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XI. Referate. 1. A. Slinger, Die Beurtheilung der Nervenerkrankungen nach Unfall. Nach Beobachtungen aus dem allgemeinen Krankenhause zu Hamburg St. Georg. Stuttgart. Ford. Enke. 1896. 90 Seiten. Die kleine Brochure bringt einige Untersuchungsergebnisse~ welche zu der in den letzten Jahren mit erneuter Heftigkeit entbrannten Discussion fiber die Unfallsnervenkrankheiten wichtiges Material liefern. Der Yerfasser steht anf dem Standpunl~t der jetzt wohl die fiberwiegende Mehrzahl bildenden Autoren~ welche die ,traumatische Neurose" als besondere Krankheitsform ab- lehnen und sich vielmehr an die gebr~ulichenBezeichnungen tier verschiedenen Zusti~nde halten, die mit odor ohne Trauma in iihnlicher Form odor Mischung vorkommen. Er berichtet fiber eine durch mehrere Jahre fortgesetzto Unter- suchung~ bei welcher es darauf ankara: 1. bei einer grSsseren Zahl yon nicht un- fallverletzten Menschen festzustellen~ ob und in weleher Hiinfigkeit bei ihnen irgendwelehe yon den Erscheinungen vork~men~ welehe als eharakteristisch fiir die Unfallsneurosen angesehen werden; 2. die Bedeutung der in vielen F~llen dem Unfall vorausgegangenen Sehiidlichkeiten (hlkoholismns~ Tabak- missbrauch~ Syphilis u. s. w.) fiir das Zustandekommen solcher Symptome zu ermitteln, hd 1 wurden 119 Miinner untersucht, die hie einen Unfall erlitten hatten, Leute der verschiedensten Arbeitsklassen~ wie sie gerade yon der Arbor in die Poliklinik odor in's Krankenhaus kamen und die an Ulcus cruris~ Go- norrhoe u: s. w. litton. Unter den 119 fanden sich 8~ d. h. 6~7 pCt. mit mehr odor weniger hochgradiger doppelseitiger Gesichtsfeldeinschr~nkung. Dabei wurde die Annahme zu Grunde gelegt in Uebereinstimmung mit Wilbran dt~ Peters~ KSnig u. a.~ dass die Grenze des normalen Gesichtsfeldes im hori- zontalen Meridian nach aussen 90~r nach innen 60o betrage. -- An Geffihls- stSrungen fanden sich in etwa 4 pCt. An~sthesien geringerer Arty moist in Form yon Hypalgesien an den Extremiti~ten. Ferner oft auffallende Hyper- ~isthesien in dem unteren Theil des Rfickens und tterabsetzung an tier sonst so empfindlichen IIaut des Kinns. ,Ueberhaupt muss ich hervorheben~ sagt der Verfasser~ ,dass ich bei den hiesigen hrbeitern gar nicht selten eine ganz ausserordentliche Abstnmpfung der Sehmerzempfindung am ganzen KSrper go-

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Page 1: Referate

XI.

R e f e r a t e .

1. A. Slinger, Die Beurtheilung der Nervenerkrankungen nach Unfall. Nach Beobachtungen aus dem allgemeinen Krankenhause zu Hamburg St. Georg. Stuttgart. Ford. Enke. 1896. 90 Seiten.

Die kleine Brochure bringt einige Untersuchungsergebnisse~ welche zu der in den letzten Jahren mit erneuter Heftigkeit entbrannten Discussion fiber die Unfallsnervenkrankheiten wichtiges Material liefern. Der Yerfasser steht anf dem Standpunl~t der jetzt wohl die fiberwiegende Mehrzahl bildenden Autoren~ welche die ,traumatische Neurose" als besondere Krankheitsform ab- lehnen und sich vielmehr an die gebr~ulichenBezeichnungen tier verschiedenen Zusti~nde halten, die mit odor ohne Trauma in iihnlicher Form odor Mischung vorkommen. Er berichtet fiber eine durch mehrere Jahre fortgesetzto Unter- suchung~ bei welcher es darauf ankara: 1. bei einer grSsseren Zahl yon nicht un- fallverletzten Menschen festzustellen~ ob und in weleher Hiinfigkeit bei ihnen irgendwelehe yon den Erscheinungen vork~men~ welehe als eharakteristisch fiir die Unfallsneurosen angesehen werden; 2. die Bedeutung der in vielen F~llen dem Unfall vorausgegangenen Sehiidlichkeiten (hlkoholismns~ Tabak- missbrauch~ Syphilis u. s. w.) fiir das Zustandekommen solcher Symptome zu ermitteln, hd 1 wurden 119 Miinner untersucht, die hie einen Unfall erlitten hatten, Leute der verschiedensten Arbeitsklassen~ wie sie gerade yon der Arbor in die Poliklinik odor in's Krankenhaus kamen und die an Ulcus cruris~ Go- norrhoe u: s. w. litton. Unter den 119 fanden sich 8~ d. h. 6~7 pCt. mit mehr odor weniger hochgradiger doppelseitiger Gesichtsfeldeinschr~nkung. Dabei wurde die Annahme zu Grunde gelegt in Uebereinstimmung mit Wi lb ran dt~ Peters~ KSnig u. a.~ dass die Grenze des normalen Gesichtsfeldes im hori- zontalen Meridian nach aussen 90~ r nach innen 60o betrage. - - An Geffihls- stSrungen fanden sich in etwa 4 pCt. An~sthesien geringerer Arty moist in Form yon Hypalgesien an den Extremiti~ten. Ferner oft auffallende Hyper- ~isthesien in dem unteren Theil des Rfickens und tterabsetzung an tier sonst so empfindlichen IIaut des Kinns. ,Ueberhaupt muss ich hervorheben~ sagt der Verfasser~ ,dass ich bei den hiesigen hrbeitern gar nicht selten eine ganz ausserordentliche Abstnmpfung der Sehmerzempfindung am ganzen KSrper go-

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fundon habe, die kein pathologisehes Symptom ist, sondern durch den psychi- schen Zustand, die Indotenz und gewiss auch die Abh~irtung der Hautdocl~e des Arbeitors gegen mechanische Einwirkungen bodingt wird." - - Steigerung der Sohnenrefiexe (doch wohl nurdor Patellarrefiexo? Ref.) land dor Verfassor so h~ufig, dass or ihr keine pathologische Bodoutung beimisst. - - Auf Stoige- rung der Herzaction warde nicht regelmKssig geachtet; doch wurde bet ether Anzahl yon F~llen sowohl Pulsverlangsamung wie normaler Pals wie Puls- boschlounigung notirt. - - Was nun 2. die vorausgegangenon Schiidlichkeiten betrifft, so wurde in Ueboreinstimmung mit Schultze~ See l igmf i l l e r , A. H of fro ann u. a. namentlich Alkoholismus als Ursaehe yon StSrungen, wie sic sonst auf Trauma bezogen werden, ziemlich oft gefunden. Verf. their eine Anzahl charakteristischor F~lle mit. Eine iihnliche Rollo schreibt er dora Tabakmissbrauch zu. Beziiglich der Syphilis konnte er fernor bet ether An- zahl yon Kranken aus der Station yon E n g o l - R e i m o r s constatiren, dass aueh hier zuwoilon schon ziomlich bald nach dot Infection Gosichtsfoldoinen- gungen und SonsibilitiitsstSrungon ~hnlichol" Art wie bet den Traumatikern vorkommen.

Von Wichtigkeit ist ferner tier Hinweis dos Vorfassers, class Arterioskle- rose oft schon in friihon Jahren auftretend in ausserordentlicher H~ufigkeit bet den Seetionen im Hamburger Krankenhaus gofunden wordo, so class diese Veriindorung dort ,,eine Arbeitererkrankung foxy" ~oz~ darstello". Viele der bet den Traumatikern vorkommenden Beschwerdon sind abet nichts anderes als Symptome der Arteriosklerose, v o n d e r ja auch andererseits behauptet worden ist, dass sieals Folgo yon Trauma vorkommo - - oine Annahmo, die Angesichts der erwi~hnten Erfahrungen des Verfassers wenig Wahrscheinlich- keit ffir sich hat.

Fiir dell sicheron Naehweis yon Gesichtsfeldoinengungen, evontuell die Entlarvung yon Simulanten hat sich dora Yerfasser das Wi lbrandt ' sche Verfahren der Untersuehung im Dunkeln mit selbstleuchtenden Objectcn be- w~hrt. Das thats~chliche Vorkommen von Simulation belegt or dutch einige charakteristische Beispiole, namentlich hebt or aber auch die viol h~ufigere ,,Simulation des urs~chlichenZusammenhangs" horror, indem alteBeschwerden und Stiirungen yon den Verletzten als Folge eines sparer erlittenen Unfalls bezeichnet worden.

Was nun endlich den Zusammenhang des psychischen Zustandes so vieler Unfallverletzter mit den Unf'~llen selbst und mit der Unfallgesetzgebung be- trifft, so stellt sich der Verfasser durchaus auf den kiirzlich in einer bemer- kenswerthen Abhandlung yon Strf impel l 1) vortretenen Standpunkt 7 auf welche wir bet dieser Gelgenheit um so mehr hinweisen mSchten als sic wesentlich zur Anregung dor nouoren Discussion fiber die gauze Frage bei- getragen hat.

Es handelt sich kurz gesagt um die hnsicht, dass der Kampf um die

1) v. S t r i impel l , Uebor die Untorsuchung, Bourthoilung und Bohand- lung yon Unfallkrauken. Mfinehen 1891.

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Rent% die Begehrungsvorstellungen~ eine wesentlichere Rolle bei der Ent- stehung der Depressions- und Erregungszustgnde der Unfallverletzten spielten Ms das psyehisehe Traum% d. h. die durch die Verletzung selbst hervorgeru- fene Aufregung. Die casuistischen Mittheilungen yon Si~nger liefern vielfach interessante Beliige fiir diese Auffassung~ die iibrigens auch schon in dem be- kannten Buche yon Page Ausdruck gefunden hat.

Wir mSchten jedoeh davor warnen, das Kind nicht mit dem Bade auszu- schfitten und auch dem psychischen Trauma sein Recht zu lassen~ dessen Wirkungen freilich, wo sic allein auftreten, selten so unver~inderlich stabile sind wie bei der Complication mit dem Kentenkampf. J.

2. Prof. Dr. Ludwig Edinger, Vorlesungen iiber den Bau der nervSsen CentPalorgane des Menschen und der Thiere. Ffir Aerzte und Studirende. Ffinfte stark vermehrte Auflage mit 258 Ab- bildungen. Leipzig~ Verlag yon F. C. W. Vogel. 386 Seiten.

Das riihmlich bekannte Lehrbueh E din g e r ' s hat in der neuen vermehr- ten Auflage seine Anziehungskr~ft um ein Betr~ehtliches verstSa'kt. Die Ver- mehrung besteht vor Allem in einem Abriss der vergleichenden Gehirnanatomie. Zum ersten Mal ist hier dieses Kapitel~ welches durch die Forschungen der letzten zehu Jahre eine gewaltige Bereicherung erfahren hat~ in eine kurze iibersichtliche Darstellung gebracht worden~ die dutch eine Fiille yon Original- abbildungen iiberaus anschaulich wird. Die bedeutende Darstellungskunst des Verfassers in Verbindung mit seinen umfassenden Kenntnissen der vergleichen- den Anatomic des Centralnervensystems~ einem Wissenszwoig 7 auf den er seit vielen Jahren seine wissenschaftliche Thg~tigkeit eoncentrirt hat~ haben hier eine mustergiltige Leistung zu Stande gebraeht. Aueh in den iibrigen Abschnitten ist das bekannte Werk verbessert and bereiehert~ so dasses in der neuen Form mit verdoppeltem Nachdruck Aerzten und Studirenden und vor Allem aueh Denen empfohlen werden kann~ welche das Studium des Cen- tralnervensystems zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben.

KSppen.