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Dies ist aber die erste Reform, welche ohne Not und mit voller Absicht ein Ex- periment mit fatalem Ausgang einleitet. Man kann das ideologische Arroganz nennen. Andere würden sagen: Fahrläs- siger Umgang mit den Bürgern. Nie- mand unter den politisch Verantwortli- chen soll sagen, dass er nicht gewarnt unter Ärzten und Experten: Wir kön- nen Sie davon heilen, wenn sie auf un- seren Rat hören. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Karsten Vilmar Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages worden sei, wenn wir in einigen Jahren den Niedergang unseres Gesundheits- wesens mit seinen freiheitlichen und humanen Strukturen feststellen wer- den. Noch ist es Zeit: Die Gesundheits- politik sollte dieses Experiment stop- pen! Realitätsimmunität ist bei Politi- kern eine Krankheit. Sie befinden sich | Der Internist 8·99 M 232 A. Fischer Rede von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer anläßlich des 102. Deutschen Ärztetages in Cottbus 1999 Es ist mir eine Ehre, heute am wichtig- sten Treffen der Ärzteschaft in Deutsch- land teilnehmen zu dürfen. Ein Schwer- punkt dieses Ärztetages wird die Ge- sundheitsreform sein. Ich nehme daher gerne die Gelegenheit wahr, Ihnen die zentralen Punkte der Reform persön- lich vorzustellen. Nach den heftigen gegenseitigen Vorwürfen erwarten viele vermutlich nun so etwas wie einen „Showdown“ zwischen Herrn Prof.Vilmar und mir. Ich würde gern auf einen weiteren Akt in diesem Drama verzichten. Mein Interesse ist es, dass wir wieder in Ruhe miteinander reden können. Deshalb möchte ich folgendes klarstellen und hoffe, damit zu einem „Abrüstungspro- zeß“ beizutragen: Die KBV hat sich entschieden, mit einer Vielzahl von publizistischen Mit- teln Front gegen die Gesundheitsre- form zu machen. Ich meine, dass ich zu- recht kritische Anfragen an dieses Vor- gehen stelle, da die KBV als Körper- schaft des öffentlichen Rechts andere Aufgaben hat als z.B. eine Gewerk- schaft. Zum Austausch der Positionen habe ich die KBV für die nächste Woche ein- geladen. Ich hoffe sehr, dass wir dort zu einer Verständigung kommen, so dass dieser Konflikt nicht weiter eskaliert. Wir sind uns einig, dass es um das Wohl von Patientinnen und Patienten geht. Dann möchte ich aber auch darauf beharren, dass Patienten nicht in eine Auseinandersetzung zwischen der or- ganisierten Ärzteschaft und der Bun- desregierung hineingezogen werden dürfen. Ich sehe hier die Grenze zwi- schen Aufklärung und Verunsicherung überschritten und möchte Sie bitten, Form und Inhalt Ihrer Aussagen noch einmal zu überprüfen. Im Zuge der Diskussion um die Infor- mationspolitik der KBV gab es auch eine scharfe Kontroverse um die Arzneimittelausgaben. Ich gebe zu, dass auch ich meinen Teil zur Schärfe der Debatte beigetragen habe. Ich bedaure ausdrücklich, dass dabei der Eindruck entstanden ist, ich wolle die Ärzteschaft eines unethischen Ver- haltens bezichtigen. Dies war nicht mei- ne Absicht. Unbestritten ist, dass Mehrwertsteuer- erhöhung, Zuzahlungsrückführung und Grippewelle Ursachen für den Ausga- benanstieg sind. Hier ist nicht der Ort für eine Klärung der Differenzen um die Größenordnung des jeweiligen Effekts. Aber ich möchte deutlich machen, wor- an sich meine Kritik entzündet hat.Von seiten der Vertreter der Ärzteschaft wur- de die Ausgabenentwicklung des ersten Quartals hochgerechnet und die Er- schöpfung der Budgets prognostiziert, ja als Bedrohung an die Wand gemalt. Gerade aber wenn man sagt die Ge- sundheitssituation im Winter sei vor al- lem die Ursache für die Ausgabenstei- gerung, dann muß jetzt eine Trendwen- de kommen. Und darüber hinaus sind die kassenärztlichen Vereinigungen in der Pflicht, durch Information und Be- ratung das Verordnungsverhalten posi- tiv zu beeinflussen. Das erwarte ich von allen Beteiligten. Ich hoffe, diese Ausführungen konnten dazu beitragen, wieder eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Ich möchte darauf hinweisen, dass Abrüstung nur als zweiseitiger Prozeß gelingen kann. Gesundheitsreform 2000 Ich möchte jetzt in einigen Punkten un- ser Reformprojekt darstellen. Dr. Schor- re hat es als „umstürzlerisches“ Vorha- ben bezeichnet. Ich meine, dieser Vor- wurf tut unserer Reform zu viel Ehre an. Sie ist viel näher an den jetzigen Gege- benheiten dran und wird das Gesund- heitswesen nicht auf den Kopf stellen.

Rede von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer anläßlich des 102. Deutschen Ärztetages in Cottbus 1999

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Dies ist aber die erste Reform, welcheohne Not und mit voller Absicht ein Ex-periment mit fatalem Ausgang einleitet.Man kann das ideologische Arroganznennen.Andere würden sagen: Fahrläs-siger Umgang mit den Bürgern. Nie-mand unter den politisch Verantwortli-chen soll sagen, dass er nicht gewarnt

unter Ärzten und Experten: Wir kön-nen Sie davon heilen, wenn sie auf un-seren Rat hören.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Karsten VilmarPräsident der Bundesärztekammer unddes Deutschen Ärztetages

worden sei, wenn wir in einigen Jahrenden Niedergang unseres Gesundheits-wesens mit seinen freiheitlichen undhumanen Strukturen feststellen wer-den. Noch ist es Zeit: Die Gesundheits-politik sollte dieses Experiment stop-pen! Realitätsimmunität ist bei Politi-kern eine Krankheit. Sie befinden sich

| Der Internist 8·99M 232

A. Fischer

Rede von BundesgesundheitsministerinAndrea Fischeranläßlich des 102. Deutschen Ärztetages in Cottbus 1999

Es ist mir eine Ehre, heute am wichtig-sten Treffen der Ärzteschaft in Deutsch-land teilnehmen zu dürfen. Ein Schwer-punkt dieses Ärztetages wird die Ge-sundheitsreform sein. Ich nehme dahergerne die Gelegenheit wahr, Ihnen diezentralen Punkte der Reform persön-lich vorzustellen.

Nach den heftigen gegenseitigenVorwürfen erwarten viele vermutlichnun so etwas wie einen „Showdown“zwischen Herrn Prof.Vilmar und mir.

Ich würde gern auf einen weiterenAkt in diesem Drama verzichten. MeinInteresse ist es, dass wir wieder in Ruhemiteinander reden können. Deshalbmöchte ich folgendes klarstellen undhoffe, damit zu einem „Abrüstungspro-zeß“ beizutragen:

Die KBV hat sich entschieden, miteiner Vielzahl von publizistischen Mit-teln Front gegen die Gesundheitsre-form zu machen. Ich meine, dass ich zu-recht kritische Anfragen an dieses Vor-gehen stelle, da die KBV als Körper-schaft des öffentlichen Rechts andereAufgaben hat als z.B. eine Gewerk-schaft.

Zum Austausch der Positionen habeich die KBV für die nächste Woche ein-geladen. Ich hoffe sehr, dass wir dort zueiner Verständigung kommen, so dassdieser Konflikt nicht weiter eskaliert.

Wir sind uns einig, dass es um dasWohl von Patientinnen und Patientengeht. Dann möchte ich aber auch daraufbeharren, dass Patienten nicht in eineAuseinandersetzung zwischen der or-ganisierten Ärzteschaft und der Bun-desregierung hineingezogen werdendürfen. Ich sehe hier die Grenze zwi-schen Aufklärung und Verunsicherungüberschritten und möchte Sie bitten,Form und Inhalt Ihrer Aussagen nocheinmal zu überprüfen.

Im Zuge der Diskussion um die Infor-mationspolitik der KBV gab es aucheine scharfe Kontroverse um dieArzneimittelausgaben. Ich gebe zu,dass auch ich meinen Teil zur Schärfeder Debatte beigetragen habe.

Ich bedaure ausdrücklich, dass dabeider Eindruck entstanden ist, ich wolledie Ärzteschaft eines unethischen Ver-haltens bezichtigen. Dies war nicht mei-ne Absicht.

Unbestritten ist, dass Mehrwertsteuer-erhöhung, Zuzahlungsrückführung undGrippewelle Ursachen für den Ausga-benanstieg sind. Hier ist nicht der Ortfür eine Klärung der Differenzen um dieGrößenordnung des jeweiligen Effekts.Aber ich möchte deutlich machen, wor-

an sich meine Kritik entzündet hat.Vonseiten der Vertreter der Ärzteschaft wur-de die Ausgabenentwicklung des erstenQuartals hochgerechnet und die Er-schöpfung der Budgets prognostiziert,ja als Bedrohung an die Wand gemalt.

Gerade aber wenn man sagt die Ge-sundheitssituation im Winter sei vor al-lem die Ursache für die Ausgabenstei-gerung, dann muß jetzt eine Trendwen-de kommen. Und darüber hinaus sinddie kassenärztlichen Vereinigungen inder Pflicht, durch Information und Be-ratung das Verordnungsverhalten posi-tiv zu beeinflussen. Das erwarte ich vonallen Beteiligten.

Ich hoffe, diese Ausführungenkonnten dazu beitragen, wieder einegemeinsame Gesprächsgrundlage zufinden. Ich möchte darauf hinweisen,dass Abrüstung nur als zweiseitigerProzeß gelingen kann.

Gesundheitsreform 2000

Ich möchte jetzt in einigen Punkten un-ser Reformprojekt darstellen. Dr. Schor-re hat es als „umstürzlerisches“ Vorha-ben bezeichnet. Ich meine, dieser Vor-wurf tut unserer Reform zu viel Ehre an.Sie ist viel näher an den jetzigen Gege-benheiten dran und wird das Gesund-heitswesen nicht auf den Kopf stellen.

Darüber haben wir in der letzten Zeitviel diskutiert, auch mit der KBV und derBundesärztekammer. Unser Vorschlagist: Es soll eine Rahmenvereinbarungauf Bundesebene zwischen der Kassen-ärztlichen Bundesvereinigung und denSpitzenverbänden der Krankenkassengeben. Ein Katalog wird aufgestellt mitKriterien: was ist ein integriertes Ver-sorgungsmodell, welche Mindestbedin-gungen muß es erfüllen, was sind dieQualitätsstandards und wie soll dieseZusammenarbeit genau aussehen?

Wir greifen damit eine Kritik aufaus den letzten Jahren, wo manchmalvor Ort, auch aufgrund von innerärztli-cher Konkurrenz, solche Modellversu-che nicht zustande gekommen sind.Wir sind uns an dem Punkt einig, dassdas bisherige Vetorecht von der Kassen-ärztlichen Vereinigung vor Ort aufgege-ben werden soll hin zu einer Schieds-amtsfähigkeit solcher Verträge.

Es ist vorgesehen, dass auch die KVVertragspartnerin werden kann. DieBehauptung der KBV, dass Kassen Ver-träge mit einzelnen Ärzten schließenkönnten, stimmt nicht. Das steht nichtim Gesetzentwurf.

Gerechtere Verteilungder Finanzmittel imniedergelassenen Bereich

Die Situation der niedergelassenenÄrztinnen und Ärzte ist bislang von ei-nem massiven Verteilungskampf ge-prägt. Das Bild vom Hamster im Radwird immer wieder gebraucht. Damitwird das Gefühl beschrieben, dass dereinzelne die Zahl seiner Leistungenfortlaufend ausweiten muß, um auf die-se Weise ein möglichst großes Stückvom Kuchen zu bekommen, was wie-derum einen sinkenden Punktwert zurFolge hat. Diesen Kreislauf wollen wirdurchbrechen. Und zwar durch folgen-de Vorschläge:

● Trennung der Gesamtvergütung ineinen Hausarzt- und einen Facharzt-topf,

● weiterer Abkehr von der Einzellei-stung, hin zu Komplexgebühren,

● Einführung von Leitlinien in derTherapie.

Auch in Bezug auf die Wirtschaftlich-keit soll künftig die Qualität ins Zen-trum gerückt werden. Statt einer Aus-

Geld in unser Gesundheitswesen geben.Es geht jetzt um Strukturverbesserun-gen im System.

Unsere Antwort auf die aktuellen Her-ausforderungen lautet: Wir brauchenmehr Kooperation zwischen allen Betei-ligten im Gesundheitswesen, die Frageder Qualität der medizinischen Versor-gung muß in den Mittelpunkt gestelltwerden und die Patientinnen und Pati-enten müssen gestärkt werden. Dassauch die Ärztinnen und Ärzte von die-ser Reform profitieren, möchte ich Ih-nen im folgenden an einigen Beispielenerläutern.

Zentrale Reformschwerpunkte

Abschied vom Einzelkämpfertum

Die Situation der Ärzteschaft ist heuteimmer noch stark vom Einzelkämpfer-tum geprägt. Die Einzelpraxis domi-niert, es gibt zu wenig Verzahnung zwi-schen dem ambulanten und stationärenBereich. Dies führt nicht nur zu über-flüssigen Doppel- und Mehrfachunter-suchungen für die Patientinnen undPatienten, sondern auch zu einer unbe-friedigenden Arbeitssituation der Ärz-tinnen und Ärzte.

Wir haben uns deshalb die bessereVerzahnung auf die Fahnen geschrie-ben, ein Klassiker in der gesundheits-politischen Diskussion, aber bislang lei-der noch nicht weitverbreitete Praxis.

Wir konnten in den letzten Jahrenüber Modellversuche bereits Erfahrun-gen sammeln. Jetzt wollen wir die inte-grierten Versorgungsformen zu einemTeil der Regelversorgung machen, sodass Patienten auch solche Versor-gungsformen zur Auswahl haben. Vielevon diesen Modellversuchen sind inden letzten Jahren von Ärztinnen undÄrzten ausgegangen, die keine Lustmehr auf isoliertes Arbeiten hatten. Siewußten um den Wert der Zusammenar-beit und haben sich für neue Koopera-tionsformen entschieden.

Bei der integrierten Versorgung wol-len wir den Sicherstellungsauftragder Kassenärztlichen Vereinigungenerhalten.

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Ich hoffe, dass im Verlauf der Dis-kussionen der nächsten Zeit der Teil der-jenigen größer wird,die unsere Vorschlä-ge als das sehen, was sie sind: ein Ange-bot, unser Gesundheitswesen im Sinneder Patientinnen und Patienten zu ver-bessern und damit auch die Arbeit vonÄrztinnen und Ärzten zu erleichtern.

Wir haben heute ein Gesundheitswe-sen, das besser ist als in vielen ande-ren Ländern.

Dieses wollen wir auch in Zukunft ha-ben. Es stellt die notwendigen Leistun-gen für alle, unabhängig vom Einkom-men bereit. Es baut auf Solidarität zwi-schen Gesunden und Kranken, zwi-schen Jungen und Alten, gut undschlechter Verdienenden, Singles undFamilien und gibt dem einzelnen Si-cherheit im Krankheitsfall.

Ich will das System bewahren undfür die Zukunft fit machen. Dafürbraucht es aber ständige Veränderun-gen, weil sich auch die äußeren Bedin-gungen ändern. Deshalb brauchen wirerneut eine Reform im Gesundheitswe-sen. Nur mit Veränderungen schaffenwir Zukunft für ein so komplexes Sy-stem, wie es das Gesundheitswesen ist.

Unser Gesundheitssystem steht vordrei zentralen Herausforderungen:

● Die erste ist, dass immer mehr Men-schen heute älter werden. Dieser de-mographische Wandel bringt eineZunahme von chronischen Krank-heiten und von Mehrfacherkrankun-gen mit sich.

● Ein weiterer Punkt ist der medizini-sche Fortschritt: Neue Behandlungs-möglichkeiten, neue Diagnosetechni-ken, neue Medikamente erweiterndas Angebot im Gesundheitswesen.

● Der dritte Punkt ist, dass die Men-schen heute eine andere Haltung ge-genüber den Systemen der sozialenSicherheit haben. Sie treten diesenSystemen kritischer und auch selbst-bewußter gegenüber und ebenso dendort arbeitenden Menschen. Sie wol-len nicht länger Objekte der Fürsor-ge, sondern selbständig handelndeSubjekte sein.

Diese Problemanalyse teilen viele, auchviele Ärztinnen und Ärzte. Die Antwortauf diese Herausforderungen kann je-doch nicht sein, dass wir immer mehr

„Wir brauchen mehr Kooperationzwischen allen Beteiligten

im Gesundheitswesen.“

richtung wie bisher am statistischenDurchschnitt, in der Besonderheiteneinzelner Praxen unberücksichtigt blie-ben, sollen künftig Indikationsstellung,Effektivität und Effizienz der Behand-lung entscheidend sein.

All diese Maßnahmen haben einepatientengerechte Behandlung zumZiel. Damit soll sich auch die Arbeitssi-tuation der Ärzte verbessern.

Situation der Ärzte im Osten

Die Ärzte in Ostdeutschland sind vorallem im niedergelassenen Bereich ineiner besonders schwierigen Situati-on. Das Tempo des Einigungsprozesseshat für einzelne zu einer prekären Lagegeführt. Um so mehr ist es ein großerVerdienst der Ärzteschaft, dass es fürden niedergelassenen Bereich gelungenist, die gesamtdeutsche Grundlohnra-te zur Grundlage für die Ausgabenent-wicklung zu nehmen. Dies ist ein Aktechter Solidarität unter Kollegen undsollte nicht als Almosen bezeichnetwerden.

Dieses im Jahr 1999 nur im ambu-lanten Bereich geltende Prinzip derOrientierung am bundeseinheitlichenGrundlohn wird in Zukunft für alle Be-reiche gelten. Es verhindert das weitereAbdriften der neuen Länder. Wir habenaber auch für den Fall vorgesorgt, dassdie Löhne im Osten wieder stärker stei-gen als im Westen. Wenn der Anstiegdes Grundlohns im Osten höher ist alsim Westen, dann soll wieder eine ge-trennte Grundlohnveränderung zugrun-de gelegt werden, um den Ost-West-An-gleich voranzubringen.

Was die Lage der Leistungserbrin-ger in 1999 anbelangt, sind wir derzeitim Gespräch mit allen Beteiligten, umzu sehen, ob in diesem Jahr eine Son-derlösung notwendig ist.

Verzahnung ambulant/stationär

Ich komme zu einem weiteren Punkt:der Verzahnung des ambulanten undstationären Bereichs.Hier haben wir unsebenfalls bemüht, der Forderung nachbesserer Verzahnung nachzukommen,ohne die Türen so weit aufzumachen,dass die Beteiligten Angst bekommen,im Durchzug weggeweht zu werden.

Wir wollen einerseits den Katalogder ambulanten Leistungen erweitern.Wir wollen ihn auf den neuesten Stand

die dafür sorgen, dass sie zur richtigenZeit am richtigen Ort behandelt werden.Gerade für Menschen mit langwierigenkomplizierten Krankheiten ist so ein Ver-trauensverhältnis besonders wichtig.

Ich will bei dieser Gelegenheit einMißverständnis ausräumen, das mirhäufig begegnet: Chroniker, die einenArzt ihres Vertrauens haben oder einenständigen betreuenden Arzt, der nichtHausarzt ist, müßten diesen dann ver-lieren. Das ist nicht gewollt, sondern esgeht genau darum, dass jeder Menscheinen Arzt des Vertrauens für seineKrankheit findet. Für viele Menschenkann der Hausarzt diese Vertrauens-funktion übernehmen. Aber es musskein Hausarzt sein.

Die freie Arztwahl bleibt unangetastet.Denn sie ist eine zentrale Vorausset-zung für das Vertrauensverhältniszwischen Arzt und Patienten.

Die Stärkung der Hausärztefunktion istein Prozeß. Dazu wird es nur kommen,wenn wir die Menschen von der Rich-tigkeit und der Qualität dieser Art derVersorgung überzeugen.

Ich habe in diesem Zusammen-hang erfreut zur Kenntnis genommen,dass auch der Bundesverband nieder-gelassener Fachärzte die Förderung derhauptsächlichen Versorgung begrüßtund unterstreicht, dass dem Zusam-menwirken von Haus- und Fachärztenin der Integrationsversorgung eine ent-scheidende Rolle zukommt.

Krankenhaus

Ich komme nun zum Krankenhausbe-reich. Da allein ein Drittel aller Mittelder GKV in diesen Bereich fließt, machteine Gesundheitsreform ohne Einbezugdes Krankenhaussektors keinen Sinn.

Wir wollen den Grundsatz ambu-lant vor stationär konsequent durchset-zen. Das bedeutet zum einen einen Ka-pazitätsabbau im Krankenhaus, den wirdurchaus wollen, macht andererseitsaber einen bedarfsgerechten Aufbau inanderen Bereichen notwendig.Auch fürdie Beschäftigten ergeben sich alsoneue Tätigkeitsfelder. Wir brauchenneue kooperative Formen der Versor-gung.

Wir wollen aber auch innerhalb desKrankenhaussektors mehr Flexibilitätin der Mittelverteilung ermöglichen

bringen, neben Operationen sollen auchweitere Eingriffe aufgenommen werden.

Es soll klar festgelegt werden, wo dieambulante Behandlung der Regelfallist und die stationäre Behandlung dieAusnahme.

Wir wollen im Gegenzug neue Kategori-en von ambulanten Behandlungsmög-lichkeiten im Krankenhaus ermögli-chen. Dazu soll ein dreiseitiger Vertragzwischen den KVen,den Kassen und denKrankenhäusern geschlossen werden.Dabei geht es um einen Katalog kompli-zierter Krankheitsverläufe und hoch-spezialisierter Leistungen, die eine sol-che Behandlung rechtfertigen, wie z.B.im Bereich der Onkologie oder bei Aids.

Und wir wollen, dass es über dieNotaufnahmen nicht zu unnötigen sta-tionären Aufnahmen kommt. Deswe-gen schlagen wir vor, dass Krankenhäu-ser mit Notfallambulanzen mit denKVen eine Zusammenarbeit vereinba-ren, die die Vertragsärzte mit einbe-zieht.

Uns wird vorgeworfen, dies sei eineReglementierung, Listenmedizin, undwie die Schlagworte alle heißen. Ich be-kenne mich dazu, dass hier stark regle-mentiert wird. Die Alternative hieße,die Mauern zwischen ambulantem undstationärem Bereich niederzureißen,ohne dafür zu sorgen, dass das auf eineArt und Weise geht, die für alle mitein-ander verträglich ist. Man muß einenWeg finden, dass niemand Angst zu ha-ben braucht, unter die Räder zu kom-men. Und wenn man das versucht, dannwerden die Regelungen komplizierter,aber vielleicht dafür für alle akzeptabel.

Stärkung der Hausärzte

Ich möchte noch einen weiteren Punkt,der die Zusammenarbeit anbetrifft, an-sprechen, die häufig schon auch öffent-lich kommentierte Verbesserung derhausärztlichen Versorgung. Sie wissenalle, dass das Gesundheitswesen, geradeauch wegen des vielfältigen Fort-schritts, den wir in den letzten Jahrenerfahren haben, ein sehr komplexes Ge-bilde ist: Das macht es nicht ganz ein-fach für die einzelnen Patienten, ihrenWeg da durch zu finden.

Es macht Sinn, dass Patientinnenund Patienten einen Arzt oder Ärztinihres Vertrauens an ihrer Seite haben,

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und gleichzeitig mehr Kostentranspa-renz in den Kliniken schaffen. Immernoch wissen viele Kliniken selbst nicht,ob sie wirtschaftlich arbeiten und wokonkrete Verbesserungsmöglichkeitenliegen. Deshalb soll in den nächsten Jah-ren ein umfassendes Fallpauschalensy-stem eingeführt werden.

Damit erreichen wir ein Höchst-maß an Transparenz für das gesamteLeistungsgeschehen im Krankenhaus.Dort, wo man im Rahmen von Betriebs-vergleichen z.B. schon Preissystemeangewandt hat, hat sich oft gezeigt, dasszwischen hohen Kosten und hoher me-dizinischer Qualität kein zwingenderZusammenhang besteht. Mit anderenWorten: Häuser mit vergleichsweiseniedrigen Kosten können bessere Lei-stungen und gleichzeitig eine höhereZufriedenheit sowohl bei Patienten alsauch bei Mitarbeitern aufweisen.

Das Fallpauschalensystem mußauch in der Lage sein, Investitionsantei-le abbilden zu können, womit ich beimzweiten Punkt der Veränderungen bin,der monistischen Krankenhausfinan-zierung, die in drei Stufen bis zum Jahr2008 eingeführt werden soll.

Trotz der Veränderung der Finanzie-rung, die ich hier aus Zeitgründen nichtnäher ausführen will, gilt weiterhin:

Die Länder bleiben in die Rahmenpla-nung einbezogen.

Kassen und Länder verständigen sichüber das „Wieviel“ an stationärer Ver-sorgung. Sollten Kassen Verträge mitHäusern oder einzelne Abteilungenkündigen wollen, so müssen sie sich angemeinsam mit den Ländern zu finden-de Rahmenvorgaben halten, die aucham Ziel eines flächendeckenden Ange-bots orientiert sind. Die letzte Verant-wortung liegt bei den Ländern. Mankann dies keinesfalls als Einkaufsmo-dell der Kassen bezeichnen.

Qualitätssicherung

Der Gesetzgeber setzt auf Bundesebeneim Krankenhausbereich in erster Liniefinanzielle Rahmenbedingungen. DerEinfluß auf die konkrete Arbeit in denKrankenhäusern, die vielfach Anlaß zurKritik gibt, ist nur gering. Die hohe Ar-beitsbelastung der Ärztinnen und Ärz-te, aber auch der Pflegekräfte ist vonuns nur begrenzt beeinflußbar.

beeinflußt. Beim Mehrheitswahlrechtbleiben Minderheitsinteressen unterre-präsentiert. Damit aber alle maßgebli-chen Interessengruppen die Möglich-keit haben, Vertreter in die Selbstver-waltungsorgane zu entsenden, soll dasVerhältniswahlrecht verbindlich einge-führt werden. Dies ist ein ganz selbst-verständliches Prinzip in unserer De-mokratie. Damit greifen wir die Forde-rung von vielen Ärztinnen und Ärztennach einer besseren Vertretung einzel-ner Basisgruppen auf.

Globalbudget

Ich habe hier nur einige Punkte aufgrei-fen können, die Ihrerseits teils heftigkritisiert werden. Dabei handelt es sichdoch um Reformvorhaben, die in denletzten Jahren gerade auch aus der Ärz-teschaft formuliert und teilweise auchschon praktiziert wurden. Dabei von„umstürzlerischen“ Projekten zu reden,erscheint einigermaßen absurd. Waswir erreichen werden, ist eine Optimie-rung der gesundheitlichen Versorgung.

Zum Schluß möchte ich auf denwohl am stärksten umstrittenen Punktder Reform kommen,zum Globalbudget.

Wir müssen Beitragssatzstabilität alseinen Parameter in der gesundheits-politischen Debatte anerkennen.

Denn die wachsende Kritik an unserersozialen Sicherung entzündet sich anden ständig steigenden Beiträgen.

Das Gesundheitswesen ist kein ex-traterritorialer Bereich außerhalb un-serer Gesellschaft, sondern es ist Teilder Gesellschaft. Deswegen halte ich dieAnkoppelung an die Gesamtentwick-lung dieser Gesellschaft für recht undbillig.

Falsch ist jedoch die immer wiederkolportierte Behauptung, wir wolltendie Mittel für das Gesundheitswesen re-duzieren. Die Ausgaben werden viel-mehr entsprechend der Grundlohnratesteigen. Bei einem durchschnittlichenGrundlohnanstieg von ca. 2% pro Jahrbedeutet dies jedes Jahr ca. 5 Milliardenmehr im System! Alles, was wir wollenist, dieses Geld möglichst vernünftigund effizient auszugeben.

Unser Mittel, um dies zu erreichen,ist die Einführung eines Globalbudgets.Es soll dafür sorgen, dass nicht mehrausgegeben als eingenommen wird,

Dennoch versuchen wir Anreize undChancen für Veränderungen für die Be-schäftigten im Krankenhaus zu schaffen.Besonders viel verspreche ich mir von ei-ner Verbesserung des Qualitätsmanage-ments und der Qualitätssicherung.

Mit der Gesundheitsreform wer-den wir alle Einrichtungen, sowohl dieKliniken als auch die Praxen, auf dieseumfassende Art des internen Quali-tätsmanagements verpflichten. Hinzukommt auch die Aufforderung, am ex-ternen Qualitätsvergleich teilzuneh-men und damit von einander zu lernen.Die Krankenkassen können es honorie-ren, wenn Einrichtungen Qualitätsma-nagement durchführen.

Es gibt bereits positive Beispielevon Krankenhäusern, die auf diese Wei-se hervorragende Ergebnisse erzielt ha-ben. Es konnten gleichzeitig Kosten re-duziert und die Arbeitszufriedenheitder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterebenso wie die Zufriedenheit der Pati-enten gesteigert werden.

Selbstverwaltunghat große Bedeutung

Auch mit der Gesundheitsreform 2000bleibt es bei der zentralen Rolle derSelbstverwaltung, ihr werden dazuneue Aufgaben übertragen. Diesen Auf-gaben kann die Selbstverwaltung nurgerecht werden, wenn ihre Strukturenentsprechend ausgestattet sind.

In der vertragsärztlichen Selbstver-waltung wird seit geraumer Zeit überdie Notwendigkeit einer Modernisie-rung der Strukturen diskutiert. Denndie bisherige Organisationsstruktur miteinem ehrenamtlichen Vorstand, haupt-amtlicher Geschäftsführung und ehren-amtlicher Vertreterversammlung wirdden gesteigerten Aufgaben nicht ge-recht. Diese Diskussion haben wir auf-gegriffen. Darum streben wir eine Neu-ordnung der inneren Organisation derKassenärztlichen und Kassenzahnärzt-lichen Vereinigungen mit einem haupt-amtlichen Vorstand an. Dabei sind Re-gelungen vorgesehen, die auch einemhauptamtlichen Vorstand weiterhin dieTätigkeit als Vertragsarzt ermöglichen.

Wichtig ist mir vor allem folgenderPunkt. In der Ärzteschaft gibt es eineVielzahl von Meinungen und Gruppen.Inwieweit diese in den Organen derSelbstverwaltung repräsentiert werden,wird auch vom angewandten Wahlrecht

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aber vor allem eine größere Flexibilitätzwischen den Sektoren zu ermöglichen.Die Verteilung der Mittel auf die Ver-sorgungsbereiche wird nicht von denKassen alleine entschieden. Es wirdweiterhin Aufgabe aller Partner derSelbstverwaltung sein, die Kapazitätender Versorgung in Verträgen auszuhan-deln. Wir geben der Selbstverwaltungdie Instrumente für eine vernünftigeSteuerung an die Hand.

Der zentrale Vorwurf an das Glo-balbudget lautet, das würde eine Ratio-nierung von Leistungen bedeuten. Ra-tionierung hieße, dass Menschen diemedizinisch notwendigen Leistungenvorenthalten werden. Das wollen wirgerade verhindern, indem wir allen Be-teiligten die Instrumente in die Handgeben, mit den vorhandenen Mitteln ei-ne gute Versorgung zu gewährleisten.Deshalb setzen wir auf Qualität undbessere Kooperation.

Was wäre denn die Alternative zudiesem Weg? Denkbar wäre eine drasti-sche Anhebung der Zuzahlungen odereine – nach welchen Regeln auch im-mer – stark reduzierte Versorgung füralle und private Zusatzleistungen fürwenige. Das ist der Systemwechsel, denwir nicht wollen, das genau wäre Zwei-Klassen-Medizin.

Ich bin der festen Überzeugung,dass mit den vorhandenen Mitteln einequalitativ hochwertige Versorgung mög-lich ist. Die Voraussetzung dafür ist,dass wir ständig prüfen,was wir in unse-rem Gesundheitswesen machen undwas wir besser machen könnten.

Natürlich muß immer auch klarsein, dass die gesetzliche Krankenversi-

ist, dass aber auch diejenigen, die indiesem Gesundheitswesen arbeiten,sich fair behandelt fühlen, in jedemFall beantworten. Deswegen plädiereich dafür, sich nicht über das Global-budget zu empören, sondern sich zubeteiligen an der Suche danach, wieman ein modernes leistungsfähigesGesundheitswesen gestalten kann.

Weiterer Prozeß

Auch wenn der Referentenentwurf nunauf dem Tisch liegt, bedeutet dies nichtdas Ende der Diskussion, im Gegenteil.Wir führen in den nächsten Wochen ei-ne Anhörung der Verbände durch. Dar-über hinaus finden zahlreiche Gesprä-che und Diskussionsveranstaltungenstatt. Ich hoffe sehr, dass sich auch dieÄrzteschaft weiterhin an diesem Dialogbeteiligt.

Der Ärztetag wird sich in seinemweiteren Verlauf intensiv mit dem vor-gelegten Gesetz beschäftigen. Auch Siewollen eine patientengerechte Gesund-heitsreform.Wir sind also im Ziel einig,werden aber sicherlich über die Wegedorthin weiter diskutieren. Ich darf Ih-nen versichern, dass die Positionen derÄrzteschaft auch im weiteren Verlaufdes Gesetzesprozesses eine wichtigeRolle spielen werden. In diesem Sinnewünsche ich dem Ärztetag einen erfolg-reichen Verlauf.

Andrea FischerBundesgesundheitsministerin

cherung ein System ist, das eben nurdas Notwendige und das Sinn- undZweckmäßige beinhaltet. Nicht alles,was vielleicht wünschenswert wäre, istmöglich. Dazu tragen auch Instrumentewie die Arzneimittelrichtlinie und diePositivliste bei. Und wir müssen sicher-lich auch die Auseinandersetzung mitden Versicherten, mit den Patientinnenund Patienten suchen.

Aber Sie wissen doch selbst dass esein Mythos ist, dass eine optimale Ver-sorgung nur dann möglich ist, wenn dieMittel ständig steigen. Ich darf HerrnDr. Schorre zitieren: „Das entscheiden-de Geschehen findet in der Beziehungzwischen Arzt und Patient statt. Dortmüssen wir Ärzte den Mut haben, striktnach Indikation und unter Wahrunghoher Qualitätsnormen medizinischnicht unbedingt Notwendiges zu unter-lassen, um das Wichtige erhalten zukönnen.“ Genau darum geht es.

Im Mittelpunkt dieser Reform ste-hen die Strukturveränderungen, dasbedeutet jedoch nicht, dass wir nichtmittelfristig auch über Fragen der Er-weiterung der Bemessungsgrundlagereden müssen.

Erlauben Sie mir abschließend ei-ne letzte Bemerkung zum Thema,mehr Geld ins System. Selbst wenn wirhier alle gemeinsam die Möglichkeitfinden, die Finanzmittel für das Ge-sundheitswesen noch stärker aufzu-stocken als nach unserem Vorschlag –am Ende haben wir immer eine be-grenzte Menge Geld zu Verfügung.Deshalb müssen wir die Frage, wie ge-hen wir mit begrenzten Ressourcensinnvoll um, so dass die Versorgung gut

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