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BarBara Schneider ein reiSeBericht regen Zeit ZauBer

regen Zeit ZauBer - bariez.com · lässt das Corpus Delicti seines Scheiterns verstohlen in seiner Sitztasche ver-schwinden. Beim Aussteigen wandert es noch verstohlener in sein Bordge-

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BarBara Schneider

ein reiSeBericht

regen Zeit ZauBer

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Barbara Schneider

REGENZEITZAUBER

22 Tage in Namibia und Botswana –ein Reisebericht

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Alle Rechte ausdrücklich vorbehalten.

Text und Gestaltung: Barbara Schneider. Fotos: Barbara, Heinz (Ausnahmen werden erwähnt).

Verwendete Hard-/Software: Gedächtnis, Heft und Stift, Canon EOS 40 D, Tamron AF 3,5-6,3/28-300 mm VC XR Di LD Aspherical,

Canon EOS 20D, Tamron AF 18-200mm F/3,5-6,3 XR Di II LD Aspherical, NeoOffice 2.2.4, InDesign CS3 v5.0.4, PhotoShop CS3 v10.0.1, MacIntosh G5, 2 x 2,8 GHz Quad-Core Intel Xeon.

Schrift: Rotis Semi Sans Regular, Italic und Bold. Offset-Standard: FOGRA 39L

© Barbara Schneider, 2010, www.bariez.com, bariez.blogspot.com • Herstellung: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

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6.–7. November 2009 München – Windhoek

Meine 18. Afrikareise steht bevor und wie immer bin ich voller Vorfreude, ganz besonders aber, da nicht nur mein letztjähriger Reisegenosse Jürg aus der Schweiz wieder mit an Bord ist, sondern auch mein Süßer Heinz. Für ihn ist es seine erste Reise auf den schwarzen Kontinent und ich bin schon wahnsinnig gespannt, wie es ihm gefallen wird. Er ist Natur- und Tierfan, liebt die Stille, hat Adleraugen, ist Singvogelspezialist und be-herbergt mehr als 300 exotische Pflanzen/Sukkulenten in seinem Haus. Für ein oder zwei Zebras, ein paar Elefanten, so sagte er halb ernst, halb spaßig, könne er auch in den Zoo gehen. Ich bin bereit, seine Kinnlade wieder nach oben zu klappen, wenn die ersten Elefanten live an ihm vorbeimarschieren, er die ersten Giraffen auf offener Wildbahn riechen und sehen kann, ein Bartvogel auf seinem Frühstücksteller landet, ein Bülbül ihn morgens wachzwitschert, er sich zwischen all den Köcher-bäumen den Hals ausrenkt und den Blick nicht mehr vom Boden wenden kann, weil da Pflanzen wachsen, die er nur von seiner Fensterbank oder aus Büchern kennt. Zumindest hoffe ich, dass es so oder so ähnlich sein wird.

Gen Vormittag machen wir uns auf den Weg zum Flug-hafen, wo wir vor dem Check-In Annette und Jochen treffen, die schon auf uns warten. Die Strecken MUC-LHR und LHR-JHB werden wir gemeinsam fliegen, danach trennen sich unsere Wege kurzfristig. Jetzt marschieren wir zum Schalter, weil wir nur ungerne am Automaten einchecken möchten, schließlich soll unser aller Gepäck nach Windhoek durchgehen, auch wenn Annette und Jochen in Johannesburg die Airline wech-seln. Am Schalter sitzt eine jüngere Dame mit Hochsteckfrisur, die unheimlich gschaftlig mit dem Kopf wackelt, aber strikt bestreitet, das Gepäck durchchecken zu können – nicht mal bei Heinz und mir, die wir doch alle drei Strecken mit der selben Airline fliegen. Das kann eigentlich nicht sein, aber die Tussi wackelt immer noch heftiger, je mehr wir nachbohren. Also lassen wir‘s; laut ihrer Aussage müssen wir schon froh sein, überhaupt zusammenhängende Sitze zu bekommen, noch dazu mit meinem „Spezialwunsch“ nach einem Gang-platz. Schließlich kriegt der Wackeldackel unsere Sitzwünsche doch noch gebacken und wir, befreit von unserem sperrigen

Gepäck, steuern die nächste Cafeteria an, um uns die Zeit bis zum Abflug mit Ratschereien und einem Urlaubs-Anfangs-Getränk zu verkürzen.

Bald darauf dürfen wir boarden, der Flug nach London ver-läuft ereignislos, der kredenzte Snack präsentiert sich wie immer britisch-geschmacklos. Hungrig kommen wir in London an und wollen dort gerne unser Frühstück nachholen. Allzuviel darf man ja von insularischer Gastronomie nicht erwarten, aber wir finden ein Restaurant, das auf einem protzigen Leuchtschild „Great British Food“ verspricht – eigentlich ein Widerspruch in sich. Eine Kellnerin, die mitbekommt, wie ich das Schild fotografiere, muss in britisch-selbstironischer Art schallend lachen. Und ihre Selbstironie ist durchaus nicht fehl am Platze. Das zeigt sich, als wir staubtrockene Burger serviert bekommen, die selbst mit einer großzügigen Portion Ketchup kaum rutschen wollen. Doch was soll‘s, wir haben keine kuli-narischen Höchstleistungen erwartet und der Magen ist ge-füllt. Gestärkt marschieren wir in Richtung Abfluggate, um dort festzustellen, dass, obwohl wir im neuen Terminal 5 sind, mal wieder Busfahren angesagt ist – soweit ist es also doch nicht her mit der ausgeklügelten Fluggast-Logistik des neuen Heathrow-Terminals. Nach einigem Rumgekurve kommen wir am Flieger an, klettern an Bord und steuern unsere 4 Plätze ganz im hinteren Bereich der Maschine an. Schräg vor mir sind drei nebeneinander liegende leere Sitze, das Flugzeug füllt sich, nicht aber diese Plätze. Ich lauere – übrigens auch andere Fluggäste – aber, als sich die Tür schließt, bin ich die erste, die dieses Geschenk in Beschlag nimmt. Eigentlich nicht meine Art, aber Anstand bringt einen hier auch nicht weiter. Als kurz nach dem Start die Anschnallzeichen erlöschen, ge-sellt sich Heinz zu mir; somit haben wir zu zweit drei Sitze und Annette und Jochen gar vier. Der Flug verspricht einiger-maßen kommod zu werden, aber der Schlaf will nicht zu mir kommen. Ich tigere immer wieder ganz nach hinten, starre aus dem Fenster, laufe wieder zurück, sehe fast alle anderen Passagiere schlafen. Heinz rüsselt in seine Decke gekuschelt, Annette und Jochen liegen eingerollt auf ihren vier Sitzen, doch ich kann machen, was ich will – ich kann einfach nicht

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schlafen. Gegen vier Uhr morgens bin ich fix und alle, die Trä-nen der Erschöpfung rinnen mir übers Gesicht. Heinz, der ge-rade wieder aufgewacht ist, lässt mich meinen Kopf auf seinen Schoß betten und innerhalb von Minuten bin ich weg. Bis zum Frühstück schlummere ich durch und fühle mich danach, auch wenn es nur eineinhalb Stunden waren, wie neugebo-ren. Da kann mich auch das britische Frühstück in Form eines hautlosen Würstchens mit Plastikrührei nicht schockieren – aber ekelig ist es schon.

Bald darauf setzen wir zum Landeanflug an und mein Schneck kann einen ersten Blick auf „meinen“ Kontinent wer-fen. Was Heinz sofort auffällt, sind die Hochsicherheits-Wohnsiedlungen, die es in allen Preiskategorien gibt – mit und ohne Pools, mit kleinen oder größeren Gärten, mit Gara-gen oder ohne. Allen gemein ist, dass jeweils eine hohe Mauer das gesamte Wohngebiet umgibt. Ein ungewohnter, irgend-wie beklemmender Anblick, aber ansonsten unterscheidet sich der Großraum Johannesburg optisch nicht großartig von an-deren Stadtgebieten dieser Erde. Die Lande bahn ist zudem noch vertrauterweise nass – es hat wohl gerade geregnet. Durch kühle, frische Luft marschieren wir über die Rollbahn, der Immigration entgegen, die neuerdings ohne ausge fülltes Formular vonstatten geht. Das Gepäck kommt kurz darauf vollzählig an und wir vier machen uns auf die Suche nach einem Check-In-Schalter für unsere Anschlussflüge. Annette und Jochen fliegen SAA, der Schalter ist schnell gefunden, das

Gepäck wieder eingecheckt. Heinz und ich müssen zur BA, aber einen Schalter können wir nicht entdecken. Ein Koffer-mann drängt seine Dienste auf und schiebt, nach kurzer Frage, wohin wir denn flögen, unseren Wagen zielstrebig auf eine Rolltreppe. Eigentlich habe ich wenig Lust auf seine Aufdring-lichkeit, also entreiße ich ihm unseren Kuli ein Stockwerk höher wieder. Ah, da hinten, ganz hinten, leuchtet ein BA-Schild! Endlich angekommen, stellt sich heraus, dass man hier nur domestic einchecken kann, aber die nette Schalterdame weiß, wo der internationale BA-Check-In ist – in einem anderen Terminal. Also wandern wir den ganzen Weg wieder zurück, hängen noch ein paar Kilometer dran und werden tatsächlich fündig. Leider hat der Schalter offiziell noch nicht geöffnet, wir sollen doch in 2 Stunden wieder kommen. Schicksals-ergeben rollern wir unseren Kuli aus dem Gebäude, um eine Verschnaufpause an der frischen Luft zu machen und uns ein bisschen umzusehen. Es wird immer noch rege gebaut, überall stehen Kräne herum, wuseln die Bauarbeiter. Mittlerweile sieht der Flughafen oder wenigstens das Segment, das wir zu sehen bekommen, wirklich so aus, als könne er zur Fussball-WM bis Juni 2010 fertig werden. Eine stolze Leistung!

Annettes und Jochens Flug geht um einiges früher als un-serer, so also verabschieden wir uns bald – wenn auch nur für ein paar Stunden. Heinz und ich treiben uns noch ein wenig herum, bis auch wir endlich unser Gepäck einchecken dürfen. Zum Gate wollen wir noch nicht, aber beim Rumstromern

Annette, Jochen und Heinz vor dem Flughafen in Johannesburg mit Ausblick auf die Großbaustelle.

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haben wir ein Freiluft restaurant entdeckt, das wir jetzt zum Zeittotschlagen aufsuchen. Funkelnagelneu ist hier alles, architektonisch sehr modern, auch die schräg nach außen liegenden raumhohen Glasfronten des Restau rants. Allerdings scheinen schon mindestens zwei Leute die sich selbst öffnende Tür verfehlt zu haben, denn in Kopfhöhe ist auf beiden Seiten der Tür das Glas kreisförmig gesplittert. Das muss gekracht haben! Heinz und ich kommen unfallfrei nach draußen und lassen uns in feuchter Morgenfrische auf der Terrasse nieder. Heinz ist gleich ganz angetan von den zahlreichen Schwal-ben, die in halsbrecherischem Flug zwischen den Pfeilern der angrenzenden Tiefgarage durchjagen und von ein paar vorwitzigen Bachstelzen, die auf der Suche nach Krümeln um die Tische wippen. Bei all den Beobachtungen ver-geht die Zeit schnell und wir machen uns auf den Weg zu unserem Gate. Noch einmal fliegen und dann sind wir hoffentlich endlich da! Beim Warten am Gate treffen wir auch Jürg, der mit einer Maschine aus Zürich gekommen ist. Ach, ist das schön, ihn wiederzusehen! Und es gibt viel zu erzählen, so viel, dass die Zeit bis zum Boarden bei weitem nicht reicht.

Heinz und ich sitzen in einer Dreierreihe, neben mir nimmt ein Schwarzer Platz, der dauernd Selbstgespräche führt und kommunikationssuchend zu mir herüberlugt. Der Knabe macht einen ziemlich irren Eindruck und ich will ihn um keinen Preis an der Backe haben. Jeden Blickkontakt meidend, vertiefe ich mich demonstrativ in mein bald serviertes Mittagessen. Ein Nudelsalat ist dabei, der appetitlich aussehend in einem durchsichtigen Plastikschälchen ruht. Das Behältnis ist versiegelt, zum Öffnen muss eine Ecke aus dem Rand gebrochen werden, dann erst kann man den Deckel abheben. Aus den Augen-winkeln beobachte ich belustigt, wie mein seltsamer Nachbar sich vergeblich abmüht, an den Nudel salat zu kommen, doch das Patent will sich ihm partout nicht erschließen. Wütend schleudert er die Schale wieder auf‘s Tablett, wid-met sich seinem Auflauf, behält aber permanent die anderen Fluggäste im Auge. Und die haben allesamt ihren Nudelsalat schon verzehrt. Murmelnd, schimpfend und brabbelnd macht er sich wieder am Schälchen zu schaffen. Er kann einfach nicht glauben, dass alle anderen das Ding aufbekommen haben, nur er nicht. Aber wieder scheitert er. Vor lauter Frust lässt er sich gleich noch ein zweites Bier servieren, wickelt dann seine Nudeldose in eine Serviette und lässt das Corpus Delicti seines Scheiterns verstohlen in seiner Sitztasche ver-schwinden. Beim Aussteigen wandert es noch verstohlener in sein Bordge-päck und Heinz und ich amüsieren uns königlich bei der Vorstellung, dass er heute abend bestimmt versucht, das Rätsel mit Hilfe seiner Freunde zu

Jürg und ich in der gleißenden Sonne Namibias; das Auto eines ewig Gestrigen; Heinz – ein bisschen erschöpft, aber glücklich; unser Lager auf der Ondekaremba Farm.

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knacken oder aber einfach seine arme Frau damit beauftragt und so tut, als hätte er selbst nie ein Problem damit gehabt.

Rasch sind die Einreiseformalitäten erledigt, das Gepäck ist auch da und Jochen erwartet uns schon in der Ankunftshalle. Bei strahlendem Sonnenschein und 31 Grad überqueren wir den Parkplatz, wo der grüne Landy steht. Wir verstauen das Gepäck und Heinz sieht sich neugierig um. Er traut seinen Augen kaum, als er in der Reihe hinter uns einen silbernen Wagen entdeckt, auf dessen Heck ein Nummernschild mit der Aufschrift „ADOLF-NA“ prangt. Es gibt sie also immer noch, die ewig gestrigen Deutschen Namibias. Mich wundert hier nichts, allenfalls die wenig konsequente Wagenfarbe – braun wäre doch wirklich passender gewesen – aber Heinz staunt nicht schlecht. Es wird Zeit, dass er auch die schönen Seiten des Landes zu sehen bekommt!

Auf der Fahrt zur Ondekaremba Farm eröffnet uns Jochen, dass es einige Probleme mit unserem zweiten Landy, einem

Mietwagen von „Just done it!“ gibt. Von zwei Dachzelten wurde lediglich eines abmontiert und an den Felgen sind die Schrauben so rundge nudelt, dass die Reifen im Notfall nicht gewechselt werden könnten. Annette und Tommi sind noch in Windhoek beim Verleiher, um diese Dinge beheben zu lassen. Das klingt zunächst zwar nicht erfreulich, aber auch nicht un-lösbar. Zunächst.

Kaum kommen wir auf unserer Campsite an, eilt uns schon ein Farmangestellter mit einer Nachricht entgegen. Jochen solle sofort nach Windhoek kommen, es gäbe noch mehr Pro-bleme. Umgehend macht er sich auf den Weg, wir hingegen werden uns in der Zwischenzeit um den Aufbau unseres Lagers und unserer 5 Zelte kümmern. Das aber ist gar nicht so einfach, denn der frühe Nachmittag ist die heißeste Zeit des Tages. Die daraus resultierende Thermik erzeugt einen strammen Wind und nur mit vereinten Kräften gelingt es uns, unsere Stoff-hütten aufzustellen. Dabei kommen wir, trotz des Windes,

Freiluft-Bad auf der Ondekaremba Campsite; es blüht (Pseudogaltonia clavata; Cape Hyacinth) mitten im trockenen Gras.

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ganz schön in Schwitzen und ich beschließe, mich nach ge-taner Arbeit endlich in adäquate Klamotten zu werfen. Ich löse den Gurt meiner Tasche und mache eine Entdeckung, die nichts Gutes verheißt: das Schloss fehlt und die Schlitten des Reißverschlusses sind völlig zerstört. Das ist sicher kein Trans-portschaden, zumal die Schlitten offenbar sorgfältig wieder unter den Gurt geschoben wurden. Beim Öffnen der Tasche bestätigt sich mein Verdacht eines mutwilligen Aufbrechens. Alles wurde offensichtlich durchwühlt und wahllos wieder zurück gestopft. Sorgfältig sichte ich meine Besitztümer und stelle erstaunt fest, dass nichts fehlt – nicht mal meine nagel-neuen Turnschuhe und auch nicht meine zwei Medikamen-tenboxen. Moment, fast nichts! Aus meinem Erste-Hilfe-Pack ist das Fieberthermometer verschwunden und taucht auch in den tieferen Tiefen der Tasche nicht wieder auf. Es war ein digitales Fieberthermometer, kann also nicht entfernt worden sein, weil es Quecksilber enthält, sondern es ist schlicht und einfach geklaut worden. Seltsamer Dieb, seltsame Beute, aber ich bin heilfroh, dass nicht mehr fehlt. Heinz und Jürg kon-trollieren sofort ihr eigenes Gepäck – auch hier zeigen sich Spuren, die auf rüde Öffnungsversuche hindeuten, aber der jeweilige Inhalt ist vollzählig. Gott sei Dank!

Nun können wir uns erfreulicheren Dingen widmen und in-spizieren die nähere Umgebung. Heinz ist gleich voll in seinem Element, als er einige Webervögel und Granatastrilde im Gebüsch hinter unserer Wasserstelle entdeckt. Die bunten Vögelchen sind recht unscheu und ihre Unbekümmertheit entlockt meinem Schneck etliche begeisterte Quiekser. Bei einer Kurzwanderung rund um die Campsite sichtet er dann auch noch blühende Lilien, von denen er mir aufgeregt berichtet. Und ich bin mindestens genauso aufgeregt wie er, aber auch sehr glücklich, dass Namibia doch so einiges in petto hat und auch preisgibt, was über „Adolf“ hinausgeht – und dass es Heinz gefällt.

Wie im Flug vergeht die Zeit und gegen 18.45 Uhr setzt die kurze afrikanische Dämmerung ein. Doch noch immer keine Spur, kein Zeichen unserer Mitreisenden. Bei uns macht sich schön langsam der Hunger bemerkbar, also durchforsten wir die Kisten im Lager. Annette war zwar heute schon einkaufen, das wissen wir, ist aber samt ihren Schätzen immer noch in Windhoek. Zwei der drei Kisten sind abgeschlossen, in der

dritten finden wir lediglich abgelaufene Brühwürfel und eine Packung noch älterer Kekse. Viel ist das ja nicht … Tatkräftig entfachen wir ein Feuer (die Gasflasche ist leer), machen uns einen Topf mit Wasser heiß und füllen unsere knurrenden Mägen mit dünner Brühe und bröselnden Keksen. Trotz der Frugalität unseres Mahles und der Ungewissheit, wann und in welchem Zustand das zweite Auto mit unseren Mitreisenden hier eintreffen mag, genießen wir das prasselnde Lagerfeuer, die Stille und unsere Gespräche. Mittlerweile ist es 20 Uhr geworden; ab und zu hören wir Motorengeräusche, sehen Scheinwerfer in der Ferne, aber unsere Hoffnung auf die Rückkehr der Restcrew will sich nicht erfüllen.

Todmüde gehen wir schließlich um halb neun zu Bett und hoffen, dass die Probleme mit dem Mietwagen nicht unsere Reisepläne über den Haufen werfen. Kaum haben wir uns gemütlich eingekuschelt, kommen die anderen endlich zu-rück – mit guten Nachrichten! Nach langem, zähem Ringen mit dem völlig uneinsichtigen und auch wurstigen Verleiher konnte doch noch alles in Ordnung gebracht werden. Ein engagierter Mechaniker einer benachbarten Werkstatt hatte sich selbstlos ins Zeug gelegt, das zweite Dachzelt ab-montiert, die rundgenudelten Schrauben griffig geschweißt, um sie öffnen zu können und alles soweit ins Lot gebracht, dass die Karre unseren Anforderungen weitestgehend ent-spricht. Der Vermieter selbst allerdings hatte sich schon lange aus dem Staub gemacht, weil seiner Ansicht nach ja alles passte. Prinzipiell ist die Karre nun nach unseren Vor-stellungen mit einem Dachgepäckträger, zwei Reserve-rädern und wechselbaren Reifen ausgestattet, weist aber noch genug Macken auf, die in den folgenden Wochen peu à peu in Erscheinung treten sollen. Der hilfsbereite Mechaniker kennt leider die Nöte der Kunden seines wurstigen Nachbarn aus zahlreichen anderen Fällen und kann dessen Geschäfts-politik ebenso wenig verstehen wie wir.

Doch das Auto ist ja jetzt soweit okay, wir alle sind versammelt und begrüßen uns erleichtert und freudig, bevor wir über Annettes Einkäufe herfallen: bei Käsebrot und Wurst, Rest-brühe und kühlem Bier lassen wir uns die ganze Geschichte erzählen, berichten von unseren Erlebnissen und gehen schließlich alle satt, müde und voller Vorfreude auf die nächsten Wochen zu Bett.

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8. November 2009 Ondekaremba Farm – Roy’s Camp

Gegen sieben Uhr wälzen wir uns schön langsam aus den Zelten und halten unsere Nasen in die Morgensonne. Ich habe geschlafen wie ein Stein, aber Heinz hat immer wieder den für ihn ungewohnten Geräuschen einer afrikanischen Nacht gelauscht, die er teilweise nicht zuordnen konnte – leider bin ich ihm dahingehend keine Klärungs-Hilfe, denn ich habe absolut nichts gehört. Auch Sven hatte ein Nacht-Erlebnis: er musste aus dringenden Gründen vors Zelt und berichtet uns von einem riesenhaften Tier, das im fahlen Mondlicht auf ihn zugestürmt war. Wir haben keine Ahnung, was er da gesehen haben mag, zumal es auf der Farm kein Großwild gibt. Ein paar Minuten später allerdings, als gerade eine Rotte von Warzenschweinen ganz in unserer Nähe vorbeisaust, deutet er wiedererkennend auf den Eber: „Sowas war das!“ Naja, riesenhaft kann man die Schweindln nicht gerade nennen, aber im Dunkeln sieht so manches unheimlicher aus, als es wirklich ist. Und wenigstens wissen wir jetzt, was genau Sven da erschreckt hatte.

In aller Ruhe genießen wir unser Frühstück, bevor wir zum Einräumen der Autos schreiten. Annette fragt Heinz und mich, ob wir gerne im grünen Landy mitfahren möchten. Im Vorfeld unserer Tour hatte ich mir hin und wieder Gedanken gemacht, wie das wohl mit der Aufteilung laufen würde und, ehrlich gesagt, eher damit gerechnet, dass sie Patricia und Sven fragen würde. Denn die beiden fröhlichen Rheinländer haben unbe-stritten ein höheres Unterhaltungspotential als Heinz und ich, die wir öfter mal eine Runde schweigen und eher still genießen. Aber natürlich fahren wir gerne mit Annette und Jochen im Auto und richten uns dort auch gleich mit Sack und Pack wohnlich ein. Besonders ich – die Rücksitztasche vor meinen Knien wird sofort mit allem Notwendigen bestückt, was für mich immer greifbar sein muss: Landkarten, Bestimmungs-bücher, Fernglas, Sonnencreme, Sonnenbrille – ich hasse ziel-loses Suchen und Wühlen, ich gebe es ja zu …

Nach dem Einrichten und Zusammenpacken machen wir noch einen Abstecher zum Farmgebäude, um die Übernachtung zu bezahlen. Auf dem Parkplatz vor den Toren des Farmhauses haben Kap-Borstenhörnchen zahlreiche Bauten gebuddelt, in die sie sich bei unserer Ankunft flugs zurückziehen.

Heinz möchte die putzigen Gesellen unbedingt näher sehen und fotografieren. Zu diesem Behufe legt er sich hinter einem Steinhaufen auf die Lauer. Nicht lange und die ersten Hörn-chen spitzen neugierig aus ihren Löchern. Aber so richtig fotogen wollen sie sich nicht zeigen, dazu sind sie doch ein bisschen zu scheu. Nicht weiter schlimm, versichere ich meinem Schneck, denn ich kann ihm versprechen, dass wir in der Kalahari ganz bestimmt noch mehr davon sehen werden.

Wir machen uns auf den Weg – unser heutiges Tagesziel ist Roy’s Camp in der Nähe von Grootfontein und das sind mehr als satte 500 Kilometer. Eilig durchqueren wir Windhoek City, bis wir auf der Ausfallstraße nach Norden sind und schrubben Meilen. Heinz beobachtet alles sehr aufmerksam und sammelt erste afrikanische Eindrücke, die ihn verständlicherweise noch deutlich europäisch anmuten. Nach zwei Stunden der Fahre-rei machen wir ein Päuschen an einem schattigen Rastplatz links der Straße. Heinz’ kundigem Auge fällt sofort der Schat-tenspender auf: ein Pfefferbaum (Schinus molle), der in Afrika ganz und gar nicht heimisch ist. In seinem Geäst wächst eine weitere Pflanze, die wir als halbparasitäre Afrikanische Mistel (Tapinanthus oleifolius) identifizieren. Die Mistel hat wunder-schöne rote Kelchblüten und Heinz’ Augen funkeln begehr-lich: vielleicht gibt es ja schon Samen zu ernten, die er zu Hause aussäen kann … Aber nein, schade, soweit ist die Mistel noch nicht. Ohne Beute, aber mit einem Snack im Bauch, ent-fliehen wir dem dem heftigen, trockenen Wind der Mittags-zeit, der einem Sand ins Gesicht bläst, die Haut zu gefühltem Pergament dörren lässt und setzen unseren Weg fort. Für unsere Augen ist die nächsten zwei Stunden nicht viel Ab-wechslung geboten. Schnurgerade durchdringt die Teerstraße verbuschtes Weideland, hässliche Zäune umgeben karges Farmland. Allein die Machart der Zäune ist ein klein wenig unterhaltsam: mal sind fünf, mal sind sechs oder sieben „Drahtspanner“ zwischen den Zaunstützen angebracht, mal ist es ein schulterhoher Rinderzaun, mal ein doppeltmanns-hoher Gamezaun. Ich messe auf unserem Meilenzähler mit, rechne Farmgrößen hoch und setze die Gamefarmen für Touristen ins statistische Verhältnis zu Erwerbsbetrieben rein

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landwirtschaftlicher Art, die offenbar immer weniger werden. Naja, das südliche Afrika erlebt seit vielen Jahren einen zu-nehmenden touristischen Boom und wenn ich einen Blick auf die ebenso boomenden TV-Afrika-Filmschnulzen werfe, wundert es mich nicht: Afrika ist exotisch in Flora und Fauna, es ist hip und angesagt, der gemeine Schnulzenseher macht keinen Unterschied zwischen Oryx und Okapi, zwischen Aloe arborescens und Aloe zebrina, geschweige denn Aloe dichotoma, dem allseits geschätzten und geliebten Köcherbaum. Und wenn ich namibischer Farmer in agrarischen Nöten wäre, dann würd’ ich vielleicht auch meinen Zaun aufdoppeln und Buntböcke auf meinem Gelände halten, wo sie für den gemei-nen Touri offenbar ohne Widerrede hingehören – eben nach Afrika. So, wie halt Damhirsche, Rentiere und Elche in im Land Europa zu sehen sind …

Kilometer um Kilometer zieht sich die B1 dahin und sogar Heinz, für den alles neu ist, findet die Fahrt schön langsam recht öde. Gegen 15 Uhr erreichen wir Otjiwarongo, dessen Straßen von blühenden Flammenbäumen gesäumt sind. Das ist eine willkommene Abwechslung und zugleich ein so farben-prächtiger Anblick, dass wir einfach anhalten müssen. Zwischen den Blüten hängen bis zu 50 cm lange Schoten, die Patricias Begehren wecken. Sven nimmt Anlauf, um im Sprung eine Schote abzureißen, aber es fehlen jedes Mal ein paar Zentimeter. Da tritt Jürg, unser „Längster“ in Aktion und mit einem Riesensatz erhascht er eine Schote für Patricia. Die we-nigen Passanten und Autofahrer, die an diesem Sonntagnach-mittag unterwegs sind, wundern sich sicher sehr über unser seltsames Verhalten, schließlich sind diese Baumfrüchte für sie etwas Alltägliches, nicht aber für uns.

Nach diesem erfolgreichen Beutezug setzen wir unseren Weg fort – wir müssen uns ein bisschen sputen, denn es liegen erst rund zwei Drittel der heutigen Tagesstrecke hinter uns. Also nehmen wir uns vor, nicht mehr zu stoppen, was bis kurz hinter Grootfontein auch funktioniert. Doch dort schießt plötzlich ein Polizist aus den Büschen und winkt uns mit seiner Kelle an den Fahrbahnrand. Oh, shit, wir waren zu schnell! Streng klärt uns der Beamte über unser Vergehen auf, ent-schuldigt sich aber im selben Atemzug, dass er leider nur noch uns, nicht aber unseren genau so schnellen Vordermann er-wischt hat. Das hilft uns jetzt auch nichts: 80 km/h dürfe man hier fahren, wir hätten 93 Sachen draufgehabt, so sagt der Officer. Wird schon stimmen, wenn er das sagt. Doch wir haben weder das 80er Schild gesehen noch können wir das mit der Geschwindigkeit präzise nachvollziehen – unser Tacho nämlich zeigt Meilen an. Wir müssen zahlen, aber immerhin kommen wir glimpflich davon. 100 NAM-Dollar kosten die 13 km/h zuviel, noch zwei mehr, und wir hätten das Doppelte löhnen dürfen. Während Jochen brav bezahlt, winkt ein Polizei kollege einen weiteren Fahrer heraus. Der ist über 30 km/h zu schnell gewesen und muss dafür eine Nacht in den Knast. Der arme Kerl, der offenbar auf Business-Fahrt ist, wird ganz blass um seine schwarze Nase, fügt sich aber not-gedrungen seinem Schicksal und wir sind heilfroh, dass uns das nicht ereilt hat.

Vorschriftsmäßig bringen wir die letzten Kilometer bis Roy’s Camp hinter uns, wo wir einen Rasenplatz zugewiesen be-kommen. Rasen!!! Irgendwie ein bisschen übertrieben in die-ser Trockenheit, aber es fühlt sich gut an. Wir bauen unsere Zelte auf; aus den Augenwinkeln sehe ich, wie wir feindselig

Auf der Mauer, auf der Lauer nach den kleinen Hörnchen!; Blütenstand eines Flammenbaumes; die Allee in Otjiwarongo.

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von unseren Campnachbarn beäugt werden. Und wenn ich mir unsere Gruppe so ansehe, wird mit auch klar, warum: wir sind zu acht, haben fünf Zelte und sehen wohl nach Lärm aus. Ein ungewohntes Gefühl, so angesehen zu werden, aber ich kann es ein wenig verstehen. Schließlich habe ich ähnliche Gedanken hinter einer gerunzelten Stirne, wenn ich einer Overlander-Gruppe ansichtig werde …

Wir sind zwar keine Overlander, lassen uns aber trotzdem gemütlich mit einem verdachtverstärkenden Bierchen auf dem Rasen zu einem Ankunfts-Sundowner nieder, bevor wir Körperpflege und Essensvorbereitungen in Angriff nehmen. Als ich dann später aus der Dusche komme, habe ich das un-angenehme Gefühl, fast zu erfrieren. Die Luft ist so trocken, dass das Wasser auf meiner Haut in Sekundenschnelle ver-dunstet; die entstehende Kälte lässt mich frösteln – bei immer noch mindestens 25 Grad! Auch meine Haare trocknen schneller, als irgend ein Turbofön das leisten könnte und fühlen sich an wie altes Stroh. Bald kommen wir ja in feuchtere Ge-filde, tröste ich mich und kehre knistertrocken zu unserer Truppe zurück. Hier wird bereits eifrig gezündelt, geschnibbelt und mariniert. Bald darauf gibt es Abendessen, das wir in geselliger Runde – unter den bösen Blicken unserer Nachbarn – genüsslich einnehmen. Ein Bierchen noch zum Abschluss, dann gehen wir alle, bis auf Sven, Annette und Jochen, gegen 22 Uhr schlafen. Die drei unterhalten sich leise weiter, an-sonsten ist alles still. Mann, denke ich mir noch beim Ein-schlafen, sind wir brav und, liebe Nachbarn, ihr habt umsonst grimmig gekuckt.

9. November 2009

Roy’s Camp (Grootfontein) – Popa Falls Community Camp (Divundu)

Das lachende Wiehern von Zebras weckt uns und Heinz mur-melt schlaftrunken neben mir: „Das war’s, was ich auf der Ondekaremba Farm gehört habe!“ Dieses Rätsel also wäre gelöst und wir schälen uns voller Tatendrang aus unseren Schlafsäcken. Annette ist schon ein Weilchen wach und hat bereits das Geschirr von gestern Abend gespült. Wir winken

uns zu und ich marschiere erst mal Richtung Ablution Block. Dort steht die Nachbarsfrau am Waschbecken, sieht mich verächtlich an und ignoriert meinen Morgengruß. Seltsam! Zurück im Lager, klärt Annette mich auf: die Dame kam sich gestern Abend, 15 Minuten nach unserem Abgang, noch beschweren – über den unerträglichen Lärm, den wir ver-breiten würden. Seit 21 Uhr versuchten sie und ihr Mann zu schlafen, würden aber kein Auge zubekommen, weil wir ja unbedingt Party feiern müssten. Annette entschuldigte sich natürlich um des lieben Friedens willen, aber wir blieben weiterhin in Ungnade. Beim morgendlichen Spülen traf An-nette dann eine andere Nachbarin und fragte nach, ob wir wirklich so gelärmt hätten. Nein, wir wären extrem leise gewesen, bescheinigte uns die Dame, es gäbe nicht den geringsten Grund zur Beschwerde. Na also! Die beiden Frauen kamen ins Plaudern, tauschten Reiseerlebnisse und weitere Planungen aus und die freundliche Nachbarin warnte Annette angesichts unseres bevorstehenden Chobe-Besuchs. Sie und ihr Mann waren vor einer Woche dort, aber leider sei der Park aufgrund heftiger Regenfälle geschlossen gewesen. Das sind ja tolle Nachrichten! Doch wir werden sehen, schließlich kommen wir erst in zwei Tagen dort an und es kann sich in der Zwischenzeit viel verändert haben – hoffentlich zum Guten.

Nach dem Frühstück packen wir in aller Ruhe zusammen und während Patricia und ich noch rasch die Grillroste schrub-ben, geht Heinz auf Beutezug. Überall tummeln sich exotische Vögel, die ihn vor Begeisterung strahlen lassen und zudem wachsen auf dem Campgelände auch noch Makalanipalmen (Hyphaene petersiana), die gerade reife Nüsse abwerfen. Mit roten Bäckchen, einem Sack voller Palmnüsse und seligem Grinsen kehrt Heinz zurück und ich freue mich so zu sehen, dass es ihm offenbar richtig gut gefällt und er ornithologisch und botanisch auf seine Kosten kommt. Sorgfältig werden die Kostbarkeiten verstaut und wir machen uns auf den Weg. Heute geht es ins Popa Falls Community Camp nahe Divundu; ist nicht ganz so weit wie die gestrige Strecke, doch recht abwechslungsreich wird sie wohl auch nicht werden.

Und tatsächlich: auf schnurgerader Teerstraße geht es da-hin, ich spiele mein altes Farmzaun-Spiel und wir freuen uns über jede Kuh und jeden Esel, der am Fahrbahnrand steht.

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Und da sind auch noch andere Tiere, riesige „Flugobjekte“, die wie betrunken durch die Luft torkeln und hässliche Flecken machen, wenn sie dummerweise gegen die Windschutzscheibe knallen. Diesem Phänomen gehen wir bei der nächsten Pinkel-pause auf den Grund: es sind Pillendreher, die überall auf der Straße sitzen und Herbivoren-Kot zu perfekten Kugeln formen, die sie dann rasch mit den Hinterbeinen in Sicherheit rollern. Wenn man sich den Käfern nähert, nehmen sie einen abweh-rend ins Visier, erheben sich mit lautem Gebrumm in die Luft und flüchten. Nicht selten prallen sie einem dabei direkt ans Bein und fallen füßchenrudernd auf den Boden zurück. Nähert sich hingegen ein Auto – viel zu schnell für die Wahr-nehmung der etwas retardierten Käfer – bleiben sie sitzen und werden meist Opfer der Reifen. Eine ganze Weile beob-achten wir die Skarabäen bei ihrem emsigen Treiben. Beson-ders hübsch sind sie ja nicht, mit ihren kotverklebten, matt-braunen Chitinpanzern und ihrer wenig anmutigen Gestalt. Aber die Leistung, die sie vollbringen ist wirklich beachtlich. Ihre Mistkugeln sind teilweise dreimal so groß wie sie selbst und auf dem glatten Teer schon schwer zu bewegen. Erreichen die Käfer aber dann endlich die mit trockenem Gras bewach-sene Straßenböschung, geht die Knochenarbeit erst richtig los. Doch die Dung Beetles legen sich mit aller Macht ins Zeug und lassen sich nicht beirren.

Um eine schöne Tierbeobachtung reicher, klettern wir wieder in die Autos und fahren weiter. Aber schon nach ein paar Kilometern legt Jochen eine Vollbremsung hin, wendet den Landy und hält neben einem kleinen grünen Chamäleon. Vor-sichtig pflückt er es von der Straße, um es in einen sicheren Busch am Straßenrand zu setzen. Halt, Moment, erst mal muss es uns Modell stehen, das kleine Echslein mit den flinken Augen. Es ist grasgrün und scheint sich auf Jochens Hand recht wohl zu fühlen. Sven will es ebenfalls einmal halten, aber diesen Wechsel findet das Tierchen offenbar ziemlich stressig – so-fort bekommt es schwarze Flecken und flüchtet sich auf Svens Schulter. Auch bei mir will es nicht bleiben, erst als Heinz es nimmt, beruhigt sich der kleine Kerl und färbt sich schnell wieder grün. Ich sehe mir das Chamäleon ganz genau aus der Nähe an, als es ruckelnd ein Greifärmchen nach vorne streckt und mir kurzerhand auf die Nase klettert. Über Brille und die Stirne bahnt es sich zielstrebig seinen Weg in meine Haare, in

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denen es sich sofort verheddert und erneut Stressflecken be-kommt. Vorsichtig nestelt Heinz das Tierchen aus meinem Haarwald, was mit empörtem Fauchen quittiert wird und setzt es in einer Pflanze ab, wo es sich beruhigt und mit lebhaft rotierenden Augen vorsichtig zwischen den Blättern hervor-lugt. Jetzt, wo es gut getarnt in Sicherheit ist, können wir ja weiterfahren. Eine ganze Weile noch fühle ich den Weg, den es über mein Gesicht genommen hat: es ist, als ob vier winzige Nassrasierer-Köpfchen über meine Haut gefahren wären. Es tut nicht weh, überhaupt nicht, aber es ist ein seltsames Gefühl …

Je weiter wir uns nun Rundu nähern, desto offener wird das Land. Nicht etwa, weil das Buschwerk lichter würde, sondern weil es kaum noch Zäune gibt. Dafür sieht man immer mehr Ansiedlungen, kleine strohgedeckte Rundhütten und auch Menschen – wir kommen schön langsam in den „schwarzen“ Teil Namibias! In Rundu halten wir für einen Einkauf vor dem örtlichen Supermarkt und Heinz bekommt einen ersten Eindruck afrikanischen Treibens: bunt gekleidete Frauen balancieren Waren auf ihren Köpfen, schleppen in Tüchern friedlich schla-fende Säuglinge mit sich herum, zerren Kleinkinder hinter sich her. Aus jedem der umliegenden Geschäfte dröhnt Musik oder lautstarke Verkaufsanimation – die Lautsprecher scheppern blechern, machen ihrem Namen alle Ehre. Mit Neugier und gebührendem Respekt fotografiert Heinz in die Runde und saugt alles in sich auf – staunend und vielleicht auch etwas befremdet. Befremdet von unserer Vorsicht; denn wir haben fast automatisch unsere Autofenster hochgekurbelt, die Türen verriegelt und lassen die Landys nicht aus den Augen, obwohl wir keinen Meter davon entfernt stehen. Befremdet auch von der winzigen San-Frau mit ihrem noch winzigeren Baby auf

dem Rücken, die uns mit trüben, hoffnungslosen Augen an-blickt und gebetsmühlenartig ihre Bitten um Geld und Essen herunterleiert. Auch mich nimmt so ein Anblick immer wieder mit. Menschen, die seit Urzeiten hier ansässig sind, über ein unerschöpfliches Wissen über die Pflanzen und Tiere dieser unwirtlichen Klimaregion verfügen, werden entwurzelt, ihres Landes beraubt, verachtet. Und dann sieht man sie hier, in Käffern wie Rundu – verdreckt, in zerlumpten westlichen Kla-motten, ohne Hoffnung, innerlich abgestorben. Es ist so bitter, was Menschen ihresgleichen antun! Wenn es keine Menschen gäbe, ginge es der Welt sicher besser, denn wir werden nie einen echten Weg zueinander, geschweige denn zur Natur finden, selbst wenn wir es uns hin und wieder einbilden.

In diesem Sinne setzen wir unseren Weg fort, natürlich aus-gestattet mit allem Komfort, den Menschen unseres Kultur-kreises für nötig erachten – der Natur entgegen, so wie wir sie halt gerne genießen und erfassen möchten. Wir sind eben auch nur Menschen … Und in meinem Menschsein freue ich mich, dass ich jemanden wie Heinz gefunden habe, mit ihm und anderen unterwegs sein und die Welt erkunden kann. Das eintönige Motorengeräusch brummt mich aus meinen kritisch-frohen Gedanken, am Fahrbahnrand drängen sich kleine gelbe Kugeln in mein Blickfeld. Auch die anderen haben sie bemerkt und zunächst gehen wir davon aus, dass hier wohl gerade Tsamma-Melonen ihre Überreife erreicht haben, denn es sind keine grünen, verbindenden Ranken zu entdecken. Doch immer öfter sehen wir jetzt Gefäße, in denen diese Kugeln, zu kleinen Pyramiden getürmt, zum Verkauf dargeboten werden. Bei der nächsten Schüssel halten wir an und sehen uns nach den dazu-gehörigen Verkäufern um. Schon kommen einige Kinder aus

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dem Busch geschossen, ihnen folgt in gemächlichen Schritten ein Mann, der un-sere Neugier befriedigt. Das seien Baboki – mhm, lecker. Er greift sich eine Frucht, öffnet sie mit wenigen gekonnten Messerhieben und lutscht genüsslich augen-rollend auf einem Klumpen des wenig appetitlich aussehenden, schmutziggelben, gehirnartigen Fruchtfleisches herum. Mit einem lauten „Plöpp“ spuckt er die Reste dann auf den Boden. Annette kauft ihm kurzentschlossen zwei der angeb-lich so schmackhaften Früchte ab – wir werden sie als Abenddessert verkosten. Bei der Weiterfahrt versuchen wir, die Früchte botanisch korrekt zuzuordnen. Es ist eindeutig eine Strychnos-Art, präzise gesagt Strychnos madagascariensis (Black Monkey Orange). Wir sind alle schon sehr gespannt, wie das Zeug schmeckt, Heinz freut sich auf die Samen und ich mich noch mehr auf die harte Frucht-schale. Das könnte ein nettes Behältnis für ein Teelicht werden!

Doch erst mal sind wieder Kilometer angesagt, bis wir frühnachmittags eine Snackpause an einem staubig-schattigen Rastplatz einlegen. Auch hier liegen zuhauf geköpfte Baboki-Schalen und ausgespuckte Kerne herum – es scheint in der Tat eine sehr beliebte Saisonfrucht zu sein. Ein kleiner Pinkel-Ausflug in die nähere Botanik fördert noch mehr Preziosen der Natur zutage: überall sind reife Samen von Zambezi Teak (Baikiaea plurijuga), Wild Teak (Pterocarpus angolen-sis), False Mopane oder Copalwood (Guibourtia coleosperma) und Manketti Trees (Schinziophyton rautanenii) zu finden. Wir sammeln und bestimmen mit solcher Begeisterung, dass wir kaum zum Essen kommen und Heinz’ Sämereienkollek-tion erneut beträchtlich aufgestockt wird. Halbwegs gestärkt und voll botani-schem Enthusiasmus setzen wir unseren Weg auf der glühend heißen, fast schatten losen Straße in Richtung Popa Falls fort. Schattenlos, ja, doch allmählich türmen sich immer mehr Wolken am Horizont, sehen sehr nach Gewitter aus und lenken unsere Gedanken wieder sorgenvoll dem angeblich gesperrten Chobe NP ent gegen. Da müssen wir heute Abend wohl Alternativen erwägen. Kurz darauf passieren wir tatsächlich ein kleines Regengebiet, die Luft riecht frisch und erdig, danach aber glüht die Sonne wieder ungetrübt vom Himmel und es ist noch heißer als vorher.

Seite 15: Ein Skarabäus beim Mist-Rollen. Seite 16–19: Das Lappen-Chamäleon (Chamaeleo dilepsis) in voller Schön-heit – wegen seiner Occipitalkappen, der ohrförmigen Schilder hinter dem Kopf, wird es so genannt. Seite 20: Canon-Fotoattacke auf das Tier; es setzt auf meine Nase an; mit Stressflecken auf meiner Schulter. Diese Seite: kleiner Laden kurz vor Rundu; die große Shopping Mall in Rundu; einheimische Damen; Blick von unserer Flussterrasse im Popa Falls Community Camp auf den Kavango.

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Schwitzend, klebend und gut durchmariniert kommen wir gegen 16 Uhr in Divundu an, wo wir ursprünglich in der Mahangu Safari Lodge übernachten wollten, letztendlich aber doch das Popa Falls Community Camp vorzogen, das Annette und Jochen bereits als sehr schön und recht einsam kennen-gelernt hatten. Dass es einsam und wenig besucht ist, muss nicht verwundern, ist es doch recht schwer zu finden. Weit und breit existiert kein Hinweisschild und wenn wir nicht ge-nau wüßten, wo man abbiegen muss, könnten wir auch zehn-mal an der Abzweigung vorbeifahren und würden sie trotz-dem nicht entdecken. Zwischen zwei heruntergekommenen Häusern führen kaum erkennbare Reifenspuren – Straße kann man das nicht nennen – über ein staubiges Feld, vorbei an containerartigen Baracken bis hin zu einem Gelände, das ganz offensichtlich ein Knast ist. Mehr oder weniger schwere Jungs lungern im Schatten spärlicher Bäume gelangweilt herum, spielen bei der Gluthitze Fußball oder hängen neugierig win-kend am hohen Stacheldrahtzaun. Spätestens hier würde man wahrscheinlich wieder wenden, aber wir wissen ja, dass es der richtige Weg ist. Eine Weile geht es noch durch dichten Busch, Zweige schrappen am Auto entlang und dann sind wir da. Freundlich werden wir von einem Campangestellten empfangen und dürfen uns eine der 4 Campsites aussuchen. Annette und Jochen wählen Site 3, die ihnen letztes Jahr als die schönste erschien. Und in der Tat, das ist sie! Üppige tropische Vegetation beschattet einen großzügigen Platz, es gibt eine überdachte Spül- und Kochzeile, ein platzeigenes Klo- und Duschhäuschen und eine wirklich spatiöse hölzerne Flussterrasse.

Aus allen Poren triefend errichten wir unser Lager und lassen uns dann gemütlich auf unserer Terrasse nieder. Leise raschelt Papyrus im lauen Wind, kleine Schwärme von Blut-schnabelwebern ziehen malerisch an noch pittoreskeren Wolken vorbei, der Kavango gluckert, Ibisse krächzen und wir genießen die Zeit bis zum Sonnenuntergang. Auf einmal marschieren Menschen, offensichtlich Touris, im Gänsemarsch über unseren Platz, grüßen recht zurückhaltend und ver-schwinden auf der anderen Seite im Gebüsch. Ein kurzer Blick durchs Buschwerk auf den Nachbarplatz bringt Aufklärung: es ist eine Reisegruppe, die mit Bushways, einem botswani-schen Veranstalter unterwegs ist und offenbar noch eine kurze Wanderung zu den Popa Falls macht. Also keine Over-

lander, Glück gehabt, aber das hätte hier an diesem Ort auch sehr verwundert. Beruhigt wenden wir uns dem einsetzenden Sonnenuntergang zu, der aber trotz der markanten Wolken recht unspektakulär ausfällt. Dafür beginnen die Frösche mit ihrem Konzert und wir mit der Zubereitung des Abendessens, welches wir uns wenig später in dieser exquisiten Atmosphäre doppelt munden lassen. Und dann geht es der Baboki an den Kragen. Heinz köpft die steinharte Frucht gekonnt mit dem Leatherman und schiebt sich unerschrocken ein paar der mit Fruchtfleisch ummantelten Kerne in den Mund. „Mhm, lecker!“, mümmelt er zwischen den Kernen hervor und animiert uns, doch auch zu probieren. Etwas zögerlich – das Zeug sieht echt nicht appetitlich aus – kosten wir alle und ich bin wirklich erstaunt, wie gut es schmeckt. Zwar ist das Fruchtfleisch recht faserig und auch spärlich, gibt aber beim Lutschen einen mango-limettenartigen Geschmack ab, sehr saftig und fruchtig.

An den Kernen saugend und knabbernd, nehmen wir end-lich das Thema Chobe in Angriff. Annette und Jochen haben sich den ganzen Tag Gedanken über mögliche Alternativ-routen gemacht, die Annette uns nun in allen Einzelheiten darlegt. Es gibt einige Möglichkeiten, den Chobe zu umfahren, jede Alternative hat so ihre Vor- und Nachteile, birgt ihre Risiken und Ungewissheiten. Ungewiss ist aber auch nach wie vor, ob der Chobe NP nun gesperrt ist oder nicht. Mensch, wir haben doch einen botswanischen Tourguide als Nachbarn! Warum nicht den erst fragen, bevor wir uns hier die Köpfe heiß diskutieren? Gesagt, getan. Der Guide ist recht erstaunt ob unserer Frage, denn der Chobe ist uneingeschränkt befahr-bar und von einer Sperrung in den vergangenen Wochen ist ihm absolut nichts bekannt. Keine Ahnung, welcher Fehlin-formation unsere nette Nachbarin aus Roy’s Camp da auf den Leim gegangen war; wir sind jedenfalls heilfroh, dass wir planmäßig weiterfahren können. Entspannt lassen wir den Abend auf der Flussterrasse ausklingen, kriechen dann in unsere Zelte, die allesamt kleine Saunahäuschen sind und marinieren dem nächsten Morgen entgegen.

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10. November 2009

Popa Falls Community Camp – Mahango NP – Camp Kwando nahe Kongola

Früh raus aus den Federn ist heute angesagt, wollen wir doch vor unserer Weiterfahrt noch den nahe gelegenen Mahango NP besuchen. Das Aufstehen fällt mir nicht schwer, vielmehr flüchte ich fast aus dem Zelt, denn die Nacht war unerträglich schwül und alles klebt an mir. Zumindest eine kleine Erfri-schungs-Katzenwäsche täte jetzt Not, aber am Waschhaus kommt mir Tommi seufzend entgegen – kein Wasser! Wie auch schon gestern Abend; doch da dachten wir noch, die Pumpe sei über Nacht abgeschaltet worden. Verschwitzt und ungewaschen trinken wir rasch ein wenig Tee und knabbern Kekse, bevor wir aufbrechen. Noch ist der Fahrtwind kühl und erfrischend, die Strecke zum Mahango Gate ist kurz, doch als wir dort ankommen, ist die Sonne schon wieder ganz am Horizont erschienen. Ein neuer, schwül-heißer Tag beginnt und trotz der eigentlich frühen Stunde ist auf den ersten Kilometern nicht viel los, der Park wirkt wie ausgestorben. Wir biegen zu einer kleinen Lagune ab, an der sich in weiter Ferne zahlreiche Wasservögel tummeln. Eine Paviangruppe hängt geradezu lasziv in einem abgestorbenen Baum herum, nur die Kleinsten turnen schon voller Energie. Eine Weile beobachten wir die Affen bei ihrem wohligen Morgensonnenbad, dann fahren wir auf den Hauptweg zurück.

In ziemlicher Nähe kreisen dort einige Geier, Aasgeruch hängt in der Luft, aber egal welchen Weg wir nehmen, wir kommen der Sache nicht näher. Dafür entdecken wir unzählige Tausendfüßer beachtlicher Größe, die wir uns im Schutz unserer Autos näher ansehen. Schön sind sie, wie braun-schwarze, glänzende Bleistifte, mit sich in Wellen bewegenden, kastanienfarbenen Beinchen. Auch ein Spähtrupp tiefschwarzer Matabele-Ameisen ist schon unterwegs, ihre Chitinpanzer blitzen wie frisch poliert im Morgenlicht. Hinter uns ist inzwi-schen ein weiteres Auto herangefahren, der Fahrer will wissen, was wir da gesichtet haben. „We are here for birding!“, tut er unsere Millipeden dann verächtlich ab und fährt mit seiner Truppe ungerührt weiter. Na dann viel Spaß, ihr Scheuklappen-Ornithologen. Ich kann ja spezielle Interessen gut verstehen,

aber wenn man derart fixiert ist, entgeht einem doch so einiges. Zum Beispiel der idyllische Seerosenteich, an dessen Ufer ganze Felder winzigen Rainfarns wachsen, sich pracht-volle Schmetterlinge und schillernde Libellen tummeln. Oder die mächtigen Baobabs, die nicht nur Laub tragen, sondern auch in voller Blüte stehen. Über all diesen kleinen Beobach-tungen verfliegt die Zeit und wir müssen schön langsam wieder Richtung Camp. Auf dem Rückweg zeigen sich auf einmal auch größere Tiere: eine Zebraherde, Pukus, einige Harte-beests und zu Patricias Entzücken auch die ersten Elefanten dieses Urlaubs.

Zufrieden kehren wir in voller Mittagshitze ins Lager zu-rück. Jetzt eine Dusche, danach ausgiebig Frühstücken und dann weiter! Doch die Dusche geht immer noch nicht… Klebrig füllen wir unsere Mägen und bauen danach ab. Jürg kann’s nicht glauben und testet abermals den Wasserhahn – er läuft! Leider etwas zu spät, denn wir müssen nun wirklich los. Kurz noch die Hände gewaschen, ein Schwapps kühles Wasser ins Gesicht und schon sind wir wieder on the road. Kilometer um Kilometer zieht sich die Strecke durch den menschenleeren östlichen Teil des Caprivi, die Augen haben wenig Abwechslung, nur die sich mehrenden Wolken ver-ändern sich permanent. Nette Schäfchenwolken platten auf der Unterseite zunehmend ab, formieren sich zu hoch auf-ragenden Türmen und zeigen damit deutlich ihr Gewitter-potential. Minütlich wird es bedeckter, die Luft knistert förm-lich, aber uns erwischt glücklicherweise nur ein kleiner Ausläufer eines mächtigen Gewitters. Glücklicherweise, denn das Dachfenster des grünen Landys ist undicht und muss erst noch abgeklebt werden. Der kurze Regenschauer dringt nicht ins Auto, bringt aber auch keine Abkühlung, im Gegenteil. Die Straße dampft und dunstet schwülfeuchte Schwaden aus, die uns den Schweiß auf die Stirne treiben.

Obwohl schon seit mindestens einer Stunde Elefanten-Warnschilder am Straßenrand zu sehen sind und sich auch die Droppings der Dickhäuter mehren – erspäht haben wir noch keinen einzigen der Rüsselträger. Doch plötzlich, als wir ein kleines Sumpfgebiet überqueren, da sehen wir sie: zwei Ca-privi-Elefanten, die zum Trinken durch hohes Schilf vorsichtig ans Wasser kommen. Begeistert sind die zwei Bullen nicht von uns stoppenden Menschen, aber die Distanz scheint doch

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Ein Vormittag im Mahango NP: Matabele-Ameise; Zebras; am Seerosenteich; der erste Elefant dieses Urlaubs; farblich perfekt abgestimmte Baobab-Knospe; lässiges Pavian- Männchen in der lauen Morgensonne; Heinz beim Schnüffeln an einer herabgefallenen Baobab-Blüte.

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groß genug, so dass sie sich schließlich ganz aus dem Schilf wagen. Eine ganze Weile beobachten wir die trinkenden und badenden Elefanten, freuen uns an dem zahlreichen Feder-vieh, das die Wasseroberfläche der Tümpel und umliegenden Bäume bevölkert: Witwenpfeifgänse, Ibisse, Klaffschnäbel, Jacanas und ein Schreiseeadler, der immer wieder seinen cha-rakteristischen Ruf ertönen lässt. Ein richtiges Paradies ist das hier, direkt an der Straße!

Doch Letztere ruft schon wieder, wir trennen uns von Klein-Eden und erreichen nachmittags Camp Kwando, unser heuti-ges Nachtquartier. Während Annette eincheckt, vertreiben wir uns die Zeit mit der Beobachtung eines kleinen Wild-bienenschwarms, der gerade emsig Waben auf einem Blatt baut. Winzig sind diese Bienchen, aber durch das Zoom er-scheinen sie wie großköpfige Aliens. Bald kehrt Annette zu-rück – angemeldet sind wir, aber leider ist es für die vorgese-hene Sundownerfahrt auf dem Kwando schon zu spät. Schade, da haben wir uns wohl vertrödelt! Eine Sonnenaufgangsfahrt morgen früh ist uns übrigens auch nicht vergönnt, denn das campeigene Boot ist bereits verplant. Nun ja, jetzt suchen wir uns erst mal ein Plätzchen für unsere Zelte, dann sehen wir weiter.

Wir biegen vom Parkplatz Richtung Campground und sind nicht wirklich angetan von dem, was wir da sehen: der an sich große, schattige Platz ist rappelvoll und wir finden gerade noch so ein Fleckchen, das für unsere fünf Zelte ausreicht. Doch was soll’s, es ist ja nur für eine Nacht. Unter den beob-achtenden Augen zahlreicher Nachbarn befreien wir den Rasen grund von stacheligen Akazienzweigen, errichten unser Lager und möchten dann gerne duschen. Doch Schicht-Showern ist angesagt, denn für all die Menschen hier gibt es nur je zwei Männlein- und zwei Weibleinduschen und die sind natürlich alle besetzt. Annette und ich beobachten das relativ weit entfernte Waschhaus und stürmen los, als die Damenab-teilung zwei frisch gewaschene Frauen ausspuckt. Beim Öffnen der Tür des Reinigungstempels allerdings klingt uns geschäf-tiges Rauschen entgegen: besetzt! Aber jetzt sind wir schon mal da, also warten wir vor Ort. Mann, das dauert! Apropos Mann: aus der durch einen Vorhang abgetrennten Zweier-duschkabine tönt eindeutig eine Männerstimme hervor. Aha?! Nach zwanzig langen Minuten endlich wird das Wasser abge-stellt, die Herrschaften trocknen, cremen, plaudern angeregt,

in aller Seelenruhe, lassen sich Zeit, bis schließlich doch noch der Vorhang aufgeht. Und tatsächlich, es sind eine Frau und ein Mann, die uns da frisch geduscht freundlich zunicken. „Hello Ladies“, sage ich, „did you enjoy the Ladies’ shower?“ „Uch, Ladies? Oh, so sorry, we didn’t see a sign.“ Sprechen es und rauschen zur Tür hinaus, auf der deutlich sichtbar ein sehr eindeutiges Schild prangt. Nun aber nix wie unter die Dusche, bevor die nächsten Damen, die sich bereits dem Waschhaus nähern, noch an uns vorbeizischen und wir wieder warten müssen.

Ach, ist das herrlich; endlich nicht mehr kleben! Taufrisch wie der junge Morgen kehren wir zu unserem Platz zurück. Jürg, Tommi, Jochen und Sven genießen den lauen Abend im kleinen Pool gleich nebenan und wir, der Rest der Truppe, machen uns langsam an die Zubereitung des Abendessens – heute gibt es Bobotie, einen südafrikanischen Hackfleisch-Auflauf. Heinz, der gerne kocht und immer offen für neue Gerichte ist, schnibbelt, rührt und brutzelt voller Hingabe. Dass laut Rezept ein ganzes Päckchen Rosinen in die Hack-fleischmasse gemengt werden soll, dämpft allerdings seine Vorfreude ein wenig, denn auf Früchte in pikantem Essen steht er so gar nicht. Dennoch tut er, wenn auch sehr skep-tisch, was das Rezept sagt und bald wandert der Auflauf im Potije ins Lagerfeuer. Während das Bobotie langsam vor sich hin gart, diskutieren wir in kompletter Runde das Programm für den morgigen Vormittag. Eigentlich war ja ein Dorfschul-besuch vorgesehen, aber bis auf Jürg und Annette verspürt keiner so rechte Lust darauf. Jochens Vorschlag, doch statt dessen den nahe gelegenen Mudumu NP zu besuchen, wird vom Rest der Truppe begeistert angenommen – der optimale Ausgleich für die entgangene Bootsfahrt! Alle sind zufrieden – und hungrig.

Gerade rechtzeitig ist der Auflauf fertig und wir stürzen uns freudig auf das herrlich duftende Essen. Auch Heinz kostet ganz vorsichtig und ist entgegen seiner Erwartungen über die Maßen angetan; das muss zuhause sofort nachgekocht werden! Genüsslich lassen wir uns die Köstlichkeit schmecken und es könnte der perfekte Abend sein, würden nicht schön langsam die Mücken recht zudringlich. Also gehe zum Zelt, um mein Repellent zu holen, widerwillig, denn eigentlich möchte ich nicht schon wieder etwas Klebriges auf der Haut haben. Ich

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Sonnenuntergang am Kwando; der Wildbienenschwarm beim Wabenbau; Angolanischer Riedfrosch in der Dusche;

Spinne beim Aussaugen einer köstlichen Raupe.

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will gerade den Reißverschluss öffnen, als mir direkt über dem Zelteingang ein kleiner dunkler Fleck auffällt. Bei näherem Hinsehen entpuppt er sich als Spinne, die sich auch gerade ihr Dinner munden lässt. Schlaff hängt eine rötliche Raupe zwischen ihren Kieferzangen, wird bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt. Die Augen der Spinne leuchten im Licht meiner Taschenlampe wie zwei funkelnde Steinchen – sie lässt sich nicht im Geringsten bei ihrer Mahlzeit stören. Vorsichtig ziehe ich den Reißverschluss auf, greife mir die Mückenschmiere und gleich noch meine Kamera. Ich rufe die anderen herbei und gemeinsam leuchten wir den geduldigen Achtbeiner so aus, dass jedem von uns ein gutes Foto ohne zu harten Schatten wurf gelingt und ich muss wieder mal feststellen, dass mich solche „Kleinigkeiten“ zunehmend begeistern. Beglückt schicke ich mich an, meine Kamera wieder zu ver-stauen, als Patricia mich fragt, ob ich eigentlich auch den Frosch in der Damendusche gesehen hätte. Frosch? Nein, ich habe keinen gesehen. Aber kein Wunder, bin ich doch ohne Brille blind wie ein Maulwurf. Ob der wohl noch da ist? Auch Sven ist sofort Feuer und Flamme und wir ziehen zu dritt los.

Patricia und ich checken die Lage im Damenwaschhaus, aus dem uns gerade wieder ein Pärchen entgegenkommt, kamera-bewaffnet weisen sie uns auf den Frosch hin. Aha, das hat sich also schon herum gesprochen. Und da sitzt er, ganz hinten im Eck, bräunlich mit sandfarbenen Flecken und roten Beinchen, ein Angolanischer Riedfrosch (Hyperolius parallelus). Wie die Spinne lässt auch er sich geduldig ablichten. So, dann können wir ja jetzt wieder zurück gehen. Aber nein, halt, wenn ich schon da bin, dann geh ich gleich noch aufs Klo. Ich sitze gerade auf dem Topf, Patricia und Sven haben mich für mein Bedürfnis alleine gelassen, als jemand das Waschhaus betritt. Schritte klacken über den Fliesenboden, bleiben vor meiner Tür stehen, gehen wieder zurück. Dann ruft eine Frauenstimme: „No, wait, there’s still somebody in here.“ Ah, kombiniere ich, da will wohl noch jemand den Frosch fotografieren und in-formiere die Stimme, dass sie ruhig hereinkommen könnten, es würde mich nicht stören. Keine Reaktion, keine Antwort. Komisch. Als ich fertig bin und die Klotüre öffne, sehe ich eine junge Schwarze mit verschränkten Armen vor den Waschbecken stehen. Sie ist extrem auffällig geschminkt, steckt in einem hautengen, knappen Kleidchen und gewagten Plateau-High-

heels. Statt meinen Gruß zu erwidern, sieht sie mich nur feindselig an. Vor der Tür warten zwei junge Herren, die keine Kamera dabei haben und auch nicht aussehen, als wollten sie fotografieren. Sie ignorieren ebenfalls meinen Abendgruß. Kaum habe ich das Waschhaus verlassen, stürmen die beiden Männer hinein und die Eingangstüre wird mit einem ver-nehmlichen Klack von innen verriegelt. Na, dann viel Spaß und vergesst die Kondome nicht!

Zurück am Platz erzähle ich von meinem Erlebnis und auch die anderen finden das Ganze reichlich befremdlich. Zumal eine halbe Stunde später besagte Lady alleine an uns vorbei-stöckelt und Richtung Campground-Ausgang verschwindet. Die beiden Herren sind nirgendwo zu sehen. Es geht uns ja nichts an, macht aber den Platz nicht unbedingt sympathi-scher … Trotzdem oder gerade deswegen lassen wir den Abend noch gemütlich plauschend ausklingen, bevor wir müde in die Federn kriechen und uns von den Fröschen des nahen Kwando in den Schlaf quaken lassen.

11. November 2009

Camp Kwando – Mudumu NP – Chobe NP, Ihaha

Kurz vor Sonnenaufgang schälen wir uns alle aus den Zelten, frühstücken schnell, räumen die Zelte aus, dann machen Jochen, Tommi, Sven, Patricia, Heinz und ich uns auf den Weg in den Mudumu NP. Jürg und Annette werden für ihren Schul-besuch erst gegen 8 Uhr abgeholt und sind bis dahin für den Lagerabbau zuständig. Kein schlechtes Gefühl – unterwegs zum Morning Drive, ohne später noch groß rumräumen zu müssen. Gegen sieben Uhr kurven wir durch die Parkein-gangsschranke und kommen kurz darauf im Rangercamp an, wo wir gerne unseren Tagesbesuch anmelden möchten. Doch das Büro ist verschlossen, niemand ist zu sehen. Wir vertrauen auf den tuckernden Lärm unserer Landys bei der Ankunft, der sicher einen Ranger aus Morpheus Armen gerissen hat. In-zwischen sehen wir uns etwas um. Das umzäunte Rangercamp ist von frisch austreibenden Mopanebüschen umgeben, aus denen bereits zu dieser frühen Stunde infernalischer Lärm

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hervorsirrt. Das müssen Abertausende von Zikaden sein! Ihr Gesang bringt das Trommelfell auf einer Frequenz zum Vibrie-ren, die fast schmerzhaft ist. Die Meerkatzen allerdings, die sich neugierig turnend in einem höheren Baum herumtreiben, scheint das nicht zu stören, bringen aber dafür Tommis Adre-nalinspiegel für Sekunden auf Hochtouren. Er sieht den lan-gen Schwanz eines Affen aus dem Laub hängen und hält den peitschenden Schlauch für das hintere Ende eines Leoparden. Doch als er sich ungläubig die Augen reibt, stellt er seinen Irrtum fest – das wären auch erstaunlich viele und zudem noch extrem agile Raubkatzen. Trotzdem schade, das wär’s jetzt gewesen!

Dafür aber nähert sich federnden Schrittes ein khakige-wandeter Parkangestellter, der sich auch die Augen reibt – ein wenig schlaftrunken – als er die Tür zum Office aufschließt. Jochen verschwindet mit ihm im Büro, während wir weiter das Gelände inspizieren. Heinz stiefelt auf einmal zielstrebig los, auf die andere Seite des umzäunten Platzes. Seine schar-fen Augen haben etwas erspäht, was so recht nach seinem Geschmack ist: einen Gelbschnabeltoko, der immer wieder fütternderweise eine Bruthöhle anfliegt. Heinz findet den mit Schlamm zugemauerten Spalt und legt sich auf die Lauer, doch der Toko misstraut der Situation und stellt seine Anflüge ein. Um den Vogel nicht weiter zu stören, schießt Heinz nur noch schnell ein Dokumentarfoto und entfernt sich dann rücksichtsvoll. Zurück am Office zeigt er mir ganz begeistert das Bild von dem kunstvoll verschlossenen Spalt. Auf dem kleinen Display der Kamera sieht man Baumrinde, einen gleichfarbigen Saum und – als ich näher hineinzoome – ein

kugelrundes gelbes Auge, das durch den Schlitz späht! Super, Heinz hat, ohne es zu merken, die Tokomama erwischt, die voller Sorge um ihren Nachwuchs und den ausbleibenden Versorger einen Blick riskiert hat. Ein echtes Highlight, das nicht nur einen Vogelfreund wie Heinz in Begeisterung ver-setzt – da tut nicht mal die leichte Unschärfe des Bildes der Freude Abbruch.

Inzwischen sind die Anmeldeformalitäten erledigt und wir starten unseren Gamedrive. Gleich hinter der Ausfahrt des Rangercamps durchqueren wir ein Areal dichten Mopanes, in dem das Gesirre der Zikaden erneut zu unglaublicher Laut-stärke anschwillt. Wenn die Viecher dann wenigstens brav in ihren Büschen sitzen bleiben würden! Unser Auto jedoch schreckt sie auf und mit vernehmlichem Schnarren fliegen sie ziellos hoch; einige durchqueren unseren Landy, bei einem Fenster rein, beim anderen wieder raus. Und eine findet den Weg nach draußen nicht mehr, verfängt sich in der Sonnen-blende hinter meinem Rücken. Brrr, ist die groß! Aufgeregt surrt das 8-Zentimeter-Teil unter der Sonnenblende herum und ich, mit meiner mittelschweren Insektophobie, fühle mich akut bedroht, so dass Jochen mich retten muss. Gott, bin ich erleichtert, als das Monster endlich wieder draußen ist! Vor-sichtshalber kurble ich mein Fenster hoch, bis wir durch den Mopane durch sind. Das nützt zwar nicht viel, wenn alle an-deren offen sind, aber ich fühle mich trotzdem sicherer.

Kaum haben wir das Gestrüpp verlassen – eine offene Fläche tut sich vor uns auf – schnellt unser aller Adrenalinspiegel hoch: Wildhunde! Wir können es kaum fassen, dass wir die seltenen Caniden ausgerechnet hier zu sehen bekommen.

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Aber sie sind da, sieben an der Zahl und starren uns an, als könnten sie unsere Anwesenheit auch kaum fassen. Nach einem kurzen Moment der Unentschlossenheit nehmen sie ihre Pfoten unter den Arm und verschwinden gemächlich, aber zielstrebig im Dickicht. Wahnsinn, Wildhunde! Ein Erleb-nis der ganz besonderen Art. Zweimal erst in meinem Afrika-Reiseleben war mir das vergönnt. Das erste Mal 1993, als mein damaliger Freund Hans und ich auf einsamer Morgenpirsch im Krüger NP ein großes Rudel beinahe eine Stunde lang be-gleiteten – mit dem Auto auf der Gravel Road. Die Hunde waren damals fast in „Streichelnähe“ und ließen uns völlig ungestört an ihrem Treiben teilhaben, bevor sie die Straße und damit uns verließen. Das zweite Mal lief meiner Freundin Ute und mir ein noch größeres Rudel im Hwange NP in Sim-babwe über den Weg – sieben Jahre später.

Ganz beglückt setzen wir unsere Pirsch fort, durch zauber-hafte Landschaft, vorbei an kleinen Lagunen, bis wir kurz darauf erneut auf die Hunde stoßen, die sofort erkennen, dass sie wohl den falschen Fluchtweg gewählt haben. Diesmal reagieren sie schneller und schwupp, sind sie wieder ver-schwunden. Allein dafür hat sich der Mudumu-Besuch schon gelohnt, aber der kleine Park hält noch mehr für uns bereit. Beim nächsten Stopp, am Ufer eines kleinen Sees, finden wir weitere Kleinodien der Natur zu unseren Füßen: zitronen-gelbe, krausblütige Seerosen, smaragdgrün schillernde Käfer, zartblaue Commelina-Blüten und schon wieder ein paar Milli-peden, die hier noch größer sind als im Mahango. Einer der Tausendfüßer, die man immer kurz nach einem Regen zu Ge-sicht bekommt, ist am hinteren Ende verletzt und aus dem leicht eingedellten Chitinpanzer quillt bräunliche Flüssigkeit, die in regelmäßigen Abständen Blasen wirft – es ist offenbar Atemluft, die durch die verletzte Stelle entweicht. Hoffentlich überlebt er das; er macht zwar einen ganz munteren Eindruck, doch die Ameisen haben seine Schwachstelle schon ausge-macht und werden schön langsam zudringlich.

Nach dieser hochinteressanten Fußexkursion schwingen wir uns wieder in die Autos, aber die Route führt nun weg vom Wasser und recht viel mehr als Busch und vereinzelte Hippo-Abdrücke im feuchten Sand sind nicht zu sehen. Also drehen wir um, wieder am Wasser entlang, wo sich Hagedasch-Ibisse, Nilgänse und Waffenkibitze tummeln, zurück Richtung Ran-

gerstation. Achtung, Fenster zu, vorbei am Zikadenmopane und am Camp, bis wir auf der drüberen Seite in völlig anders-artiger, trockenerer Umgebung landen. Zwei Hornraben flüch-ten schwerfälligen Schrittes vor unseren Autos, bis sie sich doch zum Kraftakt eines schnellen Kurzfluges entschließen, ein Widahmännchen mit langen Schwanzfedern segelt an uns vorüber und wir legen einen weiteren Stopp an einem riesi-gen Termitenhügel ein, der offenbar nicht mehr von seinen Baumeistern bewohnt wird. Dafür hat ein anderes Lebewesen hier Wohnung bezogen, deutlich erkennbar am beachtlichen Eingangsloch. Wir überlegen, was für ein Tier das wohl sein könnte. Heinz fühlt sich durch den intensiven Geruch des wilden Salbeis (Mensch, der riecht doch gut!), der hier überall wuchert, an Raubtiere erinnert. Vielleicht ein Honigdachs? Doch bald ist das Rätsel gelöst, denn ich finde in der näheren Umgebung den schwarz-weiß gebänderten Stachel eines Por-cupines. Ja, Stachelschweine können auch ganz schön streng riechen! Nachdem ich nicht unbedingt auf dem Höhlendach des Nagers herum klettern möchte, widme ich mich der In-spektion der umliegenden Gefilde. Da gibt es unter anderem unzählige Libellen, die mein Interesse fesseln und auf die ich nun fotografische Jagd mache. Was gar nicht so einfach ist, denn wenn sich mal eines dieser hektisch schwirrenden Insekten niederlässt, dann meist auf der Spitze eines Halmes oder einer Ähre. Und die wogen sachte im Wind – sachte für das Auge aus der Entfernung, jedoch wild wackelnd für den Autofokus bei ausgefahrenem Zoom …

Bevor wir uns auch schon wieder für die Rückfahrt bereit machen müssen – wir wollten uns so um 11 Uhr in Camp Kwando treffen – gelingen mir doch noch ein paar ganz gute Bilder, die wohl Einzug in meine Libellen-Galerie halten werden. Bald sind wir wieder am Rangercamp, wo wir unsere Wild-hundsichtung melden. Gerade sind auch zwei Safariguides nebst Gästen dort vorgefahren, die gleich allesamt ob unserer Schilderung in höchste Erregung geraten. Wenn sie da nicht mal ein bisschen spät dran sind! Trotzdem beschreiben wir genau die zwei Wildhund-Plätze und wünschen viel Glück. Pünktlich um 11 Uhr erreichen wir Camp Kwando, Annette und Jürg sind Minuten vor uns von ihrem Schulbesuch zurück-gekommen und bersten geradezu vor neuen Eindrücke. Annette hört gar nicht mehr auf zu berichten, von den Kindern, die für

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Seite 29: Wildhunde; Diese Seite: Hornrabe

(Bucorvus leadbeateri); Hagedasch-Ibisse

(Bostrychia hagedash); 14-cm-Tausendfüßer;

an der Lagune; Commelina-Blüte;

Hornrabe im Tiefflug; Waffenkiebitz (Vanellus armatus);

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(Urothemis edwardsii)

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sie gesungen haben, von den Gesprächen mit Rektor und Lehr kräften, von der Klassenzusammensetzung und, und, und. Wir kommen lange nicht zu Wort, aber als wir schließlich doch von unserem Gamedrive und den Wildhunden berichten können, freut sie sich sehr für uns und bedauert gar ein bisschen, nicht dabei gewesen zu sein. Jürg, der die ganze Zeit still vor sich hin gestrahlt hat, freut sich nicht minder über unsere Sichtung, noch mehr aber über seinen Kontakt zur einhei-mischen Bevölkerung, den er auf unserer letztjährigen Tour schon so sehr vermisst hatte. Während er uns eine phantasti-sche Tonaufnahme vom Gesang der Kinder präsentiert, geht am nahen Pool mittlerweile die Post ab. Ein zotteliger Hund, vor Sand und Schlamm starrend, springt aufgeregt um das blaue Becken. Sein Herrchen, im Pool sitzend, lockt den Köter mit süßen Worten und Sven stellt es die Nackenhaare auf, als das Vieh mit einem lauten Platsch neben Herrchen landet. Mei, ist das fein, wie sich das klare Wasser trübt und die langen Zottelhaare wie Tang in den Wellen wogen! „Und da war ich gestern drin!“, ekelt sich Sven, völlig zu recht, denn die Töle hat im Pool wirklich nichts zu suchen. Es wird nun echt Zeit, dass wir dieses merkwürdige Camp verlassen!

Schnell noch abgespült, die restlichen Sachen eingepackt und wir sind wieder unterwegs Richtung Grenzübergang. In Katima Mulilo tanken wir beide Fahrzeuge nochmal voll und erledigen letzte Einkäufe vor der Chobe-Moremi-Tour im ört-lichen SuperSpar. Es ist unsäglich heiß, am Parkplatz leiern halbwüchsige Jungs ihre nahezu unverständlichen Bettel-sprüche mechanisch herunter und wir schwitzen in der prallen Sonne. Wie heiß aber muss es erst den zahlreichen „Weih-nachtsmännern“ sein, Angestellten des Supermarktes, die, an-getan mit roten Nikolausmützen aus Plüsch, Kunden zu vor-weihnachtlichen Käufen animieren sollen. Weihnachtliche Gefühle sind ohnehin nicht so meins, aber unter diesen Temperatur-Umständen käme nicht mal ein Funke davon auf. Das Ganze wirkt etwas grotesk, aber naja, bei uns daheim wird ja auch schon lange vor dem Fest der Feste die feierliche Laune durch allerlei Beiwerk angekurbelt – nur ist es da halt viel kälter …

Mit frischen, kühlen Softdrinks in der Hand verlassen wir schließlich leichten Herzens den Supermarktparkplatz und er-reichen kurz darauf den namibischen Grenzposten. Wir prä-

sentieren alle vorhandenen Unterlagen, der Officer ist soweit zufrieden, aber leider kann er die Schranke nicht für uns öffnen, denn ein Papier fehlt doch: die namibische Einfuhrbe-scheinigung für den weißen Landy von „Just done it!“ – er hat eine südafrikanische Zulassung. Bereits bei der Übergabe wurde die Bescheinigung von Jochen als fehlend bemängelt, vom Vermieter jedoch als unwichtig abgetan – klar, er hatte sie wohl vom letzten Mieter nicht eingefordert. Jetzt haben wir das Problem, bei dem der Officer offensichtlich gerne ein Auge zudrücken würde. Leider aber steht er unter der Beob-achtung von mehreren Kollegen, die gelangweilt am Schlag-baum herumlungern und genau zusehen, was hier passiert. Derart unter Zugzwang bleibt ihm nicht viel anderes, als den korrekten Weg zu gehen. Tommi, der Fahrer des weißen Landys, muss das fehlende Papier pro forma für 300 NAM-Dollar im benachbarten Verwaltungsgebäude „nachkaufen“. Jochen und Tommi nehmen diesen Gang gemeinsam auf sich, wir hinge-gen verbringen die nächste Stunde hoffend vor der Grenz-schranke. Gerade ergehen wir uns in der wenig erheiternden Vorstellung, wie es wohl wäre, hier nächtigen zu müssen, als die beiden mit der gekauften Bescheinigung dem Bürokratie-sumpf entsteigen und wir endlich passieren dürfen.

Also nix wie durch, bevor noch etwas zu Bemängelndes ge-funden wird, über die Chobe-Brücke hinüber, bis zur bots -wa nischen Grenze. Hier geht alles reibungslos vonstatten, wir werfen schnell noch einen ungläubigen Blick auf das fast trockene Chobebett hinter dem Grenzzaun, bevor wir die botswanische Schranke hinter uns lassen. Ein paar geteerte Kilometer noch, dann geht es links ab zum Ngoma Gate. Die recht sandige Zufahrt zur River Front ist aufgrund der ver-gangenen Regenfälle sehr kompakt und richtig gut zu fahren. Tiertechnisch hingegen ist wenig geboten – roter Sand, dürre Büsche und ein paar Paviane. Erst als wir gegen 18 Uhr am dünnen Rinnsal Chobe ankommen, präsentiert sich der Nationalpark wie gewohnt. Einige Giraffen, hier ein Elefant, da ein paar Büffel und sogar zwei Hyänen. Es ist schön, wieder hier zu sein, aber genießen können wir das zum jetzigen Zeit-punkt nicht so richtig, denn es dämmert schon leicht und Eile ist angesagt – Ihaha ist noch 22 Kilometer entfernt.

Um 19 Uhr passieren wir bei völliger Dunkelheit das Camp-gate, das mittlerweile nicht mehr besetzt ist. Kein Problem,

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dann melden wir uns halt morgen. Ohne weitere Verzögerung steuern wir unseren gebuchten Platz an, Site 10, ganz hinten links. Schon in Höhe von Platz 9 schwant uns Böses, denn auf „unserem“ Platz brennt Licht. Und Tatsache – ein südafrika-nisches Ehepaar mit großem Camper hat sich hier häuslich niedergelassen. Die beiden Okkupanten kommen uns zöger-lich und mit sichtlich abwehrender Körperhaltung entgegen. Wir steigen aus den Autos, um die Sache zu klären, doch unsere Chancen stehen schlecht, denn es ist bereits 19 Uhr, also eine Stunde nach offizieller Anreise-Deadline. Wenn ein reservierter Platz bis 18 Uhr nicht eingenommen wird, kann er anderweitig vergeben werden. Allerdings sieht das Camp der beiden Südafrikaner sehr wohnlich aus, was die Vermutung nahelegt, dass sie schon deutlich länger als eine Stunde hier stehen. Wir sind alle erschöpft von einem langen Tag und ein wenig gereizt ob der Situation, besonders Tommi. Ohne Be-grüßung oder einleitende Worte geht er verbal auf die beiden los. Er ist tierisch in Rage und auch Annette lässt ihren geball-ten Frust auf die zwei niederregnen. Die Südafrikaner stellen sofort auf stur, die Möglichkeit einer sachlichen Klärung oder gütlichen Einigung ist so nicht mehr gegeben. Auch ich bin sauer, schließlich erlebe ich nicht zum ersten Mal, dass ein von uns reservierter Platz von anderen besetzt wurde, aber so kommen wir halt auch nicht weiter. Jochen und ich machen uns deshalb kurzerhand auf den Weg ins ein paar Kilometer entfernte Rangercamp, um die Sache offiziell zu klären.

Doch so weit müssen wir gar nicht fahren: in Höhe des Waschhauses sichten wir einen offiziellen Wagen, halten da-neben an und informieren den Ranger, dass wir ein Problem mit einer Reservierung hätten. Ob es dabei um Platz 10 ginge, fragt der Knabe – doch das hatten wir noch gar nicht erwähnt! So, so, da ist also wahrscheinlich tatsächlich etwas unter der Hand gelaufen. Dennoch begleitet uns der Ranger bereitwillig zur den Südafrikanern, angeblich um die Sache zu klären. Beim Gespräch sind wir leider nicht erwünscht, aus der Ent-fernung aber sehen wir, dass das Ehepaar ganz sicher keine Reservierungsbestätigung vorzeigt – wenn sie denn über-haupt eingefordert wurde. Nach einer Weile kommt der Ranger zurück und erklärt, da wäre leider etwas blöd gelaufen bei unserer Reservierung, die Südafrikaner stünden zudem schon seit zwei Tagen hier und alles wäre rechtens. Unsere Frage, ob

die beiden denn eine Reservierung hätten vorweisen können, ignoriert er geflissentlich. Tja, damit müssen wir wohl oder übel leben, brauchen jetzt aber ganz dringend einen Ersatz-platz. Wir bekommen Platz 3 offeriert; hier könnten wir unsere zwei gebuchten Nächte bleiben oder aber auf der Reservesite, allerdings mit der Option, morgen, nach Abreise der beiden Südafrikaner auf unseren Platz 10 zu ziehen. Ach nö, bitte nicht umziehen, wenn wir schon mal zwei Nächte an einem Ort sind! Leider ist Platz 3 keine Alternative, er ist definitiv zu klein für unsere 5 Zelte. Also lassen wir uns doch den Reserve-platz zeigen, der am anderen Ende des Camps liegt, direkt am Ufer des Chobe. Er sieht eigentlich ganz gut aus und sogar der nächste Wasserhahn ist in akzeptabler Nähe. Wir beschließen deshalb, für beide Nächte hier unsere Zelte aufzuschlagen, halten uns aber die Möglichkeit offen, doch eventuell auf Site 10 umziehen zu dürfen, sollten sich irgendwelche Schwach-stellen herauskristallisieren.

Der Ranger zieht zufrieden ab und wir parken die Autos an der trockenen Uferkante, um den Platz zu erleuchten. Und schon offenbart sich ein nicht unerhebliches Manko: aus dem scheinbar trockenen Chobebett entsteigen Myriaden von In-sekten, angelockt durch unsere Scheinwerfer. Es sind keine Mücken – da ginge ja noch – sondern viel, viel größeres Kroppzeug und das in einer Dichte, wie ich es noch nie erlebt habe! Überall brummt, surrt und krabbelt es; im Gesicht, in den Ohren, in der Nase, dem Kragen, unter T-Shirt und Hose. Wedelnd und um uns schlagend bauen wir die Zelte auf, immer wieder quiekt einer von uns und hüpft flüchtend über den Platz. Als ich die Matten und Schlafsäcke eilig ins Zelt pfeffere, mag ich mir gar nicht genauer ausmalen, was da jetzt alles mit hinein geflogen ist. Oh mein Gott – ich will hier weg – und sicher nicht nur ich! Doch es hilft nichts, wir müssen das Beste daraus machen und zudem noch die Tische aufbauen, Kisten ausladen, etwas kochen und essen. Wir schleppen das ganze Küchenzeug ein paar Meter weiter nach oben, an den Kochplatz von Site 1, weil uns da die Insektenplage etwas weniger heftig vorkommt. Doch es ist immer noch unsäglich …

Vor einigen Jahren war ich auf Ayurveda-Urlaub in Indien; in meinem kleinen Öko-Bungalow erschienen pünktlich zur Dunkelheit Hunderte von Käfern, Ameisen und diverses Flatter zeug, von denen sich des Morgens ein Gutteil tot in

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meinem Bett wiederfand. Ich war völlig fertig und wollte nach zwei Tagen wieder abreisen. Von einem Moment auf den anderen aber, als ob es Klick gemacht hätte, fand ich mich damit ab und genoß meinen Aufenthalt – übrigens als einziger Gast der Bungalow-Anlage. Zum Abschied nach drei Wochen bekam ich vom Manager Blumen überreicht, gekrönt von der aufschlussreichen Erklärung, es hätte noch nie jemand so lange hier ausgehalten. Damals dachte ich, es wäre mit das Heftigste, was man insektentechnisch erleben könne, aber unsere Reserve site toppt das um ein Vielfaches.

Und auch jetzt macht es glücklicherweise irgendwie Klick und ich merke, wie Ekel und Panik von mir abfallen. Heinz drückt seine Ungläubigkeit über die Chitin-Invasion mit einem prägnanten „Ah, leck!“ aus, nimmt das Ganze aber ansonsten mit stoischer Ruhe, worüber ich unglaublich froh bin, gepaart mit ein wenig Stolz auf meinen Süßen. Annette in ihrer Rolle als Gastgeberin hingegen ist fix und fertig, den Tränen nahe und krallt sich wortlos an einer Dose Bier fest, deren Öffnung sie sorgfältig mit dem Finger zuhält. Das allerdings wäre nicht nötig, denn das Kroppzeug hier ist viel zu groß, um in eine Bierdose kriechen zu können …

Heinz, gelassen und hungrig, nimmt das Heft in die Hand und beginnt in aller Seelenruhe mit den Kochvorbereitungen. Jürg und ich gehen ihm zur Hand, mehr oder weniger im Blindflug, sprich fast ohne Beleuchtung, denn eine Lichtquelle zöge einfach zu viele Insekten an. Das hat aber auch eine gute Seite; im diffusen Mondlicht sehen wir wenigsten nicht so genau, was wir da an Proteinen mitschnibbeln und -kochen. Schließlich servieren wir unsere Nudel-Tomatensaucen- Chitin-Kreation und beginnen schweigend zu essen – nur nicht zu oft den Mund öffnen! Die Pasta à la Ihaha schmeckt wirklich hervorragend, insbesondere wenn man nicht über die Zutaten im Einzelnen nachdenkt. Annette ist zutiefst erleich-tert, dass wir alle die Situation so gut gelaunt hinnehmen und fasst sich allmählich wieder. So leicht lassen wir uns eben nicht aus der Bahn werfen.

Heinz hat mittlerweile sogar anscheinend richtig Gefallen an unseren Krabbelgästen gefunden und fingert immer wieder begeistert an riesigen Stabheuschrecken, Zikaden und Gottes-anbeterinnen herum. Gerne würde er mir ihre Schönheit nahe- bringen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und zugegeben, sie

sind schön, aber ich mag sie einfach nicht auf der Haut sitzen haben. Zu einer 10-Zentimeter-Gottesanbeterin lasse ich mich noch überreden, quasi als Angsttherapie, aber mehr ver-krafte ich heute nicht. Auch nicht die Monsterzikade, die bei unserem Aufbruch ins Bett noch schnell auf dem Tisch landet. Wir stülpen ein Weinglas über sie – es ist fast zu klein – achten darauf, dass sie durch die Ritzen des Tisches ge nügend Luft bekommt und halten sie so fürs morgige Foto shooting fest. Dann kämpfen wir uns durch die insektenschwangere Luft zu unseren Zelten. Stirnlampen aus, Reiß verschluss auf, schnell rein und alles wieder dichtmachen! Jetzt können wir die Lampen wieder anschalten, unsere Matten aufblasen und ohne Sorge lauschen, wie unsere Zeltwand von lichtgeilen Insekten attackiert wird. Nachdem wir auch noch alle ungebetenen Gäste aus dem Inneren unserer Behausung entfernt haben – sooo viele sind es gar nicht – kuscheln wir uns aneinander, bequatschen leise den vergangenen Tag und schlafen bald erlebnissatt ein.

12. November 2009 Chobe NP, Ihaha

Die Sonne geht auf und ein vorsichtiger Blick aus der Zeltein-gangs-Gaze bestätigt, dass der Insektenspuk wie erwartet vorüber ist. Heinz und ich klettern aus unserem Zelt und las-sen die Blicke über die weite Chobe-Ebene schweifen, die zu anderen Jahreszeiten komplett von Wasser bedeckt ist. „Du, schau mal da hinten“, meint Heinz, in Richtung Osten deutend, „das sieht fast aus, als wären es Wildhunde!“ Angestrengt starre ich auf die sich bewegenden Punkte in weiter Ferne, richtig erkennen kann ich es nicht, aber die Größe, Farbe und das Bewegungsmuster könnten passen. Jochen hat die Tiere auch schon erspäht und nimmt ein Fernglas zu Hilfe. Jawohl, es sind Wildhunde! Er spurtet zum Auto, sammelt diejenigen unserer Gruppe ein, die mitkommen wollen und düst los. Sven baut schnell sein Spektiv auf und so kommen wir Hiergeblie-benen in den Genuss einer fast hautnahen Show. Die Hunde haben in der Nacht fette Beute gemacht, von der allerdings jetzt nicht mehr viel übrig ist. An den schlacksigen Resten

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zerren sie nun spielerisch herum, balgen und jagen sich in kur-zen, übermütigen Sprints über die Ebene. Doch bald sind sie des Morgenspiels überdrüssig und verdünnisieren sich zum Ver-dauungsnickerchen Richtung Namibia. Während Sven das Spektiv wieder einpackt, kommt der Ranger von gestern Abend des Weges gefahren und erkundigt sich nach unserem Befinden. Er stellt ganz normale, höfliche Fragen; ob wir denn gut ge-schlafen hätten, ob alles in Ordnung sei und ob es irgendwelche Vorkommnisse gegeben hätte. Ich kann mich trotz der Norma-lität seiner Fragen nicht des Eindrucks erwehren, dass sich eine gewisse lauernde Besorgnis, eine geheuchelte Unschuld hinter seinen Erkundigungen verbirgt; das Schlitzohr weiß sehr ge-nau, wo es uns da einquartiert hat. Alles sei in bester Ordnung,

wir hätten gerade Wildhunde gesehen und gestern Abend ganz viele interessante Insekten, berichte ich ihm. Wir müssten aller-dings beim Frühstück noch besprechen, ob wir auch die zweite Nacht hierblieben oder doch umziehen wollten; wir kämen dann später zum Office und würden Bescheid geben. Ich weiß nicht, ob er befürchtet hatte, hysterische Touristen am Rande ihrer nervlichen Belastungsgrenze anzutreffen, aber er scheint ein bisschen überrascht ob meiner positiven Schilderung und setzt sichtlich beruhigt seine Fahrt fort.

Wir gehen den Weg zum Kochplatz der Site 1 nach oben und fangen schon mal an, den Tisch fürs Frühstück zu herzurichten. Ach ja, da ist ja noch unsere Zikade! Vorsichtig lupfe ich das Wein-glas und betrachte das bewegungslose, ziemlich benommene

Oben: Riesenzikade aus der Oxypleura-Familie. Vorige Doppelseite: Abendlicht an der Riverfront. Folgende Seiten: Impalabock; Elefantenherde beim Baden; im Auge des Elefanten; der Büffel mit dem Grasrest im Mundwinkel.

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Insekt. Es ist wirklich eine Schönheit mit seinen großen Facet-tenaugen, den drei rötlichen Punktaugen auf der Stirn, den transparenten Flügeln, schwarz geädert, die weit über den pro-peren Körper hinausragen. Ganz aber traue ich dem Paralyse-Frieden nicht und beeile mich mit meiner Fotosession. Auch die anderen machen rasch noch Fotos, dann packt Heinz die Zikade vorsichtig am Brustpanzer, um sie in einen nahen Busch zu setzen. Doch kaum hat er sie berührt, fängt sie leb-haft an zu schnarren; Heinz gibt ihr Starthilfe mit einem leichten Schwung der Hand und schon knattert das hübsche Monster von dannen. Von wegen reglos, denke ich mir und bin heilfroh, dass das Rieseninsekt nicht früher zum Leben erwacht ist!

Wir nehmen allesamt, auch unsere Hundejäger sind mittler-weile wieder zurück, am insektenfreien Tisch Platz und wid-men uns einem ausgiebigem Frühstück. Mit frischem Toast und Rührei zwischen den Zähnen erörtern wir die Umzugs-frage, doch die Sache ist schnell geklärt: keiner hat Lust auf eine Lagerverlegung und das damit verbundene Gepacke, so also beschließen wir, uns erneut der abendlichen Invasion zu stellen. Ohne weiteres Herumgeräume können wir nach dem Abwasch auf Gamedrive gehen, immer am Chobeufer entlang, Richtung Osten. Die Lichtsituation an der Riverfront ist, wie immer, schwierig, was einfach daran liegt, dass die Sonne ihren täglichen Bogen parallel zum Ufer schlägt. War man über Nacht im Park, führt der Weg hinaus meist nach Osten, Rich-tung Kasane oder Kazungula, kommt man des Nachmittags im Park an, dann meist aus Kasane und man fährt westwärts, gegen die Sonne.

Wir fahren jetzt ostwärts, Richtung Serondela, immer dem strahlenden Planeten entgegen. Aber auch, wenn das eine oder andere Foto aufgrund dessen nicht so gut gelingt, finde ich persönlich das nicht so schlimm, schließlich habe ich Augen zum Sehen und ein Gehirn zum Speichern der Bilder. Und zu sehen gibt es hier verdammt viel! Nilwarane, Krokodile, Kudus, Impalas, Seeadler, Scharlachspinte, Elefanten, Büffel. Die meisten Tiere sind zum Greifen nahe, so wie das grasende Warzenschwein, der wiederkäuende Büffel mit den Gras resten im Mundwinkel, der Elefant, der mir sein Auge direkt in die Linse hält. Herrlich! Mehr noch begeistert mich aber, dass wir heuer aufgrund des extrem niedrigen Chobestandes Seiten-

wege befahren können, die in den vergangenen Jahren schlicht und einfach von Wasser bedeckt waren. So umkurven wir zum Beispiel eine in sandige Hügel gebettete Lagune, die von Kudus und Impalas umzingelt ist – die Umgebung hier erinnert an eine Mischung aus Golfplatz und Nordseedünen, wenn man sich die Antilopen wegdenkt. Das kabbelige Wasser der Lagune enthüllt für Sekunden etwas Dunkles, Nassglän-zendes. Hoppla, was war das? Ein Otter vielleicht? Wir halten an und legen uns auf die Lauer. Immer wieder zeigt sich das glänzende Objekt, das sich aber nicht von der Stelle bewegt. Als wir näher heranschleichen und erkennen, dass unser ver-meintlicher Otter ein flappendes Seerosenblatt ist, müssen wir herzlich lachen.

Auf der Weiterfahrt sichten wir einen toten Jungbüffel, der seinen Odem vor noch nicht allzu langer Zeit ausgehaucht hat. Gut abgenagt liegt der Kadaver in der glühenden Sonne und starrt uns aus leeren Augenhöhlen an. Zu gut abgenagt, als dass sich noch Raubtiere in der Nähe befänden … Bei der Gelegenheit stellen wir fest, dass wir noch keinen einzigen Löwen zu Gesicht bekommen haben, dafür aber an Wildhund-Überschuss leiden. Das ist mir auch noch nie passiert! Äußerst abwechslungsreich geht es so dahin, bis wir schließlich gegen Mittag die Picknicksite in Serondela erreichen. Wir packen ein wenig Lunch-Zubehör aus, doch der Mittagssnack wird schnell zur Nebensache. Erstens weht ein derart heftiger Wind, dass sogar volle Thermoskannen umzufallen drohen und zweitens marschiert gerade eine riesige Elefantenherde auf den zu Füßen des Picknickplatzes vorbeigluckernden Restchobe zu. Sechzig, siebzig, neunzig Tiere oder gar mehr? Wie eine graue Flut wogen sie aufs Wasser zu, stürzen sich trinkend, badend und prustend ins kühle Nass. Ohren flappen, Rüssel tasten, saugen, spritzen, man sieht runzelige Haut in verschiedenen Grautönen, wohliges Augenrollen, peitschende Quasten-schwänze. Fast möchte ich mich dazugesellen, besonders zu den Kälbern, die unter den wachsamen Augen ihrer Mütter und Tanten so ausgelassen toben. Das Ganze ist ein gewalti-ges, beeindruckendes, extrem fesselndes Schauspiel, das sich aber sehr plötzlich auflöst. Vor irgendetwas, einer Bewegung, einem Geräusch, einer Bedrohung, die wir nicht wahrnehmen, erschrecken die Elefanten und in einer unbeschreiblichen Stampede flüchten sie panisch aus dem Wasser. In gebühr-

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licher Entfernung des Flusslaufs halten sie eben-so plötzlich wieder an. Ach, jetzt sehen wir es auch: aus dem Ufergebüsch nähert sich eine weitere Herde, wesentlich kleiner zwar, aber wohl mit den größeren Rechten. Es sind viel-leicht vierzig Tiere, die nun ihren Platz im Wasser einnehmen und voller Wonne in die Fluten ein-tauchen. Nach ausgiebigen Planschereien und üppigen Trinkgelagen steigen sie zum Staubbad wieder an Land. Rote Fontänen trockener Erde wirbeln auf nasse Haut, unzählige Elefanten ste-hen, gehen, tun vor unseren Augen, dazwischen, wie neugierige Zuschauer, dekorieren Impalas, Kudus und Warzenschweine die Ebene. „Weißt Schneck“, sagt Heinz und legt seinen Kopf auf meine Schulter, „so hab’ ich mir das immer vor-gestellt. Wie man’s halt im Film sieht.“ Ich bin glücklich über das Erlebte, noch mehr aber da-rüber, dass die Natur, Afrika, meinem Süßen einen Teil seiner Erwartungen dergestalt erfüllt hat.

Wir verabschieden uns von der schon fast überbevölkerten Ebene; Annette, Jochen und Tommi fahren mit dem grünen Landy weiter nach Kazungula, um noch ein wenig Bürokratie-kram zu regeln. Wir, die restlichen Fünf der Gruppe, quetschen uns in das andere Auto und treten den Rückweg ins Camp an. Doch wir kom-men nur sehr langsam voran – überall stehen Elefanten auf dem Weg und lassen sich von un-serem tuckernden Motor in keinster Weise beschleunigen. Es ist schon ein tolles Gefühl, hier mitten unter den Dickhäutern zu stehen und es zudem nicht eilig zu haben!

Nach drei kurzweiligen Stunden kommen wir in Ihaha an und eine böse Überraschung erwartet uns dort. Alle Zelte, bis auf Heinz’ und meines, liegen flach am Boden, die Planen bauschen sich im heftigen Wind. Aha, diesmal waren also nicht Paviane die Übeltäter, sondern die starken, von der Nachmittagsthermik verursachten Böen! Bei der steifen Brise macht ein Wiederaufbau keinen

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Sinn, also beschweren wir die traurigen Haufen lediglich mit Steinen, um weite-ren Schaden zu verhindern und widmen uns angenehmeren Dingen. Etwas Kühles trinken, zum Beispiel, Wäsche waschen, in Ruhe duschen, Tagebuch nachtragen, Daten sichten, Gepräche führen oder ein-fach nur mal abhängen. So ein gemäch-licher Nachmittag ohne dauernden Wild-life-Input tut auch mal ganz gut, vergeht aber viel zu schnell. Gegen 17 Uhr kommen die anderen aus Kazungula zurück, wo sie endlich die fällige Roadtax bezahlen konnten, die man gestern an der Grenze nicht entgegennehmen wollte. Ein lästi-ger Umweg für alle, die über Ngoma Bridge einreisen – ob es sich bei dieser Regelung um eine dauerhafte oder nur vorübergehende handelt, konnte man uns übrigens nicht sagen.

Über unseren gegenseitigen Erlebnis-berichten ist mittlerweile die Sonne tiefer gesunken, die Thermikwinde lassen nach und wir können an den Wiederaufbau unserer Zelte gehen. Alle haben es schad-los überstanden, nur an Tommis Zelt ist ein Gestänge gebrochen, aber auch das lässt sich mit simplen Mitteln ziemlich zu-friedenstellend reparieren. Und dann wird es Zeit für den Evening Drive, der uns, wie sollte es anders sein, Richtung Westen, der untergehenden Sonne entgegen führt. Wir fahren an der Uferkante ent-lang, wo wir bald auf eine Büffelherde stoßen, die in malerischem, aber natür-lich schwierigem Licht den rinnsaligen Chobe durchquert, hinüber nach Namibia. Eines der Tiere liegt ein wenig abseits der Herde im Schlamm und zunächst wundern wir uns etwas über dieses Verhalten. Alle ziehen, nur einer suhlt sich noch gemüt-

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lich? Das wäre in der Tat ungewöhnlich, aber schnell erkennen wir, dass der einzelne Büffel seiner Herde gar nicht folgen kann, selbst wenn er wollte – er steckt im Schlamm fest. Seine Lage ist ziemlich hoffnungslos und er scheint zudem recht entkräftet. Ab und zu hebt er mühevoll den schlammverkrusteten Kopf und ver-sucht ihn Richtung Herde zu wenden, was ihm aber nicht mehr gelingt. Seine Kumpels nehmen nicht die geringste Notiz von der Misere ihres Artgenossen, lassen sich auch von seinem leisen Schnauben und Muhen nicht beeindrucken, sondern durch queren einer nach dem anderen den schmalen Flussarm. Der Büffel dauert uns unendlich, aber es ist, wie es ist – der Gang der Natur. Mit ein wenig schlechtem Gewissen hoffen wir sogar, morgen früh hier vielleicht Geier, Hyänen oder Löwen vorzufinden – pfui!

Mit derartigen Hoffnungen im Hinterkopf beobachten wir noch einen ungewöhnlich flauen Sonnenuntergang, bevor wir in der beginnenden Dunkelheit in unser Insektenparadies zurück-kehren. Ja, sie sind alle wieder da, unsere Chitin-Freunde, aber diesmal sind wir schlauer und vermeiden es tunlichst, Licht anzu-machen. So lässt es sich einigermaßen aushalten, die Schnibbel-arbeiten funktionieren auch im Dunkeln, aber als es an das Stecken unserer Grillspießchen geht, lassen wir doch unsere Stirnlampen leuchten – abwechselnd, im Minuten takt. Denn der-jenige mit der angeschalteten Lampe auf dem Kopf hat nicht nur Erhellungsfunktion, sondern leider auch die Arschlochkarte: wie vom Magneten gezogen landen unsägliche Mengen von Insekten in des jeweiligen Lichtträgers Gesicht. Tapfer vollenden wir unser Werk und schließlich brutzeln die Spießchen appetitlich duftend auf dem Grillrost – bereichert durch allerlei zusätzliches Protein – und bescheren uns bald ein genussvolles Abendessen. Auf ein anschließendes Betthupferl-Bier verzichten wir heute allerdings und ziehen uns allesamt recht früh in unsere Zelte zurück, denn das ist der einzige Ort, an dem das Dauergekrabbel zuverlässig ein Ende hat. Sofern man sich vorher sorgfältig ausschüttelt …

Heinz hat heute Abend nicht ein einziges Mal „Ah, leck!“ gesagt und ich hoffe, dass er das in diesem Urlaub auch nie mehr sagen muss. Eine vage Hoffnung, denn bevor wir in die eher trockene Zentralkalahari kommen, haben wir noch ein paar deutlich feuchtere Gebiete hinter uns zu bringen, in denen der an die einsetzende Regenzeit gebundene Insektenreichtum durchaus eine Rolle spielen könnte. Wir werden sehen.

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13. November 2009 Chobe NP, Ihaha – Linyanti

Heute morgen kommen uns keine Wildhunde besuchen, der Ranger scheint auch nicht mehr um unsere nervliche Disposi-tion besorgt – so also können wir nach dem Frühstück zügig und ohne Verzögerungen packen. Im ersten Sonnenlicht, das heute – man beachte – ausnahmsweise von hinten leuchtet, kommen wir bei unserem Büffel an. Das arme Tier hat die Nacht nicht überlebt und liegt mit bereits aufgeblähtem Bauch im Schlamm. Allerdings scheint es sich im letzten Todes kampf doch noch aus dem zähen Erdbrei befreit zu haben, bevor es die Kräfte endgültig verließen. Des Büffels Ableben hat sich zu unserem Bedauern noch nicht herumgesprochen; der Himmel ist geierfrei und die örtliche Raubtierfraktion glänzt bis dato mit Absenz. Schade für uns; trotzdem sind wir froh, dass das bedauernswerte Rind nun alle Qualen hinter sich hat.

Hier regiert der Tod, ein, zwei Kilometer weiter hingegen tobt das Leben: wir stoßen auf eine Ellipsenwasserbock-Herde, die flauschigen Nachwuchs mit sich führt. Neugierig und ohne Scheu werden wir beäugt, erst die Aufregung einiger Meerkatzenmamas bringt Unruhe in die Böcke, die nun sicher-heitshalber auch auf Abstand gehen. Aus dem niedrigen Ge-büsch links von uns jedoch naht bereits Sighting-Nachschub in Form zahlreicher Rappenantilopen. Die wunderschönen Tiere mit den beeindruckenden Hörnern haben uns natürlich auch schon gesehen und erweitern ihren geplanten Weg zum Wasser in einem großzügigen Bogen; immer wieder halten sie an, spähen misstrauisch zu uns herüber. Wir verhalten uns ein-fach ganz still und unsere Geduld wird bald mit trinkenden Rappenantilopen belohnt, denen wir uns nun vorsichtig nähern. Während wir die Tiere beim Trinken beobachten, dringt lautes Vogelgezwitscher in unsere Ohren. Eine riesige Kolonie von Scharlachspinten (Merops nubicus) haust auf der anderen Flussseite auf einem sandigen Areal in Fussballfeldgröße. Eifrig gehen die Vögel ihren Aufzuchtgeschäften nach, es ist ein permanentes Kommen und Gehen. Hunderte von Spinten sitzen auf dem Boden und mindestens ebenso viele sind auf Insektenfang in der Luft unterwegs. Zu unserem Entzücken ist der tote Baum, unter dem wir stehen, der bevorzugte Platz

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für Zwischenlandungen. Im Sekundentakt landen die farben-prächtigen Bienenfresser mit und ohne Beute im Schnabel direkt über unseren Köpfen, präsentieren ihr in allen Rot-, Pink- und Türkistönen leuchtendes Gefieder, das sich kon-trastreich vom makellosen Blau des Himmels abhebt, bevor sie im nächsten Moment weiterfliegen. Weiter oben in den Lüften segeln auch noch größere Vögel: jede Menge Weißrücken- (Gyps africanus) und sogar ein paar Ohrengeier (Aegypius tracheliotos), die offenbar Wind vom verendeten Büffel be-kommen haben. Wir sind so fasziniert vom Luftverkehr, dass wir beinahe den Abzug der Rappenantilopen nicht mitbekommen.

Und auch wir sollten schön langsam weiterziehen, denn unser heutiges Tagesziel ist das Camp am Linyanti – das sind noch ein paar Kilometer. Bevor der Weg aus dem Park vom Chobe River wegführt, treffen wir abermals auf eine große Elefantenherde. Umzingelt von den Dickhäutern lauschen wir genüsslich deren rumpelnder Unterhaltung, dem leisen Pfeifen der borstigen Schwanzhaare, wenn sie durch die Luft ge-peitscht werden und dem klatschenden Flappen der Ohren. Als hätten sie Verständnis für unseren Zeitplan, verkrümeln sich die grauen Riesen aber bald und wir können weiter.

Schnell sind wir am Gate, checken aus und setzen unseren Weg zum Linyanti auf der Public Road fort, die wir kaum wieder erkennen. Die Straße über Mabele, Kavimba und Kachi-kau war noch nie die beste, aber der Zustand, in dem sie sich jetzt befindet, ist ziemlich erbärmlich. Wellblech vom Feinsten, trügerisch glatte Abschnitte zusammengeschobenen Gravels, dessen Schwammigkeit das Auto zum Schwimmen bringt und badewannentiefe Schlaglöcher wechseln einander ab. Der Grund für den schlechten Zustand ist offensichtlich: es wird eine neue Straße gebaut, parallel zur alten. Alle naslang kommen uns schwere Baufahrzeuge entgegen, die uns in dichten Staub einhüllen und frischen Schotter für die in der Fertigstellungsphase befindlichen Bauabschnitte bringen. Uns dauern die armen Menschen, die hier entlang dieser Strecke leben, ihre Hütten und Häuser sind weiß vom Staub der Bau-

Vorige Doppelseite: friedvolle Abendstimmung am Chobe River.Links: Scharlachspint. Rechts – von oben nach unten: Weiß-rücken- und Ohrengeier; Ellipsenwasserböcke; Rappenantilope.

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arbeiten und des hochfrequenten Schwerverkehrs. Wenn die Straße fertig ist, profitieren sie sicher von der verbesserten Verkehrsanbindung, aber die Zeit bis dahin muss erst mal überstanden werden. Wie wir zu unserem zusätz-lichen Leidwesen feststellen müssen, gibt es bei diesem Bauprojekt Verlierer, die nichts mehr zu überstehen haben: Baobabs! Unzählige dieser markanten Bäume, die wir jeden einzeln aus den vergangenen Jahren praktisch persön-lich kennen, sind der Trasse bereits zum Opfer gefallen. Auf den weiteren, schon abgesteckten Bauabschnitten sind noch viel mehr Kandidaten aus-zumachen, deren mächtige Stämme wohl bald von der Vertikalen in die Horizontale befördert werden. Wenigstens existieren die beiden Straßen-wächter-Baobabs zwischen Kavimba und Kachikau noch und wir hoffen, dass sie überleben werden, stehen sie der neuen Trasse ja nicht wirklich im Weg. Doch die sich abzeichnende Entwicklung gefällt mir nicht: der Bau eines relativen Highways vom nördlichen Chobeteil nach Kachikau – und was kommt noch? Eine Easy-Going-Verbindung bis zum Moremi, vielleicht noch eine gepflegte Gravel Road hinüber zum Linyanti? Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits Neckermann-Busse an einem meiner Lieblingsplätze …

Noch aber präsentiert sich die Linyanti-Zufahrt ab Kachikau wie gehabt. Fast unvermittelt zweigt eine tiefsandige Spur nach rechts ab, die Beschilde-rung ist marginal. Heinz staunt nicht schlecht, als ich ihm verkünde, dass das die Straße ist, die uns nun über die nächsten 77 Kilometer bis hin zum Lin-yanti bringen wird. Sein Staunen gilt einerseits der Konsistenz der Strecke, andererseits aber viel mehr der Tatsache, dass ich die eingefräste Spur ohne mit der Wimper zu zucken „Straße“ nenne. Jochen, alter 4x4-Hase, der er ist, steuert unseren grünen Landy lässig über die sandigen Steigungen. Tommi, australienerfahren und Fahrer des zweiten Autos, hat mit Eingewöhnungs-schwierigkeiten zu kämpfen – mehrmals halten wir an und warten besorgt auf unsere Nachhut, doch tapfer ackert Tommi hinter uns her. Nach einer Weile wird die Strecke ebener und ist fast problemlos zu befahren, denn auch hier hat offenbar bereits ein wenig Regen für die Verdichtung des Sandes gesorgt. Die Route durch das Chobe Forest Reserve – Sandspur durch Busch-land – ist relativ öde, bald aber fesselt wieder etwas bereits fast Vertrautes unsere Aufmerksamkeit. Es ist der an- und abschwellende Lärm der Zikaden, die frisch getriebenen Mopane so sehr schätzen.

Links: die beiden Straßenwächter-Baobabs bei Kachikau stehen noch; Zufahrt zum Linyanti; Heinz lockt den Haubenbartvogel – der Glanzstar ist auch neugierig; Blick von der Linyanti-Campsite mit dem abgebrochenen Muster-Ast. Rechts: Haubenbartvogel. Nächste Seite: der Grünschwanz-Glanzstar darf nur noch von ferne zusehen.

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Als der Lärm gerade wieder infernalisch wird, halten wir an. Jürg, der ein hochempfindliches Aufnahmegerät bei sich hat, will den Krach unbedingt digital festhalten. Es ist eine un-glaubliche Geräuschkulisse; das in der Luft vibrierende Surren ist mit Worten nicht zu beschreiben – es bereitet fast körper-liche Schmerzen. Jürg marschiert mit seinem Rekorder in die Büsche, wir versuchen die Zikaden zu Gesicht zu bekommen. Ab und zu geht eine Bewegung durch die Luft – das könnte eine gewesen sein. Obwohl wir wissen, wonach wir suchen (Ihaha sei Dank), jetzt und hier verbergen sich die Insekten in

ihrer sichtbaren Präsenz vor uns. „Ah, da war grade eine!“, lese ich von Heinz’ Lippen, der nur drei Meter von mir entfernt steht, seine Worte hingegen kann ich nicht hören. Der Rest unserer Truppe hat sich hinter einem der Autos verschanzt, in der Hoffnung, sich hier unterhalten zu können, aber sie müssen dazu sehr laut sprechen – wie in einer Disco. Jürg wedelt mit den Armen, signalisiert uns, doch bitte ruhig zu sein, denn im Gegensatz zu uns Menschen nimmt sein Aufnahmegerät unsere Stimmen sehr deutlich wahr. Das aber kann keiner so recht glauben, also schnattern wir munter weiter, knacken

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mit Zweigen, schlagen mit Autotüren und treiben Jürg zur Verzweiflung. Er dringt weiter in das Buschwerk vor, kehrt aber bald resigniert zurück. „Verdammt, ihr seid zu laut!“, formen seine Lippen, als er auf uns zu marschiert – seine her-vortretenden Halsadern zeigen, dass er dabei richtig schreit, aber in unseren Ohren kommt auch aus dieser geringen Ent-fernung lediglich Zikadenlärm an.

Es ist faszinierend, welchen Radau diese etwa nur 10 Zenti-meter großen Insekten erzeugen und zu gerne hätte ich live sehen wollen, wie sie das genau machen. Aber da sich ja keine blicken lässt, muss ich im Insektenführer nachlesen: die Männ-chen – und nur die – besitzen ein paariges Lauterzeugungs-Organ, Tymbal genannt. Diese runden Membranen befinden sich auf beiden Seiten des Hinterleibs und werden durch starke, sehr schnelle Kontraktionen des Singmuskels zum Schwingen gebracht. Für die nötige Resonanz sorgt ein da-runter liegender Luftsack und fertig ist der Lärm. Dieser ohren-betäubende Gesang dient sowohl dem Betören von Weibchen als auch der akustischen Festsetzung von Reviergrenzen. Nun könnte man meinen, die Zikaden, eine Oxypleura-Spezies übrigens, würden die Schwingungen über Rezeptoren wahr-nehmen, aber nein, die Viecher haben Ohren! Die mögen nicht wenig dröhen, wenn bei Dämmerung endlich Ruhe einkehrt.

Unsere Ohren dröhnen auch, denn dieses durchdringend-sirrende Geräusch der Zikaden gleicht dem eines feinen Zahn-arztbohrers auf Hochtouren – volle Kanne verstärkt und durch Kopfhörer mitten ins Hörzentrum gehämmert. Dem Tinnitus nahe, ergreifen wir die Flucht und schunkeln weiter über die Sandpiste, bis wir Nachmittags am Linyanti ankommen, wo besinnliche Ruhe herrscht. Um Heinz’ Ruhe allerdings ist es gleich beim Aussteigen geschehen, als er im Geäst über uns zwei Haubenbartvögel (Trachyphonus vaillantii) erblickt. Die beiden Spechtvögel mit ihren irokesen-ähnlichen, schwarzen Schöpfchen sehen ein bisschen aus wie Punks und sind sehr neugierig. Nachdem sie uns von oben abgecheckt haben, kommt zuerst das Männchen auf den Boden geflattert und nähert sich ohne Scheu Heinz’ ausgestreckter Hand; da könnte es ja was zu Fressen geben. Um ja nicht zu kurz zu kommen, fliegt auch das Weibchen herbei, aber wir müssen die beiden enttäuschen: wir füttern nicht. Das Weibchen hat die Sach-lage schnell erfasst und zieht sich auf ihren Ast zurück, der

Gatte hingegen pickt immer wieder ungläubig an Heinz’ Finger. Ungläubig ist auch Heinz ob der Zutraulichkeit des bunten Federballs und wagt sich einen Schritt weiter – er krault den Vogel liebevoll an der Brust, was dieser lediglich mit heftigem Kopfschütteln quittiert. Dann entfernt er sich ein Stück, denn er hat vorübergehend Wichtigeres zu tun: ein vorwitziger Grünschwanz-Glanzstar (Lamprotornis chalybaeus) hat sich neugierig genähert und den ungefähr doppelt so großen Vogel gilt es jetzt zu vertreiben. Mit vermeintlichem Todesmut, lautem Keckern und heftigem Flügelschlagen stürzt sich der kleine Punk auf den schillernden Star, der gehorsam auf Ab-stand geht. Haubenbartvögel sind bekannt für ihr aggressives Territorialverhalten und Heinz ist selig, so etwas mit eigenen Augen in freier Wildbahn beobachten zu dürfen.

Mit verklärtem Blick zieht er los, um auch die Umgebung gründlich zu inspizieren; wir hingegen bauen das Lager auf und lassen uns gemütlich auf unserem Logenplatz am Linyanti-ufer nieder. Doch was muss ich da erblicken? Unsere Site 2, seit jeher Garant für einen formvollendeten, astgerahmten Mustersonnenuntergang, hat einen argen Perfektions-Fehler: am malerischsten aller Bäume ist DER Sonnenuntergangs-Ast abgebrochen, liegt jetzt modernd im Wasser und gibt einen erschreckend nackten Blick auf den Fluss frei. Da kann mich auch der Graufischer, der sich auf dem toten Geäst immer wieder niederlässt, kaum versöhnen. Dass mir die versinkende Sonne an diesem Abend ziemlich egal sein wird, ahne ich jetzt noch nicht … Während ich mit meinem Aussichtsloch hadere, ist Jürg auf der Suche nach einem Loch anderer Art: seine Therm-a-Rest ist undicht. Um das Leck sichtbar zu machen, will er seine Schlafunterlage unter Wasser setzen – keine gute Idee zu fortgeschrittener Nachmittagsstunde. Auch ich hatte vor Jahren im Saadani NP (Tansania) ein derartiges Problem und verbrachte die Nacht dann zwar auf einer dichten, dafür aber umso feuchteren Matratze; sehr ungemütlich. Doch kein Problem ohne Lösung: bei einem deutschen Expeditionsaus-statter erwarb ich damals, kaum zurück von der Reise, ein simples Gerät mit dem etwas zweideutigen Namen „Loch-schnüffler“. Das gute und inzwischen sehr bewährte Stück krame ich nun hervor; Annette und Jochen stellen ihren Schnüffler zur Verfügung und los geht die Suche. Es ist ein Bild für Götter, wie Jürg und Sven, konzentriert über die

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Therm-a-Rest gebeugt, mit den kleinen Leckdetektoren raster-fahndungsmäßig die Mattenoberfläche abflitzen. Fündig werden sie trotz aller Akribie leider nicht, wahrscheinlich liegt das Problem eher am Ventil oder direkt an der Schweißnaht. So wird die Lochsuche erst mal vertagt. Heinz, um den ich mir schon fast Sorgen gemacht hatte, ist mittlerweile auch zu-rückgekehrt, schnappt sich ein Bier, einen Stuhl und versinkt träumerischen Blicks in seinen Gedanken, die Augen aufs Wasser gerichtet. „Alles in Ordnung mit dir, Schneck?“ frage ich ihn – er wirkt so abwesend. „Ja“, seufzt er, „ich brauch’ bloß a bissl Ruhe, ich muss das alles erst auf mich wirken lassen.“ Dann ist’s ja gut; jetzt weiß ich, dass er einfach nur seinen heutigen Input verdauen muss und freue mich, dass der wohl so recht nach seinem Geschmack war.

Schön langsam senkt sich die Sonne in güldenen Tönen und wir beginnen mit den Vorbereitungen fürs Abendessen – die Kameras immer griffbereit. Ssst, Karotten schälen, ssssssst, Knoblauch schneiden, sssssssssst, verdammt, die Mücken werden allmählich echt lästig! Und zwar so lästig, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Ich vergesse das Abendessen, den Sonnen-untergang und hechte zu meinem Rucksack, um mich erst mal großzügig mit Peaceful Sleep einzukleistern. Doch minütlich wird die Mückenplage schlimmer, die Luft ist fast zum Schneiden gesättigt mit den Viechern und deren Gesirre ist überall. Wir versuchen uns noch besser zu schützen, indem wir unsere T-Shirts in die Hosen stopfen, die Socken über die Hosenbeine rollen, aber um Augen, Nase, Mund und Ohren sirrt es natür-lich weiter wie verrückt. „Ah, leck!“, sagt Heinz aus tiefstem Herzen. Er spricht mir aus meinem, denn das hier ist echt un-erträglich. Nun gut, nachdem offenbar kein Peaceful Sleep und kein Autan die Plagegeister fernhalten kann, fahre ich schwerere Geschütze auf. Ein Stirnband gegen die Mozzies in den Ohren, ein Tuch über Mund und Nase und Jaico Tropic Gel auf alle freien Hautstellen. Und ja, das tropengetestete Repel-lent eines holländischen Herstellers ist wirklich Gold wert! Es sirrt zwar nach wie vor um uns herum, aber keine der Mücken landet mehr – näher als 5 Zentimeter kommen die Biester nicht heran. Derart gerüstet, im Schutze unserer textilen und chemischen Hilfsmittel, bringen wir das Abendessen schließ-lich doch noch auf den Herd, den Tisch und danach in uns rein. An einen gemütlichen Lagerfeuerabend allerdings ist

unter diesen Umständen nicht zu denken – wir müssten uns wohl schon direkt in die Glut legen – also geben wir auf und versuchen, wenigstens möglichst mückenlos in unsere Zelte zu gelangen. Das übliche Prozedere folgt: kurz vor dem Zelt das Licht ausmachen, Schuhe öffnen, kurz warten, Klamotten ausklopfen, mit einem Hechtsprung rein in die gute Stube und im Sprung noch die Schuhe säubern. Im Zelt knipsen wir das Licht wieder an und machen eine halbe Stunde Jagd auf unerwünschte Stechviecher, die im Soge unseres Sprungs mit uns ins Zelt gewirbelt wurden. Nach bestem Wissen und Ge-wissen ist unsere Behausung nun clean, zumindest sehen wir keine Mücken mehr. Nach dem Gehör darf man nicht gehen, denn es sirrt so laut von draußen, dass man meinen könnte, das Zelt wäre voller Moskitos. Beruhigt kuscheln wir uns an - ein ander. „Ach, Schneck“, mache ich meinem Herzen Luft, „es tut mir so leid, aber sowas hab’ ich auch noch nicht erlebt. Ich wollte dir doch nur zeigen, wie schön es hier ist und nun passiert zum zweiten Mal so’n Kack! Du musstest schon wieder ‚Ah, leck‘ sagen. Reicht’s dir jetzt?“ „Mhm, ja, das ist echt ge-wöhnungsbedürftig, aber es passt schon. Hauptsache, du bist da!“, er widert Heinz und drückt mich ganz fest. Kann es eine schönere Liebeserklärung geben?

14. November 2009 Linyanti – Wildcampen im Chobe

Normalerweise stehe ich senkrecht im Bett, wenn ich im heimischen Schlafzimmer eine Mücke höre und ruhe nicht eher, bis das Biest erlegt ist. Gestern Abend beim Einschlafen entlockte mir das Sirren nur ein hämisches Grinsen – sollen sie sich doch den Saugrüssel an der Zeltwand verbiegen – von draußen. Mit dem ersten Licht heute Morgen sind die Plage-geister verschwunden und wir erwachen tatsächlich stichfrei. Gemütlich nehmen wir unser Frühstück in der ungetrübten Morgensonne ein, packen ohne Eile und machen uns auf den Weg Richtung Khwai via Savuti, auf der berüchtigten Sand-ridge, die wir heuer erstmals „andersherum“ befahren. Der erste Teil der Strecke ist noch festgrundig und führt uns durch wie ausgestorben wirkendes Mopane-Land. Mal abgesehen von den unvermeidlichen Zikaden rührt sich hier nichts; die

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Wasserlöcher, an denen wir bis jetzt jedes Jahr Elefanten ge-sehen hatten, sind völlig ausgetrocknet und liegen verlassen in der mittlerweile glühenden Sonne. Kurz vor Beginn der Tiefsand-Passagen halten wir an, um Reifendruck abzulassen und wieder einmal zeigt sich, das man nur genau hinsehen muss – dann entdeckt man auch das doch allgegenwärtige Leben. Kein Großwild, dafür aber viel interessantes Kleinzeug: Insekten. Da sind wunderschöne Libellen, die wie zuckende Hubschrauber von Halm zu Halm fliegen. Mit ihren riesigen Facettenaugen und den feinen Härchen an Kopf und Beinen sehen sie von nahem aus wie Bewohner eines anderen Planeten. Hektische Grashüpfer springen bei jedem unserer Schritte hoch, eine Nasenschrecke (Truxalis sp.) hingegen bewahrt Ruhe und verlässt sich auf ihre perfekte Tarnung. Und Jochen entdeckt ein Insekt aus der Lentuliden-Familie, das fast bewe-gungslos beinahe mit dem Grashalm verschmilzt, auf dem es sitzt. Seine ovalen Augen wirken wie eine kleine Blessur eines trockenen Halms, die sorgfältig nach vorne zusammengeleg-ten, bänderartigen Fühler bewegen sich leicht im Wind – wie ein echter Grashalm eben. Irgendwann, so schwöre ich mir in diesem Moment, werde ich einen Urlaub ohne Kilometer-schrubbereien und Großwildsuchereien verbringen und mich statt dessen ganz den Kleinodien am Wegesrand widmen – sie sind so faszinierend und voller Schönheit!

Das allerdings sind nur Pläne, Wünsche und Gedanken für später; im Hier und Jetzt ist der Reifendruck genügend redu-ziert und wir müssen weiter. Problemlos ackern wir durch die Tiefsand-Passagen bis runter nach Savuti. Trotz der Ver lockun-gen einer gepflegten Dusche, die wir am Linyanti wegen der Mücken und mangelnder „Hübschlichkeit“ der Facilities ver-nachlässigt hatten, lassen wir das Camp links liegen. Lieber wollen wir was sehen, als uns den Annehmlichkeiten sanitären Komforts zu widmen. Und so, wie es aussieht, kommt ohnehin bald Wasser von oben: am Horizont dräuen gewittrige Wolken, aus denen man in der Ferne allenthalben partielle Schauer niederregnen sieht. Den heftigen Buschbrand, dessen Rauch-schwaden dick und rußig gen Himmel steigen, konnten sie aber offenbar noch nicht löschen. Wir erreichen die weite, offene Ebene östlich von Savuti, wo gleich ein paar Elefanten unseren Weg kreuzen.

Aus allen Richtungen kommen Bullen unterschiedlicher Größe auf das Wasserloch zumarschiert, an dem wir stehen. Einer, ein besonders großer, hat zwei Schnüre quer über seinem Rüsselansatz liegen und wir fragen uns, bei welcher Gelegen-heit er die wohl „gepflückt“ hat. Wahrscheinlich bei irgend-einem Campbesuch – doch Gott sei Dank scheint ihn das Zeug nicht zu beeinträchtigen und wir hoffen, dass er es bald wieder los wird. In wohlgeordneter Reihenfolge trinken die Bullen am

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Wasserloch und so, wie sie aus allen Richtungen gekommen sind, verschwinden sie auch wieder.

Auf einem abgestorbenen Baum neben uns setzt sich eine Gabelracke nieder, lässt sich geduldig im Gegenlicht fotogra-fieren und freut sich wahrscheinlich, das sie uns menschlichen Knipsern die Tour vermasselt. Ihr so farbenprächtiges Gefieder wirkt in diesem Licht einfach nur stumpf – den Gefallen, los-zufliegen und dabei ihre Flügelunterseiten zu zeigen, tut sie uns natürlich auch nicht … Unser weiterer Weg führt uns hin-ab ins Tal der der Savuti-HATAB-Site, wo frisches Gras steht. Wir sichten ein Steinböckchen-Paar und ein paar Kudus, die sich am satten Grün laben – recht viel mehr ist hier nicht los. Das bleibt auch so, bis hinunter Richtung Rhino Vlei. Ein paar der geschätzten 80.000 Elefanten Botswanas stöbern wir beim Trinken an einem Wasserloch dann doch noch auf. Ich mag sie ja wirklich sehr, die großen Grauen, aber ein Warzen-schwein entzückt mich noch mehr: es läuft geschäftig zwischen den Säulenbeinen der Dickhäuter Slalom, mit 3 Maden-hackern auf seinem Rücken, die sich wie professionelle Reiter dem Gangrhythmus des Borstentiers anpassen. In gebühr-licher Entfernung des Wasserlochs halten wir für eine Pinkel-pause an und kaum ist der letzte Tropfen unsererseits im Sand versickert, lässt auch der Himmel unter sich. Nicht viel, aber es reicht, um uns ein wenig zur Eile zu treiben; der Khwai ist noch weit und ungern möchten wir bei Dunkelheit und einem Abendgewitter unser Lager aufbauen müssen.

Wir beschließen, die Marsh Road zu queren und weiter über die Sandridge zu fahren. Leichter gesagt als getan, denn in der Höhe von Rhino Vlei verheddern wir uns völlig in der Fülle der vorhandenen Fahrspuren, die dann doch allesamt im Nichts enden. Eine vielversprechende Abzweigung nach der anderen, aber keine führt zur Sandridge. Als wir gerade mal wieder umdrehen, entdecke ich eine Schildkröte. Heinz ist gleich ganz aufgeregt – eine Schildkröte! Er hat selbst eine zuhause, nämlich eine osteuropäische Vierzehenschildkröte (Testudo horsfieldii) namens Frieda und erst einziges Mal eine wilde „Frieda“ in freier Wildbahn gesehen. Hier gibt es natür-lich keine russischen Landschildkröten, schließlich sind wir in Afrika, aber Heinz’ Begeisterung kennt keine Grenzen. Leider müssen wir feststellen, dass der Panzer dieser Pantherschild-kröte (Geochelone pardalis) ohne innewohnendes Leben ist. Was mal ein recht großes Exemplar war, ist aus der Schild-patt-Wohnung mit Gewalt ausgezogen worden. Ein spitzer, tiefer Zahnabdruck, der sich auf der Schwanzplatte abzeich-net, lässt Rückschlüsse auf den Täter zu – das sieht nach Hyäne aus. Heinz ist ein wenig enttäuscht, dass der Panzer leer ist, aber ich bin entzückt, gibt es mir doch Gelegenheit, so ein Kunstwerk genauer zu betrachten, ohne dabei einen Haus-eigentümer belästigen zu müssen.

Ich bin ohnehin fasziniert von Details, von Mustern, von Ausschnitten eines Ganzen und die Strukturen des Panzers gießen Öl auf mein optisches Empfindungsfeuer. Sie sind so

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grafisch, so geometrisch, einfach phantastisch schön. Der kugelige Rückenpanzer besteht aus mehreckigen Platten, die sich in Bern-stein- und dunklen Brauntönen gemustert, nahtlos aneinander fügen. Die Bodenplatte ist elfenbeinweiß, gezeichnet durch quadratische Wachstumsringe – quasi wie ein eckiger Baumstamm. Noch nie habe ich mir Gedanken über das Wachstum einer Schildkröte ge-macht, doch hier liegt des Rätsels meisterhafte Lösung vor mir auf dem Boden. Der Rückenpanzer, gerundet wie er ist, muss radial größer werden, was perfekt mit den mehreckigen Platten funktioniert, die jeweils aus ihrer Mitte heraus wachsen. Die Bodenplatte hingegen ist flach und weil beim Wachstum keine Rundung berücksichtigt werden muss, reichen rechteckige Elemente mit versetztem Mittel-punkt hierfür völlig aus. Genial einfach, einfach genial! Apropos Lösung: beim Drehen und Bewundern des Panzers löst sich die angeknusperte Schwanzplatte, die ich kurzerhand in meine Schatz-tasche stecke – ob ich das Risiko eingehen soll, sie mit nach Hause zu nehmen? Naja, die Entscheidung hat ja noch Zeit.

Wir trennen uns von dem verlassenen Platten-Bau und bevor wir uns noch ein x-tes Mal verfahren, treten wir den Rückweg zum vorigen Wasserloch an, von dem aus, das wissen wir, eine Querverbin-dung zur Sandridge rüberführt. Kaum haben wir ein paar Kilometer hinter uns gebracht, erspähen wir plötzlich wieder eine Schildkröte. Der Panzer ist bewohnt, ganz offensichtlich, denn er stakst auf 4 Beinchen vor uns über den Weg. Und da hinten ist noch eine, da drüben auch! Natürlich müssen wir anhalten und die Tiere begut-achten, fotografieren, was jedoch gar nicht so einfach ist. Denn die Reptilien, denen man ja sprichwörtlich eine gewisse Langsamkeit nachsagt, sind ganz schön flink. Ein paar gute Fotos aber gelingen uns doch noch, bevor sie fortwuseln und wir weiterfahren. Heinz ist so glücklich über das Erlebte, dass ihn die Zebras, Gnus und Kudus, die bald darauf an uns vorüber ziehen, relativ kalt lassen. Die Schild-kröten seien sein bisheriges, persönliches Highlight, tut er selig lächelnd kund und ich bin happy, ihn so verzückt zu sehen.

An der Sandridge angekommen, queren wir gleich hinüber auf die neu gebaute Straße, die es erst seit etwa einem Jahr gibt. Sie lässt sich relativ gut befahren, ist aber, mit Verlaub, arschlangweilig und die Kilometer ziehen sich gefühltermaßen endlos dahin. End-lich, gegen 17 Uhr, kommen wir am Gate an und sind alle ziemlich genervt, bis auf Heinz, der ein von Schildkrötenträumen gekröntes Nickerchen gehalten hat. Beim Auschecken werden wir vom Ranger darauf hingewiesen, dass wir doch bitte die Khwai-Umfahrung zu

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nehmen hätten; das wäre jetzt die offizielle Public Road zum Moremi. Nein, nein, erklären wir ihm, wir hätten eine Buchung für das Khwai Community Camp und müssten deshalb die alte Straße direkt entlang des Khwai nehmen. Er grinst uns an und meint, das wäre natürlich die Sachlage komplett verändern. Dabei zwinkert er und murmelt etwas wie „ganz schön smart“. Das ist gut zu wissen: die wundervolle Khwai-Route soll ja zukünftig professionellen Tour-Operatoren vorbehalten bleiben, Selbstfahrer wie wir müssen auf die öde Umfahrung ausweichen. Wenn dieser wenig begeisternde Sachverhalt mit einer Community-Camp-Buchung legal zu um-gehen ist, wäre das großartig.

Allerdings, so besprechen wir unauffällig flüsternd etwas abseits vom Office, schaffen wir es heute ohnehin nicht mehr zum ge-buchten Camp. Was also tun? Recht viel anderes, als wild auf verbote nem Terrain zu campen, bleibt uns wohl nicht. Die feine englische Art ist das sicher nicht, aber wir haben uns heute mal wieder total vertrödelt und keiner von uns möchte jetzt noch die ganze Strecke bis zum Khwai hinter sich bringen müssen. So also beschließen wir, möglichst bald und bei passender Gelegenheit in die Büsche der Magwikhwe Sandridge abzubiegen. Ein paar Kilo-meter weiter präsentiert sich eine geeignete Stelle und wir kämp-fen uns die sandige Böschung hoch, bevor wir in die Vegetation neben der Straße abtauchen. Annette und Sven verwischen unsere Spuren in Indianermanier und so gut wie eben möglich, schließlich wollen wir unentdeckt bleiben. Viele hundert Meter abseits der Straße finden wir einen sichtgeschützten, fast bewuchsfreien Platz, der geradezu ideal für unser illegales Tun zu sein scheint. Hier blei-ben wir heute Nacht, teilen wir freundlich grüßend den Zebras mit, die uns aus ein paar Metern Entfernung neugierig zusehen. Beim Aufbau des Lagers ist Eile geboten, denn rings um uns ertönt seit geraumer Zeit schon heftiges Donnergrollen, grelle Blitze zucken, die Wolken werden immer dunkler und der heftige Wind kündet von einem baldigen Regenguss. Die Stimmung ist richtig gespenstisch – schwarzblaue Wolken ziehen in Hochgeschwindigkeit über den Himmel, durch ihre Lücken leuchtet schwach das blasse Rot des Sonnenuntergangs und der peitschende Wind erzeugt ein Pfeifen in den Ästen des Buschwerks. Auch die zahl reichen Ameisen, die hektisch über den Sand krabbeln, scheinen das dräuende Unheil zu spüren; während sie eifrig ihre Brut in Sicherheit bringen, finden sie trotzdem nebenbei Zeit, uns in die noch in Sandalen stecken-den Füße zu beißen …

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Gerade noch rechtzeitig vor dem Lospladdern gelingt es uns, die Zelte zu errichten, gewinnen wir den heftigen Kampf mit der 5 x 6-Meter-Regenplane, die sich in den Böen bläht wie Jack Sparrows Großsegel. Es ist unmöglich, sie in voller Größe zwischen den beiden Land Rovern aufzuspannen, aber endlich, als die ersten Regentropfen fallen, ist alles sicher festgezurrt. Wir sitzen eng gedrängt unter unserer über Eck zwischen den Autos befestigten Plane – die vorgesehenen 30 Quadratmeter sind auf etwa 10 geschrumpft – sind aber von hinten durch die Landys geschützt. Und das ist gut so, denn was jetzt vom Himmel kommt, ist geradezu sintflutartig. Auf der vorderen, offenen Seite unseres Regenkonstrukts spritzt reichlich Wasser herein, über unseren Köpfen mutiert die durchhängende Plane zum Schwimmbassin und wir müssen sie im Minutentakt entleeren, damit das Ganze einigermaßen stabil bleibt. Schön langsam machen sich auch unsere Mägen bemerkbar, aber an Kochen ist in dieser Situation überhaupt nicht zu denken. Um wenigstens den schlimmsten Hunger zu stillen, kredenzt Annette ein paar Kekse, mit Bier trinken wir uns den klammen Abend gemütlich. Es ein besonderer Abend, ziemlich feucht, anders als die bisherigen Abende, aber wir sind guter Dinge und genießen ihn; trotzdem oder gerade deswegen. Die Besonderheit der Situation lässt uns alle ein wenig näher zusammenrücken und ich meine, das kommt nicht ungelegen. Heute am Gate nämlich hatte ich kurzzeitig den Eindruck, es läge eine Stimmung, eine Gereiztheit, eine Genervtheit in der Luft, die nicht unbedingt mit der langen, öden Fahrstrecke zu tun hatte. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht – hoffentlich.

15. November 2009Aus dem verbotenen Abseits – Moremi GR, Xakanaxa

Die ganze Nacht hat es geregnet, heimelige Tropfgeräusche haben mich in den Schlaf gewiegt, sintflutartige Regengüsse immer wieder aus Selbigem gerissen. Trotzdem fühle ich mich ausgeruht und räkle mich wohlig ein letztes Mal in meinem Schlafsack, bevor ich in die klamme Morgenluft hinaus-klettern muss. Doch – wäääh – beim Strecken landen meine Füße in einer Pfütze, unsere Schlafsäcke sind klatschnass, bis hinauf in Kniehöhe, am Fußende des Zelts steht das Wasser! Unwillig schälen wir uns aus dem nassen Zeug, klappen den durchtränkten Zelteingang nach oben und stehen dann erst mal etwas bedröppelt auf unserer völlig versandeten Boden-plane. Der Himmel ist wolkenverhangen, der Boden voller Ameisen und Tausendfüßer, Sand klebt an den Schuhen, so-bald man einen Schritt tut, die Klamotten pappen klamm am Körper und Heinz und ich stellen unisono fest, dass wir uns wie ausgespien fühlen. Kurz denke ich wehmütig an eine Dusche, aber die würde jetzt wahrscheinlich auch nicht maßgeblich zu einem gesteigerten Wohlbefinden beitragen können. Heinz marschiert zum Pinkeln hinter den nächsten Busch und findet sofort seine gute Laune wieder, denn der Boden ist bedeckt von Gemsbock-Kürbissen und anderen, teilweise blühenden Rankepflanzen, die seinen Botanik-Äuglein gestern in der all-gemeinen Hektik wohl entgangen sind. Meine Laune hin gegen ist am Tiefpunkt, zumal ich ausgerechnet jetzt ein dringendes Bedürfnis größerer Art verspüre. Missmutig storche ich zum Spaten, mit ihm zum überübernächsten Busch, grabe ein Loch in den tonnenschweren, nassen Sand, zerre mir die feuchte Hose herunter und tue, was ich tun muss. Rähbäh, ist das ätzend! Was würde ich jetzt für ein trockenes Sitzklo geben, auf dem man bequem Platz nehmen und gepflegt das benutzte Klopapier hinein fallen lassen kann, anstatt es bis zum letzten Fitzel der Vernichtung einem Lagerfeuer zuführen zu müssen.

Jochen hat praktischerweise gerade ein Toastfeuerchen entfacht und kaum ist es groß genug, werfen mehrere Hände gleichzeitig die Zeugnisse ihrer erfolgten Verdauungstätigkeit in die Flammen. Wir grinsen uns vielsagend an und schon

Seite 55: Blue Basker-Libelle (Urothemis edwardsii).Seite 56: Lebender Grashalm (Lentulidae sp.).Seite 57: Elefanten trinken am Wasserloch.Seite 58: Schildkrötenpanzer von unten; Kudubulle; Warzenschwein mit Madenhackern.Seite 59: abregnende Wolken; Buschbrand; Abendgewitter.Links: Panzer mit Bewohner – eine Pantherschildkröte.

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hebt sich unser aller Stimmung wie von Zauberhand. Wohlge-mut decken wir den Tisch und verzehren aus den Tiefen unserer feuchten Campingstühle ein besonders wohlschmeckendes Frühstück – wir alle haben einen Bärenhunger. Satt und wesentlich besser gelaunt packen wir danach unser sandig-nasses Equipment zusammen, suchen den Platz nach letzten Abfällen ab und fahren dann Richtung Straße; Annette wird als Späher vorgeschickt. Die Luft ist rein, signalisiert sie uns – seltsamerweise hüpft sie dabei wie ein einbeiniger Derwisch – und schon stehen unsere Autos wieder auf der Straße, gerade so, als hätten wir diese nie verlassen. Annette schüttelt sich die letzten Ameisen, auf deren Bau sie beim Spähen unglück-licherweise gestanden hatte, aus Schuhen und Hose und geht ebenfalls wieder an Bord.

Während der nächsten Kilometer Richtung Khwai lichten sich die Wolken, erste Sonnenstrahlen scheinen wohltuend auf uns und unser nasses Zeug herunter. Als wir auf die Khwai River Road stoßen, halten wir an, um unsere Stiefel gegen Sandalen zu tauschen, den Reifendruck wieder zu erhöhen und alles Durchnässte so in den Autos zu drapieren, dass es in Ruhe trocknen kann. Der Himmel ist mittlerweile wieder strahlend blau, geschmückt von ein paar harmlosen Schäfchen-wolken; gerade das richtige Kaiserwetter für die paradiesische Strecke am Khwai entlang. Und wir werden auch heuer nicht enttäuscht: sobald wir am Wasser sind, öffnet Afrika seine tierischen Schatzkammern. Impalas, Kudus, Zebras, Giraffen, Elefanten, Gänse, Enten, Störche, Reiher, Ibisse, Hippos, Kro-kodile – und das alles auf engstem Raum, eingebettet in eine herrliche Landschaft. Wir lassen uns viel Zeit, legen immer wieder Stopps ein, um die Eindrücke in Ruhe genießen und in uns aufsaugen zu können. Ein Elefant zieht in Streichelnähe an uns vorbei, hinunter ans Wasser, wo er ausgiebig prustet und trinkt. Eine große Schar von Witwenpfeifgänsen drängt sich am Ufer, ihre schwarz-weißen Köpfchen und kastanien-braunen Rückenfedern leuchten in der Sonne; mitten unter ihnen sitzt ein anderer Vogel, etwas größer und eher gräulich-schwärzlich, mit einem auffälligen scheibenartigen Gebilde auf der Oberseite seines Schnabels. Es ist eine männliche Höckerglanzgans, die sich offenbar recht wohl fühlt unter ihren kleineren Verwandten. Blaustirn-Blatthühnchen staksen mit ihren riesengroßen Füßen gefährlich nahe an den Krokodilen

vorbei, die in großer Zahl im seichten Wasser dümpeln. An den tieferen Stellen drängen sich Hippos, schnorcheln und schnauben zufrieden vor sich hin. Ein paar Hornraben ziehen auf der Suche nach Futter durch das niedrige Gras der anderen Uferseite, wo auch einige Giraffen ihre langen Hälse nach den zartesten Akazienblättchen recken. Kudus, Impalas und weitere Elefanten runden das Bild vom Garten Eden dekorativ ab.

Dieses Stückchen Erde schafft es jedes Jahr aufs Neue, mich völlig zu überwältigen! Heimlich werfe ich immer wieder einen Blick auf Heinz’ Gesicht, um zu sehen, wie das Ganze auf ihn wirkt. Und ich krame in meinen Erinnerungen: wie aufgeregt, wie begeistert war ich, als ich meine erste Giraffe zu Gesicht bekam – sie war alleine auf weiter Flur und zudem noch recht weit weg, doch ich war restlos glücklich. Hätte ich auf meiner ersten Afrikareise eine solche Flut von Eindrücken und Erleb-nissen gehabt, wie Heinz jetzt und in den vergangenen Tagen, so hätte mich das wahrscheinlich völlig erschlagen. Heinz hingegen genießt das Gebotene mit einer Gelassenheit, über die ich manchmal nur staunen kann. Doch es ist nicht zu übersehen, dass es ihm ausnehmend gut gefällt – und das freut mich einfach tierisch.

Schön langsam nähern wir uns dem Moremi, doch bevor wir die letzten Kilometer bis zum North Gate hinter uns bringen können, müssen wir erst mal durch den Khwai. An der Furt treffen wir auf zwei südafrikanische Ehepaare, die gerade mit hochgekrempelten Shorts den idealen Weg durchs Wasser ab-schreiten. Genau beobachten wir, wie sie anschließend ihre Autos unbeschadet durch den Fluss manövrieren und befahren kurz darauf selbstverständlich die gleiche Route – ohne uns auch nur einmal die Füße nass machen zu müssen. Problemlos erreichen wir das andere Ufer und nehmen Kurs auf North Gate. Der Tierreichtum nimmt immer mehr ab, je weiter wir uns vom Fluss entfernen, lediglich ein paar Hartebeests und eine hurtige Schar von Zebramangusten kreuzt noch unseren Weg. Aus dem Schatten des Busches, hinter dem die Mangusten verschwunden sind, leuchtet etwas auffällig Rotes hervor, was wir sofort näher inspizieren müssen: es sind fingerdicke grüne Stängel, auf denen jeweils eine Kugel unzähliger, win-ziger Blüten sitzt. Verdammt, so etwas habe ich doch schon einmal gesehen, damals an den Viktoriafällen, am Randes des Mini-Regenwaldes! Die Blütenbälle sind wunderschön und

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Vogelparadies Khwai River: Sporngänse (Plectropterus gambensis);

Witwenpfeifgänse (Dendrocygna viduata) mit männlicher Höckerglanzgans

(Sarkidiornis melanotos); Blaustirn-Blatthühnchen (Actophilornis africanus);

Flussuferläufer oder „Schnepfgedöns“ (Actitis hypoleucos);

Nilgänse (Alopochen aegyptiacus); Rotbauchreiher (Ardeola rufiventris);

Mohrenklaffschnabel (Anastomus lamelligerus).

Nächste Doppelseite: Witwenpfeifgänse.

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Schwarzfersenimpala (Aepyceros melampus);

Elefant; die vermeintliche Brunsvigie alias Feuerball-Lilie;

Landschaftsimpressionen Khwai River und Dombo Hippo Pools.

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Die vernagelte Aussichtsplattform an

den Dombo Hippo Pools; Witwenlibelle

(Palpopleura sp.); Ameisen mit Beute;

Helmperlhühner (Numida meleagris);

drei Wasserberührungen mehr oder weniger erfolgreicher Art.

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sehr auffällig in Form und Farbe, doch der Name will mir par-tout nicht einfallen. Amaryllisgewächse, ja, aber wie heißen sie? Kurz bevor wir am North Gate ankommen, fällt es mir ein. Brunsvigien! Heinz, der Pflanzenkenner, ist skeptisch und nicht sicher, ob das wirklich stimmt, leider aber haben wir keine Möglichkeit, das jetzt herauszufinden. So also bleiben die Blumen für den Rest des Urlaubs – wir sehen sie noch öfter – eben erst mal Brunsvigien. Unser Blumenbuch zuhause bringt Wochen später die Wahrheit ans Licht: es sind Feuer-ball-Lilien (Scadoxus multiflorus). Heinz Skepsis war also mehr als angebracht und ich entschuldige mich nachträglich bei den Blumen und meinen interessierten Mitreisenden, die ich in die botanische Irre geführt habe. Aber wenigstens die Familienzuordnung hat gestimmt …

Eine Wahrheit ganz anderer, viel weniger erfreulicher Art er öffnet sich allerdings schon Minuten nach unserer Pflanzen-entdeckung – wir stoßen auf die neu gebaute Khwai-Um-fahrung. Mann, ist die hässlich! Ein staubiges Band wurde hier in den Busch gefräst, ohne jeden Charme, öde und langweilig. Links und rechts der Trasse liegen noch große Gravelhaufen, vor uns eine mit Sandsäcken ausgelegte, trockene Abflussrinne, die gerade von einem Vermessungsfahrzeug blockiert wird. Der Fahrer steuert den Wagen über die hubbeligen Säcke, sein Beifahrer hält ein an einem Stab befestigtes Rädchen aus dem Fenster, das offenbar Entfernungen messen soll. Doch durch das Gerüttel des Autos verliert das Rad immer wieder den Kontakt zum Boden, der Fahrer setzt deshalb zurück, probiert es erneut und dann nochmal und nochmal. Es dauert, bis der Graben zur Zufriedenheit der beiden vermessen ist … Endlich geht es weiter, vorbei an den ersten Häusern von Khwai Village. An Zäunen und Büschen hängt dort Wäsche zum Trocknen, die schon völlig vom Staub der Straße überpudert ist. Und erneut beschleicht mich das Gefühl, dass hier irgendwie eine Entwicklung im Gange ist, die mir in ihrem zu vermutenden Endergebnis ganz und gar nicht gefällt. Es riecht nach einer Art von Umstrukturierung, die eine zukünftige Botwanareise sehr viel anders gestalten könnte - und wahrscheinlich nicht unbedingt attraktiver. Ich versuche, mein ungutes Bauchge-fühl zu verdrängen und konzentriere mich statt dessen auf Heinz, der seit unserem Blumenfund sehr still geworden ist. Auf meine besorgte Nachfrage hin gesteht er mir, dass

auch er ein schlechtes Bauchgefühl hat: schmerzhafte Krämpfe im Unterbauch und ein Rumoren, das wohl Vorbote einer Diarrhoe ist.

Gott sei Dank kommen wir gerade im Dorfzentrum von Khwai Village an und können bei der Gelegenheit gleich mal prophylaktische Maßnahmen ergreifen. Es ist Sonntag, der „große“ Shop hat zu, aber in einem kleineren Laden bekom-men wir doch noch Wasser und ein paar Softdrinks. Heinz schlürft sofort eine Dose Cola leer, Patricia versorgt ihn mit Immodium und wir hoffen, die Sache so in den Griff zu be-kommen oder zumindest den Verlauf etwas abzuschwächen. Eigentlich bin ich kein großer Freund von solchen Durchfall-Hämmern, aber unter diesen Umständen ist es sicher hilfreich und angebracht. Derart versorgt, fühlt sich Heinz auch gleich ein bisschen besser.

Minuten später erreichen wir North Gate. Letztes Jahr noch Großbaustelle, präsentiert sich die Park-Einfahrt in völlig neuem Glanze. Ein riesiges, reetgedecktes Gebäude beher-bergt Office und einen unvermeidlichen Souvenir-Shop, neben der alten Knüppelbrücke steht eine robuste, ebenerdige Holz-brücke. Vor dem Einchecken entsorgen wir noch unseren Abfall und, naja, den Müllplatz darf man sich nicht genauer ansehen; hier glänzen nur wild verstreute Dosen, Chipstüten und Grillfolien. Aber davon mal abgesehen ist alles wirklich sehr nobel und ich bin schon gespannt auf die neu gebauten Facilities in Xakanaxa, unserem heutigen Tagesziel. Doch bis dorthin haben wir noch ein bisschen Strecke. Es ist Mittags-zeit, der Planet glüht vom einem Himmel, an dem sich schon wieder gewittrige Wolken formieren und wir kurven durch ödes Mopane-Land. Der Gesang der Zikaden ist ebenso Zeichen des Regenzeitbeginns wie auch die tiefen, schlammgefüllten Furchen auf der Straße, die wir permanent umfahren müssen. Dicke Äste, frisch gerupfte Mopanezweige und sogar ein ver-gessenes, halb verbogenes Sandblech zeugen von den Problemen, die hier offenbar schon so manch ein Gefährt hatte. Irgend-wie nachvollziehbar, denn einige der Rinnen sind ziemlich breit, tief und zudem extrem glitschig. Gerade kommt uns ein bulliger Drifters-Truck entgegengeackert, spritzt mit seinen breiten Lkw-Reifen den Schlamm über die volle Straßenbreite bis hinein ins Gebüsch. Dieser Schmierseifenbelag ist tückisch und wird bald darauf auch uns zum Verhängnis. Wir im grünen

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Landy schlittern gerade noch so über die kaum reifenbreiten Lehmstege eines besonders ergiebigen Lochs, rutschen mit dem Heck ab, als es schon nicht mehr so tief ist, aber Jürg, der heute die weiße „Meerkat“ fährt, schafft es nicht. Mit einem satten Schmatzen gleiten die Reifen auf der linken Seite ins knietiefe Schlammloch und fahren sich fest. Die Mopane-büsche müssen nun nicht um ihre Zweige fürchten, denn schließlich sind wir mit zwei Autos unterwegs und für alle Fälle gerüstet. Routiniert bringt Jochen das Abschleppband am Havaristen an, gibt gefühlvoll Gas, ebenso wie Jürg, und schon hat auch unser zweiter Wagen wieder festen Boden unter den Reifen. Das verschlammte Rettungstau wickeln wir vorsichtshalber einsatzbereit am Rammschutz der „Meerkat“ fest – man kann ja nie wissen – erreichen aber ohne weitere Zwischenfälle die Gegend von Dombo Hippo Pools.

Eine erneute Wasserquerung liegt vor uns, da aber diesmal niemand zur Stelle ist, der die Begehung für uns vornimmt, stellt sich Annette mit Freuden dieser Aufgabe. Gerade mal knietief ist das Teichlein und lässt sich ganz easy durchfahren. Zehn Minuten später kommen wir bei den Hippo Pools an und Heinz ist darüber heilfroh, denn hier gibt es eine Toilette … Die allerdings ist leider nicht benutzbar, Exkremente und Klo-papier türmen sich bis unter die kaputte Brille. So also hechtet er notgedrungen ins Gebüsch, während wir schon mal die Aussichtsplattform erklimmen. Von oben präsentiert sich die gewohnte Idylle: zahlreiche Hippos tummeln sich in einem malerischen See, Wasservögel, Antilopen und Warzenschweine dekorieren das Ufer. Leider aber ist die ehemals beobachtungs-freundliche Umfriedung nahezu blickdicht zugenagelt worden; man kann nur noch stehenderweise auf den See hinabschauen. Gerne würden wir gemütlich im Sitzen – wir sitzen ja nur den ganzen Tag – unseren Lunch einnehmen, aus dieser Position heraus allerdings beschränkt sich der Ausblick auf braune Rundhölzer. Schade! Heinz, dem ohnehin nicht nach Essen zu-mute ist, übernimmt während unseres Mahls den Beobach-tungsposten und sichtet tatsächlich eine Schlange, die gerade einen Frosch verschlingt. Mann, hat der scharfe Augen! Wir alle hängen über der Balustrade, aber trotz präzisester Orts-angaben braucht es ewig, bis auch wir das Reptil sehen. Dabei ist es eine nicht gerade kleine, hübsch gestreifte Natter, die sich da an einem Riedfrosch gütlich tut und kurz darauf im

Unterholz verschwindet. Heinz verspürt auch schon wieder einen Drang, der ihn seinerseits ins Gebüsch treibt und ich sehe mich zur Abwechslung mal zu Füßen der Plattform um. In der Nähe der Autos entdecke ich ein paar Ameisen, die eine Raupe von dannen schleppen, eine Mohrenmeise (Parus niger) im Baum über mir, Witwenlibellen mit schwarz gefleckten Flügeln und einen Ziegenmelker in einem toten Ast, in direkter Nachbarschaft der Bruthöhle der Mohrenmeise. Auch Heinz mit seinen Adleraugen sieht meine Nachtschwalbe, doch eine Ausschnittsvergrößerung des Dokumentarbildes zeigt deut-lich: wir sind einem Astgnubbel auf den Leim gegangen. Es ist der erste der „weltberühmten“ Look-Alike-Strünke des Moremi in diesem Urlaub, der uns hier getäuscht hat. Was allerdings keine optische Täuschung ist, das sind die zuckenden Blitze am nördlichen Gewitterhimmel, die uns bald zur Weiterfahrt drängen.

Wir slalomieren im Zickzack Richtung Xakanaxa, wo wir am Spätnachmittag ankommen. Unser reservierter Platz, prak-tischerweise in ziemlicher Nähe des neuen Ablution Blocks, ist frei und wir richten uns häuslich ein. Die Schilf-Ähren heben sich leuchtend gelb gegen den unwetterschwangeren Himmel ab, wir kämpfen mal wieder gegen heftigen Wind, aber zur Dämmerung klärt sich das Gewölk, ohne auch nur einen Tropfen vergossen zu haben. Und auch die zu erwartende Insekten-invasion bleibt glücklicherweise aus. Wir verbringen einen friedlichen Abend auf unserem Platz, begleitet vom Rauschen des Schilfs, fernem Donnergrollen, dem nahen Schnorcheln der Hippos und der beruhigenden Nähe des Toilettengebäu-des, das mittlerweile nicht nur Heinz des öfteren aufsuchen muss. Von einem seiner Klogänge kehrt er zurück und lässt ein erneutes „Ah, leck!“ vom Stapel. Diesmal allerdings mit einem amüsierten Augenzwinkern: beim Öffnen seiner Hose fiel ein dicker, schwarze Käfer in die Schüssel … That’s Africa, Schneck – aber wir sind ja inzwischen Härteres gewöhnt!

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16. November 2009 Moremi GR, Xakanaxa

Es war eine „geschäftige“ Nacht für Heinz; ich habe davon nichts mitbekommen, obwohl ich ihn gebeten hatte, mich im Bedarfsfall zu wecken. Denn – trotz Campsite – wir befinden uns mitten in der Wildnis und vier Augen sehen mehr als zwei, noch dazu, wenn man von drängender Eile getrieben durch die Dunkelheit stapft. Doch Heinz ist unversehrt, fühlt sich sogar ein bisschen besser, verzichtet aber trotzdem auf ein Frühstück, ganz im Gegensatz zu uns. Nach Selbigem be-geben wir uns auf Morgenpirsch, vorbei an der Lodge, durch den tiefen Schlamm-graben nahe der Lodge, der heuer noch tiefer ist als sonst, hinüber Richtung Dead Tree Island. Heinz vergisst seine noch vorhandenen Bauchschmerzen fast beim Anblick einer Rotnasen-Grüntaube (Treron calva) und von Giraffen, die wir in diesem Urlaub erstmals aus nächster Nähe und bei vollem Tageslicht sehen. Be-sonders angetan haben es ihm zudem die Madenhacker, die buchstäblich auf jeder Körperöffnung der Giraffen sitzen und ihr nicht immer angenehmes Werk ver-richten. Kurz nach Nkwe Crossing, direkt an der randvollen Lagune, werden wir Zeugen eines Ereignisses, das jeden von uns völlig in seinen Bann zieht. Aus einiger Entfernung schon hallen uns Geräusche entgegen, die sich anhören, als wären wir mitten im Set von Jurassic Park gelandet. Ein hallendes Brüllen, röhrende Schreie, die sich jeglicher Beschreibung und auch Zuordnung entziehen. Als wir endlich Sicht auf die Ursache der Akustikkulisse bekommen, sind wir gefesselt: es sind zwei Nilpferdbullen, die unermüdlich auf einander losgehen. Man kennt die Kolosse ja, wenn sie sich innerhalb der Herde kurz in die Schranken weisen, immer wieder drohend das Maul aufreißen, sich lauthals angrunzen. Aber das hier ist etwas völlig anderes! Ein Bulle mitsamt seiner kleinen Herde wird von einem Fremden, einem Eindringling herausgefordert.

Hier geht es nicht um das Zurechtrücken bestehender interner Hierarchien, sondern um die Existenz als „Familienvater“, vielleicht sogar um Leben und Tod. Jedenfalls kann man sich dieses Eindrucks nicht erwehren. Einige der Kühe äugen vorsichtig, fast besorgt, in gebührlichem Abstand zum Zentrum des Geschehens aus dem Wasser, auch die Kälber sind neugierig, werden aber von den übrigen Herdenmitgliedern vehement aus der Gefahrenzone gehalten. Der Revierbulle und der Eindringling mustern sich abschätzend, verwedeln Kot, brüllen drohend,

Vorige Seite: die Natter beim Verzehr des Riedfrosches.Diese Seite und Seiten 72/73: Szenen des Nilpferdkampfes.Seite 71: Graufischer im Beuteflug.Seite 74: die überraschte Meerkatzen-Dame.

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prallen mit voller Wucht aufeinander, immer und immer wieder. Schlamm- und Wasserfontänen spritzen bei jedem Zusammen-prall hoch in die Luft, die Lagune wogt. Die beiden Kampfhähne produzieren Geräusche, die so machtvoll, so dröhnend, so ur-tümlich sind, dass es fast unwirklich erscheint. Die immense Lautstärke lässt die Luft erzittern und das umliegende Leben vor Ehrfurcht erstarren. Uns geht es nicht anders – wir sind völlig im Banne dieses gewaltigen Schauspiels. So sehr, dass wir etwas anderes beinahe nicht mitbekommen: nicht weit vom Hauptgeschehen schnappt sich ein mächtiges Krokodil eine trinkende Lechwe und zieht sie mit rollenden Bewegungen unter Wasser. Bevor wir richtig realisieren, was hier auf dem anderen „Sender“ abgeht, ist das Croc mit seiner Beute bereits untergetaucht, nur ein leichtes Kräuseln der Wasserober fläche zeigt, dass wir nicht halluziniert haben. Wir können es zwar nicht beweisen, denn keiner von uns hat schnell genug reagiert und den Kill fotografisch festgehalten, dafür aber geht der Hippokampf weiter und füllt unsere Speicherkarten.

Nach etwa einer Stunde endet die Auseinandersetzung recht plötzlich. Die ganze Zeit präsentierte sich der Revierbulle als der eher Schwächere, nach Punkten Unterlegene, aber das müssen wir wohl falsch interpretiert haben. Denn nach einem letzten, in unseren Augen unentschiedenen Aufprall macht sich der Eindringling eilig von dannen, begleitet von einem finalen Schrei des Siegers. Zwei Minuten später liegt die klei-ne Hippoherde im Wasser, als wäre nichts geschehen. Die Pas-sagiere eines Lodgefahrzeuges, die erst kurz vorher am Ort des Geschehens eingetroffen sind, sind hellauf begeistert vom Er-lebten, ohne jedoch zu wissen, was ihnen entgangen ist. Aber so ist das auf Gamedrive – man genießt, was man zu sehen kriegt und kann nur selten ahnen, was man hätte sehen kön-nen, wäre man früher an Ort und Stelle gewesen. Auch wir haben den Kampf nicht von Anfang an mitbekommen, aber es ist definitiv unser Highlight des heutigen Tages. Allerdings, so witzeln wir, wird es eine satte Beschwerde an die Parkverwal-tung geben: man kann nicht allen Ernstes einen derartigen Kampf und diesen Krokodilkill gleichzeitig auf den Plan setzen, da kommt doch kein Mensch mehr mit!

Vielleicht aber sehen wir auch von einer Beschwerde ab, denn der Tag, der Park beschert uns weitere Highlights, die zwar vielleicht weniger monumental, aber nicht minder schön

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sind. So tummeln sich seit geraumer Zeit einige Meerkatzen direkt neben unseren Autos, die sich durch unsere abgelenkte Aufmerksamkeit derart sicher fühlen, dass sie immer näher gekommen sind. Eine der Affendamen ist so versunken in den Anblick meiner Rückseite, dass sie fast der Schlag trifft, als ich mich umdrehe und ein formatfüllendes Portrait von ihr mache. Laut schimpfend eilt sie in die Büsche, aber ich habe das Gefühl, einen Blick in ihre Seele erhascht zu haben. Und wenn ich mir, lange nach diesem magischen Moment, das Foto ansehe, versinke ich immer wieder in ihren Augen, ihrem fragenden und zugleich wissenden Blick.

Ein Stündchen noch fahren wir am Ufer der Lagune ent-lang, beobachten einen Graufischer (Ceryle rudis) auf der Jagd, wie er scheinbar mühelos Position über der Wasserober-fläche hält, bevor er hinabstößt, in das glitzernde Nass ein-taucht. Sekunden später ist er wieder in der Luft und späht erneut nach Beute. Ein paar Graulärmvögel (Corythaixoides concolor) mit ihren nöligen Rufen begleiten unseren weiteren Weg, bis wir plötzlich durch einen nicht unerheblichen, zwei-armigen Wassergraben gestoppt werden. Mhm, sollen wir da wirklich durchfahren? Wir bleiben erst mal stehen, genießen das üppige Leben rund um den Tümpel: Mohrenklaffschnäbel (Anastomus lamelligerus), Wollhalsstörche (Ciconia episcopus) und Sattelstörche (Ephippiorhynchus senegalensis), Waffen-kibitze (Vanellus armatus), Libellen. Unsere Idylle wird rüde durch ein Lodgeauto gestört, das sich von der anderen Wasser-seite nähert und, ohne zu halten, in einer schwungvollen S-Route durch das nasse Hindernis kurvt. In Jochen erwacht der Geländefahrer zum Leben und – nachdem wir nun ja wissen, wie man fahren muss – machen auch wir uns an die Durch-querung, just for fun. Unsere Landys triefen, die „Meerkat“ kann kaum noch aus den Augen sehen, so randvoll mit Wasser sind ihre Frontscheinwerfer, aber unseren Jungs hat es Spaß gemacht. Am anderen Ufer pausieren wir erneut, Sven baut eine Sandburg, wir beobachten die selben Vögel und Insekten aus unserer jetzigen Position, genießen den geänderten Licht-einfall und das schlichte Verweilen.

Der Sonnenstand, es ist schon Mittag, dirigiert uns dann auch wieder zurück Richtung Camp. Auf diesem Weg kommen wir an einer HATAB-Site vorbei, malerisch gelegen, aus der verführerische Kochdüfte in unsere Nasen dringen. Ach, so ein

bisschen was essen und anschließend einen geruhsamen Nachmittag im Camp verbringen, das können wir uns jetzt auch gut vorstellen, erlebnissatt wie wir sind. Auf den letzten Kilometern verlieren wir beinahe noch die Orientierung, aber Heinz hat den Überblick, erkennt zweifelsfrei einen markanten Termitenhügel wieder, weist uns sicher die richtige Richtung und schon sind wir wieder auf unserer Campsite.

Oh weia, hier ist Chaos angesagt, Pavian-Chaos! Wir hatten alle Utensilien verpackt, verstaut, verräumt, aber eine unserer drei vermeintlich unknackbaren Vorratskisten wurde trotzdem geöffnet und von geschwinden Affenhänden ausgeräumt. Nun liegen aufgeschraubte Marmeladen- und Erdnussbutter-gläser über den Platz verstreut, außer ein paar klebrigen, ver-sandeten Resten ist nichts mehr vom einstigen Inhalt übrig. Naja, was soll’s, unsere Zelte stehen ja immerhin noch, auf die paar Leckereien können wir verzichten und haben zudem wieder neue Erkenntnisse über die Lernfähigkeit und Finger-fertigkeit unserer Verwandten gewonnen.

Schnell ist das Chaos bereinigt und ein kleiner Lunch auf den Tisch gebracht. Danach ergehen wir uns in einer ruhigen Siesta; jeder tut, wonach ihm gerade ist. Tommi, Annette, Patricia und Sven waschen ein paar gründlich vollgedreckte Kleidungsstücke, Jürg lässt sich genüsslich in seine mitge-brachte Luxus-Hängematte plumsen, Jochen schläft eine Runde im Sitzen, ich lege nach dem Duschen meine Beine bei einem Tee hoch – während Heinz’ Augen schon wieder auf Entdeckungsreise sind. Ein paar Baumhörnchen haben sich genähert und inspizieren ohne Scheu unser Lager. Sie sam-meln Brösel vom Boden, eilen geschäftig zwischen den Tisch-beinen hin und her, bis sie schließlich auf unsere gemauerte Wasserstelle klettern. Dort steht, noch recht nass, unser falt-bares Spülbecken, unter dem eine kleine Ameisenstraße ver-schwindet. Dieses Gekrabbel hat bereits das Interesse einiger Braundrosslinge (Turdoides jardineii) erregt, die, nachdem die leicht zu fangende Beute weggepickt ist, angestrengt unter das Spülbecken spähen. Die Hörnchen hingegen turnen am tröpfelnden Wasserhahn herum, stillen ihren Durst und ver-suchen vergeblich, den Deckel des zum Trocknen aufgestellten Potijes zu lupfen – neben dem ein Skink hervorspäht und ab-wechselnd seine Beinchen in die Luft hält. Nachdem auch die letzte Ameise vertilgt ist, verlagern die Drosslinge ihre Nah-

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rungssuche auf unseren Tisch, unter dem sich bereits eine kleine Rotschnabel-Frankolinfamilie (Pternistes adspersus) versammelt hat. Heinz ist hochentzückt über die 3 Küken, die flauschfedrig unter den wachsamen Blicken ihrer Eltern erste Erfahrungen mit Toastbröseln und ähnlichen Hinterlassen-schaften unsererseits sammeln. Der Frankolinpapa wagt sich sogar auf den Tisch und pickt interessiert an seinem recht undeutlichen Spiegelbild in der Thermoskanne herum. Im Baum über uns hat sich eine Grautokodame (Tockus nasutus) niedergelassen und eruiert die Lage – ob hier wohl noch etwas zu holen ist?

In diesem Urlaub haben wir bis jetzt kaum Tokos zu Gesicht bekommen – Vögel, die sonst immer als erste zur Stelle sind, wenn Essen auf den Tisch kommt. Dafür aber können wir sie umso öfter hören. Ihr „Kawagga-wagga-wagga“ schallt aus

allen Bäumen und Büschen und signalisiert, dass sie Wichti-geres zu tun haben, als Touristen zu belauern und sich diesen als Fotomotiv zur Verfügung zu stellen: es ist Balz- und Brut-zeit. Allein unser einsames Tokomädl scheint noch keine amourösen Flausen im Kopf zu haben oder sie hat den Richtigen noch nicht gefunden …

Über all diesen Beobachtungen verstreicht ein gemütlicher Nachmittag, Stunden des Müßiggangs, die gut tun, in denen die Seele baumeln und Erlebtes verarbeitet werden kann. Doch schon ist es wieder 16 Uhr und Zeit für einen Evening Drive, auf den wir diesmal vorsichtshalber unsere drei Kisten mit-nehmen. Bereits auf dem Weg hinaus aus dem Campgelände kommen wir an einer Impala-Herde vorbei, die einen ganzen Kindergarten mit sich führt. Fürsorglich und wachsam umge-ben von den älteren Tieren, staksen die Kleinen auf teilweise

Vorige Doppelseite: Platz der idyllischen Wasserquerung. Diese Seite oben: neugierige Braundrosslinge; beinhebender Skink; Grautokomädchen. Unten – Flugobjekte verschiedener Art: Frankolinpapa; Wolkenformation; Sattelstorch; sich paarende Motten.

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noch sehr ungelenken Beinen durch das hohe Gras. Wenn der Regen kommt, beginnt eine Zeit des Überflusses, auch für die Impalas – das Gras sprießt schnell und saftig-grün und bietet reichlich Nahrung; es ist die Zeit, in der der Nachwuchs ge-boren wird. Und so, wie es aussieht, sind wir mitten in der Phase der Geburten, denn fast alle Impala-Herden, die wir zu Gesicht bekommen, haben so eine Kinderstube in ihrer Mitte.

Wenig später passieren wir einen Teich, an dessen Ufer ge-rade ein paar Hippos in der sanften Nachmittagssonne grasen und dort, wo der Teich in einem seichten Arm im Schilf endet, tummeln sich unzählige Vögel: Wollnackenstörche, Löffler, Klaffschnäbel, Sattelstörche, Waffenkibitze, Heilige Ibisse, Nilgänse, Nimmersatte, Graureiher. Sie alle sind emsig auf Nahrungssuche, jeder auf seine ihm eigene Art, spielen aber allesamt ein riskantes Spiel, denn im Wasser liegen auch eine ganze Menge Krokodile, die ihrerseits auf Beute lauern. Immer wieder schnellt eines der Reptilien aus dem Wasser und schnappt nach dem sorglosen Federvieh. So richtig ernst scheinen sie ihre Attacken nicht zu betreiben, dennoch ent-geht ein Mittelreiher nur mit knapper Not einem der aufge-rissenen Rachen, flattert völlig verschreckt hoch, um sich ein paar Meter weiter wieder niederzulassen – in der Nähe eines anderen Krokodils. Lange stehen wir hier und beobachten das Treiben, doch die sinkende Sonne lässt die Bäume bereits wieder lange Schatten werfen, die uns wie erhobene Zeigefinger zur Weiterfahrt mahnen.

Nach ein paar Kilometern überqueren wir eine große, baumfreie Fläche, über der hunderte von Scharlachspinten und Schwalben ihre Runden fliegen – es scheint reichlich Beute in der Luft zu sein. Mit in den Nacken gelegten Köpfen beobachten wir das rege Treiben am Himmel, leider aber ist das Licht schon zu schlecht, die Vögel zu schnell und unsere Objektive zu klein, um noch vernünftige Fotos von den farben-prächtigen Bienenfressern machen zu können. Außerdem scheint der Luftraum über uns nicht sonderlich beliebt, die Tiere halten deutlich Abstand zu uns Guck-in-die-Lufts. Höf-liche Störenfriede, die wir sind, setzen wir unseren Weg bald fort und erfreuen uns an dem wundervollen Licht, das die Landschaft sehr plastisch und noch besonderer macht, als sie ohnehin schon ist. Golden leuchtet das trockene Gras, intensiv grün das Schilf und die Bäume, tintenblau der Himmel. Wir

kurven einen malerischen Weg entlang, der aber bald im unbefahrbaren Nichts endet. Das Wenden gestaltet sich in diesem schilfig-sumpfigen Gelände etwas schwierig, deshalb steigen wir kurz aus, um die Bodenbeschaffenheit auszu-kundschaften. Gerade als wir wieder in die Autos klettern, kracht und raschelt es vernehmlich in einem nahen Wäldchen – das klingt verdächtig nach Elefanten! Rasch wenden wir die Autos und fahren vorsichtig, im Schritttempo, den Weg zu-rück. Und wie gut, dass wir vorgewarnt waren, denn direkt hinter der nächsten Biegung stehen ein paar Kühe mit ihren Kälbern mitten auf dem Weg und tröten uns warnend an. Motoren aus! Die Kühe überzeugen sich eine Weile von unserer Harmlosigkeit, dann lenken sie ihren Nachwuchs in unmittel-barer Nähe unserer Autos an uns vorbei. Wir scheinen sogar so unbedenklich zu sein, dass sämtliche Büsche neben uns noch gründlich und in aller Seelenruhe benascht werden. Es dauert lange, bis auch der letzte Elefant so weit von uns ent-fernt ist, dass wir bedenkenlos die Motoren wieder anwerfen können.

Die Sonne steht schon tief am Horizont und wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit unser Lager erreichen wollen, müssen wir uns ein bisschen sputen. So also drücken wir auf die Tube, soweit das in dieser Umgebung eben möglich und erlaubt ist, können den Sonnenuntergang nur am Rande würdigen und kommen tatsächlich im letzten Licht im Camp an. Es ist manchmal wirklich unglaublich: wir sind im Urlaub, ohne Termindruck, haben täglich knapp 13 helle Stunden zur Verfügung, kommen aber fast jeden Abend in Zeitnöte. Zu-hause würde mich das wahnsinnig nerven, aber hier sind die Gründe für unsere abendlichen Hetzereien so interessant, so schön, dass ich das Geeile gerne hinnehme. Lästig ist nur, dass man sich nicht an einen gedeckten Tisch setzen kann, sondern erst mal anfängt, das Abendessen vorzubereiten und dann warten muss, bis es fertig gegart ist – und das mit deutlich Hunger in der Bauchgegend. Heute gibt es Kartoffel-Ananas-Auflauf, ein kulinarisches Experiment, das nicht ganz nach jedermanns Geschmack ist, aber das Betthupferlbier spült’s schon runter. Gegen 22 Uhr begeben wir uns in die Zelte und schlummern, begleitet vom Schnorcheln der Hippos und dem Quaken der Frösche, einem neuen Tag entgegen, der sicher wieder vieles zu bieten haben wird.

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17. November 2009 Moremi GR, Xakanaxa – Maun

Und schon ist er da, der neue Tag – unser letzter im Moremi. Beim ersten Morgenlicht sind wir auf den Beinen, früh stücken, packen zusammen und machen uns auf den Weg, um nur ja keine der kostbaren Minuten hier zu verpassen. Die Stelle, an der gestern noch der Hippokampf tobte, ist heute ruhig und friedlich. Ein paar Krokodile sonnen sich am Ufer, Meerkatzen stromern durchs Gras, eine Lechweherde zieht äsend am Wasser entlang. Hinter der nächsten Wegbiegung treffen wir auf eine Ansammlung von Zebras, Kudus und Wasserböcken, die sich alle um einen von roten Algen bedeckten Ausläufer der Lagune scharen, um ihren Durst fernab der lauernden Krokodile zu stillen.

Eines der Zebras hat nur noch ein Stummelschwänzchen, mit dem es instinktiv, aber recht erfolglos nach Fliegen schlägt. Wenn ich so etwas sehe, Tiere mit Blessuren, Defor-mationen, Verletzungen, würde ich immer gerne in Erfahrung bringen, wer oder was die Ursache dafür war und wie sich das Handikap auf das Leben des Tieres auswirkt. Wir Menschen, wenn uns nur das Geringste zwickt oder zwackt, sind sofort mit Jammereien und Medikamenten bei der Sache, lassen uns krankschreiben, beantragen Reha, wollen psychotherapiert werden, irgendeine Behandlung, die alles kuriert und ver-gessen macht. Tiere haben diese Möglichkeit nicht – keine Schwanzprothese, kein Repellent, was in diesem konkreten Falle verordnet werden müsste – aber das Leben geht weiter oder eben auch nicht. Wenn ich selbst mal wieder auf hohem Niveau am Klagen bin, ist das einer der Gedanken, der mich zurück auf den Boden bringt …

Bald kommen wir abermals an den zweikanaligen Wasser-graben, an dessen Ufer Sven gestern noch eine Sandburg gebaut hatte. Heute wäre eine solche Aktion nicht wirklich angeraten, denn gerade kommt eine Löwin zum Trinken aus den Tiefen des Schilfs hervor. Eine Löwin! Wir sind ganz auf-geregt und hoffen, dass da noch mehr Katzen in der Gegend sind, schließlich müssen sie endlich unseren Wildhund-Über-schuss ausgleichen. Die Löwin steht am Ufer, heftig atmend, und beugt ihren Kopf zum Wasser. Um es mit ihrer Zunge er-reichen zu können, müsste sie den Hals ganz lang machen,

was ihr aber offensichtlich zu beschwerlich ist. Sie tritt einen Schritt nach vorne, tapst mit einer Pfote ins Wasser und schüttelt diese sogleich angewidert. Es dauert eine ganze Weile, bis sie eine bequeme, pfotentrockene Position gefunden hat und endlich zu schlabbern beginnt. Ihr heftiger Atem lässt sie immer wieder innehalten, um Luft zu holen – das Tier macht einen recht erschöpften Eindruck. Die Geier im Baum auf der anderen Grabenseite zeigen an, warum: Madame war auf Jagd und das offenbar erfolgreich.

Na, da wollen wir doch mal nachsehen; den richtigen Weg durchs Wasser kennen wir ja von gestern. Schnell sind wir drüben und bereits hinter der nächsten Schilfinsel liegt das ganze Rudel, direkt am Weg. Und gleich daneben die frisch gerissene Beute, ein Büffel. Er ist schon gründlich ausgehöhlt, seiner größten Leckerbissen beraubt, ein Hüftknochen ragt gut abgenagt in die Luft, die Leber trocknet unangetastet neben dem aufgerissenen Bauch. Was hier so streng riecht, ist nicht das noch ganz frische Fleisch, sondern die herausge-zerrten Gedärme. Der Riss ist sicher nicht älter als ein paar Stunden, die Jagd war kräftezehrend und auch die Verdauung fordert ihren Tribut: das Katzenvolk liegt völlig geschafft im Schatten, döst, schläft und rührt keine Pfote. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Bewegung hinter mir, auf meiner Autoseite. Es ist die umständliche Trink-Löwin, die sich da nähert und in einem knappen Meter Abstand an mir vorbei-marschiert. Sie schaut mir kurz etwas ungnädig in die Augen und ich schwanke zwischen Faszination und Gänsehaut. Auch der Löwin ist nicht ganz behaglich angesichts des grünen Etwas namens Landy, direkt neben ihrer Beute. Schwer schnaufend packt sie den Kadaver am Nacken und zerrt das immer noch massige Tier zentimeterweise tiefer ins Gras. Das ist Schwerstarbeit, die Löwin keucht, pausiert immer wieder. Als die Beute endlich in Sicherheit gebracht ist, kommt sie zurück und bedeckt alle noch herumliegenden Reste mit Erde und Gras. Danach legt sie sich, völlig ausgepumpt, zu ihren Rudelmitgliedern in den Schatten. Das dürfte es gewesen sein, denken wir, bis auf ein bisschen Augenzwinkern, Schwanz-klopfen und genüsslichem Räkeln wird hier die nächsten Stunden wohl nichts Nennenswertes mehr stattfinden. Also wenden wir unsere Autos, fahren zurück zum Wassergraben, um unseren Weg fortzusetzen. Doch weit gefehlt! Am Ufer

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kommt gerade ein junges Männchen, das wir noch nicht bemerkt hatten, aus dem Schilf und hat Durst. Der Junglöwe ist nicht so zimperlich wie seine weibliche Verwandte, was den Wasserkontakt anbelangt. Zielstrebig tapst er bis zu den Ellbogen ins nasse Element und beginnt ausgiebig zu trinken. Danach watet er noch tiefer hinein, bis auch sein vollge fressener Bauch halb unter der Wasseroberfläche verschwindet und sieht sich unternehmungs-lustig um. Doch kein Artge nosse weit und breit, mit dem er sich die Zeit ver-treiben könnte. Gelangweilt rupft er an ein paar Seerosenblättern herum, schleudert sie durch die Luft und verbeißt sich schließlich in einem schlammi-gen Wurzelballen. Er wirft seinen Kopf hin und her, späht nach spielwilligen Gefährten, erfolglos, und klemmt sich den Erdklumpen dann resigniert un-ters Kinn, quasi als Kopfkissen. Darauf bettet er sein müdes Haupt – mitten im Wasser – und schläft ein.

Nicht lange und der erddurchsetzte Wurzelballen löst sich peu à peu auf, das schwarze Näschen unseres Badelöwen sinkt immer weiter nach unten; so weit, bis seine Atemluft das Wasser bereits zum Blubbern bringt. Er schreckt hoch, steht auf und macht zu unserem Entzücken einen formvollendeten Katzenbuckel. Justament in diesem Augenblick nähert sich ein anderer Löwe, vielleicht ein älterer Bruder. Und der kommt unserem gelangweilten See-rosenschläfer gerade recht. In geduckter Haltung wird gewartet, bis sich der potentielle Spielgefährte in günstige Attackier-Position begeben hat und dann – Sprung, Satz, Spiel! Das Brüderlein erschrickt und zeigt sich genervt, macht aber das Gerangel notgedrungen mit. Unser Kleiner ist begeistert; endlich jemand zum Ärgern. Mal um Mal springt er spielerisch den strapa-zierten Bruder an, der ihm immer wieder eine überbrät und schließlich das Weite sucht. Heißa, was für ein Spaß, findet das Spielkind und folgt dem Genervten hopsend ins Schilf. Heißa, war das unterhaltsam, finden wir - zu-mindest für uns! Wie oft trifft man auf Löwen, die in typischer Katzenmanier faul im Schatten liegen, kaum eine Wimper bewegen und findet das schon ganz toll. Aber dieses Intermezzo war ein Schauspiel der Extra klasse, an dem wir als Zuschauer teilhaben durften. Ganze zwei Stunden lang, so stellen wir bei der Weiterfahrt fest, zwei Stunden, die wie im Flug vergangen sind.

Seite 81–83: Mitglieder des Löwenrudels, das uns so lange aufs Trefflichste unterhalten hat.Diese Seite: die Strunkplantage; beim Überqueren der Third Bridge; die weiße Lechwe inmitten ihrer normal gefärbten Artgenossen; Elefanten von hinten – die letzten dieses Urlaubs.Seite 87: Regenglänzender 20-cm-Ochsenfrosch (Pyxicephalus adspersus).

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Kurz nach unserer Löwensichtung überqueren wir eine weite Ebene, auf der, neben ein paar Zebras, auch unzählige tote Bäume stehen. Auf derartige Ebenen trifft man öfter im Moremi, der ja Teil des Okavango-Deltas ist. In Jahren ergiebi-ger Regenfälle und/oder eines hohen Flusspegels stehen solche tiefliegenden Landschaftsteile unter Wasser und wenn dieser Zustand zu lange anhält, sterben die Bäume ab. Das ist die praktische, logische Er klärung. Wir hingegen haben noch eine andere: es sind bewusst angelegte Strunk-Plantagen, in der die Parkverwaltung mit Hingabe Stämme in Tierform heranzüchtet, um sie bei Erntereife an strategisch günstigen Plätzen zu ver-teilen. Wie oft schon dachten wir, eine Giraffe, einen Löwen, einen Leoparden gesichtet zu haben; bei näherem Hinsehen aber waren es nur Strünke. Struncus camelopardalis, struncus felidaeformis, struncus pseudopardus, allesamt ssp. moremien-sis. Und heute haben wir eines der Hauptanbaugebiete ent-deckt – ein himmelschreiender Skandal! Jetzt, wo wir unan-fechtbare Beweise für die perfide Touristentäuschung in der Hand haben, werden wir uns wohl doch beschweren müssen.

Mit diesen natürlich sehr „ernst“ gemeinten Vorsätzen überqueren wir die Third Bridge. Heinz, dem ja das Erlebnis Original-Knüppelbrücke am North Gate entgangen war, darf nun wenigstens dieses rustikale Konstrukt im Urzustand er-leben. Die Brücke, der Papyrus und die Badewarnschilder tun ihre zu erwartende Wirkung: er staunt nicht schlecht, foto-grafiert eifrig und amüsiert sich über das Badeverbot. Wer kommt schon auf die Idee, hier schwimmen zu gehen? Ich frage mich das auch seit Jahren, aber offenbar haben tatsäch-lich einige Menschen derart abstruse Gedanken in die Praxis umgesetzt – und nicht alle haben überlebt. Ob John (oder so ähnlich) auch so einer war? Beim Überqueren der Brücke nämlich fällt mir ein nagelneues, silberglänzendes Schildchen auf, das gut sichtbar an einem Pfosten angebracht ist und auf dem ein Name nebst Lebensdaten eingraviert steht. Ein Wohl-täter des Moremi, ein verstorbener Afrika-Fan mit einem Gedenk täfelchen an seinem Lieblingsplatz oder doch ein ver-rückter Schwimmer? Am Ende der Brücke kommt uns ein Parkangestellter entgegen, den ich mir gleich mal schnappe. Aber schade, er weiß nicht, wovon ich spreche und kann mir so auch keine Auskunft geben. Dabei wäre ich doch sooo neu-gierig … Egal, das finde ich schon noch heraus!

Wir setzen unseren Weg Richtung Maquee Gate, Richtung Maun fort – am Himmel dräuen mal wieder dunkle Wolken. Manche der Tiere, die wir zu Gesicht bekommen, sehen auch tatsächlich schon etwas verwaschen aus. Offenbar treiben wir den Regen vor uns her oder aber, die schlechtere Variante, wir folgen ihm zielstrebig. Gegen Nachmittag erreichen wir die Xini Lagoon, an der Annette und Jochen vor einigen Monaten ein weißes Lechwekalb gesehen hatten. Natürlich wäre es in-teressant zu wissen, ob das Tier noch lebt. Angestrengt halten wir Ausschau; unsere Chancen stehen nicht schlecht, denn Lechwes sind recht territorial. Eine große Herde dieser Moor-antilopen zieht grasend am Ufer der Lagune entlang, aber alle Tiere sind ganz normal lechwe-hellbraun. Nein, halt, da hinter der Schilfinsel kommt etwas Weißes hervor: es ist be-sagtes Kalb, das sich immer noch des Lebens freut und mittler-weile fast schon erwachsen ist. Das muss ich mir genauer an-sehen! Letztes Jahr im South Luangwa sahen wir ein weißes Pavianbaby, schneeweiß wie die Lechwe, aber mit braunen Augen. Ein Blick durch das Fernglas zeigt, dass die Antilope ein echter Albino ist – sie hat leuchtend rote Lichter. Umso erstaunlicher, dass sie noch lebt. Sie ist ja nicht nur extrem auffällig, geradezu ein wandelndes Signal für alle Predatoren, sondern zudem noch gehandikapt durch ihre fehlenden Pig-mente, ihre ausnehmend lichtempfindlichen Augen – und das in der gleißenden Sonne Afrikas. Wir freuen uns sehr, dieses besondere Tier munter und wohlauf zu sehen.

Weniger munter und wohlauf präsentiert sich wenige Kilo-meter weiter ein Elefantenkälbchen. Wir treffen auf die Herde ganz in der Nähe des Gates; die Tiere sind ungewöhnlich scheu, nervös und ergreifen sofort die Flucht, als wir an ihnen vorbei-fahren. Der Grund für dieses Verhalten ist das offensichtlich verletzte Kalb, das von den besorgten Erwachsenen in größt-möglichem Tempo in Sicherheit gebracht wird. Der Kleine hinkt schmerzgeplagt, getrieben von den stützenden Rüsseln seiner Herdenmitglieder ins schützende Schilf: sein rechtes Hinterbein macht ihm ganz arg zu schaffen, aber wir können nicht genau erkennen, was kaputt ist: ein verheilender Bruch, eine Kniegelenks-Luxation? Wir sputen uns, wollen die Herde nicht länger mit unserer Anwesenheit bedrohen. Ein paar Kilo-meter sind es noch bis zum Gate, der Weg wird immer be-schwerlicher. Erstens ist die Fahrspur durch jüngste Regenfälle

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völlig verschlammt, so dass wir immer wieder richtig ackern müssen, um durch diese glitschigen, saugenden Badewannen zu kommen. Desweiteren wird Patricia, der absolute Elefanten-Fan, von heftiger Wehmut gepackt, denn es werden die letzten Kilometer dieser Reise sein, auf denen es die grauen Riesen zu sehen gibt. Entsprechend dieser Gegebenheiten zieht sich die Strecke, aber wir erreichen das Gate, ohne uns festzufahren und Patricia hatte noch mehrmals ausgiebig Gelegenheit, sich Aug’ in Aug’ von ihren Lieblingen zu verabschieden.

Wir checken ordnungsgemäß aus, ich frage erfolglos nach den Hintergründen für die Plakette an der Third Bridge, wir lauschen ein allerletztes Mal dem ohrenbetäubenden Gesang der Zikaden, dann sind wir schon auf der Gravel Road Rich-tung Maun. Sie ist, verglichen mit letztem Jahr, wirklich gut zu fahren. Besonders angenehm machen sich auch die vorange-gangenen Regenfälle bemerkbar: der allgegenwärtige Staub bleibt, wo er hingehört – auf der Straße. Schnell erreichen wir den Großraum Maun und Heinz freut sich über den dichter werdenden Verkehr, der hier vorwiegend aus abenteuerlich konstruierten Eselskarren besteht, die er aus dem fahrenden Auto heraus zu fotografieren versucht. Mit einem neu er-standenen Bündel Brennholz laufen wir schließlich im Maun Rest Camp ein, 10 Kilometer außerhalb der Stadt, direkt am Ufer des Thamalakane. Der übliche Lageraufbau folgt; ange-sichts des gewittrigen Himmels spannen wir vorsichtshalber auch gleich unsere Regenplane – eine weise Entscheidung, wie sich noch zeigen wird. Und dann treibt es uns, völlig un-typischerweise, in die Stadt. Annette und Jochen müssen noch einige Besorgungen machen und wollen dem Department einen Besuch abstatten, den Rest der Truppe zieht es eher zu den Andenkenläden. Aber wir sind mal wieder zu spät, alle Souvenirshops haben schon geschlossen oder sind gerade im Begriff, die Gitter herunter zu lassen. Vielleicht haben wir ja am Flughafen noch Chancen; dorthin müssen wir sowieso, da die meisten von uns zuerst Geld wechseln müssen. Heinz und ich haben als Erste Pula in der Hand und stürmen in den Laden am Tor des Flughafens. Auch der wird gerade geschlossen, aber wir dürfen noch rein – für eine Viertelstunde. So hatten wir uns das nicht vorgestellt und mir verdirbt der Zeitdruck jegliche Kauflust; und nicht nur der, auch die happigen Preise tun ihr Übriges. Heinz denkt ähnlich, aber bei einem raschen

Rundgang durch den Shop entdeckt er eine kleine, knubbelige Holzfigur, die es ihm sofort angetan hat. Die oder keine! Für satte 50 Euro wandert der afrikanische Gollum in seinen Rucksack und wir aus dem Laden; unsere Reisegenossen, die in der Eile auch nicht fündig geworden sind, mit uns.

So, und was machen wir jetzt? Am besten ist es wohl, zu-rück ins Zentrum, auf den Parkplatz bei Rileys Garage zu fah-ren. Die einzigen Geschäfte, die dort noch geöffnet haben, sind Supermärkte, Möbelläden und ein paar Restaurants. Die Entscheidung ist schnell getroffen: wir gehen Essen. Unsere Wahl fällt auf ein recht gepflegt aussehendes Lokal mit Selbst-bedienung. Hinter einer Glastheke stehen mehrere große Warmhaltebehälter, gefüllt mit afrikanischen Basis-Köstlich-keiten: Curry, Chicken, Stielmus, Reis und Mealie Pap. Man kann hier frei kombinieren – bei dieser kleinen Auswahl nicht schwer – und bekommt das Gewählte mit einem recht lieb-losen Schwapp aus einer großen Kelle auf den Teller ge-klatscht. Die Preise sind sehr moderat, alle Gäste, außer uns, schwarz und das Essen äußerst schmackhaft. Zufrieden füllen wir unsere knurrenden Mägen – mit ein bisschen schlechtem Gewissen, denn Annette hat für heute Abend bestimmt ge-plant und eingekauft. Doch das hat sicher auch noch Platz, beruhigen uns unsere immer hungrigen Männer; bis es erneut Essen gibt, ist das hier schon wieder verdaut. Wie recht sie damit haben, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht …

Gestärkt kehren wir zum Auto zurück und beschließen, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, zum Camp zu fahren. Jürg, der sich mit Annette und Jochen auf dem Parkplatz treffen wollte, ist ein bisschen unschlüssig; weder die beiden noch der grüne Landy sind zu sehen. Ausgemacht ist ausge-macht, meint Jürg und da die beiden auch per Handy nicht zu erreichen sind, beißt er in den sauren Apfel seiner Ab machung: er bleibt, während wir fünf uns für die Rückfahrt in die „Meer-kat“ quetschen. Ganz wohl ist uns nicht, Jürg in der begin-nenden Dämmerung in Maun zurückzulassen, aber er besteht darauf. Nach einigem Gepfriemel mit der rechten Hintertür, die aufgrund eines defekten Dichtungsgummis partout nicht zugehen will, sind wir endlich an Bord und lassen Jürg schweren Herzens auf dem Parkplatz allein.

Im Camp empfangen uns heftige Windböen und ein minüt-lich schwärzer werdender Himmel. Ich bringe gerade unser

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schönes, trockenes Feuerholz im Auto in Sicherheit, als der grüne Landy angerumpelt kommt – ohne Jürg! Annette und Jochen konnten ihn auf dem Parkplatz nicht entdecken und nahmen an, er wäre mit uns gefahren. Wie ärgerlich! Tommi und Sven machen sich sofort auf den Weg zurück nach Maun und sind noch keine 5 Minuten vom Platz, als das Gewitter losbricht. Der Himmel ist rabenschwarz, Blitze zucken wie Stroboskop-Licht, die Donner sind ein einziges, zusammen-hängendes Krachen und ein tierischer Sturm tobt. Als wir uns gerade ins Auto flüchten wollen, entdecken wir im flackernden Licht der Blitze, dass drei unserer Zelte davongeweht zu werden drohen. Verdammt, die waren mal wieder nicht abgespannt!

In strömendem Regen und bei orkanartigen Böen versuchen wir zu retten, was zu retten ist, was aber unter diesen Bedingungen fast unmöglich erscheint. Binnen Sekunden sind wir nass bis auf die Knochen, außer Annette, die sich in ihrer panischen Angst vor Blitzschlägen nicht mehr aus dem Auto traut. Ver-zweifelt hämmern wir Heringe in den aufgeweichten Boden, spannen Schnüre um Bäume, die wir vor Regen kaum noch sehen können, stemmen uns gegen blähende Zeltplanen. Annettes und Jochens leichtes Zelt ist schnell vertäut, Tommis und Jürgs schwere Baumwollzelte hingegen leisten erbitterten Widerstand. Notdürftig richten wir sie mit vereinten Kräften halbwegs auf und verspannen sie so, dass sie wenigstens nicht

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mehr wegfliegen können. Dann flüchten auch wir uns ins Auto. Wie getaufte Bisamratten beobachten wir triefend und tropfend das Inferno um uns herum, das einfach nicht nach-lassen will. Inzwischen sind auch Tommi und Sven mit Jürg zurückgekehrt – sie mussten mehrmals anhalten, weil die Sicht gleich Null war und hätten darob das Camp beinahe noch verfehlt. Jetzt stehen sie neben uns, eine Unterhaltung aber ist nicht möglich, denn man kann die Fenster nicht öffnen – waagrecht presst der Sturm den Regen durch jeden noch so kleinen Spalt. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis das Unwetter wenigstens so weit abflaut, dass wir uns alle-samt unter der Plane versammeln können.

Sven versorgt uns sofort mit Getränken aus dem Kühlschrank der „Meerkat“, doch bevor ich mich von innen befeuchte, muss ich erst mal meine triefenden Klamotten loswerden, sonst bin ich morgen krank. Heinz, der Süße, stürzt sich wieder in den Regen hinaus und kramt ein paar trockene Sachen für uns aus den dunklen Tiefen des Zelts. Mann, tut das gut, raus aus den nassen T-Shirts, rein in die mollig-trockenen Fleece-Jacken – die Hosen lassen wir an, sie würden ohnehin sofort wieder nass durch die vollgesaugten Campingstühle. Wir stoßen an auf dieses Monstergewitter, darauf, dass wir alle heil und zusammen im relativ Trockenen sitzen und darauf, dass wir wenigstens zu Trinken haben, denn auch heute Abend ist an Kochen nicht zu denken. Wie gut, dass wir noch Essen waren … Langsam geht der strömende Regen in leichtes Nieseln über und mit dieser Wetterbesserung kommen auch die Insekten. Riesige Pillen-dreher brummen torkelnd zu unserem Laternchen hin, fliegen uns dabei gnadenlos nieder, noch riesigere Nachtfalter landen zuhauf mit klatschnassen Flügeln auf der Tischplatte und bleiben hilflos flappend dort kleben. Vor dem Wasch-häuschen sitzt ein beachtlicher Ochsenfrosch, glotzt uns be-wegungslos an. Die Augen auf den Flügeln der Falter schillern im Laternenlicht wie mit Glimmerlidschatten geschminkt, der Frosch glänzt nass vom Regen, bewegt lautlos seinen Kehlsack und ich freue mich, das sehen zu dürfen. Und ich freue mich auf unser hoffentlich einigermaßen trockenes Zelt und darauf, mich an meinen schier unerschütterlichen Kerl zu kuscheln, während wir beim Einschlafen den Tropfen auf der Zeltwand lauschen. Mhhhhmmmm!

18. November 2009 Maun – CKGR, Kori Pan

Wir wachen auf und es tropft noch immer aufs Zelt. Ein Blick nach draußen zeigt, dass das Wasser nur aus den Bäumen kommt, aber der Himmel sieht trotzdem nicht sehr vielver-sprechend aus. Alles ist klamm, die Temperatur recht unge-mütlich und ich fühle mich nicht so happy, wie ich eigentlich sollte. Heute nämlich beginnt der Teil der Reise, auf den ich mich am meisten freue – wir werden ins tiefe und hoffentlich trockene Herz der Kalahari vordringen; eine Gegend, die mich durch ihre Kargheit ganz besonders anzieht. Apropos anziehen: viele trockene Sachen haben wir nicht mehr, deshalb spanne ich mein Wäscheseil zwischen zwei Papayabäumen und hänge das nasse Zeug auf; vielleicht verdunsten ja noch ein paar Milli liter bis zu unserer Abfahrt. Heinz und Jürg haben in-zwischen ein munteres Feuerchen entfacht und bald gibt es ein deftiges Frühstück mit Rührei und Boerewors, quasi als Ausgleich für das ausgefallene Abendessen. Das tut gut, wie auch die ersten zögerlichen Sonnenstrahlen, die durch ein Loch in der Wolkendecke spitzen. Mein Optimismus kehrt zurück und vor lauter „Übermut“ stürze ich mich nach dem Packen unter die Dusche. Mein Bedarf an Wasser in äußer-licher Anwendung wäre eigent lich vorerst gedeckt, aber die Sache mit dem Duschen könnte in den nächsten Tagen ein wenig schwierig werden …

So, die Hygiene-Prophylaxe ist erledigt, unser Krempel im Auto, auch die immer noch feuchten Klamotten, und wir fahren los. Zunächst mal bloß bis zum Campoffice, um für die Nacht zu bezahlen. Die Lady hinter dem Tresen erzählt, es gäbe zwei- bis dreimal im Jahr schwere Gewitter in der Gegend, aber das Unwetter von gestern Abend sei unge-wöhnlich heftig gewesen – mehr oder weniger ein Jahrhun-dertgewitter. Na, das haben wir ja prima getroffen! Doch wir hatten es vergleichsweise wirklich noch gut mit unseren Zelten und Autos, denke ich mir, als wir nach Maun hinein-fahren und ich mir die teilweise recht löchrigen Hütten an-sehe. Die sind alles andere als dicht, beherbergen ganze Familien samt deren Hab und Gut und sehen auch nicht unbedingt aus, als würden sie allzu heftigen Stürmen stand-halten. Wie zum Beweis liegen Strohmatten und Blechteile

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auf der Straße, genauso wie herabgefallene Äste, und überall stehen tiefe Pfützen; der Verkehr in die Stadt wird mehrmals um diese Hindernisse her-umgeleitet. In Maun City hingegen ist alles wie immer – nur ein bisschen sauberer und weniger staubig.

Wir parken unsere Autos am Flughafen und schwärmen, wie gehabt, aus. Annette und Jochen ins Department, das gestern schon geschlossen hatte und wir in die Souvenir läden. So richtig Verlockendes aber haben diese nicht zu bieten. Heinz ist ohnehin schon versorgt und mir macht der Andenkenkauf in Läden zudem nicht wirklich Spaß, also marschieren wir beide nach einer Weile die zwei Kilometer zur Hauptstraße hinüber. Die dortige Mall ist leider ebenfalls ziemlich uninteressant – bis auf einen riesigen Schnapsladen mit beeindruckenden Beständen. Ein überreiches Angebot an Weinen, Bieren und anderen Spirituosen aus aller Herren Länder, in großen Flaschen, kleinen Fla-schen, Dosen und Kanistern wird hier feilgeboten. Heinz entscheidet sich nach ausgiebigem Bummel für einen leichten Kokos-Aperitif, den er heute Abend zur Feier unserer Ankunft in der Zentral kalahari ausschenken will und ein abenteuerlich aussehendes Chemie-Fruchtsaftgemisch-Döschen für sich selbst. An der Kasse wollen wir das und meinen Guavensaft bei einer schwar-zen Kassiererin bezahlen, die allerdings extrem lustlos wirkt. Im Adler-Such-system tippt sie die Preise ein, gibt umständlich und quälend langsam Wech-selgeld heraus und sagt dann nuschelnd etwas, was klingt, als würde sie gerne unsere „Passports“ sehen. Was, wir Anfangs-Vierziger sollen uns aus-weisen? Mal davon abgesehen, dass unsere Pässe im Auto tresor ruhen, sehe ich das gar nicht ein. Doch penetrant wiederholt die Kassenschnecke brab-belnd dieses eine Wort. Ist die besoffen? „Pssstgr“, beharrt sie schläfrigen Blicks. Endlich begreifen wir, was sie meint: „Plastic bag for your drinks?!“ Wir nicken erleichtert und sie wirft unsere Getränke mit gelangweilter Ruhe in eine windige Plastiktüte, die wir immer gut als Müllsackerl brauchen können …

Mit unseren hart erarbeiteten Einkäufen traben wir zurück Richtung Flug-hafen, wo Tommi und Jürg schon in einem Café auf den Rest der Truppe warten. Doch Patricia und Sven sind noch beim Shoppen, Annette und Jochen nicht in Sicht, so dass Heinz und ich die Zeit nutzen und ein paar Postkarten einmarkten; in den kommenden Tagen haben wir sicher mal Muße, an unsere Lieben zuhause zu schreiben.

Diese Seite: der Boteti führt Wasser; Vet Control in Makalamabedi; schnurgerader Veterinary Fence; Matswere Gate, der Eingang zum CKGR.Nächste Seite: Blüte des Farbkätzchenstrauchs (Dichrostachys cinerea; Sickle Bush); Blüte des Schwarzdorn-Silberbuschs (Catophractes alexandri; Trumpet Thorn).

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Inzwischen sind auch Annette und Jochen wieder da, kopfschüttelnd, und erzählen uns auf der Weiterfahrt wenig prickelnde News aus dem Department. Ein Aufenthalt auf der Linyanti-Campsite zum Beispiel soll in Zukunft 50 US-Dollar pro Person und Nacht kosten. 50 Dollar für einen, zugegeben, wunderschönen Platz, ein heruntergekommenes Sanitärhäus-chen, je eine Wasserstelle und sonst nichts? Nein, nein, so die Aussage, keine Sorge, alles würde neu und schön und sei dann sicher das Geld wert. Keine Sorge? Leichter gesagt, als getan, denn genau das machen wir uns. Sorgen, was da wohl hingebaut werden soll. Ein Luxus-Ablution-Block, eine Flussterrasse, ein Zaun? Es kann auf jeden Fall nichts sein, was diesen Preis rechtfertigen und den Ort in unseren Augen derart extrem aufwerten würde; im Gegenteil. Meine düsteren Ahnungen nebst Bauchgefühl dräuen schon wieder – hier ist nichts Gutes im Gange!

Annette hat inzwischen mit ihrem Sohn in Deutschland telefoniert und auch von dort kommen nicht die besten Nachrichten. Patrick hat den Wetter bericht für unsere nächsten Ziele ausgekundschaftet und der be-sagt, dass es in den nächsten Tagen noch regnerisch bleiben soll. Na super! Mein Autositz, üppig bedeckt mit Handtüchern und Karton, feuchtet noch immer durch diese dicke Schicht hindurch, unsere Klamotten sind nicht mal ansatzweise trocken und jetzt soll es noch mehr regnen – und das in der Kalahari. Nun, wir werden ja sehen.

Was wir jetzt gerade sehen, hängt auch mit den Regenfällen zusammen, ist aber ein wirklich schöner Anblick: der Boteti führt Wasser! Aus ver-gangenen Jahren kenne ich nur sein trockenes, staubiges Bett und freue mich sehr über das träge dahinfließende Wasser, in dem kleine, saftig-grüne Inselchen stehen. Wir halten an, um dieses Bild zu genießen und auch, um unsere Fleischvorräte vorübergehend aus dem Kühlschrank zu nehmen. Sie wandern in eine Höhle tief zwischen unseren Gepäckstücken, denn bald kommen wir nach Makalamabedi und dort gibt es eine Vet Control, an der jegliche Rohfleisch-Bestände konfisziert werden, sofern man sie entdeckt …

Am Checkpoint angekommen, lassen wir den Officer in unser Auto sehen, in unseren Kühlschrank und tun ganz unschuldig – natürlich haben wir kein rohes Fleisch dabei! Brav latschen wir durch ein versifftes Desin fek-tionsbecken, tunken gehorsam unser lose im Auto herumliegendes Schuh-werk in die Brühe und der Beamte ist zufrieden. Allerdings versetzt ihm Jürg einen gehörigen Schreck, als er ihn auf drei riesige Stabheuschrecken hinweist, die auf des Officers Rücken Platz genommen haben. Der Knabe wirft einen ungläubigen Blick über die Schulter und beginnt zu hüpfen. „Tu die weg, tu die weg!“, quiekt er. Hach, ist das schön, dass auch andere Menschen, sogar Einheimische, ein Problem mit solchem Viehzeug haben! Ein hilfsbereiter Kollege mit weniger Angst kümmert sich um den Hyste-

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rischen, wir passieren unbehelligt den Kontrollposten und biegen gleich danach rechts ab. Fast 80 Kilometer geht es jetzt einen schnurgeraden Doppelzaun entlang, der die Trenn-linie zwischen Haina Veld Farms, einem riesigen Rinderweide-areal, und reinem Wildgebiet bildet. Der Zaun soll verhindern, dass Rinderseuchen wie MKS von den domestizierten Tieren auf den Wildbestand übergreifen bzw. umgekehrt. Solche Zäune findet man in ganz Botswana; in der Praxis haben sie sich leider als nur bedingt tauglich herausgestellt und zudem präsentiert sich die vor uns liegende, linealgerade Strecke, so-weit das Auge reicht, als recht öde. Zumindest auf den ersten Blick, denn sobald wir außer Sichtweite des Kontrollpostens sind, halten wir an und schlichten unsere, auch aus Seuchen-schutzgründen verbotenen Vorräte wieder in den Kühlschrank. Und kaum stehen wir, offenbart das scheinbar langweilige Buschland auch schon wieder seine Kleinodien: unscheinbare Schwarzdorn-Silberbüsche tragen wunderschöne weiße Blüten mit dottergelben Stempeln, die keck aus den langen Kelchen ragen. Das Weiß harmoniert mit den graugrünen, leicht pelzi-gen Blättchen dieses zur Familie der Trompetenbaumgewächse gehörenden Busches. Auch die Rotrindenakazien (Acacia refi-ciens; Red Thorn) stehen in vollem Schmuck; üppige Dolden kleiner, cremefarbener Blüten hängen zwischen mimosen-fiedrigen Blättern in zartem Grün und werden von Schwärmen summender Insekten besucht. Das alles ist so Ton in Ton, so pastellig, dass die zweifarbigen Blütenpüschel des Farbkätz-chenstrauchs in ihrer Gelb-Pink-Kombination geradezu her-ausleuchten. Ja, so habe ich mir das vorgestellt, gewünscht! Die einsetzende Regenzeit beginnt ihre Wirkung zu tun, ihren Zauber zu entfalten und wir könnten tatsächlich das Glück haben, eine blühende Kalahari erleben zu dürfen. Und das ist es, auf was ich mich in diesem Urlaub am meisten gefreut hatte. Dass auch Heinz, Annette und Jochen meine Begeiste-rung uneingeschränkt teilen, macht das Ganze noch viel schöner.

Auf der Weiterfahrt vergraben Heinz und ich uns in das exzellente Buch über blühende Kalahari-Pflanzen von N. van Rooyen, das nicht nur mit detaillierten Beschreibungen und guten Fotos glänzt, sondern auch den jeweiligen medizini-schen Wert der Wüstengewächse erklärt. Über dieser Lektüre verfliegen die eintönigen Kilometer und bald schon kommen

wir am Kuke Corner an, wo der Veterinary Cordon Fence auf den Kuke Fence trifft und die Strecke einen Knick nach Süd-osten macht. 21 Kilometer noch und wir erreichen Matswere Gate, unsere Eintrittspforte in das Central Kalahari Game Reserve. Eine freundliche Rangerin empfängt uns, froh, dass sie endlich mal wieder ein bisschen Abwechslung im Job hat. Ein Blick ins Gästebuch erklärt ihre Freude: wir sind die ersten Touristen seit 7 Tagen! Da ist es natürlich Ehrensache, ein Schwätzchen zu halten und ein wenig über unsere bisherigen Erlebnisse zu berichten – auch über den Sintflutregen von gestern. Die Rangerin tut ganz erstaunt und versichert uns mit treuherzigem Augenaufschlag, wir müssten uns keine Ge-danken machen, hier hätte es noch nicht geregnet und würde es wohl so schnell auch nicht tun. Wenn sie meint, die Gute … Der Himmel allerdings spricht eine andere Sprache. Was unse-re Wünsche anbelangt, sind wir natürlich etwas im Zwiespalt; einerseits können wir gerne auf Regen verzichten, anderer-seits hoffen wir auf Blütenpracht und das eine geht ohne das andere nicht. Doch egal, ob Regen oder nicht, Wasser be-nötigen wir auf alle Fälle für die nächsten Tage; deshalb füllen wir noch unsere Wassertanks in den Autos und die 20-Liter-Duschsäcke, die wir anschließend aufs Dach schnallen.

Dann geht es hinein in den Park und schon auf den ersten Kilometern ist deutlich zu sehen: es hat sehr wohl geregnet und auch reichlich! Auf den frisch gegradeten Wegen stehen tiefe Pfützen, die die Worte der Rangerin nun endgültig Lügen strafen. Die verschlammte Straße ist nicht ganz einfach zu befahren, hat aber auch ihre guten Seiten: eine besonders große Lache, so sehen wir schon von weitem, ist offenbar be-liebter Bade- und Trinkplatz. Riesige Schwärme von Mahali-, Textor- und Blutschnabelwebern sitzen in den umliegenden Bäumen und tauchen wie schwirrende Wolken im Schichtbe-trieb hinab zum Wasser. Heinz’ Augen beginnen zu leuchten – auf so etwas hatte er gehofft. Langsam pirschen wir uns näher und beobachten das phantastische Treiben. Winzige gefiederte Körperchen in Grau, Braun und leuchtendem Gelb stürzen wie überdimensionale Wattebälle schwarmweise in die Pfütze, baden flügelschlagend, verspritzen Myriaden silberner Tröpfchen, bevor sie gesammelt wieder hochfliegen und den nächsten Vogelwolken Platz machen. In allen Bäumen der näheren Umgebung hängen kunstvoll gewobene, kugel-

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förmige Nester aus goldgelbem Gras – die Wohnungen der Mahaliweber, die somit direkt an der temporären Adria der Kalahari residieren. Heinz ist so fasziniert, dass er am liebsten gleich hier sein Zelt aufschlagen würde, was aber natürlich nicht geht. Davon abgesehen haben wir eine Buchung für ein Kori-Pan-Camp, das wir schön langsam mal ansteuern sollten. Schweren Herzens trennen wir uns von dem aufregenden Tümpel, durchpflügen schlechten Gewissens das klare Wasser mit unseren schweren Land Rovern und setzen unseren Weg fort, hinunter nach Deception Valley.

Das CKGR strengt sich mächtig an und präsentiert uns erste Oryx- und Springbockherden, ein Grüppchen Gnus und zahl-reiche Borstenhörnchen, die aufgeregt mit ihren Puschel-schwänzen schlagen, Männchen machen und uns neugierig anstarren. Gegen Nachmittag erreichen wir die sanfte Abfahrt

hinab ins Deception Valley, das Tal der Täuschung. Heute ist es eher das Tal der Enttäuschung, denn von hier oben könnte man eine wundervolle Sicht auf die Weiten der tieferliegen-den Pfannen haben; könnte, doch leider ist das Wetter relativ trüb und verwehrt uns dieses Erlebnis. Dafür aber sitzt ein kleiner Greifvogel auf dem Wegweiser an der Talkreuzung und lässt genau in dem Augenblick, als ich meine Kamera auslöse, ein kleines weißes Häufchen fallen. Damit drückt er aus, was ich fühle: Scheiß aufs Wetter, Hauptsache ich bin hier! Wir bewegen uns am Pfannenrand entlang, beobachten aus unmittelbarer Nähe eine Springbockherde – die meisten der Tiere grasen ruhig, ein paar übermütige Jungböcke hingegen gehen rauflustig aufeinander los. Mit Schmackes krachen die Schädelplatten mit den kurzen Hörnchen aufeinander, die Rückenhaare werden eindrucksvoll aufgestellt, die Kontra-

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henten trennen sich, machen ein paar gummiballartige Hüp-fer und ergehen sich in Übersprungshandlungen wie Kratzen und Putzen, bevor sie erneut die Köpfe senken. Das ist doch eine schöne Nachbarschaft für heute Nacht!

Kurz darauf kommen wir auf unserer gebuchten Site an, wunderschön gelegen am Rande der Pan und sehr spatiös. Doch was müssen wir entdecken? Da steht bereits ein Tisch mitsamt Stühlen an der gemauerten Feuerstelle, daneben ein Haufen Feuerholz und zwischen den Bäumen hängen an einer Wäscheleine zwei khakifarbene Handtücher. Nein, nicht schon wieder! Immerhin sind keine Zelte zu sehen, was den Abzug der Site-Besetzer deutlich beschleunigen dürfte; wir sind fest entschlossen, uns heute nicht vertreiben zu lassen. Auch für mich ist die Sache klar: es ist unsere Site, aber die ist groß genug, um im äußersten Notfall doch noch die zwei Hand-tuchbesitzer zu beherbergen – was ich auf keinen Fall will, ist Streit. Im Moment jedoch habe ich ohnehin nur einen Wunsch; nämlich aufzubauen und das immer noch nasse Zeug zum Trocknen aufzuhängen. Doch niemand meiner Mitreisenden macht Anstalten, mit dem Aufbau zu beginnen, es wird nur heftig diskutiert und sich prophylaktisch aufgeregt. Das wiederum regt mich tierisch auf und ich beginne deshalb, die Zelte aus der Dachkiste zu holen. Es ist eine ganz schmale Stahlleiter, die da aufs Dach führt, ich habe Sandalen an und bereits auf der zweiten Sprosse knalle ich in meiner genervten Schwunghaftigkeit mit dem rechten kleinen Zeh frontal gegen die senkrechte Strebe der Leiter. Aua, tut das weh! Wutentbrannt vollende ich mein Werk, leere die Kiste, bevor ich wieder nach unten klettere und den Schaden begutachte. Es pocht nur noch leicht im Zeh, dafür aber steht der Nagel im Neunzig-Grad-Winkel nach oben und es blutet heftig. Egal, denke ich mir, gebrochen scheint nichts zu sein; ich biege den Nagel kurzerhand wieder nach unten und schleppe unser Zelt samt Plane an ein hübsches, ruhiges Örtchen mit schöner Aussicht auf die Pan. Heinz bemerkt erst jetzt, was ich da

treibe und eilt sofort herbei. Gemeinsam bauen wir auf, ich berichte von meinem Missgeschick und werde getadelt: „Siehst Schneck, sowas passiert, wenn man sich über Dinge aufregt, die es nicht wert sind.“ Ja, er hat ja recht, aber manchmal übermannt mich der Zorn, da bin ich zu meinem Leidwesen machtlos und ich muss mit dem Kopf durch die Wand. Oder eben mit dem Zeh an die Leiter … Was meine Blessur anbe-langt, bin ich zugegebenermaßen eher sorglos, werde aber von Heinz fürsorglich und vorbildlich verarztet. Er spült vor-sichtig Sand und Blut ab, desinfiziert die Wunde und verklebt den Zeh sehr gründlich, um ihn vor eindringendem Schmutz zu schützen. Dankbar und gut versorgt ziehe ich meine letzte saubere Socke über den Fuß und widme mich endlich unseren nassen Klamotten.

Auch die anderen haben mittlerweile ihre Diskussionen be-endet und bauen auf, schön verteilt über den ganzen Platz. Danach stellen wir gemeinsam das Fremd-Equipment beiseite, richten uns häuslich an der Feuerstelle ein und begießen unsere Ankunft mit Heinz’ Aperitif, der sogar Jochen, dem erklärten Kokoshasser, richtig gut mundet. Gemütlich am prasselnden Feuer sitzend, beobachten wir gerade den Sonnen-untergang, als sich ein Fahrzeug nähert – die Site-Besetzer. Es ist ein junges, tschechisches Pärchen, das da voll schlechten Gewissens aus dem Auto klettert, sich vielmals entschuldigt und nach einer wirklich netten, streitfreien Unterhaltung weiterzieht. Die beiden hatten am Vortag ihren gebuchten Platz nicht mehr erreicht und sich hier niedergelassen, in der Hoffnung, die Site sei nicht reserviert. Und weil es so schön war, sind sie gleich einen weiteren Tag geblieben. Jetzt räumen sie ohne Diskussionen das Feld und fahren weiter zum Nachbar-platz, der bei ihrer Herfahrt noch unbesetzt war. Na also, alle Aufregung war umsonst! Entspannt genießen wir unser Braai, das Lagerfeuer und den lauen, trockenen Abend, bevor wir, begleitet von Schakalgeheul, schlafen gehen.

Oben: das Badebecken der Mahali-, Textor- und Blutschnabelweber; man sieht ganz deutlich: es hat überhaupt gar nie nicht nicht geregnet …; weiter Blick in die Ebenen der Zentralkalahari.Unten: Spießbock oder Oryx (Oryx gazella); junges Springbockmännchen (Antidorcas marsupialis); der kleine Greif vogel, der aufs Wetter kackt.

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19. November 2009 CKGR, Kori Pan – Piper’s PanEs passiert selten, dass ich nachts wach werde, aber heute gegen drei Uhr dringt ein Geräusch in meine Träume, das ich lieber nicht hören möchte: prasselnder Regen, gepeitscht von heftigem Wind, trommelt auf unsere Zeltplane hernieder. Nein, nein und nochmal nein! Gestern beim Zubettgehen hat-te ich zufrieden die fast trockene Wäsche befühlt und be-schlossen, sie über Nacht hängen zu lassen. Shit, das war die falsche Entscheidung. Eigentlich müsste ich jetzt raus, aber will ich das wirklich? Vielleicht regnet es ja schon länger und die Sachen triefen wieder, dann würde ich umsonst aus dem Zelt krabbeln. Ach, wurst, egal, wegfliegen kann das Zeug ja nicht und irgendwann wird es schon mal trocken werden. Irgendwann, murmle ich und kuschle mich zurück in meinen warmen, weichen, trockenen Schlafsack.

Im Morgengrauen erwache ich dann erneut, unser Zelt hängt schwer im Gestänge, die Wäsche klatschnass auf der Leine. Es nieselt, es windet, alles ist Bäh und ich bin nieder-geschlagen. Nicht nur, weil ich es extrem ungemütlich finde, sondern vor allen Dingen wegen Heinz. Er war vor über 20 Jahren ein paar wenige Male beim Zelten und jedes einzelne Mal hatte es geregnet. Im Vorfeld dieser Tour versicherte er mir, er hätte kein Problem mit Camping – außer es würde wieder nass … Und es ist nass, so richtig!

In Regenjacken nehmen wir ein kurzes Frühstück im Stehen, im Schutze unserer Plane, und während wir kauend ver suchen, unseren Optimismus aufrecht zu erhalten, hört der Regen tat-sächlich auf. Dann folgt Business as usual – wir packen. Jeder kämpft freudlos mit den sandig-klammen Ausrüstungsgegen-ständen, auch Jürg, der ganz abseits hinter ein paar Büschen logiert. Plötzlich ertönen aufgeregte Rufe aus dieser Richtung und Jürgs lange Arme winken uns über die Buschspitzen hin-weg herbei. Beim Zusammenrollen seines Zeltes kam auf ein-mal ein Skorpion zum Vorschein, der es sich zwischen Zelt-boden und Plane wohlig trocken eingerichtet hatte. Jetzt fühlt er sich verständlicherweise sehr gestört, richtet immer wieder seinen Stachel auf, huscht ein paar Schritte vorwärts, bis er sich erneut zusammenklappt. Der hübsche kleine Kerl ist eine willkommene Abwechslung in der Packroutine und hebt

unsere Laune deutlich. Nach ein paar Fotos allerdings verkrü-melt sich das Spinnentier, wir packen fertig und verkrümeln uns auch.

Langsam tuckern wir am Rande des Deception Valley ent-lang und schütteln ungläubig die Köpfe: alles steht unter Wasser, der ungemütliche Wind lässt Pfützen aussehen, als wären sie Fließgewässer, die kleinen Salzpfannen sind Teiche mit spiegelnder Wasseroberfläche. Am Himmel fliegen laut schimpfend ein paar verwaschene Schildraben, am Boden putzen sich verstrubbelte Borstenhörnchen, deren Schwänze nassen Weihwasserbürsten ähneln, Oryxe und Springböcke stehen mit zwischen den Schultern eingezogenen Köpfen bedröppelt in der Gegend herum. Wenn wir nicht genau wüßten, wo wir sind, wir würden es nicht glauben. Doch trotz aller Tristesse und Ungemütlichkeit ist auch das ein besonde-res Erlebnis, das uns sicher in Erinnerung bleiben wird. Aber wenn es schon so nass ist, dürfte auch mal etwas blühen, denke ich mir. Ein paar Kilometer später erfüllt mir die Kalahari meinen Wunsch und etwas Rotes leuchtet da aus dem nassen Sand neben der Straße. Es ist eine Karoo-Lilie – wie schon unsere Moremi-Scadoxus gehört auch sie zu den Amaryllis-Gewächsen, ist voller heilsam-giftiger Alkaloide und voller Schönheit. Aus einer dicken, unterirdischen Knolle, die einem in der Trockenzeit gar nicht auffallen würde, sprießt nicht nur ein Stängel mit üppigen, weinroten Blüten, sondern auch ein Blattfächer, der in seiner Symmetrie aus der Nähe betrachtet optisch unglaublich reizvoll ist. Der vorangegangene Regen hat dicke, gewölbte und ganz scharf abgegrenzte Wassertrop-fen auf den Blättern hinterlassen, in denen sich jetzt die ersten zaghaften Sonnenstrahlen des Tages fangen. Jürg wirft sich flach auf den Boden, um dieses Bild in allen Einzelheiten fotografisch festzuhalten, Heinz hingegen würde die Knolle am liebsten ausgraben und mit nach Hause nehmen. So er-freut sich jeder auf seine Weise an dieser zauberhaften Pflan-ze, deren Entdeckung zugleich wie ein Wendepunkt des Tages scheint.

Unaufhaltsam nämlich kämpft sich jetzt die Sonne durch den wolkenverhangenen Himmel, gewinnt peu à peu die Oberhand und taucht alles Weitere, was wir sehen, in freund-liches Licht, das die Farben leuchten lässt. So auch die beiden Roten Stachelagamen, die eine Weile später im Kampf über

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Rote Stachelagame (Agama aculeata); Rotschnabelenten (Anas erythro-

rhyncha); ungemüt liches Frühstück; Regenwolken über der Kalahari; Jürgs Unter mieter; Oryxantilope;

Tropfen auf dem Autofenster; Heinz und Jochen beim Holzsammeln;

Karoo-Lilie (Ammocharis coranica); unser Camp in der Piper’s Pan;

Annette montiert den Gnuschädel; Blattfächer der Karoo-Lilie.

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den Sand tanzen. Von intensivem Blau-Türkis sind ihre Köpfe bis hinab zu den Schultern, eine typische Ausfärbung in der Paarungszeit, die allerdings zunehmend verblasst, je länger sich die Echsen von uns beobachtet fühlen. Wir lassen die bei-den Kontrahenten alleine und fahren weiter; die Sonne spie-gelt sich in den babypo-glatten Pfützen, auch in einer beson-ders großen, die da gerade vor uns erscheint. Doch deren Wasseroberfläche ist leicht wellig; Wellen, die konzentrisch von etwas ausgehen, das auf der Pfütze treibt. Wir trauen unseren Augen nicht, als wir näher kommen und erkennen, wodurch diese Wellen verursacht werden: es ist ein Pärchen von Rotschnabelenten (Red-billed Teal), der wohl individuen-stärksten Entenart Afrikas. Also keine Seltenheit, dass man sie zu Gesicht bekommt, doch Enten sind in der Regel „hydrophile“ Wesen, bevorzugen Feuchtgebiete, Seen, dauernassen Lebens-raum. Hallo, wo sind wir gleich nochmal? Man könnte es glatt vergessen: in der Kalahari, die uns weiterhin mit wechsel-haftem Wetter verwöhnt. Immer wieder klatschen dicke Tropfen auf unsere Scheiben, gleich darauf lichten sich die schweren Wolken und die Sonne hinterleuchtet weiße Cumu-lus-Gebilde in Schäfchenform an einem schier unendlich scheinenden Himmel, der sich über goldgelbe Grasebenen und vegetationslose Salzpfannen spannt.

Das ist die Weite, nach der sich mein Blick, mein Gemüt so gesehnt haben. So weit das Auge reicht – Ebenen, Wolken, Raum, Grenzenlosigkeit – das dominierende Afrikabild meines innersten Empfindens, das, was mich jedes Jahr aufs neue hierher zieht. Zwischendurch, gerade an den Pfannenrändern, sind natürlich auch Tiere zu sehen: Schakale, Oryxe, Spring-böcke. Doch komisch, so nahe sie auch sein mögen, empfinde ich sie eher nur als schmückendes Beiwerk in einer grandiosen Landschaft, die mich völlig anders, tiefer berührt, als zum Bei-spiel das überbordende Paradies am Khwai. Vielleicht gibt mir diese Umgebung Kraft, mich auf das Wesentliche zu kon-zentrieren, vielleicht ist sie in ihrer Kargheit Balsam auf die Wunden meiner von einer Erfolgsgesellschaft gestressten Seele, vielleicht auch Spiegelbild meines Sehnens nach Ehr-lichkeit, schnörkelloser Wahrheit und Klarheit des Seins. Zu-hause, in meiner üblichen Welt, muss ich permanent auf allen Kanälen, mit sämtlichen Antennen auf Empfang stehen, sehe mich in der Pflicht, auf Zwischentöne, verwinkelte Schach-

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züge anderer zu achten, Konsequenzen im Voraus zu beden-ken, muss ständig wechselnde Eindrücke zuordnen und rich-tig einschätzen. Hier kann ich Augen und Geist schweifen lassen, ohne anzuecken, werde aufgesogen von schonungs-loser Ewigkeit und faszinierender Purheit. Diese Umgebung entrückt, beflügelt, befreit mich; zumindest phasenweise, denn natürlich kann ich meinen Background nicht völlig tilgen und mich meinen erlernten Bewertungsschemata auf Dauer entziehen. Da hinten zum Beispiel stehen Gnus, ein paar wenige nur, wie hingemalt am Pfannengrund – ein Tier exakt im Goldenen Schnitt unter dem perfekten Schirmdach einer Akazie. Meine Augen nehmen das wahr, mein Geist genießt, mein zivilisationsgeschultes Kritikbedürfnis vermeldet: Baum-situation unbefriedigend. Warum? Weil sich weder Gnu noch Akazie aufgrund des dahinterliegenden, leicht erhöhten Pfan-nenrandes frei gegen den Himmel abheben. Es ist offenbar schlicht und einfach unmöglich, sich ganz von Erlerntem zu befreien, aber allein diese Erkenntnis hat schon was für sich!

Und nicht jede Baumsituation lässt Wünsche offen, stellen wir ein paar Kilometer weiter fest. Wir benötigen nämlich noch Brennholz und ein kleines Waldinselchen neben dem Weg offeriert uns dicke abgestorbene Äste und brennfreudige Zweiglein in Hülle und Fülle. Begeistert sammeln wir, so viel die Arme und Autodächer fassen, bevor wir weiter Richtung Piper’s Pan fahren. Annette klaubt unterwegs noch einen Gnuschädel auf, den sie freudestrahlend auf dem Reserverad vor der Windschutzscheibe befestigt. Das Ding macht sich gut da, ich allerdings bin weniger angetan, denn bei Fotos aus der Rückbankposition heraus nach vorne sind immer störende, unscharfe Hörner im Bild. Doch im Moment ist das egal, denn bald darauf kommen wir an unserem heutigen Tagesziel an: Piper’s Pan, CKP2, ein wundervoller Platz direkt am Rande der Pfanne mit perfekter Sicht. Rund um unsere Site – und nur um

diese – stehen Pflanzen, die Heinz sofort in Extase versetzen. Meterhoch erheben sich gnubbelige Stämme mit papyrus-artig abblätternder Rinde und winzigen Blättern gegen den Horizont. Das sind Sukkulenten, eindeutig! Nur welche, wie heißen sie? Bevor wir das genau bestimmen, errichten wir unser Lager, spannen sicherheitshalber auch die Regenplane, denn es dräuen schon wieder Gewitterwolken.

Mit unerschütterlicher Zuversicht hänge ich abermals unsere nassen Klamotten zwischen zwei Bäumen auf, während Heinz sich schon ungeduldig durch unsere Pflanzenbücher wühlt. Und die Bordbibliothek ist unschlagbar: wir haben es hier mit Sesambäumen zu tun, einer von zwei im südlichen Afrika heimischen, stammsukkulenten Pedaliaceae (Sesamge-wächse) mit sehr begrenztem Verbreitungsgebiet. Diese Schätzchen werden bis zu 5 Meter hoch, haben – so das Buch – keinerlei medizinischen Wert, nicht mal das weiche, faserige Holz ist zu etwas zu gebrauchen, aber das ist uns herzlich egal. Heinz ist hin und weg, endlich etwas ihm bis dato Unbekann-tes, Sukkulentes entdeckt zu haben und ich als alter Pachy-podienfan fühle mich sehr angezogen von den caudiciformen Gnubbelstämmen, den cremeweißen, extrem langkelchigen Blüten und den leicht behaarten, prallen Schoten. Die gelb-grüne Rinde, die mintgrünen Blättchen bilden einen reiz vollen Kontrast zum gewitterschweren Himmel, die Blüten sind einzig artige Kunstwerke und verströmen einen zarten Duft. Ich schnuppere begeistert, Heinz hingegen kann dem gegen-wärtigen Zustand der Sesamothamnusse im wahrsten Sinne des Wortes nicht ganz so viel „abgewinnen“ – er hat es in erster Linie auf keimfähige Samen abgesehen. Mit Adlerblick umrundet er einen Sesambaum nach dem anderen, sucht Bo-den und Geäst nach geeignetem Material ab, aber die Schoten der letzten Vegetationsperiode sind alle aufgeplatzt und leer, die neuen Samenkapseln noch grün und unreif. Schade!

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Langsam senkt sich die Sonne, Heinz verschiebt die weitere Samensuche auf morgen und wir machen uns in unwirklich schönem Licht auf den Weg zum Sundowner. Besser gesagt, wir würden gerne losfahren, nur leider springt der grüne Landy nicht an. Heute Morgen hatte er auch schon gezickt und wir schrieben die Probleme der nassen Nacht zu; jetzt allerdings hört sich das vergebliche Startgeorgel eher nach schlappschwänziger Batterie an. Kurzerhand schieben wir mit vereinten Kräften, der Motor tuckert los und wir umrunden die Pan östlicherseits, direkt hinein in einen Sonnenunter-gang, der seinesgleichen sucht. Der Himmel ist wolkig und das Gewölk ändert minütlich seine Farben; von Maisgelb über Lachs, Orange, Hellrot, Blutrot, Pink, Lavendel, Violett und Purpur bis hin zu Nachtblau; die Wolkenränder immer einen Tick leuchtender als die Wolken selbst. In jedem einzelnen Moment denkt man, es könne nicht noch intensiver werden, um das Sekunden später wieder zu revidieren. Phantastisch! Allein die Baumsituation, mal so nebenbei angemerkt, ist wie-der ziemlich unbefriedigend … Aber das tut diesem traumhaf-ten Sonnenuntergang kaum einen Abbruch, auch nicht, dass wir das Auto zum Starten schon wieder anschieben müssen. Darum kümmern wir uns morgen, jetzt fahren wir erst mal ins Camp und machen uns dort einen gemütlichen Abend. Ge-sagt, getan. Doch beim Kochen, es ist bereits völlig dunkel, erhebt sich plötzlich heftiger Wind. Annette sucht mit dem Gaskocher verzweifelt nach Windschatten, wir errichten einen Paravent, aber es bläst immer heftiger aus allen Richtungen. Sandböen wirbeln in die Kochtöpfe, in unsere Augen und während des zwischen den Zähnen knirschenden Abendessens beginnt es erneut zu tröpfeln. Die letzten sandigen Bissen schluckend, wünschen wir uns gute Nacht, werfen alles Ge-schirr ungespült in die Autos und ziehen uns in unsere Zelte zurück. Trotzig lasse ich die Wäsche hängen, kuschle mich lieber an Heinz und lausche mit ihm dem Gepladder auf unserer Zeltplane, das so heimelig einschläfernd klingt …

20. November 2009 CKGR, Piper’s PanHeute Morgen weckt uns kein Regen, sondern das aufgeregte Geschnatter unserer Mitreisenden. Neugierig krabbeln wir aus dem Zelt, werden mit lautem Hallo und Glückwünschen be-grüßt – Glückwünsche, dass wir noch leben. Langsam filtern wir aus dem Erzählungsgewirr, was heute Nacht geschehen ist: wir hatten Löwenbesuch! Es waren wohl zwei Männchen in weiblicher Begleitung, die da zu nachtschlafener Stunde laut brüllend durchs Camp gezogen sind. Neben Patricias und Svens Zelt ist noch ein deutlicher Pfotenabdruck zu sehen und die beiden sind vor Angst fast gestorben, als einer der Löwen direkt neben ihnen seinen Ruf durch die Dunkelheit schickte. Heinz und ich sehen uns an und schütteln die Köpfe, denn keiner von uns beiden hat etwas von dem Spektakel mitbekommen. Die anderen können gar nicht fassen, dass wir nichts, nicht das Geringste gehört haben. In Anbetracht der immensen Lautstärke, die so ein Katzentier zustande bringt, wundert mich das offen gestanden auch ein bisschen. Von mir selbst bin ich ja solchen Bleischlaf gewöhnt, aber dass auch Heinz nicht aufgewacht ist … Er wird offenbar schön langsam ein richtiger „Afrikaner“!

Nach einem ausgiebigen Frühstück und erneuter Auto-schieberei machen wir uns auf die Suche nach den nächt-lichen Störenfrieden. Wir nehmen die Westseite der Pfanne und bereits nach wenigen Kilometern werden wir fündig. Ein prächtiges Männchen, zwei Weibchen und vier Jungtiere liegen da im Schatten eines kleinen Bäumchens und räkeln sich wohlig in der Morgensonne. Den Löwenmann ziert eine wie frisch frisiert wirkende, schwarz-goldene Mähne, die so üppig ist, dass Büschel davon sogar unter den Achseln hervorlugen – wie bei Nena in ihren besten Zeiten! Wir manövrieren uns in die günstigste Fotoposition und beobachten lange das Treiben der Katzen. Die erwachsenen Tiere bieten ja nicht viel Action,

Vorige Seite: grasbewachsene Pfanne in der Zentralkalahari. Seite 96: farbenprächtige Phasen eines Sonnenunterganges. Nächste Seite: Nachmittagslicht streichelt die Piper’s Pan.

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aber die Kleinen sorgen für Bewegung in der Szenerie. Alle naslang wechseln sie den Liegeplatz, beschmusen die Großen, versuchen deren Schwänze zu erhaschen, starten Kletterver-suche auf das Bäumchen, spitzen ihre Krallen, springen sich gegenseitig an. Das Löwenmännchen wirkt etwas genervt ob der Betriebsamkeit des Nachwuchses, erträgt aber das Ge-wusel eine ganze Weile mit stoischer Ruhe. Als ihm eines der Spielkinder direkt in die Mähne hopst, wird es ihm dann doch zu viel und er erhebt sich, nähert sich dem zweiten Weibchen, dem er zärtlich amouröse Avancen macht. Doch die Olle weist ihn rüde zurück – nicht vor den Kindern! Frustriert schnuppert der Korbempfänger ersatzweise an einem Pfützchen seiner Angebeteten und beginnt sogleich in Bilderbuchmanier zu flehmen. Lautlos reißt er sein Maul auf und zieht sich die an-regenden Pheromone tief in den Rachen, vorbei am Jacobson-schen Organ und speziellen Riechzellen, die ihn den Geruch mit allen Sinnen genießen lassen.

Ein schönes Bild, das aber ein abruptes Ende findet, als plötzlich das zweite Männchen (wie wir schon vermutet hatten), aus den Tiefen der goldgelben Graslandschaft auftaucht. Es nähert sich gemächlichen Schrittes seinem Rudel, von dem es sofort freundlich begrüßt wird. Die Kleinen sind voller Spiel-hoffnung, defilieren kopfstupsend um ihn herum, doch der neue Onkel, Papa oder wer auch immer er sein mag, lässt sich nur gähnend in den nächstbesten Schatten sinken. Nun kehrt bräsige Ruhe bei den Miezen ein und wir beschließen, das Familienidyll nicht weiter zu stören. Mit unserem dauer- juckelnden Motor sind wir tatsächlich ein Störfaktor, doch das Risiko, ihn abzuwürgen, konnten wir einfach nicht einge-hen. Obwohl es die Löwen sicher erfreut hätte, wären wir in ihrer unmittelbaren Nähe zum Schieben ausgestiegen …

Ein paar Kilometer weiter, in mehr als sicherer Entfernung unserer nächtlichen Besucher, stoppen wir erneut, denn eine Schildkröte kreuzt unseren Weg. Ein ausgiebiger Sicherheits-blick in die Runde zeigt, dass wir unseren Motor gefahrlos zum Schweigen bringen und aussteigen können. Die Schild-kröte macht sich eilig aus dem Staub, aber wie immer gibt es genug anderes zu sehen. Knochenweißer, trockener Hyänen-kot liegt zuhauf herum, lässt uns über die verspeisten Opfer rätseln, Agamen rascheln über den Boden, eine einbeinige Heuschrecke versucht sich zu verstecken und der nächtliche

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Ein Tag rund um die Piper’s Pan: einbeinige Heuschrecke; Heinz vor

einem Sesambaum (Sesamothamnus lugardii); gestreifter Tausendfüßer; beim Schnuppern an der Sesamo-

thamnusblüte; unser Lager am Rande der Pfanne; Löwenmännchen folgt

Damenduft; beim Wasserdestillieren; Mama mit drei ihrer Kleinen;

die Hitze lässt Ebene und Kudus flimmern; tausend Beinchen beim Festhalten; Spiel mit der Mama;

flehmender Löwenmann; Blüte und Schote des Sesambaums; nach dem

Schlafen wird sich gestreckt; kurz vor Sonnenuntergang; gleich ist sie weg.

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Regen hat wieder Tausendfüßer hervorgelockt. Zu hunderten ringeln sie sich in den Ästchen des niedrigen Buschwerks, das die Pfanne umgibt. Sie sind noch größer als die letzten Exem-plare, die wir im Mudumu NP entdeckt hatten und sehen auch ein bisschen anders aus. Ihre Beinchen sind nicht dunkel-, sondern eher rotbraun und da, wo sich ihre Chitinringe an der Außenseite einer Rundung auseinanderspreizen, treten helle Streifen zutage. Nachdem wir uns alle an den Zebra-Millipeden und den anderen kleinen Schätzen der Natur sattgesehen haben, steuern wir langsam wieder unser Camp an, wo wir uns nach einem Mittagssnack der Muße des Nachmittags hingeben. Jürg wirft sich in seine Hängematte, Heinz geht auf Samen-suche, wird tatsächlich fündig und lässt sich glücklich mit einem Buch im lichten Schatten eines Sesambaums nieder. Jeder von uns verbringt die heißesten Stunden des Tages so, wie es ihm am besten gefällt und wir alle genießen den ungetrübten Sonnenschein, der zumindest heute über den Regen gesiegt zu haben scheint – und unsere Klamotten restlos getrocknet hat!

Doch das Leben hält permanent Aufgaben bereit und unsere ist es, das Problem mit dem Auto in den Griff zu bekommen. Jochen baut die Motor-Batterie aus, schließt die des Kühl-schranks an, aber auch diese schwächelt. Er geht der Sache weiter auf den Grund und vermutet schließlich, dass beide Bat-terien, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben, durch eine Frischzellenkur mit destilliertem Wasser wieder fit werden könnten. Das klingt durchaus einleuchtend, allein des-tilliertes Wasser haben wir nicht zur Verfügung. Da erwachen die MacGyvers in unseren Männern und eine halbe Stunde später steht ein abenteuerliches Kondensier-Konstrukt auf dem Gaskocher. Der befüllte Teekessel wölkt über einen mit Tape am Ausgießer befestigten Plastikschlauch Wasserdampf in eine Plastikflasche, die ebenfalls am Hals dicht abgeklebt wurde. Die Flasche aus dünnwandigem Kunststoff wiederum steht in einem Topf mit kaltem Wasser, damit sie den hohen Tempera-turen des einströmenden Dampfes standhalten kann. Ab-wechselnd dichten wir den Teetopfdeckel mit einem nassen Geschirrtuch ab und beobachten fasziniert, wie Tropfen für Tropfen selbstgemachten, destillierten Wassers in die schrum-pelige Plastikflasche platscht. In regelmäßigen Abständen „erntet“ Jochen das reine Nass mit einer injektionsbenadelten Spritze und führt es den schlaffen Batterien zu. Es ist unglaub-

lich, wie viel Flüssigkeit in die trockengelaufenen Kammern passt und es dauert ewig, bis wir genügend Destillat gewonnen haben und alles ausreichend befüllt ist.

Die renovierten Batterien werden nun wieder eingebaut, das Auto durch Schieben gestartet und Jochen umrundet mehrmals die Pfanne, um den Energiezellen neue Ladung zuzuführen. Gespannt dösen wir dem späten Nachmittag entgegen, bevor wir erneut in die Autos klettern. Doch die MacGyver-Aktion war vergebens, unser Sorgenkind startet nicht von alleine. Schiebenderweise setzen wir die Karre in Gang, be suchen unsere Löwen, die nach wie vor bewegungs-los im mittlerweile deutlich gewanderten Schatten liegen. Kurz nur blinzeln sie unser öttelndes Fahrzeug an, bevor sie die Köpfe erneut zu Boden sinken lassen und weiterschlafen. Wir im grünen Landy fahren deshalb schon mal weiter zum Sundowner-Spot, während Patricia, Sven, Jürg und Tommi in der weißen „Meerkat“ noch ein wenig bei den Katzen bleiben. Doch die Tiere sind so abendfaul, so actionlos, dass auch unser zweites Auto bald darauf bei uns eintrifft. Heute Abend ist der Himmel nur leicht bewölkt, der Sonnenuntergang fällt darob um einiges flauer aus als gestern. Das Einzige, was wirklich spektakulär glüht, sind Heinz’ Knie und Jürgs Gesicht: die beiden haben sich einen Sonnenbrand vom Feinsten einge-fangen. „Ah, leck!“, sagt Schneck und streicht sich vorsichtig mit den Händen über die knallrote Haut, Jürg hingegen hat sich so verbrannt, dass ihn fröstelt und ihm sogar die letzten, milden Sonnenstrahlen Schmerzen bereiten. Doch bald senkt sich die Dunkelheit wohltuend auf Jürgs gequälte Haut und wir verlassen unseren Aussichtspunkt. Der grüne Landy springt diesmal freiwillig an und bald sind wir, hoffnungsfroh, was das Auto anbelangt, zurück im Camp, wo schon sandfreies Abendessen in den Potjies gart. Erfahrungsklug durch den gestrigen Sturm, hatten wir es bereits vor dem Evening Drive in die Glut gesetzt und können es jetzt in aller Ruhe ver-zehren. Ein paar Kudus umrunden währenddessen kauend unser Lager, in der Ferne brüllt einer der Löwen und wir ge-nießen den fried vollen, lauen, windstillen Abend inmitten der Kalahari. Beim Zubettgehen nehme ich mir ganz fest vor, die Löwen, sollten sie heute Nacht wieder kommen, nicht zu verpassen, aber bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, bin ich schon eingeschlafen.

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21. November 2009 CKGR, Piper’s Pan – GhanziEine regenlose Nacht liegt hinter uns, die Löwen waren leider nicht im Camp, haben aber ganz in der Nähe gebrüllt, was mal wieder nicht zu Heinz und mir durchgedrungen ist. Doch das kann unser Vergnügen nicht trüben, in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen des neuen Tages ein zeitiges Frühstück einzu-nehmen. Danach brechen wir das Lager ab und es ist eine wahre Wohltat, trockene Sachen einpacken zu können. Ein Skorpion, der sich diesmal zur Abwechslung unter Heinz’ und meinem Zelt häuslich eingerichtet hat, empfindet das plötz-liche Sonnenlicht und das Wegfallen seines Schutzes als weniger prickelnd – immer wieder huscht er dem Schatten des Zeltbodens hinterher, den Heinz vorsichtig über ihn hin-

weg rollt, richtet seinen Stachel drohend auf. Wir wissen nicht so genau, wie giftig das Tierchen ist, wollen ihm und uns jeg-liches Leid ersparen, also fängt Heinz den aufgebrachten Arachniden mit einer abgeschnittenen Wasserflasche ein und setzt ihn sanft, fernab des Packgeschehens, im Schutze eines Sesambaumes wieder ab. Vor der Abfahrt pflückt Annette noch – zu meinem Entzücken – den Gnuschädel von der Kühler-haube, verziert damit einen Baum im Camp und los geht’s.

Öttel-öttel-öttel, macht der grüne Landy. Dieses Geräusch zerschlägt unsere gestrigen, kurz aufgekeimten Hoffnungen, wir müssen also doch wieder schieben! Gott sei Dank geht das recht easy, denn die Campsite ist leicht abschüssig und das schwere Gefährt kann mit nicht allzu großem Kraftaufwand so beschleunigt werden, dass der Motor nach ein paar Metern des Schiebens anspringt. Froh, dass die Kiste wieder läuft,

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klettern wir an Bord und starten unsere heutige Tour, deren Ziel das Kalahari Rest Camp in der Nähe von Kang ist. Keine ganz unbeträchtliche Strecke, die wir da zu bewältigen haben und vor allen Dingen eine sehr sandige. Doch erst mal müssen wir hier weg. Auf halber westlicher Höhe der Piper’s Pan führt ein Weg hoch auf den Pfannenrand und offenbart uns einen kurzen Blick auf eine weitere Campsite, die aber nicht mal ansatzweise so schön gelegen ist wie unsere – und Sesambäume wachsen hier auch nicht, nur sichtversperren-des Gestrüpp. Zudem verschandelt eine kaputte Pumpstation den ohnehin schon spärlichen Rundblick. Wir hatten definitiv den schönsten Platz! Beglückt von dieser befriedigenden Erkenntnis steuern wir weiter durch die Kalahari, die sich hier, in dieser Ecke, recht reizlos präsentiert. Der Himmel bewölkt sich schon wieder, die Erde ist knochentrocken und ohne jegliches, aus dem fahrenden Auto heraus, wahrnehmbares Leben. Kilometer um Kilometer schrubben wir herunter, noch immer in der Hoffnung, unsere Batterien viel-leicht doch regenerieren zu können. Ein Probestopp jedoch, auf halber Strecke zwischen Piper’s Pan und Xade Gate, bringt bittere Gewissheit: der Wagen startet nicht, macht keinen Mucks mehr und wir müssen ihn nun sogar an-schleppen, da das Gelände nicht zum Schieben geeignet ist. Während Jochen die beiden Autos mit dem Abschleppgurt verbindet, delektiert sich der Rest der Truppe an der Umgebung, die bei näherem Hinsehen so tot gar nicht ist. Neben huschenden Agamen, hüpfenden Insekten und wogenden Ähren gibt es hier noch etwas zu sehen, oder besser gesagt, zu hören. Brrrrrz, knattert es allenthalben durch die Luft. Brrrrrz, schon wieder, aber richtig sehen können wir nicht, wer oder was dieses Geräusch verursacht. Zunächst vermuten wir, es könnten Grillen oder Reptilien sein, aber Heinz kommt dieses Geknatter sehr bekannt vor: es sind Vögel, in diesem Falle Lerchen, die im Balzflug ihre Flügelkanten aneinander schlagen und so dieses Geräusch erzeugen. Man lernt eben nie aus.

Jochen hat mittlerweile den Abschleppgurt befestigt – die „Meerkat“ be-schleunigt und zieht unser Sorgenkind hinter sich her, das mehrmals ruckelt und öttelt, sich aber nicht mehr starten lässt. Verdammt, das fehlt gerade noch! Doch kein Problem, das nicht zu lösen wäre, findet Jochen und entwen-det dem weißen Landy unter den ungläubigen Blicken von Tommi, Patricia, Sven und Jürg kurzerhand die Kühlschrankbatterie. Die vier finden es absolut

Seite 109: der Skorpion, der sich unter unserem Zelt eingenistet hatte.Diese Seite: Schönheiten am Wegesrand; Marama-Bohne; Orchideenstrauch; Wilde Stockrose; Koffipits.Seite 113: im Blumenparadies; Oryx mit deformiertem Horn; traditionelle Häuser in New Xade; die „Meerkat“ zieht eine Staubwolke hinter sich her.

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nicht amüsant, für den Rest des Tages auf kühle Getränke verzichten zu müssen, aber real betrachtet bleibt uns im Mo-ment keine andere Möglichkeit. Schnell ist die Batterie ange-schlossen und unser Grüner springt problemlos an. Wir setzen unseren Weg fort, doch schon ein paar Kilometer weiter halten wir erneut, denn ganz plötzlich hat sich die Vegetation völlig verändert. Statt trockenen Grases und dornigen Gestrüpps umgibt uns, von einem Meter auf den anderen, auf einmal ein grünes, üppig blühendes Paradies. Es ist schier unfassbar, welche Pflanzenvielfalt sich hier auftut. Begeistert starten wir eine Fußexkursion, fotografieren, sammeln Muster und be-stimmen anschließend das zusammengetragene Material. Das macht ungemein Spaß und der van Rooyen erweist sich mal wieder als unbezahlbar.

Die großen, grünen Büsche zum Beispiel, die überall am Wegesrand stehen und handtellergroße, weiße Blüten mit je-weils 5 randkräuseligen Petalen tragen, in deren Mitte sich kurze, pinkfarbene Striche abzeichnen, die in sattem Kontrast zu den dottergelben Staubgefäßen stehen – das sind Orchide-ensträucher (Bauhinia petersiana; Coffee Neat’s Foot). Die reifen Samen dieser Pflanze können geröstet und als Kaffee-ersatz aufgebrüht werden, daher auch der englische Name. Am Boden strecken sich meterlange Ranken mit paarigen, ginkgo-ähnlichen Blättern, die zum Schutz vor der Tageshitze zusammengeklappt sind. Zitronengelbe, schmetterlingsförmige Blüten schmücken diese relativ unscheinbaren Pflanzen, die ihren kostbarsten Schatz jedoch im Sand verborgen halten. Bis zu 250 Kilogramm kann die stark wasserhaltige Wurzelknol-le der legendären Marama-Bohne (Tylosema esculentum; Gemsbok Bean) schwer werden – eine begehrte Feuchtigkeits-quelle in der Trockenheit der Kalahari. Gleich daneben ragen kniehohe, gelbe Blütenkerzen, die entfernt an Lupinen er innern, in die Luft – Wilde Senna (Senna italica ssp. arachoides; Wild Senna), deren Wurzelsud Magenleiden lindern, drohende Ab-gänge in der Schwangerschaft verhindern und als Laxativ Ver-stopfungen lösen kann. Auch ein weheneinleitendes Mittel ließe sich hier gewinnen, nämlich aus den Wurzeln der Wilden Stockrose (Pavonia senegalensis; Yellow Mallow), die uns mit ihren malven typischen, leuchtend gelben Blüten und dem burgunderroten Kelchgrund erfreut, in dessen Mitte ein filig-raner Stempel prunkt. Der Erd-Burzeldorn (Tribulus terrestris;

Caltrop), der hier in dichten Teppichen gelber Blüten den Bo-den bedeckt, erleichtert den Geburtsvorgang, hebt die Potenz, hilft beim Muskelaufbau und wird als Antirheumatikum ein-gesetzt.

Inmitten dieser Apotheke der Kalahari gibt es auch „nutz-lose“ Pflanzen, die einfach nur schön sind, so wie die zwergi-gen Koffiepits-Sträuchlein (Aptosimum marlothii) mit ihren winzigen blauen Blütchen, die ein wenig wie die unseres Gamander-Ehrenpreises aussehen. Diese Aufzählung ließe sich nun beliebig fortführen, beinhaltet sie bis hier doch nur die augenfälligsten Schönheiten, die wir innerhalb kürzester Zeit entdecken und bestimmen können. Aber wir zügeln unsere Begeisterung ein bisschen und nehmen die gesammelten Pro-ben für weitere „Forschungsarbeiten“ mit ins Auto. Schließ-lich liegt noch eine lange, beschwerliche Strecke vor uns und zudem möchten wir die botanisch weniger interessierten Mit-glieder unserer Reisegruppe nicht zu Tode langweilen. Mir allerdings will das beglückte Grinsen gar nicht mehr aus den Mundwinkeln weichen, ich freue mich jetzt nur noch heftiger auf die kommenden Tage. Gegen Mittag dann erreichen wir das weit im CKGR liegende Xade Gate, checken aus und bringen die weiteren 26 Kilometer bis zur Parkgrenze hinter uns. Dort steigen wir aus und gönnen unseren durchgerüttel-ten Gliedern eine kleine Pause. Tommi ist der Erste, der das Thema anspricht, das uns alle, die einen mehr, die anderen weniger, beschäftigt: die toten Batterien. Bis auf Jochen und Annette sind wir alle der Ansicht, es müsse Ersatz beschafft werden, denn das Risiko, deswegen auf dem Wilderness Trail im Kgalagadi Transfrontier Park liegen zu bleiben, möchten wir nicht eingehen. Auch die Aussicht auf fünf kühlschrank-lose Tage und große Einschränkungen beim Laden unserer Kamera-Akkus, die wir in hoher Frequenz leerballern, kickt uns nicht wirklich.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: wir können, wie geplant, Richtung Kang fahren und darauf hoffen, an einem Samstag-nachmittag in einem relativ kleinen Kaff passende Batterien zu finden. Gelänge uns das nicht, läge die Resthoffnung auf einem Sonntag und einem noch kleineren Kaff, nämlich Hu-kuntsi. Die andere Möglichkeit ist eine Fahrt nach Ghanzi, einem relativ großen Ort, doch das bedeutet rund 350 Kilo-meter Umweg. Diese Tatsache und unser Sicherheitsbedürfnis

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entlocken Jochen ein gequältes Lächeln, aber er beugt sich dem Wunsch der Mehrheit: wir steuern Ghanzi an, besorgen dort Batterien und fahren danach, sofern es zu diesem Zeit-punkt noch hell sein sollte, weiter Richtung Kang. So lautet der gemeinschaftliche Beschluss. Damit sind wir alle erst mal einverstanden, wenngleich es auch sehr anstrengend und zu-dem ziemlich utopisch klingt, zumindest was die weitere Fahrt nach Kang anbelangt. Aber gut, das wird sich dann schon zeigen.

So also nehmen wir die 200-Kilometer-Sandstrecke nach Ghanzi in Angriff, die „Meerkat“ fährt voraus, wir ackern hin-terher. Es ist eine öde, kräftezehrende Fahrerei in einer tiefen, holperigen Spur, die menschen- und materialermüdend ist. Nach vielen Kilometern, wir haben die „Meerkat“ schon eine ganze Weile aus den Augen verloren, trübt sich plötzlich meine Sicht nach draußen. Irgendeine Flüssigkeit rinnt neben mir an der verstaubten Scheibe herab und ich habe zunächst einen der Wassersäcke in Verdacht. Doch eine rasche Riech-probe flutet meine Nase mit Dieselduft und nötigt uns zu einem sofortigen Stopp. Ein kurzer Blick auf das Dach genügt und das Schlamassel wird offenbar: einer unserer robusten Bundeswehr-Reservekanister hat das Zeitliche gesegnet. Aus einem langen Riss an der seitlichen Schweißnaht fließt uner-müdlich Treibstoff in die seichte Dachmulde, es schwappt bei jedem Holperer und die Chose rinnt nun auf allen Seiten am Auto herunter. Wir greifen uns alles, was saugt und wischen, was das Zeug hält. Zwischendurch versuche ich die „Meerkat“ über Sprechfunk zu informieren, aber leider sind die Walkie-Talkie-Akkus leer und auch keine geladenen greifbar. Scheiße, denke ich mir, die anderen vermissen uns bestimmt recht bald und werden sicher umkehren. Ein Unterfangen, das bei diesen Wegverhältnissen einen ziemlichen Akt darstellt und wohl nicht der Besserung der ohnehin etwas angespannten Ge-samtstimmung zuträglich ist. Doch es ist nicht zu ändern; am wichtigsten ist im Moment schlicht und einfach Schaden-begrenzung. Jochen füllt den Dieselrest aus dem kaputten Kanister in den Tank, wir saugen, tupfen, wischen, sammeln die Tücher in einer Plastiktüte, in die ich auch noch den durchseuchten Sand rund um das Auto schaufele. Nach einer halben Stunde haben wir die Situation unter Kontrolle, die Sauerei weitestgehend beseitigt und stinken von Kopf bis Fuß

nach Diesel. Jochen steckt sich nach getaner Arbeit eine Kippe an und steht genüsslich qualmend in der Fahrspur, als uns die „Meerkat“ entgegenschaukelt. Sichtlich irritiert – wir sehen offenbar aus, als hätten wir nur ausgiebig Pause gemacht – erkundigen sich die anderen nach dem Grund für unser Zurückbleiben. Kurz schildern wir unser Treibstoffmalheur, geben Entwarnung, entschuldigen uns für den fehlenden Funkspruch und meinen, wir könnten ja nun weiterfahren. Die „Meerkat“-Besatzung nickt kommentarlos und schickt sich zur erneuten Wende an, dann setzen wir unseren Weg fort.

Nach ewigem Geschüttel und Gerüttel erreichen wir New Xade, einen trostlosen Ort, der seit 1997 Zwangsheimat für die aus dem CKGR ausgesiedelten San ist. In der Amtssprache wird das Projekt unter „Relocation“ oder „Resettlement“ ge-führt, ein gewaltiger Euphemismus für eine Aktion, die diese Menschen vom Paradies in die Vorhölle befördert, vom aktiven Leben mit der Natur zur passiven Sesshaftigkeit verdonnert hat. Angesichts dieses Hintergrunds sieht die Ansiedlung vergleichsweise aufgeräumt aus, die Einwohner winken neu-gierig und sehr freundlich. Wir durchqueren die Ortschaft aus kleinen Rundhäusern, Kugelhütten und gemauerten Gebäuden, stoßen am Ortsausgang auf eine sehr staubige, aber gut be-fahrbare Gravelroad und geben Gas. 140 Kilometer nach Xade Gate sind wir endlich an der Abzweigung nach Ghanzi, wo wir auf die „Meerkat“ warten, die sich weit zurückfallen hat lassen, um möglichst wenig von unserer Staubwolke abzubekommen. Nach einem Blick auf die Uhr, es ist fast halb vier, wage ich die Prophezeihung, wir würden heute nicht über Ghanzi hinaus kommen; insgeheim hoffe ich es fast, denn ich merke, dass Patricia, Sven, Jürg und Tommi die Schnauze ziemlich voll haben von der anstrengenden Fahrerei – und wohl nicht nur davon, aber das ist lediglich eine unbestimmte Ahnung, die mich seit unserer Wildcamp-Aktion im Chobe nicht mehr losge lassen hat.

Als die vier bei uns eintreffen, folgt eine kurze Beratung: wenn wir in Ghanzi ankommen, kümmern sich Annette und Jochen um die Batterien, während wir, der Rest der Truppe, bei „Gantsi Craft“ Souvenirs shoppen gehen wollen. 60 Kilo-meter später laufen wir tatsächlich in der Stadt ein, der Laden hat aber leider schon zu und so wird die Suche nach geeigne-ten Batterien nun doch zu einer Gemeinschaftsaktion. Die

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große Shell-Tanke, auf der unsere Hoffnungen ruhten, enttäuscht uns auf ganzer Linie, doch immerhin bekommen wir dort die Adresse eines möglichen Batterie-Dealers genannt: am Kalahari Arms Hotel links, zirka einen Kilometer geradeaus und dann nach einem blauen Gebäude Ausschau halten. Wir tun wie geheißen, allein ein blaues Haus will nicht auf tauchen. Mehrmals kreuzen wir die Straße auf und ab, fahren in diverse Hinterhöfe – ohne Erfolg. Doch plötzlich erspähen wir die genannte Werkstatt; das Gebäude ist alles andere als blau und zu allem Überfluss ist das Tor mit einer schweren Eisenkette ver-schlossen. Alles Rütteln und Rufen hilft nicht – es ist Samstag, 16.15 Uhr, Feierabend, Schicht im Schacht! Jochen gibt nicht auf, wandert zu einer be-nachbarten Mini-Tankstelle, überquert alsbald mit einer jungen schwarzen Dame die Straße und verschwindet mit ihr in einer gegenüberliegenden Seiten gasse. Eine halbe Stunde später taucht er wieder auf, mit froher Bot-schaft; die Tankstellenangestellte, wohlbekannt mit dem indischen Besitzer der Werkstatt, führte Jochen zu dessen Privat-Domizil und nach kurzer Rück-sprache erklärte sich der Herr bereit, seine Nachmittagsruhe zu unterbrechen und uns behilflich zu sein – ein wenig Geduld noch und er sei bei uns. Was sind wir froh um diese Hilfsbereitschaft, zumal uns Jochen von den Worten der Helferin berichtet: „Die Deutschen haben meinen Großvater umgebracht. Dass ich so einem mal helfen werde, hätte ich im Traum nicht gedacht.“ Tausend Dank, du Tankstellenfee, dass du es trotzdem getan hast! Eine weitere halbe Stunde später trifft tatsächlich Mr. Werkstatt ein, grüßt knapp und öffnet knautschigen Gesichts seine Pforten. Jochen verschwindet mit ihm im dunklen Rachen der heruntergekommenen Halle und kehrt bald darauf mit zwei Batterien wieder, die von den technischen Daten her passen sollten – leider sind sie ein paar Zentimeter höher als die alten. Schwitzend baut Jochen probehalber die erste und entscheidende ein, nämlich die unter dem Bei-fahrersitz. Mit Ach und Krach, mit Hängen und Würgen passt das Ding so einigermaßen, es bedarf aber noch diverser Tricksereien und Montagekunst-stückchen, bevor der Beifahrer auf seinem Sitz Platz nehmen kann, ohne leiden zu müssen.

Nachdem nun klar ist, dass sich unser Problem weitestgehend gelöst hat, wandert die „Leihbatterie“ wieder zurück in den weißen Landy. Klar ist auch – ein Blick auf die Uhr genügt – dass wir heute in Ghanzi nächtigen werden. So also fahren Tommi, Patricia, Sven und Jürg schon mal voraus ins Thakadu Camp, richten sich dort häuslich ein, während Jochen mühevoll das neue Equipment in den grüne Landy pfriemelt. Er flucht, schimpft, werkelt wie ein Besessener, kippt sich zu allem Unglück auch noch Batteriesäure über die Hände, aber schließlich, die Sonne steht schon tief, ist alles wieder perfekt. Mit den letzten Sonnenstrahlen treffen auch wir im Thakadu Camp ein, finden unsere Reisegenossen ganz hinten, am Ende des großen Campingplatzes,

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werden mit einem Welcome-Sundowner empfangen und bauen unsere Zelte auf. Als alles steht, setzen wir uns gemüt-lich am Tisch zusammen. Doch die Gemütlichkeit hält nicht lange an, denn Tommi lässt eine Bombe platzen: er trägt sich ernsthaft mit dem Gedanken, an dieser Stelle aus der Tour auszusteigen! Und nicht nur er, auch Patricia, Sven und Jürg wollen nicht mehr. Mir wird heiß und kalt zugleich, sind wir doch mitten in der blühenden Kalahari, haben den Wilderness Trail vor uns, den man nur mit zwei Autos befahren darf – und nun das.

Ziemlich aufgewühlt beschließen wir, die Küche heute kalt zu lassen und statt dessen die Sache bei einem Essen im camp-eigenen Restaurant in Ruhe zu erörtern. Bei einem kühlen Bier erfahren wir, warum die vier keine Lust mehr haben: es wären die immensen Strecken, die ihnen die Tour verleidet hätten. Diesem Argument allerdings kann ich nicht ganz folgen, denn die Route stand schon lange vor der festen Teil-nahme-Zusage und alle vier sind erwachsene Menschen, die durchaus in der Lage sein sollten, eine Landkarte zu inter-pretieren. Ich habe den Verdacht, dass etwas ganz anderes dahintersteckt, behalte das aber für mich, denn offenbar will niemand die wahren Gründe ansprechen. Was ich nicht für mich behalte, ist meine Betroffenheit, durch diese Entschei-dung um einen Teil der Tour gebracht zu werden, auf den ich mich sehr freue, nämlich Mabuasehube und die Durch querung des Kgalagadi Transfrontier Parks auf dem Wilderness Trail. Auch Annette und Jochen äußern ihre Enttäuschung, schil-dern den bevorstehenden Tourteil in den schönsten Farben, reden den Abspringern gut zu. Als das Essen serviert wird – zartes Straußencarpaccio und endleckere Kudu-, Eland- und Springbock-Steaks – ist eine Einigung erreicht: wir setzen die Tour zusammen fort. Keine Ahnung, welches Argument diesen Sinneswandel verursacht hat, ob es überhaupt ein Sinnes-wandel und nicht nur Höflichkeit und Fairness sind; mir auf jeden Fall fällt ein Stein vom Herzen und ich rechne den vieren ihre Entscheidung hoch an. Jetzt, da alles geklärt ist, können wir das hervorragende Essen in vollen Zügen ge nießen und den Abend in entspannter Atmosphäre ausklingen lassen. In völliger Dunkelheit tappern wir zu späterer Stunde zurück zum Lager und ich nehme eine Erleichterung mit ins Zelt, die sich kaum in Worte fassen lässt.

22. November 2009 Ghanzi – Mabuasehube, Khiding PanGanz früh kriechen wir heute aus den Zelten, denn es liegt eine weitere Monsterstrecke vor uns – rund 475 Kilometer - einen höllischen Sandritt von 140 Kilometern, für den wir vor 2 Jahren mehrere Stunden gebraucht hatten, inklusive. Ein bisschen unwohl ist mir bei dem Gedanken daran, denn ich befürchte, die anstrengende Fahrerei könnte die momentan geglättete Gesamtstimmung wieder zum Kippen bringen. Doch noch ist sie gut – wir frühstücken ausgiebig, gehen alle nochmal duschen und brechen dann das Lager ab. Heinz kniet gerade auf dem Autodach und schichtet Zelte in die Kiste, als er sich beim Umdrehen im Geäst eines Büffeldorns (Ziziphus mucronata; Buffalo Thorn) verheddert. Die Akazie wird nicht umsonst „Wart-ein-bisschen-Baum“ genannt, denn ihre wider-hakenartigen Dornen lassen ihr Opfer nicht mehr los. Egal, wie Heinz sich dreht und wendet, er hängt fest und nur ein paar helfende Hände können ihn aus der stacheligen Um-armung befreien. Als wir ihn unverletzt dem Griff des Büffel-dorns entwunden haben und alles Equipment sicher verstaut ist, tanken wir noch Wasser in die Autos und schon geht es los. Zur Abwechslung steuert heute Annette den weißen Landy und Tommi fährt bequem als Beifahrer bei uns mit.

Die lange Strecke bis Kang, reine Teerstraße, ist ja eigentlich recht eintönig, aber trotzdem gibt es immer wieder etwas zu entdecken. Am Straßenrand zum Beipiel blühen Erd-Burzel-dorn und Astern; deren gelbe Blütenteppiche bilden einen reizvollen Kontrast zum blauen, schäfchenwolkigen Himmel und dem üppigen Grün der Bäume. In dieser Frühlingskulisse macht sich die Straußengruppe, die flugs die Straße über-quert, ganz besonders gut. Als wir den Wendekreis des Stein-bocks passieren, halten wir kurz, obwohl die Umgebung nichts von der Besonderheit der Stelle widerspiegelt. Leider ist hier auch kein Rastplatz und erst recht kein Gebüsch, leider, denn schön langsam drücken unsere Blasen vom Morgentee. Also fahren wir ein Stück weiter, bis wir einen geeigneten Platz ausfindig machen, wo wir pinkeln und uns kurz die Beine vertreten, bevor wir nach einer Weile wieder in die Autos klettern. Jochen gibt Gas, fährt aber nach 10 Minuten erneut links ran, denn die „Meerkat“ ist nicht zu sehen – die Straße

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ist schnurgerade und man kann kilometerweit blicken – unser zweites Auto scheint weit zurück gefallen zu sein oder es ist gar nicht losgefahren. Wir warten einige Minuten und wollen gerade besorgt umkehren, um nach dem Rechten zu sehen, als die „Meerkat“ schließlich doch auftaucht. Na, dann ist ja alles gut, denken wir und geben wieder Stoff. Doch nicht alles ist gut, wie wir am nächsten Tag erfahren sollen: der Grund für die Verzögerung war ein heftiger Streit zwischen Annette und Patricia, der Anlass ein nichtiger, nämlich der defekte Dichtungsgummi an der rechten Hinter-tür der „Meerkat“. Der lose Gummi erschwert von Anbeginn der Tour das Schließen der Tür – was Annette aber nicht wusste – und darüber gerieten sich die beiden so-eben derart in die Haare, dass nun eisige Stimmung herrscht, eine Stimmung, die leider bis zum Ende des Urlaubs an halten wird.

Noch wissen wir davon aber nichts und setzen wohlgemut unseren Weg fort. In Kang biegen wir rechts ab und befinden uns alsbald auf einer schmalen Teerstraße, die, obwohl gut in Schuss, in Bälde ausgedient haben wird – auch hier wird eifrig an einer neuen, parallel laufenden Straße gebaut. Wir finden das zwar etwas seltsam, ziehen aber durchaus unseren Vorteil aus dieser Tatsache. Dringend müssen wir noch unsere Brennholzvorräte aufstocken und wenn hier sowieso alles plattgemacht wird, können wir uns ja guten Gewissens den schönsten toten Baum aussuchen. Bald ent-decken wir ein Prachtexemplar, dessen kahle, trockene Äste sich trotzig in den blauen Himmel recken. Unsere Männer werfen sich probehalber gegen den Stamm, der aber ebenso trotzig standhält. Hier muss schwere Technik ran, meint Jochen, fährt den grünen Landy näher, macht den Abschleppgurt an Baum und Auto fest und gibt ge-fühlvoll Gas. Ächzend neigt sich der Baum, fällt mit lautem Geknacke und wird an-schließend mit der Axt und roher körperlicher Gewalt in handliche Stücke zerteilt. Schwer beladen mit reichlich Brennholz für die nächsten Tage, tuckern wir weiter. Nur wenige Kilometer später ist der nächste Stopp fällig; am rechten Fahrbahnrand liegt der aufgeblähte Kadaver einer Kuh und in den umliegenden Bäumen sitzen lauernd zahlreiche Geier. Sie sind vor unseren herannahenden Autos geflüchtet und wir hoffen, dass sie, wenn wir uns recht still verhalten, wieder zu dem toten Rind zurück-kehren. Wir warten lange, aber die Aasfresser trauen sich einfach nicht mehr von ihren Aussichtsplätzen. Schade, ihr Feiglinge, aber wir müssen jetzt wirklich weiter. Gen Mittag erreichen wir Hukuntsi, es ist Sonntag, das Kaff wirkt wie ausgestorben. Never ever hätten wir hier Batterien bekommen, auch nicht bei der kleinen Tankstelle, an der wir jetzt unsere Tanks für die nächsten Tage randvoll machen. Während der Diesel behäbig in die Autos gluckert, erfreuen wir uns am Lokalkolorit: eine handge-

Diese Seite: Blütenteppiche säumen die Straße; der Baum wird zu Fall gebracht; Jürg hilft mit ganzem Körpereinsatz nach; schwer beladen mit neuem Brennholz.Nächste Seite: Impressionen aus Hukuntsi. Seite 117: Bau eines Ameisenlöwen.

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pinselte Kondomwerbung prangt an einer Hausmauer, zwei Damen genießen in ihren Plastikgartenstühlen den Schatten des Tankstellendachs, auf der gegenüberliegenden Straßenseite werben handgemalte Inschriften für eine „Auto-Waschanlage“ und eine „Reifen-Zentrale“. Kein Mensch würde in unserer perfekten Konsumwelt auf derart unprofessionelle, laienhafte Reklame an-sprechen, doch hier ist – Gott sei Dank – noch alles ein bisschen anders. Das hat Charme, die vor uns liegende Strecke hingegen weniger.

Noch 10 geteerte Kilometer bis Lokgwabe, dann beginnt der Höllenritt, für den Jochen und Tommi wieder die Steuer übernommen haben. Doch hallo, was ist hier los? Die ersten 11 Kilometer der ehemals tiefsandigen, kaum er-kennbaren Zufahrt sind sauber gegravelt, danach wird es zwar sandig, doch es ist lange nicht so schlimm wie noch vor 2 Jahren. Damals frästen sich zwei tiefe, waschbrettige Spuren, getrennt durch einen meterhohen Mittelwall, durch den roten Sand der Kalahari. Heute ist da nur noch eine Spur, die ohne große Rütteleien zu befahren ist und uns schnell vorankommen lässt. So schnell, dass wir bereits zwei Stunden später mehr als zwei Drittel der Sand-strecke hinter uns gebracht haben. Zeit für eine Pause! Trotz der recht ent-spannten Fahrerei tut es unendlich gut, die Beine zu strecken und sich ein wenig zu bewegen. Und es ist, wie immer, wenn wir mitten in der Botanik anhalten: man kommt aus den Entdeckungen gar nicht mehr heraus. Auch hier bedecken gelbe Blütenteppiche den Boden, doch obwohl die Blüten auf den ersten Blick denen des Erd-Burzeldorns sehr ähnlich sind, handelt es sich in diesem Falle um Wüstenprimeln (Grielum humifusum; Desert Primrose). Wie der Burzeldorn sind auch sie Indikatoren für „bewegten“ Boden, also Boden, der häufigen Störungen ausgesetzt ist, zum Beispiel durch Wildwechsel oder, wie in unserem Falle, durch die offenbar erst kürzlich erfolgten Straßenarbeiten.

Umso jungfräulicher wirkt der Sand neben der Straßenböschung; er wurde zu einer gleichmäßigen Fläche plattgeregnet, deutlich sieht man die „Ein-schlagkrater“ der einzelnen Tropfen. Aus dieser homogenen Fläche erheben sich zahlreiche, kreisrunde Wälle mit ca. 8 –15 Zentimetern Durchmesser, in deren jeweiligen Mitte ein kleines Loch gähnt. Ganz eindeutig sind das die sorgfältig gebauten Fallgruben von Ameisenlöwen, den Larven der Ameisen-jungfern, deren Trichter man in allen sandigen Böden finden kann. Doch meist ist der verbaute Sand trocken, der Wall relativ diffus. Hier aber wurden die Fallen aus feuchtem Sand errichtet; statt der losen, rieselnden Einzelkörner stapeln sich Sandkügelchen in definierter Form um die Öffnungen und zeichnen optisch reizvolle Kringel. Einer dieser Nahrungsbeschaffungs-Wälle hat es mir besonders angetan, denn ihm entsprießt ein kleines Wildhirsepflänzchen. Be-geistert vom Kontrast der Farben, Formen und Strukturen, umrunde ich dieses Kunstwerk und fotografiere es in diversen Einstellungen. Auf einem der Bilder, so entdecke ich Wochen später am heimischen Bildschirm, ist sogar der kleine

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Jäger zu sehen – Kopf und Kieferzangen eines Ameisenlöwen. Volltreffer! Ein Bild für den Titel meines Urlaubsbuches ist ge-funden; ein Bild, das für mich alle Aspekte des Zaubers einer Regenzeit in der Kalahari in sich vereint – und schön ist es noch dazu!

Heinz, wie immer auf der Suche nach sukkulenten Pflanzen und deren Samen, ist ebenfalls fündig geworden und kehrt mit leuchtenden Augen nebst Beute von einer kleinen Fußex-kursion zurück. Stolz und glücklich präsentiert er mir ein paar Samen, deren leuchtend rote Fruchthüllen nicht nur sein Sammeltüchlein, sondern bereits auch die Hosentasche durch-färbt haben. Das geerntete Saatgut stammt von einer recht unscheinbaren, blattlosen Pflanze; stopfnadeldicke, blass-grüne „Steckerl“ bilden unordentliche Gestrüppnester, die wohl nur einen wahren Sukkulentenfan wie Heinz begeistern können. Wurmstrauch (Cadaba aphylla; Desert Spray), halb-sukkulent, Kaperngewächs, sagt der van Rooyen sachlich; „So schön“, sagt Heinz und strahlt.

Eine Stunde später erreichen wir das Mabuasehube Gate, unser Eingangstor zum Kgalagadi Transfrontier Park (KTP) und begehren Einlass. Eine khakigewandete Gatewächterin sitzt im Büro und eilt sofort zum nahe gelegenen Ranger-camp, um den diensthabenden Officer, der die nötigen Kom-petenzen für unseren Eintritt besitzt, herbeizuholen. In der Zwischenzeit blättern wir im Besucherbuch, in dem leider keine besonderen Wildsichtungen jüngster Zeit verzeichnet sind, beobachten vergeblich die liebevoll gemauerte Vogel-tränke und warten. Beim weiteren Umherschlendern ent-decke ich das alte Holzschild, das noch vor zwei Jahren den Eingang zum Gemsbok National Park markierte. Ein Park, der damals schon nicht mehr unter diesem Namen existierte, sondern bereits 1999 mit dem südafrikanischen Kalahari Gemsbok Nationalpark und dem Mabuasehube Game Reserve zum KTP zusammengelegt wurde. Doch in Afrika wird so schnell nichts weggeworfen, nur weil das Falsche draufsteht. Eine pfiffige Sparnase hat das Schild auf den neuesten Stand gebracht, indem der alte, geschnitzte Schriftzug kurzerhand überpinselt wurde – nur das K, das T und das P blieben in Weiß dort stehen. Nun tanzen die drei Lettern etwas unge-ordnet über das Schild, aber der Name ist korrekt – Recycling auf afrikanisch.

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Während ich mich noch über diese geschickte Aktualisie-rung amüsiere, ist mittlerweile der Officer im Büro angekom-men, prüft rasch unsere Reservierungen, öffnet die Schranke und schon sind wir drin. Sofort umgibt uns üppige Vege- ta tion; in Gold- und Silbertönen wogen lange Halme und Ähren trockenen Grases in der tiefstehenden Sonne und zeugen von kürzlichen Regenfällen. Regen? Trocken? Üppig? Ja, in einer Wüste wie der Kalahari ist das so, da muss alles ganz schnell gehen, jeder Tropfen muss sofort genutzt werden. Wenn hier ein Schauer aus den Wolken kommt, dann grünt, wächst und blüht alles nahezu im Zeitraffertempo, bevor es ebenso schnell wieder vertrocknet, jedoch nicht ohne für die Fortpflanzung gesorgt zu haben. Belaubte Bäume stehen wie zum Beweis als Inseln strotzend-grünen Lebens inmitten des schulterhohen Grasgewoges, das uns jegliche Sicht auf eventuelles Wild ver-sperrt. Doch wer braucht schon Wild, wenn es so wild und wunderschön wogt! Staunend durchqueren wir diese Pracht und kommen gegen 18 Uhr an der Mpayathutlwa Pan an, neben der Mabuasehube Pan die für mich schönste, und stop-pen. Es sind noch 43 Kilometer bis zur Khiding Pan, unserem heutigen Nachtlager, aber das Licht, die Gegend hier sind so schön, dass wir einfach anhalten und genießen müssen – mit feingliedrigen Strahlen streichelt die Sonne den Pfannenrand und taucht das Szenario in weiches, goldenes Licht.

Heinz entdeckt einen riesigen Tausendfüßer, den größten, den wir bis jetzt gesehen haben. 20 Zentimeter misst der Prachtkerl, dessen Chitinringe in der sanften Abendsonne wie poliert glänzen. Zärtlich wird der fingerdicke Arthropode von Heinz gestreichelt und rollt sich sofort in die typische Schutz-haltung. Begeistert knipse ich dieses schneckenförmige Wunder werk aus unzähligen Beinchen und glatten, dunkel-braunen Ringsegmenten. Der Tausendfüßer ist so groß, dass er mühelos das volle Format füllt, so perfekt, dass auch er es auf meinen Buchtitel schaffen könnte – so denke ich mir gerade, als er sich wieder entringelt und mit sich wellenartig be-wegenden Beinreihen im nächsten Grasbüschel verschwindet.

Vorige, diese und nächste Seite: Abendstimmung an der Mpayathutlwa Pan. Seite 124: der formatfüllende Tausendfüßer. Seite 125: Samtmilbe.

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Für uns wird es ebenfalls Zeit, wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit in unserem Nachtlager ankommen wollen. Im aller - letzten Restlicht erreichen wir schließlich unsere Campsite an der Khiding Pan, bauen alles auf und genießen einen wohlver-dienten Sundowner nach einem strapaziösen, aber sehr ab-wechslungsreichen Fahrtag. Patricia zieht sich bald mit einem Migräneanfall in ihr Zelt zurück, verzichtet auf ein leckeres Abendessen, Sven folgt ihr nach dem Dinner. Wir lassen den Abend noch gemütlich in der Stille der Kalahari ausklingen, bevor es auch uns in die Zelte zieht.

Irgendwas jedoch liegt in der Luft, das spüre ich, irgend-etwas Ungutes. Heinz ist nichts derartiges aufgefallen und er beruhigt mich; wir sind ohnehin viel zu müde, um uns heute noch Gedanken zu machen …

23. November 2009

Mabuasehube, Khiding Pan – Wilderness Trail, Mosomane Pan

Der neue Tag ist da und begrüßt uns mit dem Ausblick auf eine taubenetzte Pan, auf der sich bereits einige Tiere tummeln. Im ersten Morgenlicht steigen wir ungefrühstückt in die Autos, alle bis auf Patricia, und zockeln genüsslich um die erwachende Pfanne. Zwei Löffelhunde tollen übermütig spielend über den Pfannengrund; sie sind zwar relativ weit weg, aber wir holen uns ihre puschligen Schwänze, die riesigen Ohren und ihr aus-gelassenes Treiben einfach mit den Ferngläsern näher. Ein paar Kuhantilopen galoppieren an uns vorüber, ihre strammen Muskeln bewegen sich eindrucksvoll unter glänzendem Fell – und als wir kurz darauf auch noch auf eine Erdmännchen-Familie stoßen, weiß ich, dass ein Morgen perfekter nicht sein könnte. Ich liebe diese kleinen Schleichkatzen und auch Heinz ist ihrer Putzigkeit mit Haut und Haaren verfallen. Ganz weit oben standen sie auf seiner „Will-ich-sehen-Liste“ – und hier sind sie! Es wird eifrig gebuddelt, possierlich Männchen ge-macht und die Bäuchlein in die wärmende Sonne gereckt. Und immer haben sie uns im wachsamen Blick ihrer schwarzen Knopfaugen. Ganz geheuer sind wir der Banditen-Truppe auf

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Dauer jedoch offenbar nicht, denn scheinbar angelegentlich umrunden sie großräumig unsere Autos und verschwinden nach einer Weile im Gestrüpp. Ein noch recht junges Erd-männchen hat vor lauter Buddelei die Welt um sich herum völlig vergessen und verpaßt den Abmarsch der Familie. Ein heller Quiekser ruft den Zurückgebliebenen, der sich wie ein Pfeil aufrichtet, das Köpfchen orientierungssuchend herum-wirft, uns kurz beschimpft und dann flinken Fußes seinen Art-genossen hinterhereilt.

Fressen könnt’ ich sie, die süßen Viecher, aber das mag im Moment auch mit daran liegen, dass ich einfach Hunger habe. Den anderen ergeht es ähnlich und so kehren wir zum Früh-stücken auf die Campsite zurück. Nach dem Morgenmahl folgen die üblichen Abbrucharbeiten, bei denen uns das sonore „Ka-wagga-wagga“ eines Gelbschnabeltokos förmlich anfeuert. Schneller geht es deswegen nicht, eher im Gegenteil, das aber liegt nicht am Toko, sondern an den vielen Tausendfüßern, die geschäftig im feuchten Sand umherkrabbeln. Ein paar liebende Millipeden-Pärchen sind auch darunter, die kopulierender-weise quirlige Knäuel bilden. Heinz entdeckt zudem noch ein spinnenartiges Tierchen; ca. 5 Millimeter groß ist es nur, leuchtend rot und ziemlich pelzig – eine Rote Samtmilbe (Trombidium sp.; Red Velvet Mite), typische Begleiterin der Regenzeit. Wir beobachten sie bei ihrer Morgentoilette und es ist sehr unterhaltsam zu sehen, zu welch geschickten Verren-kungen sie fähig ist, um auch noch das letzte feuchte Sand-korn aus ihrem roten Plüsch zu entfernen. Zufrieden mit dem Säuberungs-Ergebnis, wuselt die Milbe schließlich ausgehfein davon.

Wir finalisieren unseren Lagerabbau und machen uns kurz darauf ebenfalls aus dem Staub. Heute steht etwas ganz Be-sonderes auf dem Tagesprogramm, nämlich die erste Etappe

des Wilderness Trails, der uns auf sandigen 148 Gesamtkilo-metern quer durch den KTP führen wird. Man muss den Trail lange vorab buchen, darf ihn nur mit mindestens zwei Autos und lediglich in eine vorgegebene Richtung befahren. Dafür aber hat man (eigentlich) die Garantie auf zwei Tage absoluter Einsamkeit – die Buchung sichert uns die Exklusivrechte für die Dauer des Trails. Zumindest die Absenz anderer Touristen ist angeblich garantiert; das mit der absoluten Einsamkeit ist offenbar Interpretationssache, wie wir am Abend noch sehen werden. Zunächst aber ist alles wunderbar, ein vor uns fahren-des Touristen-Auto kurvt an der Abzweigung zum Wilderness Trail brav auf der Public Road weiter und bald erreichen wir das Schild, das den Beginn der Wilderness-Strecke markiert. Dort halten wir an, um den denkwürdigen Moment gebührend zu genießen.

Ich stakse gerade neugierigen Blicks durch die umgebende Botanik, als Patricia mir folgt und mich kurz beiseite nimmt. Sie hätte sich gestern heftig mit Annette gestritten, so eröffnet sie mir und es sei ihr ein Bedürfnis, mich darüber zu informieren. Der Fairness halber möchte sie, dass ich über die erbitterte Auseinandersetzung Bescheid weiß, um die in der Luft liegen-den Spannungen richtig einordnen zu können. Mein Gefühl hat mich also leider nicht getrogen, obwohl mir das offen gestanden lieber gewesen wäre. Ich danke Patricia für ihre Ehrlichkeit, die ihr sicher nicht leicht gefallen ist. Es tut mir unendlich leid, dass es so weit kommen musste, dass die Fronten derart verhärtet sind und ganz besonders, dass dieser Streit, so wird mir jetzt erst richtig klar, nur die Spitze des Eisbergs schon länger brodelnder Unstimmigkeiten ist. Auch wenn Heinz und ich nicht in diesen Streit involviert waren, so sind wir dennoch betroffen von der recht angespannten Gesamt-situation – wie alle anderen eben auch, die einen mehr, die

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anderen weniger. Trotzdem und wider die Vernunft hoffe ich inständig, dass wir alle die letzten Tage unserer Tour doch noch genießen können.

Etwas bedrückt klettere ich wieder ins Auto und versuche, auf den nächsten Kilometern meinen Kopf wieder frei zu be-kommen – die Kalahari erweist sich dabei als extrem hilfreich. Die Landschaft ist so üppig, so weit, so abwechslungsreich, dass es schier unmöglich ist, sich ihrem Zauber länger als ein paar Minuten zu verschließen. Trotz oder gerade wegen der reichen Vegetation sehen wir keine größeren Tiere, nicht mal eine „lumpige“ Impala will sich zeigen. Dafür aber haben ge-rade unzählige Stachelagamen (Agama aculeata; Ground Agama) amouröse Hochsaison und präsentieren sich uns in den schönsten Farben. Ein besonders buntes Exemplar mit orangenem Bauch und in allen Blau- und Türkistönen leuch-tendem Kopf posiert wie hingemalt auf einem toten Ast, direkt neben der Fahrspur. Was für ein Bild! Während wir eifrig foto-grafieren, tönt lautes Zikaden-Schrillen aus einem Busch auf der anderen Seite des Autos. Lange brauchen wir, bis die Ton-quelle entdeckt ist – einsam sitzt die Zikade da im Geäst und schrillt aus Leibeskräften. Endlich kann ich mal ganz aus der Nähe sehen, wie sie diesen Ton produzieren, so hoffe ich und starre das Insekt angestrengt an. Es ist keine Oxypleura- Spezies, wie sie uns bisher akustisch beglückt hatte, sondern eine derer von Platypleura; nicht ganz so gedrungen im Körper bau, ihre Flügel sind undurchsichtig mit hellbraunem Grund, dunkelbrauner Äderung und cremeweißen Flecken. Obwohl sie deutlich anders aussieht und auch etwas kleiner ist, als die Oxypleura-Exemplare, so ist es dennoch unver-kennbar eine Zikade, die natürlich keinen Mucks mehr von sich gibt, als ich ihr näher auf die Pelle rücke. Doch ich ver-harre still und bereitwillig fängt sie nach ein paar Minuten

Seite 126: Kuhantilopen (Alcelaphus buselaphus; Red Harte beest) beim Morgengalopp; aufmerksame Erd - männchen (Suricata suricatta; Suricate), deren afrikaanser Name „Meerkat“ unser weißes Auto ziert; weit entfernte Löffelhunde (Otocyon megalotis; Bat-eared Fox). Diese Seite: die Platypleura-Zikade.Seite 128: Rote Stachelagame in voller Farbenpracht.

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wieder an zu schrillen. Das gibt es nicht: mein Trommel-fell ist kurz vorm Zerreißen, aber ich kann nichts sehen. Scheinbar unbewegt sitzt das Insekt auf seinem Ast und tönt. Ungläubig nehme ich meine Kurzsichtigkeits-Brille ab – das eliminiert deren Verkleinerungsfaktor – und rücke der Zikade noch näher. Jetzt, da sich meine Augen knapp 10 Zentimeter vor dem Tier befinden, nehme ich ein leichtes Vibrieren wahr, mehr nicht. So viel zum Thema Aufwand und Wirkung, wundere ich mich – und nicht nur darüber, auch über mich Insektophobe, die ich offen-bar immer mehr zur Hobby-Entomologin mutiere …

Wir setzen unseren großwildfreien Weg durch die sanfte Dünenlandschaft fort und schon nach ein paar weiteren Aufs und Abs halten wir erneut. Heinz’ vor Be-geisterung glänzende Augen haben die ersten Gemein-schaftsnester der geselligen Siedelweber (Philetairus socius; Sociable Weaver) entdeckt; nun gibt es kein Halten mehr für ihn. Mit in den Nacken gelegtem Kopf bleibt er unter einem dieser Konstruktions-Wunder stehen und kriegt sich gar nicht mehr ein. Schon immer wollte er so etwas sehen – in freier Wildbahn und voller Größe. Der Umfang, aber auch die ausgeklügelte Bauart dieser Riesennester ist wirklich faszinierend. Halm um Halm wird von den kleinen Vögeln in einen geeigneten Baum getragen, verknüpft, verwebt, ineinander gesteckt, bis schließlich, in jahrelanger Arbeit, eine stabile Wohnsied-lung für unzählige Brutpaare entsteht, die auch gerne mal von Untermietern wie dem Zwergfalken genutzt wird. Weitestgehend geschützt vor Eierräubern und Re-genfällen, befinden sich die Wohnungs-Zugänge alle auf der Unterseite des Nestes. Unter einem dieser Ein-gangs-Konglomerate steht Heinz jetzt und beobachtet das Nest so lange bewegungslos und mit Argusaugen, bis sich auch die Siedelweber wieder herantrauen. Sie sehen ein bisschen so aus wie unsere Sperlinge, unscheinbar und graubraun – umso bemerkenswerter ist ihr Kolonie-verhalten und auch, welche Riesenbauten diese kleinen Vögelchen zu errichten imstande sind. Oft genug kommt es vor, dass die Nester irgendwann die Tragkraft des Träger-Baumes überschreiten und dicke Äste unter dem Gewicht abbrechen oder gar der ganze Baum umstürzt.

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Herabgefallene Zeugnisse solcher Überbelastung bekommen wir auf unserem weiteren Weg nun oft genug zu sehen.

Was uns auch ins Auge sticht, sind auffällig große, strot-zend-grüne Bäume mit hellen, fast weißen Stämmen, die sich wie Farbtupfer hochbeinig über das goldgelbe Gras erheben. Es sind Schäferbäume (Boscia albitrunca; Shepherd’s Tree), die durch ihre Höhe und dichte Belaubung eine wichtige Rolle als Schattenspender in der gleißenden Sonne der Kalahari spielen. Alle Teile der Boscien sind natürlich, wie fast nicht anders zu erwarten, von medizinischem oder ernährungstechnischem Nutzen. Zudem wird den Bäumen eine gewisse Schutzwirkung vor allem Unbill insektuöser und meteorologischer Art nach-gesagt. Ganz nach dem Motto: Eichen sollst du weichen, Boscien sollst du suchen und plagen dich die Fliegen, musst’ nur unter einer liegen … Naja, so ähnlich jedenfalls. Selt-samerweise ist der Boden unter manchem dieser markanten Bäume mit einem dicken Polster herabgefallener, grüner Blät-ter bedeckt. Das Warum erschließt sich uns im Moment nicht so ganz, aber die Lösung dieses Rätsels muss warten, denn etwas anderes weckt gerade unser Interesse. Der Sand vor uns ist extrem zerwühlt, fast so, als wäre eine riesige Rinderherde quer über den Weg gelaufen. Zirka einen Kilometer breit ist diese Spur massiven Getrampels, allein die Ursache können wir nicht ausmachen. Ebenso plötzlich, wie sie angefangen hat, endet diese Schneise der Bodenverwüstung auch wieder; ein paar vereinzelte, deutlichere Spuren an deren Rand aber zeigen uns, dass es unzählige, sehr große Paarhufer gewesen sein müssen. So also wenden wir, tasten uns vorsichtig Meter um Meter zurück, bleiben mit abgeschalteten Motoren ste-hen, bis wir mit einem unglaublichen Geschenk belohnt wer-den. Eine Herde von Elenantilopen (Taurotragus oryx; Eland), mehrere hundert(!) Tiere stark, fühlte sich von uns offenbar in ihrem Zug gestört. Die Wahnsinnsflut der großen Antilopen wurde von unserer lärmenden Präsenz in zwei Teile geschnit-ten und nun stehen auf beiden Seiten des Wegs, in gebührli-chem Abstand, unzählige dieser champagnerfarbenen Tiere und starren uns misstrauisch an. Immer mehr Köpfe tauchen aus dem Gebüsch auf, vorsichtig, scheu, abwartend. Die Größe der Herde ist unfassbar, noch nie zuvor haben wir so etwas gesehen! Lange warten wir ab, doch die mächtigen Tiere trauen sich nicht vor, nicht zurück. So also treten wir den Rückzug an und hoffen,

sie vielleicht noch einmal auf unserer Übernachtungs-Pfanne, die schon ganz nahe ist, zu Gesicht zu bekommen.

Wenig später, 44 Kilometer nach der Khiding Pan, erreichen wir frühnachmittags die Campsite an der Mosomane Pan. Der große schattige Platz am Rande der weiten Pfanne bietet eine hervorragende Aussicht und mehr als genügend Raum, unsere Stoffhütten aufzubauen. Jede Partei greift sich ihre jeweilige Zeltrolle und sucht sich einen Platz, so weit entfernt von den anderen, wie nur irgend möglich. Das haben wir eigentlich jeden Abend so gemacht, sofern das Gelände es zuließ, aber heute ist der Vereinzelungsdrang besonders augenfällig.

Heinz und ich wandern ein Stück bergab und erwählen den Schatten einer noch recht niedrigen Boscia als unser heutiges Nachtlager – ein bisschen Schutz kann ja nicht schaden … Nach dem Zeltaufbau finden wir uns alle, etwas zögerlich, im Schatten der beiden zentralen Riesenbäume der Site zusammen – es wird wenig geredet, die Stimmung ist krampfhaft be-müht, etwas gequält. Daran ändern auch die Zebras, Warzen-schweine und Spießböcke wenig, die sich im milder werden-den Nachmittagslicht am Pfannengrund sammeln. Gegen 16 Uhr, das Licht ist wunderschön, blasen wir zum Evening Drive, doch Jürg, Sven und Patricia ziehen es vor, auf der Campsite zu bleiben. So also fahren wir nur zu fünft und, da die Elands bis jetzt noch nicht in der Pfanne erschienen sind, führt uns der erste Weg hinauf auf den Pfannenrand. Da stehen sie noch immer und beäugen uns misstrauisch. Um sie nicht weiter zu stören, wenden wir die Wagen und umrunden die Pan. An der Scheuheit auch der übrigen Tiere merkt man ganz deutlich, wie wenig besucht dieses Fleckchen Erde ist; es ist toll, dass es so etwas noch gibt.

Plötzlich entdeckt Heinz etwas, was nicht davonlaufen kann und uns wahrscheinlich, ohne ihn, trotzdem nie und nimmer aufgefallen wäre: ein gästehandtuchgroßes, kaktus-artiges, recht unscheinbares sukkulentes Büschel bestachelter grüner Würste. „Stopp!“, schreit er, „da ist eine Aasblume!“ Natürlich halten wir sofort, um die Pflanze gründlich in Au-genschein zu nehmen. „Eine Tridentea“, jauchzt Heinz begeis-tert, „und Blütenknospen hat sie auch schon!“ Liebevoll streicht er mit der Hand über die Pflanze und wir lauschen seinen hochinteressanten Ausführungen über die übel-riechende Fortpflanzungsstrategie und Genügsamkeit dieses

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Hundsgiftgewächses. Leider sind die Blüten noch geschlossen, aber wir mar-kieren die Stelle auf dem Weg, vielleicht sind sie ja morgen früh aufgeblüht.Auf der Rückfahrt zur Campsite drücke ich Heinz ganz fest – ich bin so glücklich, dass es immer wieder etwas zu sehen gibt, was seine Augen zum Glänzen bringt und so stolz. Stolz, dass er, der absolute Afrika-Neuling, der solche Bedenken ob seiner Unerfahrenheit hatte, die Gruppe mit derart viel Detailwissen und so scharfen Augen bereichern kann. Wir alle zusammen sind ein Dream-Team des Wissens, der Interessen, der unterschiedlichen Fähigkeiten – wir könnten es zumindest sein …

Als bereits die letzten Sonnenstrahlen über den Rand der Mosomane Pan lugen, kehren wir ins Lager zurück, wo wir uns bei einem Sundowner-Bier zum Sonnenuntergang versammeln; der allerdings ist ebenso flau wie die Gesamtstimmung unserer Truppe. Es wird dunkel, das Lagerfeuer prasselt und irgendjemand lacht uns aus. Irgendjemand? Viele, unzählige Wesen keckern ihr hämisches „Hehehehe!“ in unsere Ohren! Die Geräusche kommen vom Boden. Heinz und Jochen bewaffnen sich mit Taschenlampen und gehen auf die Suche nach den Witzbolden. „Hehehehe!“ schallt es allenthalben, doch die Lichtkegel zeigen nur Sand. „Hehehehe!“ Was ist das?

Wir decken den Tisch, die zwei Männer suchen noch immer nach den lachenden Tieren, als plötzlich Scheinwerferlicht den dunklen Himmel am Pfannenrand hinter uns zerschneidet. Mit hohem Tempo biegt ein Pick-Up um die Kurve, rast an uns vorbei und hält hundert Meter neben unserer Campsite. Zwei Frauen und ein Mann, so können wir hören, werden abge-setzt, der Pick-Up rast weiter, seine Lichter verschwinden in der Finsternis am anderen Ende der Pfanne. Die ausgeladenen Personen lärmen, springen ge-schäftig umher und entfachen ein großes Feuer direkt unter einem Baum. Wilderness Trail? Garantierte Einsamkeit? Wer, zum Teufel, ist das? Wir sind mehr als irritiert, eher richtig beunruhigt. Eigentlich spricht einiges dafür, dass es sich um Parkpersonal handelt: die Khakifarbe ihrer Kleidung und des Pick-Ups, ihr ungeniertes Verhalten – und sie haben Waffen dabei! Noch mehr aber spricht dagegen: wir konnten am Wagen kein Ranger-Schild entdecken, auch jetzt nicht an ihren Klamotten, sie haben nicht gegrüßt, würdigen uns keines Blickes – und sie haben Waffen dabei.

Linke Seite: prachtvolle Orxyantilope. Diese Seite: Eingänge an einem Nest von Siedelwebern; ein Bruchteil der riesigen Eland-Herde. Heinz und seine Aasblume (Tridentea marientalensis ssp. marientalensis); unser Camp an der Mosomane Pan.

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Sollten es wirklich Wilderer sein, dann haben wir jetzt ein Problem. Doch wie dumm und auch wie dreist wären diese, sich direkt neben uns niederzulassen. Wir diskutieren die Situation, erwägen, was zu tun ist. Die Meinungen sind sehr unterschiedlich, der Grad der Besorgnis variiert in ganzer Band-breite zwischen „Mein letztes Stündlein hat hiermit geschla-gen“ und „Ach, habt euch doch nicht so“. Nur in einem Punkt sind wir uns alle einig: wir wollen diese Nacht nicht neben Menschen verbringen, ohne zu wissen, wer sie sind. So also greifen sich unsere Männer ihre Taschenlampen, um den Stier bei den Hörnern zu packen: in geschlossener Reihe marschieren sie zu unseren Nachbarn hinüber. Eine kurze Unterhaltung später kommen sie zurück, mit guten Nachrichten. Es ist tat-sächlich Parkpersonal, allerdings „nur“ die Putz- Kolonne, was die fehlenden Ranger-Abzeichen erklärt und ein Stück weit vielleicht auch den mangelnden Anstand. Hätte die Truppe im Vorbeifahren gegrüßt oder sich gar kurz vor gestellt, unsere Besorgnis wäre gar nicht erst aufgekommen. Aber egal, jetzt wissen wir ja, dass die Herrschaften harmlos sind und können endlich beruhigt unser Dinner einnehmen.

Noch immer werden wir heftig ausgelacht, doch auch eine abermalige Suche nach den Hämischen zeitigt kein Ergebnis. Ein weiteres Rätsel, das seiner Lösung harrt – aber nicht mehr heute … Wir alle sind müde und recht früh zerstreut sich un-sere Runde. Heinz und ich dackeln hinunter zu unserem Zelt, das sich optisch arg verändert hat, wie auch der Schäferbaum, unter dem es steht. Das ehemals dichte Laub ist zur Hälfte verschwunden und bedeckt nun in grünen Bröseln unsere Be-hausung. Der Strahl der Taschenlampe entlarvt die Täter: es sind unzählige Raupen, die sich an den Blättern gütlich tun und die angebliche Schutzwirkung des Baumes vor Insekten recht offensichtlich Lügen strafen. Amüsiert klopfen wir den Raupenkot von der Zeltwand, kuscheln uns in die Schlafsäcke und lassen uns von den unsichtbaren Witzbolden in den Schlaf lachen, während die Raupen, deutlich hörbar, weiter auf uns kacken. Immerhin, ein Rätsel ist gelöst: wir wissen jetzt, woher der grüne Teppich unter einigen der Boscien stammte und das mit dem Gelächter kriegen wir auch noch raus …

24. November 2009

Wilderness Trail, Mosomane Pan – Wilderness Trail, Nossob

Die ersten Sonnenstrahlen lugen noch nicht über den Pfannen-rand, als wir schon aus den Zelten krabbeln. Heinz und mich empfängt beim Öffnen des Reißverschlusses eine grüne Dusche rieselnden Raupenkots, die Boscia ist nunmehr völlig kahl, die Raupen sind verschwunden. Das war gründliche Arbeit! Auch wir haben heute ein bisschen Arbeit vor uns, nämlich die zweite, 104 Kilometer lange Etappe des Wilder-ness Trails – es verspricht, zumindest fahrtechnisch, ein inter-essanter Tag zu werden, denn auf dem letzten Drittel der Strecke werden wir ein Gebiet relativ hoher Dünen durchqueren. Zunächst aber stärken wir uns mit einem üppigen Frühstück, packen und winken hinüber zu unseren Nachbarn, die gerade schlaftrunken ein Feuer entfachen. Unser erster Weg führt hinauf zum Pfannenwall, zu den Elands, aber diese sind über Nacht wohl weitergezogen. So unterziehen wir kurz darauf die Tridentea, die ihre Blüten leider noch immer nicht ge-öffnet hat, einer erneuten Inspektion. Bedauernd blickt Heinz auf die Knospen und am liebsten würde er hier bleiben, bis sich die nach Aas riechenden Blüten endlich entfalten. Das könnte zwar tatsächlich noch heute passieren, aber so viel Zeit haben wir nicht – es hilft nichts, wir müssen weiter.

Auf der anderen Seite der Pfanne kämpfen wir uns über einen steilen, sandigen Anstieg nach oben, auf dessen Kuppe Annette einen ganz frischen Pfotenabdruck erspäht: Leopard! Richtig, erinnert sich Jochen, die Putz-Truppe hatte gestern Abend erwähnt, dass einer in der Nähe unterwegs sei … Natürlich lässt sich die Katze selbst nicht blicken, obwohl es hier so schöne Postkarten-Bäume gäbe, wie geschaffen für das Verdauungsnickerchen eines Leoparden. Eigentlich schade, aber auch kein Beinbruch, denn auf den folgenden Kilo metern beschenkt uns die Kalahari reichlich mit blühenden Pflanzen, schüttet geradezu ein florales Füllhorn über uns aus. Alle nas-lang entdecken wir etwas Neues, Unbekanntes, halten an, be-wundern, fotografieren, bestimmen. Es ist unfassbar, was so ein bisschen Regen dem trockenen Sand entlocken kann! Da gibt es winzige Büschel rosmarinartiger Blätter mit noch

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winzigeren, rosafarbenen Blüten (Raphionacme sp.), fragile, fünfarmige Sternchen in hellem Dottergelb (Jamesbrittenia integerrima), pinke Glockenkelche mit burgunderfarbenem Grund (Sesamum triphyllum; Thunderbolt Flower), hellviolette Mini-Astern (Senecio eeni), distelartige, weißbeblütete Kugeln, die sich an fast nackten Stängeln in Etagen hoch püscheln (Acrotome inflata), gelbe, fettglänzende Fächer mit kecken lila Bärtchen (Cleome angustifolia; Yellow Mouse Whiskers) und noch unzählige andere Blühpflanzen, bei denen sogar der van Rooyen an den Grenzen seiner Funktion als Bestimmungs-bibel angekommt. Hin und wieder dekorieren auch Oryxe und Springböcke das Blütenmeer, aber der Wildbestand hat sich aufgrund der Üppigkeit der Vegetation so zerstreut, dass er, im Vergleich zur Flora, eher marginal erscheint. Das ist ein Tag so recht nach meinem Geschmack – und nicht nur nach meinem – doch unsere zahlreichen botanischen Stopps erfreuen nicht alle Mitglieder unserer Truppe gleichermaßen. Unsere Leiden-schaft allerdings scheint doch ein bisschen ansteckend zu sein – als wir gerade wieder auf allen vieren durch den Sand kriechen und einer Indigofera-Flavicans-Blüte ins Allerheiligste spähen, sagt Sven etwas, was mich ungemein freut: „Wisst ihr, ihr mit eurem Pflanzenkram habt es echt geschafft. Ich dachte ja eigentlich, dass mit der Kalahari der langweilige Teil der Reise beginnt, aber das ist gar nicht so. Und mittlerweile steige ich sogar für das eine oder andere Blümelein gerne aus.“ Trotz-dem reduzieren wir unsere häufigen Floral-Exkursionen etwas, halten nur noch, wenn die Sichtung wirklich etwas „hergibt“.

Wie zum Beispiel die Oryxherde, die da ein paar Meter unter uns in der Mitte einer Pfanne steht. Der Boden scheint knochen-trocken, aber mit gezieltem Scharren ihrer Hufe haben die Antilopen ein paar Stellen freigelegt, an deren Feuchtigkeits- und Mineraliengehalt sie sich jetzt gütlich tun. Erschreckt starren sie zu uns hoch, können sich jedoch nicht entschei-den, ob sie nun fliehen oder bleiben sollen. Ein paar Spring-böcke am Pfannenrand hingegen wissen genau, was zu tun ist, nehmen ihre Hufe unter den Arm und geben Fersengeld. Das wiederum löst nun auch bei den Oryxen den Fluchtreflex aus und, schwupp, ist die Pfanne so leer, als wäre noch nie ein Tier hiergewesen. Heinz hatte die Spießböcke nur eines kurzen Blickes gewürdigt und ist, als wir wieder einsteigen wollen, schon seit Minuten in der Botanik verschwunden. Wir finden

ihn, bis zu den Ellbogen in einem halbsukkulenten Busch steckend, nur seine Beine und sein Hintern sind zu sehen – und amüsieren uns köstlich. „Mensch,“, sagt Annette und grinst, „da hast fei einen extrem Netten an Land gezogen!“ Das weiß ich sehr wohl, doch diese von Herzen kommende Bemerkung freut mich trotzdem ganz fürchterlich! Jetzt aber gilt es, meinen „an Land gezogenen“ Süßen aus dem Busch zu ziehen, damit wir unseren Weg fortsetzen können …

Auf den folgenden Kilometern verändert sich die Land-schaft deutlich, die pfannendurchsetzten Ebenen gehen schön langsam in sanfte Dünenwellen über, deren weite Täler gewisse Ähnlichkeit mit einem Golfplatz haben. Grüne Flächen nied-riger Gräser, durchfärbt von den gelben Blüten der Wüsten-primeln, muten nahezu unwirklich an. Wie hingemalt steht ein einsamer Springbock inmitten dieser Zauberlandschaft, ein Straußenpärchen verschwindet anmutigen Laufes hinter dem nächsten Dünenkamm, zahlreiche Greifvögel sehen auf uns herab und wir sind hingerissen. Erst recht – auch die Flora hat sich komplett verändert – als wir am Wegesrand ein weiteres Amaryllis-Gewächs entdecken. Wie lange, perlmutt-glänzende Finger schimmern die rosa Blütenknospen der an-mutigen Lilie (Crinum foetidum) aus dem rötlichen Sand. Wir machen einen letzten, andächtigen Halt bei dieser Wüsten-schönheit, bevor die jetzt allmählich höher werdenden Dünen unsere Aufmerksamkeit voll und ganz in Anspruch nehmen. Immer wieder geht es nun langgezogene Steigungen hinauf, die teilweise so tiefsandig sind, dass wir mehrere Anläufe be-nötigen, um uns mit den schweren Autos ganz nach oben zu kämpfen. Und mehrmals führt die Fahrspur auf der anderen Seite der Sandwälle derart steil ins nächste Tal hinab, dass wir langsam verstehen, warum man den Wilderness Trail nur in diese eine Richtung befahren darf, was wohl eher eine Frage des Könnens als des Dürfens ist. Kilometer um Kilometer ackern, wogen wir über die sandigen Wellen und alle Beteilig-ten haben großen Spaß an diesem abwechslungsreichen Auf und Ab. Der allerdings findet ein abruptes Ende, als plötzlich Dieselgeruch die Luft durchzieht, eine schmierige Substanz auf unsere aus dem Fenster hängenden Arme tropft: unser zweiter Reservekanister hat unter dem ewigen Geschunkel und Geschubber den Geist aufgegeben und sein Inhalt flutet in altbekannter Manier das Dach unseres grünen Wagens.

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Was für ’ne Scheiße! Fluchend zerren wir unsere letzten Klopapier- und Küchen-rollenreserven aus den Tiefen des Autos hervor und versuchen, die Sauerei so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen.

Eine halbe Stunde kostet uns dieser Unfall, nach den Aufräumarbeiten riechen und kleben wir wie Bohrinselarbeiter und die vormals gute Stimmung ist merklich in den Keller gesunken. Offenbar hat unsere Gruppe, zumindest partiell, erneut die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Geduld erreicht. Das ist schade, denn kaum sind wir wieder unterwegs, erspähen wir etwas ganz Besonderes: die in beginnender Blüte stehende Knolle einer geradezu bilderbuchhaften Fächerlilie (Boophane disticha; Bushman’s Poison Bulb). Ihrer beeindruckend großen Bulbe entspringt ein mehr als daumendicker Stängel, gefärbt in unterschiedlichen Rot-, Gelb- und Grün-verläufen, gekrönt von einer Handvoll gerade knospender, rötlich-pinker Blüten. Seitlich neben dem Stängel fächern sich die randkräuseligen, rosa gesäumten Blätter in typischer Form aus der Knolle. Die Pflanze ist wunderschön, eine wahre Augenweide und man sieht ihr nicht an, welch tödliche Inhaltsstoffe sie in sich birgt. Ihr Cocktail aus Alkaloiden (Buphandrin, Buphanin, Crinamidin u. a.) und weiteren chemischen Substanzen findet, oder sage ich besser „fand“, bei den San mannigfaltige Verwendung: nämlich als Pfeilgift, Halluzinogen oder auch Schmerz-mittel, je nach Dosierung. Ich möchte allerdings nicht wissen, wie viele Heilkundige und Patienten gleichermaßen ihr Leben bei diesen Dosierungsversuchen verloren haben, da der Giftgehalt der Pflanze je nach Standort variiert und zudem noch jahreszeitenabhängig ist …

Wir freuen uns sehr über diese Entdeckung, aber, um die Stimmung nicht weiter über die Maßen zu strapazieren, gestalten wir unseren Aufenthalt recht kurz und sehen zu, so bald wie möglich unser heutiges Tagesziel zu erreichen, das Nossob Rest Camp. Wir befinden uns bereits auf der Zielgeraden, als uns erneut etwas aufhält, was das Interesse aller erweckt. Seit einigen Kilometern wird unser Weg durch die auslaufenden Dünen nun bereits von niedrigen Kameldornbäumen ge-säumt, in deren Geäst unübersehbar große Raupen hausen. Bei einer dieser Akazien, die direkt neben der Fahrspur steht, stoppen wir, um die Tiere aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. Fast 20 Zentimeter lang sind diese beeindruckenden Raupen, deren Körper von langen Büscheln weißer, dunkelbrauner und orangener Haare geschmückt werden. Sie reagieren äußerst aggressiv und schnellen blitzartig

Die Namen der Blumen auf den Seiten 133/134 erklären sich weitestgehend aus dem Text – leider konnten wir nicht alle bestimmen. Seite 136/137: Landschafts-impression mit Tieren – die Oryxpfanne. Seite 138: Kopf einer Gonometa-Raupe. Diese Seite: die „Meerkat“ kommt eine steile Düne herab; Gonometa-Kokon; Dünenlandschaft. Nächste Doppelseite: weiter Blick hinüber nach Südafrika.

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mit dem ersten Drittel ihres Körpers nach vorne, wenn man sie (mit einem Grashalm) berührt. Teilweise haben sich die finger-dicken, haarigen Schönheiten auch schon in Kokons ein-gesponnen, die wie übergroße, gelblich-pelzige Schoten im Geäst prangen. Keines unserer Bestimmungsbücher kann uns über die Identität der Raupen eindeutig aufklären, erst Wochen später werde ich zuhause im Internet fündig. Es handelt sich um die Kinderstube der Afrikanischen Seidenmotte (Gonometa postica), deren Kokongebilde aufgedröselterweise sogar kom-merziell genutzt werden. Aus der gewonnenen Seide lassen sich wunderschöne Textilien mit ganz eigenem Charakter her-stellen. Des einen Freud, des anderen Leid – bei Rinderfarmern ist die Motte, beziehungsweise deren Kokons, weit weniger beliebt: Kameldornakazien tragen Schoten, die gerne von Rindern gefressen werden; fallen nun Schoten und Kokons zu gleicher Zeit vom Baum, werden beide von den Rindern un-terschiedslos verzehrt. Leider aber ist Seide unverdaulich, bildet im Pansen der Tiere steinharte Klumpen und wird das Gebilde zu groß, dann verhungern die Rinder qualvoll, weil im Magen kein Platz mehr für Nahrung ist. Dieser bedauerliche Umstand kostet jährlich hunderten von Rindern, aber auch Wildtieren das Leben.

Wir verabschieden uns von den hübschen Monstern und ihren tödlichen Puppen-Stuben, dem Albtraum aller Rinder-farmer, und erreichen kurz darauf das Ende des Wilderness Trails. Von einem Meter auf den anderen endet die Sandspur und zweigt auf eine perfekt gegravelte Fast-Autobahn ab, die uns rasch zum Rest Camp führt. Und das ist jetzt beinahe ein Albtraum für mich: ein umzäuntes Camp, dessen Tor stets ge-schlossen zu halten ist, um ein „schwerwiegendes Schakal-Problem“ draußen zu halten, wie uns ein Schild informiert. Das Camp selbst besteht aus einem Office nebst Ausstellungs-raum, einem Shop, mehreren Bungalows vom Charme land-wirtschaftlicher Geräteschuppen und einer staubigen Camp-site mit mehr oder weniger kleinen Stellplätzen. Die größeren, schattigeren sind bereits alle besetzt, so dass wir uns mit einem sonnendurchglühten, engen Rechteck begnügen müssen. Für mich ist das alles ein regelrechter Zivilisationsschock, Heinz hingegen nimmt das Ganze wie immer sehr gelassen. Wir laden unseren Krempel aus den Autos – natürlich unter auf-merksamer Beobachtung der anderen Camper – und geneh-

migen uns erst mal einen „Shock Downer“, bevor wir unsere Zelte errichten – Wand an Wand, wie kuschelig! Zur Ab-lenkung sehe ich mich danach ein bisschen auf dem Platz um, vielleicht gibt es ja doch ein kleines Stückchen Natur zu ent-decken.

Da hinten zum Beispiel, beim Zaun, sausen ein paar Borsten-hörnchen herum, die durch die Dauerpräsenz der Menschen sehr zutraulich geworden sind. Einer der putzigen Nager, mit einer Zecke im Augenwinkel, entzieht sich hartnäckig meinen Fotoattacken, indem er immer wieder an meinem Objektiv herumknuspert. Nur kurz wird er durch eine nicht minder zu-trauliche Fuchsmanguste abgelenkt und peng, ist ein sagen-haftes Bild im Kasten – ein „echtes“ Wildlife-Foto, aber trotz-dem schön. In der Astgabel eines Baumes nimmt ein Karasburg Tree Skink (Trachylepis sparsa) ein gemütliches Sonnenbad. Er knabbert zwar nicht an meinem Objektiv, lässt mich aber auch ganz nahe an sich heran. Wie ein schimmernd-glitzernder Disco-Anzug kleiden ihn seine Schuppen, er züngelt nervös und hat sein linkes Vorderbein am Körper angelegt. Eine Gonometa-Raupe kriecht ein paar Zentimeter neben der Echse den Stamm nach oben und wird dabei abschätzend von einem Drongo beäugt. Na, es geht doch! Halbweg besänftigt be-schließe ich, nun mal die Annehmlichkeiten zivilisatorischer Art in Anspruch zu nehmen und marschiere mit Duschzeug, frischen Klamotten und den schmutzigen, die ich für den Heimflug brauche, Richtung Waschhaus. Da die Duschen, wie schön, alle besetzt sind, widme ich mich zuerst der Wäsche – meiner geliebten roten Fleecejacke, einem Paar Socken und einem T-Shirt.

Wie bei allen afrikanischen Waschbecken gibt es auch hier keine Stöpsel, aber mit einer Socke ist der Abfluss rasch wasser-sparend abgedichtet. Zehn Minuten ungefähr brauche ich, bis meine Wäschestücke wieder so weitestgehend salonfähig sind, zehn Minuten, in denen das Wasser der duschenden Damen ununterbrochen rauscht. Derart gedankenloser Um-gang mit dem kostbaren Element macht mich auch zuhause, wo wir ja alles in scheinbarem Überfluss haben, sehr zornig, aber hier, in diesen Breiten, treibt es mich schier zur Weißglut. Endlich wogt eine der hirnlosen Verschwenderinnen mit einem wohligen „Ahh!“ aus ihrer Duschkabine, ich werfe ihr einen strafenden Blick zu, den sie sicher nicht versteht und nehme

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ihren Platz ein. Nachdem ich den reichlich zerfledderten Heft-pflaster-Verband von meinem Zeh gepult habe, spüle ich mir Schweiß und Staub der vergangenen Tage vom Körper und aus meinen Haaren. Ein Genuss ist das nicht wirklich, denn das Wasser ist extrem natron-oder-sonstwas-haltig und fühlt sich total schmierig an, aber es erfüllt seinen Zweck und ich bin wieder „clean“. Nun inspiziere ich meinen Zeh, der eigentlich ganz okay aussieht – nur der Nagel steht etwas unmotiviert in der Gegend herum. Leider hängt er zum Teil noch im Bett, zu fest, um ihn ganz und unblutig entfernen zu können. Ich schneide ihn deshalb nur so kurz wie möglich und klebe reich-lich Pflaster herum, bevor ich wieder zu unserem Lager zu-rückkehre.

Dort sind schon Vorbereitungsarbeiten für das Abendessen im Gange, der nicht beteiligte Rest der Truppe lässt es sich bei einem Bierchen gut gehen. Ich schnappe mir ebenfalls eine Dose und genieße den hereinbrechenden Abend, indem ich zur Abwechslung mal Menschen beobachte. Ganz in unserer Nähe residieren ungefähr acht recht gewichtige Männer, die von einem Ausrüstungswahnsinn umgeben sind, als wären sie zu achtzigst. Gerade haben sie ein völlig überdimensioniertes Grillfeuer entfacht, mit Bierflaschen bewaffnet umstehen sie dieses nun kreisförmig und ihre Bierwampen heben sich plas-tisch gegen die lodernden Flammen ab. Markige Sprüche auf Afrikaans und brüllendes Gelächter schallen durch die Luft. Ein Blick auf ihre Autokennzeichen bestätigt meine Vermu-tung – Südafrikaner. Und einen „Neger“ haben sie auch dabei. Allerdings ist der nicht schwarz, sondern weiß, ungefähr ei-nen Kopf kleiner als all die anderen und wiegt auch nur halb so viel. Zur Strafe für diese „Mängel“ darf er die ganze Arbeit tun, die G’wamperten bedienen, Holz herbeischleppen, leere Flaschen entsorgen. Eine Pavianhorde könnte nicht unterhalt-samer sein …

Seite 142: das vorwitzige Borstenhörnchen knabbert ausnahmsweise mal nicht an meinem Objektiv.Diese Seite: Karasburg Tree Skink beim Sonnenbad.Seite 147: farbenprächtige Raupe auf der Vlei-Lilie.Seite 148 und 150/151: die faulen Löwenjungs.

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Unser Abendessen ist mittlerweile fertig gegart, wir decken den Tisch und lassen es uns schmecken. Gemeinsam, in Er-mangelung eines gruppeneigenen „Negers“, spülen wir da-nach das schmutzige Geschirr, als plötzlich helle Aufregung durch das Camp brandet. Eine Löwin ist Ursache des Aufruhrs; gemächlichen Schrittes umrundet sie das Rest Camp – außer-halb des Zauns – und eine Traube von mit Taschenlampen be-waffneten Menschen folgt ihr – natürlich innerhalb des Zauns. Mit der gewissen Überheblichkeit, geboren aus den Busch erfahrungen der letzten Tage und Jahre, lassen wir die Löwin Löwin sein und bringen entspannt unseren Abwasch zu Ende. Allerdings sind wir nicht überheblich genug, nicht doch eine Weile später das campeigene, beleuchtete Wasserloch zu besuchen, wenngleich es sich auch etwas seltsam anfühlt, einen mehrfach gesicherten, palisadengesäumten Gang zu durchschreiten, um schließlich auf einer Holzbank zu sitzen und von dort das Treiben an der Wasserstelle wie im Fernseh-gerät zu beobachten. Die Zaunlöwin taucht Minuten später im Lichtkegel des Scheinwerfers auf, ein paar Schakale wuseln herum, eine Schabrackenhyäne lässt sich blicken – ein Tier, das man wirklich selten zu Gesicht bekommt. Die wuschelige Hyäne schleicht zum betonierten Becken, schickt sich an, ihren Durst zu stillen, wird aber permanent von einem beson-ders vorwitzigen Schakal gepiesackt. Er beißt sie in den Schwanz, zieht an ihrem Fell und kneift sie in die Hinterbeine; ihre Abwehr ist lasch, fast ängstlich – und tatsächlich lässt sie sich nach ein paar Minuten von dem viel kleineren Plagegeist vertreiben. In Gedanken leiste ich dem menschengeschaffenen Wasserloch Abbitte, denn dieses Erlebnis ist ein besonderes, eines, das einem in freier Wildbahn nur unter glücklichsten und vollmondigen Umständen zuteil wird. Danke, du Nossob- Wasserloch! Über uns, im Gebälk der Beobachtungstribüne, wird übrigens schon die ganze Zeit schadenfroh gelacht. „He-hehehe!“, schallt es aus allen Richtungen. Doch trotz aller An-strengungen können wir auch heute abend die Verursacher nicht ausmachen. Das hämische Gekichere der unsichtbaren Wesen begleitet uns zurück zum Lager, müde sinken wir in unsere Schlafsäcke und lassen uns von Schakalen in den Schlaf heulen.

25. November 2009 Nossob – RooiputsEin weiterer Tag dämmert herauf und folgt einer ruhigen Nacht; auch die feierfreudigen Südafrikaner wurden offenbar recht früh, geschwächt durch reichlichen Fleisch- und Bier-genuss, von der Bettschwere gepackt. Der schmalbrüstige Servant beseitigt heute Morgen bereits emsig die Überreste des gestrigen Braai-Gelages, von den Schwergewichten selbst hingegen ist noch nichts zu sehen. Auch wir lassen den Tag gemächlich angehen, denn die rund 160 Kilometer gegravel-ter Straße nach Rooiputs sind ein Klacks – so haben wir genug Zeit für ein gemütliches Frühstück und ein paar Einkäufe im campeigenen Shop. Der Laden ist recht spärlich sortiert und meine Hoffnungen, dort interessante Fachliteratur oder gar Briefmarken zu bekommen, erfüllen sich leider nicht. Immer-hin aber können wir unsere Getränkevorräte wieder auffüllen und das angeschimmelte Restbrot durch frisches ersetzen. Dann verlassen wir das Camp voller Vorfreude auf eine weitere, letzte Nacht im zivilisatorischen Abseits. Die Strecke dort - hin allerdings ist sehr zivilisiert: gut zwei Autos breit und in bestem Zustand schlängelt sie sich am Ufer des wasserlosen Nossob River entlang, mäandert auf der Grenzlinie zwischen Botswana und Südafrika hin und her. Vergangene Nacht übrigens haben wir auf südafrikanischem Staatsgebiet ver-bracht, seit Verlassen des Camps aber befindet sich wieder botswanischer Boden unter unseren Reifen und das alles ohne Grenzformalitäten – ein Vorteil des länderübergreifenden Nationalparks.

Links von uns, auf der östlichen Seite des trockenen Fluss-bettes, türmen sich die roten Dünen der Kalahari, leuchten um die Wette mit dem strahlenden Blau des Himmels und dem warmen Gelb des wogenden Grases, üppig belaubte Bäume setzen grüne Akzente im grandiosen Farbenspiel der Natur. Wir passieren das erste, künstlich angelegte Wasserloch, das ohne aus ihm trinkendes Leben wie ein leeres, spiegelndes Auge in der Morgensonne liegt. Dafür aber entdecken wir ein paar Kilometer weiter eine Löwenmama mit zwei noch blau-äugigen Jungen, gut verborgen unter einem Busch, direkt neben der Fahrbahn. Nun, entdecken ist zu viel gesagt, denn stünde dort nicht bereits ein anderes Fahrzeug, dessen In-

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sassen angestrengt ins Gestrüpp starren, wären die 3 Katzen sicher unserer Aufmerksamkeit entgangen. Es ist eine tolle, recht unerwartete Sichtung, hier am Nossob Highway, sofern man in diesem Falle von sehen sprechen kann, denn der Busch deckt gnädig seine Zweiglein über das traute Mutterglück und egal, in welche Position wir unsere Autos manövrieren, mehr als ein paar blauer Äuglein, tapsiger Pfoten und Mamas Schwanzspitze bekommen wir nicht zu Gesicht. Wir lassen die drei Miezen in Ruhe und konzentrieren uns lieber auf die an-deren Tiere, die immer wieder im Flussbett stehen. Kleine Oryxherden blicken wie festbetoniert zu uns herüber, ein paar Hartebeests galoppieren übermütig mit ihrem Nachwuchs durch den Sand und eine Straußengruppe schreitet würdevoll durch das Flimmern der Hitze. In einem Baum direkt neben der Straße sitzt ein Weißbürzel-Singhabicht (Melierax polio-pterus; Pale Chanting Goshawk) im Jugendkleid und starrt mit seinen stechend gelben Augen in unsere besonnenbrillten, bevor er sich sicherheitshalber, aber sehr majestätisch, in die Lüfte erhebt.

Recht kurzweilig geht es so dahin, nur die zahlreichen Wasser-löcher auf der Strecke sind seltsamerweise fast allesamt wie ausgestorben. An einem aber, wir haben schon ganz schön Kilometer hinter uns gebracht, regt sich dann doch noch Leben. Regen – eigentlich das falsche Wort: im Schatten einer aus-ladenden Baumkrone räkeln sich drei faule Junglöwen, die vor lauter Müdigkeit nicht in der Lage sind, Schwereres als ein einzelnes Augenlid zu heben. Es ist schön, sie wie hingegossen dort liegen zu sehen, aneinandergekuschelt, ab und zu blin-zelnd. Weiße Kinnhärchen stehen in die Luft, Schwanzspitzen klopfen sachte in den Staub und riesige Pfoten treteln woh-lig-katzentypisch. Die Schläfrigkeit der Löwen allerdings ist irgendwie ansteckend; daran ändert auch der „Kraftakt“ eines der Tiere nicht viel, das sich auf einmal im Zeitlupentempo erhebt, ein paar Schritte tut, den Baumstamm halb umrundet, verschlafen dahinter hervorlugt und sich gleich darauf wieder fallen lässt. Bevor auch uns die Augen zufallen, fahren wir im grünen Landy lieber weiter, die „Meerkat“-Besatzung hinge-gen kann sich nicht losreißen und bleibt noch ein wenig.

Ein paar Wegbiegungen weiter erregt erneut etwas unsere Aufmerksamkeit: eine weitere Amaryllis-Art leuchtet aus dem roten Sand. Es ist eine Vlei-Lilie (Nerine laticoma), die uns da

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mit dem grellen Weiß ihrer Blüten blendet. Jedes einzelne Blütenblatt wird von einem pinken Mit-telstrich geziert, aus der Mitte einer jeden Blume recken sich leicht gebogene, fragile Arme mit himbeerfarbenen Staubgefäßen und auf einem der zarten Blütengebilde sitzt, wie zur Dekora-tion, eine Raupe – knallgelb mit schwarzen Flecken und orangenem Köpfchen. Wir sind be-geistert, nicht nur von der Schönheit der Pflanze und der Raupe, sondern auch, weil wir hiermit nun alle Amaryllisgewächse der Kalahari gesehen haben – fast alle, denn das kurzlebige „Aand-blommetjie“ (Pancratium tenuifolium) fehlt uns noch; aber diese Pflanze blüht nur für wenige Tage direkt nach Regenfällen, die uns ja nun schon seit Tagen verschont haben.

Dieses – trotz „fehlender“ Amaryllis – geradezu sagenhafte Glück hat uns wohl eine Art rosaroter Brille aufgesetzt, denn die langsam über uns dahinziehenden Cumuluswolken scheinen mit einem Mal in leichtes Rosé getaucht. Doch nein, ein genauerer Blick zeigt, es ist keine von For-tuna geschickte Halluzination, keine Sinnestäu-schung, sondern schlicht und einfach roter Sand, der von den Wolken transportiert wird. Und auch, wenn die Ursache der Verfärbung eine natürliche ist, so sehen die zuckerwattigen Gebilde doch irgendwie künstlich aus. Wir stehen gerade am Fahrbahnrand im Schatten eines Baumes und sind in den Anblick der kitschigen Plastikwolken versunken, als die „Meerkat“ wieder zu uns auf-schließt. Auch Patricia, Sven, Tommi und Jürg machten, als sie sich an den Löwen sattgesehen hatten, einen Fotostopp bei der Vlei-Lilie. Doch justament in dem Augenblick, als Jürg in altbe-kannter Manier flach auf dem Boden lag und die Pflanze makroskopierte, hielt ein Ranger neben den vieren und erteilte ihnen einen gehörigen Rüffel: Aussteigen verboten! Ach ja, das hatten wir beinahe vergessen, nach den ganzen Tagen in der Abgeschiedenheit der Kalahari – da sind wir

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aus dem Auto geklettert, wann immer wir wollten und kein Hahn krähte danach. Doch hier, in diesem von Touristen hoch-frequentierten Gebiet, kann das teuer werden. Die vier aller-dings hatten Glück und kamen mit einer Verwarnung davon – und wir noch mehr, da uns niemand erwischt hat …

In Anbetracht dieser Sachlage beschließen wir, unseren Mittagssnack brav an einem offiziellen Picknick-Spot einzu-nehmen, wo wir legal aussteigen und uns frei bewegen dür-fen. Melkvlei heißt der Ort unserer Wahl, der Platz gepflegten Beinevertretens, und bietet jeglichen Komfort, den Mensch so braucht: mehrere Tische sowie Sitzgelegenheiten, geschlech-tergetrennte Toiletten und klebriges, aber fließendes Wasser. Natürlich sind wir dort nicht allein, sondern teilen das gast-liche Stückchen Erde mit mehreren Rastbedürftigen – und mit einigen Tieren, die derart an die Präsenz von Menschen ge-wöhnt sind, dass sie sich nicht im Geringsten an uns stören. Eine Fuchsmanguste wuselt zwischen den Tischbeinen hin-durch, inspiziert den Unterboden unserer Autos, ein Hecken-sänger lauert mit keck aufgerichtetem Schwänzchen auf her-abfallende Brösel und eine kleine Gruppe von Siedelwebern legt in einer Astgabel über uns den Grundstein für ein neues Gemeinschaftsnest. Heinz kann es kaum fassen, was sich da direkt vor seinen Augen tut: Ästchen für Ästchen, Halm für Halm tragen die kleinen Vögel herbei und verweben das Material zur Keimzelle einer neuen Kolonie. Heinz, der seit über 20 Jahren selbst exotische Vögel hält, ist völlig hinge-rissen – er hätte nie erwartet, einmal Zeuge eines so denk-würdigen Moments in freier Wildbahn zu werden. Das Leuch-ten will gar nicht mehr aus seinen Augen weichen und die erste Schildkröte, sein bisheriges Highlight, fällt zurück auf Platz 2, so gesteht er uns selig grinsend bei der Weiterfahrt. Wie immer, wenn er so begeistert ist, freue ich mich mit ihm und bin gleichzeitig mal wieder erstaunt, wie „anders“ er ist. Zum ersten Mal in Afrika, prasselte ein wahres Gewitter an Erlebnissen und Tiersichtungen in den letzten Wochen auf ihn herab, wurden von ihm zwar mit höchstem Interesse und Freude genossen, aber ausgerechnet ein paar unscheinbare, nestbauende Sperlingsvögel hauen ihn nun völlig aus den Latschen. Jeder andere wäre angesichts der Wildhunde, Löwen, Elefanten und Nilpferde völlig außer Rand und Band geraten, hätte die Nerven inmitten der Insektenscharen ver-

loren, nicht jedoch Heinz. So hat eben jeder seine besonderen Vorlieben und Freuden – und MEIN persönliches Hightlight dieses Urlaubs, das steht fest, ist jeder einzelne Moment, den wir beide gemeinsam zubrachten und erlebten; eine sehr be-sondere und schöne Erfahrung für mich.

Mit diesen wohligen Empfindungen und Gedanken im Ge-päck nähern wir uns allmählich unserem heutigen Übernach-tungsort. Auf den letzten Kilometern vor Rooiputs reihen sich kleine Herden von Kuhantilopen, Gnus und Springböcken direkt neben der Fahrbahn, stehen Spalier, um uns in die letzte Nacht in relativer Abgeschiedenheit zu geleiten. Früh am Nachmittag kommen wir im Camp an, suchen unseren Platz und richten uns dort häuslich ein. Die Hitze ballt sich über uns, ebenso wie aufkeimende Gewitterwolken und wir ziehen uns bis zum Eve-ning Drive in den wohltuenden Schatten unseres platzeigenen Holzdaches zurück, schlürfen kühle Getränke und blicken in die Runde. Der Ausblick ist grandios: von einem sanften Hügel herab sehen wir weit in die umliegenden Ebenen, der Horizont flirrt und wabert, helle Cumulusgebilde formieren sich zu fins-teren Türmen, Blitze zucken, Regenbogen leuchten, dunkel-graue Wolken werfen in der Ferne ihre feuchte Last in fast greifbaren Sturzbächen ab. Wir genießen diese ständig wech-selnden Wolkenformationen und Lichtverhältnisse, beobachten, wie wir von Gewittern eingekreist werden, hören, wie das Don-nern immer näher kommt; das Ganze hat beinahe ein bisschen was von Endzeitstimmung, aber es ist wunderschön. Spät-nachmittags dann brechen wir bei fast unwirklichem Licht zu einer kurzen Fahrt hinab zum Wasserloch auf, an dem gerade ein einsamer Schakal seinen Durst stillt. Ein Sekretär zieht am Himmel eine Runde, bevor er hinter der nächsten Düne zum Landeanflug ansetzt und hunderte von Kapturteltauben be-völkern Bäume und Boden rund um das Wasserloch. Der Schakal fühlt sich sichtlich von uns gestört, noch mehr aber wohl von den Tauben, die ständig in dichten Schwärmen um ihn herum-flattern und sucht das Weite. Wir tun es ihm gleich und fahren wieder hinauf zum Camp, denn wir wollen auf keinen Fall den Sonnenuntergang verpassen, der sich da bereits mit leichtem Glühen am Horizont ankündigt.

Pünktlich zum Beginn des Color-Spektakels sitzen wir, mit einem Bier in der Hand, in unseren Stühlen bereit und ge-nießen, was die Natur uns in den schönsten Farben darbietet

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Rosa Zuckerwatte-Wolken transportieren Kalaharisand; Siedelweber; Oryxantilopen ruhen im Schatten; Fuchsmanguste auf Inspektionstour; Heckensänger; kleine Raupe am Brotzeittisch von Melkvlei; Springböcke mit Nachwuchs; Gnu; rustikale Klospirale im Rooiputs-Camp; Weißbürzel-Singhabicht; der neugierige Heckensänger belauert uns; Straußenweibchen beim Sandbad. Nächste Seite: farbenprächtiger Sonnenuntergang in Rooiputs mit glühenden, gewitterschwangeren Wolken.

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– eine würdige Abschiedsveranstaltung für unseren letzten Wildnisabend! Und kaum ist die Sonne verschwunden, setzt auch das nun schon vertraute Gelächter unserer unsichtbaren und immer noch unbekannten Freunde wieder ein, die uns später, begleitet von Löwengebrüll, voller Inbrunst in den Schlaf kichern …

26. November 2009

Rooiputs – Twee Rivieren – Garas Quivertree Camp, Keetmanshoop

Die Löwen, deren Gebrüll wir gestern Abend beim Einschlafen gehört hatten, sind uns nachts nicht besuchen gekommen, dafür aber sagt uns heute Morgen Jan Hallo. Er ist Südafrika-ner und hat sich zu Forschungszwecken häuslich in Rooiputs eingerichtet. Bereits gestern stellte er sich uns kurz vor, hauptsächlich um uns vor den Löwen zu warnen: es seien zwei männliche Tiere, Brüder, schon recht betagt und einer der beiden sei verletzt. Das war gut zu wissen. Normalerweise ist ein nächtlicher Löwenbesuch zwar kein Problem, doch wenn ein Tier durch eine Verletzung geschwächt und hungrig ist, kann so eine Begegnung schon mal recht unangenehm werden. Aber Gott sei Dank ist dieser Fall ja nicht eingetreten. Vor lauter Löwen und nettem Geplauder mit Jan hatte ich allerdings gestern Abend die Gelegenheit verpasst, diesen Vor-Ort-Fachmann nach unseren lachenden Freunden zu be-fragen, was ich jetzt nachhole. Er weiß sofort, was ich meine und wirft seinen Laptop an, um seine Erklärungen mit einem „Fahndungsfoto“ zu untermalen. Die mysteriösen Kichertiere sind Bellgeckos (Ptenopus garrulus; Barking Gecko), sehen ein bisschen aus wie eine in die Länge gezogene Kröte mit über-großem Kopf und stumpeligem Schwanz und hausen in 30 bis 40 Zentimeter tiefen, spiralförmigen Bauten im Sand. Ihr schadenfrohes Gelächter dient der akustischen Sicherung ih-rer zirka 1 Quadratmeter kleinen Territorien und natürlich der Becircung der holden Weiblichkeit. Auch uns haben die kleinen Reptilien, die sich einfach nicht zeigen wollten, damit erfolgreich betört und wir sind glücklich, nun endlich zu wissen, wessen „Hehehehe!“ wir da verfallen sind.

Stundenlang könnten wir mit Jan noch Fachgespräche führen, aber die Zeit drängt; so also verabschieden wir uns, brechen das Lager ab und sind bald darauf abreisebereit. Kurzfristig packt mich die Wehmut, als wir von unserem Hügel herunterrollen, denn mit Verlassen dieser letzten „wilden“ Station, dem bevorstehenden Eintauchen in die Zivilisation, ist der Urlaub als solcher für mich, zumindest gefühlsmäßig, vorbei. Meine Freude also hält sich in Grenzen, zumal wir heute mal wieder richtig Strecke vor uns haben: knapp 400 Kilo-meter sind es bis Keetmanshoop, wo wir das Garas Quivertree Camp ansteuern wollen. Doch allein die Aussicht, dass Heinz in einigen Stunden vor unzähligen, leibhaftigen Köcherbäu-men stehen wird, lässt meine leichte Trauer rasch verfliegen. Bevor es aber so weit ist, müssen wir erst mal Meilen schrub-ben und das machen wir extrem bravourös – indem wir uns dummerweise, aber freiwillig, gleich noch 85 Zusatzkilometer aufhalsen: am Fuße des Hügels müssten wir jetzt eigentlich links abbiegen, doch an der Abzweigung steht ein Gesperrt-Schild. Auch gestern Abend, als wir vom Nossob Highway nach Rooiputs abbogen, prangte dort ein ähnliches, das aber Rooiputs-Gästen die Durchfahrt ausdrücklich gestattete. Dieser Zusatz jedoch fehlt hier. Etwas verunsichert bleiben wir stehen, diskutieren, was wir tun sollen und entscheiden schließlich sicherheitshalber, die viel längere Strecke über Kij Kij und Auchterloni nach Twee Rivieren zu nehmen – völlig unnötigerweise, wie sich später herausstellen wird.

Aber es geschieht ja nichts, ohne nicht auch gute Seiten zu haben. Da wäre zum Beispiel das Löwenrudel, das unweit un-seres Camps faul im Schatten liegt. Die Tiere sind relativ weit weg, aber immerhin … Kurz darauf sehen wir noch ein paar Erdmännchen, auch nicht wirklich in Streichelnähe, doch sie machen allerliebste Abschieds-Männchen, nur für uns. Bald danach erreichen wir Kij Kij, wo unsere Exklusiv-Straße wie-der auf den Highway abzweigt und sehen dort erneut Löwen. Diese allerdings werden von derart vielen Autos belagert, dass wir uns gar nicht mehr die Mühe machen, anzuhalten. Kilo-meter um Kilometer kurven wir durch die roten Dünen, deren Farben sich permanent ändern. Mal scheinen sie orangerot, mal rostfarben, mal mehr, mal weniger intensiv – je nach Sonnenstand, Blickwinkel und Eisenoxidgehalt. Nur eines haben sie gemeinsam: sie lassen sich in ihrer ganzen Pracht

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fotografisch nicht wirklich zufriedenstellend einfangen, dazu sie sind einfach zu nahe vor unserer Nase. Dafür aber bieten sie prima Versteckmöglichkeiten für all die Tiere, die hier zuhause sind. Denn bis auf ein paar Tele-Oryxe, Gnus, Red Hartebeests und einen flüchtenden Sekretär nämlich bekommen wir kaum noch Wildlife zu Gesicht. Ein kleines Highlight immerhin ist die Boophane am Wegesrand, die zweite in diesem Urlaub. Im Ge-gensatz zu unserem Erstfund steht sie zwar nicht in Blüte, ent-zückt uns dafür aber mit einem makellosen, welligen Blatt-fächer. Ein wenig später, auf der Höhe von Auchterloni, ragt ein steiler Sandwall zu unserer Rechten auf, aus dessen Flanken etwas leuchtet, was Heinz in Erregung versetzt; er hat einen tausendprozentigen Blick für sukkulente Gewächse und die über den ganzen Hang verstreuten Blütennester der Wüsten-rosen (Adenium oleifolium; Desert Rose) sofort erspäht. Wir stoppen und schwärmen aus, unter völliger Missachtung des Aussteigeverbotes – doch das müssen wir uns aus der Nähe ansehen. Zu Dutzenden blühen die zierlichen Pflanzen hier und jedes der Büschel aus zartgrünen, lanzettförmigen Blättern trägt Blüten in einem anderen Farbton – von Weiß über Zartrosé bis hin zu Tiefpink. Heinz, und nicht nur er, ist begeistert, seine Wangen glühen mit den dunkelsten der Blüten um die Wette. Ausgiebig bewundern und genießen wir die Pracht, bevor wir unentdeckt und ungetadelt wieder in die Autos steigen.

Bereits ein, zwei Kilometer weiter entdecken wir den noch recht frischen Kadaver einer Oryx, der verlassen und aufge-bläht in der Vormittagssonne liegt. Das wiederum erweckt Jochens und Annettes Jagdtrieb, doch unsere Suche nach dem Jäger, die uns auf einen steilen Felsenkamm nach links lenkt, direkt hinauf zum Auchterloni-Steinhüttchen, führt zu keinem Ergebnis. Wir geben bald auf und schlagen uns, ohne weitere Ereignisse, die letzten 40 Kilometer durch die Dünen, bis wir schließlich in Twee Rivieren ankommen. Dieses durchorgani-sierte Riesencamp ist ein Albtraum, es wirkt steril, unpersön-lich und alles hat hier seinen quadratisch-praktischen Platz: die Tankstelle, die reihenhausähnlichen Bungalowanlagen, die Schattendächer auf dem zentralen Parkplatz, der Pool, der Shop. Ein Ort, der mir Gänsehaut verursacht, für andere aber wohl eher eine Art gepflegter Wohnstätte inmitten der ge-fährlichen Natur darstellt, für manche vielleicht sogar das ultimative Abenteuer. Trotz des Gruselfaktors, den das Camp

für mich und meine Reisegenossen hat – wir müssen hier ein paar Vorräte auffüllen. Und das geht wunderbar: der Shop ist wohlsortiert und bietet alles, was das Herz begehrt – sogar Briefmarken. Mit rautenförmigen Glitzer-Stamps formvollendet und geschmackvoll frankiert, können wir nun endlich unsere in Maun gekauften und in der Zentralkalahari geschriebenen Postkarten der örtlichen Mailbox anvertrauen, in der Hoff-nung, sie alle mögen ihren Zielort erreichen.

Neu bestückt mit diversen Leckereien und post-erleichtert verlassen wir das Camp Richtung Grenzstation, wobei wir die Abzweigung hinauf nach Rooiputs passieren. Das dort im Sand steckende Schild führt uns die Unnötigkeit unseres 85-Kilometer-Umwegs schwarz auf weiß vor Augen – als Rooiputs-Gäste hätten wir völlig legal die kürzere Strecke be-fahren dürfen … Doch was soll’s, es bringt nichts, sich zu zür-nen, wenngleich uns der Umweg wertvolle Zeit gekostet hat, die uns heute Abend ärgerlicherweise fehlen wird. Dessen sind wir uns jetzt aber noch nicht bewusst und steuern deshalb ungetrübter Laune das Grenzgebäude an, das extrem neu aussieht. Polierte Steinstufen führen uns direkt ins geräumige Herz dieses klimatisierten Formalitäten-Tempels, in dessen Heiligen Hallen den wartenden Touristen ein Flatscreen mit Naturfilmen zu unterhalten versucht. Doch außer uns ist hier niemand und warten müssen wir auch nicht, nur ein kleines Formular ausfüllen, nach dessen Begutachtung der botswani-sche Grenzbeamte ohne zu zögern einen Ausreisestempel in unseren Pässen platziert. Eine 180-Grad-Wende und 10 Schritte bringen uns zum gegenüberliegenden Südafrika-Desk, wo wir nach Angabe unseres Auto-Kennzeichens ebenso problemlos die Einreisegenehmigungen erhalten. Das ging ja mal schnell! Ein gestrenger Officer wirft noch einen kurzen Blick in das Innere unserer Autos, bemängelt meine stattliche Adlerfeder, die ich auf dem Wilderness Trail aufgesammelt hatte und be-fiehlt mir, sie hier zu lassen. Bevor ich auch nur „Ja“ sagen kann, hat er sich schon wieder umgedreht und ist verschwun-den. So also bleibt sie, wo sie ist und samt der illegalen Feder passieren wir das Grenztor, das sich quietschfrei hinter uns schließt.

Ein paar Meter noch ruckeln wir über Gravel, dann haben wir allerfeinsten Teer unter den Reifen. Die nächsten 160 Kilo-meter sind somit zwar holperfrei, aber auch recht eintönig,

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nur ab und zu lockern rote Dünen das Bild auf. Zur Entschä-digung kommen wir schnell voran und erreichen nach knapp zwei Stunden den nächsten Grenzposten – Rietfontein. Mit einem Piep des Scanners werden wir anstandslos aus Südafri-ka entlassen und entern alsbald das benachbarte namibische Grenzgebäude. Hier ist nix mit Piep und Scanner, hier wird noch per Hand gearbeitet. Allerdings bringen die namibischen Grenzer zuerst in aller Ruhe ihre Partie Pool Billard zu Ende, bevor sie sich endlich bequemen, uns einreisen zu lassen. So etwas wie „Dienstaufsichtsbeschwerde“ scheint man hier nicht zu kennen, zumindest nicht wegen einer mutwilligen Verzögerung von Amtshandlungen aus privaten, vergnü-gungstechnischen Gründen. Aber verständlich ist das durch-aus, denn bis auf die paar abfertigungsgeilen Touris pro Tag tut sich hier offensichtlich sonst nicht viel – und irgendwie muss die Zeit ja rumgebracht werden. Wie leicht verschieben sich so beim Versuch, der tödlichen Langeweile zu entkom-men, die Prioritäten – Rietfontein wirkt wie das klassische Epizentrum lebensbedrohlicher Monotonie, ein Ort in The Middle of Dusty Nowhere, ein Kaff, in dem ich nicht mal tot über dem Zaun hängen möchte.

Muss ich ja Gott sei Dank auch nicht, wir alle nicht. Was wir aber müssen und das unbedingt, um unsere Einreise perfekt zu machen – so instruieren uns die gelangweilten Beamten – ist die Tätigung des Erwerbs einer Bestätigung zum Nach-weis der Bezahlung der namibischen Cross Boarder Charge, auch Road Tax genannt. Aha! Hier? Nein, wo denken wir denn hin!?! Dafür gibt es eine extra Außenstelle, die zur Entlastung unterbeschäftigter Bällchenbeweger der Abteilung „Immi-gration“ in einem 35 Kilometer entfernten Supermarkt/ Restaurant(!) eingerichtet wurde. Alles klar! Delegieren, out-sourcen – ressortspezifischer Workflow unter akribischer Ver-meidung persönlicher Involvierung zum Wohle der eigenen Füße und Eier, die ja regelmäßig gekrault und geschaukelt werden wollen. Kommt mir irgendwie verdammt bekannt vor; hier amüsiert mich das, zuhause jedoch nicht im Mindesten …

Aroab übrigens heißt der Ort, in dem sich die genannte Außenstelle befindet, ein ebenfalls recht trostloses Kuhdorf, das wir über eine staubige Straße erreichen und sofort bei Ankunft von ebenso staubigen Jungs umringt werden. Annette, Jochen und Tommi verschwinden zu Behufe des

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Erwerbs besagter Bestätigung in den Tiefen eines heruntergekommenen Gebäudes, der Rest der Truppe hingegen ist inzwischen mit der Bewachung unseres Habs und Guts betraut. Wir haben zunächst alle Hände voll zu tun, diverse Wertgegenstände vor der Umeignung zu bewahren, doch die potentiell langfingerigen Knaben merken bald, dass uns ihre Tricks und Ablenkungs-manöver durchaus bekannt sind. Daraufhin verlegen sie sich auf verbale Geldmittelbeschaffung, indem sie uns allerlei Geschichten auftischen, die uns wohl so mitleidig stimmen sollen, dass wir freiwillig größere Spenden an den Mann, oder besser gesagt, an den Knaben bringen. Als auch das nicht funk-tioniert, kommt eine recht entspannte, interessante Unterhaltung zustande: Hansi, der Wortführer mit der Ed-Hardy-Strickmütze, berichtet uns vom öden Alltag in Aroab, über dessen Grenzen noch keiner der Jungs hinausgekommen ist. Sie alle sprechen Englisch, Afrikaans und mehrere einheimische Sprachen, klagt er, ihre Förderung in der Schule aber, die ohnehin schon minimal sei, hänge zudem noch von der Stammeszugehörigkeit der jeweiligen Lehrkraft ab. Er, der Namastämmige, hätte zum Beispiel derzeit einen Ovambo-Lehrer, der ihn und seine Stammesgenossen links liegen ließe und sich nur um die Ovambo-Schüler kümmere. Angesichts von lediglich sieben Pflichtschul jahren ist das echt bitter. Noch schlimmer aber ist, dass die Kinder nur unregelmäßig zur Schule gehen können, da sie zuhause eingespannt werden, was den Lehrer wiederum wenig kümmert, sofern es sich dabei um einen Nama-Schüler handelt. Und zuhause sei auch nicht alles eitel Sonnenschein, berichtet Hansi weiter und tippt sich dabei auf eine tiefe Narbe unterhalb seines Auges. Die hätte ihm seine angetrunkene Mutter beigebracht, als sie ihm für ein Vergehen seiner jüngeren Schwester kurzerhand eine Bierflasche überbriet. Ob all das nun hundertprozentig der Wahrheit entspricht, können wir nicht beurteilen, aber völlig frei erfunden ist es sicher auch nicht. Interessiert plaudern wir eine ganze Weile und die Buben freuen sich, dass wir zuhören, Fragen stellen und auch etwas von uns erzählen. Zum Abschied dann wünschen sich die drei Jungs ein Gemeinschaftsfoto und dass wir sie in guter Erinnerung behalten sollen; bescheidene Wünsche, verglichen mit den anfänglichen Forderungen …

Gegen halb vier verlassen wir Aroab, setzen unseren immer noch langen Weg fort, passieren eine Stunde darauf eine malerische Musterdüne, stoppen aber erst eine weitere halbe Stunde später, um eine Pinkelpause zu machen und uns die Beine zu vertreten. Auf einmal quiekt Patricia ganz aufgeregt: sie

Vorige Doppelseite: Musterdüne auf dem Weg nach Keetmanshoop.Diese Seite: Jakku, Hansi und ihr Freund vor dem Supermarkt in Aroab; Impressionen aus Keetmanshoop; unser blinder Passagier, der Gecko.Folgende Seiten: Köcherbäume, Köcherbäume, Köcherbäume …

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hatte gerade etwas im Fußraum der „Meerkat“ gesucht, als sich dort ein flinker Schatten be-wegte und unter Svens Foto-tasche verschwand. Vorsichtig, man kann ja nie wissen, ent-fernt Jochen die Tasche – und zum Vorschein kommt ein Gecko, der uns erschreckt an-starrt. Uihuihuih, den kleinen blinden Passagier haben wir wohl unwissentlich, aber den-noch illegalerweise aus dem KTP „entfernt“; wenn das der gestrenge Grenzofficer wüßte! Jochen fängt das Tierchen mit einer leeren Crackerschachtel ein, in der es so lange bleiben muss, bis wir einen geeigneten Ort für seine Freilassung ge-funden haben; hier, direkt ne-ben der Straße wollen wir das Reptil nicht aussetzen. Nun-mehr zu neunt, machen wir uns wieder auf den Weg; die Zeit läuft schneller, als unsere Autos das können. So ist es be-reits halb sechs, als wir die ers-ten Köcher bäume zu Gesicht bekommen. Letzteres, aber auch die immer tiefer stehende Sonne, zaubern ein Leuchten in Heinz Gesicht.

Mein Blick hingegen wan-dert sorgenvoll zu den Zeigern meiner Armbanduhr, die sich unerbittlich voran bewegen. Die goldene Stunde, die schönste Lichtphase des Tages, hat be-reits eingesetzt und wir sind noch nicht mal in Keetmans-

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hoop, wo wir zu allem Überfluss schon wieder einkaufen müssen. Kurz nach 18 Uhr endlich kommen die ersten Häuser in Sicht und wir steuern eilig den nächst-gelegenen, uns bekannten Supermarkt an, aber der hat gerade seine Pforten geschlossen. So also dringen wir weiter ins Zentrum der kleinen Wüstenstadt vor, haben dabei Gelegenheit, über die Straßen ge spannte, weih-nachtliche Leucht deko zu bewundern, bis wir schließlich doch noch einen Laden finden, im dem die benötigten Dinge erworben werden können. Annette und Jochen tätigen so rasch wie möglich den Einkauf, während wir draußen warten. Scheiße; ein paar Kilometer entfernt leuchten gerade die Köcherbäume im schönsten Abend-Foto-Licht und wir stehen hier doof herum. Die gefühlten Kohlen unter meinem Hintern glühen immer heißer und ich kann meine Ungeduld, gepaart mit Unmut, kaum noch zügeln, als Annette und Jochen schwer bepackt schon wieder aus dem Laden geflitzt kommen. Schnell stopfen wir das Zeug ins Auto, winden uns aus der Stadt und geben ordentlich Gas. 18.37 Uhr – der Zaun des Garas Quivertree Camps taucht links neben uns auf; 18.49 Uhr – wir durchfahren das Tor; 18.53 Uhr – wir sind endlich da! Jürg, ansonsten die Contenance in Per-son, verschwindet wortlos und eiligen Schrittes, um-geben von einer greifbaren Wolke hilflosen Zorns, auf der Stelle mit seiner Kamera im Gewirr der markanten Felsbrocken und Köcherbäume. Heinz hingegen nähert sich fast ungläubig der ersten Baum-Aloe – ihm ist das Licht ziemlich egal – umarmt deren Stamm und drückt völlig überwältigt sein Gesicht an die sonnenwarme Rinde. Dann taucht auch er, wie ferngesteuert und glücklich staunend, in den Aloenhain ab. Ich könnte heulen, heulen vor Wut, denn die goldene geht gerade abrupt in die blaue Stunde über und die Köcherbäume verlieren sekündlich an Plastizität – es ist doch unser einziger Abend hier! Aber die Chance ist leider vorbei. Resigniert krame ich meine Kamera aus dem Auto und gehe einfach los, hinein in die Dämmerung.

Je weiter ich mich von unserem Lager entferne, desto deutlicher merke ich, wie ich entspanne und mir wird mit einem Schlag bewußt, dass es nicht wirklich nur das

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verpasste Fotolicht ist, das mir so zusetzt. Vielmehr ist es die aus den Fugen geratene Grup-penbalance, die mich seit nun-mehr zwei Wochen Schritt für Schritt, Tag für Tag, mehr aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Irgendwie erleichtert ob dieser Erkenntnis, die so banal ist, wie sie banaler nicht sein könnte, beginne ich mich ge-rade erneut zu ärgern. Über mich selbst, über meine Un-fähigkeit, mich solchen Vibra-tions nicht so ohne weiteres entziehen zu können. In Ge-danken versunken, stoße ich plötzlich beinahe mit Heinz zusammen und fühle mich fast wie ein Eindringling in seine spürbare Versunkenheit, Er-griffenheit, die ich deutlich in seinem Gesicht ablesen kann. Aber er nimmt mich einfach in seine Arme, umfängt mich mit seiner Freude und Gelassenheit und alles fühlt sich wieder gut an. Gemeinsam wandern wir zwischen den Felsblöcken um-her, saugen die Abendstimmung in uns auf und werden zu guter Letzt doch noch belohnt: von einem grandiosen Sonnen-unter gang mit glühenden Wol-ken, in die die Silhouetten der Köcherbäume wie ein Scheren-schnitt hineinragen. Dann senkt sich ganz schnell völlige Dun-kelheit über den Aloenwald und wir tasten uns zurück zum Lager.

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Das Abendessen ist schon fast fertig, als wir tierischen Be-such bekommen: es ist ein großer Rottweilermischling, der uns da freundlich wedelnd begrüßt. Der Wächter des Camps geht von einem zum anderen, bis er schließlich bei Heinz hän-genbleibt und ihm wohlig-vertrauensvoll seinen großen Kopf auf den Oberschenkel legt. Kurz darauf taucht ein rotgetiger-ter Kater auf und ich gehe im Geiste bereits in Deckung vor dem zu erwartenden Hund-und-Katz-Streit, aber das ist völlig unnötig. Liebevoll reibt sich die Mieze am Wauwau, wird von diesem ganzkörpertechnisch abgeschlabbert und nimmt dann Platz; natürlich ebenfalls neben Heinz, der heute seine Portion, genötigt von schmelzenden Blicken, mit unseren Gästen teilen darf. Dann, als kein Nachschub mehr zu erwarten ist, ver-krümeln sich die beiden wieder, wir räumen das schmutzige Geschirr ins Auto und gönnen uns einen spülfreien Abend. So recht allerdings will keine Stimmung aufkommen, weshalb Heinz und ich uns ziemlich bald mit einem Bier in unsere vier „Wände“ zurückziehen. Bei offenem Zelteingang genießen wir den Blick auf den Nachthimmel, das Sternenzelt und die Schattenrisse der Köcherbäume. Morgen, so beschließen wir, wollen wir ganz früh aufstehen, noch vor Sonnenaufgang, um ja nichts vom Spiel des Lichts zu verpassen – und um gründlich Ausschau nach Aloen-Samen zu halten …

27. November 2009

Garas Quivertree Camp, Keetmanshoop – Brukkaros Krater – Hardap Damm

Viertel nach fünf, der Wecker piept, es ist noch dunkel und wir schälen uns aus den Federn. Auch Jürg ist schon auf den Beinen und gemeinsam erwarten wir den Sonnenaufgang in-mitten der Köcherbäume, die noch ganz eindimensional in der heraufsteigenden Dämmerung stehen. Dann lugen erste Sonnenstrahlen über den Horizont, küssen zuerst die Wolken, danach die Stämme und zuletzt auch die Kronen der Aloen – für ein paar Minuten haben wir gelbe „Stunde“ – und schon wird das Licht grell. In den wenigen Augenblicken warmer Morgenbeleuchtung wirkt die ganze Umgebung wie in Gold getaucht, die Schattenwürfe jeder Unebenheit laden zum Anfassen ein, sind so plastisch, dass man von ihrer Tiefe fast

aufgesogen wird. Dann, Wimpernschläge später, als hätte man starke Scheinwerfer zugeschaltet, ist alles vorüber. Dafür aber sieht man besser: Heinz knipst seine Adleräuglein an und geht auf die Suche nach weiteren Sukkulenten und natürlich Köcherbaumsamen. Es ist schön, so in der friedvollen Stille des Morgens über die noch kühlen Felsblöcke zu klettern und sich dem Entdeckerdrang hinzugeben, der hier ohne Unterlass befriedigt wird. Aus jeder Ritze wächst etwas anderes, Eidech-sen rascheln, noch ein wenig steif, zwischen den Felsen umher und tarnfarbene Grashüpfer wagen die ersten Sprünge des Tages.

Mit ein paar gelungenen Fotos güldener Köcherbäume, Bildern von noch zu bestimmenden Sukkulenten und einer Handvoll Samen, an deren Keimfähigkeit wir allerdings starke Zweifel haben, kehren wir nach zwei höchst kurzweiligen Stunden ins Lager zurück. Dort empfangen uns unsere gerade erwachten Mitreisenden, ein zum Kuscheln aufgelegter Camp-hund und der rote Kater, der angestrengt in eine Anhäufung runder Felsbrocken starrt, exakt diejenigen, in die wir gestern unseren kleinen blinden Passagier, den Gecko, entlassen hatten. Doch ein liebevoller Tadel von Heinz genügt und der getigerte Jäger trollt sich in Richtung Frühstückstisch – dort liegt eine mögliche Beute schließlich schon sichtbar bereit. Auch wir versammeln uns um die Tafel und lassen uns die gestern ge-kauften Köstlich keiten, die uns das schönste Licht gekostet haben, gemütlich schmecken. Danach geht es, ebenso gemüt-lich, ans Zusammenpacken, denn die heutige Tagesstrecke zum Brukkaros Krater beträgt gerade mal 120 Kilometer.

Gegen 10 Uhr machen wir uns auf den Weg, rollen auf ge-teerter Pad dahin, bis wir, schon aus weiter Ferne, den Brukka ros auf uns zukommen sehen. Wir sind fast dankbar, dass unsere Augen nun wieder Halt gefunden haben, denn ansonsten ist das Land eben wie ein Brett und auch recht eintönig. Und kaum haben wir Sicht auf den Krater, setzt ein Phänomen ein, das ich sonst nur vom Bergsteigen kenne: je früher man den Gipfel sehen kann, desto mehr zieht sich der Weg gefühls-mäßig in die Länge. So ist es auch hier – die Kilo meter schleppen sich dahin, bis wir endlich Tses erreichen, wo eine Staubstraße links von der Teerpad zum Krater führt. Zunächst aber biegen wir rechts ab, nach Tses hinein, denn wir müssen schon wieder einkaufen. Jetzt, wo wir alle naslang Gelegen-

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heit haben, Vorräte aufzufüllen, hamstern und haushalten wir nicht mehr, was wiederum ein rasantes Schrumpfen unserer Softdrink-Reserven zur Folge hat. Doch Tses ist ein Minikaff, nur mit Müh und Not finden wir einen Laden, der Cola im Sortiment hat und kaufen diesen leer.

Dann endlich geht es Richtung Krater. Wir überqueren den Fish River, der hier so pfützig und unspektakulär aussieht, dass man ihm nie und nimmer den grandiosen Canyon im Süden Namibias zutrauen würde. Vereinzelte Lachen stehen in einem Sandbett, das sich an einem recht niedrigen Flussufer entlang schlängelt, Algen wogen in den Tümpeln und der Himmel spiegelt sich im trüben Nass. Das Amüsanteste an dieser Stelle ist definitiv das Schild, das die Überquerung des Flusses ankündigt. „Fish“ steht da geschrieben, untermalt von zwei blauen Wellen. Und wo Fisch drauf steht, wird wohl auch Fisch drin sein; nur ob der schmeckt …

40 staubige Kilometer später erreichen wir Berseba, eine Straße zweigt rechts zum Brukkaros ab, die uns bald darauf zum Gate der Community Area bringt. Das Tor erhebt sich in beeindruckender Größe vor der noch beein druckenderen Größe der Flanken des Kraters. Wie ein himmlischer Pfad scheint die rötliche Staubstraße in unergründliche Höhen zu führen und ich freue mich so, endlich da hinauf zu kommen. Am Gate empfängt uns ein Community-Angestellter, der uns herzlich willkommen heißt und genau über die örtlichen Gegeben-heiten aufklärt. Es gäbe zwei Campsites; eine tiefer gelegene, die man auch mit einem 2x4 erreichen könne und eine weiter oben, für die ein 4x4 vonnöten sei. Beide Plätze hätten Facilities wie Schattenhäuschen und Toilette, allein Wasser gäbe es nicht. Na toll! Nicht, dass wir das nicht geahnt hätten, aber leider sind unsere Wassertanks seit Rooiputs leer und in Keetmanshoop haben wir im Zivilisationsrausch nicht ans Auffüllen gedacht. Wir brauchen also Wasser. Kein Problem, sagt der Gateman, und beschreibt uns genau, wo wir auftanken können – nämlich unten in Berseba. Okay, so viel Wasser brauchen wir ja nun wirklich nicht für die eine Nacht, dass gleich beide Autos zur H2O-Tanke müssen, eines genügt. Wir bezahlen alle anfallenden Eintritts- und Übernach-tungsgebühren, schicken die „Meerkat“ gen Krater voraus, um den schönsten Platz auszuwählen und machen uns selbst auf den Rückweg nach Berseba. Wie beschrieben fahren wir an der Kreuzung zur Hauptstraße rechts, an der gelben Kirche vorbei, dann links, rechts und nochmal rechts und schon stehen wir vor der Town Hall, zu deutsch Rathaus, wo sich eine Wasserstelle befinden soll. Höflich fragen wir in der Amtsstube, ob und wenn ja, wo wir denn zapfen dürften. Freundlich und hilfsbereit zeigt man uns einen Wasserhahn im Vor-garten des Gebäudes, neben dem Jochen nun den Landy parkt. Mit einem mit-gebrachten Schlauch überbrücken wir die Distanz zum gewindelosen Wasser-spender und lassen es laufen. Viel Druck allerdings ist nicht auf der Leitung; es dauert eine ganze Weile, bis eine spritzende Fontäne kundtut, dass der Tank

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voll ist. Schnell schrauben wir den Deckel zu, packen unseren Schlauch ein, bedanken uns herzlich für die Freigiebigkeit, die man uns kostenlos zuteil werden ließ und endlich, endlich, steht jetzt auch unserem Brukkarosbesuch nichts mehr im Weg.

Eine Viertelstunde später passieren wir das mittlerweile verwaiste Gate und holpern die erste Etappe nach oben. Das angeblich 2x4-befahrbare Wegstück zur unteren Campsite ist zwar nicht sehr steil, könnte aber aufgrund des recht felsigen, rauen Untergrunds einen normalen Pkw durchaus an seine Leistungs-grenze bringen. Uns jedoch kümmert das nicht, vielmehr sind wir gespannt, welchen Platz unsere Reisegenossen wohl ausgesucht haben mögen. Auf der ersten Campsite sind sie nicht; also geht es weiter und die Straße wird deutlich steiler und anspruchsvoller. Mit teilweise ausgeprägter Schräglage ackern wir um enge Kurven, über scharfkantige Felsbrocken, vorbei an einigen Abgrün-den, bis wir schließlich auf der zweiten Campsite ankommen, wo wir von Jürg, Tommi, Patricia und Sven empfangen werden – leider nicht besonders be-geistert. Der mangelnde Enthusiasmus der vier liegt nicht in unserer Ankunft begründet; Ursache ist die eher sehr rustikale Ausstattung des Camps, die Kargheit der Umgebung und das Bewußtsein, weitaus zivilisiertere Übernach-tungsmöglichkeiten in relativ greifbarer Nähe zu haben. Zugegeben, dieser Ort hat im üblichen Sinne nicht viel zu bieten: der Campground ist abschüssig und felsig, in der lange nicht mehr benutzten Schüssel des Plumsklos sitzen ein Gecko und eine recht ansehnliche Spinne, hinter uns ragen schroffe Felsen auf, zu unseren Füßen streckt sich eine schier unendliche Ebene dahin, ein paar schwarz-weiße Vögel rasen im Sturzflug über uns hinweg, der Krater wirft harte Schatten – sonst ist hier nichts. Aber gerade darauf hatte ich mich eigentlich gefreut … Doch ich bin nicht alleine, wir sind zu acht, und jeder hat das Recht, seine Wünsche kundzutun. Ein vorsichtiger Meinungsaustausch führt zu einem Ergebnis, mit dem jeder von uns leben kann: wir nehmen uns Zeit, die Umgebung zu erkunden, zu wandern, zu dösen, zu schauen, jeder wie er will, dann werden wir weiterfahren, heute noch, und das Camp am Hardap Damm ansteuern.

Gegenüberliegende Seite: das Schild, das auf die Überquerung des Fish River hinweist; ist auch besser so, denn als Fluss kann man die paar Pfützen nicht gerade erkennen; Eingangstor zur Brukkaros Community Area.Diese Seite: ein bisschen abschüssig liegt die Campsite ja schon; Gecko und Spinne, die sich im Plumsklo (unten) verbargen.Nächste Doppelseite: Der Brukkaros-Krater in seiner ganzen Pracht.Seite 170: Behebung der Gepäckpanne bei der Rückfahrt vom Krater.Seite 171: Ausblick vom Brukkaros hinunter in die weite Ebene.

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Heinz, Jürg, Jochen, Annette und Tommi rüsten sich zu einer Wanderung hinauf auf den Kraterrand, Patricia und Sven hingegen wollen auf der Campsite bleiben. Auch ich möchte mich gerne in Bewegung setzen, etwas sehen, den Inselberg erwandern – und vor allen Dingen alleine sein. Dieser Drang ist gerade so übermächtig, dass ich sogar Heinz, wenn auch etwas traurig, mit den an-deren gerne auf Tour gehen lasse. Ich ziehe mich mit einem Bestimmungsbuch auf den Hang über der Campsite zurück, warte ab, bis die Wanderer losgezogen und in den Ser-pentinen des schmalen Wanderpfads ver-schwunden sind. Dann gehe auch ich los, hinein in ein sonnendurchglühtes Tal, an dessen schroffen Hängen einzelne Aloen wachsen und in dem sich das Getschilpe der Sturzflug-Vögel hundertfach bricht. Weiter und weiter zieht es mich hinauf, bis ich schließlich an eine Stelle komme, die so un-wegsam, so steil ist, dass ich mir selbst – nur mit Sandalen an den Füßen – Einhalt gebie-te. Ein paar Meter klettere ich wieder zurück, zu einem Felsen, auf dem ich mich nieder-lassen kann. Einladend leuchtet mir das natürliche Sitzpodest entgegen, ich setze mich, aber der Stein ist wie eine Ofenplatte, so heiß, dass ich es kaum aushalte. Von einer Backe auf die andere wippend, kühle ich meinen Hocker geduldig herunter und ge-nieße dann, mit einer angenehm temperier-ten Sitzheizung unter mir, den grandiosen Ausblick, die Einsamkeit, die Stille.

Irgendwann, inmitten dieser kontemplativen Phase, sehe ich hoch über mir ein paar sich be wegende Punkte, ein Jauchzer schallt durch das Tal und ich bedaure fast ein bisschen, nicht auch dort oben zu sein. Aber jetzt den ganzen Weg zurückgehen, Schuhe wechseln, um anschließend wieder rauf zu latschen?

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Nein, beschließe ich, da bleibe ich lieber, wo ich bin und gebe mich hier der Magie des Brukkaros hin. Nahezu magisch sind auch die Flugkünste der kleinen schwarz-weißen Bergsteinschmätzer, die in atemberaubenden Manövern durch die Lüfte kurven. Sie sind gerne in geselligen Grüppchen unterwegs und lassen sich zwischendurch immer wieder auf den Felsen nie-der, um sich lautstark anzutschil-pen. Und je länger ich hier sitze, desto unbesorgter trauen sie sich in meine Nähe. Gerade haben sich ein paar der geschwätzigen Vögel einige Meter neben mir versam-melt, als sie vor irgendetwas er-schrecken, hektisch hochflattern und geschlossen auf die andere Seite des Tales flüchten. Sekunden später biegen Heinz und seine Wandergenossen ums Eck und sind ganz erstaunt, mich hier vor-zufinden – alleine und in Sanda-len … Gemeinsam machen wir uns auf den Rückweg und ich lasse mir von den Erlebnissen der Wan-dertour berichten, die sich nur marginal von meinen eigenen unterscheiden: friedvolle Stille, wundervolle Landschaft, artisti-sche Steinschmätzer, keine weite-ren Sukkulenten, auch nicht oben am Kraterrand. Aber der Ausflug zum Brukkaros hat sich trotzdem oder gerade deswegen mehr als gelohnt. Jetzt, mit dieser Erfah-rung im Gepäck, können wir diesen Berg leichteren Herzens verlassen.

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Drei Stunden nach unserer Ankunft steigen wir wieder in die Autos und fahren den steilen Weg nach unten. Die Zelte auf dem Dach der „Meerkat“ kullern dabei von einer Seite auf die andere und wir versuchen, den vor uns Fah-renden das Problem zu signalisieren. In letzter Minute, als sich das erste Zelt gerade selbständig machen will, um auf Nimmerwiedersehen im Abgrund zu verschwinden, be-merken die vier ihre lose Fracht und halten an – am steilsten Stück der Strecke. Sven klettert aufs Dach und bemüht sich nach Kräften, in dieser Schräglage die Sachen wieder zu vertäuen. Das aber ist gar nicht so einfach, denn der Dachträger ist auf einer Seite gebrochen, so stellt sich heraus, und somit in sich nicht mehr wirklich stabil. Das Auto offenbart uns mit diesem Schaden seine hoffentlich letzte Schwachstelle; bis Windhoek werden wir es wohl noch schaffen. Der Vermieter allerdings wird sich freuen, wenn wir ihm die marode Karre wieder bringen; aber egal, mit dem Knaben haben wir ohnehin noch eine Rechnung offen und das eine oder andere Hühnchen zu rupfen.

Unbeschadet und ohne Verlust eines Ausrüstungsgegen-standes erreichen wir die Ebene am Fuße des Brukkkaros und bald darauf auch die geteerte B1. Dort stellt sich dann eine Gewissensfrage: es sind rund 150 Kilometer bis Marien tal, kurz vor dem Hardap Damm, die Tanknadel des grünen Landy steht auf Reserve und es gibt unterwegs ge-nau zwei Tankstellen; ob die allerdings geöffnet haben, ist mehr als fraglich. In Tses, gleich hier um die Ecke, wäre auch eine, doch Jochen hat keine Lust, schon wieder in das Kaff zu fahren, geht lieber das Risiko ein, trockenzulaufen – schließlich gäbe es ja auch noch den fast vollen Tank der „Meerkat“, tut er mit einem Augenzwinkern kund. Wo er recht hat, hat er recht. No risk, no fun – diese Haltung stößt nun nicht gerade bei allen auf Verständnis, doch mir ist die Entscheidung ziemlich egal, an diesem vorletzten Tag unserer Reise, mitten in der Zivilisation. Und wenn wir heute nicht mehr zum Damm kommen sollten, dann finde

Hardap Damm: technisch gesehen eine Meisterleistung, allein die Optik lässt zu wünschen übrig; Blüten des Leber-wurstbaumes; Elternvogel füttert einen jungen Graubülbül.Nächste Seite: einer dieser fies grinsenden Klippschliefer.

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ich das auch nicht schlimm, denn meine Vorfreude auf diesen Recreation-Moloch, den ich bereits vor 20 Jahren als Zwischen-station besucht hatte und damals schon nicht mochte, hält sich in Grenzen. Ungetankt machen wir uns nun dorthin auf den Weg, die erste Tanke in Asab hat geschlossen, die zweite liegt acht Kilometer links der B1 und dort lassen wir sie auch liegen – doch unser Restpfützchen Diesel bringt uns tatsäch-lich brav nach Mariental, wo uns mindestens zehn luxusmäßige Tanksäulen erwarten. Hier herrscht Hochbetrieb, aber nach fünf Minuten des Wartens ergattern wir eine freie Zapfsäule, machen voll und erreichen bald darauf das Gate zum Hardap Dam Recreation Ressort. Eine wohlgenährte, bestens gelaunte Pfortendame erledigt rasch den nötigen Papier- und Finanz-kram mit uns, drückt uns einen Lageplan in die Hand und entlässt uns in die schier unendlichen Weiten dieses Er-holungsparks.

Wir fahren eine ganze Weile, bis wir die riesige Staumauer erreichen, hinter der sich Namibias größter künstlicher See auftut, dessen Uferverlauf wir nun über Kilometer folgen. Auf saftig grünen Wiesen, die täglich bewässert werden, tummeln sich Klippschliefer, die uns fies angrinsen, wir passieren das Restaurant- und Tagungsgebäude, das wie eine futuristische Bienenwabe – aus 70er-Jahre-Sicht – über dem Stausee thront und stoßen schließlich auf eine Camp Area. Diese wird umfriedet von lieblosen Reihenbungalows, einer zwanghaft rustikalen Steinmauer und, quasi als Krönung, einem Braai-Gelände mit unglaublich hässlichen, gemauerten Tischen und Bänken, die den Charme eines sozialistischen Biergartens ver-strömen. Allein die Vorstellung, sich hier, an diesem Ort, in der Hochsaison aufhalten zu müssen, wenn alle Bunglows, der Campground und die Grillstationen voll belegt sind, treibt mir den Angstschweiß auf die Stirne. Doch außer uns ist hier nie-mand, was die ganze Sache auf fast perverse Weise schon wieder ein wenig genussvoll macht. Klingt das eventuell alles so, als würde ich klagen, meckern, kritisieren? Nein, es ist alles okay; auch die stinkende Kackwurst, die sicher seit mehreren Tagen in der Schüssel der ersten Toilettenkabine, die ich auf-suche, herumdümpelt, stört mich überhaupt nicht; ich setze mich einfach auf den nächsten Topf. Und es macht mir gar nichts aus, dass mittlerweile ein Gewitter aufzieht, dessen vor auseilende Winde mich fast von der Brille wehen und für

Minuten die Beleuchtung des Waschgebäudes außer Gefecht setzen. Wohlgelaunt taste ich mich durch die Dunkelheit nach draußen und werde dort von Heinz’ nahezu unerschütter-licher Begeisterung empfangen.

Er hat in der Zwischenzeit einen blühenden Leberwurst-baum entdeckt, dessen riesige, auberginenfarbene Blüten im eigentümlichen Licht des herannahenden Gewitters förmlich leuchten. Im Geäst eines Baumes am Rande der Campsite gibt es zudem ein Nest voll mit jungen Graubülbüls, die ihren regel mäßig mit Futter heranfliegenden Eltern begierig ihre weit aufgesperrten Schnäbel entgegenrecken. Besorgt um das Wohl der Kleinen, blickt Heinz immer wieder zum bläulich-schwarzen Himmel, der auch uns etwas beunruhigt. Schließ-lich ist das heute unsere letzte Nacht in Zelten und es wäre mehr als unpraktisch, würden diese jetzt nochmal richtig nass. So also verschieben wir deren Aufbau und widmen uns zuerst der Essenszubereitung. Vorsichtshalber ziehen wir uns dazu unter das Vordach einer der Bungalows zurück; eine weise Entscheidung, denn während unseres letzten, selbst gekoch-ten Abendmahls kommt tatsächlich ein ergiebiger Schauer vom Himmel. Doch bald verziehen sich Regen und Wolken, Sterne werden sichtbar und nach getaner Spülarbeit können wir unsere Zelte auf nahezu wieder trockenem Boden errichten. Wir schleppen unser Equipment hinunter auf die Rasenfläche, säubern die geliehene Terrasse, gönnen uns noch ein Bierchen und begeben uns dann zur finalen Open-Air-Nachtruhe.

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28. November 2009

Hardap Damm – Windhoek, Puccini Guest House

Früh am Morgen erwachen wir in Zelten, die über Nacht glücklicherweise keinen weiteren Schauer abbekommen haben und versammeln uns zum Frühstück. Während des Essens be-sprechen wir den heutigen Tagesablauf, den sich jeder ein bisschen anders vorstellt. Annette und Jochen würden gerne den kleinen, angrenzenden Game Park besuchen, dessen Ein-trittspreis in den Übernachtungsgebühren inkludiert ist, Patricia, Sven, Jürg und Tommi hingegen wollen so schnell wie möglich los, um nach der Ankunft in Windhoek die Zeit noch für ein ausgiebiges Shopping nutzen zu können. Heinz und ich sind etwas unentschlossen – weder eine Pirschfahrt im Hardap Game Park noch ein Souvenir-Marathon können uns wirklich reizen. Wir alle merken deutlich, dass die Luft ziemlich raus ist. Über drei Wochen lang hatten wir Wildnis pur, Tiere satt, eine wunderschöne und spannende Zeit voller Erlebnisse und unzähliger Eindrücke, die irgendwie nicht mehr zu toppen sind. Zu gemütlichen Andenkenjagden hingegen gab es leider wenig Gelegenheiten, weshalb ich gut verstehen kann, dass dahingehend noch einige Wünsche offen sind – und da nehme ich mich selbst nicht aus. Außerdem ist heute unser letzter Tag; morgen müssen wir die „Meerkat“ zurück-geben, der grüne Landy kommt in seine Garage auf der Onde-karemba Farm und es ist noch einiges zu ordnen, zu sortieren, zu säubern und zu packen. Hier, auf dem Campgelände des Hardap Ressorts haben wir einen Wasseranschluss und, vor allen Dingen, viel Platz, was im Hof des Puccini Guest House, inmitten der Stadt, ziemlich wahrscheinlich nicht der Fall ist.

Aus diesen Erkenntnissen heraus ist schnell eine Entschei-dung getroffen: der Besuch des Hardap Reserves wird ge-strichen, jeder säubert und packt das jeweilige Zelt, das ihm in den vergangenen Wochen Schutz und Rückzugsmöglichkeit geboten hat, danach trennen sich unsere Wege für die nächsten Stunden. Patricia, Sven, Jürg und Tommi brechen nach Wind-hoek auf, während Annette, Jochen, Heinz und ich in aller Ruhe den Rest aufräumen und den grünen Landy weitest-gehend garagenfertig machen, bevor auch wir den 240 Kilo-

meter langen Weg in die namibische Hauptstadt antreten. Die Strecke ist rasch heruntergespult und gen Mittag laufen wir in den Großraum der Stadt ein. Dabei passieren wir den kleinen Holzschnitzermarkt in der Nähe des Eros-Flughafens, der direkt neben der Straße liegt und halten dort an. Viel ist hier nicht los – ein Regenschauer vor nicht allzu langer Zeit hat wohl alle Käufer vertrieben – ein paar der Stände sind sogar noch mit Planen verhangen, in deren Vertiefungen nun das Wasser steht. Doch bereitwillig decken die Marktleute ihre Schätze auf und wir schlendern genüsslich über das tou-ristenfreie Souvenir-Paradies. Jetzt bin ich schon so oft in Af-rika gewesen, habe fast jedes Mal etwas Hübsches mitge-bracht und bin mit den Jahren natürlich immer selektiver geworden. Mittlerweile kaufe ich sehr zurückhaltend, die Kapazitäten meiner Wohnung sind ja auch begrenzt. Das Stück muss, zumindest in meinen Augen, einfach etwas ganz Besonderes sein, es muss mich extrem ansprechen – und das meine ich wörtlich. Trotz aller Zurückhaltung, es scheint wie verhext, habe ich dennoch auf jeder Reise eine Kleinigkeit ge-funden und so ist es auch diesmal.

Das dicke Hippo da hinten, es spricht nicht, es schreit mich förmlich an, ist aber beileibe keine Kleinigkeit. Der Regen hat reichlich Sand an seinem unförmigen Körper hochspritzen lassen, auf seinem Rücken und der breiten Nase haften je ein Kleckser weißen Vogelkots und ich nähere mich verzückt der tonnenförmigen Holzkreatur. Es ist Liebe auf den ersten Blick, die aber ernüchternd ins Trudeln gerät, als ich den Minikoloss probehalber anhebe. Bah, ist das Teil schwer! Sofort stürzt ein Verkäufer auf mich zu, der es mir gerne für einen durchaus diskutablen Preis überlassen würde. Nein, wehre ich dankend ab, das ist viel zu schwer, wie soll ich das Teil nach Hause transportieren!? Hilfreich und verkaufstüchtig präsentiert mir der Standbesitzer noch weitere Hippos, allesamt kleiner, viel leichter, hochglanzpoliert, doch ohne den eigenartigen Charme des roh bearbeiteten Schwergewichts. Nein, vielen Dank, beharre ich, wohl wissend, dass ich dem Eisenholztönn-chen wahrscheinlich nicht widerstehen werde können. Des-halb muss ich zuerst die Lage peilen und schauen, was Heinz so treibt, der am Nachbarstand mit einer Maske in sprechende Beziehung getreten ist. Nicht, dass wir zum Schluss das Aufnahmevermögen unseres Gepäcks total sprengen und

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nebenbei noch das Maximalgewicht erheblich überschrei-ten … Doch nein, das auserwählte Stück meines Liebsten ist nur knapp 70 Zentimeter lang, ganz schmal und ganz, ganz leicht: ein Gesicht aus hellem Holz, mit schwarzem Käppchen, schläf rigen Augen, aristokratischer Nase, spitzem Kinn und sicht barer Zungenspitze, die keck aus schmalen Lippen ragt. Na, die beiden Stücke sollten wir wohl im Gepäck unterge-bracht bekommen …

Gemeinsam schreiten wir zur Tat, begeben uns in die Ver-handlungsphase, was nur möglich ist, da uns Annette freund-licherweise die Vorab-Finanzierung zusagt – wir beide nämlich haben nicht einen NAM-Dollar in der Tasche. Umso mehr strengen wir uns beim Handeln an und nach zähem Ringen erzielen wir schließlich einen sehr akzeptablen Nimm-Zwei-Rabatt-Preis: statt der ursprünglich geforderten 900 NAM-Dollar zahlen wir nur noch 500 – für 10 Kilogramm Nilpferd und 66 Zentimeter Gesicht! Die beiden verwandten, befreun-deten, verschwägerten oder sonst wie verbandelten Händler packen uns freudig das jeweilige Souvenir in Zeitungspapier und wir nehmen die Pakete mindestens ebenso freudig ent-gegen. „Wie heißt er denn?“, frage ich meinen Schnitzer und strahle ihn und das Hippo, das mich deutlich in die Knie gehen lässt, erwartungsvoll an. „Das ist ein NILPFERD!“, entgegnet der, fassungslos ob meiner unglaublichen, zoologischen Bil-dungslücke. „Ja, klar, ein Nilpferd, aber es muss doch einen Namen haben!“ „Ach so, ja, natürlich“, erwidert der Verkäufer, erleichtert, dass er sein Produkt nicht einer völlig Schwach-sinnigen in die Hand gedrückt hat, „das ist Jacob!“ Sein Kumpel deutet daraufhin geistesgegenwärtig auf Heinz’ Maske und meint: „Und das ist Manuel!“ So soll es denn sein! Hoch-erfreut machen wir uns nach einer herzlichen Verabschiedung von den spontanen Namensgebern wieder auf den Weg, zu-sammen mit unseren zwei umfangreichen Täuflingen, die wir erst morgen endgültig verstauen werden müssen. Gott sei Dank, denn mit jedem Kilometer, den wir uns weiter vom Markt entfernen, scheinen Jacob und Manuel größer und schwerer zu werden. Man verschätzt sich einfach leicht, wann immer man Dinge auf größerer Fläche präsentiert sieht. Wenn ich da an mein Tingatinga denke, das ich an einem weiten Strand der sansibarischen Ostküste erstanden habe – das sah dort bei weitem nicht so groß aus, wie es wirklich war; näm-

lich 2 Meter auf 1,20 Meter. Aber auch das habe ich heil nach Hause gebracht und ein schönes Plätzchen dafür gefunden …

Bald darauf kommen wir mitsamt unseren Schätzen beim Puccini Guest House an, läuten am Tor und werden eingelassen. Mit Müh und Not finden wir auf dem engen, zugeparkten Hof einen Platz fürs Auto und quetschen uns aus den nur spalt-breit zu öffnenden Türen. Wie gut, dass wir heute Morgen schon einen Großteil unseres Equipments gepackt haben; das wäre hier ein ziemlicher Akt geworden. Eine freundliche Dame heißt uns willkommen, zeigt uns unsere Zimmer, die klein, aber nett und sauber sind und wir lassen uns sofort aufs Bett fallen – zum ersten Mal nach drei Wochen. Das fühlt sich gut an, so gut, dass wir eigentlich gar nicht mehr aufstehen wollen, aber erst mal müssen wir unsere Habseligkeiten aus dem Auto holen. Man glaubt gar nicht, wo überall man im Laufe dreier Wochen Sachen deponiert: Schuhe unter dem Autositz, diverse Fundstücke in der Vordersitztasche und im Gepäcknetz, eine Jacke hier, ein Handtuch dort. Sorgfältig suchen wir alle möglichen Stauräume ab und schleppen schließlich unsere gesammelten Besitztümer in unser Zimmer, wo wir beschließen, das sei vorerst genug der Anstrengung gewesen. Wir machen uns kurz frisch und begeben uns dann auf die schattige Terrasse im Innenhof der Pension, deren ge-mütliche Sofas zu einem faulen Nachmittag einladen. Bald gesellen sich auch Jochen und Annette zu uns. Gemeinsam lassen wir Momente der Reise revue passieren, beobachten die zahl reichen Vögel im Garten und vertreiben uns mit kühlen Getränken und anregenden Gesprächen die Zeit bis zum Abendessen, das wir heute zur Feier des Tages in der ehe-maligen Kaiserkrone, jetzt „The Gourmet“, einnehmen wollen. Gegen 17 Uhr treffen unsere vom Shoppen erschöpften Mit-reisenden ein, voll bepackt mit Souvenirs, die sie uns stolz präsentieren. Hübsche Sachen haben sie da erstanden, aber, so denke ich mir insgeheim, Jacob und Manuel sind durch nichts zu schlagen! Doch das ist eine reine Geschmacksfrage und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.

Auch nicht über den Geschmack des Essens, das wir im Gourmet kredenzt bekommen, in welchem wir eine Stunde später zu Fuß einlaufen. Der kleine Spaziergang durch das weihnachtlich dekorierte Windhoek lässt seltsame Gefühle bezüglich der bevorstehenden Heimreise aufkommen, die

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aber im Innenhof des Restaurants – Draußensitzen bei lauen Temperaturen – gleich wieder in der Versenkung verschwin-den. Ausgiebig genießen wir unseren letzten, gemeinsamen Abend bei opulentem und sehr schmackhaftem Essen, bevor wir uns gelöster Stimmung und mit prall gefüllten Bäuchen durch das nächtliche Windhoek wieder zum Puccini Guest House schleppen. Und jetzt ins Bett, ach, wie herrlich!

29. November 2009 Windhoek, Puccini Guest House – MünchenDie letzte Nacht auf afrikanischem Boden – für dieses Jahr – ist vorbei. Wir erwachen ziemlich früh, denn durch unser geöffnetes Fenster dringt ungewohnter Verkehrslärm, Menschenstimmen vermischen sich mit Geschirrgeklapper und auf dem Flur vor unserem Zimmer klacken Absätze über den Steinboden. Wir beenden den Kampf mit den ebenso un-gewohnten, wenn auch göttlichen Betten, den Laken und Kissen, ziehen uns an und tappern in den Frühstücksraum, wo schon ein üppiges Buffet und unsere Mitreisenden auf uns warten. Die Tische sind leider recht klein, so dass wir uns separieren müssen, um das ganze Aufgebot an Schüsselchen, Tellerchen, Tassen und Gläsern unterbringen zu können. Mampfend ge-nießen wir all die leckeren Dinge, die hier angeboten werden – nicht, dass wir in den letzten Wochen gedarbt hätten, im Gegenteil, aber bestimmte Lebensmittel, wie zum Beispiel frische Milch, sind eben nicht so safarigeeignet. Zufrieden lecken wir uns nach der Schlemmerstunde die letzten Brösel aus den Mundwinkeln und sind eigentlich fertig, als Heinz sich doch noch ein kleines Schnittchen Brot holt. Im Prinzip ist er pappsatt, aber auf unserem Tisch steht ein Glas, dessen rehbrauner Inhalt es ihm die ganze Zeit schon angetan hat. „Marmite“ liest man auf dem Etikett, „extra beefy“ in kleinen Lettern unter dem Markennamen – ein Produkt, das Heinz völlig unbekannt ist und das will er jetzt testen. Er ist allem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen und probiert deshalb auch gerne ihm unbekannte, „landestypische“ Lebensmittel. Entsetzt starre ich ihn an, als er nach dem Glas greift, es aufschraubt, sein Messer in das klebrige Zeug tunkt und ich realisiere, was er da vorhat. „Nein, Schneck, das ist nicht dein Ernst!? Das schmeckt grauenvoll, tu’s bitte nicht!“ Doch

seelen ruhig und völlig unbeeindruckt streicht er das ekelige Gebräu auf sein Schnittchen, beißt gespannt hinein und ver-zieht augenblicklich das Gesicht. Zweimal noch kaut er ge-quält, dann spuckt er den widerlichen Brei würgend in eine Serviette. Er tut mir so leid, denn zu gut noch kann ich mich an meinen ersten und auch letzten Kontakt mit diesem ab-artigen Aufstrich erinnern, dessen Geschmack für die meisten Menschen nahezu unerträglich ist – und der Nachgeschmack heftet sich derart penetrant auf die Geschmacksknospen, dass man ihn ewig nicht mehr los wird. Fast wie stark verwesendes Fleisch, dessen Odeur sich in den Nasenhärchen festzukrallen scheint … Doch über Geschmack muss man, wie schon gesagt, nicht streiten, zumal es ja offenbar auch genügend Liebhaber dieser perversen Schmiere gibt.

Nun, schaler Nachgeschmack hin oder her, wir müssen uns jetzt einer Sache widmen, die uns auch nicht gerade Be-geisterungsstürme entlockt: packen. Schon der erste Blick in meine 140-Liter-Reisetasche und auf die Klamottenhaufen, die das Bett fast unter sich begraben, genügt um festzustellen, dass ich Jacob wohl im Handgepäck nach Hause bringen muss. Also gut. Schwitzend schlichten und stopfen wir, was das Zeug hält, werfen alles ansatzweise Entbehrliche aus unseren Bordrucksäcken, bis schließlich auch die letzte Kleinigkeit untergebracht ist – bis auf Jacob … Dann kommt der ent-scheidende Moment, in dem das rau geschnitzte Hippo kopf-über in meinen 40-Liter-Deuter rutschen soll. Doch Jacob sperrt sich, der Kopf ist zwar drin, aber danach ist Schluss. Ich zerre ihn wieder heraus und probiere es andersherum. Fehl-anzeige! Etwas ratlos stehe ich vor meinem neuen, gewichtigen Freund und lasse meinen Blick sinnierend über seine runden Pobacken schweifen, als mir die rettende Idee kommt: vom Umfang her würde er schon reinpassen, allein an Gleitfähig-keit fehlt es ihm. Kurzerhand klaube ich meinen durchgenudel-ten Türkenkoffer, praktisches Nachtgepäck fürs Zelt, wieder aus dem Abfalleimer, umhülle Jacob mit der glatten Kunst-faser und siehe da – es macht flupp und das Holzdickerchen ist bis zur Nasenspitze verstaut. Mein Bordgepäck wiegt jetzt freilich ungefähr 13 Kilogramm, aber wenn ich mir den Ruck-sack jedesmal locker-flockig über die Schulter hänge, wann immer wir kritischen Airline-Personal-Kontakt haben und ich ihn ohne Ächzen und Stöhnen in den Overhead Locker ge-

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hievt kriege, ist Jacob so gut wie daheim! Übrigens – bevor jetzt ein entrüsteter Aufschrei durch die Leserschaft geht: ich erwerbe besagte strapazierfähig-rutschfreudige Gepäck-stücke immer in einem benachbarten türkischen Laden. Bei meinem ersten Kauf deutete ich auf die Kunstfaserdinger im Regal und meinte möglichst neutral, um niemandem auf den Schlips zu treten: „Sowas da, bitte.“ „Ah, willst du Türkenkof-fer!“, entgegnete der Verkäufer mit Migrationshintergrund und reichte mir das Gewünschte …

Erleichtert schleppen wir unsere Gepäckstücke aus dem Zimmer, hinaus auf den Hof, hin zu den Autos. Doch offenbar haben auch unsere Mitreisenden Probleme mit der Unterbrin-gung ihrer zahlreichen Souvenirs, denn bis auf Annette und Jochen ist noch niemand in Sicht. Heinz und ich verstauen unser Zeug im Auto, lassen uns danach wartenderweise auf den Steinen, die die Beete im Eingangsbereich des Guest House umfrieden, nieder und genießen die Sonne, solange wir noch hier, auf der südlichen Halbkugel und im Freien sein können. Nach geraumer Weile trudeln nacheinander auch die anderen ein und wir schreiten gemeinsam zur Rezeption, um unsere Rechnungen zu begleichen. Als ich mich von meiner Sitzgelegenheit erhebe, höre ich ein vernehmliches „Ratsch“: der scharfkantige Stein hat einen glatten, zirka 10 Zentimeter langen Schnitt in meinen Hosenboden geschlitzt. Na super, das muss ausgerechnet jetzt passieren! Mein halber Hintern spitzt durch den Riss und wenn ich nichts dagegen unternehme, hängt er, noch bevor wir in Johannesburg sind, ganz heraus. Entnervt zerre ich meine Reisetasche wieder aus dem Auto, knibble den zerstörten Reißverschluss auf und krame das Textil klebeband aus meiner mobilen Reisewerkstatt, die glück-licherweise ganz oben liegt. Alle Nagelscheren, Messer und sonstigen Schneidwerkzeuge sind im Gegensatz dazu natür-lich unerreichbar; so also marschiere ich in die Küche unserer Herberge, aus der ich lautes Klappern höre. Eine nette Ange-stellte hilft mir mit einer Schere aus, aber das Ding ist derart stumpf, dass man damit partout nicht schneiden kann. Mit vereinten Kräften säbeln wir schließlich mit einem nicht minder stumpfen Messer zwei ausreichend große Stücke aus dem Klebeband, millimeterweise, und ich verschwinde mit den fransigen, klebrigen Teilen auf der Toilette, um den Schaden so gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Das weitere

Reißen des Stoffes ist nach dem beidseitigen Aufbringen des Bandes zwar gestoppt, dafür aber klebt die Innenseite meiner Hose an der Pobacke, die Außenseite auf jeder genutzten Sitzfläche und ich trage einen deutlich sichtbaren, schwarzen Streifen quer über die linke Hälfte meines Allerwertesten. Schick ist was anderes, aber was soll’s; Hauptsache, ich stehe nicht irgendwann ohne Hose da …

Derart instandgesetzt erreichen wir eine Stunde später den Flughafen, laden all unser Gepäck aus, Jochen bringt den grü-nen Landy in seine Garage auf der Ondekaremba Farm zurück, Tommi retourniert die „Meerkat“ mitsamt einer Liste aller Be-anstandungen, während wir, der Rest der Truppe, uns gemüt-lich an den betonierten Tischen im Außenbereich des Flug-hafens niederlassen. Hier können wir noch trefflich sitzen, die lauen Temperaturen genießen und über Neuankömmlinge lästern, die sich allesamt blasshäutig und aufgeregt, geführt von safaribehosten Guides, in enge Kleinbusse schlichten. Doch je länger wir herumhocken, desto mehr bewölkt sich der Himmel, bis es schließlich sogar noch zu nieseln beginnt. Gerade ist wieder eine neue Reisegruppe mit all ihrem Gepäck und den großen Erwartungen aus dem Flughafengebäude ge-kommen; ungläubig und geradezu fassungslos richten sich die Augen der Newsters gen Himmel – und sie tun mir fast leid ob dieses feuchten Empfangs. Doch vielleicht weint der Himmel ja wegen uns, weil wir wieder nach Hause müssen? Eine schöne Vorstellung, aber da ist wohl eher ein sentimen-taler Wunsch Vater dieses tröstlichen Gedankens …

Dann ist die Stunde unseres Abschieds gekommen; nach einem letzten wehmütigen Blick auf den wolkenverhangenen Himmel, der doch so schön blau sein kann, wenn er nur will, treten wir unsere lange Heimreise an. Station um Station schleuse ich Jacob unauffällig durch die Kontrollen, hieve ihn mit scheinbar unangestrengtem Lächeln in die jeweilige Ge-päckablage und alles geht glatt – bis wir in London durch den Transit-Security-Check müssen. Ich lege meinen Rucksack auf das Förderband, durchschreite piepsfrei den Metalldetektor und warte, bis das Röntgen meinen Jacob wieder ausspuckt. Doch plötzlich stoppt das Band, der Sicherheitsfuzzi starrt ratlos auf den Monitor, winkt einige Kollegen herbei, dann glotzen sie zu fünft, gestikulieren und diskutieren. Das Band setzt sich wieder in Gang, doch noch bevor mein grüner Deuter

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wieder aus dem Dunkel des Durchleuchtungskastens auf-taucht, weiß ich, dass ich auspacken werde müssen. So ist es auch: „Please open your luggage, Madam!“ Mein Erklärungs-versuch, es handle sich doch nur um eine harmlose Nilpferd-Schnitzerei, fruchtet nicht – also zerre ich den türkenkoffer-ummantelten Jacob aus seinem engen Gefängnis und will gerade den Reißverschluss der Kunststofftasche öffnen, um das Dickerchen völlig freizulegen, als der Beamte abwinkt, sich das Paket greift und es erneut durch das Röntgen schiebt. Wieder wird zu fünft geschaut, dann nicken alle und ich er-halte meinen Schatz mit den Worten „quite heavy“ und einem strafenden Stirnrunzeln zurück. Wie gut, dass der Sicher-heitstoni gewichtstechnisch nicht zu melden hat! Unschuldig schulterzuckend stopfe ich Jacob zurück in mein Bordsäcklein gleiten und verabschiede mich freundlich lächelnd von dem kritischen Beamten. Geschafft!

Eine Stunde später kämpfen wir uns bei strömendem Regen die Gangway zu unserem München-Zubringer nach oben, das laufende Triebwerk presst uns das Wasser waagrecht in die Ohren, mit verkniffenen Gesichtern passieren wir eine professio-nell zähnefletschende Stewardess und weitere zwei Stunden später landen wir in München. Die Heimat hat uns wieder; Heinz, mich und zwei neue Mitbürger namens Jacob und Manuel.

Es war ein wunderschöner Urlaub, aus dem wir viel mit-gebracht haben – und damit meine ich nicht nur materielle Dinge, sondern in erster Linie etwas viel Wertvolleres: neue Erfahrungen, auch zwischenmenschlicher Art, unzählige Ein-drücke und das wohlige Gefühl, dass wir beide uns, nach einer 16-monatigen Wochenendbeziehung, noch viel näher ge-kommen sind. Und wie ein Symbol unserer wachsenden Be-ziehung stehen auch Heinz’ zahlreich mitgebrachte Sämereien mittler weile als kleine Pflänzchen in vollem Grün …

Bunte Schönheiten und ihre Namen1 Bauhinia petersiana, Coffee neat’s foot, Orchideenstrauch,

Koffiebeesklou (Fabaceae)2 Pavonia senegalensis, Yellow Mallow, Wilde Stockrose,

Wilde stokroos (Malvaceae)3 Aptosimum marlothii, Koffiepit (Scrophulariaceae)4 Cleome angustifolia, Yellow Mouse-whiskers, Peultjiesbos

(Capparaceae)5 Sesamum triphyllum, Thunderbolt Flower, Wilder Sesam,

Brandboontjie (Pedaliaceae)6 Boophane disticha, Bushman Poison Bulb, Fächerlilie,

Gifbol (Amaryllidaceae)7 Boophane disticha, siehe 68 Crinum foetidum (Amaryllidaceae)9 Scadoxus multiflorus, Fireball Lily, Feuerball-Lilie,

Bloedblom (Amaryllidaceae)10 Sesamothamnus lugardii, Transvaal Sesame Bush,

Sesambaum (Pedaliaceae)11 Catophractes alexandri, Trumpet Thorn, Schwarzdorn-

Silberbusch, Trompetdoring (Bignoniaceae)12 Delonix regia, Royal Poinciana, Flammenbaum (Fabaceae)13 Acanthosicyos naudinianus, Gemsbok Cucumber, Nara,

Gemsbokkomkommer (Cucurbitaceae)14 Ammocharis coranica, Sore Eye Lily, Karoolilie, Seeroog-

blom (Amaryllidaceae)15 Dichrostachys cinerea, Sickle Bush, Farbkätzchenstrauch,

Sekelbos (Fabaceae)16 Adenium oleifolium, Desert Rose, Wüstenrose, Bitter-

kambro (Apocynaceae)17 Acrotome inflata, Acrotome, Tolbossie (Lamiaceae)18 Nerine laticoma, Vlei-Lilie, Jeukui (Amaryllidaceae)19 Hermbstaedtia fleckii, Katstert (Amaranthaceae)20 Combretum sp., Bushwillow, Langfäden, Boswilg

(Combretaceae)21 Grielum humifusum, Desert Primrose, Wüstenprimel,

Duikerwortel (Neuradaceae)22 Erlangea misera (Asteraceae)23 Kigelia africana, Sausage Tree, Leberwurstbaum,

Worsboom (Bignoniaceae)24 Commelina sp., Dayflower, Tagblume (Commelinaceae)25 Acanthosicyos naudinianus, siehe 13

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Windhoek

Hardap Damm

Brukkaros Krater

Keetmanshoop

Otjiwarongo

Grootfontein

KongolaKatima Mulilo

IhahaLinyanti

Xakanaxa

Maun

Kori Pan

Makalamabedi

Ghanzi Piper’s Pan

Khiding Pan

Mosomane Pan

Nossob

Rooiputs

DivunduRundu

Hukuntsi Kang

Central Kalahari GR

Mabuasehube

Chobe NP

Moremi GR

Okavango Delta

Mahango NP

Mudumu NP

Kgalagadi Transfrontier Park

AtlAntischer OzeAn

nAmibiA

caprivi

AnGOlA

sAmbiA

simbAbwe

bOtswAnA

KalaharisüdAfriKA

lesOthO

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Links: Unsere Reiseroute im Überblick (Größenvergleich der Länder: Namibia 824.292 Quadratkilometer; Botswana 582.000 Quadratkilometer; Deutschland 357.092 Quadratkilometer).

Die Gesamtroute im Überblick

NAMIBIA07. November 09 – Ankunft in Windhoek, Einkäufe, Übernachtung Ondekaremba Farm, Campsite08. November 09 – Windhoek – Roy’s Camp nahe Grootfontein09. November 09 – Roy’s Camp – Popa Falls Community Camp bei Divundu10. November 09 – Popa Falls Community Camp, Besuch des Mahango NP – Camp Kwando nahe Kongola

BOTSWANA11. November 09 – Camp Kwando (NAM), Besuch einer Dorfschule bzw. Besuch des Mudumu NP

– Chobe National Park, Ihaha (BOTS)12. November 09 – Chobe National Park, Ihaha13. November 09 – Chobe National Park, Ihaha – Linyanti14. November 09 – Linyanti – Wild campen15. November 09 – Aus dem verbotenen Abseits – Moremi Game Reserve, Xakanaxa16. November 09 – Moremi Game Reserve, Xakanaxa17. November 09 – Moremi Game Reserve – Maun, Maun Rest Camp18. November 09 – Maun, Maun Rest Camp – Central Kalahari Game Reserve, Kori Pan19. November 09 – Central Kalahari Game Reserve, Kori Pan – Central Kalahari Game Reserve, Piper’s Pan20. November 09 – Central Kalahari Game Reserve, Piper’s Pan21. November 09 – Central Kalahari Game Reserve, Piper’s Pan – Ghanzi, Thakadu Camp22. November 09 – Ghanzi, Thakadu Camp – Kgalagadi Transfrontier Park, Mabuasehube, Khiding Pan23. November 09 – Kgalagadi Transfrontier Park, Mabuasehube, Khiding Pan –

Kgalagadi Transfrontier Park, Wilderness Trail, Mosomane Pan24. November 09 – Kgalagadi Transfrontier Park, Wilderness Trail, Mosomane Pan –

Kgalagadi Transfrontier Park, Wilderness Trail – Nossob (RSA)25. November 09 – Kgalagadi Transfrontier Park, Nossob (RSA) – Kgalagadi Transfrontier Park, Rooiputs (BOTS)

SÜDAFRIKA/NAMIBIA26. November 09 – Kgalagadi Transfrontier Park (BOTS), Rooiputs via Twee Rivieren (RSA) –

Garas Quivertree Camp nahe Keetmanshoop (NAM)27. November 09 – Garas Quivertree Camp – Berseba, Brukkaros Campsite – Hardap Damm28. November 09 – Hardap Damm – Windhoek, Puccini Guesthouse29. November 09 – Windhoek – Heimflug

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Jäger-Sammler-Andenken-Stolz

Gollum

Manuel

Schwanzplatte eines Schildkrötenpanzers

Jakob

Stachelschweinstacheln

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