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1 GRAFFITI MAGAZINE ISSUE 11 REVOLTE IN DER MOTTENKISTE

Revolte in der Mottenkiste

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text von barbara uduwerella

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Page 1: Revolte in der Mottenkiste

1GRAFFITI MAGAZINE ISSUE 11

REVOLTE INDER MOTTENKISTE

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REVOLTE IN DER MOTTENKISTE Text: B.UDUWERELLA Man merkt, es ist warm geworden und der letzte Winterschläfer scheint nun

aufgewacht zu sein. Angeblich haben Täter aus der Graffiti-Szene am Mittwo-chnachmittag in der Innenstadt für Staus im Berufsverkehr gesorgt, weil mit Flusssäure getagged worden sein soll. Da wurde ein alter SHMOK „tag“ wach geküsst, damit man mit Graffiti mal wieder in die Medien kommt??? Wer hat da wen geritten?

Zitat aus dem Kölner Stadtanzeiger:„Kurz vor 16 Uhr entdeckten KVB-Mitarbeiter im U-Bahnhof am Hansaring

Spuren von so genanntem „Etching“ - einer gefährlichen Methode, die in Teilen der Sprayer-Szene beliebt ist: Statt ihre Zeichen mit spitzen Gegenständen ein-zukratzen, füllen die Täter hochgiftige FlusssŠure in Filzschreiber und tragen das ätzende Gemisch auf flachen Oberflächen auf wie zum Beispiel Schaukästen aus Glas. Doch die Säure hinterlässt nicht nur Markierungen, sie ist extrem gesund-heitsschädlich, kann bei entsprechender Dosierung tödlich wirken…“

In Köln haben jetzt Märchenerzähler Hochkonjunktur? Hochprozentige Flusssäure kann man weder im Internet erwerben, noch sich in der Brauseflasche im Baumarkt abfüllen lassen, sondern man benötigt einen Gewerbeschein, aus dem hervorgeht, dass man diese Substanz für sein Gewerke benötigt.

Die Berufsgenossenschaft Chemie achtet extrem scharf auf die Führung eines Giftbuches und auf die Einhaltung sämtlicher Sicherheitsbestimmungen. Kein Chemiker würde für einen Sprayer eine abgezweigte Kleinstmenge in der Hosen-tasche raus schmuggeln und das Risiko der Selbstverletzung oder gar die Mög-lichkeit eines Berufsverbotes in Kauf nehmen. Diebstahl von Firmeneigentum

wäre der kleinste Anklagepunkt. Es käme als Straftatbestand „Verbreitung von gefährlichen Giften“ hinzu und unter Umständen auch noch schwere Körperver-letzung mit Todesfolge.

Vorsätzliche Körperverletzung:Der Grundtatbestand der Körperverletzung wird in ¤ 223 StGB normiert:(1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit

schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.(2) Der Versuch ist strafbar. Ich gehe jedoch eher davon aus, dass wegen ge-

fährlicher Körperverletzung angeklagt wird.

Gefährliche KörperverletzungBei der in § 224 StGB geregelten „gefährlichen Körperverletzung“ handelt es

sich um einen Qualifikationstatbestand. Die Strafandrohung wird für den Fall, dass die Begehung der Tat in hohem Maße als gefährlich einzustufen ist und des-halb eines der unten stehenden Merkmale erfüllt, erheblich erhöht:

(1) Wer die Körperverletzung1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, wird mit Frei-

heitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mitFreiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

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Schwere Gefährdung durch Freisetzen von GiftenWird durch § 330a StGB geregelt.(1) Wer Stoffe, die Gifte enthalten oder hervorbringen können, verbreitet

oder freisetzt und dadurch die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesund-heitsschädigung eines anderen Menschen oder die Gefahr einer Gesundheits-schädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Frei-heitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 leichtfertig handelt und die Gefahr fahr-lässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Ich habe mit dem WDR telefoniert und den Sachverhalt mit einem Journa-listen erörtert. Man sagte mir, man würde es nicht senden, weil der Vorfall, der hier durch die Presse ging, wohl veraltete Fakten seien. Leider war man nicht bereit, den Blödsinn der Printmedien zu widerlegen. Man will die Bevölkerung anscheinend im Unklaren lassen. Die Rücksprache mit der BPOL in Dortmund hat ergeben, dass die Behauptung, Säure- „tags“ wären in Dortmund häufig, sach-lich falsch ist. Fakt ist, Sprayer benutzen keine hochprozentige Flusssäure. Ich hätte sonst längst von schweren Verletzungen oder von Todesfällen durch Säure erfahren.

Bedenken sollte man trotzdem, dass der menschliche Körper die Gifte der Flusssäure nicht abbauen kann. Auch wenn in bestimmten Fällen mit einer sehr niedrigen Dosis Scheiben blind werden, so kann der unsachgemäße Um-gang dazu führen, dass die Aufnahme der Gifte der FlusssŠure über die Haut zu schleichenden Veränderungen im Körper kommen kann, deren Ursache oft nicht mehr aufzuklären ist, weil man nicht an die Zusammenhänge denkt. Fahrlässiger Umgang mit derartigen Substanzen kann auch die Sehfähigkeit erheblich beein-trächtigen. Der Aufforderung: „Schau mir in die Augen, Kleines!“ wird vielleicht noch befolgt werden, aber die frage ist, ob man aus diesen Augen noch etwas sehen wird.http://www.oe.uni-duisburg.de/LatestNews/EyeRobot/Abb1b.jpg

Info der Giftinformationszentrale:Von der Giftinformationszentrale bekam ich freundlicherweise noch fol-

genden Hinweis zur Flusssäure:

Eigenschaften und Wirkungen:Aufgrund ihrer geringen Dissoziation, hohen Lipidlöslichkeit und Polymeri-

sation besitzt sie ein starkes Penetrationsvermögen im menschlichen Gewebe, d.h., Fluss-Säure entfaltet in tiefen Gewebeschichten eine stark ätzende Wirkung. Die Konzentration der resorbierten Fluss-Säure ist bei akuter Intoxikation im Blut niedrig (,4 mg/l), aber in den inneren Organen auffallend hoch (1,8-26,7 mg/100 g Frischgewebe; normal 0,1 mg/100 g). Mit Calcium des Gewebes bildet sich unlšsliche Calciumfluorid-Säure mit starker Ätzwirkung. Erzeugt als wässrige Lösung (bereits ab 0,1-0,3%) auf Haut und Schleimhäuten Šu§erst schmerzhafte Verätzungen, die sich durch weitere Diffusion der undissoziierten Säure rasch ausbreiten kšnnen. Sie gehen in hartnäckige Geschwüre über, die durch sehr schlechte Heilungstendenzen gekennzeichnet sind. Das Einatmen

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von Dämpfen verursacht Verätzungen der Atemwege und ein toxisches Lungenö-dem. Siehe pois Verschiebung des Säure-Basen-Gleichgewichts => metabolische Acidose

Akute Toxizität:Mensch oral: niedrigste toxische Dosis 1 g niedrigste tödliche Dosis 5 gMensch inhal: niedrigste toxische Dosis 100 mg/m3/1minRatte oral: LDLO 25 mg/kgRatte inhal: LD50 1276 ppm/hMAK-Wert: 3 ml/m3; 2 mg/m3BAT-Wert: 7 mg/g KreatininKategorie nach GefStoff V: Gefahrenklasse C / T (ätzend und giftig).Kategorie nach MAK-Werte-Liste: I (lokal reizende Stoffe)Nehmt die Info mit in den Chemie- Unterricht und lasst es Euch dort noch

einmal ausführlich erklären.

Fakt ist:1. Einige Graffiti Magazine haben sich vor Jahren schon bereit erklärt, keine

Säure- „tags“ zu veröffentlichen, weil die nicht nur hässlich aussehen, sondern derartige Aktionen nicht fördern wollen.

2. Verantwortungsvolle Szene-Läden verkaufen keine Utensilien, mit denen man Säure- „tags“ ausführen kann, oder halten Säurestifte vor. Es ist denen egal, selbst wenn der Anteil der Flusssäure so gering sein sollte, dass der Straftatbe-

stand „Verbreitung von gefährlichen Giften“ nicht erfüllt sein sollte. Man will et-waigen Panschern keine Arbeitsgrundlagen liefern. Auffällig ist, dass bestimmte Kreise immer wieder, wenn bestimmte politische Themen zur Abstimmungsde-batte stehen, derartige Fakten an die Presse geben.

Widersprüchlich bleibt:Warum sind die Reinigungskosten so hoch, wenn angeblich die zeitnahe Rei-

nigung Sprayer entmutigen lässt? Eigentlich müssten Fahrzeuge und Gebäude in Köln hochglanzpoliert und sauber sein. Was macht die KASA falsch? Benut-zen jetzt Polizei oder Politiker alte Flusssäure- „tags“, um bestimmte politische Abstimmungen in die gewünschte Richtung zu lenken? Wann lernen Politiker von den Erfahrungen aus Bochum? In Bochum gibt es viele legale Flächen für Sprayer, so dass es viel aufwändiger ist, einen illegalen Spot in gleicher Qualität zu finden und Sprayer lieber legal malen. Wann wacht Köln auf ?