Rede von Papst Johannes XXIII. zur Eröffnung des zweiten vatikanischen Konzils

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  • 7/28/2019 Rede von Papst Johannes XXIII. zur Erffnung des zweiten vatikanischen Konzils

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    Rede von Papst Johannes XXIII. zurErffnung des 2. VatikanischenKonzils am 11. Oktober 1962[Quelle: Herderkorrespondenz 17 (1962/63), 85-88]

    Ehrwrdige Brder!

    Es jubelt die Mutter Kirche, weil durch besondere Gnade der gttlichen Vorsehung

    dieser hochersehnte Tag angebrochen ist, an dem hier am Grabe des hl. Petrusunter dem Schutz der jungfrulichen Gottesmutter, deren Mutterwrde heute festlichbegangen wird, das Zweite Vatikanische kumenische Konzil seinen Anfang nimmt.

    Die kumenischen Konzilien in der Kirche

    Alle Konzilien - sowohl die zwanzig kumenischen wie die unzhligen Provinzial-und Regionalkonzilien von nicht geringer Bedeutung -, die im Laufe der Geschichtegefeiert wurden, bezeugen offensichtlich die Lebenskraft der katholischen Kirche

    und zhlen in ihren Annalen zu den strahlenden Lichtern.

    Der letzte geringe Nachfolger des Apostelfrsten, der zu Euch spricht, wollte beider Einberufung dieser hochansehnlichen Versammlung wiederum, da daskirchliche Lehramt, das niemals fehlte und das bis ans Ende der Tage bestehenwird, befestigt wird; es soll, indem es den Irrtmern, den Notwendigkeiten undChancen unserer Zeit Rechnung trgt, durch dieses Konzil allen Menschen aufErden in auerordentlicher Weise vorgestellt werden.

    Der Stellvertreter Christi, der zur Erffnung dieser allgemeinen Synode zu Euchspricht, blickt natrlich in die Vergangenheit zurck und hrt gleichsam jeneStimmen, die uns lebhaft ermutigen. Gern erinnert er sich der Verdienste der Ppsteaus vergangenen und jngsten Zeiten. Feierliche und ehrwrdige Stimmen sind es,deren Zeugnis in den Konzilien von Ost und West seit dem 4. Jahrhundert bis aufunsere Tage zu uns gekommen ist. Sie verknden bestndig den Ruhm diesergttlichen und menschlichen Institution, der Kirche Christi, die vom gttlichenErlser Namen, Gnade und jegliche Vollmacht erhlt.

    Aber neben diesen Grnden geistlicher Freude knnen Wir auch nicht leugnen,

    welche Schmerzen und Bitternisse seit 1900 Jahren in langer Reihenfolge dieseGeschichte verdunkelt haben. Wahrlich, es galt und gilt immer noch, was einst dergreise Simeon zu Maria, der Mutter Jesu, aus prophetischer Eingebung sagte:Dieser ist bestimmt zum Falle und zur Auferstehung vieler und zu einem Zeichen,

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    dem widersprochen wird" (Luk. 2, 34). Auch Jesus selbst sagte spter zum Erweis,wie die Menschen verschiedener Zeiten gegen ihn auftreten wrden, diesegeheimnisvollen Worte: Wer euch hrt, der hrt mich" (Luk. 10, 16), und: Wernicht mit mir ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut" (Luk.11,23).

    Die schwersten Sorgen und Fragen, die der Menschheit zur Lsung aufgegeben

    sind, haben sich nach fast zweitausend Jahren nicht verndert. Denn Christus Jesusist immer noch die Mitte der Geschichte. und des Lebens. Und die Menschenhngen entweder Ihm und seiner Kirche an, dann haben sie Licht, Gte und dieFrchte rechter Ordnung und des Friedens, oder sie leben ohne Ihn, ja handeln Ihmentgegen und verweilen bewut auerhalb der Kirche, dann herrscht bei ihnenVerwirrung, sie verbittern die Beziehungen untereinander und beschwrenmrderische Kriege herauf.

    Jedesmal, wenn kumenische Konzilien begangen werden, bezeugen sie dieseVereinigung zwischen Christus und seiner Kirche in feierlicher Weise und verbreiten

    weithin das Licht der Wahrheit. Sie lenken das Leben der einzelnen Menschen wieder Familien und der Gesellschaft auf rechten Pfaden. Sie erwecken und strkengeistliche Krfte und richten die Herzen bestndig auf die wahren und ewigen Gter.

    Vor uns stehen die auerordentlichen Zeugnisse dieses Lehramts der Kirche bzw.der universalen Synoden in den verschiedenen Epochen dieser zwanzigJahrhunderte christlicher Geschichte, gesammelt in vielen und eindrucksvollenBnden, die hier in Rom wie in den berhmtesten Bibliotheken der ganzen Welt einheiliges Erbe der kirchlichen Archive sind.

    Entstehungsursache des Zweiten Vatikanums

    Was die Entstehung dieses groen Ereignisses betrifft, das uns hier versammelt, somge wiederum ein demtiges Zeugnis gengen, das Wir auch selber aus eigenerErfahrung besttigen knnen: Zuerst haben Wir fast unerwartet dieses Konzil imGeiste erwogen, dann haben Wir es in schlichten Worten vor dem heiligenKollegium der Kardinle an jenem denkwrdigen 25. Januar 1959, am Fest derBekehrung des hl. Apostels Paul, in eben jener St. Pauls-Basilika an der Via Ostia

    ausgesprochen. Sogleich wurden die Anwesenden durch eine pltzliche Bewegungdes Geistes, wie vom Strahl eines berirdischen Lichtes, berhrt, und alle warenfreudig betroffen, wie ihre Augen und Mienen zeigten. Zugleich entbrannte in derganzen Welt ein leidenschaftliches Interesse, und alle Menschen begannen eifrig aufdie Feier des Konzils zu warten.

    Inzwischen ist in drei Jahren ein arbeitsreiches Werk zur Vorbereitung des Konzilsbewltigt worden. Es fhrte dazu, da genau und ausgiebig erforscht wurde, inwelchem Ansehen heute der Glaube, das religise Leben und die Kraft deschristlichen, vor allem des katholischen Volkes stehen. Daher ist uns diese Zeit der

    Vorbereitung des kumenischen Konzils nicht unverdient als ein erstes Zeichen undeine Gabe himmlischer Gnade erschienen.

    Erleuchtet vom Licht des Konzils, so vertrauen Wir fest, wird die Kirche an

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    geistlichen Gtern zunehmen und, mit neuen Krften von daher gestrkt,unerschrocken in die Zukunft schauen. Denn durch eine angemessene Erneuerungund durch eine weise Organisation wechselseitiger Zusammenarbeit wird die Kircheerreichen, da die Menschen, Familien und Vlker sich mehr um die himmlischenDinge sorgen.

    Deshalb ist die Feier des Konzils ein Grund zu groer Dankespflicht gegenber dem

    Geber alles Guten, um mit Lobgesngen die Ehre unseres Herrn Jesus Christus zuverherrlichen, der der unbesiegte und unsterbliche Knig der Zeiten und der Vlkerist.

    Der zeitgeschichtliche Sinn des Konzils

    Da ist aber, ehrwrdige Brder, noch ein anderer Punkt zu beachten, der Euch zumVerstndnis hilft. Um auch Eure Freude vollkommener zu machen, die in dieserfeierlichen Stunde Unser Herz erfllt, wollen Wir hier berichten, unter welch

    glcklichen Umstnden diese kumenische Synode ihren Anfang nahm.

    In der tglichen Ausbung Unseres apostolischen Hirtenamtes geschieht es oft, dabisweilen Stimmen solcher Personen unser Ohr betrben, die zwar von religisemEifer brennen, aber nicht gengend Sinn fr die rechte Beurteilung der Dinge nochein kluges Urteil walten lassen. Sie meinen nmlich, in den heutigen Verhltnissender menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie redenunablssig davon, da unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zumSchlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als htten sie nichts aus derGeschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten

    frherer Konzilien, was die christliche Lehre, die Sitten und die Freiheit der Kirchebetrifft, alles sauber und recht, zugegangen.

    Wir aber sind vllig anderer Meinung als diese Unglckspropheten, die immer dasUnheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergange stnde. In der

    gegenwrtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche, dieMenschheit in eine neue Ordnung einzutreten scheint, mu man viel eher einenverborgenen Plan der gttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit demAblauf der Zeiten, durch die Werke der Menschen und meist ber ihre Erwartungen

    hinaus sein eigenes Ziel, und alles, auch die entgegengesetzten menschlichenInteressen, lenkt er weise zum Heil der Kirche.

    Das lt sich leicht feststellen, wenn man aufmerksam die schweren politischen undwirtschaftlichen Probleme sowie die heute schwebenden Streitfragen durchdenkt.Die Menschen werden von diesen Sorgen so erfllt, da sie keine Zeit mehr haben,sich um religise Fragen zu kmmern, mit denen sich das heilige Lehramt der Kirchebeschftigt. Ein solches Verhalten ist sicher nicht frei von Bsem, und es ist fglichzu verurteilen. Niemand kann aber leugnen, da diese neuen Verhltnisse desmodernen Lebens wenigstens den Vorzug haben, die zahllosen Hindernisse zubeseitigen, durch welche einst die Kinder dieser Welt das freie Wirken der Kirchezu behindern pflegten.

    Es gengt ein kurzer Blick auf die Kirchengeschichte, um sofort zu erkennen, wie

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    die kumenischen Konzilien selber, die doch eine Reihe ruhmreicher Taten derKirche waren, oft durch unzulssige Einmischung der staatlichen Autoritten nichtohne groe Schwierigkeiten und Schmerzen begangen werden konnten. Die Frstendieser Welt nahmen sich zwar zuweilen vor, mit aller Aufrichtig dem Schutz derKirche zu dienen, aber das geschah meistens nicht ohne geistlichen Schaden undGefahr, da jene Herren oft von politischen Gesichtspunkten geleitet wurden und einerecht eigenschtige Politik trieben.

    Wir mchten Euch heute gestehen, wie sehr Wir darunter leiden, da viele unsererBischfe hier abwesend sind, uns aber sind sie sehr teuer. Sie wurden wegen ihrerTreue zu Christus eingekerkert, oder sie werden durch sonstige Hindernissefestgehalten. Der Gedanke an sie veranlasst Uns,glhende Gebete an Gott zurichten. Dennoch erkennen Wir nicht ohne Hoffnung und zu Unserem groen Trostwie die Kirche heute, endlich von so vielen Hindernissen irdischer Art befreit, ausdieser Vatikanischen Basilika wie aus einem neuen apostolischen Abendmahlssaaldurch Euch ihre Stimme in voller Majestt und Gre erheben kann.

    Erste Aufgabe: Schutz und Verbreitung derLehre

    Die Hauptaufgabe des Konzils liegt darin, das heilige berlieferungsgut (depositum)der christlichen Lehre mit wirksameren Methoden zu bewahren und zu erklren.

    Diese Lehre umfat den ganzen Menschen, der aus Leib und Geist besteht, und sieheit uns, die wir diese Erde bewohnen, als Pilger unserem himmlischen Vater

    entgegenzugehen.Das zeigt auch, warum dieses sterbliche Leben so zu fhren ist, da wir unserePflichten gegenber dem irdischen wie gegenber dem himmlischen Reich erfllenmssen, um das uns von Gott gewiesene Ziel erreichen zu knnen. Das heit, alleMenschen, die Einzelnen wie die zur Gesellschaft vereinten, haben die Pflicht, ohneUnterla nach den himmlischen Gtern zu streben, solange dieses Leben whrt, unddie irdischen Gter nur fr diesen Zweck zu gebrauchen, so da ihr zeitlicherNutzen den Menschen nicht an ihrer himmlischen Seligkeit Schaden zufgt.

    Christus, der Herr, hat wahrlich gesagt: Suchet zuerst das Reich Gottes und seineGerechtigkeit" (Matth. 6, 33). Dieses Wort zuerst" erklrt, wohin wir vor allemunsere Gedanken und Anstrengungen wenden mssen. Man darf jedoch nicht dieanderen Worte dieses Herrengebotes vernachlssigen: und dies alles wird euchhinzugegeben werden" (ebd.). Aber in Wirklichkeit gab es und gibt es in der Kircheimmer Menschen, die mit allem Flei nach der evangelischen Vollkommenheitstreben und gleichzeitig der brgerlichen Gemeinschaft dienen, so da ihres LebensBeispiel und ihre heilvolle Nchstenliebe alles, was es in der menschlichenGesellschaft an Hohem und Edlem gibt, betrchtlich strkt und bereichert.

    Damit diese Lehre die vielfltigen Bereiche des menschlichen Wirkens erreicht,sowohl den Einzelnen wie die Familien und das soziale Leben, ist es vor allem ntig,da die Kirche ihre Aufmerksamkeit nicht von dem Schatz der Wahrheit abwendet,den sie von den Vtern ererbt hat. Sodann mu sie auch der Gegenwart Rechnung

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    tragen, die neue Umweltbedingungen und neue Lebensverhltnisse geschaffen unddem katholischen Apostolat neue Wege geffnet hat.

    Darum hat die Kirche den wunderbaren Entdeckungen menschlichen Geistes unddem Fortschritt der Erkenntnisse, die wir uns heute zunutze machen, nicht unttigzugesehen, noch hat sie es an der rechten Wertschtzung fehlen lassen. Aber in derwachsamen Sorge um diese Entwicklung hat sie es nicht versumt, die Menschen zu

    mahnen, ber diese Art irdischer Erwartungen hinaus auf Gott zu schauen, dieQuelle aller Weisheit und Schnheit, damit sie, denen gesagt wurde: Macht euchdie Erde untertan!" (Gen. 1, 28), niemals jenes ernste Gebot vergessen: Du sollstden Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen!" (Matth. 4, 10; Luk. 4, 8).Sonst wrde der flchtige Zauber des Irdischen den wahren Fortschritt verhindern.

    Wie heute die christliche Lehre verkndetwerden soll

    Aus dem Gesagten, Ehrwrdige Brder, wird hinreichend deutlich, was demkumenischen Konzil fr die Verkndigung der Lehre im einzelnen aufgetragen ist.

    Das heit, das 21. kumenische Konzil, dem eine wirksame undhochzubewertende Untersttzung durch erfahrene Gelehrte des Kirchenrechts, derLiturgie, des Apostolats und der Verwaltung zur Verfgung steht, will diekatholische Lehre rein, unvermindert und ohne Entstellung berliefern, so wie sietrotz Schwierigkeiten und Kontroversen gleichsam ein gemeinsames Erbe derMenschheit geworden ist. Dieses Erbe ist nicht allen genehm, aber es wird allen, die

    guten Willens sind, als ein berreicher und kostbarer Schatz angeboten.Doch es ist nicht unsere Aufgabe, diesen kostbaren Schatz nur zu bewahren, als obwir uns einzig und allein fr das interessieren, was alt ist, sondern wir wollen jetztfreudig und furchtlos an das Werk gehen, das unsere Zeit erfordert, und den Wegfortsetzen, den die Kirche seit zwanzig Jahrhunderten zurckgelegt hat.

    Es ist auch nicht unsere Sache, gleichsam in erster Linie einige Hauptpunkte derkirchlichen Lehre zu behandeln und die Lehre der Vter wie der alten und neuerenTheologen weitlufig zu wiederholen, denn Wir glauben, da Ihr diese Lehren kennt

    und sie Eurem Geiste wohl vertraut sind. Denn fr solche Disputation mute mankein kumenisches Konzil einberufen. Heute ist es wahrhaftig ntig, da diegesamte christliche Lehre ohne Abstrich in der heutigen Zeit von allen durch einneues Bemhen angenommen werde. Heiter und ruhigen Gewissens mssen dieberlieferten Aussagen, die aus den Akten des Tridentinums und des I. Vatikanumshervorgehen, daraufhin genau geprft und interpretiert werden. Es mu, was alleernsthaften Bekenner des christlichen, katholischen und apostolischen Glaubensleidenschaftliche erwarten, diese Lehre in ihrer ganzen Flle und Tiefe erkanntwerden, um die Herzen vollkommener zu entflammen und zu durchdringen. Ja,

    diese sichere und bestndige Lehre, der glubig zu gehorchen ist, mu so erforschtund ausgelegt werden, wie unsere Zeit es verlangt.

    Denn etwas anderes ist das Depositum Fidei oder die Wahrheiten, die in der zuverehrenden Lehre enthalten sind, und etwas anderes ist die Art und Weise, wie sie

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    verkndet werden, freilich im gleichen Sinn und derselben Bedeutung. Hierauf istviel Aufmerksamkeit zu verwenden; und, wenn es not tut, mu geduldig darangearbeitet werden, das heit, alle Grnde mssen erwogen werden, um die Fragenzu klren, wie es einem Lehramt entspricht, dessen Wesen vorwiegend pastoral ist.

    Wie die Irrtmer abzuwehren sind

    Am Beginn des Zweiten Vatikanischen kumenischen Konzils ist es so klar wiejemals, da die Wahrheit des Herrn in Ewigkeit gilt. Wir beobachten ja, wie sich imLauf der Zeiten die ungewissen Meinungen der Menschen einander ablsen, und dieIrrtmer erheben sich oft wie ein Morgennebel, den bald die Sonne verscheucht.

    Die Kirche hat diesen Irrtmern zu allen Zeiten widerstanden, oft hat sie sie auchverurteilt, manchmal mit groer Strenge. Heute dagegen mchte die Braut Christilieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden als die Waffe der Strengeerheben. Sie glaubt, es sei den heutigen Notwendigkeiten angemessener, die Kraft

    ihrer Lehre ausgiebig zu erklren, als zu verurteilen. Das bedeutet nicht, da eskeine falschen Lehren und keine gefhrlichen Meinungen gebe, die man vermeidenund zerstreuen mu. Aber diese widerstreiten so offensichtlich den rechtenGrundstzen der Ehrbarkeit, und sie haben so verheerende Frchte gezeitigt, daheute bereits die Menschen von sich aus solche Lehren verurteilen. Das giltbesonders von jenen Sitten, die Gott und seine Gebote verachten, vom blindenVertrauen auf den technischen Fortschritt und auf einen Wohlstand, der sichausschlielich auf den Lebenskomfort sttzt. Sie erkennen selber mehr und mehr,da es sehr auf die Wrde der menschlichen Person und die daraus folgendenVerpflichtungen ankommt. Was aber am meisten zhlt: sie haben aus Erfahrunggelernt, da die Anwendung uerer Gewalt gegen andere, das Potential derRstungen und politische Vorherrschaft nicht gengen, um die ihnen aufliegendenschweren Probleme glcklich zu lsen.

    Angesichts dieser Lage erhebt die katholische Kirche durch dieses kumenischeKonzil die Leuchte der Glaubenswahrheit. Sie will sich damit als eine sehr liebevolle,gtige und geduldige Mutter erweisen, voller Erbarmung und Wohlwollen zu ihrenKindern, die sie verlassen haben. Schon Petrus sagte einst angesichts einerMenschheit, die unter groen Nten litt, zu einem Armen, der ihn um Almosen

    anging: Gold und Silber besitze ich nicht, doch was ich habe, gebe ich dir: ImNamen Jesu Christi von Nazareth stehe auf, und gehe umher!" (Apg. 3, 6). Sobietet die Kirche den modernen Menschen keine vergnglichen Reichtmer undauch kein irdisches Glck. Sie schenkt ihnen vielmehr die Gaben der gttlichenGnade, die den Menschen zur Wrde der Gotteskindschaft erheben und die zurwirksamen Bewahrung und Frderung des menschlichen Lebens dienen. Sie ffnetihnen die lebendigen Quellen ihrer Lehre, die die Menschen mit dem Lichte Christierleuchten, so da sie erkennen knnen, was sie in Wahrheit sind, welche Wrdeihnen zukommt und welchem Ziel sie nachzustreben haben. Schlielichverbreitet sie

    durch ihre Shne berall die Flle christlicher Liebe, die am besten jeden Streitbeseitigt und Einheit, gerechten Frieden wie die brderliche Einheit aller bewirkt.

    Fr die Einheit der Christen und der Menschen

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    So ergibt sich die Sorge der Kirche fr die Ausbreitung und Bewahrung derWahrheit daraus, da nach Gottes Heilsplan, der alle Menschen retten und zurErkenntnis der Wahrheit gelangen lassen will" (1 Tim. 2, 4), die Menschen nur mitHilfe der ungeschmlerten Offenbarung zur absoluten und sicheren Einheit derHerzen gelangen knnen, mit der ein wahrer Frieden und das ewige Heil verbundensind.

    Diese sichtbare Einheit in der Wahrheit hat aber leider die gesamte christlicheFamilie noch nicht in Vollendung und Vollkommenheit erreicht. Daher sieht es diekatholische Kirche als ihre Pflicht an, alles Erdenkliche zu tun, damit das groeMysterium jener Einheit erfllt werde, die Christus Jesus am Vorabend seinesOpfertodes von seinem himmlischen Vater mit glhenden Gebeten erfleht hat. Sieerfreut sich des stillen Friedens im Bewutsein, da sie darin aufs innigste mitdiesem Gebet Christi verbunden ist. So freut sie sich auch von Herzen, wenn siebemerkt, welche reichen Frchte dieses Gebet auch bei denen trgt, die von ihrenHrden getrennt leben. Ja, genau betrachtet, erstrahlt diese Einheit, die JesusChristus fr seine Kirche erlangte, in einem dreifachen Licht: die Einheit derKatholiken untereinander, die als leuchtendes Beispiel ganz fest bewahrt bleibenmu, sodann die Einheit, die im Gebet und den leidenschaftlichen Erwartungen dervom Apostolischen Stuhl getrennten Christen besteht, wieder mit uns vereint zu sein,und schlielich die Einheit der Hochachtung und Ehrfurcht gegenber derkatholischen Kirche, die ihr von anderen, noch nicht christlichen Religionen erwiesenwird.

    Dabei bereitet es Uns. groen Schmerz, da bisher der grte Teil der Menschheit

    noch nicht von den Quellen der gttlichen Gnade lebt, die in der katholischen

    Kirche flieen, obwohl alle Menschen von Geburt an durch das Blut Christi erlstworden sind. So kommen Uns beim Gedanken an die katholische Kirche, derenLicht alles erleuchtet und deren bernatrliche Einheit zum Nutzen der ganzenMenschheit dient, diese Worte des hl. Cyprian in den Sinn: Die Kirche, erfllt vomgttlichen Licht, strahlt hinaus in die ganze Welt. Dennoch ist es nur ein Licht, dasberallhin flutet, ohne da die Einheit des Krpers aufgelst wird. Ihre Zweigestreckt sie in reicher Flle aus ber die ganze Erde hin, mchtig hervorstrmendeBche lt sie immer wieder sich ergieen. Und dennoch gibt es nur eine Quelle,nur einen Ursprung, nur eine Mutter, die mit berquellender Fruchtbarkeit gesegnet

    ist: aus ihrem Scho werden wir geboren, mit ihrer Milch genhrt, von ihrem Geistbeseelt" (De cath. ecclesiae unit., 5).

    Ehrwrdige Brder!

    Dieses ist die Absicht des Zweiten Vatikanischen kumenischen Konzils: da es diehervorragendsten Krfte der Kirche vereint und da es sich eifrig bemht, da dieHeilsbotschaft von den Menschen bereitwillig aufgenommen werde, bereitet undfestigt es auf diese Weise den Weg zu jener Einheit des Menschengeschlechts, diedas notwendige Fundament bildet fr eine Verhnlichung der irdischen mit der

    himmlischen Stadt, in der die Wahrheit herrscht, deren Gesetz die Liebe, derenExistenz aber die Ewigkeit ist" (Augustinus, Ep. CXXXVIII, 3).

    Schlu

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    Nun aber wendet sich Unsere Stimme an euch" (2 Kor. 6, 11), Ehrwrdige Brderim Bischofsamt. Wir sind hier vereinigt in der Vatikanischen Basilika, wo derAngelpunkt der Kirchengeschichte ist und Himmel und Erde jetzt eng verbundensind, hier am Grabe des hl. Petrus, bei so vielen Ruhesttten Unserer heiligenVorgnge: deren sterbliche Reste sich in dieser feierlichen Stunde gleichsam inverborgenem Jubel mitfreuen.

    Mit dem beginnenden Konzil hebt in der Kirche ein Tag strahlenden Lichtes an.Noch ist es wie Morgenrte, und schon berhren die Strahlen der aufgehendenSonne Unser Herz. Alles atmet hier Heiligkeit, alles erweckt Jubel. Betrachten wirdoch die Sterne, die mit ihrer Klarheit die Majestt dieses Heiligtums mehren. DieseSterne seid Ihr, nach dem Zeugnis des Apostels Johannes (Offb. 1, 20). Und mitEuch sehen Wir gleichsam goldene Leuchter um das Grab des Apostelfrsten,nmlich die Euch anvertrauten Kirchen (ebd.). Zugleich sehen Wir Mnner vonRang und Wrden, die aus fnf Erdteilen nach Rom gekommen sind, um ihreNationen zu vertreten, sie sind hier mit groer Ehrfurcht und menschlichsterErwartung zugegen.

    So darf man wohl sagen, da sich Himmel und Erde zur Feier des Konzils ingemeinschaftlichem Werk vereinen. Die Heiligen des Himmels schtzen unsereArbeit, die Glubigen auf Erden beten unablssig zu Gott, und Ihr folgt gewissenhaftden Eingebungen des Heiligen Geiste und gebt Euch eifrig Mhe, da Eure Arbeitden Erwartungen und Bedrfnissen der verschiedenen Vlker in hchstem Maeentspricht. Damit dies geschehe, werden von Euch ein erhabener Friede desGeistes, brderliche Eintracht, Migung in den Vorschlgen, Wrde in denBeratungen und weise berlegung gefordert.

    Mgen Eure Mhen und Eure Arbeit, auf die so viel Vlker schauen und ihreHoffnung setzen, alle Erwartungen recht erfllen.

    Allmchtiger Gott, auf Dich setzen wir unser ganzes Vertrauen, da wir uns nicht aufunsere eigene Kraft verlassen knnen. Sieh gndig auf diese Hirten Deiner Kirche.Das Licht Deiner Gnade helfe uns, wenn wir Beschlsse fassen und Gesetzeerlassen. Und erhre die Gebete, die wir in einmtigem Glauben, mit einer Stimmeund einigen Herzens an Dich richten.

    O Maria, Hilfe der Christen, Hilfe der Bischfe, in Deinem Heiligtum von Loretohaben Wir das Geheimnis der Menschwerdung betrachtet und erst krzlich DeineLiebe besonders erfahren. So fhre denn alles zum guten Ende. Bitte fr uns beiGott mit dem hl. Joseph, Deinem Brutigam, mit den hll. Aposteln Petrus undPaulus, mit dem hl. Johannes dem Tufer und dem Evangelisten.

    Jesus Christus, Unserem lieben Erlser, dem unsterblichen Knig aller Vlker undZeiten, sei Liebe, Macht und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen!

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    Universittsbibliothek Freiburg i. Br.

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