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R R e e i i s s e e b b e e r r i i c c h h t t K K o o s s o o v v o o 28.03. bis 31.03.2006 - Region der unterschiedlichen Wahrheiten - von Filiz Polat und Georgia Langhans (Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag)

Reisebericht Kosovo - filiz-polat.de · Norma - Ein kleiner Lichtblick Seit 1998 existiert eine Gruppe namens Norma. 12 Juristinnen haben sich zusammengeschlossen, beraten und betreuen

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RReeiisseebbeerriicchhtt KKoossoovvoo 2288..0033.. bbiiss 3311..0033..22000066

- Region der unterschiedlichen Wahrheiten -

von Filiz Polat und Georgia Langhans

(Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag)

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

www.fraktion.gruene-niedersachsen.de 2

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG ........................................................................................................3

ZUSAMMENFASSUNG........................................................................................5

TAGESBERICHTE ...............................................................................................7

Pristina, 28. März 2006...............................................................................................................................7 Gespräch mit Eugen Wollfarth, Leiter des Deutschen Verbindungsbüros zur Einschätzung der politischen Lage im Kosovo ..........................................................................7

Pristina/Mitrovica, 29. März 2006 ............................................................................................................9 Gespräch mit Laurie Wiseberg, UNMIK-Beraterin für Minderheitenrechte und Leiterin des Roma-Mahalla-Projektes ........................................................................................................9 Camp Cesmin Lug und die „schnelle Zwischenlösung“ Camp Osterode................................9 Schulbesuche begleitet von Axel Sachs (Projektmanager) und Lazer Prnokaj (Projektassistent), GTZ-Projekt Berufliche Aus- und Weiterbildung im Kosovo ..................12 Xhemail Mustafa – Schule (1-9. Klasse) ........................................................................................12 Technische Sekundarschule „Shtjefen Gjecovi“ ............................................................................13 MITROVICA - Camp Osterode und Wiederaufbau der Roma Mahala......................................15 Mitrovica-Fahrt begleitet von Karsten Luethke und Enver Vrajolli, UNMIK-Amt für Rückführungen ...............................................................................................................................16 Wiederaufbau der Roma Mahala ...................................................................................................17

Pristina, 30. März 2006.............................................................................................................................20 Sicherheitslage.............................................................................................................................20 Gespräch mit Brigadegeneral Hans-Erich Antoni, KFOR ..............................................................20 Gespräch mit Peter Caesar, Fachschaftsberater für Deutsch als Fremdsprache der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZFA)...........................................................................21 Gespräch mit Reinhard Schmidt-Grüber und Birgit Budde (Abgeordnete vom BAMF für Rückführungen im Deutschen Verbindungsbüro) ..........................................................................24 Gesundheitssystem .....................................................................................................................28 Gespräch mit dem Leiter der psychiatrischen Abteilung der Uni-Klinik Pristina ............................29 Gespräch mit dem Leiter der Institute for Public Health Prof. Dr. ı Dedushaj................................31 Besuch des Kosovo-Rehabilitations-Zentrums für Folteropfer (Kosova Rehabilitation Centre for Torture Victims, KRCT) .............................................................................................................32 Gespräch mit Frau Sebahate Pacolli, Medizinische Koordinatorin ................................................32 Frauenrechte.................................................................................................................................34 Besuch der NGO Norma, Gespräch u.a. mit der Juristin Valbona Salihu......................................34

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

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Einleitung Georgia Langhans, migrationspolitische Sprecherin der Grünen Landtagfraktion

Niedersachsen, und Filiz Polat, Petitionsausschussmitglied der Grünen im

niedersächsischen Landtag, haben vom 28.03.2006 bis 31.03.2006 das Kosovo

bereist. Die Reise hatte das Ziel zu dokumentieren in wieweit sich die Lage im

Kosovo durch die Ereignisse der letzten Monate verändert hat.

Ein breit gefächertes Programm ermöglichte einen Einblick in die Sichtweise

sowohl diplomatischer VertreterInnen, deren ausführender MitarbeiterInnen als

auch die Sichtweise von Rückkehrern und Praktikern wie Ärzten, Schülern,

Lehrern und NGO-MitarbeiterInnen.

Es sollte der Frage nachgegangen werden, in wieweit die abgeschobenen

Familien und insbesondere die Kinder und Frauen dort eine Lebensperspektive

finden können. Da die bisherigen Informationen in Deutschland - je nach Quelle -

sehr unterschiedlich ausfallen, ist es für die Flüchtlingsarbeit und die Arbeit im

Petitionsausschuss des niedersächsischen Landtags sehr wichtig, ein möglichst

genaues Bild von den Entwicklungen

1. im Bildungssystem, 2. auf dem Arbeitsmarkt und 3. in der Gesundheitsversorgung zu bekommen.

Darüber hinaus galt es festzustellen, wie die aktuelle Situation und die konkreten

Angebote für die Roma-Flüchtlinge aussehen und unter welchen Bedingungen

diese Menschen zurzeit leben.

In diesem Zusammenhang muss auch die aktuelle politische und wirtschaftliche

Situation im Kosovo berücksichtigt werden, da sie von nicht unerheblichem

Einfluss auf die Rückkehrer ist.

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

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Die InterviewpartnerInnen waren folgende Personen:

Eugen Wollfarth, Leiter des Deutschen Verbindungsbüros

Reinhard Schmidt-Grüber und Birgit Budde, Abgeordnete vom BAMF für

Rückführungen im Deutschen Verbindungsbüro

Laurie Wiseberg, UNMIK-Beraterin für Minderheitenrechte und Leiterin des

Roma-Mahalla-Projektes

Axel Sachs (Projektmanager) und Lazer Prnokaj (Projektassistent),

GTZ-Projekt Berufliche Aus- und Weiterbildung im Kosovo

Qazim Ceta (Schuldirektor) sowie LehrerInnen und SchülerInnen der

Xhemail-Mustafa–Schule (1. bis 9. Klasse)

Schuldirektor und Lehrer der Technischen Sekundarschule

„Shtjefen Gjecovi“

Karsten Luethke und Enver Vrajolli, UNMIK-Amt für Rückführungen

Brigadegeneral Hans-Erich Antoni, KFOR Peter Caesar, Fachschaftsberater für Deutsch als Fremdsprache der

Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZFA)

Familie Jahirovic, abgeschobene Familie aus Steinfurt (Camp Osterode)

Familie Kadrija, abgeschobene Familie aus Ganderkesee (Mitrovica)

Norma („Lawyers Association Norma“ - Rechtsberatung), Gespräch u.a. mit

der Juristin Valbona Salihu

Yusuf Ulaj, Leiter der psychiatrischen Abteilung der Uni-Klinik Pristina

Prof. Dr. ı Dedushaj, Leiter des “Institute for Public Health” in Pristina und

Prof. Dr. Selvet Krasniqi, Leiterin der Abteilung Umwelthygiene

Sebahate Pacolli, Medizinische Koordinatorin des Kosovo-Rehabilitations-

Centers für Folteropfer (Kosova Rehabilitation Centre for Torture Victims,

KRCT)

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Zusammenfassung

Bildungssystem

Noch heute wird in 2 Schichten Unterricht erteilt. In den ländlichen Gebieten sind 3 Schichten keine

Seltenheit. Die Raumnot an Schulen ist ein dauerhaftes Problem. Viele Schulen haben keine Heizungen

und keinen Wasseranschluss.

Es mangelt an Fachräumen und an der finanziellen Ausstattung. Ethnisch gemischte Schulen gibt es in

Pristina nicht. Die berufliche Ausbildung findet in Ermangelung von Ausbildungsbetrieben in

entsprechenden Fachschulen statt. Das geringe Lehrergehalt (180 Euro pro Monat) zwingt Lehrer häufig an

mehreren Schulen gleichzeitig zu unterrichten.

Mitrovica

Camp Cesmin Lug und Kablar, die Übergangslösung Camp Osterode und der Wiederaufbau der Roma

Mahalla:

In den Lagern nördlich von Mitrovica leben nach Schätzung der UNMIK ca. 550 Roma, Ashkali und Ägypter

in bleiverseuchten Lagern unter unvorstellbaren Lebensbedingungen. Die WHO hatte bereits im Juni 2004

hohe Bleikonzentrationen im Blut von Kindern festgestellt, die von alten Bleiminen in unmittelbarer

Umgebung herrühren. Zwischenzeitlich ist das Camp Osterode als Übergangslösung für eine sichere und

menschenwürdige Unterkunft der Roma errichtet worden. Lange Zeit haben die Roma dieser

Zwischenlösung misstraut. Sie befürchteten, eine Rückkehr nach Roma Mahalla, wo vor dem Krieg 8000

Roma gelebt hatten, werde damit immer unwahrscheinlicher. Nach einer Überschwemmung und einem

Brand im bleiverseuchten Lager Cesmin Lug sind die ersten Familien während unseres Besuchs ins Camp

Osterode umgezogen. Auch hier sind die Wohnverhältnisse äußerst beengt. In Gesprächen mit einer

Familie, die aus Deutschland abgeschoben wurde und dort seit mehreren Monaten lebt, hat sich leider

bestätigt, worauf viele Organisationen seit Jahren hinweisen: Minderheiten haben auch heute im Kosovo

kaum eine Chance.

Vucitrn

In der Stadt Vucitrn, aus der die gesamte Ashkali-Bevölkerung im Zuge der März-Unruhen 2004 vertrieben

worden war, wo danach die Häuser geplündert und in Brand gesteckt wurden, beginnt langsam der

Wiederaufbau.

Aber bis heute fühlen sich die Menschen dort nicht sicher und leben in der Angst, weiteren Repressalien

schutzlos ausgesetzt zu sein.

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Gesundheitsversorgung

Nach Aussagen des Leiters der Abteilung für Psychiatrie der Uniklinik Pristina leiden mehr als 25% der

Bevölkerung an psychischen Erkrankungen, die derzeit überwiegend medikamentös behandelt werden.

Engpässe in der medikamentösen Versorgung sind die Regel. Psychologische Betreuung wie

Gesprächstherapie findet nicht statt. Bestätigt wurde, dass die Behandlung von schweren

posttraumatischen Belastungsstörungen im Kosovo nicht möglich ist. Für die Therapie von psychisch

gestörten Kindern fehlt es an Fachpersonal. Die Selbstmordrate ist seit dem Krieg deutlich angestiegen.

Verunreinigtes Leitungswasser, hohe Luftverschmutzung und Abwässer, die ungeklärt ins Grundwasser und

in die Flüsse geraten, führen zu dramatischen Gesundheitsschäden in der Bevölkerung. Die hohe

Sterberate bei Säuglingen und die niedrige Lebenserwartung von 65 Jahren sind ein erschreckender Beleg

dafür.

Norma - Ein kleiner Lichtblick

Seit 1998 existiert eine Gruppe namens Norma. 12 Juristinnen haben sich zusammengeschlossen, beraten

und betreuen seit Juni letzen Jahres unentgeltlich Menschen, die es sich finanziell nicht leisten können ihr

Recht vor Gericht einzuklagen.

Sie drängen auf die Einhaltung von Menschenrechten, setzen sich für die Gleichbehandlung von Männern

und Frauen ein, kämpfen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Bereits 2000 haben sie den Mut

aufgebracht eine serbische Enklave zu besuchen, um dort ein deutliches Signal der Versöhnung zu geben.

Sie haben die serbischen Frauen bei einem Besuch in Pristina begleitet, um ihnen die Angst zu nehmen.

Neben ihren beruflichen Aufgaben bieten sie Fortbildungen für Juristinnen an, informieren in Seminaren

und Vorträgen über die rechtliche Situation im Kosovo. Ihr Engagement ist beeindruckend. Solange es

solche Frauen im Kosovo gibt, gibt es auch Hoffnung für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen im

Kosovo.

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Tagesberichte

Pristina, 28. März 2006

Gespräch mit Eugen Wollfarth, Leiter des Deutschen Verbindungsbüros zur Einschätzung der politischen Lage im Kosovo

Nach dem Tod von Präsident Rugova haben sich Befürchtungen, es könne

wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im Kosovo kommen, nicht

bestätigt. Der neue Präsident Fatmir Sejdiu gilt als besonnen und moderat. Als

ehemaliger Generalsekretär der LDK gehörte der Jura-Professor zu den ersten,

die wieder politische Kontakte zu den Serben knüpften. Nach der Wahl hat

Fatmir Sejdiu das Kabinett weitgehend neu besetzt, inklusive Innen- und

Justizressort. Agim Ceku wurde zum Premierminister und Kole Berisha zum

Parlamentspräsidenten gewählt.

Fast könnte man meinen, die

Situation beginne sich zu

entspannen. Doch der Schein trügt.

Die ungeklärte Statusfrage bleibt

ein permanenter Risikofaktor im

Kosovo. In der geteilten Stadt

Mitrovica kommt es heute noch

immer zu Auseinandersetzungen

zwischen Serben und Albanern. Überall in den Straßen von Pristina ist an den

Wänden der Spruch „Keine Verhandlungen mehr, Entscheidung jetzt!“ zu lesen.

Die im März in Wien begonnenen Statusverhandlungen sollen für die notwendige

Ruhe sorgen. Scharfmacher beider Seiten halten sich derzeit zurück. Serben

und Albaner bemühen sich um einen moderaten Ton am Verhandlungstisch, und

das, obwohl serbische radikale Kräfte im Schulterschluss mit der orthodoxen

Kirche im Hintergrund die Stimmung aufzuheizen versuchen. Erleichtert werden

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die Gespräche durch die Entscheidung, zunächst keine Beschlüsse zu fassen,

sondern Empfehlungen auszusprechen. Am Ende dieser Gespräche soll die

Unabhängigkeit des Kosovo stehen. Die Hoffnungen für einen erfolgreichen

Verhandlungsverlauf richten sich auf den Uno-Unterhändler Martti Ahtissari, der

bis zum Ende des Jahres ein Ergebnis vorlegen will. Voraussetzungen für die

Unabhängigkeit sind: Rechtsstaatlichkeit, Beachtung der Menschenrechte,

Unterstützung und Anerkennung aller ethnischen Gruppen im Lande. Tatsache

ist, auch ein unabhängiges Kosovo wird nicht ohne die Hilfe des Westens

auskommen können. Die katastrophale wirtschaftliche Lage bleibt ein

Sicherheitsrisiko. Extrem hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere unter

Jugendlichen, mafiöse Strukturen und Korruption, die bis in Regierungskreise

hineinreichen, sorgen für permanente Spannungen.1 Spannend dürfte auch

weiterhin die Haltung des charismatischen Führers der AAK, Ramush Haradinaj,

bleiben. Er war wegen Kriegsverbrechen vor dem Den Haager Gerichtshof

angeklagt worden. Während des laufenden Verfahrens ist Haradinaj mit der

Auflage, sich nur eingeschränkt öffentlich politisch zu betätigen, in das Kosovo

zurückgekehrt. Da er großes Ansehen in der Bevölkerung, insbesondere unter

den Jugendlichen und Studenten genießt, wird es unter anderem auch von

seinem Einfluss abhängen, ob die gespannte Ruhe weiterhin anhält.2

1 Jüngste Bevölkerung Europas (33% < 15 Jahre, 61% zwischen 15 und 64 Jahren), 13% der Bevölkerung leben in extremer Armut, 47% leben in Armut, Arbeitslosenrate liegt zwischen 35-50% (Bericht KFOR) 2 weitere Informationen unter http://de.wikipedia.org/wiki/Kosovo

Einwohner im Kosovo (2 Mio. insgesamt)

90% Kosovo-Albaner 3% Serben 3% Roma 4% Andere (Ashkali, Ägypter, Türken)

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Pristina/Mitrovica, 29. März 2006

Gespräch mit Laurie Wiseberg, UNMIK-Beraterin für Minderheitenrechte und Leiterin des Roma-Mahalla-Projektes

Camp Cesmin Lug und die „schnelle Zwischenlösung“ Camp Osterode

Laurie Wiseberg gab uns eine Einführung in die Minderheitensituation im

Kosovo, insbesondere die der Roma und deren Lebendbedingungen.

Die Roma-Familien leben nach Aussagen von Laurie Wiseberg unter

unvorstellbaren Lebensbedingungen. Sie zitiert in diesem Zusammenhang in

einer ihrer Veröffentlichungen (Focus Kosovo Jan/Feb 2006) den UN-

Sonderbeauftragten Søren Jessen-Pedersen, der folgendes dazu sagte:

„We are facing in those three camps one of the most serious humanitarian

problems in the entire region of the Western Balkans. The living conditions

experienced by the Roma families in those camps are an affront to human

dignity.”

Zentrales Problem ist die Verseuchung der Lager durch Blei aus alten Bleiminen

in unmittelbarer Nähe. Die WHO hatte bereits im Juni 2004 hohe

Bleikonzentrationen im Blut von Kindern festgestellt. Deshalb wurde seitens der

UNMIK eine Strategie entwickelt, die 3 Ziele formulierte:

1. Risikomanagement in den Camps

2. Erforschung von Möglichkeiten für eine Umsiedlung als Übergangslösung auf

sicherem Boden

3. Langfristig der Wiederaufbau der Roma-Siedlungen

In den Camps Cesmin Lug und Kablar nördlich von Nord-Mitrovica leben seit 6

Jahren nach Schätzung der UNMIK ca. 550 Roma, Ashkali und Ägypter als

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intern Vertriebene. Diese Lager sind durch Altlasten, insbesondere

Schwermetalle, hoch kontaminiert.

Schwerwiegende gesundheitliche Schäden sind die Folge. Das Europäische

Zentrum für Romarechte mit Sitz in Budapest hat im Februar 2006 eine Klage

gegen die UNMIK beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

eingereicht. Die UNMIK arbeitete intensiv an einer Lösung und fand als eine

Übergangslösung ziemlich schnell im Oktober 2005 das Camp Osterode

(ehemaliges französisches KFOR-Camp), welches nur etwa zweihundert Meter

von Cesmin Lug entfernt ist. Es

war laut Frau Wiseberg allen

Beteiligten klar, dass dieses

Camp zwar selber nicht

kontaminiert sein wird, die

Umgebung aber verseucht bleibt.

Um kurzfristig aber eine sichere

und gesunde Unterkunft zu

garantieren, entschied man sich

trotz des kontaminierten

Umfeldes für das Camp Osterode (wichtig war die Sicherstellung einer sauberen

Wasserversorgung, Heizung, ärztlichen Versorgung etc.).

Der internationale Druck, unter den die UNMIK durch die zahlreichen

Presseberichte (u.a. BBC) über die Bleikontamination der Lager geraten war,

beschleunigte die Suche nach einer „schnellen Lösung“.

Im Camp Osterode können 120 Familien (ca. 550 Personen) untergebracht

werden. Deutschland beteiligte sich mit 500.000 Euro am Aufbau.3

Das Camp Osterode wurde eine lange Zeit nach Fertigstellung von den Roma-

Familien - oder besser gesagt von den Roma-Führern - nicht akzeptiert. Sie

misstrauten den Verantwortlichen und befürchteten, dass das Camp Osterode

3 siehe hierzu auch „Mündliche Anfrage: Rückkehr von Roma-Flüchtlingen im Kosovo“ für die Fragestunde während der

März-Tagung 2006 von Gisela Kallenbach (MdEP) an den Rat (www.gisela-kallenbach.de)

v.l.n.r. Filiz Polat, Laurie Wiseberg, Karsten Luethke

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

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als Endlösung eingerichtet wurde. Eine Rückkehr nach Roma Mahala, wo vor

dem Krieg 8000 Roma gelebt hatten, sahen die Familien damit gefährdet.

Die Bedenken sind berechtigt. Denn die Unterbringung in den Camps Cesmin

Lug und Kablar war für maximal 45 Tage angedacht.

Deshalb ist die Angst seitens der Roma, wieder in ein Camp abgeschoben und

dort vergessen zu werden, groß und nachvollziehbar.

Hinzu kommt, dass die „Diaspora“ befürchtet, dass durch das Camp und dessen

Besiedlung die Politiker beginnen, ihren Schutzstatus aufzuheben und den

Abschiebungen grünes Licht geben.

Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass alle Beteiligten, die den Frieden

und die Stabilität im Kosovo langfristig sichern wollen, insbesondere für die

Minderheiten deutlich machen, dass Osterode nur solange eine sichere Lösung

bietet bis die Häuser der Roma wieder aufgebaut sind.

Der Wiederaufbau der Roma-

Siedlung direkt am Fluss in

Süd-Mitrovica (17,5 ha) ist ein

ehrgeiziges Projekt. Dort sollen

55, vielleicht 77 Häuser

entstehen und zwei kleine

Apartmentblocks für je 12

Familien. Der erste

Planungsprozess, der Rückbau

der restlichen Ruinen von 750

Häusern, ist weitestgehend

abgeschlossen. Bis zur Vollendung bedarf es aber noch internationaler

finanzieller Anstrengungen. Laurie Wiseberg warb für den Fond, der den

Wiederaufbau finanziert. Denn es fehlen heute noch ca. 7 Millionen Euro.

Am Nachmittag sollten wir eine Überraschung erleben als wir zu den Lagern

nach Mitrovica fuhren. (siehe Kapitel „MITROVICA“)

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Schulbesuche begleitet von Axel Sachs (Projektmanager) und Lazer Prnokaj (Projektassistent), GTZ-Projekt Berufliche Aus- und Weiterbildung im Kosovo

Ein wichtiger Teil unserer Reise war der Besuch von zwei Schulen.

Interessanterweise wurden LehrerInnen und SchülerInnen einer Schule eine

Woche seitens der Regierung vom Unterricht befreit, da sie an einem Streik für

höhere Lehrergehälter, der eine Woche zuvor statt gefunden hatte, nicht

teilgenommen hatten. Die LehrerInnen hatten Erfolg. Ihr Lohn wurde um 5 Euro

auf 180 Euro monatlich erhöht.

Xhemail-Mustafa – Schule (1-9. Klasse)

Diese Schule ist eine Vorzeigeschule mitten in Pristina, die vor knapp 2 Jahren

fertiggestellt wurde. Wir wurden sehr herzlich von dem Direktor Herrn Qazim

Ceta und drei Schülern der Xhemail-Mustafa-Schule empfangen.

Für den sehr guten Standard hatte die Xhemail-Mustafa-Schule erst kürzlich bei

einem Wettbewerb von 38

teilnehmenden Schulen den

ersten Platz erhalten.

Dennoch wurde immer

wieder darauf verwiesen,

dass das Gehalt der Lehrer

und Lehrerinnen mit knapp

180 Euro monatlich viel zu

niedrig sei. Darüber hinaus

findet trotz guter

Infrastruktur auch in der

Xhemail-Mustafa-Schule der Unterricht in 2 Schichten statt. In der Schule

unterrichten 45 LehrerInnen ca. 1000 SchülerInnen.

Schülerinnen der Xhemail-Mustafa-Schule

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

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Der Rektor verwies darauf, dass sie beim Ministerium beantragt habe auch

Deutsch als zweite Fremdsprache unterrichten zu können. Denn viele der Kinder

seien sehr sprachbegabt und es seien doch immer wieder viele Kinder dabei, die

aus Deutschland kommen oder dort noch Verwandte haben.

Auch wir trafen einen Jungen, der zwar vor 5 Jahren abgeschoben wurde, aber

dennoch hervorragend deutsch sprach.

Technische Sekundarschule „Shtjefen Gjecovi“ Diese Berufsbildende Schule (Technische Sekundarschule), die wir danach

besuchten, zeigte hier schon ein ganz anderes Bild.

Die Schule wurde 1968 gegründet. Zurzeit werden dort 750 SchülerInnen

unterrichtet. Neben der Beschulung von

Jugendlichen bildet die Schule auch seit 1976 Erwachsene weiter. Derzeit

werden 100 Erwachsene

fortgebildet. An der Schule

arbeiten 48 LehrerInnen (18

Frauen) plus technischer

Hilfsarbeiter. Die Einstellung

von LehrerInnen erfolgt

gemeinsam mit den

Gemeinden, die Träger der

Schulen im Allgemeinen

sind. Erst seit 1991 ist die

Schule in dem

Gebäudekomplex untergebracht, den wir besucht haben. Auf Grund des Krieges

hat der Unterricht von 1991 bis 1999 außerhalb des Schulgebäudes in

Privathäusern statt gefunden. Die Schule verfügt über 25 Schulklassen mit

durchschnittlich 30 SchülerInnen pro Klasse.

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Der erste Schritt nach dem Krieg galt dem Wiederaufbau des Schulgebäudes

und der Wiederherstellung der Infrastruktur.

Diese technische Schule ist mit ihrem schulischen Angebot auf eine

Grundausstattung von Maschinen, Werkzeugen und Materialien angewiesen, die

sie ohne internationale Hilfe und durch die Zusammenarbeit mit der GTZ nicht

gehabt hätten. Der Direktor

erzählte, dass außer der

Bezahlung der Lehrer keine

weiteren Mittel zur Verfügung

gestellt werden. Alles müsste

beantragt werden. „Sogar für

einen Besen müssen wir Geld

beantragen“, sagte der

Direktor. Alle Schulen egal

welcher Art bekämen das

gleiche Budget.

Eine weitere Schwierigkeit ist die große Anzahl der SchülerInnen, was gerade für

eine praxisbezogene Ausbildung sehr schwierig sei. Einige SchülerInnen können

in Betriebspraktika gehen, andere arbeiten in Gruppen an den Maschinen

zusammen.

Die Schüler haben nach einer 2-jährigen Ausbildung den Grad eines „unskilled

worker“ (= Hilfsarbeiter), nach 3-jähriger Ausbildung den Grad eines „skilled

worker“ (= Facharbeiter) und nach 4 Jahren den Grad des „highly skilled worker“.

Letzterer ermöglicht den Zugang zu einer Hochschulausbildung.

Das Projekt der GTZ im Speziellen unterstützt darüber hinaus das kosovarische

Bildungsministerium bei der Etablierung eines tragfähigen, nach europäischen

Grundsätzen ausgerichteten beruflichen Aus- und Fortbildungssystems.

Staatliche Bildungsträger und die Wirtschaft sollen Bildungsinvestitionen als

nationale Herausforderung zur Sicherung einer größeren wirtschaftlichen

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

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Autonomie und als Vorbereitung auf den bevorstehenden europäischen

Wettbewerb begreifen.4

Als Zukunftsinvestition für die Jugend werden Fach- und Führungskräfte für

technische Sekundarschulen und Ausbildungszentren fortgebildet. Bis zu diesem

Zeitpunkt, so Herr Sachs, wurden 3500 LehrerInnen weitergebildet.

MITROVICA - Camp Osterode und Wiederaufbau der Roma Mahalla

Einwohner in Mitrovica (221.000 insgesamt) 82% Kosovo-Albaner 10% Serben 2% Roma 6% Andere (Ashkali, Ägypter, Türken 2%)

Mitrovica (Косовска Митровица, Kosovska Mitrovica) ist eine Stadt im

nördlichen Kosovo. Bis 1989 hieß sie Titova Mitrovica (alb. Mitrovica e Titos). Im

Kosovo-Krieg wurde die Stadt ethnisch gesäubert und getrennt in einen Südteil

mit rein albanischer Bevölkerung (65.000 Einwohner) und einen Nordteil mit

überwiegend serbischer Bevölkerung (13.500 Einwohner). Ende 2003 lebten in

der Gesamtstadt noch 68.929 Einwohner. Die beiden Stadtteile werden von der

UNMIK und KFOR-Truppen bewacht, um Übergriffe auf die serbische

Bevölkerung möglichst zu verhindern. Dennoch konnte nicht verhindert werden,

dass bei den Unruhen im März 2004 serbische Häuser in Brand gesteckt oder

geplündert wurden.5

4 Infos unter http://www.gtz.de/de/weltweit/europa-kaukasus-zentralasien/kosovo/8909.htm 5 http://de.wikipedia.org/wiki/Kosovska_Mitrovica

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Mitrovica-Fahrt begleitet von Karsten Luethke und Enver Vrajolli, UNMIK-Amt für Rückführungen

Auf unserer Fahrt nach Mitrovica

am Nachmittag begleiteten uns

der Leiter des Amtes für

Rückführungen der UNMIK,

Karsten Luethke, und sein

Mitarbeiter, Enver Vrajolli. Erst

schien es als ob wir die Reise

dorthin nicht antreten könnten,

weil am Tag zuvor der Sohn des

Brückenwächters niedergestochen wurde und die Lage dort unsicher schien. Wir

entschieden uns aber dennoch zu fahren.6

Auf dem Weg dorthin machten wir

Halt und Herr Luethke beschrieb

uns die Lage um die Stadt Vucitrn. In der Stadt Vucitrn, aus

der die gesamte Ashkali-

Bevölkerung im Zuge der März-

Unruhen 2004 vertrieben worden

war, die Häuser geplündert und in

Brand gesteckt wurden, beginnt

langsam der Wiederaufbau. Aber

bis heute fühlen sich die Menschen dort nicht sicher und leben in der Angst

weiteren Repressalien schutzlos ausgesetzt zu sein.

6 siehe hierzu ausführlicher „Kosovo Reisebericht (25.-30. März 2006) von Boris Kanzleiter, Dirk Auer, Smone Böcker – www.roma- kosovoinfo.de

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Kosovo- Reisebericht - März 2006 Georgia Langhans & Filiz Polat

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In Mitrovica angekommen war die Lage trotz des Vorfalls am Vorabend recht

ruhig. Allerdings war die Hauptbrücke für den allgemeinen Verkehr gesperrt und

die KFOR zeigte verstärkte Präsenz. Wir überquerten zunächst den Fluss über

eine Fußgänger-Brücke. Im serbischen Teil vor uns lagen die sogenannten

„Three Towers“. Diese 3

Apartmentblocks stehen wie

Wachtürme im Zentrum der

Auseinandersetzungen, da sie

mehrheitlich von Albanern

bewohnt werden. Der

Quadratmeterpreis liegt

mittlerweile bei angeblichen 500

Euro, da die Serben sich in die

kleine Albaner-Enklave einkaufen

wollen.

Wiederaufbau der Roma Mahala

Als nächstes machten wir uns ein Bild vom Rückbau der zerstörten Roma-

Mahala. Ein riesiges Areal gleicht einem Meer aus Schutt, wo hier und da

Menschen für sich Baumaterial abtrugen. Einen Monat nach unserer Abreise

fand am 25. April 2006 die Grundsteinlegung zum Wiederaufbau der Roma-

Mahala in Mitrovica statt. Die Zeremonie wurde begleitet von Protesten der

betroffenen Roma-Flüchtlinge.7

Schwierig beim Wiederaufbau ist und war die Klärung der

Eigentumsverhältnisse. Karsten Luethke erzählte, dass die Serben nun endlich

altes kartographisches Material frei gegeben hätten, was teilweise die Klärung

der Eigentumsverhältnisse erleichtere.8

7 siehe hierzu „Über unsere Köpfe hinweg“ vom 26. April 2006, www.roma-kosovoinfo.de 8 Eigentum klären bedeutet in diesem Sinne, wer hat vorher wie und wo gewohnt.

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Wir fuhren weiter zum Camp

Cesmin Lug. Gerade

angekommen rief Herr Luethke

„Sie ziehen um!“. Es wurde

deutlich, dass auf den UNMIK-

MitarbeiterInnen ein sehr großer

Druck lastete, ob die Familien das

Camp Osterode auch annehmen

würden.

Uns kam ein junges Mädchen mit einer Schubkarre entgegen gefolgt von einem

Kleinlaster. Es war eindeutig: Die Familien begannen umzuziehen und brachten

ihre Sachen in das 200 m entfernte Camp Osterode. Wir selber waren zunächst

geschockt vom Anblick der Lager Cesmin Lug und Kablar und einigen

verwahrlosten Kindern, die uns entgegen kamen. Im Camp Osterode hatten

schon mehrere Familien den Einzug hinter sich gebracht, andere hatten durch

das Aufkleben von Namensetiketten an die Türen bekundet, welche Zimmer sie

wollten.

Auslöser für den erfolgten

Umzug war wohl eine

Überschwemmung und ein

Brand im Lager Cesmin Lug (7

Häuser wurden niedergebrannt).

Die Wohnverhältnisse im Camp

Osterode sind äußerst beengt.

Für eine Familie (oft bis zu 9

Personen) steht jeweils nur ein

Raum zur Verfügung. Es gibt

Gemeinschaftsküchen und

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Waschräume. Heizung und fließend Wasser sind vorhanden, und der Zugang zu

medizinischer Versorgung soll gewährleistet sein.9

Als wir aus einem der Häuser kamen sprachen uns zwei Kinder (6 und 11 Jahre

alt) an. Sie erzählten uns, dass sie vor fünf Monaten aus Deutschland

abgeschoben wurden und dass es hier „schrecklich“ sei. Sie brachten uns zu

ihrer 16 Jahre alten Schwester. Die freute sich sichtlich und sagte: „Endlich mal

wieder Menschen mit denen ich mich normal unterhalten kann!“. Sie erzählte uns

ihre Geschichte. Wir erinnerten uns an Sie. Denn über die Familie

Jahirovic wurde in dem Beitrag „Vergiftet und Vergessen - bleiverseuchte Flüchtlingslager im Kosovo“ von ML Mona Lisa im ZDF am 5. März 2006

berichtet.10

Zunächst waren unsere Begleiter von der UNMIK irritiert, dass eine Roma-

Familie abgeschoben wurde. „Normalerweise passiert das nicht“, so Enver,

Experte für Minderheitenfragen. Es stellte sich dann aber heraus, dass die

Familienmitglieder getrennt voneinander abgeschoben wurden. Da Herr

Jahirovic als Roma Abschiebungsschutz genoss, wurde Frau Jahirovic als

Mazedonierin allein mit den Kindern nach Skopje abgeschoben. Der Vater blieb

zunächst in Deutschland und ging dann unter dem Druck der Behörden freiwillig

nach Mitrovica, um der

Abschiebehaft zu entgehen.

Dorthin ließ er seine Familie

nachkommen. Hier konnten sie

zunächst bei einem Onkel im

Camp Cesmin Lug unterkommen

bis sie in das Camp Osterode

zogen.

Die Kinder hatten sichtlich

gelitten.

9 siehe hierzu ausführlicher „Kosovo Reisebericht (25.-30. März 2006) von Boris Kanzleiter, Dirk Auer, Smone Böcker – www.roma-kosovoinfo.de 10 siehe hierzu und http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/10/0,1872,3927850,00.html

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Es muss ein Schock für die Kinder gewesen sein, sich von einem Tag auf den

anderen in der für sie neuen Welt zu Recht finden zu müssen.

Die Mutter ist krank. Ihre letzten Medikamente neigen sich dem Ende zu. Wie sie

ohne die notwendigen Medikamente zurechtkommen soll, weiß die Frau nicht.

Im Gespräch bestätigte sich auch, dass Minderheiten auch heute im Kosovo

kaum eine Chance haben. Die Kinder dieser Familie berichteten von Übergriffen,

von Ausgrenzung wegen fehlender Sprachkenntnisse und dass sie nicht in die

Schule gehen könnten, weil der Lehrer schlage.

Aus einer berechenbaren Umwelt herausgerissen zu werden in eine Situation in

der nichts mehr stimmt, ist besonders für Kinder sehr belastend. Minimale

humanitäre Grundvoraussetzungen wie Zugang zu sauberem Wasser,

medizinische Versorgung, Freiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit

sind in Frage gestellt bzw. werden derzeit nur sehr zögerlich gewährleistet.

Pristina, 30. März 2006

Sicherheitslage

Gespräch mit Brigadegeneral Hans-Erich Antoni, KFOR

Brigadegeneral Antoni gab uns

eine Einführung in die aktuelle

politische und wirtschaftliche Lage

des Kosovo und berichtete über

den Einsatz der KFOR

insbesondere über die

Umstrukturierungen in der

nächsten Zeit. Seit 1999 hat sich

die Zahl der KFOR-Soldaten im

Einsatzgebiet von 41.000 auf

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16.000 Soldaten reduziert. 13.000 Soldaten aus 24 verschiedenen Nato-

Nationen und 3000 Soldaten aus Nicht-Natostaaten.

Das Haupteinsatzgebiet der deutschen Einheit liegt mit den türkischen Truppen

zusammen in Prizren. Die Präsenz der KFOR-Truppen soll zur Sicherheitslage

beitragen.11 Die Soldaten stimmen sich bei ihren Patroulien, Check Points und

Beobachtungsstandorten etc. eng mit der kosovarischen Polizei (KPC) ab.

Herr Antoni betonte vor dem Hintergrund der immer noch sehr schlechten

wirtschaftlichen und damit auch instabilen sicherheitspolitischen Lage, dass

Rückführungen seiner Meinung nach kontraproduktiv seien.

Ganz interessant waren seine Äußerungen zum Funktionieren des Systems:

Wir haben uns immer wieder gefragt wie die Menschen überleben können, wenn

ihr Lohn, sofern sie überhaupt verdienen, nicht einmal für die Wohnungsmiete

reicht.

Herr Antoni vermutete, dass sich das System zu einem Drittel durch die

Internationalen, zu einem Drittel durch die Diaspora und zu einem Drittel durch

Korruption finanziert.

Gespräch mit Peter Caesar, Fachschaftsberater für Deutsch als Fremdsprache der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZFA)

Herr Caesar gibt seit einigen Jahren Deutschunterricht an Schulen im Kosovo.

Damit können die Schüler das Deutsche Sprachdiplom erhalten. Damit wird den

Schülern ein Zertifikat erteilt, das sie berechtigt in Deutschland ein Studium

aufzunehmen. Dieses Angebot ist natürlich eines für Rückkehrerkinder. Viele

Kinder kamen in den Jahren 1999 bis 2001 als freiwillige Rückkehrer. Später

kamen die Kinder zum größten Teil zwangsweise. Er betonte ebenfalls, dass die

Familien sich oft nur durch die in Deutschland lebende Verwandtschaft

finanzieren können. Die Zahl nehme aber seit kurzem ab. Er erzählte, dass die

11 http://www.unmikonline.org/misc/N9917289.pdf

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Kinder oft verwirrt und verstört seien. Oft sprechen sie gar kein albanisch. Einige

von den Rückkehrerkindern wurden in Behindertenschulen entdeckt, weil man

glaubte dass sie aufgrund ihrer Sprachprobleme lernbehindert seien.

Herr Caesar unterrichtet 45 SchülerInnen in zwei Gruppen. Davon bestanden 15

die Prüfung. In der zweiten Gruppe mit 30 Schülern bestanden die Prüfung 20

SchülerInnen.

Oft erfahren die Familien auf inoffiziellem Weg durch Bekannte von dem

Unterricht und nehmen zum Teil 30 km Anfahrt in Kauf. Die Aufnahme an der

jeweiligen Schule ist die erste Voraussetzung, um am Deutschunterricht

teilnehmen zu können. Darüber hinaus werden nur die Fähigsten aufgenommen,

die auch über schriftliche Sprachkompetenz verfügen.

Er berichtete insbesondere von einer Schule am Rande der Stadt Pristina, an

der das Unterrichten unter extremen Bedingungen erfolge. Diese Schule, das

sprachliche Gymnasium der Stadt, bestehe aus zwei kleinen Gebäuden mit 11

Klassenräumen. Hier würden 700 SchülerInnen in 2 Schichten unterrichtet. Eine

Unterrichtsstunde dauere 40 Minuten. Fachräume existierten nicht. Die

Zufahrtsstraße sei nicht mehr öffentlich zugänglich, da die Stadt die Zuwegung

privatisiert habe. Daraufhin seien dort private Häuser errichtet worden, so dass

die SchülerInnen nur über einen sporadisch planierten Weg das Schulgebäude

erreichen könnten, was im Winter natürlich die Situation noch verschärfe.

Der Deutschunterricht am Nachmittag, der als Zusatzunterricht gelte, bedeute in

der Konsequenz, dass eine reguläre Klasse in der Zeit nicht unterrichtet werden

könne. Man müsse dazu sagen, dass es sich hier um einen Raum von knapp 18

qm für ca. 25 Schüler handele. Für unsere Verhältnisse eher eine

Abstellkammer. Das wären 0,7 qm pro Schüler. International gilt ein Standard

von 2 bis 3 qm pro Schüler. Ein weiteres Problem sei die Wasserversorgung. An

dieser Schule gebe es am Nachmittag keine Wasserversorgung.

Was das für 350 Schüler bedeute müsse man nicht ausführen, sagte Herr

Caesar. Er erzählte, dass er sein Tafelputzwasser in einer Flasche von zu Hause

mitnimmt. Am schlimmsten seien aber die Winter im Kosovo. Denn die Schulen

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verfügten nur selten über eine funktionierende Heizung. Die Kinder würden zum

Teil bei bis zu –15°C unterrichtet. Es sei ein Armutszeugnis für das

Bildungssystem im Kosovo. „Wir fragen uns schon wo das Geld hingeflossen ist.

Wir sprechen hier von ‚dem’ Sprachgymnasium in Pristina. Da kann man sich

bald gar nicht vorstellen wie die Schulen in den ländlichen Regionen aussehen,

die angeblich noch schlechter dran sind“, so Herr Caesar.

Alle seine Schüler wollten in Deutschland studieren, da die Perspektive für die

jungen Menschen im Kosovo aussichtslos sei.

Bei zurückgeführten Kindern und Jugendlichen trete immer wieder das Problem

auf, dass vorhandene Dokumente, Zeugnisse und Zertifikate nicht mehr

vorhanden seien, nicht mitgenommen werden konnten. Darüber hinaus gebe es

aber auch die Probleme, wenn diese Dokumente vorhanden sind, dass die

Übersetzung und/oder die Beglaubigung sich als sehr schwierig erwiesen und

sehr kostenintensiv seien.

Herr Caesar erwähnte wie wichtig der Austausch zwischen Schulen in

Deutschland und im Kosovo sei und bat uns und das Verbindungsbüro hierin um

Unterstützung. Oft scheitere es an der Finanzierung. Denn die kosovarischen

LehrerInnen müssten während des Austausches ihre Vertretung in der Schule

selber bezahlen.

Darüber hinaus warb er für den pädagogischen Austauschdienst. Das Kosovo

brauche gut ausgebildete deutsche Lehrer.12

Herr Lüttenberg, Referent für Politik, Kultur und Presse im Verbindungsbüro

berichtete noch vom aktuellen Bau der Association „Loyola-Gymnasiums“ in

Prizren. Das Gymnasium mit angeschlossenem Internat ist zusammen mit

Renovabis - Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in

Osteuropa – und der Deutschen Provinz der Jesuiten 2003 zum Leben erweckt

worden. Im September wurden Teile der Schule und der Internate eingeweiht.13

12 Infos unter http://www.kmk.org/pad/home.htm 13 Nähere Informationen bei Association „Loyola-Gymnasium“, Rr. E Tranzitit Petrove, 200000 Prizren, Kosovo UNMIK,

Geschäftsführung P. Walter Happel SJ ([email protected])

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Gespräch mit Reinhard Schmidt-Grüber und Birgit Budde (Abgeordnete vom BAMF für Rückführungen im Deutschen Verbindungsbüro)

Die seit letztem Jahr bestehende Vereinbarung zwischen der UNMIK und dem

Bundesinnenministerium (BMI) in Bezug auf die Rückführungen von

europäischen Aufnahmeländern in das Kosovo wird vor Ort nun federführend

von 4 MitarbeiterInnen der UNMIK durchgeführt.

Das für Rückführungsfragen zuständige UNMIK-Büro wird kurzfristig für die

Dauer von vorerst sechs Monaten mit zwei deutschen Bediensteten personell

verstärkt, die dort ausschließlich mit der Durchführung des individuellen

Prüfverfahrens der von der deutschen Seite zur Rückführung angekündigten

Minderheitenangehörigen der Roma, Ashkali und Ägypter beauftragt werden.

Diese beiden MitarbeiterInnen sind seit September 2005 im Kosovo (Herr

Schmidt-Grüber und Frau Budde).

Die Vereinbarung von 2005 sieht vor, dass von den 10.000 Ashkali und Ägyptern

(kamen vorwiegend aus der Region Peja/Pec), die in Deutschland Schutz

gesucht hatten, im Mai und Juni 2005 jeweils 300 abgeschoben werden sollten

und diese Zahl sich ab Juli 2005 auf monatlich 500 Flüchtlinge erhöhen sollte.

Dabei geht die Vereinbarung davon aus, dass rund 20 %, das heißt 100

Personen, tatsächlich abgeschoben werden. Laut Aussagen der MitarbeiterInnen

vor Ort wird diese Zahl nicht erreicht.

Darüber hinaus sollen 20 bis 30 vorbestrafte Roma monatlich abgeschoben

werden. In Deutschland leben über 38.000 Angehörige der ethnischen

Minderheiten der Roma (24.000), Ashkali, Ägypter und Serben. Insgesamt sind

es 50.000 Kosovaren. Die Rückführung von Minderheiten der Bosniaken,

Gorani, Torbesh und Türken sind bereits seit Juni 2004 wieder möglich.14

14 Zahlen für Niedersachsen unter: http://www.niedersachsen.de/master/C18044793_L20_D0_I522_h1.html

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In Anknüpfung an ein weiteres Treffen zwischen Bundesinnenminister Dr.

Schäuble und dem UN-Sonderbeauftragten für das Kosovo, Herrn Søren Jessen-Pedersen, am 12. Januar 2006 in Berlin, fanden am 13. Januar 2006

auf Arbeitsebene weitere Gespräche zwischen Vertretern des BMI und dem

Leiter des zuständigen UNMIK-Büros für Rückkehrfragen statt.

Das derzeitige Verfahren zur Ankündigung von monatlich 500 Ashkali und

Ägyptern sowie von 40 Straftätern aus der in der ,,Abgestimmten Niederschrift"

vom 26. April 2005 näher bezeichneten Volksgruppe der Roma zum individuellen

Prüfverfahren durch die UNMIK wurde am 01. März 2006 umgestellt.

1. Rückführungsquote von Ashkali und Ägyptern

2. Keine weitere Rückführung von Roma (Ausnahme 40 Straftäter)

3. Nachweis einer „nachhaltigen Unterkunft“

4. Neues Prüfverfahren

Die deutsche Seite übermittelt der UNMIK jeweils innerhalb der ersten 10 Tage

eines Monats eine entsprechende Liste (zentrale Stellen Düsseldorf und

Karlsruhe). UNMIK unterzieht diese Personen einem individuellen Prüfverfahren

gemäß der bisher zwischen beiden Seiten getroffenen Vereinbarungen und teilt

der deutschen Seite innerhalb von 33 Tagen abschließend etwaige Bedenken

gegen eine Rückführung der Betroffenen mit; andernfalls gilt die Zustimmung zur

Rückführung als erteilt. Dabei stützen sich die MitarbeiterInnen der UNMIK auf

die Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.15

Die deutsche Seite übermittelt UNMIK die Flugliste der zurückzuführenden

Personen spätestens 7 Tage vor dem Flugtermin. Die Übermittlung der Flugliste

soll der UNMIK die Feststellung ermöglichen, ob es sich hierbei um Personen

handelt, die von ihr zuvor positiv geprüft worden sind (,,Rückführungspool"). Die

15 http://www.unmikonline.org/misc/N9917289.pdf

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UNMIK sichert zu, dass die auf dieser Liste befindlichen Personen jedoch keiner

weiteren Prüfung unterzogen werden.

Abgeschobene Personen, die mit Charterflügen Pristina erreichen, haben

oftmals das Prüfverfahren durchlaufen. Es kommt aber laut UNMIK und BAMF

MitarbeiterInnen auch vor, dass Personen von Ausländerbehörden nicht

angemeldet werden. Diese Personen werden oftmals per Linienflug

abgeschoben.

Die UNMIK erwähnte darüber hinaus, dass es ab und zu vorkommen kann, dass

die MitarbeiterInnen am Flughafen in Pristina bei ankommenden abgeschobenen

Personen die Aufnahme ablehnen.

Die Ausländerbehörden müssen der UNMIK die relevanten Informationen

- zur Person (Name, Vorname, Geburtsort/-name)

- zur Volkszugehörigkeit

- zum letzten Wohnort - dabei ist die vollständige Angabe der Adresse für die

Prüfung am Wohnort notwendig (Bsp.: Existenz/Zustand des Hauses/der

Wohnung)

- humanitäre Lage (Gesundheitszustand)

der zur Abschiebung vorgesehenen Personen übermitteln.

Die MitarbeiterInnen der UNMIK prüfen diese Angaben zum Teil selber, zum Teil

werden Kontaktpersonen in den verschiedenen Städten und Regionen

beauftragt nach dem Haus und nach Verwandten zu suchen. Die

Kontaktpersonen machen Fotos und sprechen mit Menschen aus der näheren

Umgebung, um die notwendigen Informationen zu erhalten.

Wichtig sind vollständige Angaben. Es wurde auch darauf verwiesen, dass es für

die Prüfung sehr wichtig sei alle zusätzlichen Unterlagen insbesondere bei

Krankheiten mitzuschicken, damit die MitarbeiterInnen genau prüfen können, ob

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die notwendigen Medikamente vorhanden sind. In diesen Fällen stehen die

MitarbeiterInnen in engem Kontakt mit ÄrztInnen und den Public Health Centern.

Die UNMIK-MitarbeiterInnen bekräftigten mehrmals, dass nicht nur die

allgemeine Sicherheitslage entscheidend sei, sondern auch die humanitäre

nachhaltige individuelle Lage der Personen. Das bedeutet, dass, wenn Personen

nachweisbar keine Verwandten im Kosovo mehr haben und ihre Wohnung oder

Ihr Haus zerstört sind, die UNMIK diese Personen auf Grundlage der Resolution

1422 nicht akzeptieren wird - unabhängig von der Volkszugehörigkeit.

Die Zusammenarbeit zwischen UNMIK-und BAMF-MitarbeiterInnen hat sich

dabei als schwierig herausgestellt.

Deutschland schickt als größter damaliger Aufnahmestaat die meisten

Flüchtlinge in Relation zu den anderen Staaten zurück. Fast 50% aller

RückkehrerInnen sind aus Deutschland (3.350 in 2005, davon ca. 1.000

Angehörige von Minderheiten). Im Jahr 2003 waren es 3.000 Personen und im

Jahr 2004 ca. 2.000 Personen. Dieser Rückgang war bedingt durch die Unruhen

im März 2004.

Für freiwillige RückkehrerInnen und

Abgeschobene gibt es vor Ort keine Hilfe.

Die Menschen werden am Flughafen nur

registriert.

Allerdings gab es in Richtung Mitrovica ein

Lager, wo vorübergehend Menschen

untergebracht werden können, die

obdachlos sind. Wir konnten diesen Ort

besuchen. Zurzeit war dort niemand

untergebracht.

Die MitarbeiterInnen des BAMF verwiesen

auf zwei beantragte Projekte bei der EU-

Kommission die speziell RückkehrerInnen

Unterstützung geben sollen, vorausgesetzt

diese Personen sind freiwillig aus Deutschland ausgereist.

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Gesundheitssystem

Die Gesundheitsversorgung, insbesondere die für traumatisierte Menschen ist

ein umstrittenes Thema. Offizielle Stellen sagen, die Standards seien niedrig

aber dennoch ausreichend, andere Stellen sagen die Gesundheitsversorgung

sei katastrophal und es überlebe nur, wer im Netz der Korruption sei und/oder

Geld habe. Ein UNMIK-Mitarbeiter sagte in diesem Zusammenhang: „Im Kosovo

gilt der Satz, dass man lieber nicht krank werden sollte.“

Nach der Rechtsprechung kann sich ein individuelles Abschiebungshindernis

nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG unter anderem daraus ergeben, dass sich die

geltend gemachte Krankheit der ausreisepflichtigen Person in ihrem

Herkunftsstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort

unzureichend sind.16

Für die Urteilsfindung ist es daher wichtig, ein genaues und wahres Bild über die

medizinische Versorgung, die Behandlungsmöglichkeiten und deren Zugang zu

bekommen. Zwar sind laut Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo

vom 18. Juni 2004 beispielsweise psychische Erkrankungen, insbesondere

anhaltende depressive Verstimmungen im Kosovo medikamentös und durch

kontinuierliche nervenärztliche Betreuung behandelbar. Personen, die an

psychischen Problemen leiden würden, könnten in den 2003 aufgebauten

kommunalen „Mental-Health-Care-Centren in Pristina, Prizren, Djakovika, Pec,

Gnjilane, Urosevac und Mitrovica ambulant und kostenfrei behandelt werden. Als

Basismedikamente für psychische Erkrankungen stünden u.a. Fluanxol,

Amitriptylin, Diazepam, Lexilium, Clomipramin und Haloperidol zur Verfügung.17

Andererseits wird zudem berichtet, dass in Nachkriegsgebieten wie dem Kosovo

mit einer deutlich erhöhten Rate an psychisch Kranken, die einer Behandlung

16 vgl.VG Oldenburg, Urteil vom 29. April 2005, S 14 ff 17 Deutsches Verbindungsbüro vom 21.04.2004 und 21.3.2005

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bedürfen, zu rechnen sei und dass insbesondere die psychiatrische

Grundversorgung katastrophal sei.18

Entsprechend lautet auch die gemeinsam von der UNMIK, dem Office of Returns

and Communities und dem Gesundheitsministerium des Kosovo erarbeitete

Stellungnahme, wonach eine ausreichende Behandlung psychisch kranker

Menschen, insbesondere an PTBS Erkrankter im Kosovo nicht gewährleistet

ist.19 Dort ist im einzelnen ausgeführt, dass eine über die Verabreichung von

Medikamenten hinausgehende für diese Patienten erforderliche Behandlung vor

allem an Kapazitätsproblemen scheitert. Die UNMIK sei daher der Auffassung,

dass Personen, die an PTBS erkrankt sind und sich aufgrund dieser Erkrankung

in Behandlung befänden, nicht zwangsweise in das Kosovo abgeschoben

werden sollten. Gleichzeitig behauptet das Verbindungsbüro, dass eine PTBS im

Kosovo durch kontinuierliche nervenärztliche Betreuung behandelbar sei.

Gespräch mit Yusuf Ulaj, dem Leiter der psychiatrischen Abteilung der Uni-Klinik Pristina und Frau Prof. Dr. Selvet Krasniqi, Leiterin der Abteilung Umwelthygiene

Der Leiter der psychiatrischen Abteilung sprach von einer sehr schwachen

psychiatrischen Grundversorgung. Die Kapazitäten zur Behandlung

insbesondere psychisch kranker Menschen sind kaum vorhanden.

1999 litten ca. 17% der Menschen an psychischen Erkrankungen und bereits

2000 stieg die Zahl auf 25% (ca. 50.000 Menschen).

Bei dem Besuch in der Universitätsklinik Pristina wurde uns die erschreckende

Gesamtsituation vom Abteilungsleiter der psychiatrischen Abteilung erläutert.

Die psychiatrische Abteilung hat 72 Betten, die neurologische Abteilung 52

Betten mit 6 Intensivplätzen.

18 Schlüter-Müller, Sachverständigengutachten an VG Frankgurt am Main vom 29.03.2003 und Mental Health Service of Kosovo 2005, Mental Health Department in the Ministry of Health of Kosovo Memorandum 18.06.2004 von Dr. Ismet Abdullahu, Psychater 19 Stellungname des Office of Returns and Communities der UNMIK und des Gesundheitsministeriums, Availability of adequate medical treatment for post-traumtatic stress disorder (PTSD) in Kosovo vom Januar 2005

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Laut seinen Ausführungen gibt es im Kosovo (Stand 9.11.05)

- 37 spezialisierte NeuropsychiaterInnen,

- 22 FachärztInnen für Psychiatrie,

- 3 PsychologInnen und

- 9 NeurologInnen.

Die Behandlung erfolgt fast ausschließlich medikamentös. Für die medizinische

Grundversorgung existiert eine „Essential Drug List“. Die notwendigen

Medikamente sind oft nur in geringem Umfang vorhanden, und müssen häufig

selbst bezahlt werden. Die Medikamente werden monatlich durch Abteilungen

der Krankenhäuser bei den „Zentral-Apotheken“ geordert. Wenn die georderte

Menge in der Mitte eines Monats ausginge, müsse bis zum nächsten

Monatsanfang gewartet werden. Die Medikamente bekommt man für 50 Cent

plus 2 Euro Gebühren. Das scheint für deutsche Verhältnisse wenig. Allerdings

muss man in diesem Zusammenhang erwähnen, dass sich die Menschen oft

schon die Busfahrt für 1 Euro zum Krankenhaus nicht leisten können.

Eine psychotherapeutische Behandlung im Rahmen der staatlichen

Gesundheitsfürsorge ist nur dann für die Betroffenen kostenlos, wenn diese in

der staatlichen Krankenversicherung versichert sind. Andernfalls sind für die

Medikamente und Psychotherapie die üblichen Marktpreise zu entrichten. Für die

kostenlose Behandlung im Rahmen der staatlichen Gesundheitsfürsorge ist eine

Registrierung in Serbien und Montenegro erforderlich. Die Registrierung stellt in

der Praxis ein ernsthaftes Hindernis bei der Ausübung grundlegender Rechte

wie dem Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge,

Bildungseinrichtungen und Wohnraum da, die von offiziellen deutschen Stellen

oft nicht gesehen wird.20 In der Praxis sind die lokalen Behörden nicht bereit, aus

anderen Gemeinden stammende mittellose Personen zu registrieren und ihnen

20 vgl .VG Oldenburg, Urteil vom 29. April 2005, S 23

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Sozialleistungen zu gewähren. Bei den aus dem Ausland zurückgekehrten

Kosovaren herrscht oft das Vorurteil, diese hätten genügend Geld erwirtschaftet.

Der Leiter fügte hinzu, dass insgesamt das Budget im Gesundheitssektor so

niedrig sei, dass ohnehin nur 3 Euro pro Kopf pro Jahr zur Verfügung stünden.

Die Versorgungssituation habe sich im Vergleich zu 1999 einerseits verbessert,

weil mehr Ärzte in der psychiatrischen Weiterbildung seien, andererseits

verschlechtert, da ausländische Hilfsorganisationen ihre Arbeit mit psychisch

Erkrankten eingestellt hätten (lediglich KRCT arbeitet noch in diesem Bereich).

Therapeutische Einzel- oder Gruppengespräche würden nicht geführt.

Die Angebote privater Therapeuten seien ebenfalls nicht ausreichend und

darüber hinaus zu teuer. Privat nehmen die Ärzte oft 40 bis 50 Euro für eine

Behandlung. Damit verdienen sie sich neben ihrem Krankenhausjob etwas dazu.

Ein Oberarzt verdient 250 bis 350 Euro monatlich.

Für Patienten ist eine private Behandlung kaum möglich, da die soziale

Grundsicherung im Kosovo für Einzelpersonen maximal 35 Euro beträgt. Für

Familien maximal 75 Euro.

Der Leiter der Abteilung bestätigte, dass eine Behandlung von PTBS nicht

möglich sei und dass psychische Erkrankungen nur medikamentös behandelt

werden können, wobei er hinzufügte, dass die Medikamente oft nicht verfügbar

sind.

Gespräch mit dem Leiter des Institute for Public Health Prof. Dr. ı Dedushaj

Dr. Dedushaj stellte uns die Arbeit der PHC vor und erläuterte die 14

Abteilungen seiner Institution. Insgesamt existieren sieben Health Center im

Kosovo. Das Health Center in Pristina deckt verschiedene Bereiche ab. Von der

Umwelthygiene über Mikrobiologie bis hin zur Abteilung der Epidemiologie.

Er bestätigte, dass die öffentlichen Krankenhäuser in einer katastrophalen Lage

sind. Es fehlten erstens die wesentlichen Medikamente, trotz der sogenannten

„Drug List“. Darüber hinaus vertraue zweitens das Volk den MedizinerInnen nicht

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mehr, da ihnen Korruption und Handel mit den wenig verfügbaren kostenlosen

Medikamenten unterstellt werde.

Ein Schwerpunkt des Gesprächs war die Wasserversorgung im Kosovo. Hierzu

wurde sehr ausführlich diskutiert. Die Health Center arbeiten aktiv an einer

Trinkwasserversorgung, die auch die ländlichen Regionen erschließt. Denn nach

Aussagen der Ärzte ist oft das Wasser in den Brunnen der Dörfer auf dem Lande

kontaminiert. Deshalb sollten gerade Schulen an das öffentliche Netz

angeschlossen werden.

Die Abwasserentsorgung bedarf dringender Weiterentwicklung. Bisher fließt das

Abwasser ungefiltert in die Flüsse.

Besuch des Kosovo-Rehabilitations-Zentrums für Folteropfer (Kosova Rehabilitation Centre for Torture Victims, KRCT) Gespräch mit Frau Sebahate Pacolli, Medizinische Koordinatorin

Das Rehabilitationszentrum für Folteropfer (KRCT) ist eine unabhängige NGO.

Es betreut und behandelt traumatisierte Menschen. Darüber hinaus versucht das

Zentrum ÄrztInnen und MitarbeiterInnen in diesem Bereich zu schulen und

fortzubilden. Die medizinische Koordinatorin Dr. Sebahate Pacolli bestätigte,

dass im Jahr 2000 ca. 24% der Bevölkerung an psychischen Erkrankungen

litten. Das Zentrum beschäftige sich auch mit chronischen Fällen und manisch

depressiv erkrankten Menschen. In diesem Zusammenhang berichtete sie, dass

ein Indikator der sehr hohe Selbstmordanstieg sei. In der Region Skanderi mit

ca. 100.000 Einwohnern wurde vor dem Krieg kein Selbstmord registriert. Nach

dem Krieg gab es 60 registrierte Fälle. Das sei im Vergleich sehr hoch.

Frau Pacolli sagte, dass das größte Problem in Anbetracht der großen Zahl von

zu behandelnden Personen das geringe Budget sei und das Defizit an

Fachleuten. Sie bestätigte, dass auch die PHC nicht über ausreichende

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Kapazitäten verfügen. Es existieren Wartelisten mit Wartezeiten von bis zu sechs

Monaten.

KRCT selber beschäftige einen Psychologen, drei Psychiater, einen Mediziner

und einen Sozialarbeiter. Regional ist das Rehabilitationszentrum mit sechs

Außenstellen vertreten. Dort stehen die Experten einmal pro Woche den

Patienten zur Verfügung. Allerdings könne laut Frau Pacolli in dieser Form

natürlich lediglich eine medikamentöse Behandlung vorgenommen werden. Laut

Internationalem Roten Kreuz werden immer noch 2.000 Menschen vermisst.

Viele Familienangehörige, Witwen aber auch ehemalige Kriegsgefangene

suchen die Hilfe des KRCT. Die wenigen Fachleute behandeln 400 bis 500

Patienten pro Jahr. Eine durchschnittliche Behandlung dauert 6 Monate.

Abhängig von der sozialen Situation ist die Dienstleistung durch das KRCT

kostenlos. Allerdings müssen die Medikamente in der Regel selber besorgt

werden.

2005 waren ca. 60% der PatientInnen weiblich. 10% waren Minderjährige. Frau

Pacolli betonte in diesem Zusammenhang, dass sie keinen Kinderpsychologen

beschäftigen. Auch sie beklagte die Korruption und die Verfügbarkeit der

Medikamente. Es gebe nur ca. 7 bis 8 Medikamente, die überhaupt zur

Behandlung psychischer Erkrankungen zur Verfügung stehen. Verwendet wird

aber vorwiegend das Medikament Diazepam (7-Chlor-2,3-dihydro-1-

methyl-5-phenyl-1H-1,4-benzodiazepin-2-on), ein Arzneistoff der Gruppe der

Benzodiazepine. Es wird insbesondere als Psychopharmakon zur Behandlung

von Angstzuständen, in der Therapie epileptischer Anfälle und als Schlafmittel

angewendet.

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Frauenrechte

Besuch der NGO Norma, Gespräch u.a. mit der Juristin Valbona Salihu

Seit 1998 existiert eine Gruppe namens Norma „Lawyers Association Norma“. 12

Juristinnen haben sich zusammengeschlossen, beraten und betreuen

unentgeltlich Menschen, die es sich finanziell nicht leisten können ihr Recht vor

Gericht einzuklagen. Dazu zählen sie diejenigen Menschen, die bis zu 200 Euro

monatlich verdienen. Das sind allerdings 70% der kosovarischen Bevölkerung.

Deshalb haben die Frauen auch mittlerweile in 7 Jahren 5.350 Menschen

beraten. Bisher wurde ihr Verein durch öffentliche Fördermittel gestützt. Seit

letztem Jahr halten sie sich ohne

diese Mittel über Wasser und

leisten neben ihrem Job die

kostenlose Rechtsberatung und

die Bürokosten aus eigenen

Mitteln.

Sie drängen auf die Einhaltung

von Menschenrechten, setzen

sich für die Gleichbehandlung von

Männern und Frauen ein,

kämpfen gegen Menschenhandel

und Zwangsprostitution. Bereits im Jahr 2000 haben sie den Mut aufgebracht

eine serbische Enklave zu besuchen, um dort ein deutliches Signal der

Versöhnung zu geben. Sie haben die serbischen Frauen bei einem Besuch in

Pristina begleitet, um ihnen die Angst zu nehmen. Sie haben neben der

juristischen Beratungsarbeit, 172 Workshops in vorwiegend ländlichen Regionen

organisiert und durchgeführt, an denen bisher 4.000 Frauen teilgenommen

haben und 12 Fortbildungen für Juristinnen organisiert. In den Seminaren und

Vorträgen informieren sie über die rechtliche Situation im Kosovo. Schwerpunkt

der Workshops sind vor allem die Rechte der Frauen.

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Durch die Fortbildung konnten sie 24 Juristinnen an kommunalen Gerichten

unterbringen. Allerdings stehen für diesen Bereich ihrer Arbeit nun keine Mittel

mehr zur Verfügung.

Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit haben die Frauen vier Broschüren

herausgebracht, in denen sie den Frauen kurze Informationen zu ihren Rechten

geben und AnsprechpartnerInnen und Adressen anbieten, an die sich die Frauen

auch anonym wenden können. Ihr Engagement ist beeindruckend.

So haben die Juristinnen auch ihren

Beitrag zur Gesetzgebung geleistet. Ihre

Stellungnahme zum Strafgesetzbuch und

zur Strafprozessordnung wurde in Teilen

berücksichtigt und eingearbeitet.

An einem Friedensmarsch „Frauen

überschreiten Grenzen“ sind die Frauen

vorne weg mitmarschiert und haben mit

den Pässen in ihren Mündern die

Grenzen der Balkanländer Hand in Hand

überschritten, um für den Frieden zu

demonstrieren. Sie haben sich schon

sechs Monate nach Kriegsende mit

serbischen Frauen an einen Tisch

gesetzt und sie haben sich „geschlagen und beschimpft“, aber, so die Frauen,

„sie haben sich an einen Tisch gesetzt“.

Sie selber sagten sie seien wie ein „Bienenstock“, was wir nach dem Gespräch

nur bestätigen konnten. Solange es solche Frauen im Kosovo gibt, gibt es auch

Hoffnung für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen im Kosovo.

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KONTAKT

BÜNDNIS ’90/DIE GRÜNEN im Landtag Niedersachsen Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1, 30159 Hannover

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Georgia Langhans, MdL Migrationspolitische Sprecherin

Tel. 0511/3030-3305

Fax 0511/3030-99-3305

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Filiz Polat, MdL Mitglied im Petitionsausschuss

Tel. 0511/3030-3303

Fax 0511/3030-99-3303

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