasien im Laufe der Jahre gesehen hatte, immerhin auffallend, dab in ~riiheren Epide- mien in Europa, denen es ja eine ganze Anzahl gab, fiber die Beteiligung des Nervensystems nichts festgehalten worden sein sollte. Es sind zwar allgemein Erscheinungen nervSser Art bei dieser Krankheit selten, sie kommen jedoch vor, was bei der Vorliebe der Spirochtitengattung ffir das Nervengewebe (wie die Spirochtiten der Syphilis, der Weilsehen Krankheit, des Gelbfiebers) wohlverstandlich ist. Ich habe deshalb in Berichte aus friiheren europ~ischen und aul~ereuropt~ischen Recurrens- epidemien aufs Geratewohl hineingegriffen. Es fanden sich da doch Bemerkungen, die ich glaube, als klinisch-epidemiologische Ergt~n- zungen der Arbeit von Plaut und Steiner hier anftihren zu sollen. Aus den zahlreichen Seuchenjahrgttngen nahm ich die Jahre 1847/48 1) Diese Zeitschr. 53, 103. 1919u. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 24, 33. 1920.

Recurrens und Nervensystem

Embed Size (px)

Citation preview

Recurrens und Nervensystem.

(Eine klinisch.epidemi~)logische Erg~inzung zur Arbeit yon P l a u t und S t e i n e r . )

Von Heinz Zeiss.

(Aus dem Institut fiir Schiffs- und Tropenkrankheiten zu Hamburg [Leiter: Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Nocht].)

(Eingegangen am 18. Jull 1920.)

Bei ihren Versuchen, Paralytiker durch Recurrensinfektion thera- peutisch gtinstig zu beeinflussen, hatten P l a u t und S t e i n e r 1) fest- gestellt, ,,dab die Recurrensspirocht~te t~hnlich wie die Syphilisspiro- chtite kurze Zeit nach den ersten ldinischen/~uBerungen der Infektion die Meningen fast immer befi~llt und Liquorvert~nderungen herbeiftihrt. Dabei kann es offenbar in seltenen Ausnahmeft~llen zu klinischen ner- v6sen Symptomen kommen." Im Anschlul3 hieran teilen sie verschie- dene Beobachtungen anderer Forscher fiber Erscheinungen am peri- pheren und zentralen Nervensystem nach Rtickfallfieber mit. Es ist den Verfassern aufgefallen, dab in den gr6Beren Bearbeitungen und monographischen Darstellungen der Beziehungen der Recurrensspiro- chute zum Nervensystem nicht gedacht wird.

Es schien mir doch nach allem, was ich an nervSsen Symptomen unter vielen Hunderten yon Recurrensfi~llen in Westkleinasien im Laufe der Jahre gesehen hatte, immerhin auffallend, dab in ~riiheren Epide- mien in Europa, denen es ja eine ganze Anzahl gab, fiber die Beteiligung des Nervensystems nichts festgehalten worden sein sollte. Es sind zwar allgemein Erscheinungen nervSser Art bei dieser Krankheit selten, sie kommen jedoch vor, was bei der Vorliebe der Spirochtitengattung ffir das Nervengewebe (wie die Spirochtiten der Syphilis, der Weilsehen Krankheit, des Gelbfiebers) wohlverstandlich ist. Ich habe deshalb in Berichte aus friiheren europ~ischen und aul~ereuropt~ischen Recurrens- epidemien aufs Geratewohl hineingegriffen. Es fanden sich da doch Bemerkungen, die ich glaube, als klinisch-epidemiologische Ergt~n- zungen der Arbeit von P l a u t und S t e i n e r hier anftihren zu sollen. Aus den zahlreichen Seuchenjahrgttngen nahm ich die Jahre 1847/48

1) Diese Zeitschr. 53, 103. 1919 u. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 24, 33. 1920.

H. Zeiss: Reeurrens utkd Xervensystem. 251

(Schottland und Jrland), 1869, 1871/72 und 1879/80 (Deutschland), die Zeit vor und wi~hrend des ~Veltkrieges heraus. Zumal in Irland, das man gewShnlich als das klassische Land des Fleckfiebers zu bezeichnen ge- wohnt war, herrschte 1847/48 neben dem Exanthemat icus auch das Recurrens. Die vorlicgenden Beriehtel), welche die Schriftleitung des ,,Dublin quart. Joum. of Mad. Science" durch einen ausfiihrlichen Fragebogen (mit 44 Fragen!) erhielt, sind yon ausgezeichnetem epide- miologischem und klinischem Werte. Diese Schilderungen stehen wiirdig denen der Deutschen v. B a e r e n s p r u n g , D t i m m l e r , S t i c h und V i r c h o w aus der oberschlesischen Epidemic der gleichen Zeit zur Seite. Die ersten irischen Schilderungen bcziehen sich zweifellos auf Rccurrens~), doch gewinnt man den Eindruck, daft bereits Fleckfieber als Mischinfektion hinzutritta). In der Provinz Munster scheint jedoch zuerst nur Rtickfallfieber geherrscht zu haben, die nervSsen Erschei- nungen hierbei warden auch yon den Arzten notiert allgemein als ,,typhoid symptoms", ,,cerebral complications". Es wird yon den Be- obachtern gerade Wart auI das ,,relapsing" des Fiebers gelegt. Spi~ter allerdings sind die beiden Formen des , ,Typhus" und ,,Relapsing" in- und nebeneinander gegangen4). Einen deutlichen Unterschied zwischen Recurrens und Fleckfieber finden wir in dam Bericht aus der Ulster- provinz verzeichnet; hier scheinen nervSse Symptome sich besonders unangenehm bemerkbar gemacht zu haben:

,,Delirium of a very violent and moisy kind often occurs during its course"~), dann wird yon ,,Amaurosis" nach Relapsing gesprochen6). DaB auch Entztin- dungen der peripheren Herren nicht selten waren, beweist die )5itteflung aus Leinster, wonaeh sonst Komplikationcn vollstiindig fehlten, ,,except where the bastard rheumatism indicated an affection of the spinal nerves, and which alone excited alarm when affecting the top of th6 spine and back of the head"~).

Aus Schottland liegen mir aus derselben Epidemic nur sehr diirftige Mitteilungen vor. S t e e l e s) und J. P a t e r s o n 9) wissen fiber die :Be- teiligung des Nervensystems aus ihrem reichen Material nichts zu mel- den, und R. P a t e r s o n 1~ gibt nur kurz an: ,,sometimes the critical

1) l~eport upon the Recent Epidemic fever in Ireland. Dub. quart. Journ. Mad. Se. 7, 64--126. 1849; 8, 1--86. 1849, 270--339, 340 404.

2) 1. c. 7, 72--75, 85. 3) 1. c. 7, 86. 4) Vgl. auch Griesinger, Infektionskrankheiten, 1857, S. 199. 5) I. e. Bd. 7, S. 298. e) 1. c. Bd. 8, S. 300. 7) 1. e. Bd. 8, S. 338. s) Epidemic or Bilious relapsing fever. Edinb. Med. u. Surg. Journ. 70,145.1848. 9) Statistics of the Barony Parish Fever Hospital of Glasgow in 1847/48,

ibid. S. 371. a0) An account of the Epidemic Fever of 1847148, more expecially as deduced

from the statistical Records of the Extra Accomodation of the Royal Infirmary - - ibid. S. 391.

252 H. Zeiss :

evacuatio~l was ushered in b y de l i r ium; in a few ins tances most v iolent and requi r ing res t r a in t " . Aus dcr Ber l iner Epidemie yon 1869 greife ich (lie Beobaeh tung yon I~ i e s s 1) heraus, dem nach e inem Fieber - anfa l l vor t ibergehend Aniis thesie der Beine bei e inem Fa l l au fge t r e t en war). Und in demselben J a h r c sagt B e us t~) , dai~ Tei l lghmungen naeh der Genesung zur t ickgebl ieben sind. Bei ihm f inde t sich aueh ein Hin- weis auf I)elir ien.

S. 25: ,,Dieselben (dis Syraptome des Del. trem. - - Z.) steigerten sich in den nitchsten Tagen und gewannen so sehr an Eigenttimliehkeit, dab man dieselben nicht mehr mit denen y o n I ) e l i r i e n , wie sie hguf ig im V e r l a u f e von Feb r . r e e u r r. a ufz u t r e t e n pf lege n und woran man jedenfalls zuerst denken muBte, verwechseln konnte."

Dagegen fal3te F r a e n t z e l a) die in j ener Epidemie beobaeh te ten Delir ien a ls Inan i t ionsde l i r ien auf, wie sie z. B. bei Lungenen tz t indungen sich einstel len.

] )a j a die K r a n k h e i t kSrper l ich und geist ig verwahr los te Menschen, bei denen s t a rke r Alkoholmi l tb rauch ge t r ieben xvurde, damal s vorzugs- weise befiel, is t es erkli~rlich, d a b bei den hohen" F i ebe r t empera tu r en , wie auch b e i anderen In fek t ionskrankhe i t en , Alkoholdel i r ien ausge- 15st wurden. Einen de ra r t igen Fa l l besehre ib t B e u s t , er ha t aber, wie aus Obigem hervorgeht , ebenfal ls auf Delirien, die ftir R e c u r r e n s eigentf imlich seien, hingewiesen. In den folgenden Ep idemien wurde besondercs Augenmerk auf die I)el ir ien gewendet . Die Seuche yon 1879/80 b ie te t versehiedene Beispiele aus dem Osten und St idwesteu Deutschland s 4):

So ber ich te t M t i l l e n d o r f f 5) aus Dresden:

,,Auch Delirien kommen auf der FieberhShe vor. Verh/tltnismiiBig selten ])el. tremens. Bei uns nur in 3 Fii, llen. Ferner kommen Zust~nde vor, die F r a n k e mit Inanitionsdelirien bezeiehnet (bei Patienten, die nicht an Alkohol gew5hnt sind; S. 622). M. hat auch eine Manie gesehen und in fieberfreier Zeit mehrmals Ischias, Schmerz im Plexus brachialis, INeuralgien (S. 630).

In Danzig konnte K n ip p ing e) folgendes beobaehten: ,,Delirien sind selten, yon 315 Kranken delirierten nur 10 = 3,2O/o, eine auffallend geringe Zahl, wenn

1) Beobachtungen fiber Febris recurrens. Berl. klin. Woehenschr. Nr. 32, S. 327. 1869.

2) Uber Komplikation yon Typhus recurrens mit ])el. tremens. Inaug.-Diss. Greifswald 1869.

a) lJber Krisen und Delirien bei Febris recurrens. Virchows Archiv 49, 127. 1879.

~) 0 b e r m e i e r , der Entdeeker der Spiroch. reeurr., hat eine Reihe klinischer Beobaehtungen verSffentlicht, die ich hier nicht berficksichtige, da sie sparer in anderem Zusammenhang gebracht werden sollen.

~) ~ber l~fickfalltyphus nach Beobachtungen im St~dt. Krankenhaus zu Dresden 1879. Dtsch. med. Wochenschr. Nr. 48/50, S. 620, 630, 642. 1879.

s) Beitrag zur Kenntnis des Rfickfalltyphus. Dtseh. Arch. f. klin. Med. 2{;, 10. 1880.

Recurrens und Nervensystem. 253

man bedenkt, dal~ hier in Danzig Verletzte oder fieberhaft Erl~'ankte ausnahmslos yore Del. trem. befallen werden. Ein Zusammenhang des Del. mit StSrungen der Harnsekretion war nieht nachzuweisen. In 4 Fiillen handelte es sich um mussitie- rende Delirien, die sich 3real bei jungen Leuten an das E n d e des 3. A n f a l l s ansehlossen und yon kurzer Dauer waren, und einmal vor dem nach dem 1, Anfall erfolgenden Tode eines ikterischen Recurrenskranken auftraten; einmal im ersten Anfall nur Aufregungszust~nde, die Zwangsmal]nahmen erforderten, und in den 5 anderen F~llen nur Delirien yon mittlerer IntensitiLt, 2 real w~hrend des Anfalls, je l raal beim 2. und 3. eintretend und das ft~nfte Mat alle 3 Anf~lle komplizierend. Sonst sind die Xranken klar und bewuBt, Kr~ml~fe und L~hmungen kamen niebt zur Beobaehtung" (S. 11).

Uber Delirien, f a r Rt ickfal]f ieber eigentt imlich, sagt S p i t z 1) aus der Bres lauer Ep idemie :

,,Heftige, gew6hnlich m i t A b f a l l des F i e b e r s auftretende D e l i r i e n w a r e n n i c h t s e l t e n und zwar stellten sich dieselben aueh bei I n d i v i d u e n e in , bei d e n e n j e d e r V e r d a c h t de r P o t a t i o n f e r n l a g " (S. 153).

L a c h m a n n 2) ha t t e eine gr6Bere Anzahl yon FMlen zur VeI fiigung, bei delmn die Betei l igung des Nervensys tems noch ausgesprochener war als bei den eben e rwhhn ten :

Er beobachtete 5 Entzfindungen der Gehirnh~ute, s~mtlich kurze Zeit nach der Krise. ,,Trotz der subnormalen Temperaturen waren die Fatienten benommen, auch wenn sie wabrend des ganzen Anfalls ein freies Sensorium gezeigt hatten; nur in einem Fall traten heftige Delirien ein, und zwar bei einem Patienten, der schon wghrend des Anfalls solche gezeigt hatte, die als Deh trem. zu deuten waren. Niemals wurden Konvulsionen oder Liihmungen der Extremit~ten oder Beteili- gungen der ttirnnerven beobachtet."

Als E rk l a rung ft~r diese l~ostkrit ischen meningi t ischen Ersche inungen g laubt L a c h m a n n die Blutungen, die ja bei Recurrens n ich t sel ten sind, auch im Gehirn vorhanden . Als St i i tze fa r diese A n n a h m e f i ihr t or einen Fa l l an, bei d e m nur Blu tungen in die Dura m a t e r ohne Pseudo- m e m b r a n b i l d u n g erfolgt waren und bei d e m der Tod 2 Tage nach der Kr i se e in t ra t . Auf das Ergr i f fensein der H i rnhgu te deu te auch die t iefe Benommenhe i t , die wghrend des Anfal ls meis t hie vo rhanden sei. Diese sei besonders hierft ir eigentt imlich. Er erwi ihnt ferner 4 mal post - kr i t i sch aufge t re tene Delir ien, die nach spgtes tens 2 Tagen vort iber- gingen und 1 wirkl iche Psychose . Gerade zu l e tz te rem P u n k t e konnte H g n i s e h 3) eine Beobach tung beibr ingen, ni imlich die En twic ldung einer Psychose bei e inem 29jghr igen , frfiher s te ts gesunden Mgdchen, das einen Monat nach dem Ubers t ehen dre ier Ri ickfa l l f i ebera t t aeken psyehiseh schwer e rk rank te , so dal3 sie yon psych ia t r i seher Seite be- hande l t werden muBte :

x) Die Recurrensepidemie in Breslau im Jahre 1879, ebenda S. 139. 2) Klinische und experimentelle Beobaehtungen aus der Recurrensepidemie

in GieBen im Winter 1879/80. Ebenda 2% 526. 1880. 3) Die Komplikationen und Nachkrankheiten der in der Greifswalder reed.

Klinik des Prof. Dr. Mosle r behandelten F~lle yon Typh. reeurr. Ebenda 15, 55. 1875.

254 H. Zeiss :

,,Die Kranke lag vollkommen apathisch in ihrem Bett, mit geschlossenen Augen, ohne irgendwelchen Wunsch zu ~ul3ern, ohne auf freundliches oder strenges Zureden irgendwie zu reagieren: sie muBte gefiittert werden, hat sich jedoch hie verunreinigt. Gleichzeitig bestand eine L/ihmung der Sensibilit~t der ttaut- nerven; die Epidermis war triibe schmutziggrau, sprSde; das Unterhautfettgewebe war geschwunden, die Muskeln atrophisch usw. Die Kranke genas nach faradischer Behandlung, und zwar vollstiindig. Anamnestisch warcn keine neuropathischen Krankheiten in der Familie vorhanden."

In KSnigsberg notierte M e s c h e d e 1) (1879/80) l mal L~ihmung des rcchten Armes und 36 mal Delirien ~md 1)sychopathien (!). Auch aus Nordafrik~ (Tunis) berichtet E. Conse i l2 ) , dab nervSse Syml0tolne leider vorkommen ; unter 160 ]~ecurrenspatienten hat te er 10 Deliranten, 3 Fi~lle ha t ten einen bcsonders akuten Charakter angenommen. Sonst s~gt er :

,,Dans certains cas, le malade pr6sente au complet l'6tat de prostration et de stupeur qui est habituel dans le typhus; dans d'autres cas, enfin, on observe un d61ire plus on moins violent, mais qui peut, dans quelques cas rares, se traduire par du d61ire onyrique, parfois ~ forme ambulatoire" (S. 58).

Alle diese F~lle finden neuerdings in den Feststellungen yon D u m o r l a r d , A u b r y und T o r r e a) eine wichtige Ergi~nzung aus Algier. Es handel t sich hierbei um einen betriichtlichen t)rozentsatz psychischer Erscheinungen: von 17 litten 14 an gcistigen StSrungen, yon denen bei 11 geistige Verwirrtheit mit Dclirien und 3 mal nur der gleiche Zu- stand, jedoch ohne Delirien, bemerkt sind. Dicse Erscheinungen waren meistens vorfibergehend und t ra ten bei der Krisis des 1. Anfalls auf, w~hrend der Rfickf~lle waren sie seltener; auch meningitische Reizung wurde beobachtet , aber nicht so h~ufig wie die geistige StSrung.

Aus dem Weltkrieg liegen fiber die Beteiligung des Nervensystems am Recurrens aul]er den von 1 ) l a u t und S t e i n e r angeffihrten Fi~llen doch noch eine Reihe anderer, n icht beachteter vor. So weil~ G a 1 a m b o s a) iiber zwei schwere akute Polyneuri t iden der beiden unteren Extremi- t~ten zu ber ichten:

,,Es bestand spontane hochgradige Schmerzhaftigkeit mit Par~isthesie. Ob- jektiv war totale Aniisthesie und Analgesie bis zum Becken bzw. bis zur Mitre der Oberschenkel konstatierbar. Die l~Iuskelkraft war nahezu NuU. Die I(ranken konnten weder gehen noch aufstehen. Die gehobene Extremitiit fiel voUkommen kraftlos dutch ihr eigenes Gewicht herunter. In dem leichteren Fall fehlten der Knie- und der Achillessehnenreflex voUkommen. Die Polyneuritis besserte sich

1) Die l~eeurrensepidemie der Jahre 1879/80 nach Beobaehtungen in der Stiidt. Krankenanstalt zu KSnigsberg i. Pr. Virehows Archly 8~(, 393. 1882.

2) La fi6vre r~currente nordafricaine. Arch. de l'Inst. Past. de Tunis 1913, S. 37.

a) Les troubles psychiques du Typhus r6current (Note pr61im). Rev. m6d. d'Alger. 2, 257. 1914; nach Trop. dis. Bull. 5, 232. 1915.

4) Kriegsepidemiologisehe Erfahrungen. Wien und Leipzig. A. Hiilder 1917. S. 197.

Recurrens und Nervensystem. 255

gegen Ende des fieberhaften Stadiums und verschwand im fieberfreien. Sie kehrte wiihrend des Relapses nicht zurfick."

Zum orientalischen Kriegsschauplatz ffihrt uns die Mitteflung von S a u e r w a l d , dessen brieflicher Auskunft ich diese verdanke. Er hat unter den Recurrenskranken der in und um Adrianopel untergebrachten Dardanellenarmee (Februar--Mai 1916) ,,L~hmungen nicht beobachtet, dagegen h~ufig eine l:~tnger anhaltende Somnolenz. t ta t te die Temperatur am Abend vor der Salvarsaninjektion 39--40 ~ erreicht, so waren die Kranken am folgenden Morgen kaum wach zu bekommen. Delirien habe ich nie gesehen, auch keine polyneuritischen Erscheinungen." Ich kann aus Westkleinasien und Gallipoli (Frtihjahr und Winter 1916) diese Be- obachtungen S a u e r w a l d s best~tigen. Ich mSchte aber besonders auf das ,,biliSse Typhoid" im Sinne yon G r i e s i n g e r 1) hinweisen. Hier sind es haupts~chlich die nervSsen Symptome, die neben dem Ikterus das klinische Bild in hervorragendem Mal]e beherrschen, wie sie uns ( R o d e n w a l d t und Zeiss) im Frtihling 1916 in ganz Westkleinasien entgegentratcu. ]:)as ,,dicke Tropfenpr~parat" zeigt so zahllose Spirochgten, dab man sagen kSnnte, der Trol0fen bestehe primer aus den Erregern und sekun- d~r aus dem Restchen Blur. Die Benommenheit ist so stark, die Steif- heir der Glieder und des ttalses so ausgepr~gt, der Leib kahnfSrmig eingezogen, dab wit bei F~llen mit nur subikterischer F~rbung die Diagnose ,,Meningitis" in Betracht zogen. Delirien in diesem Zustand sahen wir 5fters (wir haben leider kei~e zahlenm~igen Belege). Gleiches hat G r i e s i n g e r beschrieben (1. c. S. 26. ,,vSllig verstSrtes, stupides, halbsoporSses Wesen", ferner S. 32, 35, 48: ,,Das Delirium hatte immer einen ziemlich blanden, meist depressiven, nie den furibunden Cha- rakter. Viele Kranke lagen in einem Zustand von Zerstreutheit und VerstSrtheit da, der ffir einen ganz verwirrten gehalten werden konnte, gaben aber doch dabei richtige Antworten. Einige Male kamen Kr~mpfe, namentlich des Unterkiefers, auch bei einem sp~ter Genesenden, vor; einmal wurde schon im Beginn der Krankheit fiber Formikation und unvollst~ndige An~sthesie de'r tt~nde geklagt." ~hnliche schwere For- men haben K u e l z 2) in Mesopotamien (1916) und P e t z e t a k i s a) in Athen (1916) beobachtet. Die Spirochete war G r i e s i n g e r ja noch unbekannt -- erst viel sparer gelang es durch Uberimpfung ,,biliSsen Blutes" auf einen Menschen bei diesem einfaches Rfickfallfieber aus-

1) Klinisehe und anatomische Beobachtungen fiber die Krankheiten yon ~gypten. Arch. f. physiol. Heilk. 1~, 1 u. 309. 1853.

3) Pathologische und therapeutische Beobachtungen aus Niedermesopotamien. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg. 20, 487. 1916.

a) Les syndromes meningSs au eours de la fi~vre r~currente, ses rapports avee l'augmentation de la pression du liquide edphalo-raehidien; r~aetion mening~e puriforme aseptique etc. Bull. Acad. M~d. 76, 253. 1916 (nach Trop. dis. bull. ]0, 269. 1917).

256 H. Zeiss :

zulSsen -- er hatte mit seinem ausgezeichneten Blick jedoch erkannt, dab europ~ische Epidemien des biliSsen Typhoids (in Oberschlesien und Prag) der agyptischen ~'orm sehr hhnelten und alle diese zusammen dem Relapsing fever der Englander gleich seien (i. c. S. 365).

P e t z e t a k i s hatte unter seinen 15 l~Mlen 4 mit dem typischen Bild der Meningitis, 3 andere hatten nur Starre der Halsmuskeln. Die starken Kopfschmerzen fiihrt er auf den vermehrten Liquor zurtick, allein durch Lumbalpunktion waren sic sofort behoben. Weder Spiro- chgten noch Zellen konnte er im Punktat nachweisen, auch tiberschritt der Eiweil~gehalt nicht die Norm. Diese meningitisehen Reizungen kamen im Frtihstadium der Erkrankung dem griechisehen Arzte ,,auBer- gewShnlieh oft" zu Gesicht, doch stehen diese Befunde mit den Beob- achtungen, die P la u t und 8 t ei n e r bei ihren kfinstliehen Infektionen maehten, teilweise im Widerspruch. -- ?3ber die Feststellungen yon V a s s a P ) in Tonkin (1912) -- stark gehguftes Auftreten des biliSsen Typhus, akute Manic als Xomplikation -- kann ich leider mangels Urtextes keine ngheren Angaben machen.

Eine der allerletzten Mitteilungen aus dem 5stlichen Persien weist auf besonders starke Kopfschmerzen als das am meisten hervorstechende Symptom bin, die so typisch waren, dab schon allein aus ihrem Vor- handensein F r y =) die Diagnose auf Recurrens ohne Blutuntersuchung,

letztere besti~tigte nachher die Diagnose -- stellen konnte.

,,75% severe frontal headeache which changed many a happy healthy man in a few hours to a fever-stricken picture of misery. In fact, once the first case had been diagnosed on first inspection from the severity of this symptom alone, before the blood examination was made which confirmed the diagnosis."

Delirien sah er in 2 l~iillen: einmal am 3. Eiebertag, Pat. war am Tage vorher mit Arsenobillon behandelt, das zweite Mal am 6. Tag eines unbehandelten Falles. - - Einmal kamen Kr~:mpfe zur Beobachtm~g; ,,senseless, with locked clenched jaws, staring eyes and jerkings of the legs and arms. Respiration was shallow and cxtremly rapid. The convulsion acted about 15 minutes; it gradually passed off."

Pathologisch-anatomisch hatte zuerst P o n f i c k s) in der grol~en Epidemic yon 1872/73 gr6Beres Material bearbeitet. Er machte, was das zentrale Nervensystem betrifft, auf die frischen Blutungen auf- merksam, die sieh zwischen Dura und Pia fanden, sowie auf ,,multiple punktfSrmige Hgmorrhagien im Seh- und Streifenhiigel". Weiteres pathologisches Material bringen aus der Petersburger Epidemic yon

1) Une 6pid6mic de figvrc r6currentc au Toukin ~ Far East Assoc. TroD. Med. C. R. 3. Congrgs Bengal (Saigon 1913) 1914, S. 296 (nach Trop. dis. bull. 5, 231 . 1915).

*) An Epidemy of 54 cases of relapsing fever, observed in B ir j a n d, East Persia. Ind. Med. Gaz. 55, 2. 1920.

8) Anatomische Studien fiber den Typhus recurrens. Virehows Archiv 60, 153. 1874.

Recurrens und Nervensystem. 257

1885 P u s c h k a r e f f 1) und aus der Bukarester Epidenfie von 1915 Babes~) , sowie G a n e und B u i a a ) . B a b e s stellte zumal bei Kindern typisehe meningitisehe Symptome fest (Naekensteifigkeit, Kopfschmer- zen, Kernig ~-.) Er gibt das Sektionsergebnis eines im K o m a vers torbenen Mannes (mit Naekenstarre) wieder:

,,Pupfllen kontrahiert, ttirnhgute verdiekt und 6denmtSs dureh eine br/iun- lichgelbe bis tiefdunkelrote Fliissigkeif. ZusammenflieBende Ekchymosen um die MeningealgefgBe, hauptsgchlieh um dig Capillaren, so dab die Hirnhgute in diekes rotes Gewebe verwandelt waren. Gehirnmasse an/imisch, in Ventrikeh), rStliche Flilssigkeit, S p i rochgte n negativ. - - Mikroskopisch in den kleinen Meningeal- gef/~gen Spirochgten -4- +-]- ."

J~hnliehes stellten G a n e und B u i a unter 4 F~tllen, davon 3 Kinder , lest :

,,Klare meningitische Syndrome ohne Leukocyten im Liquor. Ein Fall hatte massenhaft Spiroeh/~ten im Liquor; dig meningitischen Symptome hielten bei diesem 4 Tage an, dann verschwanden sie. 7 Tage sp/~ter trat wieder tin Reeurrens- anfall mit meningitisehen Erscheinungen auf, diesmal war der Liquor frei yon Spiroeh/~ten."

Ob die von U r b a i n 4) bei H t ihnem in Brasilien beobaehteten me- ningitis~hnlichen Erk rankungen auf Spiroch~ten, die er im entziin- deten Auge und im Gehirn selbst fand, zurtickzuffihren ist, bleibt der Best~tigung vorbehalten.

Pathol.-anat. Befund: Meningitis, eitronenfarbiger Liquor zwischen Meningen und Gehirn. PunktfSrmige Blutungen im Lobus olfaet., Lob. optic, in der tIypo- p hyse, den Sehnerven, Bulbus optic, und im Riickenmark.

Weitere Klarhei t in die Beziehungen zwischen Recurrensspiroeh~te und Nervensys tem zu bringen, sind die vielverspreehenden Arbei ten yon P l a u t und S t e i n e r , M f i h l e n s a) und W e y g a n d t berufen. Auch die letzte Arbeit yon W e i c h b r o d t 6) br ingt ebenfalls einen wissens- werten Beitrag zu dieser Frage. Uber die Beziehungen des Liquors zu Protozoen hoffen Dr . N a s t vom Allg. Krankenhaus St. Georg und ich spater in grSBeren Versuchsreihen Berieht zu erstatten.

1) Zllr pathologischen Anatomic des Febris recurr ens. Vfl'chows Arehiv 113, 421. 1888,"

2) H6morrhagies m6ning6es et autres manifestations h6morrhagiques dans la fi6vre r6eurrente. Compt. rend. de la soc. de biol. 79, 855. 1916.

a) Sur les ph6nom6nes m6ningitiques pendant la fi6vre r6currente chez les enfants. Ebenda S. 864 (beide nach Trop. dis. bul. 9, 40. 1917).

4) M6ningo-ene6phalo-my61ite des poules (spirillose). Bull. path. exo. 9, 561. 1916.

5) Zur Behandlung der Paralyse. Vortrag in der Jahresversammlung des Deutsehen Vereins fiir Psychiatric in Hamburg, Mai 1920. - - Ferner: M ii h 1 e n s, W e y g a n d ~ u. K i r s c h b a u m , Behandlung der Paralyse mit Malaria und Recurrens. - - Miineh. reed. Woehensehr. Nr. 29, S. 831. 1920.

6) Recurrensinfektionen bei Psychosen und experimentellen Untersuehungen fiber Reeurrensspiroeh/~ten. Dtsch. reed. Wochensehr. Nr. 25, S. 678. 1920.

Z. f. d. g. l~eur, u. Psych. O. LXI. 17

258 H. Zeiss: Recurrens und Nervensystem.

Es lag mir daran zu zeigen, dal~ fiber Rfickfallfieber und Nerven- system doch allerhand Stoff, wenn auch zerstreut, vorhanden ist und dab eine planm~l~ige Erforschung dieses Gebiets immerhin in Angriff genommen zu werden verdient. Die a l l e r e r s t e n klinisch-epidemiolo- gischen Studien fiber unsere Frage gehen auf die Beobachtungen von R o s e n bl u m zurfick, fiber die 0 ks 1) ja eine so vortreffliche Darstellung uns hinterlassen hat. Diese sind der Grund, auf der sich die therapeu- tischen Versuehe bei Paralyse durch Malaria und Recurrens in der Folge- zeit aufbauten.

1) Ober die Wirkung fieberhafter Krankheiten auf Heflung yon Psychosen. Arch. f. Psych. 10, 249. 1880 (III. Febris recurrens, S. 251).