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Deutsche Zeitschrift £ Nervenheilkunde, Bd. 178, S. 78--88 (1958) Aus der Medizinischen Klinik der Universitat Kiel (Direktor: Prof. Dr. H. REIhrWEIN) Reflektorisehe Senkung des Venendrucks dutch Verminderung der intrakraniellen Tension* Ein Beitrag zum Problem der Liquorhypotension Von H. WOLFF und F. A~SCHt~z Mit 2 Textabbildungcn (Eingegangen am 18. Februar 1958) Eilfleitung Der Anstieg des Blutdruckes im groBen Kreislauf ilffolge der Er- hShung der intrakraniellen Tension ist schon tange bekannt und wird a]s Cushing-Reflex bezeichnet. Cus~I~a hatte im Kanichenversuch gezeigt, dab dureh eine stufenfSrmige Steigerung des Liquordruckes tin Anstieg des Arteriendruckes in/~hnlicher Form bis zum Versagen des Kreislaufs herbeigeffihrt werden kann. NOELL U. SChneIDER prfiften in den letzten Jahren ebenfalts im Tierexperiment die Auswirkung der intrakraniellen Drucksteigerung auf die Hirndurehblutung mit der Reinsehen Strom- uhr. Sie stellten lest, dab eine st/£rkere Zunahme des Liquordruckes zu einer Drosselung des Btutabfiusses aus dem Sehgdelhohlraum ffihrt. Diese Behinderung des venSsen Abflusses wurde durch Anstieg des Arteriendruckes zeitweilig unterbrochen. Bei Wirbeltieren mit aufrechtem Gang hat der Abfall des Blutdruckes einen starken EiifltuB auf die cerebrale Durchblutung. Besonders ffihrt das Abfallen des Venendruckes im groBen Kreislauf zur Verminderung der cerebralen Durchblutung fiber die Verkleinerung des Schlag- und M]nutenvolumens. Zum Beispiel kann cerebraler Schwindel oder Kollaps beim Fortfall eines l~nger bestehenden, abdominellen Druekes beim Auf- richten aus horizontaler Lage auf'treten. Der Venendruck hat nicht nur einen EinituB auf die Durchblutung des Gehirns und dadurch auf die intrakranielle Tension. Es bestehen darfiber hinaus noch direkte, unmittelbare Beziehungen zwisehen Venendruck (V.D.) und Liquordruck (L.D.). Weit,gehend untersucht ist die Abh~ngigkeit des Liquordruckes yore Venendruck. Der mitt,lere L.D. ist, unter physiologischen Bedingungen vom V.D. und unter anderem yore intrapulmonalen Druck abh/~ngig. Experimentelle und patho- * ~I~.rn- i~rofessor Dr. G. Sem~LT~B~A~D zum 60. Geburtstag.

Reflektorische Senkung des Venendrucks durch Verminderung der intrakraniellen Tension

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Deutsche Zeitschrift £ Nervenheilkunde, Bd. 178, S. 78--88 (1958)

Aus der Medizinischen Klinik der Universitat Kiel (Direktor: Prof. Dr. H. REIhrWEIN)

Reflektorisehe Senkung des Venendrucks dutch Verminderung der intrakraniellen Tension*

Ein Beitrag zum Problem der Liquorhypotension

Von

H. WOLFF und F. A~SCHt~z

Mit 2 Textabbildungcn

(Eingegangen am 18. Februar 1958)

Eilfleitung Der Anstieg des Blutdruckes im groBen Kreislauf ilffolge der Er-

hShung der intrakraniellen Tension ist schon tange bekannt und wird a]s Cushing-Reflex bezeichnet. Cus~I~a hatte im Kanichenversuch gezeigt, dab dureh eine stufenfSrmige Steigerung des Liquordruckes t in Anstieg des Arteriendruckes in/~hnlicher Form bis zum Versagen des Kreislaufs herbeigeffihrt werden kann. NOELL U. SChneIDER prfiften in den letzten Jahren ebenfalts im Tierexperiment die Auswirkung der intrakraniellen Drucksteigerung auf die Hirndurehblutung mit der Reinsehen Strom- uhr. Sie stellten lest, dab eine st/£rkere Zunahme des Liquordruckes zu einer Drosselung des Btutabfiusses aus dem Sehgdelhohlraum ffihrt. Diese Behinderung des venSsen Abflusses wurde durch Anstieg des Arteriendruckes zeitweilig unterbrochen.

Bei Wirbeltieren mit aufrechtem Gang hat der Abfall des Blutdruckes einen starken EiifltuB auf die cerebrale Durchblutung. Besonders ffihrt das Abfallen des Venendruckes im groBen Kreislauf zur Verminderung der cerebralen Durchblutung fiber die Verkleinerung des Schlag- und M]nutenvolumens. Zum Beispiel kann cerebraler Schwindel oder Kollaps beim Fortfall eines l~nger bestehenden, abdominellen Druekes beim Auf- richten aus horizontaler Lage auf'treten.

Der Venendruck hat nicht nur einen EinituB auf die Durchblutung des Gehirns und dadurch auf die intrakranielle Tension. Es bestehen darfiber hinaus noch direkte, unmittelbare Beziehungen zwisehen Venendruck (V.D.) und Liquordruck (L.D.). Weit, gehend untersucht ist die Abh~ngigkeit des Liquordruckes yore Venendruck. Der mitt, lere L.D. ist, unter physiologischen Bedingungen vom V.D. und unter anderem yore intrapulmonalen Druck abh/~ngig. Experimentelle und patho-

* ~I~.rn- i~rofessor Dr. G. Sem~LT~B~A~D zum 60. Geburtstag.

Senkung des Venendrueks dureh Verminderung der intrakraniellen Tension 79

logische Ver~nderungen des V.D. haben eine unmit~elbare Wirkung auf den L.D., wie z .B . der Queckenstedtsche Versueh, oder die venSse Stauung beim Versagen des rechten Ventrikels. Nieht nur der intra- kranielle sondern auch der abdominelle V.D. hat einen EinfluB auf den L.D. So zeigt die m~nuelle Kompression des Bauchraumes einen Liquordruckanstieg, der bei einer Blockade der Liquorzirkulation im Bereieh des Rfickenmarkkanals besonders hoch ist, da ein Ausweichen des Liquors in den Sch~delhohlraum durch die Blockade verhindert wird. Weiterllin sind die respira~orischen Liquordruckschwankungen auf die Auswirkung des intrapulmonalen, gelegentlich bei abdomineller Atmung auch des intraabdominellen V.D., zurfickzuffihren, wie das lange be- kannt ist und letzthin yon A~SCHffTZ U. S]~USI~G im Experiment an Hunden gezeigt werden konute.

Da der Venendruck auf die Liquortension einen so weitgehenden Ein- i]uB ausfibt, war auch umgekehrt ein Einflul3 des Liquordruckes auf den Venendruck anzunehmen. Grund zu dieser Vermutung waren ~ber- legungen fiber die Liquor-Venen-Druckbeziehungen zur Aufrecht- erhaltung der Liquorzirkulation. Ein Abflul3 des Liquors in das Venen- system, die Liquorzirku]ation, ist nur mSglich bei Vorliegen eines Druck- gef~lles. Es erschien uns iIffolgedessen wfinschenswert, Untersuchungen vorzunehmen mit dem Ziel, weiteren Aufsehlul~ fiber diese Zusammen- h~nge zu erhalten. Bereit~ bei unseren experimentellen Beobachtungen 1938 und 1939 fiber die Auswirkungen des verminderten intrakraniellen Druckes hat ten wit solehe Messungen geplant, doch lieBen sie sich erst jetzt durchffihren. HARRISON jun. hat te 1934 schon beobachtet, dal~ bei Kranken mit Herzinsuffizienz, die einen deutlich gesteigerten V.I). und L.D. hatten, die Senkung der intrakraniellen Tension zu einem Abfall des V.D. ffihrte ~.

Simultanmessung des Liquor- und Venendrucks

Durch kombinierte Liquor- und Venendruckmessungen steUten wir zun~chst in Rfickenlage der Vp. Untersuchungen fiber die Tensions- beziehungen unter physiologischen Verh~Itnissen an.

Hierbei wurde der lumbal ermittette L.D. mit dem in der Cubi~alvene be- stehenden V.D. dureh Anlegen einer Wasserwage an den Fliissigkeitsspiegel der mit physiologiseher Kochsalzl6sung gefiiUten Manometer verglichen und die Differenz der beiden Werte registriert. Auf eine Bestimmung der absoluten Druckwerte wurde aus technischen Grfinden verziehtet.

Die lumbale Region war durch Lagerung der Vp. auf 2 Tischen zug£nglieh, die so gestellt wurden, dab ein Zwisehenraum frei blieb. Zur Venendruckmessung wurde die Apparatur nach MORITZ, TABORA, zur Liquordruckmessung ein Glasrohr- manometer naeh Qui~cKE bemltzt. Die liehte Weite der GIa~rohre und der Gummi-

1 Diese Mitteilung is~ uns leider ers~ nach AbschluB unserer Beobachtungen be- karmt geworden.

80 H. WOLFF und F. A~SC~i)Tz:

schl~tuche betrug 2 ram. Bei der Druckmessung wurde jeglicher Abflufl von Liquor in das Manometer vermieden.

6 Messungen an 6 Vpn. ergaben, dab der Liquordruck 1--2 em H20 hSher als der Venendruek lag.

TZANCK U. RENAULT fanden bei 12 gesunden Vpn. in simuttanen Messungen V.D. und L.D. entweder gleich hoch, oder in ,,unmittelbarer Naehbarsehaft". Bei 3 Kranken mit gesteigertem V.D. beobaeh~eten sie folgende Werte:

V,D. L.D. 25 26 29 28 28 30

Aueh HARRISON hatte schon vergleiehende YIessungen mit einer der unsereu ~hnlichen Versuehsanordnung bei Kranken, die abnorme Druckwerte nicht er- warren lieBen, durchgeffihrt. Doeh wurden die Registrierungen nieht gleichzeitig, sondern nacheinander vorgenommen. Der V.D. wurde in Rfickenlage, der L.D. in Seitenlage gemessen, so dal~ ein exakter Vergteieh beider GrSl~en mi• diesem Ver- fahren nicht erzielt wurde. Infotgedessen schwanken bei den 10 Beobachtungen HARRISONS die Werte der Druckdifferenz zwisehen 1,5 und 7,5 era, wahrend die yon TZANCK U. RENAULT sowie die yon uns beob~chte~en fiber 2 em nicht hinaus- gingen.

U m die dynamischen Beziehungen zwischen L.D. und V.D. bei auf- rech te r und wechselnder KSrpe rha l tung zu ermi t te ln , wurden mi t der gleichen A p p a r a t u r , gemeinsam mi t den He r r en Dr. MARQUARDT, STO S SEL U. TOROS, zun~ehst an s i tzenden Vpn. Unte r suchungen vorgenommen. Wi r f i ihr ten kombin ie r t e gleichzeit ige Messungen im Sitzen durch und fanden Differenzen yon 3 - - 1 8 cm. D~ wiederhol t Kol lapszus t~nde der Vpn. die Beobach tungen s tSrten, wurden 10 Venendruckregis t r ie rungen im Si tzen vo rgenommen und der A b s t a n d zwisehen Manometerspiegel und Cis terna magna cerebel lo-medullar is gemessen. Erfahrungsgem~B be t r~g t der L iquordruck im Si tzen in der Cisterne e twa ~ 0 . Nach Abzug yon 3 cm be t rug auch mi t diesem Verfahren die Differenz 10- -18 cm H20.

~Vie erw~hnt , wurde durch die unterschiedl iche Kol lapsne igung der einzelnen Vpn. die Druckmessung rech t schwierig. E r s t dureh Benutzung eines k i p p b a r e n Stuhles, auf dem d i e Vp. ohne Lagever~nderung der Punkt ionskani i le , aus der s i tzenden Stel lung in die Hor izonta le gebrach t werden kann , gelang es, e inwandfreie und an Zahl ausre ichende Beob- ach tungen durchzuf~hren.

Venendruckabfall nach Liquordrucksenkung _~hnlich wie C c s ~ I ~ c seinerzeit den L iquordruck stufenweise s teigerte ,

so senkten wir ihn stufenweise. Dabei effolgte eine fas t para l le lgehende Drucksenkung in der Vena cubita]is.

Die Vp. Sch., die vo r eiIfigen J a h r e n eine progressive Pa ra lyse durch- gemach t ha t te , erwies sieh, da die emotionel le Ansprechbarke i t vermin- der t war, ffir diese kombin ie r t e Druekmessung im Si tzen als besonders

Senkung des Venendrucks durch Verminderung der intrakraniellen Tension 81

geeignet. I m Abs tand yon mehreren Tagen wurde die kombin ie r te Unter -

suchung erneut vorgenommen, wobei das gleiche Ergebnis festgestel l t

wurde. Zeichen eines beginnenden Kollapses, wie Hautbl~sse, Schweil3- ausbruch, ver t ie f te A tmung , motor ische Unruhe usw. t r a t en hierbei-

n icht auf.

Tabelle 1. Versuchsperson Sch., 5. 7. 1955

Liquormenge L iquordruck Re la t ive r in c m Venendruck

in cm

Nach Abfliel]en yon 1 ml Liquor Nach Abflie]~en von 1 ml Liquor Nach AbflieBen yon 1 ml Liquor Nach AbflieBen von 1 ml Liquor Nach AbflieBen yon 1 ml Liquor Naeh AbflieBen yon 1 ml Liquor Nach AbflieBen von 2 ml Liquor Nach Abfliel3en yon 2 ml Liquor Naeh 5 min Abwarten ohne Ab- flieBen von Liquor Nach Abfliel~en yon 2 ml Liquor

1 Pat. hat Kopf bewegt.

41 40 421 37 36,5 36 35 33

32 ~ 30,5

Spontane Senkung.

38 38 35 33 31,5 31 31 30,5

29 28

Unsere anf~nglichen Un te r suchungen mi t Wasse r rohrmanomete rn wurden durch die verh~ltnism~13ig lange Zeit, die durch das Einfliei~en

der physiologischen KochsalzlSsung in die Vene bis zum Druckaus- gleich vers t re icht und das zur Verhfi tung yon Vers topfungen durch

Gerinnselbi ldung h~ufige Durchspfi len der Kanfi le sehr erschwert . Wir 1

regis t r ier ten deshalb den L.D. und den V.D. for t laufend mi t Hilfe yon At lasdruckger~ten, bei denen die Druckmessung durch ein S t a tham- E l e m e n t als Manomete r effolgt. Die fotographisch mi t dem Hellige-

E lek t rocard iographen registr ier ten D r u c k k u r v e n best~t igten unsere

frfiheren Beobachtungen.

Um die Ver£nderungen des Venendruckes in der Vena cubitalis deutlich sichtbar zu machen, war es vorteilhaft, die Versuchsanordnung so zu treffen, daft der Mano- meterstand zwischen 20 und 30 cm H~O lag. Deshalb wurde der bis zu einem Winkel yon etwa 450 gesenkte Arm auf einer am Kippstuhl fixierten Unterlage mit Binden distal yon der Ellenbeuge befestigt. Die hier wiedergegebene Kurve (Abb. 1) stammt yon einer 65j~hrigen Vp., die vorher 1 cm 8 SEE schwach i.v. erhalten hatte und keinerlei Kollapsneigung zeigte. Es wurden insgesamt 40 cm 3 Liquor durch die Lumbalkaniile abgelassen und gleichzeitig der Venendruck registriert, der his zum vSlligen Kollabieren der Vene absank. W~hrend des Abfliel~ens des Liquors ver- schwinden die pulsatorischen Druekschwankungen der Liquorkurve. Der AbfluB

1 Die elektrischen Druckregistrierungen wurden gemeinsam mit Priv.-Doz. Dr. A~se~ffTz und einer grSl~eren Zahl yon Mitarbeitern der Neurologisehen Station durchgeffihrt, denen ich herzlich danke.

Dtsch . Z. Nervenhei lk . , Bd. 178 6

82 H. WOLFF und F. ANS£'Ht~TZ:

des Liquors aus der Lumbalkaniile wurde 2real unterbrochen. Man erkennt darauf- hin das Wiederauftreten der Pulsationsschwankungen und einen geringeren Druck- anstieg durch NachflieBen von Liquor aus dem Sch/~delhohlraum.

Xhnliche Beobachtungen machten wit noch an einigen anderen Kran- ken. Es gelang auch, die vorher geschilderten Druckmessungen ohne SEE-Vorbereitung durchzufiihren, ttierbei zeigte sich, dab die Einwir- kung der L.D.-Senkung auf den Venendruck frfiher festzustellen war.

Abb . 1. Die V e n e n d r u c k k u r v e ze ig t zue r s t e inen a l l m a h l i e h e n , l a n g s a m e n , d a n n schne l l e ren Abfal l . \V / ih rend der 2. L i q u o r d r u c k s e n k u n g k o m m t es zu e inem j/~hen A b s t u r z des V.D.

bis zum V e n e n k o l l a p s

Bei einer Kranken mit einem ins Zwischenhirn eingewachsenen Gliom der rechten Frontalregion war trotz einwandfreier Versuchsbedingungen und starker Liquordrucksenkung im Lumbalkanal ein Abfall des Venen- druckes nieht festzustellen. Bei der anschlieBenden lumbalen Luftinjek- tion erfolgte weder eine Ventrikel- noch eine nennenswerte subarach- noidale Luftftillung. (Die Lage des Tumors wurde sp~ter von Herrn Professor WANKE operativ gesichert.)

Das Gleiche beobachteten wir bei einem Patienten mit Hydrocephalus occlusus und 2 Kranken mit Cheyne-Stokesscher Atmung infolge Hirn- 5dems bei Kreislaufinsuffizienz und Hypertonie. Bei den yon uns unter- suchten Kranken mit raumfordernden, intrakraniellen Prozessen und Hirnschwellungszust/~nden war es naheliegend, das Ausbleiben der re- fiektorischen Venendrucksenkung auf den intrakraniellen Proze9 zurfick- zuftihren, der den AbfluB grSBerer Liquormengen aus dem Sch/~delhohl- raum verhinderte und damit das Entstehen einer st/~rkeren intrakraniellen Liquorhypotension unmSglich machte.

Ein Ausbleiben der Venendrucksenkung nach Verminderung des Li- quordruckes fanden wir jedoch auch bei mehreren Vpn., die keine intra- kraniellen, raumfordernden Erkrankungen batten und auBerdem noch bei einem behandelten, muskelkr/~ftigen Paralytiker. Die letztgenannte Beobachtung erscheint uns besonders erw/~hnenswert, da unsere erste

Senkung des Venendrucks durch Verminderung der intr~kraniellen Tension 83

Untersuchung, die in Tabelle 1 mitgeteilt ist, sehr eindrucksvo]l verlaufen war und uns zu weiteren Nachprfifungen ermutigte.

EinfluB der intrakraniellen Drucksteigerung auf den Venendruck Da bei einigen Vpn. die Senkung des intrakraniellen Druckes einen

Venendruckabfall herbeiffihrt, war mit der MSglichkeit zu rechnen, dab durch den Ausgleich oder die Steigerung des L.D. auch wieder eine vasomotorische Reaktion an den Venen ausgelSst werden kann. Es war jedoch wesentlich schwieriger als bei der Liquordrucksenkung den Venen- druckanstieg nach Zunahme des Liquordrucks durch Wiederauffiillen der Liquorr~ume nachzuweisen. Denn die Injektion yon Fliissigkeit yon nicht kSrpergleicher Temperatur in den Liquorraum 15st Schmerzen aus und jeder Schmerz ffihrt reflektorisch zu einem Venen- und Liquordruck- anstieg. Aus dem gleichen Grunde muBte auch das Auftreten yon Kopf- schmerzen durch zu schnelles Entleeren grol]er Liquormengen vermieden werden. Deshalb verwendeten wir zur Prfifung der Wirkung des LD-An- stieges auf den V.D. eine modifizierte Versuchsanordnung, bei der durch Kompression beider Jugularvenen der Sch~delinnendruck erhSht wurde. Mit Hilfe der lange anhaltenden Jugulariskompression gelang es, den L.D. und den V.D. im groBen Kreislauf gemeinsam in die ttShe zu treiben. Aber auch bei diesen Untersuchungen beobachteten wir Venendruck- steigerungen nur bei vereinzelten Vpn.

Venendruckabfall nach Hypox~imie Es wurden noch weitere experimentelle Untersuchungen zur Kl~rung

der Auswirkung intrakranieller Druck~nderungen auf den V.D. durch- geffihrt. Bei einem dieser Versuche, w~hrend dessen Verlauf der Sauer- stoffpartikeldruck des Atemgasgemisches, das die Vp. einatmete, auf etwa 6% O 2 gesenkt wurde, konnte vertieftes und beschleunigtes Atmen mit einer angedeuteten Periodizit~t wie beim Cheyne-Stokesschen Typ beobachtet werden. Diese Wirkung der verminderten Sauerstoffzufuhr ist seit Untersuchungen von MATrHES U. a. bekannt, allerdings ist es uns nicht gelungen, damit einen so ausgepr~gten periodischen Rhythmus der Atmung zu erzielen, wie MATT~]~S das beschreibt. Bei der 2. Belastung unserer Vp. mit prozentual verminderter Sauerstoffmenge im gleichen Versuch stieg der Venendruck bei gleichzeitigem Auftreten yon Cyanose und deutlicher Atemnot an, um nach Atmen von Luft (21 ~o 02) langsam, aber deutlich bis zum Kollabierer~ der Vene abzufallen (s. Abb. 2a u. b).

Obwohl wir in diesem Versuch den Liquordruck nicht mitgeschrieben haben, ist anzunehmen, da ] er z. Z. der Hypox~mie hoch war und danach wieder abgefallen ist, wie das durch Untersuchungen yon SCH~TENBRA~D in der Druckkammer bekannt geworden ist und wie auch wir das bei einer anderen Vp. unter unseren Versuchsbedingungen best~tigen konnten.

6*

84 H. WOLFF und F. Ar~SCHi~TZ:

AImung /,4) ~ , ! . ,~ . ,

i ¸ i l l f i ~ i ~ :

A

b

Abb . 2 a u. b. O b e n A t m u u g , u n t e n V e n e n d r u e k . a "Wfihrend des A t m e n s yon 6 % O2-Ge- m i s e h unrege lm/~gige , z. T. v e r t i e f t e A t m u n g u n d pa ra l l e l v e r l a u f e n d e , a n s t e i g e n d e Venen- d r u e k k u r v e , b Bei ansch l i eBende r L u f t a t m u n g al lm/~hlieher , t i e fe r A b f a l l des V e n e n d r u e k e s h is zum V e n e n k o l l a p s . 2ma l iges D u r e h s p r i t z e n der K a n i i l e ze ig t den sehne l l en w i e d e r h o l t e n AbfM1 des Druekes au f 0. A u f diese ~Veise w i r d d e m m t s t r i e r t , d ab der V. D . -Abfa l l n i e h t

d u r e h V e r s t o p f e n der Kan f i l e v o r g e t ~ u s c h t i s t

Venendrucksenkung und Arteriendruck

Unsere Untersuchungen erlauben noch keinen Einblick in die Be- ziehungen zwischen Arterien- undVenendruck beim reflektorischenVenen- druckabfall dutch Senkung der intrakraniellen Tension. Es ist wahrschein- lich, dab eine gegenseitige Beeinflussung oder eine gleichzeitige nerv6se Steuerung beider GrSgen vorhanden ist, doch konnten wit bei gelegent- lichen Kontrollen des Arteriendruckes durch Messungen mit dem Ger~t nach RIvA-RoccI am Arm sichere Druck~nderungen nicht finden. Aueh eine lmalige fortlaufende, blutige l~egistrierung des arteriellen Druckes in der Arteria brachialis w~hrend der Liquordrucksenkung lieg keine Beeinflussung nachweisen. Da aber gleichzeitig eine Venendruckregi- strierung aus technischen Griinden nicht durchgefiihrt werden konnte, blieb die Frage often, ob ein Venendruckabfall bei diesem Versuch zu- stande gekommen war.

Ergebnisse Bei einer Zusammenstellung unserer Versuchsergebnisse mul3te zu-

n~Lchst eine Reihe yon Kurven wegen technischer Miingel oder anderer St6rungen des Versuchs ausgeschieden werden. Die iibrigen Untersu- chungsergebnisse zeigten bei 5 Beobachtungen an 4 Vpn. einen klaren, erheblichen Abfall des Venendruckes nach Liquordrucksenkung, w~ih- rend 12 Vpn. keinen Venendruckabfall beobachten liel~en. Von diesen 12 Vpn. scheiden 4 aus, da bei ihnen raumfordernde, intrakranielle Er-

Senkung des Venendrucks durch Verminderung der intr~kraniellen Tension 85

krankungen vorlagen. Somit bleibt ein l~est yon 8 Vpn., bei denen trotz einwandfreier Versuchsbedingungen kein Venendruckabfall naeh Sen- kung der intrakraniellen Tension festgestellt wurde. Man kann daraus schlieBen, dab nur bei bestimmten Vpn. durch Senkung des Liquor- druckes Druckabfall in den Venen des groBen Kreislaufes auftritt.

HARRISON hat bei Kranken mit Insuffizienz des rechten Herzens durch Entleerung yon 20--65 cm 3, im Durchschnitt 30 cm 3 Liquor, Venendrucksenkungen herbeifiihren kSnnen, die einen vorfibergehenden therapeutischen Effekt hatten. Auch bei diesen Beobachtungen war eine Senkung des V.D. nur bei 8 yon 13 Patienten nach Liquorentnahme er- folgt. Die anscheinend h6here Zahl der positiven Ergebnisse h/~ngt wohl damit zusammen, dab HARRISON keine Simultanmessungen durchffihrte und Venendrucksenkungen yon 20 mm HeO sehon als Abfall des Venen- drucks verzeichnete, die wir noch als normale Venendruckschwankung ansahen. Die Liquor-Venendruckdifferenzen dieser Kranken von HARRI- SO~ mit Herzinsuffizienz waren im Gegensatz zu denen yon TZANK U. RENAULT erheblich und betrugen 9--21,5 cm.

Besprechung

Wenn wir versuchen, eine Erkl~rung fiir diese so unterschiedlichen Versuchsergebnisse zu finden, ]assen sich folgende (~Tberlegungen an- stellen: Eine Senkung des intrakraniellen Druckes durch Abflu~ yon Liquor kann nach der modifizierten Monroe-Kellie-Doktrin nur durch eine VergrSI~erung des fibrigen Schi~delinhalts, Gewebe und Blutmenge aungeglichen werden. W~hrend kurzfristiger Druck~nderungen wird zu- n~chst der Liquorverlust durch eine Zunahme der Blutmenge in den Ge- f~l~en wahrscheinlich ausgeglichen. Die Blutmenge wird wohl in den Venen und Capillaren aufgenommen, was aus Beobachtungen yon FORBES u. WOLFF ZU schliel~en ist. Sie sahen im Tierversuch durch ein Cushingfenster nach Liquorabflui~ durch eine Punktionskanfile eine Er- weiterung der intrakraniellen Venen und gleichzeitig eine Kaliberverenge- rung der Arterien. Sie sicherten ihre Beobachtungen durch fotographische Aufnahmen.

Der Erweiterung der venSsen intrakraniellen Gefi~Bbereiche kSnnte mechanisch durch den Sog, der durch den Liquorverlust entsteht, zu- standekommen. Bei einem solchen passiven Vorgang der Venenkaliber- ~nderung w~re es nicht notwendig, einen reflektorischen Impuls anzu- nehmen. Wie es aber durch die erw/ihnten Beobachtungen durch das Cushingfenster bekannt ist, kommt es gleichzeitig mit der Erweiterung der intrakraniellen Venen zu einer Verengerung der Arterien, die zweifel- los nur durch einen vegetativ-nervSsen Reflex zustandekommen kann. Es ist daher mSglich, dab dieser nervSse, vasomotorische Vorgang nieht nur auf die Arterien beschr/inkt bleibt, sondern auch die Weitstellung

86 H. Woi,sF und F. ANSCtIfdTZ:

der Venen auf aktive motorische Impulse zuriickzuffihren ist. Solche regulatorischen Gesehehen kSnnen auf ein begrenztes Gefi~6gebiet eines Organsystems beschri~nkt bleiben, sich bei entspreehender Reaktions- bereitschaft der cerebralen Kreislaufzentren aber auch auf das gesamte Venensystem erstrecken. Es kann daher vermutet werden, dab bei einigen Vpn. der vasomotorisch-reflektorisehe Vorgang auf das Gebiet der Hirn- g e f ~ e besehri~nkt bleibt, wi~hrend bei anderen das reflektorische Ge- schehen sich auf dem gesamten gro6en Kreislauf ausbreitet und dadurch eine Herabsetzung des Venendruckes bei Liquordrucksenkung auftritt.

Die Venendrucksenkung nach Atmung eines sauerstoffarmen Gas- gemisches m5chten wir ebenfalls auf den Abfall des zuni~chst angestie- genen Liquordruckes zurfickffihren, obwohl wir das gleichzeitige Wirk- samwerden der wechselnden Sauerstoff- und Kohlensi~urespannung des Blutes auf die Vasomotorenzentren mit in Betraeht ziehen.

1957 teilten K6Nm u. Z()LLNER mit, da6 sie wahrend kSrperlicher Arbeit Venendruckanstieg und anschliei3end w~ihrend der Ruhepause einen Abfall des Venendruckes unter den Ausgangswert beobachtet haben. Sie fanden nach einemV.D.-Anstieg yon 12 m m i m Mittel wi~hrend der Belastung einen Abfal] bis maximal 35 mm in der Ruhepause und zwar bei Kreislaufgesunden Vpn. naeh langerdauernder Arbeit (12 rain). Nach kurzdauernder Belastung (1--2 rain) zeigte sich dieses Phiinomen nieht. Wie hoeh der Prozentsatz der Vpn. war, bei denen der Venendruckabfall auftrat , wurde nicht mitgeteilt. Venendrucksenkung fiber den Ruhewert hinaus nach Belastung durch Muskelarbeit hatte schon VAN I~IEUWEN- HUIZEN 1940 beobachtet und ihn wohl falschlicherweise auf eine In- suffizienz des linken Ventrikels zurfickgeffihrt.

Eine befriedigende Erklarung dieser negativen V.D.-Nachschwan- kungen konnten K6Nm u. ZOLLNER auch nicht geben. Sie zogen einmal die vertiefte oder ge~inderte Atmung, dann zentrale oder periphere l%egu- lationen und schliel31ich noeh Veri~nderungen des intrathorakalen Dru~kes in Betracht. Da die Vpn. dureh den offenen Mund atmeten und orien- tierende Simultanmessungen des V.D. und des intraSsophagealen Druk- kes keinen Anhaltspunkt ffir entsprechende intrathorakale Druek- i~nderungen ergaben, wird man vorli~ufig diese Erkl~rung nicht in den Vordergrund stellen. Ein Vergleich dieser Versuehsergebnisse mit un- seren Beobachtungen bei sauerstoffarmen Atemgasgemischen scheint uns nahezuliegen und damit auch die Erkliirung der Veri~nderungen dutch einen zentralen Regulationsmechanismus.

Wie sehon erw~hnt, neigen wir am meisten zu der Ansieht, dab die beobachteten Druekschwankungen im Venensystem auf zentrale Regu- lationen zurfickzufiihren sind, da der Reiz bei der Liquordrucksenkung das Zentralnervensystem trifft. Cerebral-reflektorische Venendruek- ~nderungen (Kalibersehwankungen) halten wir ffir erwiesen auf Grund

Senkung des Venendrueks durch Verminderung der intrakraniellen Tension 87

unserer Beobachtungen an kollabierenden Patienten, bei denen wir gleich- zeitig erhebliche und sehnelle Venen- und Liquordruckstfirze sahen. Aber auch ])ELIUS und Mitarbeiter halten nervSse regulatorische Vorg~nge zur Erkl~rung yon Venendruckschwankungen bei und nach kSrperlicher Belastung ffir wahrscheinlich.

Vasomotorische Reaktionen psychogenen Ursprungs mSchten wir fiir die Erkli~rung unserer Beobachtungen ausschlie2en, da wir alle die Ver- suche, bei denen wir Kollapszeichen bei den Vpn. gesehen hatten, hier nicht verwertet haben. Auch die Versuchsergebnisse, bei denen die Vpn. erst Kollapssymptome nach Entleerung grol3er Liquormengen gezeigt hatten, wurden ausgeschlossen, obwohl nicht entschieden werden konnte, ob bei diesen Vpn. der abfallende V.D. zu einer Verminderung des Mi- nutenvolumens gefiihrt hatte, oder ob psychogene vasomotorische Vor- g~nge einsetzten, die die verminderte cerebrale Durchblutung zur Folge hatten.

Zusammenfassung

1. Es wurde durch Simultanmessungen an horizontal in Rfickenlage befindlichen Vpn. der Venen- und Liquordruck registriert. Dabei lag der Liquordruck gewShnlich 1--2 cm hSher als der Venendruck.

2. In sitzender Stellung war der Oruck in der Vena cubitalis wesent- lich niedriger als der Liquordruck. Die Differenz betrug 3--18 cm H20. Die GrSBe der Vpn. scheint in direktem Verhi~ltnis zu der GrSl~e der Druckdifferenz zu stehen.

3. W~hrend Venen- und Liquordruck-Simultanmessungen wurde der Liquordruck erheblich durch Ablassen von 20--50 cm a Liquor gesenkt und bei einem Teil der Vpn. ein erheblicher, gleichzeitiger Venendruck- abfall beobachtet.

4. Nach l~nger dauernder Atmung yon sauerstoffarmen (6--10% 02) Atemgasgemischen trat ebenfalls ein tiefer Venendruckabfall auf.

5. Wit sind der Ansicht, dal~ diese Venendrucki~nderungen auf zen- trale Regulationsmechanismen zuriickzufiihren sind.

Literatur ANSCH~TZ, F., B. OEUBEL, C1~. DRUBE U. J. SEUSING: Tierexperimentelle

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Professor Dr. H. WOLFF, Kiel, Schittenhelmstra/3e 12, Medizinische Klinik der Universit~t