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Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses Prof. Dr. Gregor Maria Hoff Vorlesung WS 2006/7

Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

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Page 1: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

Page 2: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Der europäische Horizont:Kritische Voraussetzungen einer Problemstellung1. Griechische Aufklärung - jüdische Aufklärung

II Europäische Problemkonstellationen: Werkgeschichtliche Streifzüge von der Antike bis in

das 19. Jh.Problemeröffnung: Die Verhältnisbestimmung von Glaube

und Vernunft im Innenraum des Geistes – antike Konstellationen

2. Emanation des Einen: Plotin3. „Interior intimo meo“: Augustinus

Page 3: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Problemverlagerung: Die Verwicklung des Außen Gottes in das Innen der Vernunft im Rahmen der „Gottesbeweise“ –mittelalterliche und frühneuzeitliche Verschiebungen

4. Anselm v. Canterbury5. Thomas v. Aquin6. Descartes

Page 4: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Problemkonzentration: Das Bewusstsein als Ortsbestimmung Gottes – idealistische Modelle im Umbruch des 19. Jahrhunderts

7. Kant8. Hegel

Einschaltung: Problemverschärfung: Das Innen des Subjekts als Raum der Gotteserfindung - die religionskritische Achsenzeit des 19. Jahrhunderts

9. Feuerbach (mit Ausblicken auf Marx und Freud)

Page 5: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Problemumstellung: Erfahrung als religionsphilosophischer

Topos

10. Antiidealistisch: Kierkegaard11. Pragmatistisch: William James12. Konterkritik: Die analytische

Religionskritik

Page 6: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gegenwärtige Problemeröffnungen

13. Subjektphilosophie: Rahner14. Philosophie des Anderen: Levinas15. Reformed Epistemology

Page 7: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Religionsphilosophie

• „Religionsphilosophie thematisiert die Beziehung des Menschen

[a] zu Gott bzw. zum Bereich des Heiligen, [b] und zwar als das, was einen unbedingten

Geltungsanspruch an sein Dasein erhebt. [c] Sie hat die Form, das Wesen und den

Gehalt dieser Beziehung begrifflich zu erschließen.“(Orrin F. Summerell, Metzler, 508)

Page 8: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Religionsphilosophie• „Das Phänomen Religion kann unter

verschiedenen Rücksichten betrachtet werden; es ist Gegenstand der Religionswissenschaft, der Theologie […] [etc. etc.]. Die Frage, welche die Philosophie an die Religion stellt, wurde für die Neuzeit und Gegenwart von Hume und Kant gestellt: Welches Verhältnis besteht zwischen Religion und Vernunft? Welche Grundlage […] hat die Religion in der Vernunft?“

(Ricken, Religionsphilosophie, 15.)

Page 9: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Religionsphilosophie

• Religionsphilosophie „ist die Reflexion auf eine Lebensform und als solche nur dem möglich, der mit ihr vertraut ist. Religionsphilosophie ist nur aus der Innenperspektive möglich“

(Ricken, Religionsphilosophie, 16).

Page 10: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Religionsphilosophie

• „Zur Religionsphilosophie gehört von Anfang an das Projekt Aufklärung, der Versuch von Menschen,[a] die Projektionen eigener Wünsche, Hoffnungen und Ängste zu durchschauen, sich von selbst gemachten Göttern zu befreien und [b] neues religiöses oder nichtreligiöses Orientierungswissen für das eigene Leben sowie für das soziale und politische Zusammenleben zu entwickeln.“(Oelmüller, Grundkurs, 20)

Page 11: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Religionsphilosophie• Argumente etwa der

jüdischen und griechischen Aufklärung „gegen die Götter (führen) nicht notwendig […] in Atheismus.., sondern auch zu Mutmaßungen und Sprechversuchen über den einen nicht von Gott gemachten Gott geführt haben.“(Oelmüller, Grundkurs, 20)

• „Wo Religionskritik radikal ist, wie bei Xenophanesund in Jes. 44, zielt sie nicht auf Atheismus, sondern auf Monotheismus.“

(Ebach, zitiert nach: Oelmüller, Grundkurs, 21)

Page 12: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Griechische und jüdische Aufklärung

• Griechische und jüdische Aufklärung suchen „nach ihrer Kritik unglaubwürdig gewordener mythischer Vorstellungen von übermenschlichen guten und bösen Mächten und Geistern in ihrer Welt und Umwelt im Vorderen Orient nach Möglichkeiten, wie Menschen über den einen nicht von Menschen gemachten Gott sprechen bzw. nicht sprechen können und dürfen.“

(Oelmüller, Grundkurs, 35)

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II/1 Griechische Aufklärung

a) Der sozialgeschichtliche HintergrundVom Mythos zum Logos’

• griechische Kolonien (Kleinasien, Unteritalien)• allmählicher Übergang von der Tyrannis zu

demokratischeren Regierungsformen

Vorsokratiker: Brachen jene Selbstverständlichkeiten, die die Tradition gewährleistete.

Page 14: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/1 Griechische Aufklärung

b) Die Fragestellung und die Antworten• „Für die griechische Welt waren

Vorstellungen von der Welt und den Göttern leitend, die Homer und Hesiod in ihren Werken dargestellt hatten.“(Oelmüller, Grundkurs, 22)

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II/1 Griechische Aufklärung

c) Der Bruch in der Methode

• Konzept des ‚logon didonai’, des Gebens und Verlangens von Gründen, durch die Nachvollziehbarkeit über kulturelle Selbstverständlichkeiten hinweg abgesichert werden sollte

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II/1 Griechische Aufklärung: Thales von Milet (620-546 v. Chr.)

• Thales verändert die Begrifflichkeit:

„Okeanos ist ein mythischer Name, Thales aber gebraucht das alltägliche Wort hydor, Wasser.“

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II/1 Griechische Aufklärung: Thales von Milet

• Thales bricht die magische Gleichung vom ‚Bild als Realität’ und kennzeichnet Bilder bewusst als Bilder:

„Die Erde schwimmt auf dem Wasser wie [!] ein Stück Holz.“

Page 18: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/1 Griechische Aufklärung: Thales von Milet

• Thales zielt im weitesten Sinn auf Falsifizierbarkeit:

ausgehend vom Bild der Erde als einem Stück Holz lassen sich neue Fragen und Gegenfragen stellen, die am Modell des schwimmenden Holzes geprüft werden können

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II/1 Griechische Aufklärung

d) Kritik des Mythos als Religionsphilosophie

mythisch tradierte religiöse Inhalte werden auf Basis der Vernunft (des „logondidonai“) kritisiert

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II/1 Griechische Aufklärung:Xenophanes (570-475 v. Chr.)

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II/1 Griechische Aufklärung:Xenophanes (570-475 v. Chr.)

a) Die Relativität der Gottesvorstellung zur jeweiligen Kultur

„Die Äthiopier behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, die Thraker, blauäugig und rothaarig.“

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II/1 Griechische Aufklärung:Xenophanes (570-475 v. Chr.)

b) Die Erkenntnis eines streng transzendenten Gottes

„Ein einziger Gott, unter Göttern und Menschen am größten, weder an Gestalt den Sterblichen ähnlich noch an Gedanken.“

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II/1 Griechische Aufklärung:Xenophanes (570-475 v. Chr.)

c) Anfänge einer Negativen Theologie

Kritik der eigenen epistemischenMöglichkeiten

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II/1 Griechische Aufklärung:Sokrates (470-399)

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Page 26: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/1 Griechische Aufklärung:Sokrates (470-399)

a) Exodus aus falschen Vorstellungenb) Arbeit an Selbsterkenntnis c) Das Selbst als Ort des „daimonions“d) Die Gefahr einer Gegenmachte) Das Todesurteil als Ernstfall

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II/1 Griechische Aufklärung:Sokrates (470-399)

• „Gegen das nun, was meine ersten Ankläger geklagt haben, sei diese Verteidigung hinlänglich vor euch. Gegen Meletos aber, den guten und vaterlandsliebenden, wie er ja sagt, und gegen die späteren will ich hiernächstversuchen, mich zu verteidigen. Wiederum also laßt uns, wie sie denn andere Ankläger sind, nun auch ihre beschworene Klage vornehmen. Sie lautet aber etwa so: Sokrates, sagte er, frevle, indem er die Jugend verderbe und die Götter, welche der Staat annimmt, nicht annehme, sondern Anderes, Neues, Daimonisches. Das ist die Beschuldigung, und von dieser Beschuldigung wollen wir nun jedes einzelne untersuchen. Er sagt also, ich frevle durch Verderb der Jugend. Ich aber, ihr Athener, sage, Meletos frevelt, indem er mit ernsthaften Dingen Scherz treibt und leichtsinnig Menschen aufs Leben anklagt und sich eifrig und besorgt anstellt für Gegenstände, um die doch dieser Mann sich nie im geringsten bekümmert hat. Daß sich

Page 28: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/1 Griechische Aufklärung:Platon (427-347)

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II/1 Griechische Aufklärung:Platon (427-347)

a) Mythenkritik und Demokratieskepsis

• dialogisch-kritischen Blick auf tradierte Konzepte und überkommene Vorstellungen

• Skepsis gegenüber demokratischen Gesellschaftsformen

– K. R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde

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II/1 Griechische Aufklärung:Platon (427-347)

b) Die Perspektive auf die Ideen

• Was etwas ist, lässt sich letztlich nur im Blick auf die Ideen klären.

• Religionsphilosophische Anschlussstelle: Nachdenken über die letzte Wirklichkeit

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II/1 Griechische Aufklärung:Platon (427-347)

c) Ansätze einer theologischen Sprachlehre

„Was den erkannt werdenden Objekten Wahrheit verleiht und dem erkennenden Subjekte das Vermögen des Erkennens gibt, das begreife also als die Wesenheit des eigentlichen (höchsten) Guten und denke davon: Das eigentliche Gute ist zwar die Ursache von reiner Vernunfterkenntnis und Wahrheit, sofern sie erkannt wird; aber obgleich beide (Erkenntnis und erkannt werdende Wahrheit) also etwas Herrliches sind, so mußt du unter ihm selbst noch etwas weit Herrlicheres vorstellen, wenn du davon eine ordentliche Vorstellung haben willst“

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II/1 Griechische Aufklärung:Platon (427-347)

d) Richtlinien der Götterlehre

• Das Göttliche ist ohne Unwahrheit.• Gott ist in Wirklichkeit gut und muss auch

so dargestellt werden.

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II/1 Griechische Aufklärung:Platon (427-347)

e) Dialektik der Aufklärung?– mythenkritischen Äußerungen Platons – Emanzipation von überkommenen

Vorstellungen– religionsphilosophische ‚Dialektik der

Aufklärung’: Macht religiösen Wissens als Ausschluss von religionspolitischen Dissidenten

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II/2 Jüdische Aufklärung• Griechische und jüdische Aufklärung suchen

gleichermaßen „nach ihrer Kritik unglaubwürdig gewordener mythischer Vorstellungen von übermenschlichen guten und bösen Mächten und Geistern in ihrer Welt und Umwelt im Vorderen Orient nach Möglichkeiten, wie Menschen über den einen nicht von Menschen gemachten Gott sprechen bzw. nicht sprechen können und dürfen.“

(Oelmüller, Grundkurs, 35)

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II/2 Jüdische Aufklärung

• Prophetische Aufklärung

a) im Zuge der Kritik einer mächtigen religiösen Umwelt, deren Praktiken (wie etwa der Tempelprostitution) die Jahwe-allein-Fraktion problematisierte,

b) in der Kritik an Bündnissen mit fremden Völkern, von denen man sich politisches Überleben erhoffte

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II/2 Jüdische Aufklärung• Das Exil als Ort der Profilierung der eigenen

Gottesrede

Priesterschrift:„Die unzerstörbare Lebensgeschichte Israels gründet […] in der Urgeschichte der Schöpfung: Weil der Schöpfergott als guter König seiner Erde dies nicht sich selbst und ihrem Untergang überlassen will, kann Israel auf die dem Abraham gegebene und am Sinai Wirklichkeit gewordene Verheißung setzen. […] Diese Lebensgeschichte ist gewiß ein dramatischer, vom Chaos bedrohter Prozeß, wie die Urgeschichte in Aufnahme und kosmischer Ausweitung der Fluttradition einschärft. Aber in diesen dramatischen Prozeß, in dessen Strudel Israel im 6.Jh. massiv gestoßen wurde, hat der Schöpfergott ‚seinen Bogen’ gesetzt.“

( E. Zenger (Hrsg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart/Berlin/Köln 1998, 157 )

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II/2 Jüdische Aufklärung• Das Exil als Ort der

Profilierung der eigenen Gottesrede

a) Aufklärung über die Frage, mit wem man es eigentlich zu tun hat

• Die Schöpfungserzählung „hatte in Israel nicht die Funktion der Kosmisierung, der kosmischen Garantie der Lebensordnung, sondern interpretierte nur die kosmostranszendente Macht des Gottes Israel, seine Freiheit, einen Bund mit Israel zu schließen. Die Schöpfungserzählung wurde ja auch im Exil genau zu dem Zweck formuliert, die Lebensordnung des Volkes auch nach dem Verlust des Landes und der gesellschaftlichen Selbständigkeit zu sichern, also den Erhalt des Bundes nicht an einen Ort zu fixieren, nicht aber zu dem Zweck, die Lebensordnung in einer Ordnung des Kosmos zu verankern. Im Prinzip hatte der Glaube Israels gar keine kosmologische Begründung. In ihm eröffnete sich zwar der Blick auf die Schönheit der Welt; wurde aber – wie dies an einigen Stellen der Weisheitsliteratur sichtbar wird – versucht, den Glauben an eine von Jahwe gestiftete Sinnordnung aus einem kosmologischen Fundament abzuleiten, so blieben diese Versuche unbefriedigend oder scheiterten. Aus dem Glauben ergab sich ein bestimmtes W lt hält i i ht b k h t

Page 39: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/2 Jüdische Aufklärung• Das Exil als Ort

der Profilierung der eigenen Gottesrede

b) Anfragen an die Kriegsherren

• Schöpfungserzählung dient einerrealistischen und zugleich kritischen Beurteilung der tatsächlichen Situation und kommt zu dem Ergebnis: Diese Welt ist nicht die beste aller möglichen Welten. […] In der besten aller möglichen Welten herrscht keine Gewalt; in der realen Welt […] herrscht Gewalt. Trotzdem muss die Geschichte von der besten Welt weiter erzählt werden – einfach deshalb, damit nicht die erfahrene Wirklichkeit als die beste aller Welten erscheint. […] [Das Lob des Schöpfers zu singen und an seine Ordnung der Schöpfung zu erinnern, heißt] zu verhindern, dass in der zweitbesten Welt die Gewalt als unhinterfragbare Wirklichkeit bestätigt und affirmiert wird. Deshalb ist die utopische Erinnerung unverzichtbar. Die Apokalyptik, die vom drohenden Abbruch spricht, hat dabei die Funktion, deutlich ins Bewusstsein zu rücken, dass es eine drittbeste Welt

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II/2 Jüdische Aufklärung

• Deuterojesaja als Prototyp jüdischer Aufklärung

Page 41: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/2 Jüdische Aufklärung

• Jes 44,6 – So spricht der HERR, der König Israels, und

sein Erlöser, der HERR Zebaoth: Ich bin der Erste, und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott.

Page 42: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II/2 Jüdische Aufklärung

• Das Bilderverbot– „Du sollst dir kein Gottesbild machen und

keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ (Ex 20,4)

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II/2 Jüdische Aufklärung• Hiobs Leid als Anfrage an Gott und

Gottesbilder

– Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht: dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft, oder er kann es und will es nicht: dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist, oder er will es nicht und kann es nicht: dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott, oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt: Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?[Epikur, Von der Überwindung der Furcht, hg. v. O. Gigon, Zürich 1949, S. 80]

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ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

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Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemeröffnung: Die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft im Innenraum des Geistes –antike Konstellationen

2. Emanation des Einen: Plotin

Page 46: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Plotin (204-270 n.Chr.)

Page 47: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Biographie in vier Abschnitten• 204-242: Aufwachsen in Ägypten

- 204 in Ägypten (ev. Lykopolis) geboren- 232 Beginn philosophischer Studien bei Am-monias Sakkas (ca. 175-242) in Alexandrien- Teil des innersten Schülerkreises Sakkas‘, der dessen Lehre nicht publiziert (‚Schweigevertrag‘)

Page 48: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 242-244: Unterwegs nach Persien- 242 Tod des Lehrers - Versuch, im Gefolge eines Feldzugs persische und indische Philo-sophien kennenzulernen- 244 Ermordung des Feldherrn Gordian III in Mesopotamien – Aufbruch Plotins nach Rom, wo er Kontakte zu haben scheint

Page 49: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 244-269: Lehren in Rom- 244 Beginn der Lehrtätigkeit in Rom in wohl-habenden Senatskreisen- 253 Beginn von Publikationen (mit fast 50!), zu denen er aber überredet werden muss- Versuch, den platonischen Idealstaat zu ver-wirklichen – scheitert am fehlenden Landbesitz

Page 50: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 269/270: Tod in Kampanien- 269/270 Krankheit, die Rückzug aus mensch-licher Gesellschaft nötig macht- Übersiedelung in das Landgut eines Schülers in Kampanien in der Nähe Neapals- 270 Tod in Anwesenheit seines Schülers Eustochios

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I Platonischer Horizont

a) Lebensgeschichtlich v.a.Ammonias Sakkas

b) Ideengeschichtlich v.a. Platons Höhlengleichnis:Es gibt eine wahre und unwandelbare Wirklich-keit hinter d i li h

Page 52: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Phänomenologie der SeeleAusgangspunkt 1:

Die Analyse des Seelenlebens zeigt eine Neigung des Menschen zum Schönen bzw. Guten, die der Mensch

a) nicht aktiv herstellt, sondern passiv erleidet (paschein) und

b) sowohl Sinnlichkeit als auch Vernunft betrifft

• „Beginnen wir also von vorn und geben als erstes an, was denn nun das Schöne in den Körpern ist. Es ist ja etwas, das schon auf den ersten Blick wahrnehmbar wird; es ist, wie wenn die Seele es versteht und ausspricht, sie erkennt es wieder, nimmt es an und gleich ihm sozusagen an. Stößt sie dagegen auf das Hässliche, so zieht sie sich zusammen, d.h. sie verweigert sich ihm und wendet sich von ihm ab, da sie nicht mit ihm übereinstimmt und ihm entfremdet ist.“ (Plotin, Über das Schöne, I 6 [1] 2)

Page 53: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Phänomenologie der SeeleAusgangspunkt 2:

Die analysierte Affinität zum Schönen ist nicht einfach positiv gegeben, sondern macht zugleich Defizite der eigenen Existenz hinsichtlich des Guten und Schönen deutlich und regt Reflexion-enzum guten/gelingenden Leben an

• Es gibt ein Bemühen der Seele, „nicht ohne Teil an der höchsten Schau zu bleiben. Wer die erreicht hat, der ist glückselig, weil er einen Anblick voll Glückselig-keitvor Augen hat; unglücklich ist dagegen, wer sie nicht er-reicht hat. Unglücklich ist ja nicht, wem es nicht geglückt ist, schöne Farben oder Körper, Macht, Amts-gewaltoder königliche Herrschaft zu bekommen, sondern nur wer dieses einzige nicht bekommen hat“ (Plotin, Über das Schöne, I 6 [1] 7)

Page 54: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Phänomenologie der Seele

• Erstes FazitDie Phänomenologie seelischen Lebens zeigt eine (nicht selbst hergestellte) Ausgerichtetheit aller menschlichen Lebensvollzüge auf das Schöne und Gute

Page 55: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Der Status der Seele

• Wende zur OntologieHier stellen sich ontologische Fragen: - Was ist das Schöne? - Was ist die Seele? - Wie hängt sie mit der Materie zusammen?

Wie ‚funktioniert‘ Wirklichkeit und wie ist Seiendes aufeinander abgestimmt?

Page 56: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Der Status der Seele• Einstieg über grundlegende Einsicht

„Alles, was ist, ist durch das Eine: das, was im primären Sinne ist, ebenso wie alles, was sonst irgendwie unter das gerechnet wird, was ist. Was wäre es denn schon, wenn es nicht eins wäre? …Ein Heer ist nicht, wenn es nicht eins ist; ein Chor, eine Herde ist nicht, ohne eins zu sein. Und ebensowenig ist ein Haus oder ein Schiff, wenn sie das Eine nicht haben“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 1)

Page 57: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Der Status der Seele

• Ontologische Grundprämissena) Wenn etwas ist, dann muss es eins sein, sonst wäre es nicht, sondern nur seine Bestandteile.

b) Einheit kann nicht aus einer Vielheit abgeleit-et werden – sie muss von ‚anderswo‘ kommenBsp. Baumaterialien werden durch zweckgerichteten Zusammenbau zu einem Haus – nicht aus sich!

Page 58: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Der Status der Seele

• Die Seele als letztes Einheitsprinzip?Gedanke: Bei organischem Leben ist die Seele jenes Prinzip, das für Einheit sorgtFrage: Könnte die Seele das letzte Prinzip der Wirklichkeit sein? Negative Antwort: Die Seele gibt zwar organisch-em Leben Einheit, ist in sich selbst aber nicht eins (vgl. verschiedene Seelenregungen)

Page 59: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Der Status der Seele

Zwischenfazita) Ausgang bei Analyse

der Seelenregungenb) Aufweis einer Grundge-

richtetheit auf Schönes bzw. Gutes

c) Seele als Einheitsprinzip lebendiger Körper

d) Die Pluralität der Seele in sich scheidet sie als Prinzip der Wirklichkeit aus

Page 60: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Neuansatz beim GeistEs folgt ein neuer Antwortversuch -anhand folgender Frage:Können eine subjektive bzw. objektive geistige Wirklichkeit (i.e. der Logos, an dem der einzelne Geist Anteil hat) die letzte Ursache der Einheit und damit ‚das Erste’ sein?

Page 61: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Problem 1: Bleibende Pluralitäta) Ansatz beim Menschen als animalrationale „Der Mensch nun ist Lebewesen und rational und sonst noch viele Teile, und diese Vielen sind verbunden durch das Eine; folglich ist der Mensch etwas anderes als das Eine, wenn jener geteilt, dieses aber teillosist.“ (Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 2)

Page 62: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Problem 1: Bleibende Pluralitätb) Ansatz beim vom Logos regierten Sein„Und so auch das Sein als ganzes: Es hat alles in sich, was ist, und darum ist es eher vieles und etwas vom Einen Verschiedenes und besitzt das Eine nur, weil es an ihm teilhat, nur durch Teilhabe. Und: Das Sein hat Leben und geistiges Erkennen, es ist ja nichts Totes; folglich ist das Sein vieles.“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 2)

Page 63: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Problem 1: Bleibende Pluralitätc) Ansatz bei geistiger Wirklichkeit an sich„Und wenn es Geist ist, so muß es auch aus diesem Grunde vieles sein – erst recht dann, wenn er die Formen [Ideen] in sich umfaßt: Auch die Form ist ja nicht eins, sondern vielmehr Zahl … und wenn sie eins ist, dann in dem Sinne, wie man sagen kann, daß der Kosmos eins ist. Und überhaupt ist das Eine das Erste, der Geist, die Formen und das Sein aber sind nicht das Erste.“

Page 64: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Problem 1: Bleibende PluralitätDer Geist kann nicht Einheitsprinzip der Wirk-lichkeit sein, weil er in seiner Referenz plural ist: - Die intentionale Struktur des subjektiven Geistes, sich auf etwas (etwa Ideen) zu beziehen, erzeugt beständig Differenzen- Der objektive Logos, der das Sein strukturiert, beinhaltet eine Vielheit von Ideen

Page 65: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Problem 2: Selbstreflexivität Dass „der Geist nicht das Erste sein kann, zeigt sich u.a. an der folgenden Überlegung: Geist muß notwend-igerweise im geistigen Erkennen bestehen, und gerade der beste, nicht nach außen blickende Geist muß das erkennen, was vor ihm selbst ist; denn indem er sich zu sich selbst wendet, wendet er sich zu seinem Ursprung. Ist er nun selbst das Erkennende und das Erkann-te, so ergibt sich, dass er doppelt und nicht einfach und also nicht das Eine ist.“

Page 66: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

• Problem 2: SelbstreflexivitätDer Geist kann nicht Einheitsprinzip der Wirk-lichkeit sein, weil er in sich selbst plural ist: - Die Struktur der Selbstreflexivität erzeugt eine Differenz im Geist selbst- Diese Differenz ist nicht kontingent, sondern irreduzibel

Page 67: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Der Geist als Antwort?

Zwischenfazita) Schritt zum Geist/Logos,

der Wirklichkeit strukturiert

b) Problem 1: Der Geist ist plural qua Intentionalität (Bezug auf etwas)

c) Problem 2: Der Geist ist plural qua Selbstreflexivität (Denkendes und Gedachtes)

d) Diese Pluralitäten scheiden ihn als letztes

Page 68: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Die Entdeckung der TranszendenzDa nicht einmal der Geist für seine eigene Ein-heit sorgen kann, muss es etwas geben, das a) jenseits von Geist/Logos angesiedelt istb) jene Einheit garantiert, die für Seiendes not-wendig ist, um zu sein

Dieses Etwas bezeichnet Plotin als das Eine

Page 69: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Die Entdeckung der TranszendenzDas Eine kann- nicht mehr aus Teilen bestehen, da diese aus sich selbst keine Einheit erzeugen könnten- nicht auf Anderes bezogen sein, da es dann von ihm abhängig wäre- nicht wie Seiendes behandelt werden, da es dem Seienden erst Sein gibt

Page 70: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Zugänge: Sprachprobleme„Was könnte das Eine also sein, was für eine Natur könnte es haben? Nun: Es ist kein Wunder, daß es nicht leicht zu sagen ist, wo es doch schon beim Sein und bei der Form nicht leicht ist.“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 3)

Page 71: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen• Zugänge: Negative Aussagen

„Weil die Natur des Einen nämlich alle Wesen hervor-bringt, ist sie keins von ihnen – also weder etwas noch in irgendeiner Qualität oder Quantität noch Geist noch Seele; nicht bewegt und auch nicht stillstehend, nicht im Raum, nicht in der Zeit, sondern es selbst an sich selbst, eingestaltig oder vielmehr gestaltlos, da es vor jeder Gestalt da ist, vor der Bewegung, vor dem Still-stand; denn die gehören zum Sein und bewirken, daß es vieles ist.“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 3)

Page 72: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Zugänge: Reflexionstranszendenz„Und warum steht es nicht still, wenn es nicht in Bewegung ist? Weil nur beim Sein eins von beiden oder beides notwendig der Fall ist.“

(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 3)

Das Eine übersteigt unsere Denkschemata

Page 73: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Zugänge: Gegenwärtigsein„Die Schwierigkeit entsteht aber hauptsächlich darum, weil man ein Bewußtsein von ihm nicht durch Wissen haben kann, auch nicht durch geistiges Erkennen, wie sonst bei den geistig erkennbaren Gegenständen, sondern nur durch ein Gegenwärtigsein, das stärker als Wissen ist.“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 3)

Page 74: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Das Konzept der EmanationFrage: Wenn das Eine die Vielheit nicht not-wendig braucht, warum gibt es Vieles?

Antwort: „Da es vollkommen ist …, ist es gleichsam übergeflossen, und seine Über-fülle hat ein anderes hervorgebracht“

Entwicklung der Lehre von der Emanation

Page 75: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Das Konzept der EmanationDas Eine bringt in einem a) proodos (= Hervorgang) b) hypostaseis (= Wirklichkeiten bzw. Wirklich-keitsstufen eigenen Rechts wie Geist, Seele, Materie) hervor, die sich in einer ständigen c) epistrophe (= Rückwendung) befinden.

Page 76: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Das Konzept der EmanationEmanation vermindert die Kraft des Einen nicht. Das Eine ist in diesem Prozess wie- das Licht, das strahlt und nicht weniger wird- die Quelle, die fließt und im ausfließenden Strom verborgen präsent bleibt

Zugleich schafft das Eine in völliger Freiheit

Page 77: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Lehre vom Einen

• Zwischenfazita) Es gibt ein Eines

jenseits unserer Wirklichkeit(en)

b) Die Rede davon ist nur erschwert möglich

c) In der Emanation fließt die Wirklichkeit aus dem Einen heraus

Page 78: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Idee der Rückkehr

• Der Gedanke der epistropheDer ontologisch dargestellten Emanation ent-spricht die liebende Zurückwendung (die epi-strophe) zum Einen

Es ist diese Tendenz zum Einen hin, die am Anfang von Plotins Überlegungen stand: die Ausgerichtetheit auf das Schöne und Gute

Ziel der epistrophe ist die ekstasis ins Eine

Page 79: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Idee der Rückkehr

• Der Gedanke der epistropheDie epistrophe kann bewusst gesucht werden. Plotin schlägt zweierlei Hilfsmittel vor:

a) Argumentation, die zwar nicht zum Einen führt, aber bis an seine Grenzenb) Aneignung eines Lebensform, die moralisch einwandfrei ist und so die Schau des Einen erleichtert

Page 80: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

V Die Idee der Rückkehr• Hilfsmittel 1: Argumentation

„Alles Schöne ist ja später als jenes und kommt von ihm her, so wie alles Tageslicht von der Sonne. Darum kann es … nicht ausgesprochen und nicht niedergeschrieben werden, sondern wenn wir sprechend und schreiben, dann versuchen wir zu ihm hinzulenken und aus dem Sprachlich-Rationalen heraus zum Schauen zu erwecken, wie wenn wir jemandem, der etwas an-schauen möchte, den Weg zeigen würden. Denn die Belehrung beschränkt sich auf den Weg und die Reise; das Schauen ist dann Aufgabe desjenigen selbst, der sich zu sehen entschlossen hat.“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 4)

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V Die Idee der Rückkehr

• Hilfsmittel 2: Aneignung einer LebensformEs gibt den Fall, dass jemand via Argumentation „zwar in seine Nähe [jene des Einen] gekommen war, aber, als er oben stand, hinten beschwert war mit etwas, das die Schau behinderte, d.h. er stand nicht allein oben, sondern hatte noch etwas bei sich, was ihn von jenem trennte“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 3)

Es braucht mehr als intellektuelle Anstrengung

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V Die Idee der Rückkehr• Hilfsmittel 2: Aneignung einer Lebensform

Man darf sich im Denken und Leben„nicht aus dem Bereich der ersten Wesen entfernen …, sondern muß … zu den ersten hinstreben und sich selbst von dem sinnlich Wahrnehmbaren (was das Letzte ist) nach dorthin empor- und zurückführen; man muß von jeder Schlechtigkeit frei geworden sein, da es ja das Gute ist, zu dem zu gelangen man sich ja bemüht; und man muß zu dem Ursprung emporgestiegen sein, den man in sich selbst hat … Kurz: Man muß Geist werden“(Plotin, Über das Gute oder das Eine, VI 9 [9] 3)

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V Die Idee der Rückkehr

• Hilfsmittel 2: Aneignung einer LebensformReinigungshilfen: „Es ist bekanntlich so, daßnach einer alten Lehre Selbstbeherrschung, Tapferkeit und überhaupt jede Tugend eine Reinigung ist, und auch die Vernunft selber.“(Plotin, Über das Schöne, I 6 [1] 6)

Folge: „Im gereinigten Zustand ist die Seele als Form und rationale Struktur, ganz unkörperlich, fähig zum geistigen Erkennen, ganz zum Göttlichen gehörig“ (Plotin, Über das Schöne, I 6 [1] 6)

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ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

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Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemeröffnung: Die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft im Innenraum des Geistes –antike Konstellationen

3. „Interior intimo meo“: Augustinus

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Augustinus (354-430)

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Biographie

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Biographie

Biographie anhand von vier Orten• 354-370: Aufwachsen in der Provinz

- 354 im numidischen Thagaste als Sohn eines (heidnischen) Provinzbeamten und einer christ-lichen Mutter Monika (332-287) geboren- ab 369 klassische Rhetor-Ausbildung, wobei Augustinus lateinische Klassiker zu lieben lernt- 370 Abbruch wegen Finanzproblemen

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Biographie

• 371-382: Bildung in Karthago- ab 371 Studium in Karthago (‚Stadt der Liebe‘), deren Angebote A. sehr bald zu nutzen weiß- 372 Geburt des Sohnes Adeodatus mit seiner langjährigen (namenlosen!) Konkubine- Kontakt mit Philosophie (Cicero) und erwach-endes Interesse für

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Biographie

- seit 374 Anhänger des Manichäismus, der ein streng dualistisches Weltbild predigt und Leib-lichkeit problematisch bewertet- 382 unruhige ‚Flucht‘ aus der bisherigen (unbe-friedigenden) Existenz nach Italien, wobei er Monika bewusst täuscht und zurückläßt

Page 91: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 382-387: Bekehrung in Italien- 384 Ruf als Rhetor an den Kaiserhof nach Mai-land (u.a. weil er als Manichäergilt)- 385 erste Kontakt mit Bischof Ambrosius- Trennung von der Konkubine auf Druck der (nachgekommenen) Mutter- Beschreibung steigender spiritueller Unruhe

Page 92: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

- 386 Bekehrung nach Bericht über den Hl. Antonius und einer Paulus-Lesung(tolle, lege!)- 387 Taufe mit Sohn und Freunden in der Osternacht (Mailand) - Tod der Mutter noch vor der Rückkehr nach Afrika im gleichen Jahr

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Biographie

• 388-430: Christliche Existenz in Afrika- 388 Aufbau einer klösterlichen Gemeinschaft- 391 Priester- und 396 Bischofsweihe in Hippo Regius, wo Augustinus zeit seines Lebens gegen

- Manichäer (dualistisches Weltbild)- Donatisten (Selbstverständnis wahrer

Kirche)

Page 94: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

- Reiche literarische Tätigkeit:- Confessiones (397-401)- De Trinitate (399-419)- De Civitate Dei (413-427 – mit Bezug auf

die Eroberung Roms durch die Goten)- 430 Tod während Vandalen-Belagerung

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I Christlicher Neuplatonismus

• Ein Hauch von Existentialismus…A. ist kein philosophischer Systematiker im gängigen Sinn – er schreibt - pastoral-anlassbezogen(vs. Fixierung darauf, ein System ‚durchzuziehen‘ – Referenzen und Argumente wechseln) - bewusst interessegeleitet(vs. aristotel. theoria-Konzept interesseloser Schau)

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I Christlicher Neuplatonismus

• Ein Hauch von Existentialismus…- „Es geht überhaupt nicht primär um das theoretische Problem der Wahrheitssicherung, sondern um die Gewinnung des richtigen Lebens.“ (Flasch, Augustinus, 20)

- Grundperspektive sapientia: Wissen um jene menschlichen und göttlichen Dinge, die für das richtige Leben von Belang sind (Cicero)

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I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer Kulisse - Mitunter vertretene These: Die Bekehrung A.‘ ist anfänglich eine Bekehrung nicht zum Christentum, sondern zum Neuplatonismus

- Interessanter Kern: Der Neuplatonismus wird von A. als ideale Möglichkeit begriffen, Lebensprobleme anzugehen und den christ-lichen Glauben zu formulieren

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I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer KulisseLebensfrage 1: Wo ist Weisheit?- Lektüre des ‚Hortensius‘ von Cicero entfacht in A. eine Glut nach Weisheit (sapientia), die a) die Bibel wegen ihrer Mythenhaftigkeit und Rohheit (vs. Klassiker!) nicht stillen kannb) die Manichäer sehr gut anzusprechen wissen

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I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer KulisseLebensfrage 2: Unde malum?- Der gnostische Manichäismus des persichen ‚Parakleten‘ Mani (216-276/277)wird zur welt-anschaulichen Heimat von A.

- F. Ricken zufolge gibt er dreifach Antwort auf A.‘ Lebensfragen und -probleme:

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I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer KulisseLebensfrage 2: Unde malum?a) Klare Ontologie und Epistemologie: Es gibt ein gutes und ein schlechtes Weltprinzipb) Antwort auf die Frage nach dem Bösen: Es ist ein eigenes, irreduzibles Weltprinzip aus sichc) Bibelorientierung: Die rohen Mythen des AT sind dem schlechten Prinzip

Page 101: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer KulisseLebensfrage 3: Gibt es Wahrheit?Nach dem Bruch mit den Manichäernnähert sich A. der Skepsis der Neuen Akademie: - Grundsätzlich alles ist bezweifelbar - Sicherheit oder Wahrheit sind nirgends- Folge: Einübung in epoche(Urteilsenthaltung)

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I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer KulisseLebensfrage 4: Was ist mit der Bibel?Quer zu diesen biographisch-weltanschaulichen Strecken liegt die (durch die Beziehung zu seiner Mutter entstandene) Frage nach der Bibel:

Wie ist die Bibel bzw. ihre oft unverständlichen Geschichten einzuschätzen?

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I Christlicher Neuplatonismus• … vor neuplatonischer Kulisse

Der Neuplatonismus als ‚Antwort‘a) Weisheit: Wissen um Aufstieg zum Einenb) Schlechtes: Schlechtes ist nicht eigenständig, sondern eine privatio boni– bloßes Fehlen des Guten. Es gibt eigentlich nur ein Weltprinzip.c) Wahrheit: Wahrheit ist möglich und denkbar.

Page 104: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

I Christlicher Neuplatonismus

• … vor neuplatonischer KulisseTragende Korrespondenzen zwischen Christen-tum und Neuplatonismus (nach Flasch)a) Erkenntnis des Monotheismusb) Erkenntnis des logos-Ursprungs der Weltc) Erkenntnis des Schöpfunggedankensd) Erkenntnis des Lebenszieles visiobeatifica

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I Christlicher Neuplatonismus

• Das Verhältnis von fides und ratioDie Confessiones zeigen, dass es einen Prozess der Erschließung des Glaubens braucht, der im Medium der Biographie stattfindet: „Ein Glaube lässt sich nicht wie eine mathe-matische Wahrheit andemonstrieren; er kann von der eigenen Biographie nicht getrennt werden.“ (Ricken, Religionsphilosophie, 311)

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I Christlicher Neuplatonismus

• Das Verhältnis von fides und ratioIn diesem biographischen Reflexionsprozess spielt die ratio eine zentrale Rolle: Für A.„lehrt die auctoritas Christi und der Kirche nichts, was nicht auch ein Philosoph wissen könnte … Glaubensaussagen geben der Vernunft Hin-weise, wo diese die Lösung eines Problems zu suchen hat“(Horn, Augustinus, 70)

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I Christlicher Neuplatonismus

• Das Verhältnis von fides und ratioDas führt zu einer zweifachen Bewegung:a) Der Glaube sucht die Vernunft als Hilfe in Sachen Selbsterschließung auf (vgl. fides quaerens intellectum)b) Die Vernunft (qua Schöpfung auf Gott hin ausgerichtet) erhält vom Glauben Hinweise auf die entscheidende letzte Wahrheit

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I Christlicher Neuplatonismus

• Das Verhältnis von fides und ratiowird in doppelter Verwiesenheit beschrieben:„Jemand sagte mir, ich sehe ein, um zu glauben. Ich antwortete: Glaube, um einzusehen. … Also ist nach einer Seite hin wahr, was dieser sagt: Ich möchte einsehen, um zu glauben. Und ich habe auch recht, wenn ich wie der Prophet sage: Viel-mehr glaube, um einzusehen.“(S XLIII)

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II Grundlegungen

• Wo Sicherheit und Fundament finden?Ein wichtiger Horizont für den frühen A. ist die Widerlegung der Skepsis – es geht darum, ein sicheres Fundament für weitere Überlegungen zu finden.

Augustinus übernimmt dafür eine (neuplaton-isch geprägte) Argumentation:

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II Grundlegungen

„Geh nicht nach draußen, kehr wieder ein bei dir selbst! Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit. Und wenn du deine Natur wandelbar findest, so schreite über dich selbst hinaus!“ (De vera religione, XXXIX, 72, 202) Beispielhaft für diesen Argumentationstyp sind die ‚Soliloquien‘ (Selbstgespräche, 386)

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II Grundlegungen

• Das Beispiel ‚Soliloquien‘ (386)Konsequenter Blick nach Innen, wo A. ein Gespräch mit der Vernunft führtDoppeltes Erkenntnisinteresse: „Gott und die Seele will ich erkennen“ (Sol. I,1)Dabei nimmt A. bereits Descartes‘Gedanken des ‚Cogito ergo sum‘ voraus:

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II Grundlegungen

„Vernunft: Du, der du dich erkennen willst, weißt du, dass du bist? Augustinus: Ja. Vernunft: Woher weißt du es? Augustinus: Ich weiß es nicht. …Vernunft: Weißt du, dass du denkst? Augustinus: Ja. Vernunft: Also ist es wahr, dass du denkst? Augustinus: Ja.“(Sol. II,1)

Page 113: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Grundlegungen

• Das Beispiel ‚Soliloquien‘ (386)Ohne Descartes‘ programmatische Kürze wird hier bereits die Unausweichlichkeit des ‚Ich denke‘ als festes Fundament eingeführt

Teilweise pointiertere Ausformulierungen des Arguments, mit dem die Skepsis unterlaufen wird, finden sich auch in anderen Werken:

Page 114: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Grundlegungen„Aber wenn du nicht einsiehst, was ich sage, und

zweifelst, ob es wahr sei, so sieh zu, ob du auch daran zweifelst, daß du es bezweifelst. Und wenn es gewiß ist, daß du zweifelst, so forsche, woher diese Gewißheit kommt. …

So ergibt sich folgende Erkenntnisregel: Jeder, der einsieht, daß er zweifelt, sieht etwas Wahres ein und ist dessen, was er einsieht, auch gewiß. Also ist er eines Wahren gewiß. Jeder also, der zweifelt, ob es eine Wahrheit gibt, hat in sich selbst etwas Wahres, woran er nicht zweifelt. Da nun alles Wahre nur durch die Wahrheit wahr ist, kann niemand an der Wahrheit zweifeln, der überhaupt zweifeln kann.“ (De vera religione, XXXIX 72 204 206)

Page 115: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

II Grundlegungen

• „Si enim fallor, sum“A. machen „die Argumente der Akademiker keinerlei Sorgen. Mögen sie sagen: Wie, wenn du dich täuschst? Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche.“(De Civitate Dei XI 26)

Folge: Gewinn eines sicheren

Page 116: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott

• Gott – innerlicher als ich mir selbstA. gewinnt mit der präsentierten Überlegung ein sicheres Fundament für weitere Überlegungen.

Dabei entwickelt A. eine Art Gottesbeweis (im schwachen Sinn; de facto wird die Struktur des Geistes analysiert) – mit der Pointe, dass Gott einem innerlicher ist als man sich selbst.

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III Gott

• Überlegung 1: Die Ewigkeit von Wahrheiten - Wahrheiten der Mathematik und Logik gelten unabhängig von konkreten sinnlichen Welt- Und selbst wenn es überhaupt keine sinnliche Welt mehr gibt, muss doch immer noch wahr sein, dass es diese Welt nicht mehr gibt

Fazit: Es gibt offensichtlich wahre Sätze auch ohne sinnliche Welt

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III Gott

• Überlegung 2: Existenz der WahrheitNeuplatonisch gilt: Wahre Sätze kann es nicht ohne Wahrheit geben – ein Satz wird dadurch wahr, dass er an der Idee der Wahrheit teilhat

Möglicher Vergleich: Eine getroffene Kugel hat an der Geschwindigkeit der auftreffenden Kugel ‚teil‘ – so wie sie eben nicht aus sich selbst, sondern durch deren Ge-schwindigkeitbeschleunigt wird, wird ein wahrer Satz durch die Idee der Wahrheit wahr

Page 119: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott Vernunft: Wenn unsere Welt immer bestehen bleibt,

ist es dann wahr, daß die Welt immer bestehen bleibt? Augustinus: Zweifellos. Vernunft: Wenn sie aber nicht bestehen bleibt, dann ist es doch wohl wahr, daß die Welt nicht bestehen bleibt? Augustinus: Ich habe nichts einzuwenden. Vernunft: Nun aber: zu der Zeit, da die Welt untergegangen ist, sofern sie untergehen wird, wird es dann nicht wahr sein, daß sie untergegangen ist? Denn solange es nicht wahr ist, daß die Welt zugrunde gegangen ist, solange ist sie nicht zugrunde gegangen. […]

Page 120: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott Vernunft: Nun die folgende Überlegung: scheint es dir

mög-lich zu sein, daß etwas Wahres existieren kann, ohne daß es Wahrheit gibt? Augustinus: Keineswegs. […] Vernunft: Wenn die Wahrheit selber zugrunde geht, ist es dann nicht wahr, daß die Wahrheit zugrunde gegangen ist? Augustinus: Auch das kann kein Mensch bestreiten. Vernunft: Wahres kann es aber nicht geben, wenn es keine Wahr-heit gibt. […] Die Wahrheit wird also auf keinen Fall zugrunde gehen.(Sol. II,2)

Page 121: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott

• Schluss 1: Unsterblichkeit der SeeleNeuplatonisch gilt: Gleiches kann immer nur durch Gleiches erkannt werden –wer Ver-nünftiges erkennt oder erkennen will, muss z.B. notwendig selbst vernünftig sein.

Schluss: Wer wie die Vernunftseele offen-sichtlich Unsterblich-Ewiges erkennt, muss selbst ebenso unsterblich sein

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III Gott

• Schluss 2: Der Nachweis GottesDie ersten Überlegungen brachten die Ewigkeit von Seele und Wahrheit zutage. In welchem Verhältnis aber stehen die beiden?Frage: Ist es möglich, dass wahre Sätze nicht nur Wahrheit, sondern auch ein erkennendes Subjekt voraussetzen? Dann gäbe es eine problematische Abhängigkeit der Wahrheit vom Bewusstsein.

Page 123: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott

Vernunft: Zweifellos ist dies ein Stein, und er ist ein wahrer Stein, wenn er nicht anders ist, als er scheint; und er ist kein wahrer Stein, wenn er nicht ein wahrer Stein ist; und nur den Sinnen kann er als Stein erscheinen. Augustinus: Ja. Vernunft: Also gibt es überhaupt keine Steine tief unten im Schoß der Erde, und überhaupt nirgends, wo niemand ist, der sie wahrnimmt. […] [Augustinus: Das ist widersinnig] […]

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III Gott

Vernunft: Definiere also ‚Wahrheit’. Augustinus: Wahr ist etwas, das sich so verhält, wie es einem Betrachter [!] erscheint, der erkennen will und kann.Vernunft: Also wird nicht wahr sein, was niemand erkennen kann. Ferner: wenn falsch ist, was anders erscheint, als es ist, wird dann, wenn dem einen dieser Stein hier als Stein, einem anderen Holz zu sein scheint, der gleiche Gegenstand falsch und wahr zugleich sein?(Sol. II, 7-8)

Folge: Wahrheit ist

Page 125: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott

• Schluss 2: Der Nachweis Gottes Die Widersinnigkeit des Gedanken, Wahrheit hänge von einem erkennenden Bewusstsein ab, führt dazu, (die Idee der) Wahrheit als aus sich selbst existierend zu begreifen.

Die Wahrheit ist mit göttlichen Attributen (ewig, transzendent, ab-solut) versehen und wird in der Folge von A. mit Gott selbst identifiziert

Page 126: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

III Gott • Schluss 2: Der Nachweis Gottes

„Gott (ist) Wahrheit, in dem und von dem und durch den wahr ist, was wahr ist insgesamt“(Sol. I,3)

Der Satz ‚Gott existiert’ kann sein Wahrsein nicht von anderswo erhalten – dann wäre die Existenz Gottes von einem anderen höchsten ‚Prinzip‘ abhängig und der Gottesbegriff ad absurdum geführt

Page 127: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Erkenntnistheorie

Entwicklung der IlluminationstheorieA. entwickelt auf Basis dieser Überlegungen eine Erkenntnistheorie, die religionsphilosophisch relevant ist:

• Stufe 1: Abwendung vom Außen „So stieg ich denn Stufe um Stufe empor, von der Körperwelt zu der durch den Körper empfindenden Seele,

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IV Erkenntnistheorie

• Stufe 2: Hinwendung zur Seele und ihren Vermögen„weiter zu ihrem inneren Vermögen, dem das leibliche Gesinn über die Außendinge Meldung macht, und welches auch noch dem tierlichen Erkennen als seine obere Grenze eignet“

[= Verstand, der zwar regelgeleitet operiert, aber keine Geltungsansprüche der Wahrheit erkennen kann]

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IV Erkenntnistheorie

• Stufe 3: Hinwendung zur Vernunft„und ich gelangte abermals weiter zu der über-legenden Kraft der Vernunft, bei der das Urteil über die sinnlichen Wahrnehmungen liegt.“

[= Vernunft, die Geltungsansprüche der Wahrheit und Richtigkeit erkennen und verhandeln und daher ‚wahr-falsch‘-Urteile fällen kann]

Page 130: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Erkenntnistheorie

• Stufe 4: Abwendung von konkreten Urteilen„Indem nun diese Urteilskraft sich noch als wandelbar in mir erfuhr, reckte sie sich zur rein geistig schauenden Selbstdurchdringung: sie …entzog sich dem ganzen widersinnigen Gschwärm von Phantasien, um auszu-finden, was das für ein Licht sei, von dem getroffen sie schlechtweg und bestimmt erklärt, das Wandellose sei höher zu stellen als das das Wandelbare, woher sie also Bescheid habe vom Wandellosem als solchem“

Page 131: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Erkenntnistheorie

• Stufe 5: Erkenntnis des Lichts der Wahrheit bzw. Gottes, in dem man erst erkennen kann„und so gelangte meine vernünftige Kraft zu-letzt bis an das, was Ist, gelangte dorthin in dem blitzenden Moment eines zitternden Erblick-ens.“ (Conf VII, 7,23)

[= Reflexion auf Möglichkeitsbedingungen der eigenen Erkenntnis mit Aufblitzen der Gotteserkenntnis]

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IV Erkenntnistheorie

Page 133: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

IV Erkenntnistheorie

„Der Geist hat nämlich sozusagen seine Augen: im Empfindungsvermögen der Seele; die allersichersten Wahrheiten der Wissenschaften gleichen aber den Objekten, welche von der Sonne beleuchtet werden, so dass man sie sehen kann, zum Beispiel die Erde und alles Irdische; Gott selber aber ist’s, der beleuchtet; doch ich selber, die Vernunft, bin für den Geist des Menschen dasselbe was für die Augen das Sehvermögen.“ (Sol. I,12)

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IV Erkenntnistheorie

„Wie solche, die eine besonders starke, lebhafte und gesunde Sehkraft haben, am liebsten die Sonne selbst anschauen, welche all das, woran schwächere Augen sich erfreuen, mit ihren Strahlen übergießt, so richtet sich der starke und lebenskräftige Blick des menschlichen Geistes, nachdem er viele unver-änderliche Wahrheiten mit sicherer Erkenntnis geschaut hat, empor zur Wahrheit selbst, durch welche alle Wahrheiten uns gezeigt werden.

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IV Erkenntnistheorie

Indem unser Geist dieser Wahrheit anhängt, vergisst er gleichsam die andere [etwa logische, mathematische, moralische] Wahrheit und erfreut sich in der höchsten göttlichen Wahrheit zugleich des Genusses und Besitzes der anderen Wahrheiten.“(De lib. Arb. II, 13,36)

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ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

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Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemverlagerung: Die Verwicklung des Außen Gottes in das Innen der Vernunft im Rahmen der „Gottesbeweise“ –mittelalterliche und frühneuzeitliche Verschiebungen

4. Anselm v. Canterbury: aliquid quo maius nihil cogitare potest

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Anselm von Canterbury (1033-1109)

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Biographie

Biographie anhand von vier Stationen• 1033-1057: Kleinadeliges Elternhaus

- 1033: Geburt in Aosta (südliches Burgund) in einem kleinadeligen Milieu- Konflikte mit Vater Gundulf nach dem frühen Tod der Mutter wegen dessen Lebensstil- 1057 Ausbruch aus dem Elternhaus und Flucht über den Mont Cenis nach Cluny

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Biographie

• 1057-1060: Auf der Suche…- Unruhige und verzweifelte Suche nach Seelen-frieden durch Frankreichs Klöster und Kloster-schulen- In Bec fasziniert A. dessen Prior, der frühere Dialektiker Lanfrank, der damals im Streit um das Abendmahl eine führende Rolle einnimmt- Eintritt als Schüler und später als Novize

Page 141: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Exkurs: Abendmahlsstreit- Problem: Wie lässt sich die Wandlung ver-stehen? Kann man sich rational nähern?- Positionen: Realistische vs. symbolische Posi-tion, wobei letztere mit der antiken Philosophie argumentiert und so Probleme der realistischen Position nachweist- Vertreter: Berengar von Tours (-1088)

Page 142: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Exkurs: Abendmahlsstreit- Überzeugung: Eigenschaften kommen nach Aristoteles immer nur einer Substanz zu.- Frage: Wie ist es möglich, dass die Eigenschaft-en des Weins (z.B. Alkoholhältigkeit) auch nach der substantiellen Verwandlung in das Blut Christi erhalten bleiben?- Antwort: Symbolisches Verständnis

Page 143: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Exkurs: Abendmahlsstreit- Die Kirche vertritt eine realistische Position, hat aber in der Argumentation selbst kaum die nötigen Ressourcen, um angemessen antworten zu können.- Folge: Kirchenpolitische Reaktion ohne eine adäquate theologische Hintergrundtheorie (vgl. 1215 dogmatisierte Transsubstantiationslehre)

Page 144: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Le Bec

Page 145: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 1060-1089: Monastische Karriere- 1063 wird A. (in einer bewegten Zeit!) Prior und Leiter der Klosterschule von Le Bec- Theologisch-philosophische Werke:

a) 1076 ‚Monologion‘b) 1077/78 ‚Proslogion‘

- 1078/79 wird A. schließlich Abt von Le Bec

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Biographie

• Exkurs: Das 11. Jahrhundert im Wandel„Man führte die Dreifelderwirtschaft ein. … Die Eisen-bearbeitung machte Fortschritte. … Die Hungersnöte gingen im Lauf des 11. Jahrhunderts zurück … . Das Geldwesen breitete sich auch auf dem Lande aus, zu-nächst in Italien und Frankreich. … In den Städten trat-en die Menschen in ein Verhältnis zueinander, das nicht mehr durch die Feudalität geprägt war … Der ökono-mische und soziale Wandel des 11. Jahrhunderts hatte mentale Folgen“(Flasch, Mittelalter, 181-183)

Page 147: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 1089-1109: Erzbischof von Canterbury- 1089 Ruf zum Erzbischof, aber erst 1093 An-tritt wegen Konflikten mit Wilhelm II (Hochzeit des Investiturstreits)- 1094-1098: ‚Cur Deus homo?‘- 1097-1099 1. Exil, 1103-1107 wegen Querelen mit König (und königstreuen Mitbischöfen)- 1107 Lösung des Investiturstreits, 1109 Tod

Page 148: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie (Überblick)

Page 149: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Religionsphilosophische ErinnerungJob der Religionsphilosophin:„Die Frage, welche die Philosophie an die Reli-gion stellt, wurde für die Neuzeit …von Hume und Kant gestellt: Welches Verhältnis besteht zwischen Religion und Vernunft? Welche Grundlage … hat die Religion in der Vernunft?“(Ricken, Religionsphilosophie, 15.)

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Scholastisches Programm

• Religionsphilosophische ErinnerungInhaltliche Einsatz- und Fragepunkte: - Das Alte und Neue Testament - Die Tradition, die die Schrift verbindlich auslegt.- Die religiöse Erfahrung- Die Ergebnisse der historischen Forschung- Die natürliche bzw. philosophische Theologie

Page 151: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Religionsphilosophische ErinnerungForderungen der Vernunft an die Religion: - Interne Widerspruchsfreiheit: Rational ist, was sich selbst nicht widerspricht- Externe Widerspruchsfreiheit: Rational ist, was nicht anderen wahren Überzeugungen widerspricht- Verbundenheit von Glaubens- und anderen Überzeugungen: Rational ist, was nicht so für sich alleine steht dass es nicht

Page 152: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher Horizont, allgemein„Die Ausbreitung ‚weltlicher’ Wissenschaft beschleunigte sich, der Islam war im südlichen Europa unübersehbar und hatte das Heilige Grab in seiner Hand, der Platonismus der byzantinischen Theologie reichte herüber, das Judentum wurde geistig und wirtschaftlich immer stärker.“(Lutz, Anselm, 21)

Page 153: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher Horizont, allgemein- Aufschwung der ratio: Technische Fort-schritte erzeugen Vertrauen in die Vernunft- Aufschwung der Städte: Städte wachsen, er-halten Sonderrechte und werden ökonomische big player(Geldwirtschaft!)- Aufschwung der Kirche: Die cluniazenische Bewegung sorgt für

Page 154: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher Horizont I- Selbstbewusste Neuorientierung der Kirche nach Phase ottonischerReichskirche (Reform-papsttum ab 1046 mit Clemens III)- Die Kirche will sich Bischofsbesetzungen nicht mehr von Königen diktieren lassen, daher ent-brennt der Investiturstreit- Kluft zwischen Kirche und ‚Staat‘

Page 155: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher Horizont II- In Städten entstehen neue intellektuelle Zentr-en (Kathedralschulen vs. alte Klosterschulen), die stärker rational eingestellt sind- Die Kirche reagiert auf diese Entwicklungen mit Machtpraktiken (Abendmahlsstreit), ohne aber die Probleme intellektuell zu bewältigen - Kluft zwischen Glauben und Wissen

Page 156: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher Horizont, summarischA. steht in beiden Bewegungen: Era) erlebt ein neu erwachsenes Selbstbewusstsein der Kirche – und kämpft v.a. als Erzbischof für kirchliche Autonomie, b) sieht zugleich das Problem, dass fidesund ratio auseinander klaffen – und arbeitet als Theologe für deren Synthese.

Page 157: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher HorizontDie Kluft zwischen fides und ratio zeigt sich ent-lang der von Ricken skizzierten Linien:

a) Interne Widersprüchlichkeit- Vgl. Abaelards (später erschienenes) Werk ‚Sic et Non‘ – eine Sammlung von Widersprüchen in der Bibel und bei den Vätern

Page 158: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Zeitgeschichtlicher Horizontb) Externe Widersprüchlichkeit- Vgl. Abendmahlsstreit – die Lehre widerspricht der klassischen Kategorientafel Aristoteles‘

c) Verbundenheit von Überzeugungen- Vgl. Abendmahlsstreit – der Konflikt wird machtpolitisch entschieden, weil ratio und fides nicht miteinander kommunizieren können

Page 159: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Anselms ArbeitsprogrammInhalt von A.s Arbeiten:„Einige Brüder haben mich oft und dringlich gebeten, ich möge von dem, was ich ihnen über die Betrachtung des göttlichen Seins und anderer damit zu-sammenhängender Dinge in häufigem Gespräche vorge-tragen, einiges als Beispiel solcher Betrachtung für sie niederschreiben.

Page 160: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Scholastisches Programm

• Anselms ArbeitsprogrammMethode in A.s Arbeiten:„Sie haben von mir auch in der Abfassung dieser Betrachtung eine bestimmte Form verlangt, wobei sie mehr ihre Wünsche als die Leichtigkeit der Aufgabe oder mein Können im Auge hatten: ich solle mich in meiner Beweisführung nicht auf die Autorität der (Heiligen) Schrift stützen,

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Scholastisches Programm

• Anselms ArbeitsprogrammMethode in A.s Arbeiten:„sondern jeden Schlusssatz der einzelnen Unter-suchungen in gewöhnlichen Ausdrücken darstellen, so dass infolge allgemein verständlicher Gründe und einfach-er Erörterungen sowohl die Notwendigkeit des Gedank-engangszwingend, als auch die Einsichtigkeit der Wahr-heiten offenkundig werde.“ (Vorrede, Monologion Vorrede)

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Scholastisches Programm

• Anselms Arbeitsprogramm„Nehmen wir an, es sei da … ein Mensch, der also von alledem und von dem vielen anderen, was wir von Gott und Seiner Schöpfung not-wendig glauben, nichts wisse, weil er nicht davon gehört hat oder nicht daran glaubt; ich denke, solch ein Mensch müsste, wenn er nur einigermaßen bei Verstand ist, sich durch bloße Vernunft davon zu überzeugen vermögen [pot-est ipse sibi saltem solaratione persuadere] “ (Anselm Monologion I)

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Scholastisches Programm

• Anselms Arbeitsprogramm- A. schreibt unter dem Eindruck des Rationali-tätsschubs seines Jahrhunderts und im Blick auf Judentum und Islam- Grundidee: fides quaerens intellectum –der Glaube selbst nimmt die Vernunft in Anspruch- Dieser Methode verdankt A. seinen Titel als sog. ‚Vater der Scholastik‘

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Ontologischer Gottesbeweis

• Absicht und Einbettung- Das ‚argumentum anselmianum‘ findet sich im ‚Proslogion‘ (1077/78).- A. will darin mit Mitteln der Vernunft die Er-kenntnis Gottes nachvollziehen, die im Glauben bereits gegeben ist. - Die Einbettung des Beweises in ein Gebet ist daher stringent.

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Ontologischer Gottesbeweis

• Element 1 des Beweises: Die Möglichkeit valider-nicht-sinnlicherErkenntnisEine erste, erkenntnistheoretische Voraussetzung, die A. mit der gesamten (neu)platonisch-augustin-ischen Tradition) vor ihm macht, ist die Über-zeugung, dass nicht-sinnliche Erkenntnis in der Innerlichkeit des Denkens möglich istNicht-sinnliche Erkenntnis ist möglich

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Ontologischer Gottesbeweis

• Element 2 des Beweises: Sein ist größer als Nicht-SeinEine zweite, ontologische Voraussetzung, die A. mit der gesamten Tradition vor ihm unausgesproch-en annimmt, ist die Überzeugung, dass es besser / wertvoller / größer ist zu existieren als nicht zu existieren. Sein ist ‚größer‘ als Nicht-Sein

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Ontologischer Gottesbeweis

• Element 3 des Beweises: Das, über das hin-aus Größeres nicht gedacht werden kannIn Kapitel II des ‚Proslogion‘ führt A. in einer Anrede folgenden Gottesbegriff ein: „Wir glauben aber von Dir, daß über Dich hin-aus Größeres nicht gedacht werden kann. [Et quidem credimus te esse aliquidquo nihil amius cogitari possit.]

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Ontologischer Gottesbeweis

• Element 3 des Beweises: Das, über das hin-aus Größeres nicht gedacht werden kann„Oder gibt es etwa kein solches Wesen, weil der Tor in seinem Herzen spricht: es ist kein Gott? Aber selbst dieser Tor versteht [!] meine Worte, wenn ich sage: etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann [aliquid quo maiusnihil cogit-are potest]

Page 169: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 3 des Beweises: Das, über das hin-aus Größeres nicht gedacht werden kann„und was er versteht, ist in seinem Erkennen, auch wenn er nicht versteht, daß es dieses Etwas wirklich gibt.“ (Proslogion, Kapitel 2)

Einführung Gottes als desjenigen, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann (was inhaltlich jedermann

t h k )

Page 170: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 4 des Beweises: Die folgerichtige Existenz des derart GedachtenNun setzt A. den entscheidenden Schritt, indem er Element 2 (die ontologische Voraussetzung, dass Sein größer als Nicht-Sein ist) ausspielt: „Aber das, worüber hinaus Größeres nichts gedacht werden kann, kann nicht nur im Denken sein.“

Page 171: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 4 des Beweises: Die folgerichtige Existenz des derart Gedachten„Ist es nämlich nur in unserem Denken, so kann man sich es auch als wirklich seiend vorstellen; das aber ist mehr (als bloß in Gedanken wirklich sein). Wenn das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nur im Denken ist, so ist eben das, wo-rüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann etwas über das

Page 172: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 4 des Beweises: Die folgerichtige Existenz des derart Gedachten„Dies ist aber offenbar [ohne Selbstwiderspruch] unmöglich. Daher ist zweifellos etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, so-wohl dem Denken als der Sache nach wirklich.“ (Proslogion, Kapitel II)

Erlaubter Schluss auf die Existenz

Page 173: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 5 des Beweises: Die notwendige Existenz des derart GedachtenIn Kapitel III arbeitet A. die logische Notwend-igkeit der Existenz Gottes heraus:

„Der Schlußsatz des letzten Abschnittes ist so wahr, daß das Nicht-sein Gottes nicht einmal gedacht werden kann.“

Page 174: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 5 des Beweises: Die notwendige Existenz des derart Gedachten„… Wenn das Nichtsein dessen, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, gedacht werden kann, so ist das, worüber hinaus Größ-eres nicht gedacht werden kann, nicht das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, und das ist ein Widerspruch.“

Page 175: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Element 5 des Beweises: Die notwendige Existenz des derart Gedachten„Es gibt also wahrhaft etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, derart, daß nicht einmal der Gedanke an dessen Nicht-Sein möglich ist. Und das bist Du, Herr, unser Gott.“(Proslogion, Kapitel III)

Zwingender Schluss auf die Existenz G tt

Page 176: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des BeweisesDer Beweis wurde/wird (tw. unter dem Titel ‚argumentum cartesianum‘) bis heute diskutiert und kritisiert.Zwei kritische Traditionslinien:a) Gaunilo / Kant Ib) Thomas / Kant II

Page 177: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IDer Gaunilo von Marmoutiers bringt die erste Kritik an A.s Gedankengang; er argumentiert u.a. mit folgendem Gegenbeispiel:

„So z.B. sagen einige, irgendwo im Ozean gebe es eine Insel, die wegen der Schwierigkeit oder besser der Unmöglichkeit zu finden, was nicht ist, von verschied-enen den Beinamen ‚die verschwundene’ [perditam] bekommen hat;

Page 178: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises Isie erzählen, dass sie … unvergleichlich reich an Gütern und Prunk sei, niemandem gehöre, von niemandem be-wohnt sei und alle anderen Länder, die von Menschen bewohnt sind, durch die Überfülle an Besitztümern allenthalben übertreffe. …[Wenn nun einer sagt:] Du kannst nun nicht mehr da-ran zweifeln, dass diese Insel, die vortrefflicher ist als alle Länder und von der du annimmst, dass sie auch in deinem Verstande ist irgendwo wahrhaft in Wirklich keit sei;

Page 179: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises Iund weil es vortrefflicher ist, nicht im Verstande allein, sondern auch in Wirklichkeit zu sein, so ist es not-wendig, dass sie so sei; wäre sie nämlich nicht, dann wäre jedes andere Land, das wirklich ist, vortrefflicher als sie, und so wäre sie, die von dir als die vortrefflich-ere begriffen worden ist, nicht die vortrefflichere; wenn er … mir hierdurch versichern wollte, es sei nicht mehr weitere daran zu zweifeln, dass jene Insel Wirk-lichkeit sei -

Page 180: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises Iso würde ich glauben, entweder er scherze oder ich wüsste nicht, wen ich für dümmer ansehen sollte [mich oder ihn]“ (Gaunilo, Was jemand anstelle des Toren hierauf erwidern könnte, 85-87)

Kritikpunkt: Nur weil ich etwas (etwa eine Trauminsel) denken kann, ist es doch noch lange nicht real!

Page 181: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IKant bedient sich tw. [!] einer ähnlichen Kritik bei seinem Taler-Vergleich:„Hundert wirkliche Taler enthalten [dem reinen Be-griffe nach] nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. [In diesem Sinne sind sie identisch] … Aber in meinem Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als bei dem bloßen Begriffe der-selben (d.i. ihrer Möglichkeit).“ (KrV B627; A599)

Page 182: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IAntwort A.s auf Gaunilo weist auf die Unzu-lässigkeit des Vergleichs hin: Das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, kann eben nicht mit einer endlich-en Größe (wie einer Insel über die hinaus leicht Größeres gedacht werden kann) ausgetauscht werden – es ist schlechterdings analogielos!

Page 183: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IIEin anderer Ansatz der Kritik betrifft epistemo-logische Probleme:

- Ist es möglich, in einem streng nicht-sinnlichen Erkenntnisprozess Schlüsse über die Außenwelt abzuleiten?- Welchen epistemologischen Status hat der Schluss A.s?

Page 184: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IIThomas von Aquin kritisiert (von seinem aristo-telischen Hintergrund her) das benutzte platon-ische Erkenntnismodell:

„Aus der Bildung jenes Gottesbegriffs folgt nur, dass das solchermaßen Begriffene im Verstand ist. Es folgt aber niemals ein Schluss auf dessen Existenz in der außermentalen Wirklichkeit.“(Schönberger, Anselm, 101)

Page 185: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IIThomas unterscheidet die Qualität axiomat-ischer Einsichten:- Das Rundsein des Kreises ist eine axiomatische Einsicht im engsten Sinn – sie ist apriorisch.- Die Unräumlichkeit geistiger Wesen ist zwar eine axiomatische Einsicht – aber sie ist erlernt, weil die Vorstellung ‚geistiger Wesen‘erlernt ist.

Page 186: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IIGenau so verhält es sich nach Thomas auch mit dem Begriff Gottes – er ist uns nicht so gegeben wie die Vorstellung eines Kreises:A. kann aus dem Begriff Gottes herausholen, was er vorher in ihn hineingesteckt hat – und das ist nicht erfahrungsunabhängig, sondern in Umwegen erlernt (vgl. ‚geistige Wesen‘-B )

Page 187: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IIKants grundsätzlichere Kritik des Beweises (den er Descartes zuschreibt) ist ebenfalls epistemo-logisch:Prinzipiell gilt bei ihm: (Geistige) Begriffe ohne (sinnliche) Anschauung sind leer und Anschauu-ng ohne Begriffe blind –Erkenntnis funktioniert nur mit diesen zwei Säulen.

Page 188: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• Diskussion des Beweises IIDaher kann man, so Kant, schlichtweg nicht im Inneren bleiben, wenn man über die Außenwelt ein Urteil fällen will – es braucht ein sinnliches Element:„Unser (geistiger) Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen.“ (KrV A600)

Page 189: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ontologischer Gottesbeweis

• EinschätzungA. will im ‚Proslogion‘ Gottes Existenz nicht im heutigen Sinne (auf völlig neutraler Basis, quasi im Labor) beweisen, sondern einen im Glauben gegebenen Inhalt rational nachvollziehen – und zeigen, dass eine Vermittlung von ratiound fides möglich ist (vgl. Ricken, Punkt c)

Page 190: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rationale Inkarnation

• Inkarnation und Kreuzestod Frage: Lässt sich angesichts der Präsenz anderer Erlösungsreligionen (Judentum, Islam) auch das eigene Erlösungskonzept als rational ausweisen?Antwortversuch: Satisfaktionstheorie3 Elemente: a) Klassischer ordo-Gedanke

b) Juristisches satisfactio-Konzept

b) Germanisches

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Rationale Inkarnation

• Basis: Die Verletzung der ordo- Überlegung: Weil Gott Schöpfer und Herr alles Geschaffenen ist, ist auch seine Anerkennung als Schöpfer und Herr geboten – die Schöpfung hat ihm die ihm zustehende Ehre zu erweisen- Durch die Sünde Adams und Evas wurde die harmonisch ausbalancierte ordo der Schöpfung verletzt – damit aber auch die Ehre Gottes

Page 192: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rationale Inkarnation

• Problemskizze und AporienIm germanischen Recht gibt es zwei Möglich-keiten, wie ein Vasall die verletzte Ehre seines Herrn wiederherstellen kann: - poena: Seine Tat wird durch eine passende Strafe aus-geglichen (Täter als Objekt der Strafe)- satisfactio: Die Tat wird von ihm aktiv wieder gut gemacht (Täter als Subjekt der Wiedergutmachung)

Page 193: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rationale Inkarnation

• Problemskizze und AporienBeide Vorschläge, um die Ehre Gottes wieder-herzustellen, führen in Aporien:Weil die Ehre Gottes ein unendliches Gut ist, kann es nur eine adäquate Strafe geben: den Ver-lust der ewigen Seligkeit als Ziel menschlicher Existenz (nur das ist unendlich am Menschen)poena ist undenkbar, weil Gott die Liebe ist

Page 194: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rationale Inkarnation

• Problemskizze und AporienFür eine adäquate satisfactio müsste der Mensch die unendliche Ehre Gottes wiederherstellen – als endliches Wesen kann er aber grundsätzlich keinen Schadensersatz leisten, bei dem es um Unendliches gehtsatisfactio ist undenkbar, weil der endliche Mensch nichts Unendliches herstellen kann

Page 195: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rationale Inkarnation

• Inkarnation als HeilsmöglichkeitDie Aporie ist vom Menschen nicht auflösbar, obwohl es den Menschen braucht:Aus Liebe zum Menschen wird Gott Mensch – und als Gott-Mensch schenkt er am Kreuz sein Leben (das unendlichen Wert hat), um die un-endliche Ehre Gottes wiederherzustellenSatisfaktionstheorie der Erlösung

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Rationale Inkarnation

• Kritische WürdigungMit der Satisfaktionstheorie will A. die Rational-ität der Inkarnation und des Kreuzestodes zeig-en – im Blick auf Islam und JudentumDer Ansatz arbeitet nicht mit der Strafe (und einem strafenden Gottesbild), sondern mit der Idee der freiwilligen Wiedergutmachung (und dem Bild eines liebenden Gottes)

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Rationale Inkarnation

• Kritische WürdigungDie juristische Diktion verdeckt allerdings das Bild des liebenden Gottes weitgehend wieder: Es geht um einen rechtlichen Handel zwischen zwei Parteien, der am Kreuz entschieden wird – die kosmische ordo des germanischen Vasallen-rechtsüberdeckt die personalen Momente eher wieder.

Page 198: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

Page 199: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemverlagerung: Die Verwicklung des Außen Gottes in das Innen der Vernunft im Rahmen der „Gottesbeweise“ –mittelalterliche und frühneuzeitliche Verschiebungen

5. Thomas: Deum esse quinque viisprobari potest

Page 200: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Thomas von Aquin (1224-1274)

Page 201: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Biographie anhand von fünf Stationen• Phase I: (1224/25-45): Zug nach unten

- Geburt in landadelige Familie in Roccasecca- 1230: Oblat in Montecassino, wo die Eltern eine monastische Karriere geplant haben- 1239-44: Studium in Neapel und Eintritt bei den Dominikanern – gegen den Widerstand der Eltern (inkl. Entführung

Page 202: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase II (1245-48): Einstand in der Topliga - 1245-48: Studium in Paris, danach Assistent des Albertus Magnus in Köln- 1252-56: Sententiarius in Paris, ab ’56 Magister der Sacra Pagina (legere, disputare, praedicare)- Charakteristika:

a) Betonung des Literalsinns in der Exegese

Page 203: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase III (1259-68): Ordensverpflichtungen- 1259/61: Ordensbedingte Tätigkeit in Neapel- Ab 1261: Konventslektor in OrvietoBeginn ‚Summa contra Gentiles‘

- 1265-68: Aufbau eines Lehrgangs für den Ord-en in Rom und Arbeiten für den Papst (Lektüre der Kirchenväter wegen Ostkirchendiplomatie)

Page 204: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase IV (1268-1272): Rückkehr nach Paris- Rückkehr und fruchtbare Arbeitsphase (mit zeitgleichen Diktaten an mehrere Sekretäre)- Zwei Konfrontationslinien:a) Verteidigung des Aristoteles gegen kirchliche Ablehnung (die später zu Verurteilung führt!) b) Auseinandersetzung mit den

Page 205: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase V (1272-74): Lebensende in Italien- 1272: Rückkehr nach Neapel- 6.12.1273: Erlebnis während der Messe, auf das hin Th. jede Schreibtätigkeit einstellt: „Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Ver-gleich zu dem, was ich gesehen habe.“- 7.03.1274: Tod bei Fossanova nach einem Un-fall auf dem Weg zum Konzil

Page 206: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie (Überblick)

Page 207: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Page 208: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zeitgeschichte

• Ereignisse des 13. Jahrhunderts- Kreuzzüge und ökonomische Interessen: 1203/04 Eroberung Byzanz‘- Universitäten-Boom: 1209 Cambridge- Kirchliche Machtpolitik und Häresien: 1209-29 Albigenserkriege in Südfrankreich- Aufstieg ‚kleinerer‘ politischer Einheiten: 1215 Magna Charta Libertatum

Page 209: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zeitgeschichte

• Ereignisse des 13. Jahrhunderts- Kirchliche Machtpolitik und neue Orden: 1231 Inquistion in Händen der OP- Bedrohung von Osten: 1241 Niederlage des Westens gegen die Mongolen (Liegnitz)- Profilierung der Politik als eig. Bereich: 1250 Tod Friedrich II, der als stupor mundi gilt- Städte-Boom: 1250 Gründung

Page 210: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zeitgeschichte

• Ereignisse des 13. Jahrhunderts- Erfolgreiche Reconquista: 1265 Eroberung Murcias; Granada als letztes islamisches Gebiet- Kirchliche Machtpolitik und Universität: 1277 Verbot von 219 Thesen durch den Pariser Erzbischof – Thomas‘Theologie ist davon mit-betroffen

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Aristotelische Zugänge

• Aristoteles-Rezeption in Etappen- Augustinus als lange einzig vorherrschende Tradition: Innerliche Wege zur Wahrheit- Aristoteles steht für eine Bewegung ‚hin zu den Dingen selbst‘ (vs. symbolische Interpretation), lange Zeit sind im Westen aber nur Teile seiner logischen Schriften bekannt- Begegnung mit Islam ändert die Defizite

Page 212: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Aristotelische Zugänge

• Aristoteles-Rezeption in Etappen- bis ins 12. Jhdt. Logica Vetus bekannt (über Boethius), im 12. Jhdt. auch LogicaNova- 13. Jhdt.: Kenntnis der restlichen Werke, v.a. der libri naturales (über arabische Kontakte und Übersetzungen)Beispiel: 1255 Arist. Logik, Naturlehre und Ethik im Lehrplan an der Pariser Universität

Page 213: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Aristotelische Zugänge

• Änderung 1: Naturbild- Wendung zu den Dingen selbst: Nicht mehr ihr symbolischer Wert ist von Interesse, sondern auch, wie sie ‚funktionieren‘- „Albert der Große z.B. wollte Engellehre und Kosmologie getrennt halten; im Interesse einer ungestörten Naturlehre betonte er die Anders-artigkeit der Theologie.“ (Flasch, Mittelalter, 300)

Page 214: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Aristotelische Zugänge

• Änderung 2: Menschenbild- Interesse am Menschen als zoonpolitikon, der nicht mehr bloß theologisch verhandelt wird- Der Staat ist nicht kirchliche Konzession, son-dern ein „System der Bedürfnisbefriedigung mit immanenter Moralität und Kultur. … Die aristotel-ischePolitik ließ den Staat in der Natur des Menschen begründet sein“ (Flasch, Mittelalter, 303)

Page 215: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Aristotelische Zugänge

• Änderung 3: Wissenschaftstheorie- Konfrontation mit neuer Wissenschaft von der Natur führt zu wissenschaftstheoretischen Re-flexionen- Drängende Fragen: Was ist Wissen? Warum ist die Theologie eine Wissenschaft? Gibt es viel-leicht zwei Wahrheiten (eine theologische und eine naturwissenschaftliche)?Selbstreflexion und

Page 216: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Aristotelische Zugänge

• Änderung 3: Wissenschaftstheorie Thomas übernimmt tw. neue methodologische Errungenschaften in die Theologie:„Sinnlich Wahrnehmbares bildet den Aus-gangspunkt unserer Erkenntnis, so dass von ihm nicht nur vorübergehend, sondern bleibend die Tätigkeit des Geistes ausgeht, und gleichsam das Fundament der geistigen Tätigkeit.“ (Expositio in librum Boethii De Trinitate VI 2 15)

Page 217: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae

• Allgemeine CharakteristikThomas‘ Arbeit an ‚fünf Wegen‘, die Existenz Gottes aufzuzeigen, steht in einer Tradition mit Anselms Gottesbeweis, aber:a) Kritik an Anselms apriorischem Ansatzb) Wahl eines anderen aposteriorischen settings für das Projekt, das wissenschaftstheoretisch die Ideen Aristoteles berücksichtigen will

Page 218: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae

• Allgemeine Charakteristik„Es gibt eine doppelte Beweisführung. Die eine wird durch die Ursache angetreten und die aus dem Grunde (propter quid) genannt: sie ge-schieht … aus dem Vorher (per priora). Die andere wird aus der Wirkungaufgebaut und heißt der Beweis aus dem Weil (Quia), er läuft aus dem, was das Vorher von uns aus gerechnet ist.“ (STh I q 2 a 2 co )

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Quinque Viae

• Allgemeine CharakteristikAnselm: propter quid-ArgumentationAus einer (begrifflich gegebenen & intellektuell nachvollziehbaren) Charakterisierung der essentia (des Wesens) Gottes wird das (in der Außenwelt gegebene) esse (die Existenz) geschlossen.Warum existiert Gott? Weil sonst Höheres gedacht werden könnte.

Page 220: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae

• Allgemeine CharakteristikThomas: quia-Argumentation- Auch wenn sich in der Wirklichkeit das Sein aus dem Wesen ergibt, erschließt sich für die Erkennt-nis ein Sein nur aus Wirkungen- Zurückweisung apriorischer Argumente und Aufbau aposteriorischer Wege – im Verweis auf Röm 1,20

Page 221: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae

• Allgemeine CharakteristikFür die Beweisbarkeit Gottes spricht, „was der Apostel Röm. 1,20 sagt: ‚Das Unsicht-bare an Gott wird klar gesehen, indem man es durch das erblickt, was gemacht ist.’ Aber das wäre nicht der Fall, wenn nicht durch das, was gemacht ist, bewiesen werden könnte, daß es einen Gott gibt.“ (STh I q. 2 a. 2)

Page 222: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae

• Allgemeine CharakteristikRicken hält u.a. drei Charakteristika fest:a) Jeder Weg „enthält eine empirische Prämisse. Es handelt sich also um aposteriorische Beweise.“b) „Die Fünf Wege sind deduktiveBeweise“c) „Die Konklusion nennt eine notwendigeBe-dingung für die zu erklärende empirische Tat-sache“ (Ricken, Religionsphilosophie,

Page 223: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Anselm Thomas

Ordnung ratio essendi ratiocognoscendi

Beweisart propter quid quia

Ansatzpunkt von der Ursache her

von den Wirk-ungen her

apriorisch aposteriorisch

Schlussrichtung

deduktiv deduktiv

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Quinque Viae: Der 1. Weg[Beobachtung] Es ist nämlich gewiss und steht durch das sinnliche Erkenntnisvermögen (sensu) fest, dass manches in dieser Welt sich bewegt/bewegt wird.[Gesetz 1] Alles aber, was in Bewegung ist, wird von einem anderen bewegt. …[Gesetz 2] Dabei kann man aber nicht ins Unendliche gehen, weil es dann kein Erstbewegendes gäbe und in-folge davon nichts, das sich durch ein anderes bewegte …[Schluss] Man muss also notwendigerweise zu einem Erstbewegenden gelangen, das von keinem anderen bewegt wird, und darunter verstehen alle Gott.

Page 225: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 1. Weg

• Der 1. Weg: ex parte motus- Beobachtung: Empirische Tatsache- Gesetz 1: Aristotelische Basis in Akt-Potenz-Modell – Dinge haben Potenzen, die aktualisiert werden könnenBeispiel Eiswürfel: Potenz zum Schmelzen. Dazu braucht es ein tatsächlich, nicht bloß potentiell brennendes Holz

Page 226: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 1. Weg

• Der 1. Weg: ex parte motus- Gesetz 2: Ein regressus ad infinitum ist nicht denkbar – die Bewegungskette kann nicht un-endlich sein, irgendwann muss sie begonnen haben.- Schluss: Es muss notwendig ein Erstbeweg-endes geben, das nicht von einem anderen be-wegt wird – und das nennt man Gott.

Page 227: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 1. Weg

• ex parte motusBeobachtung: Einige Dinge in der Welt sind bewegt.Gesetz 1: Alles, was bewegt wird, hat einen Beweger.Gesetz 2: Ein regressus ad infinitum ist ausgeschlossen.Schluss: Es muss einen letzten Beweg-er geben (und den nennt man Gott).

Page 228: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 2. Weg[Beobachtung] Wir finden nämlich im Sinnlich-Wahr-nehmbaren vor uns eine Reihe von Wirkursachen vor, [Gesetz 1] ohne freilich (was auch nicht möglich wäre) etwas zu finden, das die Wirkursache seiner selbst ist …[Gesetz 2] Nun ist es aber unmöglich, bei den eine Wirkung hervorbringenden Ursachen ins Unendliche zu gehen. … Denn geht man ins Unendliche mit den Wirkursachen, so gibt es nicht eine erste wirkende Ur-sache, und so sind weder eine letzte Wirkung da, noch Wirkursachen in der Mitte; es ist klar, dass das falsch ist. [Schluss] Es ist also notwendig irgendeine

Page 229: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 2. Weg

• ex ratione causae efficientisBeobachtung: Es gibt in der Welt eine Vielzahl von Wirkungen.Gesetz 1: Alle Wirkungen haben irgendwelche Ursachen.Gesetz 2: Ein regressus ad infinitum ist ausgeschlossen.Schluss: Es muss eine letzte Ursache geben (und die nennt man Gott).

Page 230: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 3. Weg[Beobachtung] Wir finden unter den Dingen etwas vor, dem es möglich ist, zu sein und nicht zu sein …[Gesetz 1a] Es ist aber bei allen derartigen Dingen unmöglich, immer zu sein, weil dasjenige, was die Möglichkeit des Nichtseins hat, auch einmal nicht ist. Wenn also alles in der Möglichkeit steht, nicht zu sein, so war irgendeinmal nichts an Dingen da. Wenn das aber wahr ist, so gäbe es auch heute nichts, weil das-jenige, was nicht ist, nur durch etwas, was da ist, zu sein beginnt. …

Page 231: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 3. Weg[Gesetz 1b] Es existieren also nicht alle Dinge bloß der Potenz nach, sondern irgendetwas muss notwendig existieren. …[Gesetz 2] Es ist aber nicht möglich, bis ins Unend-liche bei dem Notwendigen weiterzugehen …[Schluss] Also muss man etwas annehmen, das durch sich selbst notwendig ist, ohne die Ursache der Not-wendigkeit anderswoher zu haben, das vielmehr für die anderen die Ursache der Notwendigkeit ist: das nennen alle Gott.

Page 232: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 3. Weg

• Der 3. Weg: ex possibili et necessario- Hintergrund: Aristotel. Akt-Potenz-Schema- Beobachtung: Dinge, die nicht sein können, hören wirklich alle einmal auf zu sein – warum haben sie überhaupt zu sein begonnen?- Schluss: Es muss etwas geben, das ihre Seins-Potenz aktualisiert hat – und das selbst nicht kontingent, sondern notwendig

Page 233: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 3. Weg

• ex possibili et necessarioBeobachtung: Es gibt Kontingentes.Gesetz 1a: Kontingentes ist tatsächlich irgendwann einmal nichtGesetz 1b: Was andere Potenzen akt-ualisiert, muss selbst aktuell sein – und (ex negativo) notwendig.

Page 234: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 4. Weg[Beobachtung] Man findet nämlich in den Dingen etliches mehr oder weniger gut und wahr und edel[Gesetz] Aber Mehr und Weniger werden von Ver-schiedenem ausgesagt, je nachdem wie es sich unter-schiedlich jenem nähert, das das Entsprechende am meisten ist: etwas ist wärmer, je näher es an jenem dran ist, was am wärmsten ist.[Schluss] Es gibt also etwas, welches das Wahrste und Beste und das Adeligste und folglich das am meisten Seiende ist … Es gibt also etwas, das allen Seienden die Ursache des

Page 235: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 4. Weg

• Der 4. Weg: ex gradibus- Hintergrund: Idee, dass die Wirklichkeit an sich selbst Grade des Gut-Seins aufweist- Diese Grade sind keineInterpretationsleistung-en des Einzelnen, sondern objektiv in den Ding-en gegeben – sonst wäre der Beweis ganz in der Linie Anselms, der mit der Struktur des Geistes arbeitet

Page 236: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 4. Weg

• Ex gradibusBeobachtung: Es gibt in den Dingen Abstufungen von Gutsein.Gesetz: Grade orientieren sich immer an einem Vollkommenen, von dem die einzelnen Grade her kommenSchluss: Es muss ein letztes Vollkom-menes geben, von dem Grade des Gut-seins kommen

Page 237: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Quinque Viae: Der 5. Weg[Beobachtung] Wir sehen nämlich dass einiges, was keine Erkenntnis hat, nämlich die natürlichen Körper, zielgerichtet tätig ist; das geht daraus hervor, dass sie immer oder zumindest häufig in einer Weise aktiv sind, um das zu erreichen, was das Beste ist; daraus ist klar, dass sie nicht aus Zufall, sondern aus einer Absicht ab das Ziel gelangen.[Gesetz] Was aber keine Erkenntnis hat, strebt nicht zu einem Ziel – es sei denn, dass es von jemand/etwas ausgerichtet wird, der/das über Erkenntnis und Ver-nunft verfügt, gerade wie der Pfeil vom Schützen.[Schluss] Also gibt es Vernünftiges, von dem alle Naturdinge zu einem Ziele hingeordnet

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Quinque Viae: Der 5. Weg

• ex gubernatione rerumBeobachtung: Es gibt Ordnung auch im Bereich jener natürlichen Körper, die ohne Erkenntnis ausgestattet sind.Gesetz: Was geordnet ist, muss von jemandem geordnet sein.Schluss: Es muss eine letzte ordnende Instanz geben (und die nennt man Gott).

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ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

Page 240: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemverlagerung: Die Verwicklung des Außen Gottes in das Innen der Vernunft im Rahmen der „Gottesbeweise“ –mittelalterliche und frühneuzeitliche Verschiebungen

5. Descartes: ego cogito, ego sum

Page 241: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

René Descartes (1596-1650)

Page 242: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Biographie anhand von vier Phasen• Phase I (1596-1618): Schule und

Studium - 1596: Geburt in La Haye in Adelsfamilie- 1604: Eintritt in Eliteschule der Jesuiten in La Flèche – umfassende Ausbildung- 1612: Ende der Schulzeit, Studien in Paris u.a., Beginn der Freundschaft mit Marin Mersenne (Galilei-Experte!)

Page 243: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase II (1618-29): Fiebriges Suchen - 1618: Eintritt zum Militär in Holland, dann bei den kaiserlichen Truppen im 30-jährigen Krieg- 10.-11. Nov. 1619: Traumnacht in Ulm, die D.s Weg in der Philosophie bestimmen wird- 1628: Methodologisches Werk Regulae(unpubl.)- 1628/29: Wende: Die Idee einer

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Biographie

• Phase III (1629-41): Wege zum Ruhm- 1629: Umzug ins liberalere Holland- Naturwissenschaftliche Arbeiten, die aber dem Galilei-Schock von 1633 zum Opfer fallen- 1637: Discours de la méthode – damit gewinnt D. Ruhm in der philosophischen Welt- 1641: Meditationes de prima philosophia– grund-legendes, metaphysisches

Page 245: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase IV (1642-50): Verwaltung der Publicity- Kritik und Diskussion von D.‘s Ansatz, inkl. Probleme mit Kirchen (Atheismus-Vorwurf!)- 1644: Principia Philosophiae; Dispute und Brief-kontakte (u.a. auch mit adeligen Damen)-11. Feb. 1650: Tod in Schweden, wo er Königin Christine unterrichten sollte

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Biographie (Überblick)

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Biographie

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Zeitgeschichte

• Ereignisse des 16./17. Jahrhunderts- Französischer Horizont: 1572 Bartholo-mäus-Nacht (24. August) und 1589 Königskrön-ung des Konvertiten Heinrich IV (‚Paris ist eine Messe wert‘)- Ökonomischer Wandel: 1602 Gründung der Handelskompanie VOC als Aktiengesellschaft- Osmanen: 1606 Friede von Zsitvatorok

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Zeitgeschichte

• Ereignisse des 17. Jahrhunderts- Religionskonflikte: 1610 Ermordung Hein-richs IV – 1618 Prager Fenstersturz als Beginn des 30-jährigen Krieges- Hegemonialkonflikte: 1624 Card. Richelieu leitet die Politik, ab 1631 finanziert er Gustav II gegen die Habsburger (Vertrag von Bärwalde); dieser fällt 1632 in der Schlacht von Lützen

Page 250: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zeitgeschichte

• Ereignisse des 17. Jahrhunderts- Naturwissenschaft: 1633 Verfahren gegen Galilei (Heliozentrismus) in Rom- Religionskonflikte: 1648 Westfälischer Friede als Ende des 30-jähriges Krieges mit Schweden als Schutzmacht- Personale Religionspolitik: 1654 Bekehrung Christines von Schweden zur Katholikin

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Grundlegendes

• Scholastik als Spiegel der Religionskriege?- D. kennt die Scholastik als staatlich verordnete Methode – inkl. leer laufenden Disputationen, Machtkämpfen, kaum Zeitbezug und Initiative- D. sieht Zusammenhänge „zwischen der (scholast-ischen) Art des Philosophierens und den kriegerischen Auseinandersetzungen, wie die den M h äh d d D ißi jäh i

Page 252: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Grundlegendes

• Scholastik als Spiegel der Religionskriege?- Ulmer Träume 1619 interpretiert D. als Auf-trag zur Arbeit an einer neuen Philosophie bzw. Methodenlehre- Problem: Kritik an der Scholastik wird als Kri-tik an der Kirche interpretiert – und geahndet; allerdings sieht man tw. das (theologische) Pot-ential seiner neuen Methode (Card. Béroulle)

Page 253: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Grundlegendes

• Naturwissenschaften als Paradigma?- Seine naturwissenschaftl. Neigung macht klar, warum D. naturw. Methoden als beispielgebend sieht (vs. scholastische Disputation) und philo-sophischausarbeitet (Regulae 1628)- 1628/29 Wende: Naturwissenschaften arbeiten nicht jenseits der Metaphysik (eines umfassend-en Weltbilds) – daher braucht es vor der Natur-wissenschaft

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Page 254: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Grundlegendes

• Naturwissenschaften als Paradigma?- D. verfolgt ein Wissenschaftsideal letzter Sich-erheit, das „die Physikalisierung der Psychologie, die Geometrisierung der Physik und schließlich die Meta-physzierung der Geometrie“ erzwingt (Röd, 32)

Frage: Wie kommt man zu einer Metaphysik, die tragfähig ist? Antwort: Durch den Ansatz beim Subjekt!

Page 255: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Grundlegendes

• Das Subjekt als archimedischer Punkt?Metaphysischer Ansatzpunkt ist das Subjekt (vgl. Augustinus), das

a) de iure erkenntnistheoretisch die Einheit der Wissenschaften garantieren sollb) de facto auch ein politisches Moment hat – das Individuum und seine Erkenntnis kann nicht von Außen overruled werden

Page 256: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Regeln einer Erkenntnis moregeometricoNach den Träumen in Ulm beginnt D. an einer Grundlagentheorie regelgeleiteter Erkenntnis zu arbeiten (vgl. Regulae 1628, Discours 1637):

1) Regel der Evidenz „Die erste besagte, niemals eine Sache als wahr anzuerkennen, von der ich nicht evidentermaßen erkenne daß sie wahr ist

Page 257: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Regeln einer Erkenntnis moregeometrico2) Regel der Zerlegung „Die zweite, jedes Problem, das ich untersuchen würde, in so viele Teile zu teilen, wie es angeht und wie es nötig ist, um es leichter zu lösen.“3) Regel der Ordnung „Die dritte, in der gehörigen Ordnung zu denk-en, d.h. mit den einfachsten und am l i ht t d h h d Di

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Zweifel und Erkenntnis

• Regeln einer Erkenntnis moregeometrico4) Regel der vollständigen Synthese „Die letzte, überall so vollständige Aufzählung-en und so allgemeine Übersichten aufzustellen, daß ich versichert wäre, nichts zu vergessen.“(Discours, II, 7-10)

Die Regeln geben ohne metaphysische Verank-erung keine Sicherheit: Suche

Page 259: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Systematischer ZweifelStufe 1: Problematisierung des sinnlichen Erkennens„Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr gehalten habe, verdanke ich den Sinnen oder der Vermittlung der Sinne. Nun aber bin ich dahintergekommen, daßdiese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, denen niemals ganz zu trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben.“ (Med. I, 3)

Page 260: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 2: Skeptische Verschärfung durch Ein-führung des TraumproblemsWie oft kommt es vor, dass D. davon träumt, „dass ich hier bin, dass ich, mit meinem Rocke bekleidet, am Kamin sitze, während ich doch entkleidet im Bett liege! … Denke ich aufmerk-samer darüber nach, so sehe ich ganz klar, daßWachsein und Träumen niemals durch sichere Kennzeichen unterschieden werden können“ (M d I 5)

Page 261: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 3: Sicherheit durch Mathematik?D. gibt zu, dass Vorstellungen der Astronomie, Physik u.a. falsch sein könnten; aber er deutet mit der Mathematik eine Rettung an:

„Denn ich mag wachen oder schlafen, so sind doch stets 2 + 3 = 5, das Quadrat hat nie mehr als vier Seiten, und es scheint unmöglich daß so augenscheinliche

Page 262: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 4: Die Idee des deus malignusKönnte hier ein allmächtiger Gott die Sicherheit der Erkenntnisse garantieren? Nein – denn: „Woher weiß ich …, ob er nicht bewirkt hat, daß es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt und daß dennoch dies alles genau so, wie es mir jetzt vorkommt, bloß da zu sein

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Page 263: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 4: Die Idee des deus malignus„Ja sogar auch so, wie ich überzeugt bin, daß andere sich bisweilen irren, was sie vollkommen zu wissen meinen, ebenso könnte ich auch ich mich täuschen, sooft ich 2 und 3 addiere oder die Seiten des Quadrats zähle.“ (Med. I, 9)

Relativierung der Mathematik und so auch der Regulae, die nach mathematischem Beispiel kon-zipiert sind

Page 264: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 5: Das cogito-Subjekta) Entscheidender turn:Ich „habe mir eingeredet, daß es schlechterdings nichts in der Welt gibt: keinen Himmel, keine Erde, keine denkenden Wesen, keine Körper, also doch auch wohl mich selbst nicht? Keines-wegs; sicherlich war ich, wenn ich mir etwas eingeredet habe.Wende von Objekt- in

Page 265: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 5: Das cogito-Subjektb) Abwehr des deus malignus-Konstrukts:„Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, all-mächtigen und höchst verschlagenen Betrüger, der mich geflissentlich stets täuscht. – Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, daß ich bin. Er täusche mich, soviel er kann, niemals wird er doch fertigbringen, dass ich nichts bin, solange i h d k d ß i h t i

Page 266: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Stufe 5: Das cogito-Subjektc) Abschließendes Fazit:„Und so komme ich … schließlich zu der Feststellung, daß dieser Satz: ‚Ich bin, ich existiere’, sooft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist.“ (Med. II, 3)

Gewinnung eines letzten, sicheren und unbe-dingt gewissen Punktes (vgl. Augustinus)

Page 267: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis• Der Gedankengang im

Schnelldurchlauf„Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und es selbst als falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, daß es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; daß wir selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein

Page 268: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Zweifel und Erkenntnis

• Der Gedankengang im SchnelldurchlaufDemnach ist der Satz: Ich denke, also bin ich (ego cogito, ego sum) die allererste und gewisseste aller Er-kenntnisse, die sich jedem ordnungsgemäß Philo-sophierenden darbietet.“ (Princ. Phil. I, 7)

„Nicht mehr die (scheinbare) Ordnung der Natur oder des Kosmos … gibt die Richtigkeit des Denkens vor, vielmehr soll es jetzt um die

Page 269: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Funktion und Stellung des GottesbeweisesProblem: Wie ist der Weltkontakt des cogito-Subjekts denkbar?Ansatz: Gottes Existenz garantiert das Funkt-ionieren des eigenen Erkenntnisapparats: Ihr „kommt die Aufgabe zu, die ‚Wahrheitsfähigkeit’ des Menschen zu gewährleisten.“ (Prechtl, 91)

Bedingung: Gott ist bewiesen, wenn

Page 270: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Funktion und Stellung des GottesbeweisesWenn „der Bedeutungsgehalt irgendeiner meiner Vorstellungen so groß ist, daß ich dessen gewiß bin, daß … ich selbst nicht die Ursache dieser Vorstell-ung sein kann,so folgt daraus notwendig,daß ich nicht allein in der Welt bin, sondern daß noch irg-endeine andere Sache, welche die Ursache dieser Vorstellung ist, existiert.“(Med. III, 16)

Page 271: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Erster Versuch eines Beweises (Med. III)[Ansatz] Nach einem Ausschluss anderer Ideen „bleibt daher einzig die Vorstellung Gottes, bei der zu erwägen ist, ob sie etwas ist, das nicht aus mir selbst hervorgehen konnte. [Gottesbegriff] Unter dem Namen ‚Gott’ver-stehe ich eine Substanz, die unendlich, unab-hängig, allwissend und allmächtig ist und von der ich selbst geschaffen bin ebenso wie alles andere

Page 272: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

[Schluss] Dies alles ist nun in der Tat so vor-züglich, daß mir dessen Abstammung aus mir allein umso weniger möglich erscheint, je sorg-fältiger ich es betrachte. Man muß daher aus dem Zuvorgesagtenschließen, dass Gott notwendig existiert. Denn ich habe zwar eine Vorstellung von Substanz, eben weil ich ja selbst Substanz bin; dennoch wäre das deshalb noch nicht die Vorstellung einer unendlichen Substanz da ich endlich bin“

Page 273: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Zweiter Versuch eines Beweises (Med. V)[Ansatz] Wenn „einzig und allein daraus, daß ich die Vorstellung irgendeiner Sache meinem Denken entlehnen kann, folgt, daß alles, was ich klar und deutlich als zur Sache gehörig erfasse, tatsächlich ihr zugehört – sollte sich daraus nicht auch ein Beweisgrund für das Dasein Gottes entnehmen lassen?“

Page 274: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

[Parallelisierung zur Mathematik] „Zweifellos finde ich seine Vorstellung, d.h. die des höchst vollkommenen Wesens, ebenso gut bei mir vor, wie die Vorstellung einer beliebigen Figur oder Zahl. Auch sehe ich genauso klar und deutlich ein, daß es zu seiner Natur gehört, immer zu existieren … so müßte [nun] doch das Dasein Gottes für mich zum mindesten denselben Gewißheits-grad haben, den bisher mathematische Wahr-heiten auf

Page 275: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

[Schluss] D. schließt, „daß sich das Dasein vom Wesen Gottes ebenso wenig trennen läßt, wie vom Wesen des Dreiecks, daß die Größe seiner drei Winkel zwei rechte beträgt, oder von der Vorstellung des Berges die Vorstellung des Tal-es. Es widerspricht sich daher ebenso sehr, sich einen Gott, d.h. ein höchst vollkommenes Wesen zu denken, dem das Dasein fehlte, d.h. dem eine gewisse Voll-kommenheit fehlte als einen

Page 276: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

Page 277: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Bestandteile der ArgumenteElement 1: PositivitätZweifel ist nur sinnvoll im Bezug auf ein Ideal von Gewissheit – also nur im Bezug auf Voll-kommenes, das im Zweifel positiv angestrebt wird. Der Begriff eines Unendlichen ist daher nicht allein negativ gegeben.Fruchtbarmachung der Methode (Zweifel) in inhaltlicher Perspektive

Page 278: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Bestandteile der ArgumenteElement 2: EvidenzAlles, was man klar und deutlich als zu einer Sache gehörig erfasst, gehört auch wirklich zu ihr. In diesem Fall bedeutet das: Man erkennt clare et distincte, dass zu Vollkommenem auch dessen Existenz gehört, sonst wäre es nicht vollkommen.Einspielen der Erkenntnisregeln(Problem!)

Page 279: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Bestandteile der ArgumenteElement 3: Wirkursache In einer zureichenden Ursache muss mindestens soviel Gehalt liegen wie in der Wirkung (causa aequat effetcum, vgl. Billardkugel-Beispiel). In diesem Fall bedeutet das: Die Vorstellung eines Vollkommenem kann nur von Vollkomm-enem ‚angestiftet’ worden sein.Rekurs auf metaphysische Ü

Page 280: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Bestandteile der ArgumenteSchluss: Existenz GottesDie Vorstellung der Vollkommenheit kann nicht vom Subjekt selbst kommen –sondern nur von einem Vollkommenen; da die Vernunft (ganz wie bei mathematischen Gesetzen, Beweis II) klar und deutlich erkennt, dass zur Vollkomm-enheit auch Existenz gehört, muss dieses Voll-kommene auch wirklich existieren.

Page 281: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Kritik an Descartes‘ Beweisena) Kein Zugriff auf die Welt ohne sinnliches Element (vgl. Kritik an Anselm)b) Verwendung von Erkenntnisregeln bei Be-weis 2 für die Existenz Gottes, obwohl erst die Existenz deren Validität garantieren kannc) Parallelisierung mit mathematischer Gewiss-heit in Beweis 2 ist fragwürdig, da ein deus mali-gnus noch nicht

Page 282: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Der Gottesbeweis

• Folgen der Existenz Gottes- Gott (als Vollkommenheit schlechthin) kann gar kein täuschender Gott sein- Daher darf D. sicher sein, in seinen Erkennt-nisprozessen nicht dauernd getäuscht zu werden

Fazit: „Wir dürfen von der ‚veracitas Dei’als einer Basis für unsere eigenen Denkbemühung-en ausgehen.“ (Prechtl, 88)

Page 283: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses
Page 284: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Dualismus

• Folgeprobleme: DualismusGott garantiert, dass menschliches Erkennen prinzipiell funktioniert und wir nicht völlig an der Welt vorbei leben, aber:

Die strenge Unterscheidung in denkendes cogito und materielle Außenwelt führt zu einer klaren Zweiteilung in res cogitansund res extensa

Folge: Strenger Dualismus

Page 285: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Dualismus

• Folgeprobleme: DualismusPrechtl (100-101) identifiziert drei Probleme:a) Ist das ‚Wesen‘ des Menschen tatsächlich auf die res cogitansreduzierbar?b) Wie vertragen sich mechanistische und philo-sophische Beschreibung des Menschen – laufen die einfach nebeneinander her?c) Auf welche Weise kann Mentales den

Page 286: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Dualismus

• Folgeprobleme: DualismusMögliche religionsphilosophische Interpretation: Die Trennung der Wirklichkeit in zwei Bereiche betrifft Vernunft und Glaube – res cogitans und res extensa kommen sich nicht ins Gehege.

Wenn Galilei die Welt als res extensabeschreibt, dann betrifft das die res cogitansnicht unmittelbar – die beiden Beschreibungen

Page 287: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Dualismus

• Problem: Wie hängen res cogitans und res extensa zusammen?

Page 288: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Dualismus

• Konzept der späteren Occasionalisten: Gott synchronisiert Materielles und Mentales

Page 289: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

Page 290: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemkonzentration: Das Bewusstsein als Orts-bestimmung Gottes – idealistische Modelle im Umbruch des 19. Jahrhunderts

7. „…“: Immanuel Kant

Page 291: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Immanuel Kant (1724-1804)

Page 292: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Vorbemerkung nach Heinrich Heine„Ich glaube nicht, daß die große Uhr der dort-igen Kathedrale leidenschaftsloser und regel-mäßiger ihr äußeres Tagewerk vollbrachte wie ihr Landsmann Immanuel Kant. Aufstehn, Kaffeetrinken, Schreiben, Kollegienlesen, Essen, Spazierengehn, alles hatte seine bestimmte Zeit, und die Nachbarn wußten ganz genau, daß die Glocke halb vier sei, wenn Immanuel Kant

Page 293: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

in seinem grauen Leibrock, das spanische Röhr-chen in der Hand, aus seiner Haustüre trat und nach der kleinen Lindeallee wandelte … . Achtmal spazierte er dort auf und ab, in jeder Jahreszeit, und wenn das Wetter trübe war oder die grauen Wolken einen Regen verkündigten, sah man seinen Diener, den alten Lampe, ängst-lich besorgt hinter ihm drein wandeln, mit einem langen Regenschirm unter dem Arm, wie ein Bild der Vorsehung.“

Page 294: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Biographie in fünf Abschnitten• 1724-1746: Geburt, Ausbildung,

Studium- geb. am 22.4 in pietistischer Handwerksfamilie in Königsberg, das damals als Handels- und Provinzhauptstadt einen Aufstieg erlebt- Besuch des pietistischen Friedericanums, wo der Kollegiumsdirektor seine Begabung entdeckt

Page 295: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 1746-1761: Hauslehrer und Privatdozent- ab 1746 Hauslehrer bei adeligen Familien und erste kleinere Veröffentlichungen- 1755 Mag. Phil. – K. liest als Privatdozent tw. mehr als 20 Wochenstunden an der Universität, wobei die inhaltlich VLs breit gefächert sind- K. ist in den Königsberger Salons als

Page 296: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 1761-1781: Konsolidierte Karriere- 1761 Publikationen, die ersten Ruhm bedeuten- 1766 1. bezahltes Amt als Bibliothekar- 1770 Professor für Logik und Metaphysik; die Dissertation, die er zum Antritt schreibt, will er später um ‚einige Bögen‘ erweitern, um die Möglichkeit von Metaphysik zu reflektieren – das Projekt dauert mehr als ein Jahrzehnt

Page 297: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 1781-1794: Kritische Zumutungen- 1781 erscheint nach 4-5 Monaten Niederschrift die KrV – zuerst ohne nennenswerte Reaktion- Fruchtbare Phase: 1787 2. Auflage KrV, 1788 KpV, 1790 KdU- 1794 Religionsschrift, die K. in Konflikt mit der Zensur bringt – K. reagiert scharf und stellt seine Arbeiten in diesem Bereich vorerst ein

Page 298: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• 1795-1804: Das Alterswerk- Altersthemen: Zum ewigen Frieden (1795), Streit der Fakultäten (1798), Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798)- 1799 zusehends körperlicher Verfall, aber Idee einer Neubearbeitung seines Ansatzes: Das ‚A priori‘ ist näher ans Empirische heranzuführen- K. stirbt am 12. Feb. 1804 in Königsberg

Page 299: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Page 300: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Metaphysik als Wissenschaft?„Alles Interesse meiner Vernunft (das spekul-ative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“ (B 833-834 / A 805-806)

Die 1. Frage treibt K. anfangs v.a. um: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?

Page 301: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Metaphysik als Wissenschaft?Problem: Meta-Physik denkt über etwas nach, was jenseits der Physik (der Natur und ihrer Ge-setze) ist

Religionsphilosophische Relevanz: Die Gott-esfrage ist ein klassisches metaphysisches Thema – ist aber Metaphysik irrational, ist auch die Reli-gionsphilosophie ‚entschieden‘.

Page 302: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Metaphysik als Wissenschaft?Analyse: „Nach Kant liegt der Geburtsfehler der Metaphysik darin, daßsie sich nie über die ihre eigenen Wissensmöglichkeiten verständigt hat. Die Kritik der reinen Vernunft will diese Selbstver-ständigung der Metaphysik sein.“ (Grodin, 18)

Reaktion: Prüfung (= Kritik) der eigenen Erkenntnismöglichkeiten

Page 303: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Horizont der ProblemsK. hat zwei große Traditionen vor sich:a) Rationalismus: Wirklichkeit ist vom Denken her zu begreifen – es gibt letzte, absolute, aus sich selbst sichere Denkprinzipien dafürb) Empirismus: Wirklichkeit ist von Fakten und Erfahrungen her aufzuschlüsseln – auch Denkprinzipien sind empirisch verursacht

Page 304: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Horizont der ProblemsK. studiert rationalistisch (Wolff), wird aber von Ideen David Humes aus seinem „dogmatischen Schlummer“ geweckt

Exkurs Humea) Idee der tabula rasa (Locke): Der Mensch ist eine leere Tafel, auf die die Erfahrung (und nur sie) seit Beginn des Wahrnehmens schreibt

Page 305: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Horizont der Problemsb) Unmittelbare Eindrücke (impressions) werd-en zu einfachen Vorstellungen (ideas) und diese durch imagination zu komplexen Vorstellungen (vs. angeborene Ideen)c) Die Verbindung von Vorstellungen geschieht durch Assoziationen (Kausalität bspw. ist nicht an Dingen erkennbar, sondern wird assoziiert)

Page 306: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Horizont der ProblemsK. nimmt die Pointe des Empirismus auf (Wert der sinnlichen Erfahrung im Erkenntnisprozess), muss aber jetzt die Möglichkeit von Metaphysik (die eben über die sinnliche Erfahrung hinaus-geht) neu reflektieren

Zuspitzung auf konkrete Frage: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?

Page 307: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Die konkrete FrageBeispielssatz: Alle Salzburger Rosenblüten tragen genau 35 Blätter. Zwei Qualifikationen:a) Die Erkenntnis ist aposteriorisch, d.h. sie ist aus dem Nachhinein (= Erfahrung) gewonnen – nicht apriorisch, d.h. aus dem Vornherein, wie etwa die Erkenntnis, dass ein Kreis rund ist.

Page 308: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Die konkrete Frage b) Die Erkenntnis ist synthetisch, d.h. sie stellt einen echten Erkenntniszuwachs dar, weil sie dem Subjekt ‚Sbg. Rosenblüten‘das neue Prä-dikat ‚35-blättrig‘ zuspricht –nicht analytisch, wo nur eine Erläuterung statt-findet: Bei ‚Der Kreis ist rund‘ ist das Prädikat ‚Rund sein‘ schon im Subjekt ‚kreis‘ enthalten

Page 309: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

analytisch (Erläuterungs-urteil)

synthetisch (Erweiterungs-urteil)

aposteriorisch(erfahrungs-bezogen)

(nicht möglich) Sbg. Blütenblätt-ersind 35-blättrig

apriorisch(erfahrungs-unabhängig)

Der Kreis ist rund.

Kants Frage

Page 310: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Die konkrete FrageIdee: Wenn synthetische Urteile a priori mög-lich sind, i.e. echte Wissenszuwächse ohne Be-zug auf die Erfahrung, dann ist auch Metaphysik nicht von vornherein unmöglich

a) Sind solche Urteile möglich?b) Wie sind solche Urteile möglich?

Page 311: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Die konkrete FrageK. beantwortet die Frage positiv – denn (u.a.):

5 + 7 = 12

„12“ ist nicht aus den einzelnen Teilen „5“und „7“ ableitbar (d.h. nicht analytisch), sondern ist ein echter Erkenntniszuwachs ohne Erfahrungs-bezug = Nachweis des Dass

Page 312: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

analytisch (Erläuterungs-urteil)

synthetisch (Erweiterungs-urteil)

aposteriorisch(erfahrungs-bezogen)

(nicht möglich) Sbg. Blütenblätt-ersind 35-blättrig

apriorisch(erfahrungs-unabhängig)

Der Kreis ist rund.

5 + 7 = 12

Page 313: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Die konkrete FrageDas ‚Dass‘ ist geklärt – das ‚Wie‘ bleibt dreifach:

Transzendentale Ästhetik

Wie ist reine Ma-thematikmöglich?

Bsp. 5 + 7 = 12

Transzendentale Analytik

Wie ist reine Physik möglich?

Bsp. Erhaltung der Materie

Transzendentale Dialektik

Wie ist Meta-physik möglich?

Bsp. Die Seele ist unsterblich

Page 314: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Probleme mit den EmpiristenDer Anspruch auf objektive Erkenntnis „wird durch die Skeptiker von der Antike bis zu David Hume als unberechtigt zurückgewiesen; sie be-haupten, eine objektive: allgemeine und not-wendige, Erkenntnis gebe es nicht [genau das qualifiziert apriorische Urteile nach Kant].“(Höffe, 69)

Page 315: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Probleme mit den EmpiristenK. hält die Idee bloßer Assoziation auf Basis von Gewohnheit für ‚Schwärmerei‘ –5 und 7 ergibt nicht aus Gewohnheit 12

„Nun zeigt es sich, … daß selbst unter unsere Er-fahrungen sich Erkenntnisse mengen, die ihren Ursprung a priori haben müssen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unseren Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen.

Page 316: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

Denn, wenn man aus den ersteren auch alles wegschafft, was den Sinnen angehört, so bleiben dennoch gewisse ursprüngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urteile über, die gänzlich a priori, unabhängig von der Erfahrung entstanden sein müssen, weil sie machen, daß man von den Gegenständen, die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kann, wenigstens es sagen zu können glaubt als bloße

Page 317: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Probleme mit den EmpiristenBeispiel: Ball, der ins Tor kullertSinnliche Wahrnehmung von Farben, Formen u.a., die die Sinne aber überschreitet – denn: Zeit und Raum bspw. sind nichts, was man am Ballkullern selbst wahrnehmen kann – daher:können sie auch nicht aus Gewohnheit (= regel-mäßiger Erfahrung) geschlossen

Page 318: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Transzendentale UntersuchungenKopernikanische Wende „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Ver-suche, über sie [= die Gegenstände] a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte.

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Rahmenbestimmungen

• Transzendentale UntersuchungenKopernikanische Wende „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Ver-suche, über sie [= die Gegenstände] a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte.

Page 320: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Transzendentale UntersuchungenMan versuche es daher einmal, ob wir nicht … besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegen-stände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll.“ (KrV B XV)

Page 321: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Rahmenbestimmungen

• Transzendentale UntersuchungenDer Beispielssatz „5 + 7 = 12“ ist nicht deshalb allgemein gültig, weil er etwas Wahres über die Dinge an sich aussagt,sondern weil er etwas über unsere Anschauungs- und Denkformen sagt – das ‚Ding an sich‘ ist zwar sehr wohl anzunehmen, aber nicht erkennbar= Nachweis des Wie

Page 322: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesfrage als metaphysisches Problem„Die Frage, welche die Philosophie an die Reli-gion stellt, wurde … von Hume und Kant ge-stellt: Welches Verhältnis besteht zwischen Reli-gion und Vernunft? Welche Grundlage … hat die Religion in der Vernunft?“ (Ricken, 15)

Frage wird in der ‚Transzendentalen Dialektik‘ im Blick auf die reine Vernunft

Page 323: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesfrage als metaphysisches ProblemKlassische Thesen der zeitgenössischen Meta-physik Kants:

a) Ich habe eine unsterbliche Seele. b) Die Welt ist räumlich und zeitlich unendlich. c) Gott existiert.

Frage: Wie sind diese Thesen rein erkenntnis-theoretisch einzuschätzen?

Page 324: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesfrage als metaphysisches ProblemK. problematisiert alle drei, weil das sinnliche Element fehlt, das für ihn zentral ist:„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung b i fü ) l i A h

Page 325: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesfrage als metaphysisches ProblemProblem: Erkenntnis braucht notwendig zwei Stämme, nämlich Verstandesbegriffe und sinn-liche Wahrnehmung Nota: Verweise auf mathematische Wahrheiten gehen fehl, da „5+7=12“ keine Aussage über die Wirklichkeit ‚da draußen‘macht, sondern über eigene Denkformen – in der Gottesfrage geht es aber um eine

ht E i t d d ß ‘!

Page 326: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesfrage als metaphysisches ProblemHinsichtlich Gott fehlt das sinnliche Element, auch wenn er ‚vernünftig‘denkbar ist:„Der springende Punkt … liegt in der Einsicht, daß die Vernunft das Unbedingte zwar denken, aber nicht erkennen kann.“(Höffe, 136)

Die beiden Merkmale erzeugen

Page 327: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IDer ontologische GottesbeweisAufbau: vgl. Anselm bzw. DescartesKritik: „Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen.“ (KrV A600)

Fazit: Sinnliches Element fehlt zur Erkenntnis

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Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIDer kosmologische GottesbeweisAufbau: vgl. Thomas‘ Wege 1-3

Kritik: „Da befindet sich denn z.B. I) der trans-zendentale Grundsatz, vom Zufälligen auf eine Ursache zu schließen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung ist, außerhalb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat.“ (B 637 / A 609)

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Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIKritikpunkt 1: Das Problem der ÜbertragungMan überträgt das Schema von Ursachen und Wirkungen, das man nur im Bereich der Sinnen-welt kennt, ungebrochen auf das Unsichtbare und Transzendente.Das ist eine Einebnung des Transzendenten in die Kausalketten des Immanenten.

Page 330: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik II„Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewig-keit, außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn?“ (B 641 / A 613)

Page 331: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIKritikpunkt 2: Das Problem des EndesMan kann anzweifeln, dass eine letzte Ursache nicht auch sich selbst problematisieren kann – sie selbst könnte weiterfragen und so das Pro-blem weiter verweisenDie Setzung der Illegimität eines regressus ad infinitum ist nicht objektiv möglich.

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Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik II„Das Kunststück des kosmologischen Beweises zielet bloß darauf ab, um dem Beweise des Da-seins einen notwendigen Wesens a priori durch bloße Begriffe auszuweichen, der ontologisch geführt werden müßte, wozu wir uns aber gänz-lich unvermögend fühlen.“ (B 638 / A 610)

Page 333: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIKritikpunkt 3: Das Problem der OntologieDe facto erschließt man auch hier rein denkerisch eine letzte Ursache, von der man schließt, dass sie tatsächlich existieren mussDer kosmologische Beweis ist eigentlich ein getarnter ontologischer Beweis und mit den gleichen Mitteln als unhaltbar zu kritisieren

Page 334: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIIc) Der physikotheologischeGottesbeweisAufbau: vgl. Thomas‘ Weg 5

Kritik: „Die Vernunft würde es bei sich selbst nicht verantworten können, wenn sie von der Kausalität, die sie kennt, zu dunkeln und uner-weislichenErklärungsgründen, die sie nicht kennt, üb h ü d

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Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIIDer Beweis könnte also höchstens einen Welt-baumeister …, aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, dartun“ (B 654f. / A 626f.)

Kritikpunkt 1: Das Problem der ÜbertragungNimmt man den Schluss einen Weltordner so ernst, wie er dasteht, ist Gott nur B i t i ht t ihil di

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Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik III„Der Schluss gehet also von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden Ordnung und Zweckmäßigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung, auf das Dasein einer ihr proportio-nierten Ursache. … Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den empirischen Weg ganz und gar unmöglich.“ (B 655ff. / A 627ff.)

Page 337: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIIKritikpunkt 2: Das Problem der ProportionenDer Schluss geht von einem kleinen, endlichen Bereich (der als geordnet wahrgenommen wird) auf einen unendlichen, absoluten Ordner über.Der Schluss ist deduktiv nicht haltbar, sondern bestenfalls ein Wahrscheinlichkeitsschluss – als solcher

Page 338: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik III„[Da die Totalität empirisch nicht erreichbar ist, ändert sich im Beweisverlauf die Strategie – man geht plötzlich nicht mehr von der Geordnetheit aus, sondern vom bloßen, zufälligen Faktum der Existenz, d.h. der Beweis wird kosmologisch.] Von dieser Zufälligkeit allein geht man nun [im Stile des ontologischen Beweises] … zum Da-seindes Schlechthinnotwendigen “ (B 657 / A 629)

Page 339: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Gottesbeweise in der Einzelkritik IIIKritikpunkt 3: Das Problem der OntologieDe facto erschließt man auch hier rein denkerisch einen letzten Ordner, von dem man schließt, dass er tatsächlich existieren mussDer physikotheologische Beweis ist eigentlich ein getarnter ontologischer Beweis und mit den gleichen Mitteln als unhaltbar zu kritisieren

Page 340: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Funktion des Gottesbegriffs„Der springende Punkt … liegt in der Einsicht, daß die Vernunft das Unbedingte zwar denken, aber nicht erkennen kann.“(Höffe, 136)

Es ist also möglich, den Begriff Gottes zu bilden – und für K. sogar notwendig. In diesem Gedanken zeigt sich eine neue Funktion des Gottesbegriffs:

Page 341: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Funktion des Gottesbegriffs„Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, anzu-nehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklär-ungsgründe, welche sie sucht, zu erleichtern. Allein, sich so viel herauszunehmen, daß man so gar sage: ‚ein solches Wesens existiert notwendig, ist nicht mehr die bescheidende Äußerung einer erlaubt-en Hypothese sondern die

Page 342: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Funktion des GottesbegriffsDer Gottesbegriff wird vom Analyseobjekt zum regulativen Ideal der Vernunft:

„Das Ideal der Vernunft ist … nichts anders, als ein regulatives Prinzip der Vernunft, alle Verbind-ung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgenugsamen notwendigen Ursache entspränge, … nicht eine Behauptung einer an sich notwend-igen Existenz.“ (B 647

Page 343: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Funktion des GottesbegriffsHöffe fasst die Umstellung folgend zusammen:„Gott verliert zwar die Bedeutung eines objekt-iven Gegenstandes, bleibt aber die Totalität aller möglichen Prädikate ... [Diese] Idee der Totalität … ist nicht nur wider-spruchsfrei denkbar; sie ist für die Vernunft so-gar notwendig. Denn die Vernunft sucht die abso-luteV ll tä di k it d E k t i

Page 344: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Gott und die reine Vernunft

• Die Funktion des Gottesbegriffs… Das Vernunftinteresse an vollständiger Erkenntnis setzt deshalb den Inbegriff und Ursprung aller möglichen Prädikate voraus. Das ist die Idee eines schlecht-hinvollkommenen und allerrealsten Wesens, die Kant als transzendentales Ideal bezeichnet.“ (Höffe, 155)

Fazit: Gott als regulatives Ideal der Vernunft

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Die Denkbarkeit Gottes

• Die Gottesfrage bleibt präsentDie Beantwortung der 1. Frage ‚Was kann ich wissen?‘ hat gezeigt, dass Gottes Existenz nicht gewusst werden kann – sie übersteigt mensch-licheErkenntnismöglichkeiten.

Bei den Fragen ‚Was soll ich tun?‘ und ‚Was darf ich hoffen?‘ spielt sie allerdings noch eine Rolle, wie Heine spöttisch kommentiert:

Page 346: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

„Immanuel Kant hat bis hier den unerbittlichen Philosophen tragiert, er hat den Himmel ge-stürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es gibt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vater-güte, keine jenseitige Belohnung für die dies-seitige Enthaltsamkeit, die Unsterblichkeit der Seele liegt in den letzten Zügen – das röchelt, das stöhnt –und der alte Lampe steht dabei mit seinem

Page 347: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

als betrübter Zuschauer und Angstschweiß und Tränen rinnen ihm vom Gesichte. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, dass er nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: ‚Der alte Lampe muss einen Gott haben, sonst kann der arme Mann nicht glücklich sein – der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein – das sagt die praktische Vernunft – meinetwegen – so mag auch

Page 348: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Das Problem im Vernunftmodell„Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehr-furcht, je öfter und anhaltender sich das Nach-denken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

K. kennt eine zweifache Vernunft: die theoret-ische, die (zB am Himmel) Kausalketten erkennt und die praktische,

Page 349: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Das Problem im VernunftmodellProblem: Die theoretische Vernunft sieht über-all Naturgesetze und Kausalketten, die prakt-ische Vernunft hingegen sieht sich als freies moralisches Subjekt

Konsequenz: Der Mensch ist nach K. ‚Bürger zweier Welten‘ – was Probleme erzeugt:

Page 350: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Das Problem im VernunftmodellFrage: Wie gehen die beiden zusammen?

Entweder ist alles kausal geregelt oder es gibt Freiheit.

Beides zusammen ist nicht einfach denkbar.

Antwortversuch: Einfügung der Frage nach der Hoffnung, die dieses Problem abdecken soll

Page 351: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Das Problem im VernunftmodellIdee: „Wir müssen voraussetzen [!], dass es irg-endeine Art oder irgendeinen Grad der wechsel-seitigen Zusammenstimmung von Natur und Freiheit gibt, der uns eine Form der Zukunft garantiert, in der wir handeln können und in der das Ziel moralischen Handelns nicht absurd erscheint: es muss möglich sein, die moralische Absicht in die Welt einzufügen “ (O‘N ill 101)

Page 352: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Das Problem im VernunftmodellDiese Antwort zielt nicht einfach auf a) Wissen (wir können nicht wissen, ob Freiheit und Natur letztlich irgendwie zusammengehen) oder

b) Wollen (Harmonie zwischen Natur und Frei-heit zu wollen, reicht nicht für deren Existenz),sondern arbeitet mit dem Hoffen

Page 353: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Das Problem im VernunftmodellEs geht um die in jeder Handlung realisierte Hoffnung, dass die beiden epistemologischen Ordnungen (der reinen und der praktischen Ver-nunft) ontologisch aufeinander abgestimmt sind.

Diese Hoffnung ist formal, weil sie nur einen formalen Inhalt (Harmonie) aufweist.

Page 354: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: SeeleDie praktische Vernunft ist der Forderung des Sittengesetzes unterworfen. Dieses verlangt, „die eigene Vollkommenheit und die fremde Glück-seligkeit zum Zweck zu machen.“ (Ricken, 204)

Hier zeigt sich in der Sinnenwelt ein Problem: Die Absolutheit der Forderung kollidiert mit der Bedingtheit menschlicher Existenz.

Page 355: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: Seele„Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Voll-kommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnen-welt, in keinem Zeitpunkte seines Daseins, fähig ist. Da sie indessen gleichwohl als praktisch not-wendig gefodert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus ange troffen werden“ (K V A

Page 356: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: SeeleAnnahme: Die absolute Forderung des Sitten-gesetzes muss real erfüllbar sein, sonst verliert sie jeden Sinn.Faktum: Die Erfüllung ist in einem mensch-lichen Leben nicht erreichbar.Schluss: Daher ist die Unsterblichkeit der Seele zu postulieren (vs. bewiesen o.ä.)

Page 357: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: GottDie Sittlichkeit selbst fordert die Möglichkeit ihrer Umsetzung: „Ist also das höchste Gut [i.e. die Befolgung des Gesetzes durch jedermann in dieser Welt] nach praktischen Regeln unmöglich, so muß auch das moralische Gesetz, welches gebietet, dasselbe zu befördern an sich falsch sein“ (KpV A 5, 114)

Solche Falschheit ist für K. hl

Page 358: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: GottNiemand kann sittlich wollen, das jemand, „der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht teilhaftig“ ist (KpV A 199)

Die prakt. Vernunft fordert, dass dem Menschen „Glück nur solange auf eine sittlich gerechtfertigte Weise vorenthalten werden kann, wie dieser sich noch nicht, durch vollkommene Erfüllung des

Page 359: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: Gotta) Das moralische Gesetz fordert die mögliche Umsetzung seiner selbst.b) Das Problem, dass das auf Erden de facto nicht passiert, führt zum Postulat der Seele.c) Vollkommene Sittlichkeit fordert zugleich aus moralischen Gründen Glückseligkeit.Problem: Wer garantiert diese?

Page 360: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: GottHier kommt Gott ins Spiel: ein Wesen, „das in die Herzen der Menschen sehen, also ihre mor-alische Würdigkeit zuverlässig feststellen kann, das sich das höchste Ziel moralischen Strebens selbst zueigen macht, und das die Welt so lenken kann, daß Tugend und Glück übereinstimmen … . Es muß also ein solches Wesen geben, und das nennen wir Gott“ ( K t h 198)

Page 361: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnung: GottGottes Existenz ist damit kein Gegenstand des Wissens, sondern des Hoffens, aber diese Hoff-nung folgt für K. konsequent aus der Moralität:Das Postulat der Existenz Gottes hat nach O. Höffe vier Voraussetzungen:a) Der moralische Mensch verdient es, glücklich zu sein

Page 362: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Die Denkbarkeit Gottes

• Der Inhalt der Hoffnungb) Moralität allein verbürgt keine proportionale Glückseligkeit, fordert eine solche aberc) Deshalb führt Moralität zur Hoffnung auf eine Macht, die den Konnex verbürgtd) Das fragliche Wesen muss allwissend, all-mächtig und heilig sein, damit es seine Aufgaben adäquat erfüllen kann = Gott(Höffe, 251)

Page 363: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

Page 364: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemkonzentration: Das Bewusstsein als Orts-bestimmung Gottes – idealistische Modelle im Umbruch des 19. Jahrhunderts

7. „Die Identität der Identität und Nicht-Identität“: Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Page 365: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

G.W.F. Hegel (1770-1831)

Page 366: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Biographie anhand von fünf Stationen• Phase I (1770-93): Herkunft und

Studium- Geburt in Stuttgarter Beamtenfamilie - Studium am Tübinger Stift (mit Hölderlin und Schelling), das streng geführt, aber intellektuell anregend ist- Begeisterung für zwei ‚Revolutionen‘: Kants krit. Philosophie und Französische Revolution

Page 367: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase II (1793-1800): Hauslehrer- ab 1793 Hauslehrer in Bern in liberal gesinnter Parizierfamilie (republikanische Periode Hegels), zugleich aber isoliert- ab 1797 Hauslehrer in Frankfurt – H. wird ‚wieder etwas mehr der Welt gleich‘, erlebt aber zugleich einen (tw. krisenhaften) Umbruch sein-er philosophischen Grundüberzeugungen

Page 368: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase III (1800-07): Universitäres- 1801 Habilitation in Jena und Privatdozent auf Vermittlung Goethes; rege Vorlesungstätigkeit- Hg. ‚Kritisches Journal der Philosophie’(mit Schelling); Publikation der ‚Differenz-Schrift‘- 13.10.1806: Napoleon-Erlebnis – H. sieht N. als den ‚Weltgeist zu Pferde‘ in Jena einreiten

Page 369: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase IV (1807-1816): Journalist und Rektor- 1807-08 Redakteur der Bamberger Zeitung wg. finanzieller Schwierigkeiten und Probleme nach Napoleons Sieg- 1808-16 Rektor am Nürnberger Aegydiengym-nasium, zugleich 1811 Heirat (einer 20-Jährigen)- H. gilt als gutmütiger Lehrer – seine Logik-Stunden werden tw. später publiziert

Page 370: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

• Phase V (1816-1831): Professorale Existenz- 1816 3 Berufungen, H. geht nach Heidelberg- 1818 Ruf nach Berlin, wo er rasch Einfluss und große Macht an der Universität gewinnt- 1820 ‚Grundlinien der Philosophie des Rechts’ mit Vorrede: Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das

Page 371: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie (Überblick)

Page 372: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Biographie

Page 373: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Kantische Problemüberhänge 1„Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehr-furcht, je öfter und anhaltender sich das Nach-denken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

K. kennt eine zweifache Vernunft: die theoret-ische und die praktische

Page 374: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Kantische Problemüberhänge 1Problem: Die theoretische Vernunft sieht über-all Kausalketten – die praktische Vernunft sieht sich als freies moralisches Subjekt

Frage: Wie gehen die beiden zusammen? Entweder ist alles kausal geregelt oder es gibt Freiheit. Beides zusammen ist nicht einfach denkbar.

Page 375: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Kantische Problemüberhänge 2 - Nach Kant gibt es ein ‚Ding an sich‘, das wir zwar nicht erkennen können, aber auf das wir uns in unserem Erkennen beziehen- Man muss nach Kant so etwas wie einen der Erkenntnis „korrespondierenden, mithin auch davon unterschiedenen Gegenstand“ annehmen (KrV A 104).

Page 376: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Kantische Problemüberhänge 2Problem: Das ‚Ding an sich‘ ist unerkennbar, aber dennoch muss ihm eine zentrale Rolle im Erkennen zugesprochen werden.

Frage: Wie geht beides zusammen? Entweder der menschliche Erkenntnisapparat gibt die Bedingungen der Erkenntnis vor oder diese sind von ‚außen‘ diktiert.

Page 377: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Frage: Wie bindet man den epistemologischen Dualismus Kants wieder zusammen?- Idee: Jede Erkenntnis muss irgendwo ‚ankom-men‘ – dort ist Einheit in der Dualität theoret-ischer und praktischer Erkenntnisse zu finden. - Perspektive: Der ‚Ort‘, der Einheit garantiert, ist das Selbstbewusstsein.

Page 378: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Kant hat die Idee des Selbstbewusstseins eher defensiv entwickelt, die Deutschen Idealisten benutzen sie offensiv-begründend- Das Selbstbewusstsein ist eine Erkenntnis sui generis, die mit nichts zu vergleichen ist - Es funktioniert los-gelöst (!) von Einzelerkennt-nissen = Einfügung der Idee

Page 379: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Frage: Wie kann das ‚Ding an sich‘ eine solche Rolle für das Erkennen/Bewusstsein spielen?- Idee: „Ein Begriff des Bewußtseins, der wie bei Descartes allem Gegenständlichen bloß gegen-übergestellt und so als eine Wissensgrundlage ausgegeben wird, hat [nach H.] in einer wahren Philosophie keinen Bestand; ihm kann keine Wahrheit

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Page 380: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Nach Kant gibt es, so H., Dinge ‚an sich‘und ‚für sich‘ (im Bezug auf Erkennende)- H. hält fest: Nicht nur das ‚Für-sich‘bezieht sich auf das Bewusstsein, sondern letztlich auch das ‚An-sich‘, d.h. Ansich-Sein und Fürsich-Sein fallen ins Bewusstsein - Etwas ist nur ‚an sich‘ für ein Bewusstsein

Page 381: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze Die Frage, warum sich Geist überhaupt auf ‚Materie‘ bezieht, ist damit obsolet:Letztlich fällt die gesamte Wirklichkeit ins Bewusstsein – aus rein spekulativen Gründ-en kann es kein ‚Ding an sich‘ gebenGeist/Bewusstsein ist damit letzte und einzige Instanz der Wirklichkeit

Page 382: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze Die zweite Argumentation gegen das ‚Ding an sich‘ geht von der Idee der Autonomie aus (cf. Französische Revolution!):In der Lesart der Idealisten entsteht durch das ‚Ding an sich‘ das Problem, „daß die Idee eines von außen bestimmbaren Ich mit seiner Freiheit unvereinbar sei“(Schnädelbach, 33)

Page 383: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze Problem: Autonomie ist wie eine Schwanger-schaft – es gibt sie nur ganz oder gar nicht:

Entweder das ‚Ding an sich‘ diktiert dem Be-wusstsein Bedingungen seiner Erkenntnisoder der Mensch ist autonom

In dieser Frage ist keine Vermittlung

Page 384: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Antwort: Autonomie ist ein Grunderfahrung und hat axiomatischen Charakter – sie diktiert letztlich auch das An-sich des ‚Ding an sich‘- Die Entscheidung für die Autonomie ist theo-retisch nicht mehr völlig begründbar, wie auch die Dt. Idealisten wissen: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was für ein Mensch

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Page 385: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Entscheidender Schritt in der Systemarchitek-tur: Ablösung des Bewusstseins vom Einzelnen:

Das Selbstbewusstsein und seine absolute Stru-ktur ist nicht zufälliges Epiphänomen einer end-lichen Existenz, sondern diese kann umgekehrt nur als Erscheinung eines absoluten Be-wusstseins/Geists begriffen werden

Page 386: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze - Geist ist nichts Willkürliches, das ein Subjekt besitzt, sondern objektive und letzte Wirklich-keit, an der der Einzelne Anteil hat- Die Struktur, die im Selbstbewusstsein tätig ist, ist kein Phänomen unter anderen, sondern die Grundstruktur der Wirklichkeit (cf. das An-Sich der Wirklichkeit ist letztlich ein Für-Sich!)

Page 387: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Phänomenologie des Geistes

Page 388: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Phänomenologie des GeistesZu den Themen des subjektiven Geistes

Page 389: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Phänomenologie des GeistesZu den Themen des objektiven Geistes

Page 390: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Phänomenologie des GeistesZu den Themen des absoluten Geistes

Page 391: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Ausgangspunkte

• Idealistische Lösungsansätze Merkmale des idealistischen Systems:a) Bewusstsein (Ausgangspunkt der Wirklichkeit und Letztinstanz der Wirklichkeit)b) Autonomie (Grunderfahrung und Kriterium, an dem Ideen praktisch bewertet werden)c) Absolutheit (Struktur des Bewusstseins als Erkenntnis sui generis)

Page 392: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Die Kategorie der Geschichte- These: H. entwickelt die These, dass das ab-solute Bewusstsein in der Geschichte (im end-lichen Bewusstsein) sich seiner selbst bewusst wird - Idee: Es gibt eine Geschichte des Bewusstseins- Frage: Wie kommt H. (abgesehen von damit verbundenen Problemen) auf die Idee einer solchen Geschichte?

Page 393: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Die Kategorie der GeschichteHintergrund 1: Der Druck der EreignisseH. denkt und schreibt unter dem Eindruck der Ereignisse in Frankreich: Was dort passiert, ist kein Zufall, sondern hier zeigt sich für ihn eine als ‚geistig‘wahrgenomm-ene Notwendigkeit im Lauf der Welt

Page 394: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Die Kategorie der Geschichte„Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Über-gangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist [!] hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen, und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestalt-ung.“ (PhG, Vorrede, 14)

Page 395: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Die Kategorie der GeschichteHintergrund 2: Systeminterne GründeFichte reflektiert das Selbstbewusstsein als ein ständiges ‚Sich-auf-sich-selbst-Beziehen‘, das aktiv geschieht: Das ‚Ich bin‘ ist Ausdruck einer ‚Tathandlung‘Konsequenz: Handlung und Geschichtesind aus guten Gründen nahe liegende Begriffe

Page 396: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative GrundfigurProblem: Wie kann aber absolutes Bewusstsein und Geschichte zusammengehen? Ist Bewusst-sein qua Absolutheit nicht in sich selbst ruhend und daher a-historisch?

Geschichte = RelativesSelbstbewusstsein = AbsolutesWie gehen die beiden zusammen?

Page 397: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative GrundfigurH.s Pointe liegt in einer Analyse des Begriffs des Absoluten.

Klassisches Konzept des Absoluten:Es gibt zueinander relative Teilchen und eine absolute Realität, vor deren Hintergrund Rela-tivität ‚stattfindet‘Bsp.: Endliches nur vor Unendlichem denkbar

Page 398: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative GrundfigurH. sieht ein Problem: Wer sich das Absolute so denkt, braucht dafür immer auch das Endliche als Gegensatz – damit ist das Absolute letztlich in die endliche Wirklichkeit eingerückt.

Die Struktur der Entgegensetzung macht aus dem Absoluten nicht mehr als ein ‚Superteilch-en‘ unter vielen anderen, kleineren Teilchen

Page 399: Religionsphilosophie Genealogie eines Diskurses

Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative GrundfigurHegels Konzept des AbsolutenMan darf das Absolutes nicht einem Endlichen entgegensetzen (so würde es selbst endlich), aber auch nicht damit identifizieren (detto)Das Absolute übersteigt diese Struktur der Ent-gegensetzung (‚Entzweiung‘), weil es Identität von Absolutem und Relativem ist

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Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative Grundfigur„Wenn man im Ganzen das Ganze von seinen Teilen so unterscheidet, daß man es als eine ge-sonderte Entität neben den Teilen anordnet, dann ist das so fixierte Ganze selbst nur ein Teil des Ganzen neben den anderen Teilen; also muß das wahre Ganze als die Einheit des von den Teilen auch zu unterscheidenden Ganzen und [!] der Teile gedacht werden “ (S h äd lb h 15)

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Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative GrundfigurDas Absolute ist die Einheit von relativen Teil-chen und Absolutem, weil nur so die Struktur der (verendlichenden) Entzweiung aufgehoben werden kann„Es wird uns also zugemutet, etwas zu denken, was zugleich es selbst ist und nicht es selbst ist: Eines und Nichteines, Allgemeines und Nicht-allgemeines, Wesen und Wesenloses etc. …

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Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative Grundfigur… Hegel wußte, daß dies eine Zumutung ist, aber er behauptete, daß es ohne sie keine Mög-lichkeit gibt, das wahre Ganze, d.h. das Absolute zu denken; als Alternative bliebe nur die Resig-nation.“(Schnädelbach, 17)

H. spekulative Grundfigur ist die ‚Identität der Identität und Nicht-Identität‘

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Absolutes und Geschichte

• Hegels spekulative GrundfigurBeispiel: An- und Für-SichDas An-Sich-Sein des ‚Dings an sich‘ fällt nach H. in das Für-Sich-Sein des Bewusstseins – das An-sich ist ein an-sichnur für ein Bewusstsein

Analog gilt: So wie das An-Sich eine Form des Für-Sich ist, ist das Relative eine Form des Absoluten.

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Absolutes und Geschichte

• Konsequenz: DialektikDie spekulative Grundfigur erklärt, warum Ge-schichte und Absolutes einander nicht aus-schließen.Daher ist die Idee einer Geschichte des absolut-en Bewusstseins (bzw. eines absoluten Bewusst-seins, das in der Geschichte zu sich kommt,) möglichBeispiel: Napoleon als Instrument des Weltgeists

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Absolutes und Geschichte

• Konsequenz: DialektikAm 13.10.1806 sieht H. Napoleon in Jena: Den „Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.“ (Brief an Niethammer, nach Helferich, 281)

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Absolutes und Geschichte

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Absolutes und Geschichte

• Konsequenz: DialektikWenn das Absolute so funktioniert, funkti-oniert alles so – hier setzt der Gedanke des dialektischen Dreischritts an:In der Synthese ist die ‚Entzweiung‘ von These und Antithese im doppelten Wortsinn ‚aufge-hoben‘Daher gilt schließlich auch:

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Absolutes und Geschichte

• Konsequenz: Dialektik„Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollend-ende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sag-en, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wirklichkeit ist.“ (PHG, Vorrede)

Anfrage: Und das partikuläre Leid?

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Und die Religion?

• Perspektive Religionsphilosophie?Frage: Was hat das nun alles mit Religion bzw. Religionsphilosophie zu tun?Antwort: Alles. Es ist eine Form von Religions-philosophie.

Nach H. ist Religion kein Verhältnis zwischen Gott und Mensch, sondern ein Selbstverhältnis des Geistes:

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Und die Religion?

• Perspektive Religionsphilosophie?Religion ist „der Geist, der seines Wesens seiner selbst bewußt ist. Der Geist ist bewußt, und das, dessen er sich bewußtist, ist der wahrhaft wes-entliche Geist; dieser ist sein Wesen, nicht das Wesen eines anderen.“ (Hegel, Philosophie der Religion, 66)

Religion ist ein Ort, an dem sich der absolute Geist seiner selbst bewusst wird – ohne dass Mensch und Gott getrennt

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Und die Religion?

• Perspektive Religionsphilosophie?Die Konsequenz der spekulativen Grundfigur: „In Wahrheit weiß sich Gott im Menschen, der Mensch ist Gottes eigenes Selbstbewußtsein.“ (Siep, 217)

„Die – theologische – Einzelheit des Gottmen-schen wird zur – logischen –Allgemeinheit: ‚die göttliche Natur ist nicht eine andre als die menschliche.’ [GW 8, 280]“ (Jaeschke, XIX)

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Und die Religion?

• Material- und FormalobjektKombination und Vermittlung von Philosophie und Religion sind möglich, weil das Material-objekt identisch ist:Die Philosophie hat „ihre Gegenstände zunächst mit der Religion gemeinschaftlich. Beide haben die Wahrheit zu ihrem Gegenstande, und zwar im höchsten Sinne – in dem, daßGott die Wahrheit und er allein die W h h it i t “

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Und die Religion?

• Material- und FormalobjektH. sieht Gottes- und Religionsbegriff „nicht nur als Gegenstände neben anderen, sondern als die eigentlichen Gegenstände der Philosophie. Sie beginnt mit dem Gottesgedanken, und endet mit der Abhandlung der Religion. Kunst, Religion und Philosophie bilden gemeinsam die höchste Sphäre des Systems, die Hegel auch als ‚Gottes-dienst’ bezeichnet.“(Jaeschke, XVI)

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Und die Religion?

• Material- und FormalobjektDer Unterschied ist nicht das Material-, sondern das Formalobjekt:

„Die Religion ist die Art und Weise des Bewußt-seins, wie die Wahrheit für alle Menschen, für die Menschen aller Bildung ist; die wissenschaft-liche Erkenntnis der Wahrheit aber ist eine be-sondere Art des Bewußtseins, deren Arbeit sich nicht alle, sondern nur wenige unterziehen.

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Und die Religion?

• Material- und FormalobjektDer Gehalt ist derselbe, aber wie Homer von einigen Dingen sagt, daß sie zwei Namen haben, denen einen in der Sprache der Götter, den anderen in der Sprache der übertägigen Mensch-en, so gibt es für jenen Gehalt zwei Sprachen, die eine des Gefühls, der Vorstellung und des verständ-lichen, in endlichen Kategorien und einseitigen Abstraktionen nistenden Denkens die andere des

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Und die Religion?

• Material- und Formalobjekt„Die Religion ist das Selbstbewußtsein des ab-soluten Geistes; in ihr ist das Wesen dasjenige ‚Selbstbewußtseyn, das sich alle Wahrheit ist, und in dieser alle Wirklichkeit enthält‘ [GW 9, 367 = PhG]. Weil aber Religion ihren Gegenstand, den Geist, nur in Form der Vorstellung und nicht des be-greifenden Wissens hat, erkennt sie ihn nicht als das, was er eigentlich ist “ (J hk XIX XX)

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Und die Religion?

Drei Manifest-ationen des Absoluten:GeoffenbarteReligion, Kunst und Philosophie

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Und die Religion?

Drei Manifest-ationen des Absoluten:Spezifika der Zugänge

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Und die Religion?

• ReligionsgeschichteWeil Absolutes und Geschichte sich nicht aus-schließen, arbeitet H. auch hier an einer histor-ischen Perspektive„Für das umfassende und ‚letzte’Verständnis der Selbstreflexion Gottes in Geschichte und Natur ist das Verständnis der Religionsge-schichteausschlaggebend. …

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Und die Religion?

• ReligionsgeschichteDann muß diese aber selber eine begreifbare, notwendige Ordnung darstellen, nicht eine Ab-folge zufälliger Formen und ‚Mutationen’ des religiösen Bewußtseins. Für Hegel ist die Reli-gionsgeschichte nichts anderes als die Entfaltung des Wesens oder Begriffes der Religion selber.“ (Siep, 219)

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Und die Religion?

• ReligionsgeschichteH. arbeitet am ‚Begriff‘ der Religion und unter-scheidet natürliche, künstliche und offenbare ReligionenDer Höhepunkt der Religionsgeschichte ist die ‚offenbare Religion‘ des Christentums: Sein Inhalt fällt ganz und gar mit dem Inhalt der wahren Philosophie zusammen

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ReligionsphilosophieGenealogie eines Diskurses

Prof. Dr. Gregor Maria HoffVorlesung WS 2006/7

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Orientierung in der Vorlesung

II Europäische Problemkonstellationen

Problemumstellung: Erfahrung als religions-philosophischer Topos

9. Kierkegaard: Deum esse quinque viisprobari potest

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Søren Kierkegaard (1813-1855)

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Biographie

• geboren am 5 Mai 1813 in Kopenhagen• Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns,

dessen strenge Erziehung prägend ist• ab 1830 Studium der Theologie, 1834/35

‚Erd-beben‘ seines Seelenlebens: Idee einer von Gott verfluchten Existenz

• 1840 Verlobung mit Regine Olsen, die er 1841 wegen schwerer Zweifel (Fluch!) wieder löst

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Biographie

• 1841 Enttäuschung von Schellings Idealismus

• 1842-1846: Fruchtbare Phase der ‚ästhetischen Schriften‘ (‚Entweder/Oder‘, ‚Furcht und Zittern‘ u.a.

• Ab 1842 religiöse Phase (z.B. ‚Krankheit zum Tode‘), zugleich Polemiken gegen Amtskirche

• 1855 Zusammenbruch auf offener Straße und Tod am 11. November in einem

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Horizonte

Zeit- und geistesgeschichtliche Horizontea) Ahistorische

Transzendentalphilosophie, die die konkret geschichtliche Existenz ausblendet

b) Deutscher Idealismus, der Individuelles zu-gunsten des Ganzen und des Systems aufhebt (siehe folgendes Zitat)

c) Sozialgeschichtliche Umbrüche, in denen der Einzelne kaum mehr Wert hat

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Horizonte

• Kritik an Hegels Idealismus„Das Wahre ist das Ganze. … Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Endedas ist, was es in Wirklich-keit ist.“ (Hegel, Phänomenologie)

„Wenn ich eine Aufschrift für mein Grab ver-langen sollte, ich verlange keine andere als ‚jener Einzelne’“ (Schriften über i h lb t)

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Ansatzpunkte

• Die Wahrheit des Menschseins…K. geht es um die Wahrheit des Menschseins (vgl. Kants ‚Was ist der Mensch?‘), aber er hat kein Interesse an Aprioris oder dem obj. Geist

• …im Bezug auf den Einzelnen…Diese Wahrheit kann nur im Bezug auf das kon-krete Leben reflektiert werden –das Individuelle ist der Weg schlechthin zu

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Ansatzpunkte

• …mäeutisch herauskitzeln…K. ist bewusst, dass der Weg zur Wahrheit des Menschseins steinig ist – sie hat Offenbarungs-qualität und „kann weder mitgeteilt noch em-pfangen werden außer gleichsam vor Gottes Augen“ (Schriften über sich

selbst, 104)

Folge: Nachdenken, das beim Einzelnen ansetzt, ist heikel wie ein Spionageakt –die Wahrheit muss quasi ‚ausspioniert‘

d

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Ansatzpunkte

„Ich habe nichts Neues zu verkünden, ich bin ohne Vollmacht, selber in Trug verhüllt gehe ich nicht geradenwegs zu Werk, sondern mittelbar und mit Hinterlist, bin kein heiliger Mann, kurz bin gleich einem Spion, welcher bei seinem Spionieren, bei seinem Bescheidwissen von Miß-lichkeiten, Sinnentrug und dem was verdächtig ist, bei seinem Aufsichthalten selber unter der strengsten Aufsicht ist.“(Schriften über sich selbst, 83f.)

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Existenzanalyse

• Schritt 1: Nachdenken übers Menschsein Mensch-Sein ist „nicht Sein in demselben Sinne, wie eine Kartoffel ist, aber auch nicht in dem Sinne, wie die Idee ist.“(Nachschrift, 33)

„Der Mensch ist eine Synthese von Unendlich-keit und Endlichkeit, von Zeitlichem und Ewig-em, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis von Zweien “

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Ideen-Moment Kartoffel-Moment

menschlicher Existenz

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Existenzanalyse

• Schritt 2: Nachdenken übers Selbst-SeinAllein durch die zwei Pole ist „ist der Mensch noch kein Selbst. Im Verhältnis zwischen Zwei-en ist das Verhältnis das Dritte als negative Ein-heit, und die Zwei verhalten sich zum Verhältnis und im Verhältnis zum Verhältnis; … Verhält sich hingegen das Verhältnis zu sich selbst, so ist das Verhältnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst “ (K kh it T d 8)

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Existenzanalyse

• Schritt 2: Nachdenken übers Selbst-Sein„Der Mensch ist Geist. Was aber ist Geist? Geist ist das Selbst. Was aber ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnisse, daß das Ver-hältnissich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.“(Krankheit zum Tode, 8)

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Das Selbst ist nicht das Verhältnis von End-lichkeit und Unendlichkeit im Menschen –sondern ein aktives Ins-Verhältnis-Setzen zu diesem vorgegebenem Verhältnis

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Existenzanalyse

• Schritt 3: Nachdenken übers ‚Andere‘„Ein solches Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, muß entweder sich selbst gesetzt haben oder durch ein Anderes gesetzt sein. Ist das Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, durch ein Anderes gesetzt, so ist das Verhältnis freilich das Dritte, aber dieses Verhältnis, das Dritte, ist doch wie-derum in Verhältnis, welches sich zu dem verhält, was das ganze Verhältnis gesetzt hat

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Existenzanalyse

• Schritt 3: Nachdenken über das ‚Andere‘„Ein solches abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist des Menschen Selbst, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, und, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Anderen verhält.“ (KzT, 9)

„Im Sich-Verhalten-zu-sich-selbst und im Es-Selbst-sein-Wollen gründet das Selbst durchsichtig in der Macht, die es

t t h t“

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Existenzanalyse

• Was ist also das Selbst der Existenz?„Das Selbst ist1. Sich-Verhalten, es ist2. im Sich-Verhalten zugleich Sich-zu-sich-selbst-Verhalten, und es ist3. im Sich-zu-sich-selbst-Verhaltenzugleich Verhalten zu einem Dritten, Anderen, außer-menschlichen Grund.“(Pieper, 58-59)

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Stadien der Existenz

• Die ästhetische ExistenzDon Juan ist „die Inkarnation des Fleisches oder die Begeisterung des Fleisches aus des Fleisches eigenem Geist“Das heißt, dass seine „Liebe nicht seelisch [ist], sondern sinnlich, und sinnliche Liebe ist nach seinen Begriffen nicht treu sondern schlechthin treulos, sie liebt nicht eine sondern alle, will heißen, sie verführt alle. Sie ist nämlich allein im Augenblick da“ (E/O 93f b 100)

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Stadien der Existenz

• Die ästhetische ExistenzDie ästhetische Existenz ist in ethischen Be-griffen letztlich nicht fassbar:„In dieser Hinsicht erhält Dein Wesen, sobald Du Dich mit Menschen einläßt, ein hohes Maß an Treulosigkeit, die man Dir ethisch jedoch nicht zum Vorwurf machen kann; denn Du stehst außerhalb ethischer Bestimmungen.“

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Stadien der Existenz

• Die ethische ExistenzProbleme des ästhetischen Menschen:a) Augenblicks-Fixierung wirft ständig auf sich selbst zurück führt in Überdrussb) Anlage auf ‚Mehr‘ qua geistiger Verfassungc) Unfreiheit, da der Ästhetiker nur erfüllt, was die Natur ihm vorgibtFolge: Schwermut, Überdruss, Verzweiflung

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Stadien der Existenz

• Die ethische ExistenzIn der ethischen Existenz erhebt man sich über die Vorgaben der Natur – hier setzt sich der Mensch als frei und wird wahrhaft ein Selbst

Diese Wahl übersteigt die Prozesse der ästhet-ischen Existenz und ist los-gelöstvon der Natur – hier kommt also ein absolutes, unbedingtes Moment ins Spiel

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Stadien der Existenz

• Die religiöse ExistenzDas entscheidende Problem ethischer Existenz ist die Schuld: Der Mensch geht jenes Ewig-Un-bedingten, das in seiner ethischen Selbstgründ-ung aufblitzt, aus eigener Schuld verlustigHier ist Abhilfe aus Mitteln der eigenen Existenz nicht mehr möglich – an dieser Erkenntnis setzt der Sprung ins Religiöse ein, der aber nicht mehr d h ti b i t

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