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DEEN NNOVATION W CHSTUM Die Hightech-Strategie für Deutschland Regenerative Medizin Selbstheilungskraft des Körpers verstehen und nutzen

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DEENNNOVATION

W CHSTUMDie Hightech-Strategie für Deutschland

Regenerative MedizinSelbstheilungskraft des Körpers verstehen und nutzen

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(14 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz, Mobilfunk max. 42 Cent/Min.)

E-Mail: [email protected]

Internet: www.bmbf.de

Redaktion

biotechnologie.de, Berlin

Dr. Philipp Graf

Sandra Wirsching

Gestaltung

Sven Oliver Reblin

Druckerei

DruckVogt GmbH, Berlin

Bonn, Berlin 2013

Bildnachweise

Umschlag: TRM Leipzig/ Metronom GmbH, Leipzig, Franziska Frenzel

MHH Hannover, Axel Haverich (S. 2, S. 29); Universität des Saarlandes (S. 4); RTC, Peter Mark (S. 5.); BioTissue Technologies (S. 6);

Nissim Benvenisty (S.7); Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster ( S. 11); MDC, Heike Naumann (S. 12), Universität

Tübingen, Thomas Skutella (S. 9); Universität Würzburg, Jürgen Groll (S. 13); CRTD, Carsten Werner (S. 15, S. 17); CRTD, Katrin Boes

( S. 19, S. 20), CRTD, Elly Tanaka/Dunja Knapp (S. 21); RWTH Aachen, Stefan Jockenhövel (S. 16, S. 26); Max-Delbrück-Centrum für

molekulare Medizin (S. 21); Euroderm GmbH (S. 22, S. 23), TU Berlin, Gerd Lindner (S. 24); Fraunhofer IPA (S. 25); Pluristem (S. 28);

BCRT, Katrin Zeilinger (S. 30, S. 31, S. 32); Fraunhofer IGB, Heike Walles (S. 32); NMI Reutlingen, Martin Stelzle (S. 33); BCRT, Georg

Duda (S. 34); Tetec AG (S. 35); Biotissue Technologies GmbH (S. 36); Universität Lübeck, Holger Notbohm (S. 37); Matricel GmbH (S.

38, S. 39), Universität Bonn, Oliver Brüstle (S. 40); ZEBET, Manfred Liebsch (S. 42, S. 45); BCRT (S. 42, S. 46); pixelio.de, Rolf van Melis

(S. 43); Spherotec (S. 44); Fraunhofer FIT (S. 45)

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Vorwort

Vorwort

Die körpereigenen Kräfte nutzen, um Erkran-kungen zu behandeln und zu heilen – das ist eines der wichtigsten Ziele der regenerativen Medizin. Bei Verletzungen der Haut, des Knorpels oder Erkrankungen des Herzens haben regenerative Verfahren bereits Eingang in die klinische Praxis gefunden. Innovative Forschung verbessert so schon heute nicht nur die medizinische Versor-gung, sondern auch die Lebensqualität der Menschen.

Der rasante wissenschaftliche Fortschritt zeigt eindrucksvoll: Das Potenzial der regenerativen Medizin ist noch längst nicht ausgeschöpft. Viele Forschungseinrichtungen und Unternehmen arbeiten daran, die Erkenntnisse aus dem Labor noch besser für neue Therapien und Diagnostika zu nutzen – beispielsweise für die Behandlung altersbedingter Erkrankungen, die angesichts der demografischen Entwicklung in Industrienationen wie Deutschland eine immer größere Rolle spielen. Regenerative Technologien eröffnen auch neue Wege, um die Zahl von Tierversuchen zu reduzieren.

Das Bundesministerium für Bildung und For-schung (BMBF) begleitet die Entwicklungen in der regenerativen Medizin bereits seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Fördermaßnahmen, die wesentlich dazu beigetragen haben, die deutsche Forschungs- und Unternehmenslandschaft und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Auch deshalb ist Deutschland heute führend in der regenerativen Medizin.

Eine wichtige Voraussetzung für Spitzenleistungen ist die Vernetzung der zentralen Akteure. Deshalb fördert das BMBF Translationszentren, in denen die Kooperation von Wissenschaftlern, Klinikern und Unternehmern besonders gefördert wird. Mit gezielten Maßnahmen unterstützen wir auch den innovativen Mittelstand in der regenerativen Medizin bei der Umsetzung anspruchsvoller For-schungs- und Entwicklungsprojekte. Zudem fördert das BMBF den Dialog deutscher Forscherinnen und Forscher mit ihren internationalen Kollegen, zum Beispiel die bilaterale Kooperation mit dem renommierten California Institute for Regenerative Medicine (CIRM).

Die vorliegende Broschüre gibt auf vielfältige Weise Einblicke in das faszinierende Forschungs-feld der regenerativen Medizin. Sie stellt aktuelle Forschungsansätze und neue Entwicklungen in den unterschiedlichen Anwendungsfeldern regenera-tiver Technologien vor. Informieren Sie sich über die Chancen, die die regenerative Medizin nicht nur Wissenschaft und Wirtschaft, sondern vor allem Patientinnen und Patienten eröffnet.

Bundesministerin für Bildung und Forschung

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1InHalt

Inhalt

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Regenerative Medizin im Überblick ................ 2

Was ist Regenerative Medizin ? ....................................... 2 Mit Tissue Engineering zum Organersatz ................... 5

Stammzellen: zelluläre Multitalente .............. 7

Embryonale Stammzellen - die Alleskönner .............. 7

Nützliche Gewebestammzellen .

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................................. Reprogrammieren als neuer Weg 9

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Regenerationstechnologien: Helfer für die Medizin 13

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Bioreaktoren: Gewächshäuser für Gewebe 16

Hilfestellung für die Selbstheilung 17

Gezielt Erbanlagen reparieren 18

Zebrafisch und Salamander:Von Modellen lernen 19

Zebrafische regenerieren Herz und Gehirn 19

Heilungsprozesse beim Lurch verstehen 21

Haut: Kleine und große wunden heilen 22

Wunden verschließen mit Ersatzgewebe 22

Künstliche Hautproduktion im Akkord 25

Herz: Schwache Pumpen ankurbeln 26

Herzmuskelzellen aus dem Labor 26

Stammzelltherapie bei Herzinfarkt 27

Herzklappen wachsen im Bioreaktor 28

Herzgewebe für die Wirkstoffforschung 29

leber: Regenerationskraft ausnutzen 30

Leberzellen aus Stammzellen gewinnen 30

Die Leber im Labor nachbauen 32

Mikrochip als Medikamententestsystem 33

Knochen und Knorpel: Zum wachstum anregen 34

Knorpelbildung im Körper stimulieren 36

Knochenheilung mit Stammzellen 37

nerven und Gehirn:Regenerationspotenzial ausloten 38

Zellverluste bei Parkinson ersetzen 38

Künstliche Straßen für wachsende Nerven 40

Stammzellen im Gehirn gezielt nutzen 41

neue tests:Gewebe als Ersatz zum tierversuch 42

Zellkulturtests mit Prüfsiegel 42

Organe auf dem Mikrochip 45

translation:Der schwierige weg in die Praxis 46

Kleine Unternehmen als Innovationsmotoren 46

Fünf Translationszentren bundesweit 47

Klare Regeln für den europäischen Markt 50

Klinische Studien als große Herausforderung 51

Fördermaßnahmen im Überblick 53

Glossar 54

weiterführende Publikationen des BMBF 57

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2 REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK

Regenerative Medizin im Überblick

Viele Krankheiten lassen sich behandeln, aber nicht heilen. Das gilt besonders für altersbedingte leiden, bei denen oft Zellen absterben und organfunktionen nachlassen. Die Regenerative Medizin kann erkranktes Gewebe wiederherstellen und funktions-tüchtig machen. Dazu nutzt sie die Selbsthei-lungskräfte des Körpers. Ein großes Potenzial für die Medizin des 21. Jahrhunderts.

Die Fähigkeit zur Regeneration ist lebensnotwen-dig. Unter Regeneration wird in der Biologie die Fähigkeit eines Organismus verstanden, verloren gegangene Körperteile und Körperfunktionen von Grund auf zu ersetzen – um so möglichst den ge-sunden Originalzustand wiederherzustellen. Diese Regenerationsfähigkeit besitzen prinzipiell alle Le-bewesen – aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Die treibende Kraft dieser Selbstheilungsfähigkeit geht von den Zellen aus, die die betroffenen Gewebe und Organe aufbauen. Bei Menschen ist die Rege-nerationsfähigkeit gerade bei den Organen aus-geprägt, die in hohem Maße beansprucht werden: Knochenmark, Leber, die obere Hautschicht oder etwa die Darmschleimhaut werden ständig nach-gebildet. Sogenannte Stammzellen sorgen in diesen Geweben ein Leben lang für Nachschub an neuen Zellen. In anderen menschlichen Organen ist dieses Potenzial jedoch stark eingeschränkt, wie etwa im Gehirn, im Herz und im Auge. Noch dazu bildet der Körper bei größeren Wunden Narbengewebe. So werden entstandene Defekte nur behelfsmäßig repariert, aber nicht regeneriert.

was ist Regenerative Medizin?

Innerhalb der Biomedizin gehört die Regenerative Medizin zu den Gebieten mit der stärksten Ent-wicklungsdynamik. Das spiegelt sich auch in den verschiedenen Versuchen wider, dieses Medizin-konzept in Worte zu fassen. Forscher haben sich bisher nicht auf eine offizielle Definition geeinigt. Prinzipiell gilt jedoch: Die Regenerative Medizin ist eine Heilkunst, die auf die Wiederherstellung funkti-onsgestörter Zellen, Gewebe oder Organe abzielt. Dies geschieht entweder durch Anregung der körpereige-nen Regenerations- und Reparaturprozesse oder aber durch biologischen Ersatz in Form von lebenden Zellen oder eigens im Labor gezüchteten Geweben. Das Ziel

Forscher in Hannover arbeiten daran, Herzgewebe künstlich herzu-stellen. Hier sind Herzmuskelzellen (grün mit blauem Zellkern) sowie Kollagenfasern (orange) zu sehen.

ist immer gleich: Möglichst den gesunden und funk-tionalen Originalzustand eines betroffenen Gewebes wiederherzustellen, anstatt es nur behelfsmäßig zu ersetzen und zu reparieren. Heilen statt reparieren – das ist das Motto der Regenerationsmedizin.

Lebende Zellen sind dabei das zentrale Werkzeug der Regenerativen Medizin. Sie liefern das Baumaterial für den angestrebten Organersatz und sie bewirken, dass regenerative Prozesse im Körper in Gang gesetzt werden. Auf diese Weise entstehen nicht nur Thera-pien, sondern auch neuartige Ansätze, um die Diagnos-tik von Krankheiten zu verbessern oder zellbasierte Testsysteme, um die Wirkung von Medikamenten zu prüfen. Als Forschungsdisziplin ist die Regenerative Medizin in hohem Maße multidisziplinär, denn sie verknüpft Ansätze der Zellbiologie, der Biotechnologie und der Pharmakologie mit Medizintechnik und Mate-rialwissenschaften. Mit diversen Förderinitiativen, die all diese Forschungsdisziplinen adressieren, versucht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die dynamische Entwicklung auf diesem Feld voranzutreiben: Seit den 1990er Jahren werden dabei nicht nur akademische Forschungsprojekte, sondern auch vielversprechende Projekte von Unternehmen gezielt unterstützt.

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3REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK

Die Erforschung der Selbstheilungskräfte des Körpers ist allerdings kein neues Phänomen. Schon seit der Antike beschäftigt Mediziner dieses Thema. Auch damals wollten sich die Ärzte diese Erkennt-nisse für Therapien zunutze machen. Doch erst seit dem 19. Jahrhundert, als die Zellen als Ursache für Krankheiten in den Blick der Mediziner rückten, begannen Forscher damit, die Prozesse der Rege-neration tatsächlich zu entschlüsseln. Deutsche Wissenschaftler gehörten dabei im frühen 20. Jahr-hundert zu den Pionieren der Embryologie und Ent-wicklungsbiologie, die viel Grundlagenwissen für die Regenerative Medizin zutage gefördert haben. So untersuchen Entwicklungsbiologen die Mecha-nismen, die aus einer befruchteten Eizelle ein kom-plexes Lebewesen formen. Inzwischen ist bekannt, dass der voll entwickelte menschliche Organismus aus mehr als 200 verschiedenen Zelltypen besteht, die in Geweben und Organen organisiert sind und dort bestimmte Funktionen übernehmen. Obwohl diese Zellen alle die gleiche genetische Ausstattung besitzen, spezialisieren sie sich im Laufe ihrer Ent-wicklung und werden zu definierten Körperzellen.

Mit dem Siegeszug der Molekularbiologie in den 1970er Jahren begannen Genetiker und Zellbiolo-gen damit, diesen auch als Differenzierung bezeich-neten Prozess genauer zu untersuchen. Es zeigte sich, dass in den spezialisierten Zellen des Körpers eine deutlich geringere Zahl an Genen im Erbgut aktiv ist als etwa in befruchteten Eizellen.

Lange Zeit gingen Forscher zudem davon aus, dass die einmal erlangte Spezialisierung einer Zelle ein unumkehrbares Schicksal ist. Diese Auffas-sung hat sich in den letzten Jahrzehnten durch die rasanten Entwicklungen in der Molekularbio-logie, der Genom- und Stammzellforschung, der Fortpflanzungsmedizin sowie der Systembiologie grundlegend geändert. So ermöglichte die in vitro-Befruchtung – also die künstliche Befruch-tung im Labor – bedeutende Untersuchungen zur Embryonalentwicklung. Im Jahr 1998 gelang es US-Forschern erstmals, menschliche embryonale Stammzellen zu gewinnen. Mit diesen Zellen, die sich nahezu unbegrenzt vermehren lassen und sich in viele verschiedene Zelltypen entwickeln kön-

Forschungslandschaft Regenerative Medizin in Deutschland

Mit der Regenerativen Medizin beschäftigen sich in Deutschland zahlreiche Forschergrup-pen, die über das ganze Land verteilt sind. Sie decken ein weites Spektrum an Wissenschafts-gebieten ab, angefangen bei der Biomedizin, der Biotechnologie, der Pharmakologie, der Medi-zintechnik und Materialwissenschaften.Die Wissenschaftler arbeiten in Hochschulen und Universitätskliniken, in Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich-tungen der Forschungsorganisationen (Max-Planck, Helmholtz, Leibniz, Fraunhofer).Von besonderer Bedeutung für die Forschung und Umsetzung regenerativer Therapien in die klinische Praxis sind sogenannte Translations-zentren, die in den vergangenen Jahren durch öffentliche Förderinitiativen eingerichtet wurden (vgl. S. 46 ff.). Solche Zentren gibt es mittlerweile in Berlin, Leipzig, Rostock (BMBF), Dresden und Han-nover (DFG). Wichtige Standorte der Stammzell-forschung sind zudem Bonn, München,Würzburg, Tübingen, Heidelberg und Münster. Forschungsstandorte der Regenerativen Medizin in Deutschland.

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4 REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK

nen, bekamen die Forscher eine Möglichkeit an die Hand, in großen Mengen Zellen für die Grundlagen-forschung zu gewinnen. Gleichzeitig entdeckten sie auch immer mehr neue Möglichkeiten bei anderen Stammzelltypen. So ist heute zunehmend ein Bild entstanden, dass selbst spezialisierte Zellen keine festgelegten Bausteine des Körpers sind, sondern wandelbare Gebilde, deren Verhalten beeinflussbar und umprogrammierbar ist. Die Stammzellfor-schung steht dabei in ganz besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit – nicht zuletzt aufgrund ihrer ethischen Dimension, denn neue embryonale Stammzell-Linien können nur durch die Zerstö-rung von Embryonen gewonnen werden. Aus

diesem Grund unterliegt die Stammzellforschung im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern in Deutschland vergleichsweise strengen Regeln, die Wissenschaftler einhalten müssen. Das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz verbietet die verbrauchende Embryonenforschung einschließ-lich der Verwendung von Embryonen zur Herstel-lung von Stammzellen. Das Stammzellgesetz von 2002 (novelliert im Jahr 2008) erlaubt deutschen Forschern nur unter strengen Voraussetzungen und nach Genehmigung durch das Robert Koch-Institut, embryonale Stammzellen aus dem Ausland zu Forschungszwecken zu importieren und zu verwen-den.

Von der Stammzelle zur therapie

Aufgrund ihrer vielseitigen Eigenschaften erforschen Wissenschaftler seit Ende der 90er Jahre das Potenzial von Stammzellen und ihren Einsatz in der Regenerativen Medizin. Deutsche Forscher werden dabei seit 1999 vom BMBF mit diversen Förderinitiativen unterstützt. Ging es dabei anfangs vor allem um Möglichkeiten für den Ersatz einzelner Organfunktionen bei verschiedenen volkswirtschaftlich relevanten Erkrankungen wie Parkinson, Diabetes oder Herzinfarkt, so liegt inzwischen ein Schwer-punkt auf Projekten, die nach ethisch unpro-blematischen Wegen für die Gewinnung von vielseitigen Stammzellen für medizinische

Angefärbte Herzmuskelzellen in der Kulturschale: Künftig lassen sich womöglich derartige Zellen aus Stammzellen gewinnen.

Anwendungen suchen. Zwischen 2008 und 2013 werden diesbezüglich insgesamt 47 Vorhaben mit 15 Millionen Euro unterstützt. Hierbei erkunden Forscher entweder das Entwicklungspotenzial natürlich vorkommender Gewebestammzellen. Oder sie entwickeln Verfahren, mit denen sich Körperzellen künstlich in einen vielseitigen Zustand zurückprogrammieren lassen. Um auf der Basis dieser Erkenntnisse die Entwicklung zellbasierter Therapien voranzutreiben, werden zwischen 2005 und 2013 weitere Mittel in Höhe von mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Um die bislang in Deutschland aufgebauten Strukturen der grundlagenorientierten und angewandten Stammzellforschung sowohl national wie auch international gebündelt sichtbar zu machen und zu vertreten, soll 2012 ein „Deutsches Stammzellnetzwerk“ entste-hen. Mithilfe einer solchen Dialogplattform ist auch geplant, die Nachwuchsförderung zu stärken und die rechtlichen sowie ethischen Rahmenbedingungen in diesem Forschungsfeld transparent darzustellen. Gleichzeitig soll die Translation von Ergebnissen gezielt unerstützt werden. Zum Start der Plattform stellt das BMBF eine Anschubfinanzierung zur Verfügung. Mehr Informationen: www.bmbf.de/de/1084.php www.ptj.de/stammzellnetz

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5REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK

Neben der Forschung an embryonalen Stamm-zellen wurden in den letzten Jahrzehnten durch staatliche Förderprogramme besonders die For-schungen zu alternativen Quellen von Stammzellen intensiviert. Dadurch ist insbesondere in Deutsch-land im Bereich der adulten Stammzellforschung eine große wissenschaftliche Expertise entstanden. Die größte Herausforderung besteht nun darin, die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse in weiter-führende Strategien für medizinische Forschung und Anwendungen zu überführen (vgl. Kapitel Stammzellen).

Mit tissue Engineering zum organersatz Entscheidene Impulse für den Fortschritt in der Regenerativen Medizin, insbesondere was die Bereitstellung von Organen betrifft, kommen aber nicht nur aus der Stammzellforschung, sondern auch aus dem Bereich der Chirurgie. So gelang Ärzten in Boston in den 1950er Jahren die erste erfolgreiche Nierentransplantation. 1967 glückte die erste Verpflanzung eines Herzens. Wenige Jahre später meldeten Ärzte die erste erfolgreiche Knochenmarktransplantation. Seit es Mediziner schaffen, mit Medikamenten die Immunabwehr zu unterdrücken und so eine Abstoßung kör-perfremder Organe zu verhindern, hat sich die Transplantationsmedizin zu einem Eckpfeiler der Hightech-Medizin entwickelt. Sie sichert heute das Überleben vieler Patienten mit erkrankten oder verletzten Organen. Doch Spenderorgane sind knapp und können den stetig steigenden Bedarf nicht decken. Allein in Deutschland werden zurzeit schätzungsweise doppelt so viele Transplantations-organe gebraucht wie zur Verfügung stehen. Die Wartelisten sind lang, viele Patienten überleben die Wartezeit nicht.

Auf der Suche nach Alternativen begannen Bio-technologen deshalb in den 1990er Jahren verstärkt damit, lebendes Ersatzgewebe im Labor heranzu-züchten. Dies wird als sogenanntes Tissue Enginee-ring bezeichnet, das heute als wichtiger Bereich der Regenerativen Medizin gilt. Ein immer tieferes Verständnis der Zellbiologie und die Verwendung immer ausgeklügelter Gerüstmaterialien, auf de-nen mithilfe menschlicher Zellen neue Gewebe und Organe heranwachsen können, haben hier inzwi-schen für bedeutende Fortschritte gesorgt, wenn-gleich das Organ auf Bestellung für jedermann noch in ferner Zukunft liegt.

Frisch isolierte Stammzellen aus dem Knochenmark werden Patienten nach einem Herzinfarkt in den betroffenen Herzmuskelbereich ge-spritzt. Dort sollen sie die Regeneration ankurbeln.

Die Potenziale der Regenerativen Medizin sind also groß. Der Fokus auf die Regenerationsfähigkeiten des Körpers könnte dabei helfen, viele drängende Probleme der medizinischen Versorgung zu lösen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird der Regenerativen Medizin deshalb eine vielverspre-chende Zukunft prognostiziert, insbesondere für Industrienationen wie Deutschland. So nehmen mit dem demographischen Wandel auch hierzu-lande altersbedingte Krankheiten immer mehr zu: Bestimmte Organfunktionen lassen nach und die Zahl körperlicher Gebrechen steigt. Es sind Leiden wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Alzheimer, aber auch Nierenversagen, Diabetes sowie Gelenkverschleiß, die zu den Volkskrankheiten in Deutschland gehö-ren. Eine Heilung ist dabei selten in Sicht. Zumeist müssen die Patienten für den Rest des Lebens Medi-kamente einnehmen. Doch diese können lediglich Symptome lindern und den Krankheitsverlauf verlangsamen. Oft sind mit der Einnahme auch unerwünschte Nebenwirkungen verbunden. Die Lebensqualität der Patienten bleibt deshalb meist eingeschränkt. In schweren Fällen sind Prothesen oder sogar Organtransplantationen die einzige Alternative. Solche Eingriffe sind zudem mit hohen Behandlungskosten verbunden.

Die Vision der Regenerativen Medizin ist es, die

medizinischen Probleme nicht nur symptomatisch zu behandeln, sondern tatsächlich die Ursache zu bekämpfen und zu heilen. Erste Fortschritte in den

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6 REGEnERatIVE MEDIZIn IM ÜBERBlIcK

Bereichen Haut (vgl. S. 22 ff.), Knochen (vgl. S. 34 ff.), Herz (vgl. S. 26 ff.), Leber (vgl. S. 30 ff.) und Nerven (vgl. S. 38 ff.) zeigen, dass die Wissenschaft für eine Vielzahl von Krankheiten bereits an vielverspre-chenden Behandlungsstrategien arbeitet. Zugleich steigt das Wissen über grundsätzliche Regenerati-onsprozesse in Modellorganismen wie Salamander oder Zebrafisch (vgl. S. 19 ff.).

Die Forschung in Deutschland ist dabei sehr breit aufgestellt – sei es in der Grundlagenforschung oder der Anwendung regenerativer Therapien. Mit international renommierten Wissenschaftlern gehört Deutschland zu den weltweit führenden Nationen im Bereich der Regenerativen Medizin. Besondere Stärken gibt es traditionell im medizin-technischen Bereich, der Zellkulturtechnologie und der Gewebezüchtung. In der Stammzellforschung baut Deutschland auf jahrzehntelanger Expertise in der Entwicklungsbiologie und bei Zelltherapien auf. Dies spiegelt sich in einer hohen Dichte an

Forschungseinrichtungen und klinischen Zentren wider. Darüber hinaus ist die Anwendungsorien-tierung der Forschng in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So wurden auf Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie des BMBF interdisziplinäre Forschungszentren gegründet, deren Ziel es ist, Ideen aus dem Labor möglichst schnell für Patientinnen und Patienten verfügbar zu machen (vgl. S. 46 ff.). Darüber hinaus wird im Rahmen internationaler Kooperationen die Zusammenarbeit deutscher Forscher mit Kollegen aus dem Ausland gefördert. All dies wiederum wird dazu führen, dass noch mehr Unternehmen Ansät-ze aus der Regenerativen Medizin aufgreifen. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, hat das BMBF zudem langfristig angelegte Strategieprozesse in den Bereichen Biotechnologie und Medizintechnik initiiert, in denen die Regenerative Medizin auch eine Rolle spielt (vgl. S. 53). Hier werden schon heu-te Forschungs- und Entwicklungsroadmaps für die Zukunft erarbeitet.

Regenerationstechnologien: Der weg in die klinische Praxis

Die Regenerative Medizin ist ein dynamisches For-schungsgebiet, bei dem Spezialisten aus Biologie, Chemie, Physik, Materialforschung, Geräte- und Verfahrenstechnologie, Informatik, und Medizin zusammenarbeiten. Eine wichtige Triebfeder sind dabei mittelständische Biotechnologie- und Medizintechnik-Unternehmen (KMU), die die Anwendungsmöglichkeiten der Regenerations-technologien für Therapien oder Diagnostika ständig vorantreiben. Seit dem Jahr 2000 werden

Einige Biotechnologie-Unternehmen haben sich darauf speziali-siert, Gewebe für verschiedenste Anwendungen zu züchten.

sie dabei vom BMBF unterstützt – insbesondere bei risikoreichen Projekten im Bereich der Ge-webeherstellung (Tissue Engineering). Bis 2007 hat das BMBF dabei insgesamt 43 Millionen Euro investiert. Erste Anwendungen, etwa Produkte für die Regeneration von Haut oder Knorpel, be-finden sich bereits im klinischen Einsatz. Die Er-fahrungen der ersten Jahre haben jedoch gezeigt, dass noch zahlreiche Hürden zu meistern sind, bis Regenerationstechnologien tatsächlich breit eingesetzt werden. An klinische Studien sowie die Zulassung werden in diesem Feld inzwischen hohe Anforderungen gestellt. Deshalb fördert das BMBF seit 2008 auch die Entwicklung neuer und zuverlässiger Prüf- und Standardisierungsver-fahren für Produkte der Regenerativen Medizin, um gravierende Innovationshemmnisse aus dem Weg zu räumen und den Nutzen regenerativer Therapien künftig bewerten zu können. Insge-samt 15 Millionen Euro fließen dabei in Verbund-projekte von Wissenschaft und Wirtschaft.

Mehr Informationen:www.ptj.de/regenerative-technologien

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7StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE

Stammzellen: zelluläre Multitalente

Stammzellen sind im Körper die treibenden Kräfte für Entwicklung und Regeneration. Da aus ihnen neue Zellen hervorgehen, sind sie auch die zentrale Materialquelle für die Regenerative Medizin. Je nach Herkunft sind Stammzellen unterschiedlich vielseitig. In Deutschland regelt ein striktes Stammzellge-setz die Forschung mit menschlichen embryo-nalen Stammzellen. Gewebestammzellen und künstlich im labor gewonnene Stammzellen sind in den Fokus der Forscher geraten.

Die „Familie“ der Stammzellen ist groß: Sie unter-scheiden sich in ihrem Entwicklungsvermögen und lassen sich auf verschiedenen Wegen gewinnen. Einfach formuliert ist eine Stammzelle eine Zelle, von der andere Zellen im Körper abstammen. Im Vergleich zu hochspezialisierten Körperzellen sind Stammzellen weniger stark auf eine bestimmte Entwicklungsrichtung festgelegt. Durch Zellteilung sind sie in der Lage, eine sich spezialisierende Toch-terzelle und eine Stammzelle zu erzeugen, wodurch sie sich selbst erhalten. Mithilfe von Stammzellen wächst und erneuert sich der Organismus ein Leben lang, Wunden und innere Schäden heilen aus eige-ner Kraft. Die Medizin versucht, die Heilkraft der Stammzellen zu verstehen und gezielt therapeutisch zu nutzen. Die Herkunft der Stammzellen ist dabei entscheidend für eine mögliche Anwendung. Der Stammzell-Typ entscheidet auch, wie Forscher mit den Multitalenten umgehen dürfen.

Embryonale Stammzellen – die alleskönner Aus einer befruchteten Eizelle gehen bis zum 8-Zell-Stadium Tochterzellen hervor, die totipotent sind. Jede für sich hat das Entwicklungspotenzial, einen kompletten Organismus aufzubauen. Etwa fünf Tage nach der Befruchtung der Eizelle hat sich der Embryo zu einem kugeligen Zellgebilde entwickelt, der Blastozyste. Aus der inneren Zellmasse der Blastozy-ste lassen sich embryonale Stammzellen (ES-Zellen) gewinnen. Sie gelten als zelluläre Alleskönner. ES-Zellen sind pluripotent: Sie besitzen also grund-sätzlich die Fähigkeit, noch alle Gewebe des mensch-lichen Körpers bilden zu können (mit Ausnahme des Plazentagewebes). Aus ihnen kann sich kein voll-ständiger Organismus mehr entwickeln, wie das bei totipotenten Zellen der Fall ist.

Humane embryonale Stammzellen unter dem Mikroskop.

Damit Wissenschaftler mit ES-Zellen arbeiten können, werden sie in Kulturschalen übertragen, die mit einer speziellen Nährlösung gefüllt sind. Hier vermehren sie sich zu mehreren hundert Zellen, die wiederum in neue Kulturschalen überführt werden, so dass aus wenigen embryonalen Stammzellen schließlich Abermillionen entstehen. Bei geeigneter Stimulierung mit einem Cocktail aus Wachstums-faktoren lassen sie sich in jeden erdenklichen der 200 menschlichen Zelltypen verwandeln. Somit sind ES-Zellen eine schier unerschöpfliche Quelle, mit deren Hilfe sich Gewebe im Labor nachzüchten lässt, um verschiedenste Fragestellungen zu beantworten. Diese Züchtung aber kontrolliert zu erreichen, ist für Forscher immer noch eine große Herausforderung.

Umstritten sind menschliche ES-Zellen, da zur Gewinnung neuer Stammzelllinien Embryonen zer-stört werden müssen. Deshalb wird die Herstellung und Verwendung von humanen ES-Zellen ethisch kontrovers diskutiert. Verschiedene Länder auf der Welt haben politisch und rechtlich unterschiedliche Lösungen für den Umgang mit Embryonen und Stammzellen gefunden. In Deutschland sorgt das Embryonenschutzgesetz für einen strikten Schutz des Embryos und verbietet das Herstellen mensch-licher Embryonen zu Forschungszwecken sowie die verbrauchende Embryonenforschung einschließlich der Herstellung von menschlichen ES-Zellen. Zu-sätzlich regelt das Stammzellgesetz den möglichen Import und die Verwendung von menschlichen ES-Zellen aus dem Ausland. Solche ES-Zelllinien müssen schon vor einem gesetzlich festgelegten Stichtag gewonnen worden sein (1. Mai 2007). Darüber hinaus dürfen sie nur für Forschungszwecke importiert und

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8 StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE

verwandt werden, die hochrangig und auf anderem Wege voraussichtlich nicht zu erreichen sind (siehe Kasten rechts). Ebenso wie bei der Nutzung anderer Zellen mit vergleichbarem Potenzial müssen die For-scher sicherstellen, dass die aus den menschlichen ES-Zellen herangezüchteten Zellen sich im Körper nicht plötzlich unkontrolliert vermehren. Aus den ES-Zellen gewonnene Zelltypen können nach einer Transplantation vom Empfänger als fremd erkannt werden. In diesem Fall können, wie bei Transplanta-tionen von Organen, gefährlichen Abstoßungsreak-tionen auftreten. Wissenschaftler weltweit forschen daher daran, diese potenziellen Immunreaktionen zu beherrschen.

In den USA und in Großbritannien wurden bereits erste klinische Studien mit aus ES-Zellen abgeleiteten Präparaten gestartet. Das Biotechnologie-Unterneh-men Advanced Cell Technology (ACT) erprobt hierbei aus ES-Zellen entwickelte Pigmentepithelzellen, die zur Behandlung einer Augenerkrankung eingesetzt werden. Neben der klinischen Anwendung dienen ES-Zellen heute schon als Basis für Krankheitsmo-delle oder bei der Identifizierung und Suche neuer Wirkstoffe.

nützliche Gewebestammzellen

Neben den ES-Zellen sind adulte Stammzellen oder Gewebestammzellen die zweite große Gruppe an Stammzellen. Sie sind in zahlreichen Geweben von erwachsenen Menschen vorhanden und sitzen dort in speziellen Nischen, um auf ihren Einsatz zu war-ten. Adulte Stammzellen sind die Reparaturreserve des jeweiligen Gewebes. Sie sorgen für den nötigen Zell-Nachschub, wenn im Gewebe Zellen abster-ben und ersetzt werden müssen. So treiben sie die Erneuerung und die Wundheilung an. Adulte Stammzellen sind allerdings in ihrem Entwick-lungspotenzial eingeschränkt, sie gelten deshalb als multipotent, weil ihre Abkömmlinge nur noch zu wenigen Zelltypen heranreifen können.

Dank neuester Methoden haben Forscher inzwi-schen an immer mehr Stellen im Körper die vor Ort zuständigen Gewebestammzellen entdeckt. Im Blut, der Haut und im Darm sind sie besonders aktiv, da diese Organe sich ständig erneuern. Doch auch in Or-ten, die nur bescheidene Regenerationsfähigkeiten besitzen, wie im Gehirn, wurden Forscher bereits fündig. Problem: Viele adulte Stammzellen sind nur mit großem Aufwand zu gewinnen und ihre Zucht

Ein Gesetz für die Stammzellforschung

Nachdem US-Forscher 1998 erstmals menschliche embryonale Stammzellen (ES-Zellen) gewonnen hatten, setzte auch in Deutschland eine bioethische Debatte ein. Bei der Herstellung von ES-Zellen müssen Embryonen zerstört werden, die bei künst-lichen Befruchtungen übrig geblieben sind. Das deutsche Embryonenschutzgesetz stellt den Embryo unter strikten Schutz und verbietet das Herstellen von Embryonen zu Forschungszwecken sowie die verbrau-chende Embryonenforschung. Um trotzdem Forschung an menschlichen ES-Zellen zu ermöglichen, gleichzeitig aber zu verhin-dern, dass von Deutschland aus ein Anreiz ausgeht, im Ausland weiterhin Embryonen zu zerstören, verabschiedete der Bundestag im Jahr 2002 das „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher Stammzellen“. Demnach dürfen Forscher nur unter strikten Auflagen ES-Zellen aus dem Ausland einführen und verwenden. Diese Stammzellen müssen aber vor einem gesetzlich bestimmten Stichtag erzeugt wor-den sein. Um den Forschern die Möglichkeit zu geben, für ihre im internationalen Rah-men stattfindenden Arbeiten auf zwischen-zeitlich erheblich verbesserte und stabilere Stammzelllinien zurückzugreifen, einigte sich der Bundestag 2008 in einer Gesetzesno-velle darauf, den Stichtag vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007 zu verlegen. Jede Einfuhr und Verwendung menschlicher ES-Zellen in Deutschland muss vom Robert-Koch Institut (RKI) genehmigt werden. Zur Entscheidung über einen Antrag holt das RKI eine Stellung-nahme der Zentralen Ethik-Kommission für die Stammzellenforschung (ZES) ein. Die ZES prüft und bewertet, ob das Forschungsvor-haben die Voraussetzungen nach § 5 StZG erfüllt und in diesem Sinne ethisch vertret-bar ist. Bis Frühjahr 2012 hat das RKI auf diese Weise seit Bestehen des Stammzellgesetzes 70 Projekte genehmigt. Insgesamt arbeiteten 54 Wissenschaftlergruppen zu diesem Zeit-punkt mit humanen ES-Zellen.

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9StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE

im Labor gestaltet sich oft schwierig. Die Vorteile: Weil sie im erwachsenen Körper vorkommen, sind sie nicht nur ethisch unproblematisch, sondern auch einfacher für therapeutische Zwecke nutzbar. So könnten adulte Stammzellen direkt vom Patienten gewonnen und für eine Behandlung optimiert werden. Ihr Einsatz führt auch nicht zu Abstoßungen durch das Immunsystem. So arbeiten Forscher derzeit unter anderem daran, adulte Stammzellen bei der Behandlung von Herzinfarkt einzusetzen – zum Beispiel an der Universität Frankfurt sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München. In Rostock wurde darüber hinaus mit Unterstützung des BMBF ein eigens darauf spezialisiertes Zentrum eingerichtet (vgl. Kapitel Herz und Translation).

Eine besonders reiche und gut zugängliche Quelle für adulte Stammzellen ist das Knochenmark. Hier kommen unter anderen die Blutstammzellen vor und die mesenchymalen Stammzellen, die Vor-läuferzellen für Knorpel-, Fett- und Knochengewebe darstellen. Gerade die mesenchymalen Stammzellen haben in den vergangenen Jahren die Aufmerksam-keit der Forscher auf sich gezogen: Innerhalb der Gruppe der adulten Stammzellen scheinen sie beson-ders vielseitig zu sein und setzen in ihrer Umgebung offenbar einen Cocktail an Wachstumsfaktoren frei, der die Heilung verschiedener Gewebe anregen kann.

Als weitere Quelle für adulte Stammzellen kommt das Nabelschnurblut von Neugeborenen in Frage. Hierin finden sich besonders junge, ver-mehrungsfähige Gewebestammzellen, die sich in vergleichweise viele Körperzelltypen differenzieren können. Sie haben die Fähigkeit, sich neben Blutzel-len auch zu Nerven, Leber, Muskel, Knochen- oder In-selzellen zu entwickeln. Doch in jeder Nabelschnur stecken nur etwa 50 Milliliter Blut, zu wenig für eine spätere Therapie. In einem vom BMBF geförderten Forschungsverbund suchen Wissenschaftler aus Würzburg, Aachen und Hannover deshalb nach Re-zepten, mit denen sich die Zahl der Stammzellen aus dem Nabelschnurblut vervielfachen lässt.

Reprogrammieren als neuer weg

Weder embryonale noch adulte Stammzellen haben Forscher bislang komplett zufriedengestellt. Aus diesem Grund wird seit langem nach Alterna-tiven gesucht – zum Beispiel, indem Zellen künst-lich in eine Art embryonalen Alleskönnerzustand

Adulte Stammzellen in Kultur.

zurückversetzt werden. Diese „Reprogrammierung“ ist japanischen Forschern im Jahr 2006 erstmals ge-lungen. Sie wandelten ausgereifte Hautzellen von Mäusen durch gentechnische Tricks so um, dass sie sich wie embryonale Stammzellen verhielten. Das künstlich erzeugte Ergebnis nannten sie induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen). Die dama-ligen Experimente haben für einen Paukenschlag in der Wissenschaft gesorgt. Denn das Rezept für die Verwandlung ist fast zu einfach, um wahr zu sein: Lediglich ein Cocktail aus den vier Genen namens Oct4, Sox2, c-Myc und Klf4 wurde mithilfe von Viren in die Körperzellen eingeschleust. Dies reichte aus, um in den ausgereiften Zellen eigent-lich stillgelegte Erbgutabschnitte zu aktivieren und so das embryonale Genaktivitäts-Programm wieder anzuschalten.

Im Jahr 2007 gelang den japanischen Forschern dieselbe Verjüngungskur auch bei menschlichen Hautzellen. Seither entwickelt sich die Reprogram-mierungstechnik in rasantem Tempo weiter und wird immer praxisfreundlicher und sicherer: Ein deutsches Team um Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster hat es geschafft, adulte Stammzellen von Mäusen und Menschen nur mit einem Gen (Oct4) zu iPS-Zellen umzuprogrammieren. Dann schafften es die For-scher, beim Einschleusen der Faktoren auf Viren als Genfähre und andere gentechnische Methoden zu verzichten. Offenbar reicht es aus, die Verjün-gungsfaktoren in Form von Proteinen den Zellen zu verabreichen, um sie zu reprogrammieren. Aus diesem Grund nannten sie die verwandelten Zellen protein-induzierte pluripotente Stammzellen (piPS).

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11StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE

Nun tüfteln Stammzellforscher weltweit an wei-teren Verfahren, um die Herstellung von iPS-Zellen effizienter zu machen. Denn im Labor wird ungefähr nur bei einem Prozent der behandelten Zellen eine Reprogrammierung erreicht. Gleichzeitig wird derzeit ausgiebig getestet, wie ähnlich sie in ihren Ei-genschaften den natürlichen pluripotenten Stamm-zellen wirklich sind. Die Weiterentwicklung der iPS-Technologien steht auch im Fokus des künftigen Centrums für angewandte Regenerationstechnolo-gien (CARE), das an das Münsteraner Max-Planck-In-stitut für molekulare Biomedizin angedockt sein soll.

Den iPS-Zellen wird ein hohes Potenzial zuer-kannt, denn die Forschung an ihnen vermeidet den Verbrauch menschlicher Embryonen zur Generie-rung neuer Stammzelllinien. Da die iPS-Zellen aus winzigen Gewebeproben der Patienten selbst gewon-nen werden können, werden aus ihnen hergestellte Zellen bei einer späteren Therapie nicht vom Immun-system als fremd erkannt. Neuere Studien haben im

Europäisches Stammzellregister

Forscher, die in Deutschland an menschlichen ES-Zellen forschen wollen, können diese ge-mäß dem Stammzellgesetz aus dem Ausland importieren. In anderen EU-Ländern, wie Bel-gien, Spanien, Großbritannien und Schweden, ist die ES-Zellgewinnung hingegen erlaubt. Einmal hergestellt, lassen sich ES-Zellen nahe-zu beliebig lange in Form sogenannter Zellli-nien aufbewahren und verschicken. Doch die existierenden Linien unterscheiden sich erheb-lich in Alter und Qualität. Um Forschern einen Überblick zu verschaffen, werden die Daten zu Zelleigenschaften in Internet-Datenbanken katalogisiert, eine davon ist das mit EU-Förder-mitteln aufgebaute europäische Stammzellre-gister hESCreg, das vom Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) und einer Stammzell-Einrichtung in Barcelona geführt wird. Hier sind mehr als 650 ES-Zellli-nien verzeichnet. Forscher können so prüfen, ob die verfügbaren Zellen zu ihren Experi-menten und zu ihrer Gesetzeslage passen.

Mehr Informationen: www.hescreg.eu

Künstlich erzeugte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) ballen sich zu einer Kolonie zusammen.

Tierexperiment ergeben, dass auch von iPS-Zellen abgeleitetes Gewebe in manchen Fällen Immunre-aktionen hervorrufen kann, was Forscher vor allem auf die Herstellungsmethoden zurückführen. Ein weiteres Problem: Die verwendeten Körperzellen der Patienten haben durch den Alterungsprozess bereits Mutationen in ihrer Erbinformation angesammelt.

Das Beispiel zeigt: Die alternativen Verfahren zur Herstellung pluripotenter Stammzellen sind noch junge Entwicklungen. Es besteht noch reichlich Forschungsbedarf, um sie differenziert bewerten zu können. Noch ist nicht klar, wie sicher diese Zel-len bei einem möglichen therapeutischen Einsatz wären und ob sie tatsächlich mit humanen ES-Zellen vergleichbar sind. Um herauszufinden, welcher Zelltyp sich als „Goldstandard“ für bestimmte Fra-gestellungen durchsetzen wird, verfolgen Forscher weltweit verschiedene Ansätze und vergleichen sie miteinander.

Gleichzeitig geht auch die Suche nach weiteren Stammzellquellen im Körper voran. Ein Beispiel sind amniotische Stammzellen, die sich in großer Zahl im Fruchtwasser wiederfinden. Für ihre Gewinnung ist weder die Arbeit mit Embryonen, noch eine Repro-grammierung notwendig. Ob diese Zellen jedoch über ein vergleichbares Differenzierungspotenzial wie ES- oder iPS-Zellen verfügen, ist noch unklar. Eine neue Entwicklung aus den Stammzelllabors ist die direkte Reprogrammierung. Hierbei ist es gelungen, durch genetische und biochemische Kommandos verschiedene Zelltypen ineinander umzuwandeln, ohne den Umweg über Stammzel-len zu gehen. So ist es bereits gelungen, Hautzellen direkt in Nervenzellen umzuwandeln. Die Stamm-zellforschung bleibt ein hochdynamisches Feld der biomedizinischen Forschung.

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12 StaMMZEllEn: ZElluläRE MultItalEntE

wie sich Stammzellen für die Medizin nutzen lassen

Stammzellen haben ein vielseitiges Potenzial für die Medizin. Biomediziner wollen sie im Labor gezielt zu einem speziellen Zelltyp oder zu Geweben heranreifen lassen. Wenn diese Re-zepturen ausreichend sicher sind, dann sehen Experten drei Anwendungsbereiche:

Krankheitsmodelle in der Petrischale: Krankheiten können besser erforscht werden, da die betroffenen Zelltypen eines Patienten mi-hilfe von Stammzellen im Labor herangezüchtet und beobachtet werden können. Forscher kön-nen so den Stoffwechsel und die Genaktivität in kranken Zellen untersuchen und die moleku-laren Ursachen der Krankheiten besser verste-hen. Vor allem schwierig zu erforschende Leiden wie die Amyotrophe Lateralsklerose, Krebs oder Schizophrenie werden so besser zugänglich.

wirkstoffsuche und arzneitests: An aus Stammzellen gezüchteten Herz-, Le-ber- oder Nervenzellen lassen sich chemische Substanzen und Medikamente auf Giftigkeit und andere Nebenwirkungen in hoher Stückzahl testen. So können Pharmahersteller schon früh in der Medikamentenentwicklung aussagekräf-tigere Schlüsse ziehen und womöglich Tierver-suche reduzieren. Eine Vision für die personali-sierte Medizin: An nachgezüchteten Zellen eines Patienten könnte man durch Tests ermitteln, welche Therapie zu ihm am besten passt.

Zelltherapie: a) Embryonale Stammzellen: Bei Erkrankungen wie Parkinson, Herzinfarkt oder Diabetes wer-den ganz bestimmte Zelltypen im Körper zer-stört und können sich nicht von alleine regene-rieren. Im Labor nachgezüchtete Zellen sollen in die betroffenen Organe transplantiert werden, um dort die verlorengegangene Funktion zu ersetzen. Bisher sind auf ES-Zellen aufbauende Zellersatztherapien vor allem an Tiermodellen durchgeführt worden. Für den Einsatz beim Menschen sind noch viele Sicherheits- und Nutzenaspekte zu klären. Erste Patientenstu-dien mit ES-Zellpräparaten sind jedoch bereits gestartet.

b) Adulte Stammzellen: Eine klinische Anwen-dung von adulten Stammzellen ist bei der Behandlung von Leukämien bereits seit Jahr-zehnten klinische Routine. Durch die Transplan-tation von immunologisch passenden Stammzel-len eines Spenders kann das Blutbildungssystem eines Krebskranken wieder neu aufgebaut werden. Körpereigene Stammzellen aus dem Knochenmark scheinen sich zudem – in krankes Gewebe injiziert – für eine Therapie zu eignen, indem sie vor Ort die körpereigene Regenerati-on ankurbeln. Eine weitere mögliche Anwen-dung: Forscher wollen Stammzellvorkommen in erkrankten Organen durch Medikamente von außen gezielt zur Teilung anregen, um so die Regeneration zu fördern.

c) induzierte pluripotente Stammzellen: Noch ist unklar, ob sich diese umprogrammierten Zellen direkt für therapeutische Zwecke nutzen las-sen. Vermutlich werden iPS-Zellen eher bei der Wirkstoffsuche und für Arzneitests zum Einsatz kommen.

Aus Stammzellen wollen Forscher Beta-Zellen gewinnen, die in der Bauchspeicheldrüse für die Produktion von Insulin sorgen.

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13REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn

Regenerationstechnologien: Helfer für die Medizin

Die Regenerative Medizin zielt darauf ab, geschädigte Zellen, Gewebe oder organe im Körper zu ersetzen oder zu erneuern, um sie wieder funktionstüchtig zu machen. Diese Verfahren bedienen sich lebender Zellen, die im labor herangezüchtet werden müssen. Dabei kommt ein vielseitiger Mix an Metho-den aus der Zell- und Molekularbiologie sowie den Ingenieurs- und Materialwissen-schaften zum Einsatz, die unter dem oberbe-griff Regenerationstechnologien zusammen-gefasst werden können.

Innerhalb der Regenerativen Medizin wollen Wissenschaftler nicht nur verstehen, wie Selbsthei-lungsprozesse des Körpers funktionieren. Sie wollen dieses Wissen auch gezielt anwenden, um erkrank-te oder verletzte Zellen, Gewebe oder Organe zu heilen, teilweise wieder herzustellen oder ihre Regeneration zu unterstützen. Mit diesem Ansatz verbinden Ärzte nicht nur die Hoffnung, aufwen-dige Organtransplantationen, rein technische Lösungen wie Prothesen oder etwa lebenslange Me-dikamententherapien zu vermeiden. Bisher nicht behandelbare Erkrankungen oder Verletzungen sollen – so die Hoffnung – auch aus eigener Kraft geheilt werden.

Aus Polymeren lassen sich feine Fäden spinnen, die mit lebenden Zellen besiedelt werden können.

Wichtigstes Werkzeug der Regenerativen Medizin sind lebende Zellen, die für den Einsatz in einer Therapie noch mit Wirkstoffen oder Biomaterialien kombiniert werden. Die Zellen werden entwe-der selbst innerhalb des Körpers zur Erneuerung angeregt oder aber im Labor zu Ersatzgewebe herangezüchtet. Für die Entwicklung dieser neu-artigen Behandlungsstrategien arbeiten Forscher aus den verschiedensten Wissenschaftszweigen zusammen – von der Biomedizin, der Biomaterial-forschung, den Ingenieurswissenschaften bis hin zu einzelnen Disziplinen in der Chirurgie.

Zu den Regenerationstechnologien werden vier wichtige Bereiche gezählt :

• Gewebeherstellung (tissue Engineering)

• Zelltherapie

• anregung körpereigener Regeneration (induzierte autoregeneration)

• Gentherapie

Für die Regenerative Medizin ist das Heranzüchten von einzelnen Zellen und Zellverbänden im Labor von zentraler Bedeutung. Sie können einerseits als Ersatzgewebe eingesetzt werden, andererseits aber auch als Modell dienen, um die Funktionsweise von Organen besser zu verstehen. Darüber hinaus eignet sich im Labor erstelltes Gewebe auch für Me-dikamententests, um Nebenwirkungen im Modell zu erforschen (vgl. Kapitel Neue Tests), oder für die Suche nach neuen Wirkstoffen in der Medizin. Die künstliche Herstellung von Geweben in der Kul-turschale wird Tissue Engineering genannt. Dieses auch als in vitro -Gewebezüchtung bezeichnete Feld ist ein noch junges Forschungsgebiet. Erst 1975 gelang es Forschern, menschliche Hautzellen im Labor künstlich zu vermehren. Seitdem macht die Disziplin große Fortschritte. Heute wird versucht, möglichst dreidimensionale, organähnliche Gebil-de aus verschiedenen Gewebetypen nachzuahmen. Für einige einfach aufgebaute Ersatzgewebe wie die Oberhaut, Knochen und Knorpel hat die aufwen-dige Gewebetechnik bereits erste klinische Verfah-ren hervorgebracht. Doch das Züchten von Zellen und ihre Kultivierung im Labor ist ausgesprochen schwierig und technisch anspruchsvoll. Dafür müs-

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14 REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn

tissue Engineering – wie Gewebe im labor gezüchtet wird

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Implantation4.

Besiedelung und Wachstum im Bioreaktor

3.

Zellvermehrung2.

Biopsie,Zellisolierung1.

sen unterschiedliche Experten aus Lebenswissen-schaften, Material- und Ingenieurswissenschaften zusammenarbeiten.

So genannte biologisch-künstliche (bioartifizielle) Gewebe oder Organe werden in drei Schritten herge-stellt (siehe Grafik oben): Zellen eines bestimmten Typs werden zunächst gewonnen und vermehrt. Im Labor werden sie auf speziellen Gerüstmaterialien angesiedelt. In Kultursystemen, den sogenannten Bioreaktoren, werden die Zellen versorgt und zu Gewebeverbänden herangezüchtet, bis sie als funk-tionstüchtiges Transplantat wieder in den Patienten zurückverpflanzt werden können.

Die Gewinnung von Zellmaterial ist beim Tissue Engineering der entscheidende Ausgangspunkt. In der Regel werden organspezifische Zellen verwen-det, die vom Patienten selbst stammen. Diese – auch autolog genannten – Zellen liefern letztlich Trans-plantate, die vom Körper nicht abgestoßen werden. Stammen die Zellen von anderen Menschen- wie

etwa bei embryonalen Stammzellen, spricht man von allogenen Zellen. Zellen von Tieren, die für Menschen verwendet werden, nennen sich xenogene Transplantate. Hierzu gibt es inzwischen auch ein eigenes Forschungsgebiet – die Xenotransplantation.

Geeignetes Zellmaterial für Gewebetechnolo-gen zu finden, ist nicht so einfach. So gestaltet sich zum Beispiel die Verwendung von ausgereiften Gewebezellen meist schwierig: Sie sind oft nur mit hohem Aufwand zu gewinnen, noch dazu haben sie ihre Teilungsfähigkeit weitgehend verloren und lassen sich deshalb in der Petrischale nur langsam vermehren. Die Hoffnung der Zellingenieure richtet sich daher vor allem auf Stammzellen als Quelle, da sich diese in verschiedene andere Zelltypen ver-wandeln lassen (vgl. Kapitel Stammzellen). Trotz er-folgsversprechender Ansätze gibt es hier allerdings noch etliche Probleme zu lösen. Denn Stammzellen, egal in welcher Vielseitigkeit sie vorliegen, müssen mit geeigneten Rezepturen zuverlässig und voll-ständig in einen gewünschten Zelltyp verwandelt

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15REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn

werden, ohne ein unstetes oder gar gefährliches Eigenleben zu entwickeln.

Entscheidend für den Gewebezüchtungserfolg ist auch das eingesetzte Trägermaterial. Siedelnde Zellen benötigen den Kontakt zu einer solchen Struktur, um tatsächlich wachsen zu können. Im Körper übernimmt diese Rolle als Trägerstruktur die sogenannte extrazelluläre Matrix, ein komplexes Netzwerk aus Eiweißen und Kohlenhydraten. Die extrazelluläre Matrix enthält wichtige Biomoleküle und Anhaftungsstellen, die dafür sorgen, dass sich Zellen richtig entwickeln. Bioingenieure und Werk-

stoffwissenschaftler wollen dieses natürliche Vorbild im Labor so gut wie möglich nachahmen: Dazu werden Trägermaterialien verwendet, die natürlichen (auch tierischen) oder synthetischen Ursprungs sind. Zum Einsatz kommen Hydrogele, Kollagene, mineralische Substanzen wie Calciumphosphate oder Keramiken wie Aluminiumoxid. In manchen Fällen formen diese Materialien poröse Strukturen, mit zahlreichen Hohl-räumen wie bei einem Schwamm. Zellen fühlen sich in solchen Nischen und Höhlen besonders wohl. Als Trä-germaterial werden auch Gewebe von Schweinen und Rindern benutzt. Mit einer Waschlösung werden die tierischen Zellen komplett aus einem Organ entfernt,

Biomaterialien: Maßgeschneiderte werkstoffe für die Regenerative Medizin

Für nahezu alle Techniken der Regenerativen Medizin werden Biomaterialien benötigt. Darunter werden synthetische Hightech-Werk-stoffe verstanden, die in Kontakt mit lebendem Körpergewebe kommen. Meist sind sie mit biolo-gisch aktiven Molekülen beladen, damit sie von Zellen und Geweben nicht abgestoßen werden und sich möglichst gut in den Körper einpassen. Biomaterialien dienen in der Gewebezüchtung als Trägergerüst (Matrix), auf denen sich Zellen ansiedeln können. Außerdem werden sie für biologisch abbaubare Implantate eingesetzt, die zum Beispiel bei Knochendefekten vorüberge-hend als Lückenfüller und Wachstumsleitschie-ne dienen. Auch bei der gezielten Verabreichung von Medikamenten und Wirkstoffen (Drug Delivery) im menschlichen Körper kommen Biomaterialien zum Einsatz. Hier tüfteln Mate-rialwissenschaftler an intelligenten Wirkstoff-depots. Künstliche Kapseln sollen empfindliche Signaleiweiße in den Körper transportieren, sich dann vor Ort öffnen und so die Selbstheilungs-kräfte des Körpers aktivieren.

Forscher um Andreas Lendlein vom Teltower Zentrum für Biomaterialentwicklung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht setzen zum Beispiel auf Polymere als Ausgangsstoff für ihre Entwicklungen, die als sogenannte Formgedächtnis-Kunststoffe dienen. Auf einen Wärme- oder Lichtreiz hin ändern diese intelli-genten Polymere ihre dreidimensionale Gestalt.

Polymere haben Materialeigenschaften, die sich für Anwendungen in der Regenerativen Medizin nutzen lassen.

Sie können sich also quasi per Knopfdruck verformen und setzen dann Wirkstoffe je nach Bedarf frei. Wichtig beim Design der neuar-tigen Kunststoffe: Um für den späteren Einsatz in einem Gewebe maßgeschneidert zu sein, müssen oftmals die Oberflächen der Polymere verändert werden – zum Beispiel zur Veranke-rung biologisch aktiver Moleküle. So haben die Teltower Forscher Materialien hergestellt, auf denen hornhautbildende Zellen (Keratinozyten) gut wachsen, die bindegewebsbildenden Fibro-blasten jedoch nicht.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Translations-zentren in der Regenerativen Medizin“: „Berlin-Brandenburg Center for Regenerative Therapies“Partner: Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Biomaterialentwicklung, Teltow

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16 REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn

übrig bleibt nur noch die tote Gerüstsubstanz der ex-trazellulären Matrix. Auch aus menschlichen Geweben gewinnen Biomediziner solche Trägerstrukturen, um sie für die Herstellung biologisch-künstlicher Implan-tate zum Beispiel mit Blutgefäßzellen zu besiedeln (vgl. Kapitel Herz). Materialwissenschaftler beschichten oder tränken die Trägersubstanzen noch zusätzlich mit Bio-molekülen oder Wachstumsfaktoren, um den darauf siedelnden Zellen so gut wie möglich eine natürliche und reizvolle Umgebung vorzugaukeln.

Bioreaktoren: Gewächshäuser für Gewebe

Damit die Zellen unter optimalen Bedingungen in einer Nährlösung gedeihen können, werden sie in sogenannten Bioreaktoren herangezüchtet. Das sind Behälter, die mit komplizierter Elektrotechnik für die Steuerung und Datenanalyse ausgestattet sind. Für ihre Entwicklung ist die Expertise von Ingeni-euren und Materialwissenschaftlern gefragt. Die Hightech-Bioreaktoren stellen sicher, dass die nötige Temperatur, der pH-Wert und die Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff gegeben sind. So wird eine kontrollierte und reproduzierbare Züchtung möglich. Einige Kultursysteme bieten außerdem noch die Möglichkeit, auf die Zellen während des Wachstums chemischen oder mechanischen Stress auszuüben. Mechanischer Stress in Form von Zug- und Druckbelastung führt beispielweise dazu, dass sich Knochenmarkstammzellen zu Knochengewebe hin ausbilden. Bei der Züchtung von biokünstlichen Herzklappen stellt das Anlegen pulsierender Stöße wie bei einem Krafttraining die Ausbildung funk-tionstüchtiger Gewebe sicher, so dass die Klappen auch nach der Implantation in den Patienten den im Körper vorherrschenden Belastungen gewachsen sind. Für eine Vielzahl von Geweben oder Organen entwickeln Bioingenieure derzeit Prototypen und Modelle. Es geht ihnen darum, möglichst dreidimen-sionale Gewebekulturen zu konstrurieren, die wie in der Natur aufgebaut sind. Dadurch entsteht aller-dings die große Herausforderung, ausreichende Ver-sorgung der lebenden Kunstorgane mit Blutgefäßen und einem Blutstrom zu erreichen (vgl. S. 30 ff.).

Neben der Gewebezüchtung geht es in der Regenerativen Medizin oft darum, eine Therapie zu entwickeln, die auf lebenden Zellen basiert. Diese werden dabei wie eine Art Arzneimittel verwendet und in die geschädigten Körpergewebe gespritzt. Dort sollen sie sich möglichst in den benötigten Zell-typ entwickeln und sich integrieren, um letztlich

Forscher in Aachen entwickeln Bioreaktoren, mit deren Hilfe im Labor gezüchtete Herzklappen auf ihren Einsatz im Körper getrimmt werden.

die verlorengegangene Funktion wiederherzustel-len oder die Regeneration anzukurbeln.

Zumindest eine Form der Zellersatztherapie ist mittlerweile zu einem erfolgreichen Routinever-fahren in der Medizin geworden: Die Transplanta-tion von Blutstammzellen aus dem Knochenmark. Akute Leukämien zählen zu den aggressivsten aller Krebsleiden. Oft kann den Betroffenen nur mit einer intensiven Chemo- und Strahlentherapie geholfen werden. Dabei werden unweigerlich das blutbil-dende System und das Immunsystem zerstört. Als Ersatz werden dem Patienten gesunde Blutstamm-zellen übertragen, sie siedeln sich selbstständig im Knochenmark wieder an und bauen ein völlig neues Blutbildungssystem auf, ebenso ein neues Immunsystem. Die Stammzellen kommen meist von einer fremden Person, die in ihren immunolo-gischen Gewebemerkmalen möglichst gut mit dem Erkrankten übereinstimmen muss. Die Abhängig-keit von einem passenden Spender ist neben den Ri-siken auch die wichtigste Hürde bei dieser Therapie. Um die Suche zu erleichtern, haben verschiedene Institutionen in Deutschland sogenannte Stamm-zellspenderregister aufgebaut, in denen die Gewe-bemerkmale zehntausender Spender erfasst sind.

Bei Zellersatztherapien für andere Organe und Gewebe stecken die Biomediziner noch in frühen Stadien der klinischen Forschung. In Frage für eine Zelltherapie kommen geschädigte Organe mit geringen Selbstheilungsfähigkeiten und wenigen vorhandenen Zelltypen wie etwa das Herz, das Gehirn oder Knorpel (vgl. die jeweiligen Kapitel

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17REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn

in dieser Broschüre). Adulte Stammzellen aus dem Knochenmark scheinen einen anderen, vielver-sprechenden therapeutischen Effekt zu haben: In herzinfarktgeschädigtes Gewebe injiziert, setzen sie vorübergehend einen Cocktail an Wachstums-faktoren frei, der offenbar die Regeneration und die Durchblutung anregen kann (vgl. S. 26ff.).

Hilfestellung für die Selbstheilung

Ein weiterer Ansatz verbirgt sich hinter dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Fachleute sprechen hierbei von „induzierter Autoregeneration“. Durch bestimmte medikamentöse oder medizintechnische Verfahren sollen im Körper Heilungs- und Erneuerungspro-zesse angeregt und unterstützt werden. Dazu kön-nen biologisch abbaubare Trägermaterialien, die mit bestimmten Wachstums- und Lockstoffen bela-den werden, in die geschädigten Gewebe implan-

tiert werden. Für die Regeneration von Nervenfa-sern werden zum Beispiel sogenannte Leitschienen erprobt (vgl. Kapitel Nerven). Sie sollen als Lotsen dafür sorgen, dass durchtrennte Nervenbahnen im Körper wieder zueinander finden und miteinander verwachsen. Nach mehreren Monaten werden die Materialien vom Körper abgebaut.

Die nähere Erforschung und das bessere Ver-ständnis von Stammzellvorkommen im Körper hat auch zu neuen Strategien für eine regenerative Therapie geführt, die einmal komplett ohne chi-rurgischen Eingriff auskommen könnte. Die Vision ist es, zum Beispiel neurale Stammzellen im Gehirn durch Medikamente ganz gezielt anzuregen, so dass sie sich verstärkt teilen und neues Gewebe hervorbringen. So könnten damit vielleicht Par-kinson-Patienten in ihren Gehirnen selbst für den Nachschub an Dopamin-produzierenden Nerven-

Künstlich nachgebaut: Ein Zuhause für Stammzellen

Stammzellen halten sich im Körper in sogenann-ten Nischen auf. Hier sind sie in eine Umgebung eingebettet, die ihnen Halt gibt und verschiedene Signale an die Stammzelle sendet. So wird ge-währleistet, dass die Zellen ihre Stammzelleigen-schaften behalten. Verlassen die Zellen die Nische, so beginnen sie sich zu spezialisieren.Um Stammzellen noch besser im Labor kultivieren und steuern zu können, tüfteln Forscher daran, die Wachstumsbedingungen zu verbessern. Ein Ziel ist es dabei, die Stammzellnischen des Körpers so gut wie möglich nachzuahmen. Forscher um

Materialwissenschaftler wollen die mechanischen und bioche-mischen Eigenschaften von Stammzellnischen nachahmen.

Carsten Werner vom Centrum for Regenerative Therapies (CRTD) in Dresden versuchen mithilfe von Polymermaterialien, die Stammzellnische von sogenannten mesenchymalen Stammzel-len, die im Knochenmark vorkommen, im Labor nachzubauen. Dazu werden Silikongerüste mit winzigen Vertiefungen hergestellt. Die Oberflä-che der Vertiefungen wird mit bestimmten Poly-meren und Wachstumsfaktoren beschichtet, die die natürliche Umgebung einer Stammzelle im Körper besonders lebensecht nachbilden sollen. Die Vertiefungen sind so klein, dass jeweils nur eine einzelne Stammzelle hineinpasst und diese die Nischenwände direkt berührt. So können die Forscher nicht nur die Stammzellentwicklung in der künstlichen Nische genau studieren und beeinflussen. Die Forscher um Werner hoffen, mit der neuen Kulturmethode Spenderstammzellen im Labor vermehren zu können.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Zellbasierte, regenerative Medizin“:„Materialien zur Isolation, Expansion und Differen-zierung mesenchymaler Stromazellen“ (2009-2012) Partner: Zentrum für Regnerative Therapien Dres-den (CRTD)

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18 REGEnERatIonStEcHnoloGIEn: HElFER FÜR DIE MEDIZIn

wie eine Gentherapie abläuft

Genfähre (Virus)

Stammzelle mit defektem Gen

Infusion der gentherapeutisch

veränderten Stammzellen

4.

Entnahme der Stammzellen

1.

Zelle mit dem korrigierten Gen

3.

Einschleusen des intakten Gens

2.

zellen sorgen, an denen es ihnen mangelt. Forscher versuchen auch mithilfe bestimmter Signalmo-leküle, Stammzellen aus dem Knochenmark über das Blut in bestimmte Organe zu locken, wie etwa Herzen, die durch einen Infarkt geschädigt wurden. Solche Lockstoffe werden zum Beispiel in geeignete Biomaterialien verpackt und gezielt freigesetzt.

Gezielt Erbanlagen reparieren

Als eine völlig andere Regenerationstechnologie gilt die Gentherapie, die wie eine Art Gen-Ersatztherapie funktioniert. Sie zielt darauf ab, defekte Erbanlagen in Körperzellen eines Erkrankten mithilfe von gen-technischen Methoden wieder zu reparieren. Dazu wird in betroffenen Zellen eine gesunde Version des fehlerhaften Gens einschleust (siehe Grafik oben). Die Einsatzgebiete für eine Gentherapie liegen vorran-gig in der Behandlung von Erbkrankheiten, die auf Defekten in einzelnen Genen beruhen, oder etwa bei Krebs, wo kranke Zellen gezielt zerstört wer-den sollen. Knackpunkt bei der Gentherapie ist die richtige Auswahl und Entwicklung der sogenannten Genfähre, mit dem der gesunde Erbgutabschnitt in die Zelle eingebracht werden kann. Die wirkungs-vollsten Erbmaterial-Einschleuser sind Viren, die diesen Mechanismus sonst dazu brauchen, um ihr Genom im Körper zu verteilen. Die sogenannten Retroviren laden ihre genetische Fracht besonders effektiv in Zellen ab, die sich gerade teilen. Deshalb sind Stammzellen ein wichtiges Ziel für Genthera-peuten, denn diese sind besonders teilungsfreudig.

Noch dazu geben Stammzellen ihre genetischen Veränderungen an ihre Nachfahren weiter. Wäh-rend in den Anfängen der Gentherapie-Forschung die Euphorie zunächst sehr groß war, hat sich inzwi-schen herausgestellt, dass die Verfahren doch sehr kompliziert und risikobehaftet sind. Besonders in den 1990er Jahren gab es einige harte Rückschläge bei der Behandlung von Patienten mit Gentherapien, die in einigen Fällen sogar zum Tod geführt haben. Doch die Forschung hat in den letzten Jahren wieder einige Schritte nach vorne gemacht. So wurden zum Beispiel neue Genfähren entwickelt, von denen deut-lich weniger Gesundheitsrisiken ausgehen. Auch deutsche Forscher in Heidelberg, Frankfurt, Ulm, Berlin und München sind sehr aktiv daran beteiligt, die Gentherapie voranzutreiben. Im Visier haben die Wissenschaftler zum Beispiel Immundefekte. Diese könnten gezielt in Stammzellen, die aus dem Knochenmark entnommen und entsprechend modi-fiziert wurden, korrigiert werden.

Ob Tissue Engineering, Biomaterialien, Zellthe-rapie oder Gentherapie – in der Erforschung von Re-generationstechnologien nimmt Deutschland eine Spitzenposition ein. Aus diesem Grund konnten bereits vielversprechende Behandlungsstrategien für vielfältige Anwendungsfelder wie Haut, Herz, Leber, Knochen oder Nerven entwickelt werden. Allerdings bedarf es vielfach noch einer klinischen Prüfung, ob die Erkenntnisse aus dem Labor tat-sächlich in die klinische Praxis übertragen werden können. Diese Translation ist in der Regenerativen Medizin eine besondere Herausforderung (vgl. S. 46ff.). Eine Anwendung, die vermutlich früher rou-tinemäßig zum Einsatz kommt, sind Testsysteme, die auf der Basis von gezüchteten Zellen etabliert werden (vgl. S. 42ff.).

Eines gilt allerdings für alle Anwendungen: Ein wichtiger Innovationsmotor für die Regenerative Medizin sind kleine und mittlere Biotechnologie-Unternehmen, die – oftmals unterstützt vom BMBF – Ergebnisse aus den Forschungseinrichtungen in Produkte für den Markt entwickeln.

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19ZEBRaFIScH unD SalaManDER: Von MoDEllEn lERnEn

Zebrafisch und Salamander: Von Modellen lernen

ob Plattwurm, Zebrafisch oder Salamander – viele tiere haben erstaunliche Selbsthei-lungskräfte. Ihnen wachsen abgetrennte Köpfe oder Schwänze zügig wieder nach, Verletzungen im Gehirn heilen von selbst. Forscher wollen von diesen Fähigkeiten lernen, wie die Regeneration bei organen im Detail abläuft. Für Stammzellforscher wiede-rum sind Experimente an Mäusen unverzicht-bar – als Modell für Vorgänge im Menschen.

Um den Grundlagen der Regeneration auf die Spur zu kommen, ist es wichtig, ihre natürlichen Abläufe im Detail zu verstehen. Welche Mechanismen laufen bei der Erneuerung von Geweben und Organen ab, welche Eiweiße und Gene spielen eine Rolle? Wie ist das Regenerationsprogramm aufeinander ab-gestimmt? Woher wissen die Zellen, wie sie sich wo entwickeln sollen? Für solche Fragestellungen haben sich Entwicklungsbiologen einige Lebewesen mit erstaunlichen Regenerationsfähigkeiten ausgesucht. Diese Modellorganismen können nicht nur Verlet-zungen aus eigener Kraft gut und schnell reparieren. Gleichzeitig kann man mit ihnen in großer Zahl experimentieren, genetische Studien durchführen, und ihre nachwachsenden Gewebe lassen sich genau unter dem Mikroskop beobachten. Letztlich wollen die Grundlagenforscher durch Studien an Modelltie-ren auch besser verstehen, wie man Regenerations-vorgänge beim Menschen auslösen, begünstigen und

Entwicklungsbiologen nutzen Zebrafische sehr gern als Modelltiere. Sie sind in der Lage, Verletzungen im Gehirn zu regenerieren .

steuern kann – vor allem in Organen wie dem Gehirn und dem Herzen.

Zu den in der Forschung genutzten Modelltieren gehören unter anderem Organismen, die leicht zu übersehen sind: Plattwürmer (Planarien). Sie werden nur wenige Millimeter bis Zentimeter groß, leben im Meer und in Flüssen. Doch die Winzlinge besitzen herausragende Regenerationsfähigkeiten: Abgetrennte Köpfe oder Schwänze wachsen zügig wieder nach, und aus einem amputierten Körperteil geht selbst ein vollständiger, lebensfähiger Platt-wurm hervor. Kein Wunder: Selbst in erwachsenen Tieren sind nahezu 30 Prozent der Zellen Stamm-zellen. Diese Neoblasten sind ähnlich wandlungs-fähig wie embryonale Stammzellen und können ein Wurmleben lang die verschiedensten Zelltypen hervorbringen. Deswegen haben die Planarien mittlerweile ihren festen Platz in den Labors der Regenerationsforscher gefunden. Mithilfe des Mo-dellorganismus Schmidtea mediterranea studieren Entwicklungsbiologen die molekularen Eigen-schaften der Plattwurmstammzellen und fahn-den nach Faktoren, die die Regeneration bei den Würmern in Gang setzen. Viele der Planariengene ähneln denen des Menschen. Die Forscher erhoffen sich deshalb auch Erkenntnisse über die humane Stammzellbiologie.

Zebrafische regenerieren Herz und Gehirn

Zu den beliebtesten Modelltieren unter Forschern gehört der Zebrafisch. Was den Zebrabärbling Danio rerio als Wirbeltier zum idealen Forschungs-objekt macht: Der Fisch ist als frischgeschlüpfter Embryo durchsichtig. Zellstrukturen und -bewe-gungen lassen sich in der frühen Entwicklungspha-se deshalb direkt unter dem Mikroskop betrachten. Außerdem ist der Zebrafisch leicht auf engem Raum zu züchten und gut für genetische Experimente geeignet. In gentechnisch veränderten Fischen kön-nen Forscher beispielweise bestimmte Zelltypen mit einem grün leuchtenden Eiweiß markieren und so deren Entwicklung genau verfolgen. Auch der Ze-brabärbling besitzt beeindruckende Selbstheilungs-kräfte. So sind die Tiere in der Lage, Verletzungen im Gehirn zu regenerieren. Dabei erlangen die Fische schon wenige Monate durch Selbstreparatur von Hirngewebe wieder alle Funktionen, die durch die Verletzung verlorengegangen sind. Der Schlüs-sel zu dieser Regenerationsfähigkeit sind offenbar neuronale Stammzellen, die im Fischgehirn verteilt

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20 ZEBRaFIScH unD SalaManDER: Von MoDEllEn lERnEn

sind, und die sich bei Bedarf dann in die passende Nervenzelle verwandeln können. Forscher vom Biotech-Zentrum der Technischen Universität Dresden interessieren sich dafür, wie dieses neuro-nale Ersatzteillager im Fischgehirn erhalten wird. Das Wissen über diese Vorgänge ist besonders für Alternsforscher interessant. Denn Säugetiere und der Mensch haben die Fähigkeit zur Regeneration von Nervenzellen in der Evolution nahezu komplett verloren. Der Vergleich mit den Fischen könnte also helfen zu verstehen, wie sich diese Fähigkeit vielleicht einst künstlich bei Menschen stimulie-ren lässt. Die Selbstheilungskräfte des Zebrafischs

beschränken sich aber nicht auf das Gehirn. Auch abgetrennte Teile des Herzmuskels oder der Flossen wachsen einfach wieder nach. Forscher vermuten, dass die Wundheilung beim Fisch etwas anders verläuft als beim Menschen. Das nach Verletzungen entstandene Narbengewebe, bei Menschen Hemm-schuh für eine weitere Regeneration, wird offenbar bei den Fischen wieder abgebaut und durch die je-weils passenden Zelltypen ersetzt. Forscher wollen mithilfe von Zebrafisch-Mutanten herausfinden, welche Faktoren diese besondere Wundheilung bei den Fischen steuern.

wie verlorene Salamanderbeine nachwachsen

Im Labor von Elly Tanaka tummeln sich in klei-nen Wassertanks hunderte Axolotl. Die Lurche werden ausgewachsen bis zu 30 Zentimeter groß. Die Forscherin ist schon seit vielen Jahren der erstaunlichen Selbstheilungskraft dieser mexi-kanischen Salamander auf der Spur. Ihre For-schungen wurden mit dem BioFuture-Preis des BMBF unterstützt. Am Zentrum für Regenerative Therapien in Dresden (CRTD) ist sie Professorin für „Tiermodelle der Regeneration“. Die Entwick-lungsbiologin sucht nach Genen und Eiweißen, mit deren Hilfe die Tiere verlorene Gliedmaßen und verletztes Rückenmark so perfekt nachbil-den können. Dazu hat sie ganz besondere Axolotl gezüchtet: Die meisten Lurche sind Albinos, in deren nahezu durchsichtigem Gewebe man die wundersamen Umbauprozesse genau betrachten kann. Andere Tiere sind gentechnisch verändert, sie tragen in bestimmten Zelltypen ein grünes Leuchtprotein (GFP). Mithilfe dieser Markie-rungen sind die Forscher in der Lage, das Schick-sal einzelner Zellen beim Nachwachsen genau zu verfolgen. Auf diese Weise hat Elly Tanaka mit ihrem Dresdner Forscherteam ein Geheimnis der Regeneration gelüftet: Lange dachte man, dass sich an Amputionsstellen beim Axolotl ein Zell-klumpen aus pluripotenten Stammzellen bildet, die sich je nach Bedarf zu dem benötigten Zelltyp spezialisieren und so das neue Glied aufbauen. Die Analysen an den leuchtenden Salamandern zeigten jedoch: Die Wundheilungszone besteht aus einem Gemisch verschiedener Vorläufer-

Der Axolotl ist das Wappentier der Regenerationsbiologie. Verlorene Gliedmaßen wachsen bei diesem Schwanzlurch völlig intakt nach.

zellen, die bereits sehr eingeschränkt in ihrem Entwicklungsvermögen sind. Für Tanaka ist das ein Hinweis darauf, dass man Zellen gar nicht bis in ihren Alleskönner-Zustand zurückversetzen muss, um eine Ersatz-Extremität wachsen zu las-sen. Die Zellen im Regenerationswunder Axolotl verhalten sich offenbar gar nicht so unterschied-lich zu denen von Säugetieren.

Projekt im BMBF-Wettbewerb BioFuture: „Identifizierung von Faktoren, die die Geweberege-nerierung initiieren“ (2004-2008); Advanced Grant des Europäischen Forschungs-rats ERC: „RegenerateAcross“ (2012-2016)

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Die Azteken nannten den ungewöhnlichen Urein-wohner Mexikos „Wassermonster“. Der Axolotl ist ein Salamander, der wie eine Art geschlechtsreife Kaulquappe mit Beinchen und Kiemen ein Leben lang unter Wasser lebt. Gleichzeitig ist der Axolotl (Ambystoma mexicanum) auch so etwas wie das Wappentier der Regenerationsbiologie. Schneidet man dem Axolotl ein Beinchen oder Teile seines Schwanzes ab, wächst das Körperteil in wenigen Wochen bis auf die ursprüngliche Größe nach. Dabei wird das verlorene Glied aus Nerven-, Skelett- und Muskelgewebe wieder voll funktionstüchtig wieder hergestellt. Besser kann das kein anderes Wirbeltier. Auch Teile des Herzens, des Gehirns und des Rückenmarks werden ersetzt – und das selbst bei erwachsenen Tieren.

Heilungsprozesse beim lurch verstehen

Grundlagenforscher weltweit versuchen, diese Prozesse aufzuklären (vgl. Kasten S. 20). Motiviert werden ihre Experimente von der Hoffnung, dass die beteiligten Moleküle und Gene auch beim Men-schen noch vorhanden sind, und durch bestimmte Methoden wieder aktiviert werden können. Aber noch rätseln die Forscher: Wieso bildet der Axolotl bei der Wundheilung kein Narbengewebe? Wie werden spezialisierte Zellen in einen verjüngten Zustand zurückversetzt, so dass sie sich wieder teilen? Auch Molche sind mittlerweile zu beliebten Modellorganismen für Herzforscher avanciert.

So sehen nachwachsende Gliedmaßen des Axolotl unter dem Stereo-mikroskop aus. Bestimmte Zelltypen wurden mit Farbstoffen markiert.

Plattwürmer besitzen ganz besondere Regenerationskräfte: abgetrennte Köpfe wachsen sehr schnell wieder nach.

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim haben beim grünlichen Wassermolch die narbenfreie Wundhei-lung von verletztem Herzmuskelgewebe im Visier.

Mäuse zählen wie der Mensch zu den Säugetie-ren. Sie sind für Forscher die wichtigsten Modellor-ganismen in der Biomedizin. An den Nagern lassen sich fast alle auch für den Menschen relevanten Entwicklungsschritte untersuchen. Besonders für Stammzellforscher sind Mäuse wichtige Studien-objekte, denn aus den frühen Embryonen der Tiere können Reproduktionsmediziner die embryonalen Stammzellen gewinnen. Sämtliche wichtigen Er-kenntnisse der Stammzellbiologie beim Menschen wurden erst durch vorangegangene Experimente an Labormäusen erzielt.

Da sich Mäuse gentechnisch leicht verändern lassen, eignen sie sich für die Genomforschung sowie die immunologische Forschung und werden für die Entwicklung von Medikamenten eingesetzt. In München wurde dazu auf dem Gelände des dor-tigen Helmholtz-Zentrums mit Unterstützung des BMBF die Deutsche Mausklinik aufgebaut, die die Erforschung von Krankheiten erleichtern soll. Wis-senschaftler untersuchen hier sogenannte Maus-mutanten, bei denen bestimmte Gene abgeschaltet sind. Mit modernsten Messgeräten erheben die Forscher für jeden Nager hunderte von Testwerten und prüfen, wie sich genetische Anlagen auf die Tiere auswirken. Viele, allerdings nicht sämtliche Erkenntnisse aus der Mäusemedizin sind auf den Menschen übertragbar.

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22 Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn

Haut: Kleine und große Wunden heilen

Die Haut ist das größte und regenerations-freudigste organ des menschlichen Körpers. Da sie relativ einfach aufgebaut ist, wird Haut schon seit Jahren erfolgreich in der Zellkultur herangezüchtet – zum Einsatz bei transplantationen von Verbrennungsopfern oder bei schwer heilenden wunden. Die Haut aus dem labor wird aber auch immer wichtiger für die Kosmetikindustrie und die arzneiforschung. Denn auf kleinen Haut-schnipseln lassen sich neue Substanzen auf ihre Verträglichkeit und Giftigkeit testen.

Die menschliche Haut ist nicht nur das größte Or-gan des Menschen, sondern als Grenze und Kontakt-stelle zur Außenwelt auch eines der wichtigsten. Deshalb muss sie sich auch regenerieren können. Die Haut nutzt sich ständig ab: Pro Minute verliert ein Mensch etwa 40 000 Hautzellen, die komplette Hautoberfläche wird im Durchschnitt alle zwei Wochen ausgetauscht. Der Nachschub wird dabei durch adulte Stammzellen gesichert. Sie sorgen ein Leben lang für neue Hautzellen. Noch deutlicher wird die Regenerationsfähigkeit der Haut bei einer Verletzung. Bis zu einer kritischen Größe ist der menschliche Körper nämlich in der Lage, Wunden zu verschließen und verlorengegangene Hautpar-tien inklusive deren Funktion zu ersetzen.

So sieht der Querschnitt der menschlichen Haut unter dem Mikroskop aus. Gut zu sehen sind die verschiedenen Schichten, die sich übereinan-der stapeln.

Von der Struktur her ist die Haut relativ klar auf-gebaut: Sie besteht aus mehreren Zellschichten, die wie Mauersteine übereinander gestapelt sind. Die zwei obersten Hautschichten, die Oberhaut (Epider-mis) und die Lederhaut (Dermis), sind nicht mit Blutge-fäßen versorgt. Weiter nach innen folgt die Unterhaut, ein gut durchblutetes Bindegewebe mit Fetteinlage-rungen, Haarwurzeln und Schweißdrüsen.

Dank dieses vergleichweise einfachen Schichten-aufbaus der Haut ist die Züchtung von Gewebe im Labor in den vergangenen Jahren zum bisher erfolg-reichsten Anwendungsgebiet des „Tissue Enginee-ring“ geworden. So war die Haut das erste lebende Gewebe, das aus menschlichen Zellen rekonstruiert werden konnte. Das geschah in der 1980er Jahren, damals ging es vor allem um ästhetische Korrekturen für einen Einsatz in der plastischen Chirurgie. Heute hat im Labor nachgebaute und nachgezüchtete Haut zwei bedeutende Anwendungsfelder: In der Medizin ist sie oft die letzte Rettung für Patienten mit schweren Verbrennungen oder chronischen Wunden. In der Kosmetikindustrie wiederum werden die Hautpartien aus der Kulturschale dafür verwendet, neue Substan-zen zu testen.

wunden verschließen mit Ersatzgewebe

Für Menschen mit Verbrennungen oder Verät-zungen ist eine Transplantation von Ersatzhaut die letzte Rettung. Nur so können Wunden geschlos-sen und damit gefährliche Entzündungen und Flüssigkeitsverlust vermieden werden. Bei kleinen Wunden können Mediziner dabei auf Eigenhaut des jeweiligen Patienten setzen, die von anderen Körperteilen entnommen wird. Für größere oder chronische Wunden ist diese Vorgehensweise jedoch nicht praktikabel. Erst seit einigen Jahren kann auch diesen Patienten geholfen werden: Für sie wird künstliche Haut im Labor produziert.

Um die menschliche Haut möglichst original-getreu nachzubauen, mussten die Wissenschaftler lange Zeit in mehreren Schritten vorgehen. Aus menschlicher Haut, die dem Patienten entnommen wurde oder die bei Operationen angefallen ist, isolierten sie zwei unterschiedliche Zelltypen: Die dermalen Fibroblasten (Unterhaut) und die hornbil-denden Zellen, die Keratinozyten. Zunächst wurden die Fibroblasten in eine Proteinlösung eingebettet. Darauf wurden die Keratinozyten ausgesät. Nach drei Wochen hatte sich aus ihnen dann die Ober-

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23Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn

haut gebildet. Der große Vorteil dieses Modells ist zugleich auch seine große Schwäche. Es basiert auf ausgebildeten Hautzellen, die in der Kulturschale das tun, was sie am besten können: Haut bilden. Allerdings wird für dieses Verfahren als Keimquelle immer eine Biopsieprobe benötigt. Das kann – etwa bei Patienten mit großflächigen Verbrennungen – ein Problem sein. Außerdem dauert es ziemlich lange, bis das Ganze wächst. Denn ausdifferenzierte Zellen teilen sich in einem eher behäbigen Turnus. Forscher aus mehreren Arbeitsgruppen und Bio-technlogie-Unternehmen haben sich deshalb einer anderen Zellquelle zugewandt: Ihnen genügen we-

nige Haare, um beinahe beliebig viel neue Haut ent-stehen zu lassen. Was hat nun aber die Haut mit den Haaren zu tun? Was zunächst erstaunlich klingt, fußt auf einer Beobachtung, die Mediziner schon vor längerem gemacht haben: Ist die Haut verletzt, wandern adulte Stammzellen aus den Haaren um die Verletzung herum zur Wunde, um bei der Rege-neration der Haut zu helfen. Stammzellen aus dem Haar sind also in der Lage, Haut zu bilden – und das nicht nur im Körper, sondern auch im Reagenzglas. Im Vergleich zum früheren Verfahren bietet dieser Weg mehrere Vorteile. Abgesehen davon, dass ein Haar leichter ausgerissen ist als ein Stück Haut

Künstliche Haut aus dem labor für Patienten mit chronischen wunden

Für die Biotechnologen des Leipziger Unterneh-mens Euroderm sind einige Dutzend ausge-zupfte Haare ein wertvoller Rohstoff. Denn an der Haarwurzel sitzen adulte Stammzellen, die besonders teilungsfreudig sind, und die in wenigen Wochen in der Kulturschale eine Ersatzhaut hervorbringen können. Davon profitieren vor allem Patienten mit chronischen Wunden, denen bislang aufwändig und auf schmerzhafte Weise Eigenhaut transplantiert werden musste. Die Verfahren der „Haut aus Kopfhaaren“ hat Euroderm zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Immunologie und Zellforschung (IZI) in Leipzig und mithilfe einer BMBF-Förderung zur Marktreife entwickelt. Die Hautstammzellen aus der Haarwurzelscheide werden zwei bis drei Wochen in der Zellkultur vermehrt. Mit einem einfachen Trick geben die Forscher dann den Zellen das Signal für die Haut-bildung: Sie reduzieren die Nährflüssigkeit so weit, dass die Oberseiten der Zellen nicht mehr bedeckt sind und so mit der Umgebungsluft in Kontakt kommen. Durch den erhöhten Druck, den die Luft auf die Zelloberflächen ausübt, reifen sie zu Oberhautzellen aus. Die Forscher züchten auf diese Weise viele kleine Hautstücke, die für jeden Patienten individuell hergestellt werden und aneinandergelegt eine Fläche von 10 bis 100 Quadratzentimetern ergeben. Die gezüchtete Epidermis ist zwar kein vollwertiger Ersatz, denn ihr fehlen noch Pigmente und Talg- und Schweißdrüsen. Für die Patienten ist sie den-

An der Wurzel eines Haares befinden sich Stammzellen, die eine wertvolle Quelle für die Hautproduktion darstellen.

noch ein Fortschritt. Nach dem Anwachsen der verpflanzten Hautstückchen entstehen relativ weiche Narben, und in mehr als 60 Prozent der verpflanzten Fälle wird eine komplette Heilung der chronischen Wunden erreicht. Ob gesetz-liche Krankenkassen die Kosten der Behandlung übernehmen, ist in Deutschland von Bundes-land zu Bundesland unterschiedlich.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Tissue Engineering“: „Gewinnung, Kultur und Transplantation folliku-lärer epidermaler Stammzellen für die Rekonstruk-tion menschlicher Haut“ (2005 bis 2009) Partner: Euroderm GmbH

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24 Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn

herausgeschnitten, teilen sich adulte Stammzellen auch viel schneller als ausdifferenzierte Hautzellen. Das heißt: Es dauert nicht so lange, bis eine künst-liche Hautpartie herangezüchtet ist.

Ob mit Haaren oder Hautzellen als Quelle – die künstliche Haut aus dem Labor wird inzwischen seit vielen Jahren für medizinische Behandlungen von spezialisierten Unternehmen angeboten. In Deutschland sind es vornehmlich kleine und mittlere Biotechnologie-Unternehmen. Ihre Tech-nologien unterscheiden sich jeweils im Herstel-lungsverfahren sowie in der Art und Weise, wie die entstandene Kunsthaut auf Wunden aufgebracht wird. Während das Unternehmen Euroderm als Quelle Stammzellen aus den Haarwurzeln verwen-det ( vgl. Kasten S. 23), hat die Firma Biotissue die

„Haut aus der Tube“ entwickelt. Bei dieser Methode werden körpereigene Oberhautzellen in der Kultur vermehrt und dann zusammen mit Fibrin, einem bi-ologischen Gewebekleber, auf die verletzte Region aufgetragen.

Aber nicht nur Mediziner haben Bedarf. Von der Haut aus der Fabrik träumen auch Pharmakologen und Chemiker schon lange – für den Einsatz als Testmodelle in der Forschung oder der Industrie. Be-reits seit Jahren sind bestimmte Hautgewebe kom-merziell erhältlich. Dazu gehören meist Modelle der Oberhaut (Epidermis). Sie müssen nicht über Blutge-fäße versorgt werden und lassen sich verhältnismä-ßig leicht im Labor herstellen und züchten. Derzeit ist die Herstellung solcher Hautmodelle aber noch langwierig, denn sie basiert auf Manufaktur und

Vom Hautmodell zur Haut mit Haaren

Um aus Haarstammzellen Hautzellen zu entwi-ckeln, gibt es mehrere Lösungen. Ein Konsortium von Wissenschaftlern aus Berlin, Lübeck, und München hat dabei ein ganz eigenes Verfahren entwickelt. Das Berliner Unternehmen Probi-ogen, das sich auf die Kultivierung von Zellen spezialisiert hat, steuerte dabei einen speziellen Bioreaktor bei, der das Hautmodell ständig mit Nährlösung versorgt und die Verhältnisse im Körper simuliert. Den Berliner Forschern fiel in dem Verbund die Aufgabe zu, die Stammzellen aus dem Haar zu isolieren, zu vermehren und schließlich sicherzustellen, dass sie ihre vielsei-tigen Eigenschaften bei alledem nicht verlieren.

Um künstliche Haut mit Haaren auszustatten, müssen auch sogenannte Haarfolikel im Labor herangezüchtet werden.

Mit ihrem Hautmodell wollen die Forscher künftig noch einen Schritt weitergehen: Sie soll mit Haaren ausgestattet werden. Dies wiede-rum wäre insbesondere für Kosmetikhersteller interessant, aber auch kahlköpfigen Menschen könnte eine solch behaarte Kunsthaut einmal helfen. Für die „Haut mit Haaren“ greifen die Berliner Forscher als Startpunkt erst einmal auf ausgezupfte Kopfhaare zurück. Zunächst gewinnen sie aus einer Region an der Wurzel, dem Haarfolikel, unterschiedliche Typen von adulten Stammzellen. Mit ihrer Hilfe gelingt es, eine zweilagige Oberhaut zu züchten. Ziel der Wissenschaflter ist es nun, auch einen künst-lichen Haarfolikel daraus herzustellen. Bislang sind sie noch etwas kleiner und dünner als ihre natürlichen Vorbilder. Langfristig sollen die gezüchteten Follikel auch noch mit Blutge-fäßen verbunden werden, um sie über Tage und Wochen hinweg am Leben zu erhalten.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Zellbasierte, regenerative Medizin“: „Reparatur von Hautdefekten durch Verwendung autologer Haarfolikel-Stammzellen“ (2005 bis 2009)Partner: TU Berlin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Max-Planck-Institut für Biochemie, Probiogen AG

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25Haut: KlEInE unD GRoSSE wunDEn HEIlEn

ist damit teuer. Forscher der Fraunhofer-Institute für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen, für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) und für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart sowie das Fraunhofer IZi in Leipzig ha-ben eine vollautomatischen Produktionsanlage für 3D-Hautmodelle entwickelt. 2011 ging die Gewebe-fabrik in Betrieb. Pro Monat sollen in der Stuttgarter „Tissue Factory“ bis zu 5.000 daumennagelgroße Hautstückchen vom Stapel gehen.

Aufgebaut sind die gezüchteten Hautmodelle aus zwei Schichten: In einer gelartigen Kollagen-Matrix werden Bindegewebszellen (Fibroblasten) eingebracht. Auf diese Matrix werden dann Kera-tinozyten aufgepfropft. Dieses Zell-Sandwich wird dann über mehrere Wochen mit Kontakt zur Luft kultiviert. Das führt dazu, dass die Keratinozyten fast wie in ihrer natürlichen Umgebung im mensch-lichen Körper ausreifen. Sie bilden hierbei eine Epidermis aus, sogar mit Hornschicht. Eine solche Hornhaut ist eine entscheidende Eigenschaft, um die nachgebaute Haut so menschenähnlich wie möglich zu machen. Denn die Hornschicht er-füllt eine wichtige Barriere-Funktion. Künstliche Hautmodelle mit Hornhaut können deshalb noch zuverlässiger Auskunft geben, wie ein zu testen-der Wirkstoff in die Tiefen der Haut vordringt. Die Hoffnung der Fraunhofer-Forscher ist, dass ihr Fabrikorgan dank der automatisierten Herstellung die Vorraussetzungen schafft, endlich die ausrei-chende Reproduzierbarkeit und Verlässlichkeit bei der Gewebezüchtung zu erreichen.

Künstliche Hautproduktion im akkord

Die Hautfabrik funktioniert dabei Schritt für Schritt: Kleine Hautstücke werden sterilisiert und per Robotergreifarm in die Anlage transportiert. Der Automat zerkleinert die gewonnenen Hautproben und sortiert die Zellen in verschiedenene Typen auf. Zunächst werden die zwei gewünschten Zelltypen noch vermehrt, bevor die Anlage sie automatisch wieder zusammenschichtet. Gelagert in einem kör-perwarmen und feuchten Brutschrank verbinden sich die beiden Zellschichten in etwa drei Wochen. Die entstehenden Hautstücke sind einen Quadrat-zentimeter groß. Im letzten Schritt verpackt der Automat die Kunsthaut für den Versand.

Auch wenn schon sehr lebensechte Oberhaut-modelle existieren, die Haut als Ganzes wiederher-

Die vollautomatische Hautfabrik am Fraunhofer IPA arbeitet im Akkord und kann bis zu 5000 Hautmodelle im Monat herstellen.

zustellen, bleibt eine große Herausforderung für die Gewebezüchter. Denn es gilt nicht nur, die grobe Ar-chitektur nachzubilden. Für eine lebensnahe Version müssen die Forscher auch Haarbälge, Schweißdrüsen und Nervenendigungen mit einbeziehen. Um größe-re Hautwunden, zum Beispiel bei Verbrennungen, mit gezüchteten Transplantaten zu ersetzen, arbeiten Stuttgarter Fraunhofer-Forscher nun auch an einem komplexeren Voll-Hautmodell: Dieses soll künftig auch von Blutgefäßen durchzogen sein.

Wichtig für die Kosmetikbranche und für die pharmazeutische Industrie ist es, dass sie die im La-bor gezüchteten Hautmodelle verlässlich einsetzen können, um mit ihnen Substanzen auf ihre Verträg-lichkeit zu testen. Seit 2008 ist nach unabhängiger Prüfung durch die Zentralstelle zur Erfassung und Be-wertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch am Bundesinstitut für Risikoforschung (ZEBET) mehrere Hautmodelle EU-weit zugelassen worden, die in Hautreizungstests eingesetzt werden.

Eine Weiterentwicklung ist zudem als Modell für die Augenhornhaut geeignet und kann deshalb den umstrittenen Draize-Test an lebenden Kaninchen ersetzen. Bei diesem Test wird untersucht, wie stark chemische Substanzen die Augen reizen. Damit sind wichtige methodische Fortschritte erreicht, die Tierversuche ersetzen können (vgl. S. 42ff.). Mit diesen Entwicklungen haben Unternehmen nun Möglichkeiten an der Hand, den Bestimmungen der neuen EU-Chemikalienverordnung REACH sowie der EU-Richtlinie zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere nachzukommen.

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26 HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln

Herz: Schwache Pumpen ankurbeln

Das Herz verrichtet als Pumporgan ein leben lang Schwerstarbeit. Infarkte oder Herzklap-penfehler legen das Herz stellenweise lahm und schwächen es so dauerhaft. Denn die Selbstheilungskräfte des Herzmuskels sind nur sehr begrenzt. Regenerationsmediziner wollen die geschädigten Herzen trotzdem wieder reparieren: Ihr Repertoire reicht von mitwach-senden Herzklappen über Stammzelltherapien bis hin zu raffinierten lockstoffen.

Ein schwaches Herz wieder fit zu bekommen, das bleibt für Mediziner eine der zentralen Herausforde-rungen unserer Zeit. Erkrankungen der Herz- und Blutgefäße sind die häufigste Todesursache in den Industrieländern der westlichen Welt. Allein 300 000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Herzinfarkt, 60 000 sterben an diesem plötzlichen Durchblutungskollaps in den Herzkranzgefäßen. Bei einem Infarkt sterben die unterversorgten Gewe-bebereiche ab und der Herzmuskel hört an dieser Stelle auf zu schlagen. Bisher versuchen Ärzte das geschwächte Pumporgan dann mit Medikamenten in seiner Funktion zu stabilisieren. Um die Durch-blutung des unbeschädigten Teils des Herzens zu si-chern, werden in vielen Fällen Ersatzadern (Bypässe) rund um das Herz verlegt. Obwohl diese Maßnahmen zu einer deutlichen Verbesserung führen können: Sie

Diese Herzklappe ist in einem Bioreaktor herangewachsen. Sie besteht aus körpereigenem Zellmaterial des Patienten.

beseitigen die Erkrankung nicht dauerhaft, und die Patienten leiden meist an den chronischen Folgen.

Um die entstandenen Schäden am Herzmuskel wirklich zu heilen, hilft bislang nur eine Transplan-tation des Organs, mit allen damit verbundenen Risiken. Biomediziner versuchen daher, die Selbst-heilungskräfte der geschwächten Pumpe wieder anzukurbeln. Doch die Regenerationsfähigkeit des Herzens ist bei Menschen stark eingeschränkt. Zwar haben Forscher vor kurzem Stammzellen oder Vor-läuferzellen innerhalb des menschlichen Herzmus-kels aufgespürt. Sie sind allerdings sehr selten und können von sich aus die zerstörten Muskelpartien nicht angemessen nachbilden. Regenerative Thera-pien am Herz stützen sich deshalb auf zwei Strate-gien: Gezüchtete Herzmuskelzellen aus dem Labor sollen als Aufbauhilfe dienen, injizierte Stammzellen sollen die geschwächten Zonen wiederbeleben. Für größere „Ersatzteile“ liefert die Disziplin des Tissue Engineering unter anderem mitwachsende Herz-klappen. Die Zucht eines kompletten menschlichen Herzens in der Kultur bleibt bislang Utopie.

Herzmuskelzellen aus dem labor

Da nach einem Herzinfarkt vor allem ein einziger Zelltyp betroffen ist, die Herzmuskelzelle, gilt das Herz grundsätzlich als geeignetes Organ, um die einmal zerstörten Zellen durch die Transplantation neuer Zel-len zu ersetzen. Forscher in Deutschland nutzen ver-schiedene Strategien, um für diesen Zweck geeignete Herzmuskelzellen im Labor heranreifen zu lassen. Arbeitsgruppen um Jürgen Hescheler an der Uni-versität Köln und Wolfgang-Michael Franz von der Universität München experimentieren dazu mit em-bryonalen Stammzellen von Mäusen und Menschen, die in der Kulturschale durch Zugabe eines Cocktails von Wachstumsfaktoren zu Kardiomyozyten ausrei-fen. Versuche mit Nagern hatten bereits gezeigt, was passiert, wenn man die so hergestellten Vorläuferzel-len in lädierte Mäuseherzen spritzt: Die Ersatzzellen nisteten sich im Herz ein, bauten an der Infarktnarbe Muskelmasse auf und die Schlagkraft des geschä-digten Herzens besserte sich messbar. Die Spenderzell-haufen zuckten aber bisweilen nicht synchron mit den anderen Herzmuskelzellen, ein möglicher Auslöser für Herzrhythmusstörungen. Weiterhin bleibt immer ein – wenn auch geringes – Risiko, dass die Spender-zellen zu gefährlichen Tumoren wuchern oder aber aufgrund ihrer fremden Herkunft vom Immunsystem abgestoßen werden. Neue Hoffnungsträger für eine

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27HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln

Stammzellen ins Herz gespritzt: Die Rostocker PERFEct Studie

Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich For-scher damit, Herzinfarkttherapien mit Stammzel-len zu testen. So hat die am Klinikum der Univer-sität Frankfurt durchgeführte REPAIR-AMI-Studie gezeigt, dass Herzpatienten von der Gabe körper-eigener Stammzellen in die betroffene Herzregion profitieren können. Auch Herzmediziner um Gustav Steinhoff von der Klinik für Herzchirurgie der Universität Rostock testen derzeit einen ähn-lichen Weg. Am Rostocker Referenz- und Trans-lationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (RTC) haben sie ein Verfahren entwickelt, bei dem körpereigene Stammzellen eines Patienten zur Therapie von Herzkrankheiten zum Einsatz kommen. Dazu wird bei einem Herzpatienten kurz vor der Operation aus dem Knochenmark eine bestimmte Gruppe adulter Stammzellen, die sogenannten CD133+-Zellen, isoliert. Im Verlauf einer Bypass-OP werden diese Zellen nun gezielt in den Herzmuskel gespritzt – und zwar in das Randgebiet des infarktgeschädigten Gewebes.

Mit dem patentierten Verfahren haben die Rostocker bereits mehr als 140 Patienten behan-delt. Die ersten Ergebnisse sind ermutigend: Im Vergleich zu Patienten ohne Stammzellbehand-

lung habe sich die Pumpleistung des Herzens im Schnitt um zehn Prozent erhöht, erläutert Steinhoff. Zudem erwies sich die Therapie bislang als sicher: „Wie auch im Tierversuch haben wir bei den Patienten keine Nebenwirkungen der The-rapie beobachtet“, so Steinhoff. Ende 2009 haben die Mediziner eine groß angelegte Phase III-Stu-die gestartet, in der bis zu 142 Patienten behandelt werden sollen. Diese Studie läuft doppelblind und placebokontrolliert ab, und ist damit die ent-scheidene Stufe für eine mögliche Zulassung der Therapie. Neben dem RTC sind noch das Deutsche Herzzentrum in Berlin und die Medizinische Hochschule in Hannover beteiligt. Die Studie wird vom Land Mecklenburg-Vorpommern und vom BMBF unterstützt. Der Abschluss ist für 2012 gep-lant. Sollte die PERFECT- Studie dann einen klaren Nutzen der Stammzelltherapie nach Herzinfarkt belegen, so wäre der Weg frei für die Zulassung der Stammzellbehandlung.

Projekt in der BMBF-Förderiniative „Translationszentren in der Regenerativen Medizin“:Referenz- und Translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (RTC), Universität Rostock

Herzinfarkttherapie bilden vielseitige Stammzellen, die aus Körperzellen künstlich zurückprogrammiert werden. In einem BMBF-Verbundprojekt untersuchen Kölner Forscher das Potenzial dieser so genannten iPS-Zellen zur Behandlung des Herzinfarktes. Bei Mäu-sen ist es hier bereits gelungen, aus den künstlichen Stammzellen Herzmuskelzellen heranzuzüchten. Mit einer ähnlichen Strategie erforscht ein Team um Ulrich Martin von der Medizinischen Hochschule Han-nover das Potenzial von adulten Stammzellen aus dem Nabelschnurblut von Neugeborenen. Erst kürzlich schafften es die Forscher, diese jungen menschlichen Zellen zu den noch vielseitigeren iPS-Zellen zurück-zuverwandeln, um daraus in einem nächsten Schritt zuckende Herzmuskelzellen herzustellen. Auch wenn sich immer neue Quellen für Herzmuskelzellen aus dem Labor auftun – bis ein solcher Gewebeersatz zu-verlässig bei Menschen eingesetzt werden kann, sind noch viele Jahre Grundlagenforschung nötig.

Stammzelltherapie bei Herzinfarkt

Eine andere Form der Stammzelltherapie bei Herz-infarkt hat bereits den Sprung in die Klinik geschafft: Die Injektion von körpereigenen adulten Stamm-zellen. Eine breit angelegte Zulassungsstudie zu dieser Stammzelltherapie bei Herzinfarkt ist 2009 in Rostock, Berlin und Hannover gestartet (siehe Kasten). Bei dieser Behandlung werden bei einer Herz-Operation Stammzellen aus dem Knochenmark des Patienten gezielt in den Randbereich des gelähm-ten Herzmuskels gespritzt. Die bisherigen Ergebnisse einer solchen Behandlung überraschten die Forscher: Zwar blieb der eigentlich erhoffte Zellersatz im Herzgewebe weitgehend aus. Trotzdem ging es den behandelten Patienten besser, ihr Herz pumpte kraft-voller. Offenbar kurbeln die verabreichten adulten Stammzellen die körpereigenen Reparaturmechanis-men wieder an: Sie geben zahlreiche Botenstoffe und

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28 HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln

Wachstumsfaktoren in das Gewebe in ihrer Umge-bung ab. Die Heilkraft der Stammzellen besteht also vermutlich darin, dass sie wie kleine, lebende Apothe-ken funktionieren. Die bisherigen klinischen Erfah-rungen zu adulten Stammzellen bei der Therapie von Herzerkrankungen zeigten, dass ihr Einsatz relativ unbedenklich für den Patienten ist. Ob die Zellkuren per Spritze auch langfristig zu keinerlei gesundheit-lichen Schäden führen, müssen die weiteren Studien aber erst noch belegen.

Einen anderen Weg untersuchen derzeit Wis-senschaftler in Tübingen und München: Ihr Ziel ist es, möglichst ohne einen chirurgischen Eingriff, dafür mithilfe biochemischer Tricks, die Regenera-tionskräfte im Herz wieder anzuregen. Dazu wollen die Forscher adulte Stammzellen vermehrt aus dem Blut in die geschwächten Herzregionen locken, damit sie dort gezielt andocken und Reparaturar-beiten in Gang setzen. Für diesen Zweck verabrei-chten die Forscher Mäusen bestimmte Lockstoffe, die nicht nur die körpereigene Stammzellen aus dem Blut ins kranke Herz lotsen, sondern sie auch

dazu bringen, sich genau an das definierte Zielge-webe anzulagern. In München wird dieser Ansatz mittlerweile auch an Patienten getestet.

Herzklappen wachsen im Bioreaktor

Herzklappen sind lebenswichtige Ventile, die dafür sorgen, dass beim gerichteten Pumpen des Blutes nichts davon in die Herzkammern zurückfließt. Herzklappenfehler können angeboren sein, oder sie entstehen durch Infektionen bzw. durch Verschleiß mit zunehmendem Alter. Sie führen meist zu einer lebensbedrohlichen Schwächung. Bisher stehen Herzchirurgen für die unvermeidlichen Eingriffe entweder biologische Herzklappen von Schwei-nen und Rindern oder aber mechanische Klappen zu Verfügung. Kleine Patienten müssen bis zu sechsmal operiert werden, da die herkömmlichen biologischen Klappen zu klein werden und verkal-ken. Mechanische Klappen wiederum sind nicht geeignet, weil die Träger eines solchen Kunststoff-ventils blutverdünnende Mittel einnehmen müs-sen. Stefan Jockenhövel züchtet an der Technischen

Körperfremde Stammzellen aus dem Mutterkuchen lassen Blutgefäße sprießen

Nicht nur im Herzmuskel sind Durchblutungsstö-rungen ein ernstes Problem. In Beinen entstehen Gefäßverschlüsse zumeist bei älteren Patienten, oft in Folge einer Diabeteserkrankung und aber bei starken Rauchern. In fortgeschrittenen Stadien ist oft eine Amputation unvermeidlich. Regenerationsmediziner vom Berlin-Branden-burg Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) versuchen, mithilfe von Stammzellen die Durchblutung in den Beinen ihrer Patienten wieder anzukurbeln. In einer klinischen Studie

Mit Stammzellen aus der Plazenta wollen Berliner Forscher Gefäßinfarkte behandeln.

erproben die Mediziner dazu einen neuen Weg: Sie setzen auf körperfremde Stammzellen, die aus dem Mutterkuchen (Plazenta) gewonnen wurden. Die Zellpräparate liefert das israelische Biotechnologie-Unternehmen Pluristem. Es hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich aus dem Mutterkuchen von jungen Müttern mesenchy-male Stammzellen gewinnen und vermehren lassen. Den heilsamen Effekt von Plazenta-Stammzellen nach Gefäßinfarkten haben die Forscher aus Berlin bereits in Tierversuchen belegt. Injizierten sie Nagern die Plazenta-Stammzellen in den Beinmuskel, so sprossen in der Nähe des unterversorgten Gewebes winzige Blutgefäße aus. Erste Studien bei Testanwen-dungen an Patienten zeigten bereits ermuti-gende Ergebnisse der Stammzelltherapie.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Transla-tionszentren in der Regenerativen Medizin“:Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapien (BCRT)

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29HERZ: ScHwacHE PuMPEn anKuRBEln

Hochschule Aachen Herzklappen, die ausschließ-lich aus körpereigenem Gewebe bestehen und mitwachsen. Die Forscher entnehmen von einem Patienten Zellen aus einem Blutgefäß oder aus der Nabelschnur und lassen diese in einer Art Gussform aus dem Stützprotein Fibrin wachsen, welches aus dem Blut des Herzkranken gewonnen wird. Nach und nach verdrängen die Zellen ihr Stützkorsett, bis das Ersatzteil nach vier bis sechs Wochen fertig ist. In einem Bioreaktor werden die biologischen Ersatzklappen dann einem Leistungstest unterzo-gen. Vor allem Kinder mit angeborenen Herzklap-penfehlern sollen von der Entwicklung profitieren, denn das Gewebe aus dem Labor wächst im Kör-per mit. Die Forscher haben ihre mitwachsenden Zucht-Herzklappen bereits erfolgreich an Schafen getestet. Axel Haverich und seine Mitarbeiter an der Medizinischen Hochschule in Hannover setzen ebenfalls auf Herzklappen, die aus körpereigenen Zellen gezüchtet werden. Dazu wird zunächst eine menschliche Herzklappe aus einem Spenderorgan von allen Zellen befreit, sodass nur ihr äußeres Gerüst erhalten bleibt. Dieses Gerüst (Matrix) wird dann mit Zellen besiedelt, die aus dem Blut des Empfängers gewonnen und vermehrt wurden. Innerhalb weniger Wochen entsteht so im Bioreak-tor eine quasi natürliche Herzklappe, die keinerlei Abstoßungsreaktionen hervorruft und nach der Implantation mitwächst.

Herzgewebe für die wirkstoffforschung

Als eine der wichtigsten und greifbarsten Anwen-dungen für im Labor herangezüchtete Herzzellen gilt die Wirkstoff-Forschung. Gerade für Pharma-firmen sind frühzeitige Tests bei der Entwicklung von neuen Herzmedikamenten wichtig, um neue Substanzen auf ihre Wirkung und ihre Nebenwir-kungen zu überprüfen. Derzeit greifen Pharmako-logen für ihre Tests noch vorwiegend auf tierische Gewebe und Organe zurück. Doch die Biochemie und die Pumpleistung eines Mäuseherzens lässt sich nur sehr eingeschränkt auf den Menschen übertra-gen. Unter dem Dach eines vom BMBF geförderten Verbundprojekts haben Forscher aus Lübeck, Köln, Frankfurt und Reutlingen untersucht, wie sich menschliches Herzgewebe im Labor kultivieren lässt, damit man es für zuverlässige Wirkstofftests in der Pharmaindustrie einsetzen kann. Während manche Forschergruppen dabei auf Herzschnitte aus Geweberesten, die bei Operationen angefallen sind, gesetzt haben, züchteten Kölner Forscher

Bioartifizielles Herzgewebe besteht aus Herzmuskelzellen (grün) und Kollagenfasern (rot gefärbt).

aus embryonalen Stammzellen Herzmuskelzellen heran. Bei der Prozedur entstehen Zellklumpen, die sich wie funktionstüchtiges Herzmuskelgewebe verhalten und sich im Gleichtakt zusammenziehen können. Solche zuckenden Mikro-Organe kann man sogar auf kleine Chips mit Mini-Elektroden anbrin-gen, um charakeristische Herzströme abzuleiten. Letztlich sollen die Herzmodelle künftig helfen, die Zahl der Tierversuche zu verringern und die Medi-kamentenentwicklung schneller, günstiger und vor allem sicherer zu machen. Mithilfe von Zelllinien, die durch künstlich reprogrammierte Körperzel-len von Herzkranken hergestellt wurden, sollen außerdem Herzleiden besser im Labor untersucht werden können, um künftig Medikamente maßzu-schneidern.

Trotz der Erfolge bei Stammzelltherapien und Gewebeherstellung: Der Traum der Mediziner, ein komplettes Herz in der Retorte zu schaffen, wird wohl noch lange unerreicht bleiben. Immer-hin wurde bei Mäusen bereits gezeigt, dass man ein schlagendes Herz durch Dezellularisierung und nachträgliche Besiedlung mit Endothel- und Herzmuskelzellen biokünstlich wieder herstellen kann. Die aufwendigen Techniken der Gewebeher-stellung werden aber sicherlich nicht den Bedarf an Spenderorganen decken können. Eine weitere mögliche Quelle für Spenderherzen: Schweine. Um Abstoßungen solcher tierischen Organe durch das menschliche Immunsystem zu vermeiden, züchten Nutztiergenetiker bereits gentechnisch verän-derte Schweine, die immunologisch verträglichere Organe bilden. Solche Tiere könnten auch künftig Gerüste für mitwachsende Herzklappen liefern.

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Leber: Regenerationskraft ausnutzen

Kein inneres organ kann sich so gut regene-rieren wie die leber. Deshalb eignet sich das Stoffwechselzentrum des Körpers auch für lebendorganspenden. Doch transplantati-onsorgane sind knapp. Forscher wollen daher leberzellen aus Stammzellen heran-züchten. auch körperfremde leberzellen werden bereits für den Einsatz in der Zellthe-rapie erprobt. Gewebeingenieure tüfteln an der biokünstlichen leber, einem dreidimensi-onalen Medikamenten-testsystem mit Blutgefäßen. Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan des Kör-pers und der Hauptort für den Umbau und Abbau von Fremdstoffen. Sie entgiftet den Körper, ist am Hor-monhaushalt und der Immunabwehr beteiligt und stellt zahlreiche Substanzen her. Ohne dieses „Zen-trallabor“ könnte ein Mensch nur wenige Stunden überleben. Zuständig für die vielen Um- und Abbau-prozesse sind die hochspezialisierten Leberzellen, die Hepatozyten.

Über die außergewöhnliche Regenerations-kraft der Leber waren sich schon die alten Griechen bewusst. Sinnbild ist Prometheus, der der Sage nach zur Strafe an einen Fels gekettet, täglich von Raubvögeln heimgesucht wird, die an seiner ständig nachwachsenden Leber fressen. Tatsächlich zeigt sich die Leber sehr regenerationsfreudig: So

Menschliche Lebervorläuferzellen in der Zellkulturschale .

ist es möglich, für Lebendspenden einen der beiden Leberlappen zu transplantieren. Beim Spender wächst die Leber in der Folge wieder zur ursprüng-lichen Größe heran. Dem Empfänger reicht der eingepflanzte Leberlappen aus, um eine funktions-tüchtige Leber zu bilden. Bei akutem Leberversagen muss jedoch meist eine komplette Leber verpflanzt werden. Die Zahl solcher verfügbaren Spenderor-gane ist allerdings knapp bemessen, es gibt lange Wartelisten. Deshalb suchen Biomediziner nach an-deren Behandlungsmöglichkeiten, mit denen sich – gerade in lebensbedrohlichen Krisen – die Funktion der Leber überbrücken lässt. Solche Unterstützungs-hilfen könnten entweder einzelne Leberzellen sein, die in das entgleiste Organ gespritzt werden. Denkbar ist auch der Einsatz von biokünstlichen Lebersystemen, die wie ein Dialysegerät für die vorübergehende Entgiftung an den Blutkreislauf angeschlossen werden.

leberzellen aus Stammzellen gewinnen

Da Spenderorgane rar sind, besteht immerzu ein Engpass an Leberzellen (Hepatozyten), die für The-rapien oder aber für Medikamententests verwendet werden können. Zusätzliches Problem: In der Kultur lassen sich gesunde Leberzellen nur sehr schwer vermehren und züchten. Regenerationsforscher suchen deshalb nach neuen Wegen, mit denen sich Hepatozyten gewinnen lassen. Hoffnungsträger als Quelle sind auch hier Stammzellen. Forscher in Ber-lin und Köln experimentieren hierzu mit humanen embryonalen Stammzellen. Diese lassen sich zwar sehr gut vermehren, aber die Forscher arbeiten noch an einem geeigneten Rezept, um diese in voll funktionstüchtige Leberzellen zu verwandeln. Auch Pharma-Unternehmen verfolgen diesen Weg. Sie haben dabei vor allem den Einsatz solcher Zellen in Toxizitätstests im Sinn.

Eine Alternative bieten Gewebestammzellen aus der Leber selbst. Problematisch ist hierbei, dass diese adulten Stammzellen wiederum sehr schwie-rig im Labor zu vermehren sind. Gleichwohl wären sie eine geeignete Quelle für Zelltherapien, da sie sogar vom Patienten selbst gewonnen werden können, und so gefährliche Abstoßungsreaktionen verhindert werden können. Forscher des Transla-tionszentrums für Regenerative Medizin (TRM) in Leipzig und Halle greifen auf menschliche mesen-chymale Stammzellen aus dem Blut zurück, um sie zu Leberzellen umzuwandeln. Im Tiermodell

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erlangen sie mittlerweile typische Funktionen von Hepatozyten. Nun sollen diese Leberzellen zur Therapie genetischer Lebererkrankungen in einer ersten klinischen Studie getestet werden.

Die Leber und ihr häufigster Zelltyp, die Hepa-tozyte, zeichnen sich durch ihre besonders große Funktionsvielfalt aus. Keine andere Körperzelle produziert derart viele Eiweiße, kaum eine Zelle meistert so viele unterschiedliche Stoffwechselpro-zesse auf einmal. Das auf Initiative des BMBF im Jahr 2004 gegründete Kompetenznetzwerk HepatoSys und dessen Weiterführung, das „Netzwerk Virtuelle

Leber“, haben sich zum Ziel gesetzt, die komple-xen und dynamischen Vorgänge in der Leberzelle und des gesamten Organs mit einem systembio-logischen Ansatz zu studieren. Es geht zunächst darum, alle wichtigen physiologischen Vorgänge zu erfassen und zu messen. Mit den Daten werden mathematische Modelle entwickelt, mit deren Hilfe man zum Beispiel die Wirkung von Medikamenten im Computer simulieren kann. Wissenschaftler im Netzwerk Virtuelle Leber, dem seit 2010 bundesweit 70 Forschungsgruppen angehören, haben auch die Regenerationsfähigkeit der Leberzellen im Visier. Offenbar wird sie durch das Zusammenspiel ver-

leber-Bioreaktoren: Künstliche Überbrückungshilfe für den notfall

Schon seit 1987 werden an der Berliner Charité Leberzell-Bioreaktoren für die Anwendung in der Klinik entwickelt. Die von Medizinern um Katrin Zeilinger geplanten biokünstlichen Lebern sollen dereinst – von außen angeschlossen an den Körperkreislauf – als Unterstützungshilfe dienen, wenn eine Leber ihren Dienst versagt. Die Bio-reaktoren basieren dabei auf feinen Röhrchen, sogenannten Hohlfaserkapillaren, die eng mitei-nander verwoben sind und mit einem Gemisch aus lebenden Leberzellen besiedelt werden. Als Zellquelle dienen nicht-transplantierbare Spenderorgane. Für einen im Notfall außerhalb des Körpers einsetzbaren Bioreaktor benötigen die Forscher etwa 600 Gramm Leberzellen, also etwa ein Drittel der Masse einer Erwachsenenle-ber. Die Bioreaktorsysteme sind unterschiedlich groß und können sowohl am Patienten als auch im kleinen Maßstab für Wirkstofftests im Labor eingesetzt werden. Die natürliche Umgebung der Leberzellen soll im Bioreaktor so gut wie möglich nachgeahmt werden. So gewährleisten die Ka-pillarbündel der porösen Hohlfasermembranen eine kontrollierte Nährstoffversorgung, eine Entsorgung von Abbauprodukten sowie den Gasaustausch. Gefährliche Abwehrreaktionen sind offenbar problemlos, da nur das Blutplasma mit den auf der Membran siedelnden Zellen in Berührung kommt. Bisher wurden die Berliner Leberzellbioreaktoren in Pilotstudien erfolgreich getestet. In einem nächsten Schritt sollen Studien mit einer größeren Patientenanzahl folgen. Größ-

Der Berliner Bioreaktor besteht aus fein verwebten Hohlfasern, die mit Leberzellen besiedelt werden.

tes Manko bleibt die ausreichende Verfügbarkeit von Leberzellen. Da Spenderorgane nur begrenzt genutzt werden können, experimentieren die Charité-Forscher derzeit auch mit adulten Leber-stammzellen sowie embryonalen Stammzellen, die in der Zellkultur zu ausgereiften Leberzellen umgewandelt werden sollen. Im Rahmen des EU-Projektes „d-LIVER“ werden die Bioreaktoren ab Herbst 2011 für ihren Einsatz als klinisches Leberunterstützungssystem erprobt.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Inno- vation in der Medikamentenentwicklung“: „HepaTox: Nutzung von Leberzellbioreaktoren für Arzneimittelstudien“ (2008 bis 2011)Koordination: Charité-Universitätsmedizin

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schiedener Signalstoffe ermöglicht, die die Leber-zellen zur Vermehrung anregen und diesen Prozess auch wieder stoppen, wenn sich die Lebermasse zu ihrer ursprünglichen Größe zurückgebildet hat. Ein Überschuss an Wachstumsfaktoren kann zu entzündlichen Prozessen und Narbenbildung bis hin zu Erkrankungen wie Fibrose oder Leberkrebs führen. Ein mathematisches Modell der wichtigen Signalwege wollen Forscher zum Beispiel nutzen, um zu verstehen, wie die Kommunikation bei der Entstehung von Leberkrebs entgleist.

Statt bei einem Leberversagen ganze Organe zu verpflanzen, testen Forscher und Unternehmen derzeit aber auch einen Therapieansatz, bei dem lebende Spenderleber-Zellen gleichsam als Medika-ment eingesetzt werden sollen. Das Biotechnologie-Unternehmen Cytonet in Weinheim stützt sich bei seinem Ansatz zum Beispiel auf Zellen, die aus fremden Spenderlebern gewonnen werden, die sich nicht für Transplantationen eignen. Die lebenden Zellen werden im Labor aufbereitet und können auch in Stickstoff tiefgefroren und aufbewahrt werden. Bei Patienten mit einer lebensbedroh-lichen Leberschädigung werden die Zellen über die Pfortader in das Organ gespült und siedeln sich hier an. Die Hoffnung der Biomediziner ist, dass die Ersatzzellen dort direkt ihre Arbeit aufnehmen und die geschwächte Leber in ihrer Funktion solange unterstützen, bis sie sich regeneriert hat und die Entgiftungsaufgaben wieder selbst übernehmen

Leberzellen (Hepatozyten) sind sehr komplex aufgebaut, denn sie übernehmen wie Biofabriken eine Vielzahl an Stoffwechselreaktionen.

Ein von Fraunhofer-Forschern entworfener Leberbioreaktor wird vom PC gesteuert und erlaubt die Kultivierung von Gewebe, das mit funktionstüchtigen Blutgefäßen durchsetzt ist.

kann. Offenbar zeigt die Leber nur geringe Ab-wehrreaktionen gegenüber körperfremden Zellen. Zunächst muss die unterstützende Leberzellkur aber in klinischen Studien auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet werden. Derzeit überprüft das Unternehmen im Rahmen des BMBF-Spitzenclu-sters BioRN den Effekt der Leberzell-Behandlung bei Neugeborenen mit einem angeborenen Harnstoff-zyklusdefekt.

Die leber im labor nachbauen

Die Leber ist ein Organ mit komplexen Funktionen, ihre dreidimensionale Struktur folgt jedoch einem relativ klaren Grundschema. Millionen Leberzel-len ordnen sich um winzige, verästelte Blutgefäße herum zu sogenannten Leberläppchen an. Forscher wollen sich diesen Aufbau zunutze machen, um mit dem Verfahren des Tissue Engineering eine künst-liche aber voll funktionstüchtige Leber im Labor nachzubauen. Dazu konstruieren Zellingenieure verschiedener Forschungsinstitutionen in Deutsch-land sogenannte Bioreaktoren. Alle Modelle dieser Leberersatzgeräte funktionieren im Prinzip gleich: Eine Pumpe presst Blut durch hauchdünne Röhr-chen, die mit Leberzellen umkleidet sind. Eine Hoffnung ist, mit solchen Kunstlebern bei Patienten mit akutem Leberversagen die Funktion des ent-gleisten Organs außerhalb des Körpers für mehrere

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Tage zu überbrücken, bis eine Lebertransplantati-on möglich ist. Ein weiteres Anwendungsziel: Die Organsysteme sollen im Labor als Modelle für die Grundlagenforschung und für Wirkstofftests zur Verfügung stehen.

Im Körper können sich Leberzellen häufig teilen und regenerieren -– doch im Labor sind sie nur schwierig zu züchten. Sie teilen sich in der Zellkul-turschale kaum noch und verlieren bereits nach wenigen Tagen die meisten ihrer Funktionen. Die Gewebeforschung der letzten Jahre hat gezeigt: Man muss die Leberzellen mit anderen Körperzellen zusammenbringen, um mit solchen dreidimensi-onalen Co-Kulturen die natürliche Umgebung so gut wie möglich nachzuahmen. Das gelingt bei Leberzellen, wenn man sie gemeinsam mit Blutge-fäßwandzellen (Endothelzellen) hält. Dieses Wissen ermöglichte auch einen entscheidenden Schritt in Richtung eines ganzen biokünstlichen Organs. Denn die ausreichende Nährstoffversorgung von Zellgewebe ist die große Hürde bei der künstlichen Schaffung komplexer Organe in der Zellkultur. Ein feines Netzwerk von Blutgefäßen verbindet im Körper die Zellen mit dem Blutkreislauf und sorgt für den Gas- und Nährstoffaustausch im Gewebe. Da sich diese feingliedrige Versorgung künstlich nur schwer nachahmen lässt, führt das meist schnell dazu, das die künstlichen Organe im Reagenzglas absterben.

Johanna Schanz und Heike Walles vom Fraun-hofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrens-technik (IGB ) in Stuttgart sind bei der Entwicklung eines organähnlichen Lebermodells mit funkti-onsfähigen Blutgefäßen bereits einige wichtige Schritte vorangekommen. Das Besondere: Die Bioingenieure entfernen zunächst von einem Stück Schweinedünndarm sämtliche tierischen Zellen. Die übriggebliebene Gerüststruktur behält aber noch das „Skelett“ der Blutgefäße bei. Diese Form wird sowohl mit Leberzellen als auch mit Gefäß-wandzellen besiedelt. Die Endothelzellen dienen als Barriere zwischen Blut und Gewebe. Das entstan-dene Blutgefäßsystem gewährleistet dabei die op-timale Versorgung der Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff sowie den Abtransport von Toxinen und Abbauprodukten. Das Lebermodell der Stuttgarter Forscher muss in einem speziellen Bioreaktor kulti-viert werden. Über Schläuche wird wie bei einem Blutkreislauf Nährlösung durch die Bioreaktor gepumpt. Ein Computer steuert den Druck und die

Fließgeschwindigkeit des Nährmediums, um den Blutfluss möglichst naturgetreu zu simulieren. Das dynamische System erlaubt es nun, Lebergewebe über mehrere Wochen zu kultivieren. Und tatsäch-lich: Die Zellen arbeiten im Lebermodell ähnlich wie im Körper. Sie entgiften, bauen Medikamente ab und Eiweiße auf. Damit haben die Gewebespe-zialisten in Stuttgart ein Testsystem geschaffen, mit dem Arzneien überprüft und die Anzahl von Tierversuchen verringert werden könnte.

Mikrochip als Medikamententestsystem

Ein weiteres Testsystem mit dreidimensionalen Le-berzellkulturen, allerdings im Mikrometer-Maßstab, haben Forscher um Martin Stelzle vom Naturwis-senschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) an der Universität Tübingen im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts „HepaChip“ entwickelt. Das System basiert auf einem Mikro-fluidik-Chip, in dem Leberzellen und die Endothel-zellen gemeinsam kultiviert werden. Mithilfe von elektrischen Feldern haben die Forscher die beiden Zelltypen in einer gefäßartigen Struktur angeord-net. Die 3D-Anordnung kommt der natürlichen Situation in der Leber recht nahe. Die Lebermikro-chips können über mehrere Tage mit Nährmedium gespült und mit pharmakologischen Substanzen getestet werden. Derzeit untersuchen die Forscher die Zuverlässigkeit ihres Tests. Da sich das System automatisieren lässt, ist der HepaChip aus Sicht der Wissenschaftler gerade für die Pharmaindustrie interessant, etwa wenn es um große Testreihen oder Langzeitexperimente geht.

Forscher aus Reutlingen haben einen Leberchip im Mikromaßstab entwickelt, mit dem sich Arzneien testen lassen.

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34 KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn

Knochen und Knorpel: Zum Wachstum anregen

Knochen kann sich bei kleineren Verlet-zungen selbst regenerieren, Knorpel lässt sich gut im labor vermehren. Das nachzüch-ten dieser Gewebe spielt deshalb eine wichtige Rolle für die Regenerative Medizin und hat bereits Einzug in die klinische Praxis gehalten. Doch noch sind die anwendungen auf lokale Schäden begrenzt. Im trend: Stammzellen als Heilungshelfer und Bio-Im-plantate, die vorübergehend die Knochenbil-dung vor ort ankurbeln.

Fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet an einer Arthrose, also einer fortschreitenden Ver-schleißerkrankung an mindestens einem Gelenk. Bisher wird eine Arthrose mithilfe von Schmerz-mitteln gelindert, bei Handlungsbedarf werden Prothesen eingesetzt. Eine regenerative Therapie zielt hingegen darauf ab, die abgenutzten Knor-pelstellen auf biotechnologischem Wege wieder aufzubauen. Ähnliches gilt für Knochendefekte, wie sie durch Verletzungen, Tumorerkrankungen oder Knochenschwund (Osteoporose) entstehen. Auch für den Oberkiefer, zum Beispiel zum Einglie-dern von Zahnimplantaten, wollen Chirurgen den Knochen möglichst vollständig und stabil wieder-herstellen.

Forscher aus Berlin arbeiten daran, die Knochenheilung zu verstehen und gezielt mithilfe von Stammzellen anzuregen. Hier ist Knochenge-webe zu sehen, das sich im Stadium der Verknöcherung befindet.

Knochen haftet das Image der Dauerhaftigkeit an. Doch auch das menschliche Skelett wird ständig umgebaut und runderneuert. Nur 6 bis 12 Monate dauert der Austausch der Knochenzellen im Körper. Am ständigen Umbau der Knochen sind verschie-dene Zelltypen beteiligt: Osteoklasten bauen alte Knochensubstanz ab. Ihre Gegenspieler, die Oste-oblasten, bauen neue mineralische Substanz aus Kalzium und Phosphat auf. Nach einer Verletzung treten die sogenannten mesenchymalen Stammzel-len im Knochenmark in Aktion. Dank dieser vielsei-tigen Bindegewebsreparaturzellen können Knochen selbst Brüche erstaunlich gut meistern. Es bildet sich an einer Bruchstelle eine Knochennarbe, die Vor-läuferzellen aus dem Knochenmark beginnen sich zu teilen und entwickeln sich zu knochenbildenden Osteoblasten. Die Osteoblasten produzieren Binde-gewebsfasern und sorgen für die Einlagerung von Mineralsalzen. Wachsen jetzt noch Blutgefäße in die Knochenhaut ein, so ist der Knochen wieder verheilt.

Knorpel hingegen besitzt im Körper nur geringe Regenerationsfähigkeiten. Gerade in den Gelenken nutzt sich der Knorpel daher ab, er wird spröde und anfällig für Verletzungen, wie etwa der Meniskus oder die Bandscheiben. Da Knorpel aber nur aus einem einzigem Zelltyp besteht, den Chondrozyten, eignet sich Knorpel für die Gewebenachzüchtung im Labor. Gerade bei Knochen und Knorpel ist die Kunst der Gewebeherstellung, das Tissue Engineering, schon vergleichsweise weit entwickelt. Einige An-wendungen werden entweder in klinischen Studien getestet oder bereits in der Praxis genutzt. Gerade hier zeigt sich die neue Ausrichtung der Medizin weg von der Reparatur mit Prothesen hin zur Regeneration mit Zellgewebekonstrukten.

Schon lange wird aber auch an Materialien geforscht, die sich als künstlicher Knochenersatz mög-lichst verträglich in die defekte Stelle einfügen und die den vielfältigen mechanischen Belastungen standhal-ten. Der Trend geht hin zum sogenannten biomimetischen Konzept: Also künstliches Gewebe oder Materialen so herzustellen, dass sie die natür-lichen Strukturen so gut wie möglich nachahmen. Solche Biokonstrukte sollen sich nicht nur besser und schonender in das umgebende Gewebe eingliedern. Im Idealfall sollen diese Implantate vorübergehend durch Freisetzen von Wachstumsfaktoren die körper-eigenen Regenerationskräfte zusätzlich ankurbeln. Dazu nutzen die Forscher verschiedene Mixturen aus Biomaterialien, Signalmolekülen und Zellen.

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Knorpel galt lange Zeit als nicht heilbares Gewebe, der künstliche Gelenkersatz mit Prothesen blieb die einzige Wahl für die Ärzte. Erst seit Mitte der 1990er Jahre wurde eine Technik entwickelt, um lokale Knorpeldefekte, wie sie nach Verletzungen entste-hen, mithilfe von biokünstlichen Transplantaten zu kurieren, die aus Knorpelzellen der Patienten he-rangezüchtet werden. Pro Jahr werden in Deutsch-

land mittlerweile etwa 2.000 Betroffene mit einer solchen Autologen Chrondrozyten-Transplantation (ACT) behandelt. Einem Patienten werden dazu aus dem Knie winzige Knorpelproben entnommen, aus denen die Chondrozyten isoliert werden. Während die Zellen im Körper recht träge sind, lassen sie sich in der Kulturschale sehr einfach vermehren. Auf einer Stützunterlage können sie innerhalb weni-

wie gut ist der Gewebeersatz: Knorpelhersteller prüfen die Qualität ihrer Produkte

Bis der im Labor gezüchtete Gewebeersatz in der Praxis breiten Einzug halten wird, gilt es noch einige Hürden zu nehmen: Es braucht überzeu-gende Nachweise für Wirksamkeit und Nutzen solcher Behandlungen, zudem sollen sie auch aus gesundheitsökonomischer Sicht effizient sein. Doch solche Nachweise sind für die neuar-tigen, individuellen Therapien meist schwer zu führen, da oft noch keine anerkannten Quali-tätsanzeiger etabliert sind. Die neuen Richtli-nien der Europäischen Arzneimittelagentur EMA fordern für eine Zulassung von Arzneipro-dukten aus menschlichen Zellen umfangreiche Verträglichkeitstests und eine Prüfung der mechanischen Eigenschaften eines Kunstge-webes – und zwar vor, während und nach der Transplantation. Gerade bei Knorpelzellim-plantaten ist die biomechanische Belastbarkeit einer der Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Behandlung. Außerdem gibt es großen Bedarf an Biomarkern, also molekularen oder bioche-mischen Anhaltspunkten, die Ärzten Aussagen über die Reinheit und die Wirkung der Knorpel-produkte erlauben.

Hier setzt ein strategischer Dachverbund mit dem Kürzel„NET-B“ an. NET-B umfasst vier Knorpelersatzforschungsprojekte von sieben Forschungseinrichtungen und sieben Unterneh-men. Der Verbund wird bis 2012 vom BMBF mit 10 Millionen Euro unterstützt. Ein vom Hersteller Endolab koordiniertes Teilprojekt hat zum Ziel, die Belastbarkeit und die biomechanischen Ei-genschaften von Knorpelzelltransplantaten im Labor und im Tiermodell zu testen. Weitere Teil-projekte der Knorpelhersteller Biotissue Techno-logies und Tetec AG umfassen klinische Studien,

Diese künstliche Knorpelgewebe kann wieder in ein krankes Knie eingesetzt werden. Wie sicher und wie belastbar der Knorpeler-satz ist, wird in verschiedenen Projekten geprüft.

in denen der Einsatz von Knorpelersatzgewebe am Patienten getestet wird. Ein viertes Teilpro-jekt hat die Überführung von Knorpelzellpro-dukten in die medizinische Praxis im Visier. So soll ein Prüflabor eingerichtet werden, in dem sich alle nötigen Tests durchführen lassen, die für die Zulassung regenerativer Medizinpro-dukte notwendig sind. Die Forscher erhoffen sich Erkenntnisse darüber, wie man die Lebens-dauer und die Einsatzbereiche von Biotech-Knorpel vergrößern kann.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Regene-rationstechnologien“:„Strategischer Dachverbund NET-B-Qualitätsma-nagement für die regenerative Knorpeltherapie“ (2009 bis 2012) Partner: u. a. NMI Technologietranfer GmbH, Tetec AG, Biotissue Technologies GmbH, Endolab GmbH

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36 KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn

ger Wochen zu neuem Gewebe herangezüchtet werden. Mit solchem Knorpelgewebe können aber bislang nur kleine lokale Defekte passgenau ausge-bessert werden. Noch nicht geeignet ist das Verfah-ren für die hunderttausende Patienten, die unter Gelenkverschleiß, zum Beispiel am Knie, leiden.

Doch daran wird in mehreren BMBF-Verbund-projekten geforscht (siehe Kasten S. 35): Die Reut-linger Biotech-Firma Tetec AG und das Naturwis-senschaftliche und Medizinische Institut an der Universität Tübingen (NMI) konnten zeigen, dass sich selbst aus einem maroden Gelenk mit einer Arthrose noch vermehrungsfähige Chondrozyten gewinnen und züchten lassen. Alternativ lassen sich die benötigten Knorpelzellen auch aus me-senchymalen Stammzellen aus dem Knochenmark gewinnen, indem man sie in der Petrischale zu knorpelartigen Zellen umwandelt. Noch tüfteln Zel-lingenieure weltweit an der geeigneten Rezeptur, mit der sich die Stammzellen zuverlässig zu purem Gelenkknorpel heranreifen lassen. Von sich aus entwickeln sich die Stammzellen in der Kulturscha-le nämlich eher zu Wundheilknorpel, der etwas andere Eigenschaften besitzt.

Knorpelproduktion im Körper stimulieren

Einen völlig neuen Ansatz für die Herstellung von neuem Knorpel erforschen Gewebe-Ingenieure um Prasad Shastri an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Die Forscher wollen den Körper selbst ge-zielt dazu anregen, Gelenkknorpel in ausreichender Menge herzustellen. Dazu spritzen sie ein gelartiges Biomaterial unter die Knochenhaut des Schien-beins. Das Gel löst an dieser Stelle offenbar einen Sauerstoffmangel aus, der die Zellen dazu drängt, sich in Knorpelgewebe zu verwandeln. Die Forscher nennen dieses Vorgehen in vivo-Tissue enginee-ring. Der Körper wird hier selbst zum lebendigen Bioreaktor. Den neu entstandenen Knorpel haben die Forscher herausoperiert und bei Kaninchen in defekte Gelenke hineinverpflanzt. Hier fügte sich das Ersatzgewebe gut ein und verkalkte auch nach neun Monaten nicht. Das neue in vivo-Verfahren soll bald auch in ersten klinischen Patientenstudien erprobt werden. Sollte sich die Methode als sicher und zuverlässig erweisen, wäre dies vielleicht eine interessante Option für die Behandlung von größe-ren Gelenkknorpelschäden. Darüber hinaus wird an der Behandlung von Bandscheibenvorfällen geforscht. Bandscheiben sind die Stoßdämpfer der

So sehen Knorpelzellen in der Zellkulturschale aus. Sie können im Labor recht gut herangezüchtet werden.

Wirbelsäule. Sie sind wie scheibenförmige Kissen von einem knorpeligen Außenring umfasst und mit einer gelartigen Knorpelmasse gefüllt. Bei einem Bandscheibenvorfall quillt das Gel aus den spröde gewordenen Bandscheiben heraus und quetscht dabei Nerven ein, was zu Lähmungserscheinungen führt. Die gängige Behandlungsmethode ist eine Operation, bei der das ausgetretene Bandscheiben-zellen-Gel entfernt wird. Da die Bandscheibe sich nicht selbst regenerieren kann, wird die verblie-bene Knorpelmasse dabei also dünner und sie ist weiterem Verschleiß ausgesetzt.

Mehrere Biotech-Unternehmen und klinische Forschergruppen haben mittlerweile Verfahren entwickelt, um die Bandscheiben nach einer Ope-ration wieder biologisch aufzubauen. Die Zucht von Bandscheibenknorpelmasse ähnelt der Technik beim Gelenkknorpel: Den Patienten werden nach einem Bandscheibenvorfall zunächst kleine Men-gen Bandscheibengewebe entnommen, die Zellen in Kultur aufbereitet und vermehrt. Die Teltower Biotech-Firma Co.don AG hat sich auf die Nachzucht von patienteneigenen Bandscheibenzellen speziali-siert. Einige Monate nach der Entnahme werden die gezüchteten Ersatzzellen in Form eines Gels wieder in die kranke Bandscheibe gespritzt – wie bei einem Nachfüllpack. Dadurch soll die weitere Abnutzung der Bandscheibe verhindert werden. Die Behand-lungsmethode ist bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt, ihr Nutzen wird derzeit in klinischen Studien überprüft. Erste vorliegende Ergebnisse sind vielversprechend: Im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden führte die Zelltherapie zu Verbesserungen.

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37KnocHEn unD KnoRPEl: ZuM wacHStuM anREGEn

Knochenheilung mit Stammzellen Komplexe Knochenbrüche lassen sich nicht ein-fach durch Kleben oder mit Nägeln reparieren, die notwendige Heilung muss der Knochen selbst erledigen. Doch mit zunehmendem Alter lassen die Regenerationskräfte im Knochen nach. Forscher an mehreren deutschen Universitätskliniken suchen deshalb nach Methoden, um die Knochenheilung auch bei alten Menschen zu beschleunigen. Forscher vom Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) analysieren dazu im Detail, wie die Knochenheilung in der Natur abläuft. Offenbar gehen während des Alterns wichtige Wachstums-faktoren verloren. Eine vielversprechende Therapie ist der Einsatz von Stammzellen aus dem Knochen-

mark. Diese können die Mediziner während einer Operation vom Patienten gewinnen und anreichern. In die Knochenbruchstelle können die Stammzellen dann schon während des Eingriffs oder aber nach mehrwöchiger Züchtung im Labor gespritzt werden. Die Stammzellen setzen offenbar am Knochenspalt einen Cocktail von Wachstumsfaktoren und ande-ren Stoffen frei, der die Heilungsprozesse und das Einwachsen von Blutgefäßen fördert. Ein Problem, das die Biomediziner jedoch beschäftigt: Die adulten mesenchymalen Stammzellen der Senioren sind mit ihrem Besitzer mitgealtert und eignen sich nur noch eingeschränkt für die Regeneration. In Dresden, Ber-lin und Würzburg wird deshalb daran geforscht, wie die Stammzellen älterer Menschen im Labor wieder für die Knochenheilung fit gemacht werden können.

Biokünstlicher Knochenersatz – mit Rohstoffen aus dem Meer

Wenn Material für einen biologischen Kno-chenersatz gebraucht wird, so wird dies bislang beim Patienten selbst an einer Körperstelle entnommen und dann verpflanzt. Eine weniger belastende Alternative wäre biotechnologisch gezüchteter Knochen. Damit Knochenzellen erfolgreich im Labor zu einem Gewebe werden können, müssen sie auf einem dreidimensio-nalen Gerüst aus Biomaterialien wachsen. Das können Alginate, Kollagene, Hydroxylapatit-Kristalle oder Keramiken wie Calciumphosphat sein. Die körperverträglichen Materialen weisen meist feine Poren auf, die wie ein Klettergerüst

Dieses Trägergerüst ist aus marinem Kollagen aufgebaut. Es kann mit Knochen- oder Knorpelzellen besiedelt werden.

für die Zellen wirken. In einem Bioreaktor wer-den die Implantate mit Stammzellen besiedelt, die zuvor aus dem Knochenmark des Patienten gewonnen wurden. Zusätzlich werden die Oberflächen der Gerüste mit Wachstumsfakto-ren beschichtet. Das entstandene Implantat soll im Körper wie eine Leitschiene auf die Umge-bung wirken: Im umliegenden Gewebe wird die Regeneration angeregt, und die Knochen-masse wächst nach und nach in das Implantat ein, während die Leitstruktur nach einiger Zeit abgebaut wird. In einem vom BMBF geförderten Projekt testen Forscher aus Dresden, Freiberg und Lübeck Kollagene aus Meereslebewesen auf ihre Eignung als verträgliches und vielsei-tiges Gerüstmaterial. Für die Herstellung von Knochen gewinnen die Forscher Kollagen vom Typ-I aus Fischhäuten, für die Knorpelzucht mit dem Kollagen Typ-II nutzen sie marine Quallen. Durch die Kombination dieser Materialien wol-len die Zellingenieure Verbundteile aus Knorpel-knochen produzieren.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „Zellbasierte regenerative Medzin“:„Regeneration mit zellspezifischen Matrices (RECEM)“ (2009-2012)Partner: TU Dresden, Universität Lübeck, For-schungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen

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38 nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn

Nerven und Gehirn: Regenerationspotenzial ausloten

Schlaganfälle oder neurodegenerative leiden sind deswegen so folgenschwer, weil das zerstörte Gehirngewebe kaum zur Regeneration fähig ist. Spenderzellen aus dem labor sollen helfen, die zerstörten Regionen wieder zu ersetzen. Forscher wollen Stammzellen im Gehirn besser verste-hen und sie gezielt zur Vermehrung anregen. Darüber hinaus sollen biokünstliche Materi-alien bei lähmungen dazu beitragen, dass nervenfasern wieder wachsen. Reprogram-mierte Patienten-Zellen sollen künftig für die Erforschung und Behandlung eine Schlüssel-rolle spielen.

Der demographische Wandel bringt es mit sich: Immer mehr Menschen werden immer älter, damit steigt auch die Zahl neurodegenerativer Erkran-kungen wie etwa Alzheimer oder Parkinson. Bei diesen schleichenden, bislang unheilbaren Lei-den kommt es zu massivem Nervenzellsterben im Gehirn, was zu Bewegungsstörungen und geistigen Beeinträchtigungen führt. Nach Ansicht von Gesundheitsforschern werden bis 2040 die neurodegenerativen Leiden nach Herz-Kreislauf-Er-krankungen und noch vor Krebs die zweithäufigste Todesursache sein.

Einmal abgestorben, so dachten Wissenschaft-ler bis vor wenigen Jahren, sind Nervenzellen für immer verloren. Auch Verletzungen des Rücken-marks galten lange Zeit als unheilbar. Doch aktuelle Fortschritte in der Neuro- und Stammzellbiologie machen Hoffnung: Sie zeigen nicht nur das mög-liche Potenzial von Zellersatzbehandlungen. Es gibt offenbar auch einige Regionen im Gehirn, in denen Stammzellen sitzen, die dafür sorgen, dass ein Leben lang neue Nervenzellen gebildet werden. Dieser Fund hat den Blick auf das Gehirn verändert und eröffnet Regenerationsmedizinern auch völlig neue Therapieansätze.

Zellverluste bei Parkinson ersetzen Morbus Parkinson gehört zu den häufigsten neuro-degenerativen Leiden, etwa 300.000 Menschen sind in Deutschland betroffen. Bei Parkinson-Patienten stirbt insbesondere eine bestimmte Gruppe von

Schwannsche Zellen sind wichtige Stützzellen im Nervensystem. Deshalb sind sie für die Regenerative Medizin bedeutsam.

Nervenzellen im Mittelhirn ab, die den Botenstoff Dopamin herstellt. Durch den Dopaminmangel tre-ten das typische Muskelzittern und Lähmungen auf, die zur vollständigen Bewegungslosigkeit führen können. Medikamente oder aber Verfahren wie die tiefe Hirnstimulation mittels eingepflanzter Elek-troden werden heute allenfalls zur Linderung der Symptome eingesetzt, sie können das Fortschreiten der Erkrankung aber nicht stoppen.

Da nur ein Zelltyp, die Dopamin-produzie-renden Nervenzellen, betroffen ist, gilt Parkinson als Kandidat für eine Zellersatztherapie. Bereits seit mehr als 20 Jahren testen Neuroforscher, ob ins Gehirn transplantierte Ersatzzellen die Funktion des Dopamin-Produzenten übernehmen können. Für diese Eingriffe verwenden Mediziner vor allem Stammzellen, die von abgetriebenen Föten gewon-nen werden. In klinischen Studien zeigte ein Teil der Patienten nach dieser Behandlung spürbare Verbes-serungen. Allerdings belegt die bisherige Studi-enlage den Nutzen der Therapie noch nicht klar genug. Eine große internationale klinische Trans-plantationsstudie im Rahmen einer EU-Förderung unter Beteiligung von Freiburger Forschern testet derzeit die Sicherheit und Effektivität einer tech-nisch verfeinerten Form dieser Therapie. Langfristig möchten die Mediziner aber weg von den fetalen Stammzellen. Andere Quellen für dopaminerge Nervenzellen könnten embryonale Stammzellen sein. Hier testen deutsche Forscher, wie die Arbeits-

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39nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn

gruppe von Oliver Brüstle an der Universität Bonn, mit welchen Rezepten sich die Stammzellen im Reagenzglas zuverlässig und sicher zu dopaminer-gen Nervenzellen züchten lassen. Im Tierversuch funktioniert die Zelltherapie bereits. Allerdings ist die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stamm-zellen ethisch wie immunologisch ebenfalls proble-matisch. Deshalb erfahren die neuen Möglichkeiten zur künstlichen Reprogrammierung von Körper-zellen (vgl. S. 7ff.) derzeit große Aufmerksamkeit.

Da sich mit dieser Technik aus Körperzellen eines Patienten neuronale Ersatzzellen züchten lassen, könnte dieser Methode künftig eine Schlüsselrolle zukommen. Letztlich befinden sich aber all diese Ansätze noch in einer experimentellen Phase.

Während Parkinson eine schleichende Erkran-

kung ist, trifft ein Schlaganfall viele Betroffene aus heiterem Himmel. Hier kommt es zu einer Durch-blutungsstörung im Gehirn, in der Folge sterben

Durchtrennte nervenfasern mit leitschienen wieder zusammenführen

Werden bei einer schweren Verletzung Ner-venstränge durchtrennt, so treten häufig Lähmungen und andere Behinderungen auf. Nervenfasern können im Körper zwar wieder auswachsen, doch oft fehlt ihnen über längere Strecken die Orientierung und sie sprießen verloren umher. Chirurgen entnehmen deshalb meist einen einigermaßen entbehrlichen Nerv aus dem Bein des Patienten, um die durch-trennten Nervenstränge mit diesem Ersatzteil zu überbrücken, so dass sie wieder zusammen-finden. Doch diese körpereigenen Transplan-tate sind nur sehr begrenzt verfügbar, noch dazu kann es bei solchen Eingriffen zu Neben-wirkungen kommen. Mediziner um Ahmet Bozkurt vom Universitätsklinikum der Rhei-nisch-Technischen Hochschule (RWTH) Aachen entwickeln zusammen mit der Biotechnologie-Firma Matricel in Herzogenrath sogenannte

In ein Kollagen-Gel werden Kanäle hineingefräst. Durch diese Leitstrukturen können sich Nervenfasern hindurchtasten.

biokünstliche Nervenleitschienen. Nach einem patentierten Verfahren werden in ein Kollagen-Gel mittels wachsender Eiskristalle feinste Hohlräume gefräst. Die entstandenen inneren Leitröhrchen werden anschließend mit patien-teneigenen Schwann-Zellen – den natürlichen Hüll-und Stützzellen im Nerven – besiedelt. Diese Zellen lagern sich an und locken durch abgesonderte Wachstumsfaktoren die wachsen-den Nervenfasern an. Danach umschließen sie die einsprießenden Axone wie ein Strumpf und formen die sogenannte Myelinschicht. Die bishe-rigen Studien haben gezeigt, dass die Schwann-Zellen als Lotsen offenbar der Schlüssel für eine erfolgreiche künstliche Nervenleitscheine sind. Die Forscher haben ihre „Biohybride“ im Tier-versuch getestet. Dazu werden die Brücken-Kon-strukte in Ratten mit durchtrennten Beinnerven implantiert. Nach mehreren Wochen zeigte sich, dass ein effektives Aussprossen der Ner-venfasern in die Leitstruktur erfolgt und dass die regenerierenden Nervenfasern den Muskel auch tatsächlich erreichen und zum Zusammen-ziehen anregen können. Nun soll die Strategie klinisch bei Patienten erprobt werden.

Projekt in den BMBF-Förderinitiativen „BioChancePlus“ und „KMU-innovativ“:„Rekonstruktion peripherer Nervendefekte durch schwannzellbesiedelte Kollagenmatrices mit defi-nierter Röhrenstruktur“ (2008 bis 2010), „Klinische Interventionsstrategie zur überbrückenden Behand-lung akuter und chronischer peripherer Nervende-fekte bei Patienten“ (2011-2014) Partner: Matricel GmbH

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40 nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn

unterversorgte oder durch Blutergüsse gequetschte Hirnregionen ab. Gleich mehrere Nervenzelltypen sind von diesem Untergang betroffen. Die Folge sind Lähmungen und geistige Beeinträchtigungen. Regenerative Therapien zielen beim Schlaganfall weniger auf den Ersatz der untergegangenen Zellen ab. Stattdessen sollen eingepflanzte Stamm-zellen die Selbstreparatur-Mechanismen im Gehirn ankurbeln. Solche Ansätze befinden sich aber noch in einer frühen experimentellen Testphase: Neurochirurgen des International Neuroscience Institute (INI) in Hannover erproben derzeit in einer klinischen Pilotstudie eine Stammzelltherapie nach dem „Teebeutelkonzept“ : Dabei wird Schlaganfall-patienten ein kleiner Behälter mit gentechnisch veränderten Stammzellen aus dem Knochenmark in das Gehirn eingesetzt. Wie eine kleine Arznei-mittelfabrik sondern die Stammzellen wachstums-fördernde und entzündungshemmende Eiweiße ab. Da die körperfremden Stammzellen mit einem Alginat umkapselt sind, werden sie vom Immun-system des Patienten nicht abgestoßen. Nach zwei Wochen wird der Stammzellbeutel bei einer Folge-Operation wieder entfernt. Erste Ergebnisse aus der Pilotstudie stimmen die Forscher optimistisch, dass die im Tierversuch belegte Wirkung auch beim Menschen so eintreten könnte.

Stammzellen reifen in der Kulturschale zu den verschiedenen Kompo-nenten des Nervensystems aus, hier zum Beispiel zu Oligodendrozyten.

Das Nervensystem eines Erwachsenen bringt zwar nur im geringen Umfang neue Zellen hervor, allerdings können die Fortsätze der Nervenzellen (die Axone) wachsen. Die manchmal meterlan-gen Ausläufer leiten wie Kupferkabel elektrische Signale von den Zellen des Rückenmarks hin zu den Muskeln. Wird eine Nervenfaser durchtrennt, so schiebt die betroffene Nervenzelle einen beweg-lichen Wachstumskegel vor, der sich täglich einen Millimeter weiter in die Umgebung vortastet und das abgetrennte Pendant des Nervenstrangs wieder zu fassen versucht. Meist gelingt dieser Anschluss aber nicht mehr, weil die Lücke zu groß ist oder wu-cherndes Narbengewebe den Weg versperrt.

Künstliche Straßen für wachsende nerven

Chirurgen helfen bislang dem gerichteten Wachs-tum auf die Sprünge, indem sie einen Nervenstrang an anderer Stelle des Körpers entnehmen und als Lückenfüller einbauen. Künstliche Nervenleitschie-nen sollen diese Behandlung ersetzen (siehe Kasten S. 39). Neben den Aachener Forschern testen auch Wissenschaftler vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) in Reutlingen diesen Ansatz. Deren biokünstliche Implantate sollen den Aufbau eines Nervenstrangs so gut wie möglich nachahmen: Sie bestehen aus Kollagen-Hohlröhren, die mit einem Geflecht aus feinsten Polymerfilamenten gefüllt sind und sich nach einer bestimmten Zeit abbauen. Diese Strukturen werden zusätzlich mit patienteneigenen Schwann-Zellen besiedelt, damit die Nervenfasern angelockt wer-den. Zugesetzte Wachstumsfaktoren sollen zudem Blutgefäße sprießen lassen, um die Nährstoffver-sorgung des nachwachsenden Nervenstrangs zu gewährleisten.

Wissenschaftler würden Nervenleitschienen gerne auch bei Rückenmarksverletzungen einset-zen, doch die Situation ist hier ungleich schwie-riger: Bei einer Querschnittslähmung, wie sie weltweit 30 000 Patienten pro Jahr erleiden, kommt es zur Quetschung von Nervensträngen im Rücken-mark. Die Folge: An der verletzten Stelle bilden sich Narben, die die aussprossenden Nervenfortsätze nicht passieren können. Hinzu haben Forscher entdeckt, dass im Rückenmark wie auch im Gehirn bei Verletzungen körpereigene Eiweiße freigesetzt werden, die die Regeneration hemmen und die Axone in ihrem Wachstum bremsen. Könnte man solche Hemmstoffe gezielt blockieren, so die Idee,

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41nERVEn unD GEHIRn: REGEnERatIonSPotEntIal auSlotEn

dann müssten Nervenschäden wieder heilen. Tü-binger Forscher versuchen deshalb, ihren Nerven-leitschienen einen Hemmstoffblocker zuzusetzen. Züricher Forscher um Martin Schwab haben eine Antikörpertherapie entwickelt, die die molekularen Bremsklötze aushebeln kann. Einen anderen Ansatz wählt das biopharmazeutische Unternehmen SCT Spinal Cord Therapeutics GmbH aus Düsseldorf. Es testet derzeit ein Medikament, das gezielt die Narbenbildung nach einer Rückenmarksverletzung unterbindet.

Stammzellen im Gehirn gezielt nutzen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Neurowissen-schaften in den letzten Jahren brachte ein Dogma ins Wanken. Noch bis vor wenigen Jahren galt es als unumstößlich: Einmal abgestorbene Nervenzellen sind verloren und können beim Erwachsenen nicht von selbst ersetzt werden. Doch dann entdeckten Forscher zwei Regionen im Gehirn, in denen auch beim Menschen zeitlebens neue Nervenzellen gebil-det werden. Diese Areale sind der für das Gedächt-nis wichtige Hippocampus und der Riechkolben. Hier sitzen neuronale Stammzellen, die sich teilen und neue Nervenzellen hervorbringen und sich an-schließend in das Netzwerk des Gehirns integrieren können. Diese sogenannte adulte Neurogenese hilft also dabei, das erwachsene Gehirn zu regenerieren.

Die Entwicklungsbiologin Magdalena Götz vom Helmholtz-Zentrum in München ist seit vielen Jahren den Geheimnissen der Neubildung von Ner-venzellen im erwachsenen Gehirn auf der Spur. So konnte die Forscherin zeigen, dass sich sogenannte Gliazellen, denen lange Zeit bloß eine Stütz- und Ernährungsfunktion im Gehirn zugeschrieben wurde, in bestimmten Fällen teilen können und dabei Nervenzellen hervorbringen. Gliazellen sind also die neuronalen Stammzellen des Gehirns. Für ihre Forschungen wurde Götz im Jahr 2007 mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet. Glia-zellen befinden sich zwar überall im Gehirn, doch in den meisten Regionen haben sie die Fähigkeit verloren, Neuronen zu bilden. Bei Mäusen hat das Forscherteam um Götz jedoch beobachtet, dass die Gliazellen nach Verletzungen im Gehirn wieder da-mit beginnen, sich zu teilen und zu Stammzellen zu werden. Die Münchner Forscher suchen nun nach speziellen Regulatormolekülen, mit denen sich die Neurogenese möglichst in allen Teilen des Gehirns stimulieren lässt.

Neurowissenschaftler haben beobachtet, dass gerade bei neurodegenerativen Erkrankungen die Neubildung von Nervenzellen gestört ist. Sie erhoffen sich durch die Erforschung dieses Pro-zesses bei Erwachsenen deshalb nicht nur ein besseres Verständnis über die Entstehung dieser Krankheiten. Die Hoffnung ist es, den krankhaften Prozessen entgegenzuwirken, indem man die Neu-bildung von Nervenzellen gezielt fördert. Eine von einigen Forscher verfolgte Strategie käme sogar ohne einen chirurgischen Eingriff aus: Hierbei soll die Neurogenese im Gehirn mithilfe bestimmter Wirkstoffe gezielt von außen angekurbelt werden. Die Neurobiologen suchen so etwas wie einen Dünger für die Hirnzellen. Solch ein Startsignal für das Nachwachsen von Nervenzellen könnte auch durch körperliche und geistige Aktivität ausgelöst werden. Dieser Hypothese gehen Forscher um Gerd Kempermann vom Forschungszentrum für Regenerative Therapien in Dresden (CRTD) nach. Um die Neurogenese im Hippocampus zu unter-suchen, lassen sie Mäuse ein forderndes Training absolvieren. Dann testen sie, wann und wie neurale Stammzellen im Gehirn aktiv werden – und zwar im Vergleich zu Mäusen ohne Bewegung.

Auch wenn ein möglicher Einsatz von neuralen Stammzellen in der klinischen Praxis noch lange er-probt werden muss: für die Erforschung von neuro-degenerativen Erkrankungen können diese Zellen schon heute wertvolle Dienste leisten. Für Leiden wie Parkinson, Alzheimer oder Multiple Sklerose gibt es zwar Tiermodelle, sie spiegeln den Verlauf der schleichenden Erkrankungen aber nur sehr unzureichend wider. Durch die neuen Techniken der Zellreprogrammierung haben sich jedoch ganz neue Möglichkeiten aufgetan. Wandelt man die künstlich erzeugten Stammzellen im Labor zu Ner-venzellen um, so kann man diese Gewebe nutzen, um potenzielle Wirkstoffe und Krankheitsmecha-nismen daran zu untersuchen.

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42 nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH

Neue Tests: Gewebe als Ersatz zum Tierversuch

um Medikamente und chemikalien auf nebenwirkungen zu testen, sind tierver-suche bislang unverzichtbar. Doch sie liefern mitunter keine hinreichend zuverlässigen Ergebnisse. Künstlich gezüchtete mensch-liche Gewebe oder organe sollen belastende tierexperimente reduzieren helfen und gleichzeitig die arzneitests sicherer und aussagekräftiger machen.

Um die Sicherheit von Chemikalien, Kosmetika, Pflanzenschutzmitteln und Arzneimitteln für den Verbraucher zu gewährleisten, müssen die In-haltsstoffe auf unerwünschte Wirkungen getestet werden, bevor es eine Zulassung für den Markt gibt. Bislang werden solche Tests vor allem auf der Basis von Tierversuchen durchgeführt. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (BMELV) wurden 2010 in Deutschland rund 2,9 Millionen Wirbeltiere für Tierversuche und andere wissenschaftliche Zwecke eingesetzt. Die Tendenz ist in den letzten Jahren wieder ansteigend, was unter anderem am verstärkten Einsatz transgener Tiere in der biomedi-zinischen Grundlagenforschung liegt. Die Erfor-schung oder Entwicklung von Produkten, Geräten oder Verfahren für Human-, Zahn- oder Veterinär-medizin sind ebenfalls mit für die steigenden Zah-len verantwortlich. Neue EU-Verordnungen, wie

Mithilfe von künstlichen menschlichen Hautmodellen lassen sich Substanzen auf unerwünschte Nebenwirkungen testen.

etwa die Chemikalien-Richtlinie REACH, werden den Bedarf nach Ansicht von Experten noch weiter drastisch ansteigen lassen (vgl. Kasten S. 43).

Dennoch gibt es Regelungen, um derartige Tests mit Tieren bestmöglich zu vermeiden. Wo immer es zuverlässige und zugelassene Alternativen für Tests gibt, müssen sie anstelle der Tierversuche angewendet werden. Das wird auch in der neuen Tierversuchsrichtlinie der EU betont, die im Septem-ber 2010 verabschiedet wurde. Das BMBF unter-stützt mit der Förderinitiative „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ seit vielen Jahren die Suche nach derartigen Test-Alternativen. In den vergangenen 30 Jahren sind mehr als 120 Millionen Euro in 400 Forschungsprojekte geflossen.

Heute sind weltweit rund 40 Testmethoden im Sinne des 3R-Konzepts (s. u.) als behördlich aner-kannte Prüfmethoden auf dem Markt. Als Alterna-tive eignen sich neben Computersimulationen vor allem Zellkulturen aus dem Labor. Ziel ist es, die Funktion von menschlichen Organen wie der Haut oder der Leber möglichst naturgetreu in Form von komplexen dreidimensionalen Zell- und Gewebe-kulturen nachzuahmen und damit die Tests zuver-lässiger und aussagekräftiger zu machen.

Zellkulturtests mit Prüfsiegel

Wissenschaftlich überprüft werden Alternativen zum Tierversuch bei der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmetho-den zum Tierversuch (ZEBET). Sie ist eine staatliche Forschungseinrichtung, die am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin angesiedelt ist und legt bei der Prüfung das 3R-Konzept zugrunde. Darunter sind alle wissenschaftlichen Methoden zu verstehen, die mindestens eine der drei Anforde-rungen erfüllen:

• durch die anwendung der Methode wer-den tierversuche ersetzt (Replacement)

• die Zahl der Versuchstiere wird reduziert (Reduction)

• das leiden und die Schmerzen der Ver-suchstiere werden vermindert (Refinement)

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Schwerpunkt der ZEBET-Arbeit ist die Bewer-tung der alternativen Tests. Tierversuchsfreie Prüfmethoden werden auf ihre Tauglichkeit als akzeptables und zuverlässiges Verfahren hin über-prüft. Ist ein neuer Test akzeptiert, muss noch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zustimmen. Erst wenn die OECD als internationale Organisation eine alternative Prüfmethode in Form einer Richtlinie anerkennt, ist sichergestellt, dass „validierte“

Testverfahren auch in gesetzlich vorgeschriebenen Studien eingesetzt und von zuständigen Behörden weltweit anerkannt werden.

Neben ihrer Prüfungsarbeit forschen die Wissenschaftler am ZEBET aber auch an eigenen Alternativen. Eines der Projekte dreht sich darum, dass Embryonen im Mutterleib besonders emp-findlich auf Arzneistoffe und Industriechemikalien reagieren. Seit dem Contergan-Skandal muss des-

Eu-Richtlinie REacH: tausende alt-chemikalien auf dem Prüfstand

Hinter dem Kürzel REACH verbirgt sich die 2007 in Kraft getretene EU-Chemikalienver-ordnung „Registration, Evaluation and Autho-risation of Chemicals“. Sie sieht vor, dass rund 30.000 Chemikalien, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind, nachträglich auf ihre Giftigkeit geprüft werden sollen. Bis 2019 wird dies voraus-sichtlich einen enormen Anstieg an Tierversu-chen nach sich ziehen. Allerdings schreibt die REACH-Verordnung auch ausdrücklich die Ver-wendung und die Suche nach alternativen Test-methoden vor. Neben den damit verbundenen ethischen Bedenken sind die herkömmlichen Tierversuche enorm teuer und zeitaufwendig. Die durch REACH entstehenden Zusatzkosten werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Der Bedarf an verlässlichen Alternativmethoden ist also groß. Einen weiteren Impuls zu alterna-tiven Methoden aus dem Zelllabor liefert die 7. Kosmetik-Richtlinie. Sie verbietet seit dem 11. März 2009 den Gebrauch von Versuchstieren für Haut-Irritationstests mit Kosmetikprodukten. An Tieren getestete Kosmetikinhaltsstoffe werden also nicht mehr in Europa zugelassen und kön-nen nicht mehr vertrieben werden. Stattdessen soll an künstlichem Hautersatz getestet werden. Zudem gilt auch ein Vermarktungsverbot für alle Hygieneartikel aus dem nichteuropäischen Ausland, für deren Prüfung Tests mit Tieren durchgeführt wurden. Die Regelung erhöht den Druck auf die Kosmetikhersteller, nach Alterna-tiven zu suchen. Hautreizungen, die Hautdurch-dringung und die Auswirkung von Licht auf die Giftigkeit kosmetischer Inhaltsstoffe lassen sich mithilfe von Zellkulturen schon jetzt zum Teil zu-

Die Chemikalienverordnung REACH erhöht den Druck auf Unternehmen, nach Alternativen zum Tierversuch zu suchen.

verlässiger testen als durch Tierversuche. So kön-nen für Verträglichkeitsprüfungen an Haut und Auge mittlerweile rekonstruierte Hautmodelle anstatt Kaninchenaugen verwendet werden. Trotz solcher Erfolge gibt es noch jede Menge zu tun. Die EU-Kommission hat deshalb 2009 gemeinsam mit der europäischen Kosmetikindu-strie ein neues Förderprogramm aufgelegt, für das 50 Millionen Euro für Forschungsvorhaben zur Verfügung stehen. Auch das BMBF fördert die Entwicklung von Ersatzmethoden im Tierver-such – in einem weltweit einmaligen Umfang. Innerhalb der vergangenen 30 Jahre sind mit bislang rund 120 Millionen Euro insgesamt 400 Forschungsprojekte finanziert worden. Dies wird auch in Zukunft weiter fortgesetzt.

Mehr Informationen: www.ptj.de/alternativmethoden-tier

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44 nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH

halb jedes Medikament vor der Zulassung darauf geprüft werden, ob es Embryonen schädigen kann. Zwar lassen sich die Versuche mit schwangeren Tieren nicht vollständig ersetzen, am ZEBET werden jedoch vielversprechende Alternativen entwickelt, die Hinweise liefern sollen, ob bestimmte Wirk-stoffe die Entwicklung des Nervensystems von Embryonen im Mutterleib beeinträchtigen können.

Die sogenannte Entwicklungsneurotoxizität gehört zu den schwerwiegendsten Nebenwir-kungen, die eine Chemikalie oder ein Arzneimittel auslösen kann. Die Prüfung erfolgt traditionell im Tierversuch, zumeist an Ratten. Für den Test an nur einer Substanz sind bisher bis zu 140 Muttertiere und 1.000 Jungtiere nötig, zugleich sind die Ver-suche extrem zeit- und kostenintensiv. Aus Sicht der ZEBET-Forscher bieten embryonale Stammzellen von Mäusen, die im Labor beliebig vermehrt wer-den können, eine gute Alternative. Die Idee: In der

Zellkultur reifen die Stammzellen zu bestimmten Nervenzellen aus und werden dabei mit den zu prüfenden Stoffen behandelt. So zeigt sich, ob die Substanzen die Entwicklung der Nervenzellen schä-digen. Die Forscher lassen aus den Stammzellen der Maus auch Herzmuskelzellen heranwachsen, die in der Petrischale regelmäßig schlagen. Stören die Substanzen die Ausbildung oder die Funktion dieser Mini-Herzgewebe, dann wird Alarm ausgelöst. Die ZEBET-Stammzelltests können damit für eine di-rekte Schädigung eines Embryogewebes Aussagen liefern.

Ein Testsystem, das auf humanen embryonale Stammzellen basiert, haben Forscher um Thomas Eschenhagen entwickelt. Die Hamburger Forscher differenzieren die humanen Zellen im Labor zu herzmuskelähnlichem Gewebe, das sich besonders flexibel in Wirkstofftests einsetzen lässt. Neben derartigen Zellkulturtests gibt es auch Forschungs-

Krebsforschung in 3D: tumorkugeln für bessere wirkstofftests

Wirkstoffe für Krebstherapien werden her-kömmlicherweise an Zellkulturen getestet, in denen Krebszellen in einer Schicht am Boden der Petrischale wachsen. Das spiegelt die natürliche Situation aber nur unzureichend wider, schließlich wuchern Tumore im Körper dreidimensional. Herkömmliche Wirkstofftests liefern deshalb wenig aussagekräftige Hinweise über die tatsächliche Schlagkraft einer Substanz. Unterstützt vom BMBF hat das 2006 von Barbara Mayer und Ilona Funke gegründete Münchner

An kugeligen Mikrotumoren lassen sich zuverlässigere Aussagen gewinnen, wie wirksam Medikamente Krebszellen bekämpfen.

Biotechnologie-Unternehmen Spherotec ein Verfahren entwickelt, bei dem sich Krebszellen in der Petrischale zu kleinen Kugeln organisieren, die sogenannten Sphäroide. Solche Sphäroide imitieren die Natur eines Tumors deutlich besser als bisherige Zellkulturen. Mit diesem Verfahren lässt sich rasch und unkompliziert an Hunderten von Mikrotumoren gleichzeitig testen, ob eine neue Substanz auch tatsächlich in das Tumorge-webe eindringt und dort seine Wirkung entfaltet. Das Sphäroidmodell ist auf zahlreiche Tumorar-ten anwendbar. Das Unternehmen hat einen Test entwickelt, mit dessen Hilfe man für einen Pati-enten vorab testen kann, welche Krebstherapie individuell am effektivsten wirkt. Das Diagnos-tikverfahren wird bereits bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung eingesetzt und aktuell in klinischen Studien erprobt.

Projekt in der BMBF-Förderinitiative „MedSys“: „Systembiologie-basiertes Verfahren für die Ent-wicklung von präklinischen Leitstrukturen unter Benutzung eines in-vivo-nahen Sphäroid-Test-systems – Spher4Sys“ (2010-2013)Partner: Spherotec GmbH

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45nEuE tEStS: GEwEBE alS ERSatZ ZuM tIERVERSucH

bemühungen, organähnliche Gewebekulturen für Testzwecke voranzutreiben. Große Fortschritte sind dabei bereits bei künstlichen Hautmodellen erzielt worden. So sind mittlerweile eine ganze Reihe menschlicher Hautmodelle auf dem Markt erhältlich, von denen bisher von der OECD vier für die Prüfung ätzender Eigenschaften und drei für die Prüfung reizender Eigenschaften anerkannt wor-den sind. Alle diese Hautmodelle werden in Kunst-stoffplatten mit kleinen Kämmerchen geliefert, jedes Kämmerchen enthält Kunststoffmembran am Boden und darauf etwa einen Quadratzenti-meter gezüchtete Vollhaut oder Oberhaut (Epider-mis). Für Tests auf Hautreaktionen verabreichen Wissenschaftler den zu testenden Stoff auf die verhornte Oberhaut des Modells und behandeln es anschließend das gesamte Gewebe mit einem gelben Farbstoff, der sich in Gegenwart von le-benden Zellen blau färbt. So lässt sich unmittelbar erkennen, in welchem Maße die Zellen des Gewebes durch die Testsubstanz gestört wurde. Unabhän-gige Prüfungen haben gezeigt, dass der Test für den Menschen genauere Vorhersagen liefert als etwa die herkömmlichen Hautverträglichkeitstests an geschorenen Kaninchen.

organe auf dem Mikrochip Trotz dieser Erfolge sind Forscher in den Zelllabors auch weiterhin damit beschäftigt, organähnliche Gewebekulturen immer weiter zu verbessern und die natürliche Situation bei Menschen immer besser zu simulieren. Darüber hinaus werden für die künst-liche „Haut von der Stange“ vollautomatische Pro-duktionsanlagen entwickelt (siehe Kapitel Haut), denn die Industrie wünscht sich für Arzneitests und für die Suche nach neuen Wirkstoffen vor allem Or-

An Elektroden des Fraunhofer-FIT-Mikrofluidikchips sind Herzmuskel-zellen angewachsen. Mit diesem System lassen sich Arzneien testen.

Embryonale Stammzellen entwickeln sich mit der passenden Rezeptur zu Zellen des Nervensystems (Astrozyten). An ihnen lässt sich über-prüfen, ob Stoffe schädlich für die Gehirnentwicklung sind.

ganmodelle, die in großer Stückzahl eingesetzt und auch bei Bedarf lange Zeit gelagert werden können.

Dreidimensionale Gewebekulturen sind derzeit aber nicht nur für die Haut, sondern für nahezu alle menschlichen Organe in Arbeit. Insbesondere für Stoffwechselorgane wie die Leber und Niere sind die Forscher schon bedeutende Schritte vorangekom-men. Eine zentrale Herausforderung ist dabei die gemeinsame Kultur verschiedener Zelltypen und die gleichmäßige Nährstoff- und Sauerstoffversorgung der Gewebeverbände in den Bioreaktoren (siehe Kapitel Leber).

Ein Trend geht hin zur Miniaturisierung von Zell-kulturen. Biotechnologen um Roland Lauster und Uwe Marx von der Technischen Universität Berlin entwickeln zum Beispiel einen Multi-Organ-Biore-aktor im Chipformat. Hierzu züchten sie in win-zigen Kammern verschiedenartige Zellverbände im Mikromaßstab heran. Die winzigen Organe beste-hen aus wenigen Zelltypen, die aber für sich bereits eine funktionelle Einheit bilden. Den Forschern ist es bereits gelungen, mehrere Organmodelle auf einem solchen Mikrochip miteinander zu kombi-nieren. Versorgt werden die Kammern durch ein Mikrofluidiksystem. Nach und nach sollen andere Organsysteme den Chip ergänzen, das Fernziel der Forscher ist es, möglichst den gesamten mensch-lichen Organismus als modulare Ansammlung von Zellmodellen auf einen Mikrochip zu packen. Die Multi-Organ-Chips wollen die Forscher zur Marktreife bringen, um daran Wirkstoffe zu testen. Diesen Kommerzialisierungsansatz fördert das BMBF im Rahmen der Gründungsoffensive GO-Bio mit knapp 3 Millionen Euro.

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46 tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS

Translation: Der schwierige Weg in die Praxis

Der weg vom labor in die Klinik ist in der Regenerativen Medizin eine besonders große Herausforderung, denn die therapien werden auf den einzelnen Patienten zuge-schnitten. translationszentren helfen dabei, die Entwicklung von Regenerationstechnolo-gien von der Forschung zur Marktreife voranzutreiben. neben mehreren Dutzend spezialisierten unternehmen sind sie die Motoren der Regenerativen Medizin in Deutschland.

Die Regenerative Medizin ist noch eine sehr junge Forschungsdisziplin, weshalb die meisten Akteure darauf konzentriert sind, die wissenschaftliche Basis für künftige Therapien zu legen. Seit Mitte der 2000er Jahre hat dabei ein spürbarer Aufwind eingesetzt: Nicht zuletzt durch einen Technologie-sprung, etwa bei Stammzellen und Biomaterialien, sowie verstärkten finanziellen Impulsen der öffent-lichen Forschungsförderorganisationen. Während viele Behandlungsansätze noch im Entwicklungs-stadium stecken, kommen einige Anwendungen in der Regenerativen Medizin bereits heute Patienten zugute – beispielsweise als Gewebeersatz für Haut oder Knieknorpel.

Dennoch ist die Translation, also die Umsetzung von erfolgversprechenden Forschungsergebnissen in gut anwendbare klinische Produkte und Verfah-ren, in der Regenerativen Medizin eine besonders komplexe Angelegenheit. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Anzahl an Produkten der Regenerativen Medizin noch vergleichsweise gering. Das Problem:

Behandlungsformen wie Zelltherapien oder Gewe-bekonstrukte sind in der Regel auf den einzelnen Patienten ausgerichtet. Das macht jede Behandlung einzigartig und erfordert den Einsatz von viel Zeit, Personal und Hightech. Zudem gilt: Gleiche Zellen von verschiedenen Personen verhalten sich nicht immer gleich, Empfänger reagieren manchmal auf das gleiche Produkt unterschiedlich. Das erschwert die Beurteilung des Nutzens einer Behandlung. Außerdem sind die Zulassungs- und Prüfverfahren für die komplexen Produkte zeitaufwendig und teuer: Schließlich enthalten Präparate oft einen Mix aus lebenden Zellen, biologisch aktiven Wirkstoffen und nicht-biologischen Materialien. Sie alle müssen für sich auf ihre Sicherheit und mögliche Nebenwir-kungen hin überprüft werden.

Kleine unternehmen als Innovationsmotoren

Nicht zuletzt aufgrund dieser Herausforderungen ist die Unternehmenslandschaft in Deutschland bis heute recht überschaubar. Das war auch das Er-gebnis einer Bestandsaufnahme, die die Unterneh-mensberatung Capgemini im Auftrag des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2006 durchgeführt hat. Demnach gibt es mehr als 60 Unternehmen in Deutschland, die auf die Regenerative Medizin spezialisiert sind. Die meisten sind jedoch klein und erzielen vergleichsweise ge-ringe Umsätze. Das Gros der Unternehmen verteilt sich auf die Branchen Medizintechnik (60 Prozent) und Biotechnologie (40 Prozent). Noch sehr gering, aber ansteigend ist der Anteil an Pharmaunter-nehmen, die im Gebiet der Regenerativen Medizin tätig sind (3 Prozent). Traditionell gibt es in Deutsch-land bedeutende Expertisen im Bereich Tissue Engineering und Zellkultur-Technologien. Bei den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten dominie-ren Ansätze für Knochen- und Knorpelersatz, für Hautersatz und für Herz- und Lebererkrankungen.

Auch wenn es bislang nur wenige spezialisierte Firmen im Bereich der Regenerativen Medizin gibt, wird der Markt hoch eingeschätzt. Die Capgemini-Studie spricht von rund einer Milliarde Euro pro Jahr, die allein für das Gebiet Herz in Deutschland erwirtschaftet werden könnten, bei Hautersatz-produkten und Zelltherapien bei Leber haben die Autoren das unmittelbare Marktpotenzial auf 150 Millionen Euro geschätzt. Weltweit wurden allein 2008 mit gezüchteten Geweben knapp 1,5 Milliar-den US-Dollar umgesetzt. Die Studie zeigte aber

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47tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS

auch: Deutschland nimmt in der Forschung im internationalen Vergleich eine Spitzenposition ein. Zentren der Technologieentwicklung sind vor allem öffentliche Forschungseinrichtungen wie Hochschu-len und Universitätskliniken, aus denen die meisten kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) als Ausgründungen entstanden sind.

Fünf translationsstandorte bundesweit

Hemmnisse wurden in der damaligen Studie insbe-sondere bei der Umsetzung von Forschungsergeb-nissen der Regenerationstechnolgien in Produkte und Therapien gesehen. Weiterer Handlungsbedarf wurde bei der Erstattungspraxis durch die Kranken-kassen und den geltenden Zulassungsverfahren für medizinische Produkte sowie den Anforderungen an klinische Studien identifiziert. Die Studie empfahl, die interdisziplinäre Zusammenarbeit voranzutreiben und Akteure aus Kliniken, Biotechnologie-Unterneh-men und Behörden besser zu vernetzen. Dazu sollten

sogenannte Translationszentren für Regenerative Me-dizin geschaffen werden. Sowohl das BMBF als auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) griffen dies auf und begannen – mit Unterstützung durch die jeweiligen Bundesländer – mit dem Aufbau sol-cher Zentren. Folgende Standorte werden mit mehr als 70 Millionen Euro vom BMBF gefördert:

• Berlin-Brandenburg centrum für Regene-rative therapien (BcRt), seit 2006

• translationszentrum für Regenerative therapien (tRM) in leipzig, seit 2006

• Referenz-und translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (Rtc) in Rostock, seit 2008

translationszentrum für Regenerative Medizin (tRM) leipzig

Seit Ende 2006 gibt es das Translationszentrum für Regenerative Medizin (TRM) in Leipzig, das gemeinsam durch das BMBF, das Land Sachsen und die Universität Leipzig gefördert wird. Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten hier zu-sammen, um neue diagnostische und therapeu-tische Konzepte für die Regenerative Medizin zu entwickeln und zielgerichtet in die klinische Praxis zu überführen. Forschungspartner des TRM Leipzig sind neben den Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg, dem Leipziger Universitätsklinikum und dem Herzzentrum Leipzig das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik sowie das Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung und eine Reihe von Biotech-Unternehmen. Inhaltlich beschäf-tigt sich das Zentrum mit folgenden Bereichen: Tissue Engineering und Materialwissenschaft, Zelltherapien für Reparatur und Ersatz, Regu-latormoleküle und Verabreichungssysteme, Bildgebung und Modellierung von Regenera-tion. Damit werden schwerpunktmäßig alle Bereiche von der (Stammzell)-Forschung, über

das Bioengineering bis hin zur klinischen An-wendung adressiert. Darüber hinaus werden die Forscher von drei Serviceeinheiten beim Quali-tätsmanagement, der Bildverabeitung und der Mikrochirurgie unterstützt. Um den Transla-tionsprozess zügig und effizient zu gestalten, wurde ein Meilenstein-Konzept (Drei-Tore-Sy-stem) entwickelt, das den Entwicklungsprozess aller Forschergruppen des TRM strukturiert. Dazu wurde ein professionelles Translations-Management geschaffen.

Mehr Informationen: www.trm.uni-leipzig.de

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48 tRanSlatIon: DER ScHwIERIGE wEG In DIE PRaxIS

Die DFG fördert zwei Forschungszentren:

• center for Regenerative therapies Dresden (cRtD), seit 2006

• Exzellenzcluster „From Regenerative Bio-logy to Reconstructive therapy“ (REBIRtH) an der Medizinischen Hochschule Hannover, seit 2006

Die Translationszentren bündeln die Kompetenzen aus akademischen und außeruniversitären For-schungseinrichtungen und haben sich zu wichtigen Motoren in der Entwicklung regenerativer Therapien

entwickelt. Alle Zentren kooperieren eng mit den jeweiligen Universitätskliniken und Forschungsein-richtungen. So ist es möglich, neue Therapien über verhältnismäßig kurze Wege in Patientenstudien zu testen. Gleichzeitig wurden in den Zentren eigene Abteilungen geschaffen, die sich um die Bewertung, die Entwicklung und die Kommerzialisierung von re-generativen Therapien kümmern. Die Zentren sollen so zu Keimzellen für Firmenausgründungen und zu Partnern für innovationsstarke Unternehmen werden. Ziel ist es, den breiten Einsatz neuer Therapien nach-haltig und in gesundheitsökonomisch sinnvollem Umfang voranzutreiben. Das BMBF unterstützt neben den Translationszentren bundesweit noch weitere Netzwerke und Standorte, die die Regenerative Medi-zin in die Anwendung bringen wollen. Dazu zählen:

Berlin-Brandenburg centrum für Regenerative therapien (BcRt)

Das Berlin-Brandenburg Centrum für Regenera-tive Therapien (BCRT) ist ein gemeinsames For-schungszentrum der Charité-Universitätsmedi-zin und der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Es wurde 2006 gegründet und ist in einem eigenen Bau des Virchow-Klini-kums auf dem Charité-Campus untergebracht. Hier arbeiten 26 neu eingerichtete Forscher-gruppen, davon 12 Junior-Gruppen. Neben der Charité- Universitätsmedizin sind am Zentrum insbesondere das Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch und das Helmholtz-Zentrum Geesthacht in Teltow be-teiligt. Hinzu kommen Partner aus zahlreichen Forschungseinrichtungen und Hochschulen in Berlin und Brandenburg, das Pharmaunter-nehmen Bayer Healthcare sowie eine Reihe von Biotechnologie-Unternehmen. Finanziell wird das BCRT vom BMBF, von den Ländern Berlin und Brandenburg, der Charité und der Helmholtz-

Gemeinschaft getragen. Im BCRT konzentrieren sich die Forscher auf anwendungsorientierte Projekte in vier medizinischen Bereichen: das Immunsystem, das kardiovaskuläre System, das Nervensystem und das Muskel-Skelett-System des menschlichen Körpers. Bei ihrer Arbeit werden die Forscher von Plattformen zur biomedizi-nischen Grundlagenforschung, den Bioingeni-eurwissenschaften, Biomaterialwissenschaften und den Translationstechnologien unterstützt. Für die Ausbildung von Nachwuchsforschern wurde im Rahmen der Exzellenzinitative die Graduiertenschule „Berlin Brandenburg School for Regenerative Medicines“ aufgebaut, die ein dreijähriges Doktoranden-Programm anbietet. Um die Translation von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis voranzutreiben, werden am BCRT neue therapeutische Konzepte in beson-ders frühen Phasen auf ihre Markttauglichkeit hin überprüft. Dazu wurden im BCRT eigene Abteilungen geschaffen, die sich um die klinische Entwicklung und die Kommerzialisierung neuer regenerativer Therapien kümmern. Am BCRT ist das Europäische Stammzellregister hESCreg an-gesiedelt, das von der Europäischen Kommission finanziert wird (vgl. S. 11).

Mehr Informationen: www.b-crt.de

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– die Gesundheitsregion „REGiNA“ (Regenerative Medizin in der Neckar-Alb Region) ging 2009 als Gewinner des BMBF-Wettbewerbs „Gesundheits-regionen der Zukunft“ hervor und wird bis 213 mit 7,5 Millionen Euro gefördert. REGiNA bündelt 16 Teilprojekte und 30 Partner aus Forschung,

Klinik und regionalen Unternehmen, um rege-nerationsmedizinische Produkte und Behand-lungsmethoden zu erforschen und pilotartig in die Gesundheitsversorgung einzuführen. (Mehr Informationen: www.info-rm.de)

– die HI-STEM gGmbH, die 2008 mit Mitteln der pri-vaten Dietmar-Hopp-Stiftung und des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ in Heidelberg ge-gründet wurde. HI-STEM bündelt die Aktivitäten von Heidelberger Kliniken und Forschungsein-richtungen zur Erforschung von Krebsstammzel-len. HI-STEM ist ein zentraler Partner des Spitzen-clusters „Zellbasierte und Molekulare Medizin“ in der Biotech-Region Rhein-Neckar (BioRN), der 2008 den mit 40 Millionen Euro dotierten Spit-zencluster- Wettbewerb des BMBF gewonnen hat. HI-STEM erhält aus diesem Topf rund 6 Millionen Euro. (Mehr Informationen: www.hi-stem.de).

– das Centrum für Angewandte Regenerative Ent-wicklungstechnologien, kurz CARE. Dieses neue Institut entsteht auf Initiative des Max-Planck-In-stituts für molekulare Biomedizin in Münster und hat die Nutzung der Reprogrammierungstechno-logien zum Ziel. Aufbauend auf iPS-Zellen soll ein Untersuchungssystem in der Kulturschale entwi-ckelt werden, an dem Wirkstoffkandidaten un-tersucht und Verträglichkeitstests durchgeführt werden können. CARE soll durch eine Anschubfi-nanzierung vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Bund unterstützt werden.

Um die Umsetzung regenerativer Therapien voranzutreiben, soll auch die internationale Zusammenarbeit der jeweiligen weltweit führen-den Experten und Translationszentren gefördert werden. Dazu hat das BMBF bilaterale Abkommen mit Forschungsfördereinrichtungen in den USA im Bereich der Regenerativen Medizin geschlossen. Seit Oktober 2009 existiert ein Memorandum of Understanding mit dem California Institute for Regenerative Medicine (CIRM), der größten För-dereinrichtung für Stammzellstudien weltweit. Die Vereinbarung ermöglicht die Teilnahme deutscher Forscher oder Forschungseinrichtungen an Aus-schreibungen des CIRM im Rahmen amerikanisch-deutscher Kooperationen. (vgl. Kasten S. 50)

Referenz- und translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (Rtc)

Am Referenz-und Translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (RTC) in Rostock werden neue Behandlungsmethoden mit Stammzellen für Herzkrankheiten erforscht und angewandt. Das RTC wurde im Herbst 2008 ausgehend von der Klinik für Herzchi-rurgie der Universität Rostock gegründet. Finanziell wird das RTC vom BMBF, vom Land Mecklenburg-Vorpommern und von der Industrie unterstützt. Das Ziel der Forscher ist es, mithilfe patienteneigener Stammzellen eine langfristige Heilung des geschädigten Herzens möglich zu machen. Im Jahr 2009 startete das RTC eine multizentrische kli-nische Studie der Phase III, die für die Zulas-sung der in Rostock entwickelten kardialen Stammzelltherapie entscheidend sein wird. Das RTC begleitet den komplexen Prozess von der Grundlagenforschung und frühen Ent-wicklung bis hin zur Zulassung und Anwen-dung von adulten Stammzellen als standardi-sierte und qualitätsgesicherte Therapie. Die am Zentrum entwickelten Verfahren sollen zukünftig für weitere Projekte auf dem Gebiet der Stammzellforschung als Referenz dienen. Zu den weiteren Aufgaben des RTC gehört es, die Zulassung der Therapie vorzubereiten, Fragen der Erstattung zu klären, zukünftige Anwender zu schulen sowie Ärzte, Patienten und die Öffentlichkeit zu informieren.

Mehr Informationen:www.cardiac-stemcell-therapy.com Bevor regenerative Verfahren und Produkte aus

dem Labor erfolgreich im Markt genutzt werden können, müssen sie durch Zulassungsbehörden

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genehmigt werden. Die Zulassung der auf neuen Forschungsergebnissen basierenden regenera-tiven Therapien ist ohnehin schon komplex. Bis vor wenigen Jahren wurde sie zusätzlich durch einen regulatorischen Flickenteppich erschwert: In jedem EU-Land galten unterschiedliche Bestimmungen für die Zulassung. Im Jahr 2007 verständigte sich die Europäische Union auf ein harmonisiertes Zulas-sungsverfahren, um die europaweite Vermarktung von Produkten der Regenerativen Medizin zu erleichtern. Seit Januar 2009 gelten diese einheit-lichen Voraussetzungen für die Zulassung von Arz-neimitteln für neuartige Therapien. Sie sind in der EU-Verordnung 1394/2007/EG über die „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMP) zusammen-gefasst. Zur Arzneimittelgruppe der „Neuartigen Therapien“ gehören demnach alle Produkte, die lebende Zellen oder Gewebe enthalten. Dazu zählen Zelltherapien (Zelltherapeutika), Produkte für den Einsatz in Gentherapien (Gentherapeutika) und bio-technologisch bearbeitete Gewebeprodukte (Tissue Engineering Products).

Klare Regeln für den europäischen Markt

Die ATMP-Verordnung beschreibt die besonderen Voraussetzungen, die die Hersteller von diesen Präparaten zusätzlich zu den bestehenden Anfor-derungen für konventionelle Arzneimittel erfüllen müssen. Unter anderem muss der Herstellungs-prozess gesondert beschrieben werden. Weiterhin werden von den Herstellern Nachuntersuchungen an behandelten Patienten gefordert, die die Sicherheit und Wirksamkeit der ATMPs prüfen. Darüber hinaus muss die Rückverfolgbarkeit aller Ausgangsstoffe für die Herstellung der Produkte gewährleistet sein. Generell werden ATMPs künftig zentral von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in London bewertet. Dafür wurde ein bera-tender Ausschuss für neuartige Therapien gegrün-det (Committee for Advanced Therapies, CAT), der von einem Vertreter aus Deutschland geleitet wird. Diese Expertenrunde berät das Entscheidungsgre-mium der EMA, das Commitee for Medical Products for Human Use, bei der Zulassung der „neuartigen Therapien“. Im Zuge der 15. Novelle des Arzneimit-telgesetzes (AMG) wurden die Inhalte der neuen EU-Verordnung im Sommer 2009 auch in Deutsch-land umgesetzt. Durch die Einstufung von ATMP als Arzneimittel wurden zwar klare Regeln und Quali-tätsstandards in der EU und dazu ein neuer, ver-größerter Markt für die Wettbewerber geschaffen.

Deutsch-Kalifornische Zusammenarbeit

In einem Forschungsfeld wie der Regenera-tiven Medizin ist der Austausch mit Kollegen auf der ganzen Welt ganz besonders wichtig. Vor diesem Hintergrund hat das BMBF im Jahr 2009 ein „Memorandum of Understanding“ mit dem California Institute for Regenerative Medicine (CIRM) unterzeichnet, einer der größten und renommiertesten Stammzell-fördereinrichtung der Welt. Diese Verein-barung ermöglicht es deutschen Forschern, sich gemeinsam mit kalifornischen Kollegen an Ausschreibungen des CIRM im Bereich der Regenerativen Medizin zu beteiligen. Umgekehrt ist es amerikanischen Forschern und Forschungseinrichtungen möglich, an deutschen Forschungsvorhaben im Rahmen deutsch-amerikanischer Kooperationen teilzunehmen. Ziel ist es, Methoden und Verfahren weiterzuentwickeln, diese wis-senschaftlich zu bewerten und dadurch das therapeutische Potenzial neuartiger Behand-lungsmethoden vermehrt auszuschöpfen. Seit 2010 sind bereits sieben zukunftsweisende transatlantische Forschungskooperationen bestätigt worden. Das entspricht einem BMBF-Fördervolumen von sieben Millionen Euro. Mehr Informationen: www.ptj.de/bmbf-cirm

Doch kommen auf die spezialisierten Unternehmen neue Herausforderungen zu. Von Anfang an sorgte sich die EU bei der Harmonisierung der Zulassung besonders um die Auswirkungen auf kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), die angesichts der zentralen Vorgehensweise höhere Kosten und Aufwand in Kauf nehmen müssen. So müssen KMUs durch eine Ausnahmeregelung derzeit nur zehn Prozent der Gebühren für die wissenschaftliche Beratung durch die Behörden und nur die Hälfte der Zulassungskosten bezahlen, die insgesamt bei rund 230.000 Euro liegen. Zudem gilt bis Ende 2011 eine Übergangsfrist für somatische Zelltherapeuti-ka und Gentherapeutika sowie bis 2012 eine Über-gangsfrist für Gewebeersatz-Produkte. Innerhalb dieser Frist können Produkte, die zum Zeitpunkt der Anwendung der Verordnung schon auf dem Markt

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waren, nachträglich zugelassen werden, ohne dass zusätzliche Kosten für die Unternehmen entstehen. Kleinere Unternehmen haben zudem die Möglich-keit, die Daten über ihre Produkte schon in einem frühen Stadium des Entwicklungsprozesses einzu-reichen und bewerten zu lassen. So sollen spätere und damit teurere Beanstandungen und Korrek-turen vermieden werden.

Klinische Studien als große Herausforderung

Dennoch ist das Feld der Regenerativen Medizin für KMU ein vergleichsweise schwieriges Feld. Die Aufwendungen für die klinische Entwicklung sind hoch und das Risiko, ob eine Therapie tatsächlich in der klinischen Praxis nutzbar ist, nicht immer im Vorfeld abzuschätzen. Zudem fehlen Langzeiter-fahrungen über das Kosten-Nutzen-Verhältnis von regenerativen Therapien, die sich immer auch gegenüber herkömmlichen Behandlungsverfah-ren beweisen müssen. Die Frage, ob regenerative Therapien tatsächlich wirken und wie gut sie dem jeweiligen Patienten helfen, ist oft nicht so einfach

zu beantworten. Was die Nutzenbewertung so kom-plex macht: Gängige Kriterien für klinische Studien lassen sich in diesem Feld kaum anwenden – bei-spielsweise der Ansatz, dass weder Arzt noch Patient wissen, ob sie die Therapie oder ein Placebo verwen-den. Diese Vorgehensweise – von Fachleuten als doppel-verblindete placebokontrollierte klinische Studie bezeichnet – lässt sich mit Pillen und Spritzen einfacher durchführen, als in der Regenerativen Medizin mit ihren auf den einzelnen Patienten ange-passten Zelltherapien, die Probenentnahmen vom Patienten und Produktionsmöglichkeiten vor Ort in der Klinik erfordern. Darüber hinaus fehlt oft ein standardisierter Herstellungsprozess für diese Art von individuellen Produkten bzw. eine methodisch abgesicherte Qualitätssicherung der Produkte.

Exzellenzcluster REBIRtH (From Regenerative Biology to Reconstructive therapy) Hannover

Der von der Medizinischen Hochschule Han-nover (MHH) koordinierte Exzellenzcluster REBIRTH wurde 2006 im Rahmen der Exzel-lenzinitiative der Deutschen Forschungsge-meinschaft (DFG) gegründet und hierüber basisfinanziert. Beteiligt sind insgesamt sieben Forschungseinrichtugen: Neben der MHH die Tierärztliche Hochschule Hannover, die Leibniz Universität Hannover, das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braun-schweig, das Fraunhofer-Institut für Toxiko-logie und Experimentelle Medizin (ITEM), das Institut für Nutztiergenetik Mariensee (Friedrich-Loeffler-Institut FLI) und das Max-

Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Ein wichtiger Bestandteil des Clusters ist zudem das 2008 eröffnete Hans-Borst-Zen-trum für Herz-und Stammzellforschung (HBZ), dessen Neubau mit 13,5 Millionen Euro durch private Mittel der Braukmann-Wittenberg-Herzstiftung finanziert wurde. Die insgesamt 40 Forscherteams am REBIRTH beschäftigen sich u.a. mit den Mechanismen der Repro-grammierung von Körperzellen zur Gewin-nung von Stammzellen sowie mit Zellthera-pien und Gewebekonstrukten in regenerativen Therapien. Dabei werden Expertisen aus den Ingenieurwissenschaften, der Chemie, der Photonik und der Nanotechnologie interdis-ziplinär integriert. Im Rahmen von REBIRTH ist 2007 auch das Doktoranden-Programm „Regenerative Sciences“ gestartet, das zur Graduiertenschule „Hannover Biomedical Research School“ gehört.

Mehr Informationen: www.rebirth-hannover.de

Um die Entwicklung entsprechend valider Methoden für klinische Studien voranzutreiben und und die Bewertung des Nutzens von regenerativen Therapien zu verbessern, hat das BMBF Mitte 2008 die Förderinitiative „Richtlinien zur Förderung der Entwicklung und Validierung von Methoden

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und Verfahren der Regenerationstechnologien für den Einsatz in der Medizin“ gestartet. Auf dieser Grundlage werden überwiegend industriegeführte Verbundprojekte unterstützt, um Defizite bei der Bewertung von in der Entwicklung bereits fortge-schrittener Produkte und Therapieverfahren auf dem Feld der Regenerationstechnologien zu identi-fizieren und zu beseitigen. Insgesamt stehen dafür 15 Millionen Euro Fördergelder zur Verfügung.

Trotz der Schwierigkeiten in der Translation wird der regenerativen Medizin ein großes Potenzial be-scheinigt. Als besonders aussichtsreiche Anwendung werden von Experten zunächst nicht Therapien, sondern der sogenannte Testmarkt gesehen (vgl. S. 42ff.). Gemeint sind stammzellbasierte in vitro-Test-verfahren, mit denen Wirkstoffkandidaten auf Ver-träglichkeit und Toxizität geprüft werden können. Für diesen Anwendungsbereich interessieren sich inzwischen auch die großen Pharmakonzerne und Laborzulieferer. Zellbasierte Tests im Industriemaß-stab sollen die Suche nach neuen Medikamenten nicht nur effizienter und sicherer machen, sondern auch Tierversuche reduzieren helfen. Um den

Wachstumsbereich weiter voranzutreiben, haben deshalb bereits mehrere Pharmakonzerne Koope-rationen mit spezialisierten Biotech-Unternehmen und Forschungseinrichtungen geschlossen. In einer Überblickstudie hatte die Fachgesellschaft Deche-ma im Jahr 2009 bundesweit 67 Forschergruppen identifiziert, die organähnliche Zellkultursysteme für die Medikamententestung entwickeln: 4 davon an Universitätskliniken, 19 in Universitäten, 17 in Forschungsinstituten und 27 in Unternehmen.

center for Regenerative therapies Dresden (cRtD)

Das Center for Regenerative Therapies Dresden (CRTD) wurde 2006 im Rahmen der Exzellenzi-nitiative als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und hierüber basisfinanziert. Das CRTD ist als Exzel-lenzcluster der TU Dresden ein interdisziplinäres Netzwerk, zu dem auch das Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik, das Max-Bergmann-Zentrum für Biomaterialien und die Kliniken des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus gehören. Involviert sind auch 18 Unternehmen. Darüber hinaus ist am CRTD ein Sonderforschungsbereich der DFG zur Stammzell-forschung angesiedelt. Inhaltlich fokussieren sich

die 15 Forschergruppen am CRTD auf fünf Be-reiche: Hämatologie und Immunologie, Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen, Knochen-/Knorpelersatz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Den Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit bildet die Stammzellforschung sowie die Arbeit mit den Modellorganismen Maus, Zebrafisch und dem mexikanischen Schwanzlurch Axolotl. Die Umsetzung der Ergebnisse in die Klinik war in einigen Fällen bereits erfolgreich. Neben Be-handlungen von Leukämie-Patienten mit häma-topoetischen Stammzellen gibt es Pilotstudien zur Regeneration von Knochendefekten. In der Nachwuchs-Ausbildung beteiligt sich das CRTD an der „Dresden International School for Biomedicine and Bioengineering“ (DIGS-BB). 2011 wurde ein CRTD-Neubau bezogen, der 48,6 Millionen Euro gekostet hat. Das Geld wurde vom Bund, dem Frei-staat Sachsen sowie der EU zur Verfügung gestellt.

Mehr Informationen: www.crt-dresden.de

Eines dieser Unternehmen ist die Biotech-Firma Axiogenesis AG aus Köln, die stammzellbasierte Analysesysteme entwickelt und diese vor allem für den Einsatz in der chemischen, pharmazeutischen und kosmetischen Industrie bereitstellt. Fokus hierbei ist einerseits der Nachweis von toxischen Wirkungen sowie andererseits die Entwicklung von Screeningsystemen zur Identifizierung von neuar-tigen Therapiekonzepten. Die Technologie bietet außerdem die Möglichkeit, bereits in frühen Phasen der Wirkstoffentwicklung Aussagen über den Ein-fluss von Präparaten beim Menschen zu treffen.

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Fördermaßnahmen im Überblick

Seit den 90er Jahren unterstützt das BMBF Forsche-rinnen und Forscher in der Regenerativen Medizin mit diversen Förderinitiativen. Dies wird auch im aktuellen Rahmenprogramm Gesundheits-forschung, das Anfang 2011 gestartet ist, fortge-setzt. Weitere relevante Förderinitativen sind dem Rahmenprogramm Bioökonomie zugeordnet. Im unten stehenden Kasten finden Sie eine Übersicht aktueller Förderinitiativen.

Eingebettet in die beiden Rahmenprogramme sind zwei Strategieprozesse, in denen die Regene-rative Medizin auch eine Rolle spielt. Beim Strate-gieprozess „Nächste Generation biotechnologischer

Verfahren - Biotechnologie 2020+“ steht die Weit-entwicklung biotechnologischer Verfahren in den nächsten 20 bis 30 Jahren im Fokus. (Mehr Informati-onen: www.biotechnologie2020plus.de).

Beim Strategieprozess „Innovationen in der Medi-zintechnik“ wiederum soll eine mit dem Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie Experten aus Industrie, Wissenschaft und Gesundheitswesen abgestimmte Innovationspolitik für dieses Feld erarbeitet werden. (Mehr Informa-tionen: www.bmbf.de/de/17337.php)

Fördermaßnahmen in der Regenerativen Medizin

Laufende Förderinitiativen des Bundesministe-rium für Bildung und Forschung, die für For-scherinnen und Forscher in der Regenerativen Medizin relevant sind.

• Regenerative technologien • Gewinnung pluri- bzw. multipotenter

Stammzellen • Zellbasierte, regenerative Medizin • translationszentren in der Regenerativen

Medizin• Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung

• Dialogplattform „Deutsches Stammzell-netzwerk“

• Deutsch-Kalifornische Zusammenarbeit in der Regenerativen Medizin (cIRM-BMBF)

• EurotransBio ERa-nEt

• Kompetenznetze in der Medizin• Spitzencluster-wettbewerb • Gesundheitsregionen der Zukunft• Innovation in der Medikamentenentwicklung

• Innovative therapien• KMu-innovativ: Biotechnologie – Biochance • KMu-innovativ: Medizintechnik

• a lternativen zum tierversuch• E thische, rechtliche und soziale aspekte

der modernen lebenswissenschaften und der Biotechnologie

Weitere Informationen zu den aufgeführten Förderinitiativen und Ansprechpartner finden Sie beim Projektträger Jülich (PtJ) und beim Projektträger im DLR.

Mehr Informationen finden Sie hier:

www.gesundheitsforschung-bmbf.dewww.ptj.dewww.biotechnologie.dewww.bmbf.de/de/1237.php www.bmbf.de/de/1084.phpwww.bmbf.de/de/10781.php

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54 GloSSaR

Glossar

adulte StammzellenGewebespezifische Stammzellen, die wie Repara-teure in einem Organ für Nachschub an neuen Zel-len sorgen. Sie können nur die Zelltypen des Organs liefern, aus dem sie selbst stammen. Sie sind daher multipotent.

allogene Zellen von fremden Organismen stammende Zellen

autologe Zellenkörpereigene Zellen

Blastozyste Sehr frühes Embryo-Stadium, das aus etwa 200 Zellen besteht und die Form einer Hohlkugel hat. Enthält die innere Zellmasse, aus der embryonale Stammzellen gewonnen werden.

bioartifiziell Ein Produkt, das aus einem künstlichen Material in Kombination mit lebenden Zellen besteht.

biohybridSo werden Konstrukte bezeichnet, in denen sowohl synthetische als auch biologische Molekülbau-steine oder Zellen miteinander kombiniert werden.

BiomaterialWerkstoff, der bei einer medizinischen Behand-lung im Körper unmittelbar mit Gewebe in Kontakt kommt.

Bioreaktor Behälter, in dem Zellen oder Gewebe kultiviert wird.

Differenzierung Vorgang, der aus einer unspezialisierten Vorläu-ferzelle eine definierte Körperzelle werden lässt. Damit ist immer eine strukturelle und funktionelle Veränderung der Zelle verbunden.

Embryo So wird der sich entwickelnde Organismus ab der befruchteten Eizelle bis zum Fötus bezeichnet.

Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) Zellen, die aus der inneren Masse der Blastozyste gewonnen werden. Sie sind selbsterneuernd und können sich in alle Körperzelltypen außer Plazenta-gewebe entwickeln. Sie sind pluripotent.

endogene Regeneration Hierbei werden Zellen genutzt und stimuliert, die sich im Körper befinden und die in der Lage sind, Selbstregenerationsprozesse einzuleiten. Dies können Stammzellen, aber auch gewebsspezifische Vorläuferzellen und Immunzellen sein.

GentherapieExperimentelle Therapieform, bei der Gendefekte in den Zellen von Patienten mittels eingeschleuster Erbsubstanz behoben werden. Als Genfähren wer-den meist spezielle Viren eingesetzt. Gewebe Zellverbände aus differenzierten Zellen, die ge-meinsam eine Funktion im Körper übernehmen.

Hautmodell Hautmodelle sind kleine Hautstückchen, die bio-technologisch aus menschlichen Zellen hergestellt werden, die zuvor bei einer Biopsie entnommen wurden. Sie kommen in erster Linie als in vitro-Test-systeme zum Einsatz.

induzierte, pluripotente Stammzellen (iPS)Künstlich erzeugte Stammzellen, die von einem spe-zialisierten in einen pluripotenten Zustand zurück-versetzt werden. Eine ausdifferenzierte Zelle (etwa eine Hautzelle) wird mithilfe bestimmter Faktoren in einen Zustand zurückprogrammiert, der dem embryonaler Stammzellen ähnelt.

in situim Gewebe

in vivoim lebendigen Organismus

in vitroim Laborgefäß

in vitro-FertilisationKünstliche Befruchtung einer Eizelle mit Spermien in der Petrischale.

Kerntransfer Eine Technik, bei der einer zuvor entkernten Eizelle ein Zellkern aus einer Spenderzelle eingepflanzt wird. Die Empfänger-Eizelle trägt danach nahezu dieselbe genetische Information wie die Spender-zelle.

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mesenchymale Stammzellen Gehören zu den adulten Stammzellen und kom-men vor allem im Knochenmark vor. Können sich in viele verschiedene Zelltypen des Bindegewebes entwickeln, wie Knochen, Knorpel und Fett.

multipotent So nennt man Zellen, die sich in mehrere verschie-dene Zelltypen entwickeln können. Sie sind aber in ihrem Entwicklungspotenzial eingeschränkt und können nur die notwendigen Zelltypen eines bestimmten Organs/Gewebes bilden.

pluripotentSo nennt man Zellen mit uneingeschränktem Ent-wicklungspotenzial. Aus ihnen können alle Zell-typen eines Organismus hervorgehen.

REACHChemikalienverordnung der Europäischen Union, die im Juni 2007 in Kraft getreten ist. REACH steht für die Registrierung („registration“), Bewertung („evaluation“) und Zulassung („authorisation“) von Chemikalien. Insbesondere müssen nun auch Alt-chemikalien auf ihre Gefährlichkeit für Umwelt und Gesundheit eingehend geprüft werden.

Regenerative Medizin Behandlungsstrategie, die auf die Wiederherstel-lung funktionsgestörter Zellen, Gewebe und Or-gane abzielt. Möglich ist das durch den Einsatz von biologischem Ersatzgewebe oder die Stimulation körpereigener Regenerations- und Reparaturpro-zesse.

Stammzellen Sind nicht spezialisierte Körperzellen, die einerseits nach Teilung neue Stammzellen hervorbringen und andererseits Tochterzellen bilden, die zu speziali-sierten Zellen ausreifen können. Es werden em-bryonale und adulte Stammzellen unterschieden. Darüber hinaus gibt es die iPS-Zellen.

Stammzellnische Ein spezieller anatomischer Bereich in Organen und Geweben, in dem die Stammzelle ihre unverän-derten Eigenschaften beibehält.

Tissue Engineering Englischer Begriff für Gewebezüchtung. Darunter werden Kultivierungstechniken verstanden, deren Ziel es ist, Zellen in bioartifiziellen Stoffen zu züch-ten. Somit sollen letztlich biologisch funktionelle Gewebe entstehen, zum Beispiel für eine Transplan-tation oder für Testzwecke.

totipotentSo bezeichnet man Stammzellen mit dem größt-möglichen Entwicklungspotenzial. Eingebettet in eine Gebärmutter kann aus ihnen ein kompletter Organismus hervorgehen. Bei Menschen und Säu-getieren sind das Embryo-Zellen bis zum Achtzell-Stadium.

TranslationszentrumForschungszentrum, an dem Wissenschafler verschiedener Disziplinen anwendungsorientierte Ansätze verfolgen, um ihre Ergebnisse rasch in die (klinische) Praxis zu bringen.

Vorläuferzellen Zellen, die noch nicht alle funktionellen Eigen-schaften von ausgereiften Körperzellen besitzen. Diese Zellen sind in der Lage, sich zu vermehren, können sich aber auch abhängig vom Grad ihrer Reife in unterschiedliche Arten von Körperzellen entwickeln. Xenotransplantat Transplantat aus tierischen Zellen, das beim Men-schen eingesetzt wird.

Zelllinie Zellen eines bestimmten Typs, die in der Kulturscha-le heranwachsen und sich unendlich vermehren lassen.

ZellkulturZüchten von Zellen in Kulturgefäßen mit Wachs-tumsmedium.

ZelltherapieBehandlung, bei der Stammzellen oder von solchen abgeleitete Zellen genutzt werden, um beschädigte Zellen oder Gewebe eines Patienten zu ersetzen oder zu reparieren.

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weiterführende literatur

Gerd Kempermann: „Neue Zellen braucht der Mensch – Die Stammzellforschung und die Revoluti-on der Medizin“, Piper Verlag, München 2008

Gustav Steinhoff (Herausgeber): „Regenerative Medicine – from protocol to patient“Springer Netherlands, 2011

Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wis-senschaften Leopoldina und der Berlin-Branden-burgischen Akademie der Wissenschaften: „Neue Wege der Stammzellforschung – Reprogrammie-rung von differenzierten Körperzellen“, Berlin 2009

Timo Faltus: „Handbuch Stammzellenrecht“ – Ein rechtlicher Praxisleitfaden für Naturwissenschaft-ler, Ärzte und Juristen, Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle an der Saale 2011

European Science Foundation: „Human Stem Cell Research and Regenerative Medicine: A European Perspective on Scientific, Ethical and Legal Issues, Science Policy Briefing, 2010IEFING, May 2010

Stellungnahme des Präsidiums der Deutschen Aka-demie der Naturforscher Leopoldina zur Stammzell-forschung in Deutschland, Halle an der Saale 2007

Capgemini Deutschland: „Regenerationstechno-logien für Medizin und Biologie – Beiträge für ein strategisches Förderkonzept“, Stuttgart 2007

webseiten zur Regenerativen Medizin:

www.biotechnologie.de

www.bmbf.de/de/1084.php

www.stammzellen.nrw.de

www.zellux.net

www.die-stammzelle.de

www.isscr.org

www.cirm.ca.gov/Stem_Cell_Basics

www.stembook.org

www.the-rmc.org

www.stemcellforum.org

www.eurostemcell.org

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57wEItERE PuBlIKatIonEn DES BMBF

Weitere Publikationen des BMBF

Weiterführende Informationen zur Biotechnologie im Publikationsangebot des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Kostenlose Bestellmöglichkeit unter www.bmbf.de (Service/ Publikationen).

Forschung

Bundesbericht Forschung und Innovation 2012

Bundesbeirat Forschung und Innovation 2012Bonn, Berlin 2012

Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung

Rahmenprogramm GesundheitsforschungBonn, Berlin 2010

Nationale ForschungsstrategieBioÖkonomie 2030Unser Weg zu einer bio-basierten Wirtschaft

nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030Unser Weg zu einer bio-basierten Wirtschaft (Langfassung) Bonn, Berlin 2010

DEUTSCHE ZENTREN DZG

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten

Die Deutschen Zentren der GesundheitsforschungGebündelte Erforschung von Volkskrankheiten; Bonn, Berlin 2011

Biotechnologie in Deutschland25 Jahre Unternehmensgründungen

Biotechnologie in Deutschland25 Jahre Unternehmensgründungen;Bonn, Berlin 2010

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58 wEItERE PuBlIKatIonEn DES BMBF

Mensch-Technik-Kooperation auf dem Weg ins Jahr 2020

Mensch-technik-KooperationenAuf dem Weg ins Jahr 2020;Bonn, Berlin 2010

Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen in der BiotechnologieKMU-innovativ: Biotechnologie – BioChanceEine Handreichung für Antragsteller

Förderung kleiner und mittelständischer unternehmen in der BiotechnologieKMU-Innovativ: Biotechnologie – BioChance Eine Handreichung für Antragsteller;Bonn, Berlin 2011

Bildung und Forschung in Zahlen 2011 Ausgewählte Fakten aus dem Daten-Portal des BMBF

Bildung und Forschung in Zahlen 2011Ausgewählte Fakten aus dem Daten-Portal des BMBF, Bonn,Berlin 2011

ErnährungsforschungGesünder essen mit funktionellen Lebensmitteln

ErnährungsforschungGesünder essen mit funktionellen Lebensmitteln; Bonn, Berlin 2010

Der SchlaganfallForschung – Diagnose – Therapie

Der SchlaganfallForschung – Diagnose – Therapie; Bonn, Berlin 2012

Der SchwindelForschung – Diagnose – Therapie

Der SchwindelForschung – Diagnose – Therapie; Bonn, Berlin 2011

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