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Reibkraftminimierte Verbundschaltkolben für Automatikgetriebe Moderne Automatikgetriebe müssen bei immer kompakteren Abmessungen steigende Effizienz und höheren Schaltkomfort bieten. Für die Schaltkolben bedeutet das neben der klassischen Dichtigkeit- und Lebensdauerfunktion das Entwicklungsziel möglichst gleichmäßig niedriger Verschiebekräfte sowie einer geringen Hysterese. Federal- Mogul hat für diese Anforderungen Schaltkolben mit anvulkanisierter PTFE-Dichtlippe entwickelt. Gegenüber Schaltkolben mit eingeknüpften Dichtringen zeigt die neue Technologie ein Potenzial zur Reibungsreduktion von 20 bis 30 % auf. ENTWICKLUNG ATZ 04I2007 Jahrgang 109 312 Getriebe

Reibkraftminimierte Verbundschaltkolben für Automatikgetriebe

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Page 1: Reibkraftminimierte Verbundschaltkolben für Automatikgetriebe

Reibkraftminimierte Verbundschaltkolben für AutomatikgetriebeModerne Automatikgetriebe müssen bei immer kompakteren Abmessungen steigende Effizienz und höheren Schaltkomfort bieten. Für die Schaltkolben bedeutet das neben der klassischen Dichtigkeit- und Lebensdauerfunktion das Entwicklungsziel möglichst gleichmäßig niedriger Verschiebekräfte sowie einer geringen Hysterese. Federal- Mogul hat für diese Anforderungen Schaltkolben mit anvulkanisierter PTFE-Dichtlippe entwickelt. Gegenüber Schaltkolben mit eingeknüpften Dichtringen zeigt die neue Technologie ein Potenzial zur Reibungsreduktion von 20 bis 30 % auf.

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1 Einleitung

Automatikgetriebe, CVT-Getriebe oder au-tomatisierte Handschaltgetriebe mit nas-sen Anfahrkupplungen spielen für die Entwicklung neuer Fahrzeuge eine wach-sende Rolle, weil sie sowohl das spürbare Fahrverhalten als auch die Kraftstoffeffizi-enz beeinflussen. Wegen des hohen Fahr-komforts steigt der Anteil an Fahrzeugen mit automatisierten Getrieben auch in Deutschland. Schnellere Schaltvorgänge mit verbesserter Fahrdynamik, die Mög-lichkeit des Fahrers, Einfluss auf das Schaltverhalten seines Automaten zu neh-men (manuelle Gasse und Tip-Betätigung) sowie tendenziell sinkende Verbrauchs-nachteile gegenüber manuell betätigten Getrieben zeigen auf, in welche Richtung die Entwicklung bei automatisierten Ge-trieben geht: weitere Leistungs- und Kom-

Die Autoren

Dipl.-Ing. Constantin Eßer ist Application Engineer

bei Federal-Mogul Seal-

ing Systems in Burscheid.

Jörg Schmitz ist Leiter Technik

Dynamic Sealing Europe

im technischen Entwick-

lungszentrum der Fede-

ral-Mogul Sealing

Systems in Burscheid.

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Bild 2: FEM-Darstellung des optimierten PTFE-Dichtlippendesigns mit verbessertem Anlegeverhalten und geringerer Kontaktfläche (rechts) im Vergleich zu einem Elastomer-Dichtlippendesign (links)Figure 2: FEA depiction of the optimized PTFE sealing lip design with improved contact behaviour and reduced contact surface (right) compared to an elastomer sealing lip design (left)

Bild 3: Auf Reibung untersuchte Dichtlippenarten, von oben: Elasto-mer, PTFE optimiert, eingeknüpfte DichtlippeFigure 3: Sealing lip types tested for friction, from above: elastomer, opti-mized PTFE, buttoned-in sealing lip

Bild 1: Aktuelle Beispiele für Verbundschaltkolben mit anvulkanisierter Dichtlippe.Figure 1: Current examples of bonded transmission pistons with vulcanized sealing lip

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fortsteigerung sowie Verbrauchsabsen-kung.

Damit rücken auch Aspekte ins Licht der Entwicklung, die bisher weitgehend unbe-rücksichtigt blieben. Die Reibreduktion bei Schaltkolben liefert ein Beispiel dafür. Wäh-rend ihr Anteil an der gesamten inneren Rei-bung von Schaltgetrieben in der Vergangen-heit vernachlässigt wurde, beginnen die er-zielbaren Absolutgewinne heute eine Rolle zu spielen. Der Grund dafür ist insbesondere die Forderung nach kurzen Schaltzeiten: Schaltvorgänge im Millisekundenbereich machen auch Fortschritte bei der Reibredu-zierung von Schaltkolben spürbar und damit entwicklungsrelevant. Je feinfühliger und unmmittelbarer der Schaltkolben auf Druck-änderungen reagiert, desto besser. Die erziel-baren Fortschritte dienen allerdings unver-ändert weniger der Reibminderung des Ge-samtsystems als eher dem höheren Schalt-komfort, auch wenn die Zahl der insgesamt im Getriebe verbauten Schaltkolben den Ein-zelgewinn bei der Reibminderung pro Kol-ben entsprechend multipliziert.

2 Grundlagen zu Verbundschaltkolben

Hydraulische Schaltkolben gibt es seit Jahr-zehnten in zwei Varianten. Zum einen sind Schaltkolben mit eingeknüpfter Dichtlippe gebräuchlich, zum anderen die 1967 von Federal-Mogul eingeführten Unipiston-Ver-bundschaltkolben mit anvulkanisierter Dichtlippe. Die Neuheit bei den hier vorge-stellten Verbundschaltkolben liegt darin, dass in die Elastomerdichtlippe eine PTFE-Schicht (Polytetrafluorethylen) einvulkani-siert wird, Bild 1. Damit lassen sich die gu-ten Gleiteigenschaften sowie die gute che-mische Beständigkeit von PTFE an der Dichtlippe nutzen. Die Verbindung von Me-tallträger und Elastomer sowie von Elasto-mer und PTFE-Schicht erfolgt in einem ein-zigen Arbeitsgang in einem Werkzeug. Da PTFE auch gegen ATF-Öle und CVT-typische Ölspezifikationen chemisch inert ist und selbstschmierende Eigenschaften hat, er-laubt es eine sehr lange Betriebsdauer.

Die Bezeichnung Unipiston erklärt sich aus dem konstruktiven Verbund von Betäti-gungs- und Dichtelement (unified piston). Verbundschaltkolben mit anvulkanisierter Dichtlippe wurden zuerst für Servokolben in die Serie eingeführt und später auch für Kupplungs- und Ausgleichskolben.

Die Entscheidung für eine der beiden Konstruktionsformen hängt vom Anwen-dungsfall ab. Während der Verbundschalt-kolben Vorteile hinsichtlich Bauraumbe-darf und Bauteileintegration hat, können

Schaltkolben mit eingeknüpfter Dichtlippe auch bei sehr komplizierten Kolbenformen einsetzen werden, die nicht tiefziehfähig sind. Bei der Montage ist wegen der einge-knüpften Dichtlippe Sorgfalt erforderlich. Vergleichsuntersuchungen, auf die unten näher eingegangen wird, haben zudem hö-here Reibwerte bei einem Schaltkolben mit eingeknüpfter Dichtlippe ergeben.

3 Neue Dichtlippengeometrie

Die Funktionseigenschaften von Schaltkol-ben werden durch sehr schnelle, kurzhu-bige Bewegungen und Medieneinflüsse ge-prägt. Idealerweise müssen Schaltkolben eine geringe Hysterese und keinen oder ge-ringen Stick-Slip zeigen. Da Schaltkolben Einfluss auf das Gesamtsystem Getriebe ha-

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ben, werden ihre Eigenschaften inzwischen detaillierter untersucht als früher. Schon seit Jahren wird dabei auch das Instrument der Finite-Elemente-Methode (FEM) genutzt. Allerdings kam die FEM zunächst nur bei

der Gestaltung des Metallträgers zum Ein-satz, um die optimale Geometrie im Hin-blick auf, Bauraum und Gewicht für die je-weils verwendete Stahlart zu erzielen. Bei der Berechnung werden der Dünnzug so-

wie Materialverdickungen berücksichtigt, die mit dem Verfahren des Tiefziehens ein-hergehen. Auch die Befüllung der Form mit dem eingelegten Metallträger beim An-vulkanisieren der Dichtlippe wird heute bereits per FEM optimiert. Für den ab 2002 entwickelten, reiboptimierten Verbund-schaltkolben mit dem hier thematisierten neuen Dichtlippenmaterial kam die FEM erstmals auch für die eigentliche Dichtlip-pe zum Einsatz.

Das Instrument der FEM diente unter anderem dazu, die veränderte Dichtlippen-steifigkeit durch die PTFE-Schicht zu simu-lieren, Bild 2.

Um die Auswirkung der veränderten Geometrie und Werkstoffwahl zu verifi-zieren, wurde das Reibverhalten des neu-en Designs mit einem Elastomerdesign und einem Schaltkolben mit einge-knüpfter Dichtlippe verglichen, Bild 3. Die Prüfstandsversuche zeigten, dass die neue Dichtlippe im Vergleich zu einem Schalt-kolben mit eingeknüpfter Dichtlippe eine um 20 bis 30 % geringere Reibung aufwies, Bild 4. Die Reibkraft der Dichtlippe wird sowohl durch das Elastomermaterial als

Bild 5: PrüfstandskonstruktionFigure 5: Test bench design

Bild 4: Ergebnisse beim gemessenen Reibverhalten im PrüfstandFigure 4: Results of measured friction behaviour in test bench

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auch durch die Geometrie der Lippe be-einflusst. Damit ist bei der Auslegung der Dichtlippen im Wechselspiel mit dem Blechträger ein bisher nicht genutztes Op-timierungspotenzial für die Leistungsver-besserung gegeben.

Wie stark sich der gemessene Unter-schied in der Reibkraft im praktischen Ge-triebeeinsatz auswirkt, kann im Moment noch nicht beziffert werden, weil die Ver-suche unter definierten Bedingungen auf einem speziell für diesen Test entwickelten Prüfstand mit einem starren Endanschlag erfolgten, Bild 5. Mögliche Rückwirkungen des Kupplungspaketes sind also noch nicht in die Bewertung eingeflossen.

4 Ausblick

Um die Entwicklung von immer komfor-tableren und effizienteren Automatikge-trieben zu unterstützen, wird die Entwick-lung weitergehen. Das gilt sowohl für die Entwicklungswerkzeuge und hier insbe-sondere für die Verfeinerung der Korrelati-on zwischen simuliertem und gemessenem Elastomerverhalten als auch für die Schalt-kolben insgesamt. Neben der Geometrieop-timierung des Metallträgers, zu der heute bereits FEM-Untersuchungen genutzt wer-den, laufen parallel weitere Untersu-chungen mit dem Ziel, das Gesamtgewicht weiter zu optimieren und auch komplexere Formgebungen zuzulassen.

Im Bereich der FEM besteht die Heraus-forderung darin, das nicht-lineare Reibver-halten des Elastomers noch besser darzustel-len, das sich abhängig von Druck und Ge-schwindigkeit sowie zeitabhängig (durch Relaxation) ändert. Sobald entsprechend mächtige, abgestimmte FEM-Modelle mit noch besserer Korrelation zur Verfügung stehen, soll die FEM verstärkt dazu dienen, bisher noch nicht aufgedeckte Optimie-rungspotenziale zu erkennen und auszu-schöpfen.

5 Fazit

Während die Reibung von Schaltkolben früher nie der Hauptgrund für Optimie-rungsbestrebungen war, hat sich die Situ-

ation inzwischen gewandelt. Ursache ist der steigende Anspruch an den Schalt-komfort, der hohe Schaltgeschwindig-keiten und damit Schaltkolbendesigns mit gleichmäßig niedriger Reibung und geringer Hysterese erfordert. Federal-Mo-gul hat mit dem vorgestellten reibmini-

mierten Design den Einstieg in einen neu-en Abschnitt der Optimierung vollzogen, bei dem auch die Simulation in zuneh-menden Maß dazu dienen soll, weitere Potenziale zur Leistungssteigerung bei mi-nimiertem Bauraum und Gewicht aufzu-zeigen.

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