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Reisebericht Berichter Dr. Alfons Nowak Kakuma Refugee Camp / Don Bosco Kakuma Flüchtlingshilfe Ostafrika e.V. Oer-Erkenschwick im November 2017 Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 1 von 27 Nairobi und Kakuma vom 14. bis 30. August 2017 Alte Bekannte und neue Einsichten Abflug Düsseldorf Sonntag, 13.08.2017, abends. Ankunft Nairobi Montag, 14.08.2017, 02.30 Uhr Selvam holt mich mit Gabriel ab. Sinke gegen 4 Uhr todmüde in mein Bett im Gäste- trakt. Ich bin der einzige Gast in dem weitläufigen Gebäude außer einer Schwester, die Exerzitien macht, alleine und schweigend. Steve bring mich nach Hardy zu Sr. Loina. Ihre Farm gedeiht. Der Gänserich ist Vater geworden, leider nur von drei Küken, wovon eins bereits totgetreten wurde. Sr. Loina wird ihre Masterarbeit bald abschließen. Dafür muss sie noch einmal nach Barpello fahren. In DBYES ist alles feucht und kühl, hier, wenige Kilometer entfernt, herrscht Trockenheit. Die Schwestern haben Schwierigkeiten, ihre Gewächshäuser zu be- wässern. Die Gemeinschaft der Salesianer ist mir fremd geworden. Fr. Samuel, vorher in Korr, einer heißen Wüstengegend, friert ständig. Fr. Maina hat Rückenschmerzen. Er und Fr. Selvam sind meine Patienten am Abend. Der erste bekommt Akupunktur, der zweite Massagen. Der Streit über die Präsidentenwahl ist in vollem Gang. Die Opposition von Raila Odinga geht vor Gericht. Nachts friere ich schrecklich. Mückenjagen ist auch nötig. Fühle mich nicht wohl. Die zweite schwere Decke lege ich über mich und rolle mich schließlich noch in mein Badetuch ein. Dienstag, 15.08.2017, Mariä Himmelfahrt Es geht zu Fr. Luke nach Langata zu den Bosco Boys. Von den hier betreuten Strassenkindern ist niemand da. Es sind Ferien. Ich treffe Fr. Vincenzo, 91 Jahre, er war der erste Pfarrer in Kakuma und freut sich über den Flyer und unser Engagement dort. Bosco Boys ist ein Internat für Straßenkinder und besitzt eine kleine Farm und eine

Reisebericht Berichter Dr. Alfons Nowak · Tabernakel ist leer. Fr. Henry hinter mir wispert leise aber deutlich: 'He is risen. He is not here.' 'Er ist auferstanden. Er ist nicht

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Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 1 von 27

Nairobi und Kakuma vom 14. bis 30. August 2017 Alte Bekannte und neue Einsichten Abflug Düsseldorf Sonntag, 13.08.2017, abends. Ankunft Nairobi Montag, 14.08.2017, 02.30 Uhr Selvam holt mich mit Gabriel ab. Sinke gegen 4 Uhr todmüde in mein Bett im Gäste-trakt. Ich bin der einzige Gast in dem weitläufigen Gebäude außer einer Schwester, die Exerzitien macht, alleine und schweigend. Steve bring mich nach Hardy zu Sr. Loina. Ihre Farm gedeiht. Der Gänserich ist Vater geworden, leider nur von drei Küken, wovon eins bereits totgetreten wurde. Sr. Loina wird ihre Masterarbeit bald abschließen. Dafür muss sie noch einmal nach Barpello fahren. In DBYES ist alles feucht und kühl, hier, wenige Kilometer entfernt, herrscht Trockenheit. Die Schwestern haben Schwierigkeiten, ihre Gewächshäuser zu be-wässern. Die Gemeinschaft der Salesianer ist mir fremd geworden. Fr. Samuel, vorher in Korr, einer heißen Wüstengegend, friert ständig. Fr. Maina hat Rückenschmerzen. Er und Fr. Selvam sind meine Patienten am Abend. Der erste bekommt Akupunktur, der zweite Massagen. Der Streit über die Präsidentenwahl ist in vollem Gang. Die Opposition von Raila Odinga geht vor Gericht. Nachts friere ich schrecklich. Mückenjagen ist auch nötig. Fühle mich nicht wohl. Die zweite schwere Decke lege ich über mich und rolle mich schließlich noch in mein Badetuch ein. Dienstag, 15.08.2017, Mariä Himmelfahrt Es geht zu Fr. Luke nach Langata zu den Bosco Boys. Von den hier betreuten Strassenkindern ist niemand da. Es sind Ferien. Ich treffe Fr. Vincenzo, 91 Jahre, er war der erste Pfarrer in Kakuma und freut sich über den Flyer und unser Engagement dort. Bosco Boys ist ein Internat für Straßenkinder und besitzt eine kleine Farm und eine

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große handwerkliche Werkstatt. Die Menschen aus dem kleinen Slum nicht weit weg dürfen sich Wasser holen. Der Brunnen fördert reichlich. Wir besuchen Yihun, Hiwot und ihre Kinder Adonai und Elizabeth in Githurai. Wir wer-den reichlich bewirtet mit Anjera und leckeren Beigaben. Auf dem Rückweg zum Auto durch das marode Stadtviertel fängt das Anjera in mir zu gären an. Ich brauche drin-gend eine Toilette. Yihun führt mich hin. Ein Abenteuer und riskant für meine Hose. Stockfinster ist es und das Loch im Boden zu treffen geschieht auf gut Glück! In Kassarani treffen wir einen ganz Glücklichen, Roland. Er wird in den nächsten Tagen mit Frau, Söhnchen und Stiefmutter nach Australien ausreisen. Vom Flughafen wird er mich anrufen und mitteilen, dass es gleich losgeht. Mittwoch, 16.08.2017 Um 8 Uhr zu Fr. Luke nach Bosco Boys. Im Zimmer des Generaloberen darf ich eine Stunde lang schlafen. Ich bin glücklich. Endlich ein bequemer warmer Ort, mich zu ent-spannen. Dieses Mal kommt das Touristenprogramm nicht zu kurz. Es geht zur Waisen-station für Elefantenkinder. Auf dem Rückweg halten wir an einer Bäckerei. Holländer haben sie gegründet für den Bedarf der in Nairobi wohnenden Europäer. Fr. Luke be-kommt nicht verkauftes Brot für seine Jungen. Säckeweise packen wir Körnerbrot und ähnliches in den Pickup. Die Jungen sind zur Zeit nicht da und ich habe den Eindruck, dass Fr. Luke Schwierigkeiten hat, das Brot an den Esser zu bringen. Es entspricht so gar nicht dem Geschmack der Afrikaner, die, wenn überhaupt, an das weiche weiße Toastbrot gewöhnt sind. Vor dem Mittag trifft Josse in DBYES ein. Ich darf ihn zum Essen einladen. Seine Ausbil-dung zieht sich. Die Krankenschwestern streiken schon seit 3 Monaten. Er ist pleite. Einen Lohn bekommen die Medical Officers in der Ausbildung ohne nicht. Sich etwas zu verdienen, scheitert an den Dienstzeiten. Jetzt wird die durch den Streik verlorene Zeit hinten angehängt und somit verschieben sich Anstellung und Verdienst auf unbe-stimmte Zeit. William ist mein zweiter Gast heute. Er macht den Unterhalter wie immer, erzählt von

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seiner Tätigkeit als Wahlhelfer, 72 Stunden ohne Schlaf, kaum Essen und Trinken, von ihm beobachtete Unstimmigkeiten bei der Übermittlung der Wahlergebnisse. Selvam berichtet, 20 Millionen T-Shirts habe Jubilee, die Partei Uhuru Kenyattas, mit ihrem Emblem bedruckt und im Wahlkampf verteilt, Wähler hätten Geld bekommen für den Besuch von Wahlveranstaltungen. Donnerstag, 17.08.2017 Heute bin ich mit George verabredet. Wir laufen zum Resurrection Garden. Er ist ein angenehmer, ruhiger Begleiter. Die Kommunikation ist einfach. Zurück werden wir von zwei Damen mitgenommen, die auch diesen frommen Ort besucht haben und sind pünktlich zum Lunch in DBYES. Wir besuchen seine Mutter in Dagoretti Corner. Sie lebt in einer Art Reihenhaus, aus Wellblech gefertigt. Die kleine Wohnsiedlung erhält ihren Schutz durch einen Well-blechzaun, der abzuschließen ist. Das Blech bietet keine Wärmeisolierung. Schon jetzt ist es hier drinnen heiß, obwohl es draußen noch erträglich warm ist. Nachts wird es empfindlich kalt. Das große Bett, es war Schlafplatz für die ganze vaterlose Familie, hat sie vom Wohnbereich durch einen Vorhang abgetrennt. Alles ist peinlich sauber. Sie kocht auf zwei kleinen Holzkohleöfchen mitten im Raum. Wäsche wird draußen gewaschen. Trinkwasser kann man kaufen. Ein Verteilerkasten wird zu bestimmten Zeiten geöffnet. Die kleine Körperpflege wird im Zimmer über einer Waschschüssel erledigt. Draußen gibt es ein paar kleine Zellen mit einem Loch im Boden. Hier kann man duschen, indem man das mitgebrachte Wasser über sich laufen lässt. Die Familie genießt einen besonderen Luxus. Sie haben ihr eigenes Plumpsklo mit Vorhängeschloss. Eine großer Vorteil, der Sauberkeit garantiert. Mit dem Matatu zurück. Sehr voll, abenteuerlich wie immer. Beim Abendessen wage ich es entgegen ausdrücklicher Warnung, 2 Tropfen Akabanga Öl aus Ruanda auf mein Sukuma Wiki zu tropfen. Die Schärfe treibt mir die Tränen in die Augen, raubt mir die Stimme und erzeugt heftiges Kratzen im Hals. Elke geht es schlecht. Sie hat eine Trigeminusneuralgie. Nese hat Bauchkrämpfe, musste ihren Urlaub in Antalya abbrechen.

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Abends ist Aussetzung des Allerheiligsten. Fr. Samuel kennt sich noch nicht aus. Der Tabernakel ist leer. Fr. Henry hinter mir wispert leise aber deutlich: 'He is risen. He is not here.' 'Er ist auferstanden. Er ist nicht hier.' Freitag, 18.08.2017 Mit Selvam auf dem Weg nach Tangaza Besuch im Giraffenzentrum und Spaziergang durch das angrenzende Gelände. Gespräch mit Jackie, Selvams Sekretärin, über ihre gesundheitlichen Probleme. Elke geht es schlecht nach Lyrica. Nachmittags mit Selvam in Dagoretti. Das Projekt der Mamas läuft gut. Ich kaufe reich-lich als Tannenbaumschmuck geeignete Bäume, Sterne, Tiere. Mercy ist hier gut bekannt. In DBYES ist Fr. Evans angekommen. Er beeindruckt mich, hat in Rom Philosophie studiert und hat sich vorgenommen, Kant auf Deutsch zu lesen. Gespräch mit John und Peter. Welches die offizielle Sprache in Deutschland sei, Englisch? Wie viele Stämme es gebe und wie viele Stammessprachen. Ob Deutschland auch von England kolonisiert worden sei. Ich bin überrascht über so viel Unkenntnis. Samstag, 19.08.2017 Wieder früh raus. Im Anwesen der Jesuiten findet das monatliche Treffen der ökumeni-schen Meditationsgruppe statt. Elizabeth, die Sekretärin von DBYES, gehört dazu. Es ist ein herrlicher Komplex, ein altes großzügig gebautes Kolonialzeithaus mit breiten Fenstern und Terrassen, die in einen weiten Park führen. Gepflegter Rasen, herrliche Bäume und Blumen. Eine der Teilnehmerinnen ist eine alte würdige Dame, Holländerin, die ihren kenianischen Mann im französisch-sprachigen Kanada kennen gelernt hat. 48 Jahre war sie mit ihm verheiratet. Wir bleiben nicht lange. Selvam muss in Utume, der Hochschule der Salesianer, an der Eröffnung des akademischen Jahres teilnehmen. Alles, was Rang und Namen hat, ist versammelt. Ein ehemaliger Schüler Selvams, Fr. Kevin, hält den Festvortrag, 'Unauf-gebbare Bedeutung der wissenschaftlichen Ausbildung der Priester'. Seine

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konservative Gesinnung macht er schon äußerlich deutlich durch seinen breiten römischen Kragen und seinen makellos schwarzen Anzug. Er hat einen leichten Exophthalmus, der den Eindruck eines stechenden Blicks erzeugt und meine Aufmerksamkeit noch einmal stärker auf seine Augen lenkt, die schon allein auf Grund seiner tiefschwarzen Hautfarbe und seiner schwarzen Kleidung weiß aus seinem Gesicht hervorleuchten. Er ist mir unheimlich. Der einzige Laie im Professorenteam erscheint provokant in Pullover und Jeans. In sei-ner kurzen Ansprache verteilt er einen Seitenhieb auf das klerikale Establishment. Weil man sein Fachgebiet nicht anders besetzen konnte, darum sei er auch als Laie angenommen worden. Mittags ist William schon in DBYES. Ich muss mich um ihn kümmern, also kein Mittagsschlaf. Später machen wir zu viert, Maurice, ein Freund Williams, ist dazu gekommen, mit Selvam einen ausgiebigen Spaziergang. Ich bin müde, nicht ganz dabei, mit meinen Gedanke bei Elke und ihrer Trigeminusneuralgie. Zum Abendessen sind wir bei Jackie und Damaris eingeladen. Ich bin geschockt, nie hätte ich mir vorstellen können, dass eine schick gekleidete, intelligente Frau mit dem Beruf einer Sekretärin an einem Universitätskolleg so schlicht und einfach leben muss. Mit dem Auto können wir nicht bis zu ihrer Wohnung vorfahren. In dem Weg sind tiefe Rinnen ausgewaschen. Größere Steine liegen herum, vom Regen herangespült. Wir drohen, stecken zu bleiben. Außerdem ist es bereits stockfinster. Schemenhaft erkenne ich, dass Jackie ein großes Tor öffnet, um uns auf das Gelände des Vermieters zu lassen. Sie wohnt in in der Mitte eines kleinen Reihenhauses, winzig die Wohnung. Ich kann nicht begreifen, als sie auf meiner Frage nach den Nachbarn angibt, diese nicht zu kennen. Es ist wieder einmal Stromausfall. Ich spendiere die Taschenlampe meines Handys als weitere Lichtquelle zu den zwei Kerzen. Das Zimmer ist sparsam eingerichtet. Einziger Luxus ist der Flachbildfernseher. Jackie hat ihn über das Kolleg bekommen, wie Selvam mir später erzählt. Das Essen schmeckt mir. Es gibt Kochbananen und Fleisch dazu. Selvam hat Eis mitgebracht. Freude macht mir Damaris Nichte Stacey. Eine aufgeweckte Neunjährige. Sie veranstaltet mit uns ein Bibelquiz. Wer ist der älteste

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Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 6 von 27

Mensch in der Bibel? Wie alt wurde er? Und vieles andere. Sonntag, 20.08.2017 Unsere Fahrt geht nach Naivasha. Es soll ein Tag der Erholung werden. Relaxen! Victor fährt mit. Er macht wie immer den Clown. Sein Repertoire ist breit. Er imitiert indische Bollywood-Schlagersänger. Kann aber auch Koransuren rezitieren. Für den Fall der Fälle sich als muslimischen Konvertiten zu präsentieren. Seinen neuen Namen hat er auch parat, Yahoul Ibrahim. Der Eintritt in den Nationalpark ist kostenpflichtig, dann zahlt man noch einmal Eintritt in das Schwimmbad. Die Preise sind gestaffelt, für Kenianer, im Land lebende Ausländer und für Touristen. Eine gerechte Lösung. Schon im Schwimmbecken ist das Wasser noch sehr heiß. Es wird herunter gekühlt aus Dampf, der hier aus dem Erdinnern an die Oberfläche dringt und dann in einem Gewirr von breiten Röhren auf Generatoren zur Stromgewinnung geleitet wird. Merkwürdigerweise bekommen die Menschen in dem nahen Nakuru nichts ab von dem hier produzierten Strom. Victor braucht lange, bis er sich ins Wasser traut. Man kann überall stehen, aber das Wasser gehört nicht zu den Elementen, in denen er sich locker bewegen kann. Die Fahrt zurück geht durch den Nationalpark. Warzenschweine, Zebras, Gazellen, Impalas und eine kleine Giraffe sehen wir. Fahrradfahrer, meist Chinesen, überholen uns. Ein einzelner hoch aufragender Felsen, Fisher's Point, lädt zum Klettern ein. Haken sind eingeschlagen, Ausrüstung kann geliehen werden. Eine Murmeltier-artige Nagerfamilie ist hier zu Hause. Ein schöner entspannter Tag. Abends spüre ich meinen Sonnenbrand. Das Abendessen ist unterhaltsam wie immer. Ich bekomme nicht viel mit, so müde bin ich. Montag, 21.08.2017 Flug vom Wilson Airport nach Kakuma. Endlich! Zum Flughafen geht es diesmal mit dem UBA-Taxi. Ein neues Geschäftsmodell. Man bestellt das Taxi über das Internet. Ein Fahrer, der in der Nähe ist, übernimmt die Fahrt. Der Preis steht sofort fest. Pünktlich um 5.30 Uhr ist es da. Auf der APP kann man verfolgen, wohin das Taxi fährt. In diesem Falle ist es Selvam, der sich vergewissern will, ob ich gut abgeliefert werde. Der Preis ist weniger als die Hälfte von dem, was ich letztes Jahr James bezahlt habe.

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Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 7 von 27

Wie freue ich mich, wieder in Kakuma zu sein. Es ist wie nach Hause kommen. Fr. Jose holt mich ab, herzlich, unkompliziert wie immer. Das Team im Don Bosco Zentrum hat sich verändert. Br. Baron kenne ich aus Nairobi, hier fühlt er sich wohl, er ist für Garten, Ställe und für die handwerkliche Ausbildung zuständig. Fr. Johnson, Inder, ist für die Verwaltung da. Br. Francis, Kenianer, immer gut drauf, kümmert sich um die Jugendarbeit. Diakon Peter, ein netter Kenianer, unterstützt das Seelsorgeteam. Der Koch ist neu, Dominic. Langes Gespräch mit Mercy. Sie ist voller Elan und Visionen. Unser Gespräch streift die nahen und die ferneren Themen. Die Geringschätzung von Frauen in manchen Stämmen, die Blockade des Fortschritts durch fehlende Straßen. Die Vernachlässigung mancher Gegenden durch die Politik, auch das Turkana Land gehört dazu. Die Abwehr der Kirche allem Neuen gegenüber. Bericht über den Savio Club, das Engagement der Lehrer. Auch hier bemerke sie man-che Vorbehalte Mädchen gegenüber. Jungen, die die von ihnen so genannte 'Frauenarbeit' nicht tun wollten. Lehrer, die bei der 1. Prüfung aus 'Mitleid mit den Schülern' Fehler bewusst übersehen, falsche Schreibweisen nicht angestrichen hätten. Vielleicht sei es eher darum gegangen, sich als Lehrer gut darstellen zu wollen. Die Auswahl des Lehrstoffs sei leicht für sie, sie richte sich nach dem Kenianischen Schul-programm. Für die Eltern sei der Umgang mit ihren Kindern häufig nicht einfach. Sie litten an einem großen Autoritätsproblem. Die Kindern würden in der Schule auf ihre Rechte hingewiesen, Kinder widersetzten sich daraufhin ihren Eltern, für die ein solches Verhalten völlig inakzeptabel sei. Die Entwurzelung aus der Heimat, die Entmündigung durch die Lagersituation, in der ihnen alles vorgesetzt würde, sie nicht in der Lage seien, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen, untergrabe ihr Selbstbewusstsein massiv. Die Kinder erlebten ihre Eltern als passiv, nicht als solche, die etwas schafften, die durch ihren Einsatz etwas erreichten. Woher sie ihre Kraft behalte? Aus dem Leuchten der Augen der Kinder! Aus den Er-folgen, die sie täglich sehe. Die Kinder, die den Savio Club besuchten, gehörten immer

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Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 8 von 27

zu den Besten in ihren Schulklassen. Die Zahl der Jugendlichen, die zum Basketball kämen, liege mittlerweile bei 100. Sie erlebe mit Freude, wie diese anfangs sehr undisziplinierten langen Kerle aus dem Südsudan, ruhiger würden, sich gesitteter be-nähmen. Wie sie Vertrauen gewinnen würden. Am Ende jedes Nachmittags sorge sie für eine Gelegenheit, reden zu können. Dieses sei etwas, was diese Burschen, wenige Frauen sind auch dabei, nicht kennen und was sie mehr und mehr genießen würden. Am Abend hinaus zur Comboni Station. Kodi unterrichtet hier die Kinder. Prosper treffe ich dann bei der Messe in der St. Bakhita Chapel, ein brusthoch abgemauerter Bezirk für den Gottesdienst. Vorne am Altarraum hat man eine Plane an zwei Pfählen befestigt als Schutz vor der Sonne, die jetzt nicht mehr viel Kraft hat und die Umgebung in eine angenehm warme rot-goldene Farbe taucht. Hier trifft sich eine der so genannten 'Kleinen Christlichen Gemeinschaften'. Eine Dinka Frau spricht frei und humorvoll zu der Gruppe. Fr. Jose ist enttäuscht, dass so wenige da sind – ich schätze 50 Personen. Man entschuldigt sich, zwei Familien hätten Todesfälle zu beklagen. Ich erfahre, dass es Väter sind, die als Soldaten im Südsudan gefallen sind. Ich treffe Credo. Wir sind beide sehr bewegt. Nur noch wenige Tage und er wird Kakuma verlassen. Es fällt ihm schwer. Er hat in Kanada einen Studienplatz für Medizin bekommen. Seine Familie ist bereits ausgereist, sie lebt jetzt in in den USA, in North Carolina. Mercy sagte mir am Morgen über ihn: 'Auch einer, der schwer zu ersetzen ist.' Sie konnte sich voll auf ihn verlassen. Wenn sie weg war, kümmerte er sich um die Basketballgruppe und um die anderen Sportgruppen. Beim Abendgebet liest Fr. Jose aus dem Buch von Henri Nouwen über den Verlorenen Sohn vor. Dienstag, 22.08.2017 Einige Mädchen begrüßen mich nach der Messe. Es sind mittlerweile ehemalige Savio Club Kinder. Sie freuen sich auf Samstag, an dem wie üblich bei meinen Besuchen das Savio Club Fest stattfinden wird. Sie rechnen damit, dass sie daran teilnehmen und sind dabei, für mich einen Tanz einzustudieren. Sie laden mich ein, mir die Probe anzusehen. Ich muss mich bei Mercy und Fr. Jose für sie einsetzen, denn eigentlich ist das Programm voll und die Teilnahme Ehemaliger ist nicht vorgesehen, schon allein aus

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Platzgründen. Schließlich wird ihr Auftritt genehmigt und ich frage sie, unter welchem Namen sie auftreten wollen. 'Wer seid ihr denn?' 'We are the Happy Girls!', ist ihre Antwort. 'Wir sind die Glücklichen Mädchen!' Ich besuche Gracien und seine Familie. Seine Frau ist krank, es scheint der Magen zu sein. Gracien zeigt seine Shamba, sein kleines Feld. Sie haben angefangen, einen zwei-ten Brunnen zu graben in der Hoffnung, hier kein versalzenes Wasser zu gewinnen. Die vorbereitete Schutzmatte reichte nicht mehr aus und sie hatten sie nicht eingesetzt. Dadurch wäre der Kollege Graciens in dem jetzt 7,5 Meter tiefen Brunnen fast verschüttet worden. Nachdem er mehrere Stunden bis zum Hals in den nachrutschenden Erdmassen eingeschlossen war, konnte er wohlbehalten befreit werden. Gracien zeigt mir seinen riesigen Leistenbruch. Er ist schon zwei Mal operiert worden. Vermutlich kam es zu den Rezidiven, da er sich nicht lange genug schonen konnte. Er würde gerne ein Fahrrad haben, um die Maisration von der weit entfernten Ausgabe-stelle zu seiner Hütte zu transportieren. Von Sr. Anastasia vom Missions Hospital erfahre ich, dass sich für September ein Chirurg aus den USA für 5 Tage angemeldet hat, um dort zu operieren. Hoffentlich kann er Gracien helfen. Teresa ist im Lager. Sie will sich ihre Papiere besorgen, um die kenianische Staatsbürgerschaft zu beantragen, was ich ihr geraten habe. Fr. Jose glaubt nicht, dass es ihr gelingen werde. Wir sehen uns an, wo der Fluss, der Lagga, wie er hier heißt, wieder einen großen Streifen Land vom Don Bosco Zentrum weggespült hat. Der Zaun musste an mehreren Stellen um einige Meter zurückgesetzt werden. Es ist nicht mehr möglich, zwischen Flussbett und Zaun zum Garten zu gelangen. Ich muss den Umweg nehmen um ganz Don Bosco herum. Für mich ist es nur eine Frage der Zeit, bis das ganze Zentrum der Zerstörung durch den Fluss weichen muss. Ich staune, dass Fr. Jose und die anderen des Teams so scheinbar locker dieser Gefahr entgegen sehen. Vermutlich bleibt ihnen nichts anderes übrig. Es gibt keine Behörde, die Interesse hätte, ihr Gelände vor dem Fluss zu schützen. In Kakuma Stadt werden die Planungen konkret für das neue Ausbildungszentrum für Flüchtlinge und Turkanas. Vielleicht haben die Salesianer sich bereits damit abgefunden, dass sie dann dort ihr neues Zentrum haben werden. Für die Flüchtlinge, besonders die Jugendlichen und die Kinder

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wäre es ein großer Verlust, wenn ihnen dieser Treffpunkt mit seinen räumlichen Mög-lichkeiten verloren ginge. Francis und Peter nehmen mich mit in die Stadt, wir besuchen Pfarrer Michael Motui. Gerade morgens hatte Erick mir mitgeteilt, dass sein Studienfreund nach Kakuma versetzt worden sei. Fr. Michael freut sich, von Erick zu hören. Er hat Afrikanische Religionen studiert und ist offen für traditionelles Denken und bereit Riten, die im Bewusstsein der Menschen verankert sind, in den Gottesdienst zu übernehmen. Er nennt mir ein Beispiel: Die Turkana stellen sich bei Bittgebeten, bei der Bitte um die Befreiung von etwas Bösem stets in Richtung der untergehenden Sonne. Das Böse soll mit der Sonne verschwinden. Bitten um Gottes Segen, vertrauensvolle, Dank erfüllte Gebete werden in Richtung der aufgehenden Sonne gebetet. Sie sollen mit der aufgehenden Sonne zu Gott gelangen. Mit der neu erscheinenden Sonne wird Gottes Segen neu erfahrbar. Fr. Michael ist ein im Kirchenrecht so genanntes Donum fidei, ein Geschenk der Diözese Eldoret an die ärmere Diözese Lodwar. Im Missionshospital sind nur wenige Patienten. Ein neues staatliches Hospital und eine neue UN-Klinik im Lager bedeuten Konkurrenz. Das Röntgengerät ist immer noch nicht erneuert. Sr. Anastasia führt mich über die Stationen. Für Elkes Augen wäre es ein Schock, die primitive Ausstattung, den geringen Hygienestandard zu sehen. Ich bin daran gewöhnt. Es ist schön, Sr. Elisabeth wieder zu treffen. Sr. Jane ist neu hier, Sr. Renata ist noch in Italien. Sie wohnen bereits in ihrem neuen Haus auf dem Gelände des künftigen Ausbildungszentrums. Es riecht nach Farbe. Wunderbar, wie wir uns über gemeinsame Bekannte austauschen können, wie wir merken, dass uns die gleichen Sorgen um die gleichen Menschen bewegen. Über Sugira sprechen wir, über Yihun und Hiwot. Sie erzählen mir von anderen Menschen, aussichtslosen Fällen, die es doch geschafft hätten, ihre Ausreise bewilligt zu bekommen. In einem Fall wäre es dann fast am Transport zum Flughafen nach Nairobi gescheitert. Gegen alle Tücken von schwer zu beschaffenden Bustickets, einem Motorschaden des abfahrtbereiten Busses hätte die behinderte Frau mit ihren vier Kindern es doch hingekriegt, ihr Flugzeug für die Ausbürgerung nach Kanada zu erreichen.

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Wir begeistern uns über die verborgenen Wege Gottes, die wir immer wieder beobachten können, seine Fügungen, die kleinen nicht zu erwartenden Lösungen für manche Probleme. Ein Beispiel dafür, von dem wir jetzt noch nicht wissen: Credo wird in Kanada eine ausgebürgerte Familie aus Kakuma treffen, ein Sohn dieser Familie wird an der gleichen Universität wie er Medizin studieren. Sr. Elisabeth bringt mich mit ihrem Auto zurück. Eigentlich dürfte ich nach 18 Uhr nicht mehr auf der Straße sein. Zum Abendgebet komme ich gerade pünktlich um 19.15 Uhr. Peter liest aus Nouwens Buch über die kleinen Dinge, über die kleinen verborgenen Wunder, die geschehen. Es kommt mir vor, als ob der Text für mich gedacht sei. Ich fühle ausgesprochen, was ich erlebe. Elke geht es besser. Sie kann wieder fröhlich sein. Danke! Mittwoch, 23.08.2017 In der Messe beten wir für Credo. Es ist sein letzter Tag. Man sieht ihm den Trennungs-schmerz an. Fast sein ganzes Leben hat er hier in diesem Flüchtlingslager verbracht. 1994 ist seine Familie vor dem Genozid in Ruanda hier her geflohen. Er ist eng mit den Salesianern, der Jugend, den Menschen hier verbunden. Sein Wunsch ist, selber Salesianer zu werden. Wunderschöne Fotos gelingen mir von den Happy Girls. Francina, deutlich in der Pubertät, ist ihre Anführerin. Faraja fährt mich mit seinem Motorrad zu Pascal und seiner Familie. Es geht ihm erstaunlich gut. Die Kraft in den Beinen hat kräftig zugenommen. Die Familie lebt in einer geräumigen Hütte zusammen mit ihren Enten. Diese wuseln überall herum. Man sieht, dass die Familie schon länger hier im Lager wohnt. Ihr kleines Anwesen macht nicht mehr den Eindruck des Provisorischen. Warum geht es Pascal besser? Sein Onkel war mit ihm im Shunga Hospital in Tansania, geleitet von der Neukirchener Mission. Er hat dort Tabletten bekommen. Alle Papiere, alle medizinischen Berichte sind dem Onkel auf der Rückfahrt mit dem Koffer gestohlen worden. Es gelingt mir nicht, eine telefonische Verbindung in das Krankenhaus zu bekommen. Pascal ein Wort oder gar ein Lächeln zu entlocken, ist schwer. Er scheint, psychisch traumatisiert zu sein. Er lebt bei Onkel und Tante. Was ist mit seinen Eltern? Wird er auf Grund seiner Behinderung, auf Grund der epileptischen Anfälle ausge-

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grenzt? Später erzählt Mercy über Hexenglauben, über den Glauben an die Wirksamkeit von Verwünschungen, den bösen Blick. Liegt hier so etwas vor? Bei dem diesjährigen Aufenthalt erlebe ich immer wieder, dass die Wahrheit oft nicht das ist, was der Anschein vorgibt. Wir fahren durch Kakuma III, vorbei an der Kapelle John Bosco und Mary, Help of Chris-tians. Niemand ist zu sehen. Es ist 10 Uhr. Wir machen einen Abstecher zu den drei Verlorengegangenen. Es gibt einen vierten sehr schüchternen Mitbewohner, Nestor. John ist nicht da. Jackson wirkt wie erstarrt. Wird sein Exophthalmus mehr? Meine Sorge um ihn bekommt neue Nahrung. Moses ist lebhaft und zugewandt wie immer. Mit Fr. Luke haben sie kaum mehr Kontakt. Was für ein Leben führen sie? Sie erscheinen sehr isoliert, wie in ihrer eigenen Welt lebend. Jackson legt Wert darauf, mir Bilder von ihrer Arbeit mit den Kindern zu zeigen. Es sieht aus wie 2013/14. Kinder sitzen im Kreis, ein Ball in der Mitte. Jemand verteilt Süßigkeiten. Faraja und ich haben Zeit zum Erzählen. Er erklärt mir die Anschaffung des Motorrads. Die vielen Ausgaben für Fahrten mit dem Boda Boda stecke man lieber in die Anschaffung eines eigenen Fahrzeugs. Das Fotogeschäft laufe nicht mehr. Seine Hauptkunden, die Südsudanesen hätten kein Geld mehr für Fotos. Ihre Währung sei nichts mehr wert. Als Schildermaler bekomme er ab und zu einen lohnenden Auftrag. Ein zusätzliches Standbein solle jetzt der Handel mit Holzpfosten werden. In ihrem Compound ist das Lager bereits gefüllt. Schon gibt es Pläne, ein zweites Motorrad anzuschaffen und dieses an einen Fahrer zu vermieten. Gedanken über eine Unfallversicherung hat er sich auch schon gemacht. Faraja, der engagierte Mitstreiter in der Gemeinde, der zuverlässige Lehrer im Savio Club, geschätzter Mitarbeiter von Mercy und Fr. Luke ist auch ein erfolgreicher Unternehmer. Und es gibt noch etwas, was er mir anvertraut: Er sei eigentlich kein Flüchtling. Seine Eltern seien zwar aus dem Kongo nach Tansania geflohen. Nach Kakuma hätten sie ihn und seinen Bruder aber geschickt, um hier zu lernen. Nun fühle er sich verpflichtet, für seine Eltern zu sorgen. Alles, was er unternehme, tue er auch, um seinen Eltern eine Altersvorsorge zu schaffen. Alles, was getan werde, werde in der Familie besprochen und aus einer gemeinsamen Kasse finanziert. In Tansania seien sie dabei, in der Nähe des Victoria Sees ein Haus zu bauen. Ich verspreche ihm, dass ich ihn eines Tages dort besuchen werde.

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Die Aussicht, eine kostenlose Ausbildung zu bekommen, im Flüchtlingslager sogar bei freier Kost und Unterkunft, spricht sich anscheinend über Ländergrenzen hinweg her-um und lässt Menschen Heimat und Familie verlassen. Der Wert von Bildung wird äu-ßerst hoch eingeschätzt. Ein Leben als Flüchtling erscheint unter diesem Blickwinkel als die bessere Alternative als der Verbleib in der Heimat, die einem ohnehin fremd geworden ist durch die feindliche politische und die desolate wirtschaftliche Situation. Ganz auf sich alleine gestellt zu sein, ohne jegliche Unterstützung von außen, lässt einen jede andere Lebenslage, wo man einer irgendwie gearteten Unterstützung sicher sein kann, sei es auch in der Fremde, als erstrebenswerter erscheinen. Einmal aufmerksam geworden, mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Flüchtling nicht gleich Flüchtling ist. Die meisten Südsudanesen flohen vor Gewalt und Bedro-hung, viele in Todesnot. Aber es gibt auch solche, die von ihren kämpfenden Männern und Vätern ins Flüchtlingslager geschickt oder sogar hinbegleitet wurden, um sie dort in Sicherheit zu wissen, mit dem Nötigsten, mit Essen und mit einer Unterkunft versorgt und in der Gewissheit, dass ihre Kinder dort eine Schulbildung erhalten würden. Nachmittags bin ich beim Savio Club hinter unserem Haus. Durch die Fenster konnte ich sie schon sehen. Es gibt ein großes Hallo. Es ist Pause. Die Milch wird von ihnen selbst zubereitet und verteilt. Eine Gruppe älterer Kinder sitzt unter dem Baum und macht den Unterricht selbstständig. Ihr Leiter ist nicht gekommen. Sie gehören zu einer Kindermissionsgruppe und können verblüffend viele und lange Gebete auswendig hersagen mit vielen Strophen und alle mit sehr frommem Inhalt. Adam, der Savio Club Lehrer, ein zierlicher dünner Mann aus dem Sudan, spricht über die Erschaffung der Erde, über Adam und Eva, Kain und Abel und ist bald bei den Pflich-ten der Kinder ihren Eltern gegenüber angekommen. Sein Englisch ist schwer zu verste-hen. Seine Sätze prasseln auf die Kinder ein. Nachfragen, Gespräche über das Gesagte gibt es nicht, reiner Frontalunterricht. Kritische Nachfragen, wie sie unsere Lehrer zu erwarten hätten, gibt es nicht. Ob die Kinder hier sich auch die Frage stellen, woher denn Kains Frauen kamen, wenn Adam und Eva nur zwei Söhnen hatten? Ich muss es einmal mit Mercy besprechen. Die Kinder wollen wissen, woher ich komme. Ich versuche, ihnen zu erklären, wo

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Deutschland liegt. Ich beginne mit Afrika, dass sie in Afrika leben, dass sie Afrikaner seien und dass Deutschland in Europa liege, weit weg von ihnen im Norden. Ich habe den Eindruck, dass die Kinder mir nicht folgen können. Selbst dass sie Afrikaner sind, stößt auf keine verständnisvolle Zustimmung. So weit geht ihr Weltbild nicht. Aus welchem Stamm sie sind, aus welchem Land sie kommen, dass wissen sie. Dann hört das Vorstellungsvermögen auf. Eine Herausforderung auch für unser Bildungsprogramm. Mercy trainiert die langen Kerle aus dem Südsudan. Zwei Frauen sind beim Training da-bei, mit den Männern können sie kräftemäßig nicht mithalten. Es ist erstaunlich, wie die kleine, kräftig gebaute Mercy die großen Burschen kontrolliert, alle um die 2 Meter groß. Auch sportlich kann sie den meisten etwas vormachen. Beim Sprint allerdings sind sie ihr durch ihre langen Beine weit voraus. Sie kriegt sie ordentlich ran. Der Schweiß rinnt ihnen von der Stirn, Schwäche zeigt keiner der Männer. Der Unterricht der Kinder ist beendet. Eine Gruppe wäscht mit Begeisterung die Becher an dem einzigen Kran. Um sie herum wird der matschige See durch das vergeudete herabfließende Wasser immer größer. Ein Mädchen schrubbt mit Hingebung den riesigen Milchpott. Auch den Ruß an den Seiten geht sie mit Scheuerpulver bei sparsamem Wasserverbrauch energisch an. Die Jungen lassen ihre Spannung auf mehr destruktive Weise heraus. Papierfetzen und zerrissene Heftblätter liegen auf dem Boden herum. Alles aufzuheben wird ihnen befohlen und zu meinem Erstaunen gehorchen sie anscheinend brav, halten sich dabei aber geschickt zurück und verlassen sich auf die Mädchen, die sich bereitwillig und fleißig nach jedem noch so kleinen Fetzchen bücken. Nachdem die Basketballer um 6 Uhr den Platz geräumt haben, ziehen die Kinder, den Rosenkranz betend, hier ihre Runde hin und her, ich mit ihnen. Rührend die kleinen Gestalten, wie sie vor mir her laufen. Einer fällt mir immer wieder auf, wenn wir die Richtung gewechselt haben, mit seinen großen Füßen und den winzigen dünnen Beinchen. Ich kann nicht glauben, dass es seine Stimme ist, als er das Vorbeten über-nimmt. Eine laute kräftige Stimme, sein Englisch klar zu verstehen. Ein anderer kleiner Bursche bemüht sich, immer in meiner Nähe zu bleiben. Ich erkenne ihn an seiner blauen Hose mit der aufgeplatzten Naht am Po.

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Adam freut sich, dass ich ihn an diesem Nachmittag unterstützte. Er ist einer von denen, die ihr Land nicht als Flüchtling verlassen haben. Er versprach sich, in Kakuma eine Ausbildung ohne Schulgeld erhalten zu können. Er stammt aus den Nuba Bergen, die an der Grenze zum Sudan liegen und in den letzten Jahren durch den Bürgerkrieg schwer leiden mussten. Immer wieder werden Bombardierungen dieser an Bo-denschätzen reichen Region durch Flugzeuge aus dem Sudan berichtet. Seitdem gibt es eine große Zahl von Flüchtlingen, auch in Kakuma ist der Anteil der Nubas unter den Sudanesen hoch. Nein, als er 2011 seine Heimat verließ, habe es dort keinen Krieg gegeben. Sein Vater habe ihn geschickt, um hier zu lernen. Im Sudan seien die Schulen schlecht und teuer gewesen. Nein, der Flüchtlingsbehörde habe er dieses natürlich nicht sagen dürfen. Er ist glücklich, seinen High School Abschluss hier gemacht zu haben und nun als Lehrer tätig sein zu können, wenn es auch nur im Savio Club ist. Wie ich heute feststelle konnte, keine leichte Aufgabe bei dem schmalen Bildungs-hintergrund und der gänzlich fehlenden pädagogischen Ausbildung. Fr. Jose gibt mir ein paar Verhaltensregeln. Jemanden in die Gemeinschaft mitzubrin-gen, müsse die Ausnahme sein, ich hatte Teresa an unseren Tisch eingeladen. Ich könne für Besucher oder Patienten den Raum vor dem Eingang benutzen. Später als 18.30 Uhr zurückzukommen, sollte ich vermeiden. Der Status des Don Bosco-Zentrums hier sei sehr labil. Man sei geduldet und werde sehr genau beobachtet. Man wolle die Duldung nicht aufs Spiel setzten und sei darum bemüht, jedes auffällige Verhalten und jeden Regelverstoß zu vermeiden. Die UN-Verwaltung wolle, dass alle Hilfsorganisationen außerhalb des Lagers angesiedelt seien. Die Salesianer seien auf Grund ihres langen Aufenthaltes hier und ihrer auch von der UN geschätzten Tätigkeit die Einzigen, die ihren Standort noch im Lager hätten. Donnerstag, 24.08.2017 Den Vormittag lasse ich ruhig angehen, schlafe länger. Die Hitze in meinem abgedunkel-ten Zimmer ist erträglich. Mücken stören mich hier gar nicht im Gegensatz zu Nairobi. Am Frühstückstisch genieße ich das Omelette, noch warm durch den Isoliertopf. Nebenan ist ein Treffen der Leiter aller Substations, aller durch die Kapellen markierten Unterbezirke der Pfarrgemeinde. Ich setze mich dazu. Eine von jemandem gestellte

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Frage über Hören, Verstehen und Nichtverstehen elektrisiert mich und ich lasse mich zu einem Redebeitrag hinreißen, obwohl es mir als unbeteiligtem Gast eher anstehen sollte, mich auf meine Zuhörerrolle zu beschränken. In dem Moment, als ich mich melde, überkommt mich ein schlechtes Gefühl. Mir wird bewusst, dass es nicht gut ankommen könnte, was ich gerne als wichtige Botschaft übermitteln möchte. Ich erzähle von dem Kommunikationsmodell mit den vier Schnäbeln und vier Ohren von Friedrich Schulz von Thun. Ob man will oder nicht, übermittelt man bei jeder Kommunikation neben dem Sachinhalt etwas über sich selbst, gibt zu erkennen, was man vom anderen hält, in welchem Verhältnis man zu ihm steht und was man von ihm will. Der Hörer hört ebenfalls unter diesen vier Aspekten. Was haben meine Zuhörer von dem aufgefasst, was ich gesagt habe? Vielleicht dies: Der kommt sich aber wichtig vor! Meint er, wir wüssten das nicht selber? Wofür hält er uns? Was will er, dass wir tun sollen? Ganz so negativ ist es dann nicht gelaufen. Nach meinem Eindruck waren die meisten bereit, mir einen wohlwollenden Vertrauensvorschuss zu geben. Gordon, mein sympathischer Freund von vor zwei Jahren, wollte es ganz genau wissen und kam hinterher zu mir, damit ich ihm alles noch einmal genau erklärte. Gordon war damals gerade als Savio Club Lehrer angefangen und brachte von John Bosco 200 Kinder zu unserem Fest mit statt der erwarteten 100 in den Savio Club Eingeschriebenen. Ich erinnere mich, wie weh es mir tat, als er die nicht zum Savio Club gehörenden Kinder zurückbringen musste. Aber ich erinnere mich auch, wie er nach 1 ½ Stunden Schweiß triefend, aber mit strahlendem Lächeln wieder da war und am Fest teilnahm. Ich bin beeindruckt, wie sehr er sich in der Zwischenzeit weiter entwickelt hat. Er hat den Abschluss der Primary School nachgemacht und besucht nun die High School. Sein markantes, von Schmucknarben übersätes Gesicht strahlt. Er macht einen wachen aufmerksamen Eindruck, begierig alles neue Wissen in sich aufzunehmen. Toll! Fr. Jose erzählt mir hinterher, dass sein Schulabschluss fraglich war. Da die Regierung aber den erforderlichen Punkteschnitt heruntergesetzt hatte, war er auch dabei. Ama Chili ist ein weiteres Beispiel für einen sich prächtig entwickelnden Menschen, gibt man ihm nur die Möglichkeit, sich Wissen anzueignen und sein Selbstbewusstsein

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zu stärken. Ama Chili war die erste Lehrerin im Savio Club. Sie stammt aus den Nuba Bergen wie Adam, musste wegen der Bombardierungen ihrer Heimat fliehen. Als ich sie vor zwei Jahren traf, war sie dünn, wirkte schüchtern und unscheinbar. Sie hat gehört, dass ich in Kakuma bin und kommt mich in einer Unterrichtspause besuchen. Sie befindet sich inzwischen in der Ausbildung zur Lehrerin. Sie hat an Gewicht zugenom-men, die gestylten Augenbrauen fallen auf und wirken fremd auf mich. Sie ist fraulicher geworden, strahlt über das ganze Gesicht, als wir uns sehen. Sie macht einen ausgeglichenen, selbstbewussten, in sich ruhenden Eindruck. Ich freue mich für sie. Isaac ist einer der Lehrer, der mir bei jedem Besuch angenehm auffällt. Er ist unermüd-lich aktiv, voller Elan und Begeisterung. Auch John ist sicherer geworden, geht ruhiger und gelassener mit den Kindern um. Fr. Jose ist mit Joan unzufrieden. Sie war ohne Ab-sprache nach Nairobi gefahren, gestern erst wieder gekommen. Sie wirkt unkon-zentriert, ist mir gegenüber zurückhaltend. Gibt es Probleme mit ihren Kindern, die in Nairobi leben? Mit Pascal läuft es nicht gut. Alkoholabhängigkeit scheint der Grund zu sein. Er lebt von seiner Familie getrennt. Seine Arbeit macht er schematisch, kommt häufig zu spät. Die Kinder haben sich an seine Unzuverlässigkeit gewöhnt. Prosper hält sich zurück, tut seine Arbeit, ist aber nicht voll dabei. Der Umgang mit den Kindern ist nicht das, was ihm liegt. Begeistert bin ich von Hanan. Sie ist freier geworden, strahlt, erscheint selbstbewusst und glücklich mit ihrer Aufgabe. Ebenso positiv wirkt Wilson, auch er erst ein Jahr dabei. Elias, der kleine Kongolese, der in Mary, Help of Christians die Gruppe der Nubier leitet, ist sehr engagiert. Die Präsentati-on seiner Gruppe beim Fest ist anspruchsvoll und begeistert. Seine erste Tochter, drei Jahre alt, macht ihm Sorgen. Sie entwickelt sich nicht gut, hat immer wieder Fieberschübe. Nachmittags mache ich mit Faraja eine Rundtour durch alle Gruppen. Wir erinnern daran, dass unser Fest auf Freitag vorgezogen wurde. Dass dieses funktionieren könnte, ist für Deutsche undenkbar. Aber hier geht es: Alle wissen schon Bescheid, Lehrer, Kinder, Kochfrauen. Um 6 Uhr wollen sie sich treffen, um um 8 Uhr in Holy Cross im Don Bosco-Zentrum einzutreffen. Die Kinder mit dem längsten Weg, die Comboni-Gruppe, wird es so früh nicht schaffen, sie werden erst um 9 Uhr da sein. Mit Faraja unterwegs zu sein, ist angenehm. Er fährt behutsam und vorsichtig. So kann

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ich mich, hinter ihm sitzend, langsam entspannen und meine Rückenschmerzen lassen nach. Da wir mit einander reden wollen, muss ich meinen Kopf zu seinem Helm in die Gegend des rechten Ohres hinunterbeugen. Ich habe auf meinen Helm verzichtet, denn darunter könnte ich meine Brille nicht aufsetzen. Er selbst trage ihn hauptsächlich als Schutz vor dem Staub und von dem gibt es in Kakuma III und IV reichlich. Besonders unangenehm wird es, wenn wir in die aufgewirbelte Staubfahne eines anderen Fahrzeugs geraten. Am Zentrum geht das Fußballturnier in die nächste Runde. Br. Francis leitet es. Der Preis für die ersten beiden Mannschaften wird je eine Ziege sein. Junge Frauen spielen nebenan Volleyball. Es will nicht so recht klappen. Ganz anders auf dem Platz im Zentrum, wo die Dinkas mit Mercy ihr abendliches Training absolvieren. Freitag, 25.08.2017 Der Tag unseres Savio Club-Festes. Es wird ein wunderbarer Tag, aber auch sehr anstrengend! 5 Gruppen sind frühzeitig da. Die Comboni-Gruppe kommt gerade pünktlich um 9Uhr. Die Holy Cross-Gruppe ist ohne Leiter. Adam ist plötzlich an Malaria erkrankt und Pascal ist noch nicht da. Die anderen Gruppen sind von ihren Lehrern begleitet auf den Kirchplatz eingezogen und bilden mit ihren unterschiedlich farbigen T-Shirts bunte Kleckse in den Schattenzonen des Platzes. So nehme ich mich der Kinder an, die sich in ihren gelben T-Shirts wie Schafe ohne Hirten aneinander drängen und führe sie zum Basketballplatz, wo die Spiele beginnen. Kodi spricht mich an, er wünscht sich einen Laptop, um mit dessen Hilfe ein Fernstudium an einer deutschen Universität durchführen zu können. Ich muss ihn enttäuschen, ich kann nicht anfangen, einzelnen ein so großes Geschenk zu machen. Die Sonne brennt. Ich versuche, mich in dem schmalen Schattenstreifen des Basketball-korbs aufzuhalten. Einige Lehrer suchen den Schatten der Ausbildungshalle, während andere, besonders Isaac, Elias und Wilson, wie Hirtenhunde um ihre Herde herumkreisen, um ihre Schäfchen in Schach zu halten. Es ist nicht einfach, die Kinder zusammenzuhalten und ihre Aufmerksamkeit bei mehr als 30°C im Schatten immer wieder anzustacheln. Mercy macht ihre Aufgabe wie immer hervorragend. Mit nicht ermüdender Stimme bringt sie die Gruppen in Schwung. Bewegungsspiele sind dran, natürlich die 'Tante aus

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Marokko' und andere, die Konzentration und Körperbeherrschung erfordern. Die Stimmung steigt, wenn Kinder in ihren unterschiedlich farbigen T-Shirts gegeneinander antreten. Jede Gruppe feuert ihren Vertreter an und mit ohrenbetäubendem Jubel wird der Sieger gefeiert. Es wird mir schwer, bei den Kindern in der Sonne auszuhalten. Ich bin froh, als es endlich eine Pause gibt und ich in der Halle den verdünnten Ananas Saft ausschenken kann. Dazu gibt es für jedes Kind 5 Kekse. Ich gebe anscheinend zu reichlich. Immer wieder werde ich ermahnt, die Becher nur halbvoll zu machen. Man hat Angst, dass es nicht für alle 600 Kinder reichen könnte. Glücklich ist die Gruppe, die als erste dran ist, bedauernswert die letzte. Aber anders geht es nicht. Jeweils eine Gruppe muss warten, bis die vorige mit Essen und Trinken fertig ist und ihre Becher gespült hat, damit die nächste sie benutzen kann. Die armen Kinder brauchen Flüssigkeit. Ein Mädchen sieht krank aus, es hat Fieber. Ein Junge erbricht blutig. Prosper lässt ihn mit einem Boda-Boda nach Hause bringen. Für das Mädchen habe ich Paracetamol. Die Vorführungen der Gruppen sind schön, wie jedes Mal zu lang. Einiges ähnelt sich, Gedichte werden immer in der gleichen Gestik und Mimik dargebracht. Die Dinkas fallen wie immer auf mit ihren fantasievollen, aus einfachen Materialien selbst hergestellten traditionellen Kostümen und ihrem wilden Kriegstanz. Ich muss mit einer Zeremonialkrone geschmückt mittanzen. Die zierlichen Mädchen aus Burundi bilden den Gegenpol und tanzen in ihren bunt dezenten Wickelröcken einen anmutigen Tanz aus ihrer Heimat. Zwischendurch muss Mercy auf die Bühne, um mit Klatscheinlagen oder mit dem laut gebrüllten 'Rule Number One' – die Regel Nummer 1 bedeutet 'Ruhe' - für kurzzeitiges Absinken des Geräuschpegels zu sorgen. Die von mir erwartete Rede macht mich nervös. Schließlich geht es leichter als vorge-stellt, kurz und herzlich. Ich hebe Mercy besonders hervor und bedanke mich bei allen Lehrern, wobei ich versuche sie korrekt zu ihren Gruppen zuzuordnen. Anfangs gelingt es mir, bei der vierten Gruppe gerate ich durcheinander. Der Höhepunkt des Festes und heute zu meiner Erleichterung auch das Ende ist natürlich das Mittagessen, Reis mit Bohnen und Fleisch, dazu ein süßes Getränk. Es gibt reichlich. Die Kinder genießen es und schaffen – slowly by slowly – langsam und bedächtig die große Portion.

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Es drängt mich nach Ruhe, sage aber Fr. Jose zu, mit ihm zum Gottesdienst zur Comboni Station zu fahren. Ein vertrauensvolles offenes Verhältnis hat sich zwischen uns entwickelt. Die Probleme für Mitarbeiter im Camp seien nicht gering. Alle NGOs, alle Nicht-Regierungs-Organisationen legten nach 6 Wochen Arbeit eine Pause von 2 Wochen ein, um ihren Mitarbeitern eine Erholung zu ermöglichen. In ihrer Gemein-schaft gebe es das natürlich nicht. Wie sie sich ihre Kraft erhalten, frage ich. Der Austausch über alle anfallenden Probleme und Entscheidungen beim gemeinsamen Gespräch sei das Wichtigste, wichtig die wenigstens einmal am Tag gemeinsam ein-genommene Mahlzeit, natürlich ganz wichtig als spirituelle Kraftquelle das Gebet in der Gemeinschaft morgens und abends und die Eucharistiefeier. Für ihn sei das persönliche Gebet im Schweigen ein weiteres wichtiges Element. Ruhe, die Möglichkeit zur Entspannung biete allein der Sonntagnachmittag. Viel Zeit sei das nicht. Wie ich selbst miterlebe, kehrt derjenige, der die Messen in Comboni und Kaleboyei hält, erst gegen 3 Uhr zurück. Ich staune, wie Fr. Jose bei den vielfältigen Aufgaben die Ruhe und die Übersicht be-hält. Zuerst ist er Pfarrer der Gemeinde, die über das ganze Lager verteilt ist. Dann hat er die Leitung des Ausbildungszentrums mit 400 Auszubildenden und plant und beauf-sichtigt jetzt den Neubau in Kakuma Stadt. Dazu kommt die Leitung der Salesianer Gemeinschaft. Die Organisation des Savio Club-Projekts ist dabei eine der leichten Aufgaben am Rande. Ich bewundere sein Engagement und Organisationstalent, seine Konzilianz, aber auch seine Fähigkeit zu Konsequenz und Strenge in der Menschenführung. Samstag, 26.08.2017 Faraja bringt mich mit dem Motorrad zu der Schwesterngemeinschaft des Missionskrankenhauses. Hier habe ich bei meinem ersten Aufenthalt gewohnt. Es ist aber keine mir bekannte Schwester mehr da. Dennoch werde ich herzlich aufgenommen und mit Sr. Mary und Sr. Magdalene, beide Lehrer in einer nahe liegenden Primary School, Sr. Mary in einer staatlichen, Sr. Magdalene in einer privaten, ergibt sich ein interessantes Gespräch. Die Unterschiede interessieren mich. Mangel herrscht anscheinend überall. Auch Kindergartenkinder müssen jetzt aufgenommen werden. Es nennt sich Early Childhood Care. Die Eltern bringen die

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Kinder, weil es in der Schule ein freies Essen gibt. Ältere Kinder teilen sich ihre Portion ein und nehmen Essen mit nach Hause, um ihre Familie zu unterstützen. Die staatlichen Schulen scheinen nur mit dem Allernötigsten ausgestattet zu sein. So gibt es nicht genug Lampen. Die meisten Kinder sind als Internatsschüler da und sind am Abend, ab 7 Uhr ist es stockfinster, nicht in der Lage zu lesen oder Hausaufgaben zu machen. Für 200 3- bis 5-jährige ist nur eine Betreuerin da. Die Lehrer sind gezwungen, die Eltern um Hilfe zu bitten. Jetzt wurde von den Eltern eine zweite Betreuerin für die Kleinen eingestellt. Dagegen gibt es Widerstand. Man argumentiert, die Schule solle doch frei von Schulgebühren sein. In den Privatschulen müssen Gebühren bezahlt werden, wovon die bessere Ausstattung an Personal und Hilfsmitteln bezahlt wird. Ich höre zum ersten Mal, dass es in Kenia eine staatliche Unterstützung für hilfsbe-dürftige alte Menschen gibt. Ob das Geld fließe, hänge davon ab, dass der Chief seine Leute melde. Vielfach fehle es an Informationen. Die Leute wüssten über ihre Rechte keinen Bescheid. Während meiner Abwesenheit ist im Don Bosco-Zentrum Schlimmes passiert. Unter Mitwirkung eines Lehrers aus der Ausbildungswerkstatt hat man versucht, Solarzellen zu stehlen. Kinder, die am Fußballfeld verbotenerweise auf einen Baum geklettert waren, hatten beobachtet, wie ein Auto am Flussbett anhielt und wie jemand Pakete in den Wagen lud, die ihm über den Zaun angereicht wurden. Sie alarmierten Br. Francis, der das Fußballturnier beaufsichtigte und rannten los, den Dieb zu stellen. Francis konnte gerade noch verhindern, dass sie das Auto umwarfen. 'He has stolen, from us!' - 'Er hat gestohlen, uns hat er bestohlen!' Die Polizei war schnell zur Stelle und die Komplizen bald identifiziert und in Haft genommen. So hatte ich Fr. Jose noch nicht erlebt. Man sieht es ihm körperlich an, wie sehr ihn der Vertrauensbruch dieses Lehrers erschüttert. Noch schlimmer ist der Verdacht, dass auch andere Unregelmäßigkeiten, unkorrekte Abrechnungen, Diebereien mit Personen aus dem Lehrerkollegium zu tun haben könnten. Dennoch wird Br. Francis losgeschickt, den Lehrer aus dem Gefängnis frei zu kaufen, was ich gar nicht verstehen kann. Schließlich hat dieser Mann seine Strafe unzweifelhaft verdient! Nein, das gehe nicht. Man könne niemanden in diesen unerträglichen Haftbedingungen lassen. Francis erreicht heute nichts mehr. Der Komplize ist von seinen Leuten bereits ausgelöst. Bis

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Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 22 von 27

morgen muss der Lehrer im Gefängnis aushalten. Am Sonntag wird er gegen eine Kaution von 30.000 KSh, 300 Euro, freigelassen und Br. Francis nimmt ihn mit zu seinem Zimmer auf dem Don Bosco Gelände. Welch schwierige Situation! Nachmittags überkommt mich Langeweile. Hinter der Kirche ist Chorprobe und ich ge-selle mich zu den Tenören. An Peter kann ich mich beim Singen wunderbar anlehnen. Geübt wird ein anspruchsvoller vierstimmiger Satz des bekannten 'Bwana Utuhurumiye', 'Herr, erbarme dich unser'. Ich bin begeistert von der Stimmsicherheit des Chorleiters. Die Noten der einzelnen Stimme findet er auf dem Smartphone. Beim zweiten Durchgang gerät alles durcheinander. Allein der Bass ist sicher in seinem Part. Eine junge Mutter hat ihren Säugling dabei, der nach der Brust verlangt. Ein anderes Kind kommt zu seiner Mutter auf den Schoß, es scheint krank zu sein. Sonntag, 27.08.2017 Heute 3-Messen-Marathon zu den entferntesten Orten mit Fr. Jose. Wir beginnen in Comboni, setzen in John Bosco fort und enden in Kaleboyei, dem neuen Flüchtlingsla-ger. Es hat sich bereits mit 30.000 Menschen gefüllt. Vom entferntesten Ort in Kakuma kann man die weißen Hütten von Kaleboyei sehen. Es heißt, die Turkana als Besitzer von Grund und Boden hätten verboten, die Hütten dort aus Lehm zu bauen, wie es in Kakuma üblich ist. So findet man dort nur Hütten, deren Wände aus weißen Plastikplanen bestehen. Es muss schrecklich sein, darin zu leben. Entgegen den Lehmwänden dürfte das Plastik keinen Schutz gegen die Hitze bieten. Da es noch keinen Kirchenbau gibt, findet der Gottesdienst im Flussbett unter Bäumen statt. Wind verschafft etwas Kühlung. Es ist anstrengend, die Predigt wird in drei Sprachen gehalten, auf Englisch und Kisua-heli durch Fr. Jose, für die Nubier aus dem Südsudan übersetzt jemand ins Arabische. Es will nicht enden, meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. In Comboni und John Bosco komme ich an einer Begrüßung der Teilnehmenden vorbei, ich bin so träge heute und hatte Fr. Jose gebeten, kein großes Aufheben um meinen Besuch zu machen. Bei den Fürbitten reihe ich mich in die Gruppe der spontan nach vorne Kommenden ein und trage Gott meine Bitte für die Menschen im Lager vor. In Kaleboyei bin ich wieder motiviert und spreche ein paar Begrüßungsworte. Mein Pflänzchen Hoffnung,

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Bericht 2017-11-XX_AN_Reisebericht Kenia Seite 23 von 27

das ich im letzten Jahr fotografiert hatte und das mein neues Logo für unser Kakuma Projekt werden sollte, bekomme ich leider nicht zu sehen. Ich kann mich nicht überzeu-gen, ob es noch da und gewachsen ist, da es auf dem Schulgelände steht, das jetzt am Sonntag abgesperrt ist. Am späten Nachmittag ist meine Energie aufgefrischt. Es zieht mich nach einem ruhigen Plätzchen, um zu lesen. Ich nehme mir das Heftchen mit dem Drama von Ngugi Wa Thiong'O, 'I marry when I want' – 'Ich heirate, wann ich will' – und mache mich auf den Weg zum Lehrgarten. Hier ist es grün, Bäume bieten Schatten, es ist nicht so warm. Zwei junge Südsudanesen, die sich hier die Zeit vertreiben, sind sehr an meinem Buch interessiert. Ein Arbeiter gibt uns Stühle heraus und wir machen es uns gemütlich, das Stück mit verteilten Rollen zu lesen. Die beiden sind Brüder, Nelson und Denk, Dinkas. Der jüngere liest schlecht, jede Wortendung schenkt er sich, das Plural-s gibt es für ihn nicht. Je länger wir lesen, umso besser wird er. Sie mögen nicht aufhören, sind gefesselt von der lebendig geschilderten Situation von Armut und Ausbeutung durch die Weißen und von Standesunterschieden unter den Schwarzen und dem Aufbegehren dagegen. Einzelne Passagen lesen sich wie eine antikapitalistische Agitation. Wir lesen über eine Stunde, bis der Arbeiter seine Stühle einschließen und Feierabend machen will. Die Begeisterung der Beiden für das Buch begeistert mich und ich schenke es ihnen. Denk, der Jüngere, seit 2014 im Lager, ist von der Familie hergeschickt worden, um hier zur Schule zu gehen. Der Ältere, Nelson, ist 2016 mit der Mutter und anderen Ge-schwistern vor der sich verschlimmernden Situation im Lande ins Lager gekommen, um zu lernen, wie sie sich ausdrücken. Ich will Klarheit und frage nach: 'Nicht als Flüchtlin-ge? Seid ihr nicht als Flüchtlinge hier?' - 'Doch, als Flüchtlinge sind wir auch gekom-men!' Die Lage im Südsudan sei sehr gefährlich und dazubleiben könnte die Rekru-tierung als Soldat bedeuten oder den Tod. Die Mutter sei wieder in die Heimat zurück-gekehrt, müsse sich um alte Familienmitglieder kümmern. Sie selbst lebten mit andere 'Minors' in einer Gruppe zusammen, mit anderen Jugendlichen, die ohne Begleitung durch ein erwachsenes Clan-Mitglied hier sind. 'Es ist alles frei.' Dieser Grund scheint der wichtigste für ihr Hiersein zu sein, er scheint mehr zu zählen als die gefährliche Situation in der Heimat. Die Erzählung der Beiden bestätigt Fr. Jose's Beurteilung, dass viele Sudanesen wegen

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der kostenlosen Schulbildung im Lager sind. Qualität wird dabei nicht bedacht. Wenn man die Lesefähigkeit der Beiden nimmt, so könnte sie als Beispiel dafür dienen, wie wenig effektiv auch jahrelanger Schulbesuch im Lager sein kann. Der Ältere war im Südsudan in die Schule gegangen und hatte davon anscheinend wesentlich mehr profi-tiert. Aus manchen Dörfern werden immer wieder Kinder geschickt, um den Platz aufzufüllen, den ein Rückkehrer freigemacht hat. In der Regel sind die Mütter mit ihren Kindern im Lager. Die Männer, die Väter, bleiben im Südsudan, um zu kämpfen. Den Kindern ist bewusst, dass ihr Väter Soldaten sind und sie sind stolz darauf. Geachtet und manchmal auch gefürchtet von den anderen sind die Kinder, deren Väter Offiziere oder Kommandeure sind. 'Unsere Aufgabe ist es auch, herauszufinden, wer ist ein wirklich hilfsbedürftiger Flüchtling und wer nicht', so Fr. Jose. Keine leichte Aufgabe und ein Problem, welches die Motivation, sich für die Menschen einzusetzen zusätzlich kompliziert! - Was ist die Wahrheit? Mein diesjähriger Besuch konfrontiert mich mit schwierigen Fragen. Die Wirklichkeit ist komplizierter, als ich mir vorgestellt hatte. Montag, 28.08.2017 Mein letzter Tag in Kakuma. Es ist Schulbeginn, Beginn der Ausbildungskurse, nur wenige Studenten sind da. Einige Lehre fehlen. Nach der Präsidentenwahl ist das Leben in Kenia immer noch nicht in den Normalzustand zurückgekehrt. Ich werde gebeten, einige Worte zur Begrüßung zu sagen. Spannung liegt in der Luft nach dem Diebstahl gerade zwei Tage zurück. 'Vertrauen' mache ich zu meinem Thema. Vertrauen als Basis meiner Arbeit, als Basis meiner Beziehung zu meinen Patienten. Vertrauen als wichtige Grundlage einer Gemeinschaft, eines Gemeinwesens, das sich entwickeln will. Fr. Jose bring mich zum Flugplatz. Wehmut überkommt mich. Ein Gefühl der Unwirklichkeit erfasst mich. Das lebhafte Treiben auf der Mogadishu Road in Kakuma I, die Motorräder, die uns hupend überholen, das Gewusel der Menschen, der Staub, die Hitze, diese andere Welt: Träume ich? Ist es wirklich, was ich erlebe? Tränen kommen

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Reisebericht

Berichter Dr. Alfons Nowak

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mir. Ich bitte Fr. Jose, rasch wegzufahren, aber er bleibt lange in seinem Auto vor dem Abfertigungsgebäude stehen. Wegen mir? Ich vertiefe mich in Ngugi Wa Thiong'Os Buch 'Devil on the Cross' – 'Der Teufel am Kreuz'. So vergeht die Wartezeit schnell, ebenso der Flug. Steve holt mich ab. Wir besuchen seine kleine Familie, Evelyn und Barbara, 8 Monate alt. In einem Kiosk kaufe ich ein kleines Gastgeschenk, frage Steve, was gefallen würde. Wir nehmen ein Toastbrot, 1 kg Zucker, 8 kleine Bananen und zwei Lutscher, die für den Mund der kleinen Barbara viel zu groß sind. Erst seit einem Monat wohnen sie hier und ich habe den Eindruck, sie genießen ihr Glück. Barbara ist nicht Steves Tochter, aber er scheint sie herzlich zu lieben. Moses kommt, sein Bruder, er ist noch schwarzer als Steve. Sie sind Kalenjin, die im Westen Kenias wohnen, jenseits des tiefen Riff Valleys, das Kenia durchzieht. Durch die geografische Trennung gab es nie enge Kontakte zu den Kikuyus, die um Nairobi herum die größte Stammesgruppe bilden. Auch heute noch gibt es große kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Stämmen und dementsprechend große Vorbehalte. Steve ist dankbar, dass er eine Stelle in DBYES bekommen hat. Er rechnet es Fr. Selvam hoch an, dass er ihn angestellt hat, obwohl er kein Katholik ist sondern ein Adventist. Sie wohnen in einem Reihenhaus, in einer aus Wellblech gebauten Einzimmerwoh-nung, 4x4 Meter groß. Alles wirkt gepflegt, ist in parkähnlicher grüner Umgebung gele-gen. 3.000 KSh zahlen sie pro Monat, Wasser ist im Preis enthalten, Stromkosten kom-men extra. Steve träumt davon, sich ein eigenes Geschäft aufzubauen. Lohnenswert müsste sein, Mais aus seiner Heimat Eldoret nach Nairobi zu bringen. Den Brautpreis für seine Frau muss er noch bezahlen, den Wert von 6 Kühen, ungefähr 18.000 KSh, aber er kann sich Zeit lassen. Er will erst nach Hause fahren, wenn er die Rate von 3.000 KSh zusammen hat. Er fühlt sich verantwortlich für seine Familie, obwohl er der Zweitgeborene ist. Sein älterer Bruder hat Moses nach Boys' Town vermittelt, wo er bei den Salesianern in mehreren Handwerken ausgebildet worden ist. Eine feste Anstellung hat er aber noch nicht gefunden. Durch diese Verbindung hat Steve Kontakt zu DBYES bekommen, wo er jetzt als Fahrer und Hausmeister angestellt ist. Seine jüngste Schwester hat ihn enttäuscht. Sie ist schwanger geworden, hat das Studium abgebrochen, das die Familie ihr mit seiner Hilfe finanziert hat und den Vater des Kindes geheiratet.

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In DBYES findet eine Sitzung statt mit der Provinzleitung. Erst spät kommt man zum Essen. Auf einmal taucht Fr. Luke auf und reicht mir sein Handy. Roland ruft an, er befindet sich mit seiner Familie auf dem Flughafen, hat bereits eingecheckt und besteigt gleich das Flugzeug, das die Familie nach Australien bringen wird. Ich bin bewegt, seine Stimme zu hören und Zeuge davon sein zu können, wie sein so lange gehegte Hoffnung auf ein neues Leben in Freiheit wahr wird. Welche Herausforderungen wird das Leben dort für sie bereit halten? Dienstag, 29.08.2017 Habe die Nacht über gefroren und Mücken gejagt. Es ist kalt hier in Nairobi, nichts los in DBYES. Ein Besuch bei Oudace und seinen Geschwistern kommt nicht zustande. Njeema bringt ihre Geschwister David und Emma zur Schule, es ist erster Schultag. Ich schlafe viel, mache meine Abschiedstour durch Haus und Küche. Steve bekommt ein warmes Pullöverchen für seine Tochter, von einer Mitschwester von Sr. Georgia gestrickt. Einige wenige ihrer Rosenkränze sind noch übrig, die ich verschenken kann. Nachmittags unternehme ich mit Selvam einen langen Spaziergang, unterhaltsam und informativ wie immer, heute geht es um eine von ihm betreute Doktorarbeit über den Zusammenhang von häuslicher Gewalt und Depression. Er zeigt mir die Möglichkeiten, das Internet für seine Lehrtätigkeit zu nutzen. Alles ganz einfach über ein frei herunter zu ladendes Programm, z.B. scholar google. Ich bin fasziniert. Allerdings hat Google überall seine Finger im Spiel. Die Studenten schreiben sich ein – es gibt anscheinend niemanden unter ihnen, der nicht über einen Laptop und Internetzugang verfügt – bekommen online Texte übermittelt, die sie bearbeiten müssen. Sie können sich mit den anderen online austauschen, deren Texte einsehen und ihre eigenen ins Internet einstellen. Er ermuntert mich, darüber nachzudenken, ob ich nicht auf diesem Wege medizinische Fortbildung für kenianische Studenten anbieten könnte. Er hat ein Internetportal angeregt, in dem Studenten registriert werden, die ein Stipendium erhalten, um doppelte Bewerbungen zu verhindern. Einen weiteren kostenfreien Google-Service gibt es für ihn, Alle seine Veröffentlichungen sind registriert und er erhält automatisch Nachricht, wenn jemand daraus zitiert und bekommt den Link genannt, wo zitiert wurde. Schöne neue Welt! - Ganz wohl ist mir nicht dabei.

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Im Fernsehen wird die Gerichtsverhandlung übertragen, die darüber entscheiden muss, ob der Wahlanfechtung der Präsidentenwahl durch Raila Odinga stattgegeben wird. Zu diesem Zeitpunkt kann sich hier niemand vorstellen, dass dann tatsächlich dem Einspruch stattgegeben wird. Die Internetverbindung im Gebäude ist schwach, ich kann keine Verbindung zu Elke bekommen. Nach draußen auf das Spielfeld mag ich jetzt nicht gehen, wo es für die Jugendlichen freien Internetzugang gibt. Ich schlafe nur wenig, um 5 Uhr geht es los zum Flughafen. Dankbar bin ich für die Zeit hier in Kenia. Die Vorfreude auf Zuhause und das Wiedersehen mit Elke macht mich glücklich. Alfons Nowak