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Der handlich-leichte und reisefreundlich gebundene Band ist die vollständig überarbei- tete Neuauflage eines vor einem Jahrzehnt erschienenen, sehr erfolgreichen Buchs des nämlichen Autoren-Ehepaars. Seine Bedeu- tung wird nicht nur daran erkennbar, dass die Erstauflage schon nach kurzer Zeit vergriffen war, sondern auch daran, dass Prof. Dr. C. Sebastian Sommer, als Landeskonservator am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege zugleich Vorsitzender der Deutschen Limes- kommission, der Neuausgabe ein umfangrei- ches Vorwort gewidmet hat. Der von uns so genannte römische Limes ist ein begriffs- und forschungsgeschichtlich ebenso wie histo- risch-archäologisch einmaliges Phänomen, das 2005, also ein Jahr früher als Regensburg, zurecht in das UNESCO-Welterbe aufgenom- men wurde und das seither vermehrt publi- zistische Aufmerksamkeit findet. Die abge- kürzt zitierte Literatur zum Gesamtthema des vorliegenden Buches (214 f.) bietet naturge- mäß eine Auswahl der gewaltig angewachse- nen Bibliographie und konzentriert sich dabei ausschließlich auf archäologische Beiträge. Tatsächlich geht es den Autoren nicht um das Phänomen der römischen Reichsgrenze ins- gesamt, das ja übergeordnete historische Pro- bleme aufwirft, weil etwa der Limes keine Territorialgrenze im modernen Sinn war 1 , sondern vielmehr eine überragende Bedeu- tung als kulturelle Kontaktzone hatte 2 . Den Fischers geht es ganz konkret um die ding- liche Hinterlassenschaft der römischen Gren- ze in Bayern, und zwar vor allem in ihren letz- ten Ausprägungen. Es war kein geringerer als Tacitus, der im Jahr 98 den Begriff limes für die römische Landgrenze im Unterschied zur Flussgrenze (ripa) verwendet hat. Diese Ter- mini kennzeichneten also die je momentane Demarkationslinie zwischen den Römern und der barbarischen Außenwelt, aber weder die mit dieser Linie verbundenen militärischen Strukturen (Gräben, Türme etc.) noch die organisatorischen Gegebenheiten einer even- tuellen Grenzwehr an dieser Linie (etwa die Truppen). Sie haben keineswegs automatisch die Fortifikationen assoziiert, sondern entwe- der die wie immer gestaltete Demarkations- linie selbst oder aber das gesamte durchaus dynamische Grenzsystem angesprochen, zu dem natürlich das logistisch so wichtige Hinterland und selbst das Gebiet vor den äußersten Straßenlinien gehörte. Die begriff- lichen Probleme, die historischen Entste- hungsphasen der Fortifikationslinien bis zu ihrer letzten Ausprägung um 160 n. Chr., ihre Preisgabe infolge der Germaneneinfälle von 254 und die Verwandlungen der Reichs- grenze in der Spätantike bis zur Stammes- bildung der Bajuwaren behandelt das erste Kapitel des vorliegenden Buchs in gebotener Kürze. Noch etwas knapper, aber markant und mit verbesserter Bebilderung wird im fol- genden Hauptabschnitt die Entwicklung, Erforschung und Konservierung der als „rae- tischer Limes“ bezeichneten letzten Ausprä- gung der römischen Grenze in Bayern be- leuchtet. Das betrifft aber nicht nur die dyna- mischere Landgrenze, sondern auch die stati- schere Donaugrenze. Aus dem Vollen schöp- fen kann die Darstellung der militärischen 373 Rezensionen Thomas Fischer - Erika Riedmeier-Fischer, Der römische Limes in Bayern. Ge- schichte und Schauplätze entlang des UNESCO-Welterbes, Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 22017; 230 S.; ISBN 978-3-7917-2906-0. 1 Siehe dazu jetzt das anregende Kapitel über die Entstehung der römischen Reichsgrenze in dem Buch von Stuart ELDEN, The birth of territory, Chicago/London 2013, S. 53–96, 347– 370. 2 Dazu nur Siegmar VON SCHNURBEIN, Der Limes als Filter, in: Limes XIX, Pécs 2005, S. 57– 61; Gerhard WALDHERR, Der Limes. Kontaktzone zwischen den Kulturen, Stuttgart 2009; Wolfgang MOSCHEK, Der Limes. Grenze des Imperium Romanum, Darmstadt 2010.

Rezensionen...1 Siehe dazu jetzt das anregende Kapitel über die Entstehung der römischen Reichsgrenze in dem Buch von Stuart ELDEN, The birth of territory, Chicago/London 2013, S

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Page 1: Rezensionen...1 Siehe dazu jetzt das anregende Kapitel über die Entstehung der römischen Reichsgrenze in dem Buch von Stuart ELDEN, The birth of territory, Chicago/London 2013, S

Der handlich-leichte und reisefreundlichgebundene Band ist die vollständig überarbei-tete Neuauflage eines vor einem Jahrzehnterschienenen, sehr erfolgreichen Buchs desnämlichen Autoren-Ehepaars. Seine Bedeu-tung wird nicht nur daran erkennbar, dass dieErstauflage schon nach kurzer Zeit vergriffenwar, sondern auch daran, dass Prof. Dr. C.Sebastian Sommer, als Landeskonservator amBayerischen Landesamt für Denkmalpflegezugleich Vorsitzender der Deutschen Limes-kommission, der Neuausgabe ein umfangrei-ches Vorwort gewidmet hat. Der von uns sogenannte römische Limes ist ein begriffs- undforschungsgeschichtlich ebenso wie histo-risch-archäologisch einmaliges Phänomen,das 2005, also ein Jahr früher als Regensburg,zurecht in das UNESCO-Welterbe aufgenom-men wurde und das seither vermehrt publi-zistische Aufmerksamkeit findet. Die abge-kürzt zitierte Literatur zum Gesamtthema desvorliegenden Buches (214 f.) bietet naturge-mäß eine Auswahl der gewaltig angewachse-nen Bibliographie und konzentriert sich dabeiausschließlich auf archäologische Beiträge.Tatsächlich geht es den Autoren nicht um dasPhänomen der römischen Reichsgrenze ins-gesamt, das ja übergeordnete historische Pro-bleme aufwirft, weil etwa der Limes keineTerritorialgrenze im modernen Sinn war1,sondern vielmehr eine überragende Bedeu-tung als kulturelle Kontaktzone hatte2. DenFischers geht es ganz konkret um die ding-liche Hinterlassenschaft der römischen Gren-ze in Bayern, und zwar vor allem in ihren letz-ten Ausprägungen. Es war kein geringerer als

Tacitus, der im Jahr 98 den Begriff limes fürdie römische Landgrenze im Unterschied zurFlussgrenze (ripa) verwendet hat. Diese Ter-mini kennzeichneten also die je momentaneDemarkationslinie zwischen den Römern undder barbarischen Außenwelt, aber weder diemit dieser Linie verbundenen militärischenStrukturen (Gräben, Türme etc.) noch dieorganisatorischen Gegebenheiten einer even-tuellen Grenzwehr an dieser Linie (etwa dieTruppen). Sie haben keineswegs automatischdie Fortifikationen assoziiert, sondern entwe-der die wie immer gestaltete Demarkations-linie selbst oder aber das gesamte durchausdynamische Grenzsystem angesprochen, zudem natürlich das logistisch so wichtigeHinterland und selbst das Gebiet vor denäußersten Straßenlinien gehörte. Die begriff-lichen Probleme, die historischen Entste-hungsphasen der Fortifikationslinien bis zuihrer letzten Ausprägung um 160 n. Chr., ihrePreisgabe infolge der Germaneneinfälle von254 und die Verwandlungen der Reichs-grenze in der Spätantike bis zur Stammes-bildung der Bajuwaren behandelt das ersteKapitel des vorliegenden Buchs in gebotenerKürze. Noch etwas knapper, aber markantund mit verbesserter Bebilderung wird im fol-genden Hauptabschnitt die Entwicklung,Erforschung und Konservierung der als „rae-tischer Limes“ bezeichneten letzten Ausprä-gung der römischen Grenze in Bayern be-leuchtet. Das betrifft aber nicht nur die dyna-mischere Landgrenze, sondern auch die stati-schere Donaugrenze. Aus dem Vollen schöp-fen kann die Darstellung der militärischen

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Rezensionen

Thomas Fischer - Erika Riedmeier-Fischer, D e r r ö m i s c h e L i m e s i n B a y e r n. Ge-schichte und Schauplätze entlang des UNESCO-Welterbes, Regensburg: Verlag Friedrich Pustet22017; 230 S.; ISBN 978-3-7917-2906-0.

1 Siehe dazu jetzt das anregende Kapitel über die Entstehung der römischen Reichsgrenzein dem Buch von Stuart ELDEN, The birth of territory, Chicago/London 2013, S. 53–96, 347–370.

2 Dazu nur Siegmar VON SCHNURBEIN, Der Limes als Filter, in: Limes XIX, Pécs 2005, S. 57–61; Gerhard WALDHERR, Der Limes. Kontaktzone zwischen den Kulturen, Stuttgart 2009;Wolfgang MOSCHEK, Der Limes. Grenze des Imperium Romanum, Darmstadt 2010.

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Susanne Kropač – eine ehemalige Mit-arbeiterin des Stadtarchivs Regensburg, dasauch der Herausgeber des Buches ist – ver-öffentlicht hiermit ihre Dissertation, die siean der geisteswissenschaftlichen Fakultät derKarl-Franzens-Universität Graz verteidigte.Schon der erste Blick auf den Inhalt zeigt,dass circa 450 von den insgesamt 620 Seitendie kritische Edition des Schwarzen Stadt-buches umfassen und diese somit den Haupt-bestandteil der Arbeit ausmacht. Bereits die-

ses Ergebnis ist gegenwärtig lobenswert underforderlich, da kritische Editionen im wis-senschaftlichen Bereich wegen des enormenArbeitsaufwandes kaum noch populär sindund auch nur schwerlich finanzielle Unter-stützung finden. Allein dafür müssen dieBenutzerinnen und Benutzer der Editorin Su-sanne Kropač Dankbarkeit und Anerkennungfür ihre Mühe wie auch ihren Fleiß erweisen.Die quellenkritischen Studien, die die ersten100 Seiten der Publikation bilden, zeigen, wie

Grundzüge, der unterschiedlichen Truppenund ihrer Bewaffnung. Immerhin hat ThomasFischer erst unlängst im gleichen Verlag einmonumentales Werk über „die Armee derCaesaren“ vorgelegt (2. Aufl. 2014). MehrereAbbildungen sind diesem Opus verdankt,etwa der eindrucksvolle Größenvergleichrömischer Lager (Abb. 14). Besonders her-vorzuheben ist auch die begründete Ansichtder Verf., das Ende des raetischen Limes öst-lich von Hienheim sei auf den Reliefs sowohlder Trajans- als auch auf Marcussäule in Romdargestellt (56 und Abb. 27a/b). Die KapitelIII und IV sind die zentralen Anliegen desBuches. Sie widmen sich „der Strecken-beschreibung des raetischen Limes in Bayern“von West nach Ost, genauer der sog. Strecken13–15, grob gesagt von Ruffenhofen bisEining (78–162). Häufig farbige Detailpläneund Karten helfen zur Erschließung desgigantischen Monuments, notfalls per pedes.Denn auf den 9 topographischen Karten (diemithilfe einer Übersichtskarte im vorderenVorsatz leicht aufzuschlagen sind) ist jederWachturm eingezeichnet, und die Beschrei-bung liefert die zugehörigen Details. Dabeiwurden die neuesten geophysikalischen Pro-spektionen berücksichtigt, die etwa nordwest-lich von Hienheim zur Entdeckung eines ca.16 × 16 m messenden Kleinkastells führten.Die wesentlichen Literaturangaben erleich-tern die Weiterarbeit. Wie sehr sich die An-schaulichkeit verbessert hat, zeigt exempla-risch die Behandlung von Eining (159–162):Hier konnte man auf den im letzten Jahr beiPustet erschienenen Führer von Th. Fischerzurückgreifen. Nicht nur am Limes Interes-

sierte spricht der Abschnitt über „Ausgewähltesonstige römische Militärplätze in Bayern vonA–Z“ an (Kap. IV, 163–213). Hier werdenim lexikalischen Extrakt über drei Dutzendrömische Fundplätze skizziert, von Obern-burg bei Miltenberg bis Seebruck bei Traun-stein, von Kempten im Allgäu bis Passau.Selbst Augsburg fehlt nicht. Die behandeltenOrte sind selbstverständlich die gleichen wiein der Erstauflage, aber bei allen wurden dieTexte überarbeitet, inhaltlich und hinsichtlichder Abbildungen und Literaturangaben aktu-alisiert. Im Falle Regensburgs sind beispiels-weise bereits die neuen Grabungsergebnisseauf dem Großen Gräberfeld angesprochenund im Plan des Legionslagers (Abb. 152) dienoch laufenden Ausgrabungen vom Jesuiten-platz in ihren Grundzügen berücksichtigt.Neu ist etwa auch der Plan der mittelkaiser-zeitlichen Kastelle von Straubing (Abb. 157),usw. Ein aktuelles Verzeichnis der Museenmit Funden vom Limes und seinem Hinter-land erleichtert ein erweitertes Studium unddie allfällige Kontaktaufnahme mit denInstitutionen. Es rundet den durch mehrereIndizes (Stichworte, Orte und Gewässer,Personen und Völker) leichter erschließbarenFührer ab. Nach der Seitenzahl ist er fastgleichgeblieben, aber das Format hat sichvergrößert. Außerdem finden sich weit mehrFarbabbildungen als in der ersten Auflage.Optisch, aber auch inhaltlich, bietet diesesBuch mehr als nur eine Neuauflage. An ihmkommt ganz bestimmt kein an der römischenVergangenheit Bayerns allgemein und amWeltdenkmal Limes speziell Interessiertervorbei.

Karlheinz Dietz

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Susanne Kropač, D a s „ S c h w a r z e S t a d t b u c h “ d e r R e i c h s s t a d t R e g e n s b u r g.Quellenkritische Studien und Edition (Regensburger Studien 23) Regensburg: StadtarchivRegensburg 2016; 634 S.; ISBN 978-3-943222-19-7

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die Autorin ihre Analyse des SchwarzenStadtbuches strukturiert: (1) Einleitung, (2)Formale Handschriftenbeschreibung, (3)Entstehung und Struktur der Handschrift,(4) Bewertung des Stadtbuches und (5) Ap-pendix. Dabei birgt vor allem die zeitlicheund inhaltliche Einordnung an sich gewisseKomplikationen. Inhaltlich zeigt sich einer-seits, dass die wissenschaftliche Eingliede-rung der Historischen Hilfswissenschaftenund der Archivforschung keine klare Defini-tion dieses Materials bietet. Andererseits istdieses Stadtbuch aber auch nicht als einheit-licher Codex entstanden, da es sich – wieüblich – um eine später angefertigte Samm-lung aus freien „Blättern, Bogen, Lagen undLagebünden“ (66) handelt. In der Einleitungstellt die Autorin ihre Vorgehensweise dar,wonach sie dieses aktiv benutzte Werk desSchrift- und Aktenwesens der mittelalter-lichen Stadtkanzlei Regensburgs mittels derfrühneuzeitlichen Aktenkunde kategorisiert.Laut Kropač wurden „die Einzelschriftstückeüberwiegend nicht nach ihrem Zweck geord-net, sondern gemäß den verwaltungstech-nischen Bedürfnissen der ausstellenden Be-hörde“ (10). Leider sind hier alle klassischen,d. h. im 19.Jahrhundert durchgesetzten, Klas-sifikationen aus dem Bereich Archivwesenund Historische Hilfswissenschaften unzurei-chend, da es sich bei dieser Handschrift umeine Zusammensetzung aus unterschied-lichen Kategorien, wie z.B. Kopial-, Brief-und Formelsammlung oder Stilmusterbuch,handelt. Es stellt sich die Frage, warumKropač nicht auch außerhalb dieser klassi-schen Archivklassifikationen gesucht hat.Dieses Stadtbuch lässt sich durchaus auchaus Sicht der mittelalterlichen Memorial-kultur analysieren, sodass Funktion und Rolledieses Buches für die reichsstädtische Kanzleiverständlicher für eine Einordnung dargelegtwerden könnten. Darüber hinaus ist die in-haltliche Einordnung eng mit der zeitlichenEntstehung verknüpft, da diese Handschriftzwei Entstehungszeiträume hat: der ältereTeil stammt aus den 1340er Jahren, der jün-gere wurde dann ab den 1380er Jahren konti-nuierlich geführt. Es ist aber eindeutig, dassdas Jahr 1464 der „terminus ante quem“ dergebundenen Handschrift ist, wie dies eineBildaufzeichnung (81) sowie die Erwähnungund Bezeichnung „des Schwarzen Stadt-buches“ im Roten Privilegienbuch der StadtRegensburg (27) belegen. In diesem Kontext

liegt die Herausforderung für eine Analysedarin, dass dem Inhalt der einzelnen Schrift-stücke in den beiden Zeitschichten jeweilsunterschiedliche Prioritäten zugemessenwurde: In der älteren Schicht dominieren dieFriedensverträge Ludwigs des Bayern mit derStadt Regensburg aus den Jahren 1342–1344und der sog. Privilegienkanon, d. h. die Privi-legien der Kaiser Ludwigs IV. und Karls IV. Inder jüngeren Schicht wurden diesem Teilzwar auch noch alle Privilegien der Reichs-stadt bis 1465 beigefügt, aber das Haupt-augenmerk lag deutlich auf den Schrift-stücken, die für eine blühende Handels-metropole im Mittelpunkt des Interesses stan-den. Es handelt sich dabei vor allem umGeleits- und Gerichtsbriefe, Handelsfreihei-ten sowie Urkunden, in denen die Gerichts-barkeit nicht nur der Stadt Regensburgselbst, aber auch juristische Beziehungen mitweiteren Partnern (Städte, Adelige usw.)behandelt wird. Am Ende der quellenkriti-schen Studien bewertet die Autorin dieBedeutung des Schwarzen Stadtbuches inner-halb des spätmittelalterlichen Verwaltungs-apparates sowie dessen rechtliche Stellungund Verwendung in der reichsstädtischenKanzlei (66–70). Laut Kropač sind alle in derHandschrift vorkommenden Kategorien derArchiv- und Geschichtswissenschaften in Be-zug auf ihre damalige Verwendung bedeu-tend. Beispielsweise kannten die Schreiberund der Stadtrat so immer die inhaltlicheFassung aller Privilegien, ohne die Originalelesen zu müssen. Des Weiteren diente dasSchwarze Stadtbuch als Formelsammlung,mit dem die Schreiber nach dessen Vorlageverschiedene Typen von Urkunden herstellenkonnten, und als juristisches Handbuch.Dieses wurde von den Vertretern der reichs-städtischen Kanzlei bei den unterschiedlichenGerichtsverhandlungen innerhalb oderaußerhalb Regensburgs genutzt. Darüber hin-aus waren die Schreiber auch als öffentlicheNotare für das Privatleben der Bürger tätig,weswegen sich im Schwarzen Stadtbuch auchBriefsammlungen und Konzepte der unter-schiedlichen Urkunden finden. Daraus fol-gernd konstatiert Kropač, dass wahrschein-lich die rapide Zunahme der Schriften imVerwaltungsapparat des 15. Jahrhundertsdann zur Herstellung von inhaltlich speziali-sierten Stadtbüchern führte. So wird deut-licher, warum das Rote Privilegienbuch inden 1460er Jahren sowie auch unterschied-

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Erstmals liegt jetzt eine umfassende Bio-graphie des dritten Sohns Herzog AlbrechtsIV. (1447–1508), Herzog Ernst von Bayern(1500–1560), vor. Ernst wurde bereits als17-Jähriger zum Koadjutor, dann zum Ad-ministrator des Hochstifts Passau erwählt(1517–1540) und wechselte schließlich alsAdministrator in das Erzstift Salzburg(1540–1554). Da er nicht bereit war dieHöheren Weihen und die Bischofsweihe zu

empfangen, musste er das Erzstift resignie-ren. Seine konsequent verfolgte Forderungnach gleichberechtigter Teilhabe am baye-rischen Herzogtum, ließ ihn in der Ge-schichtsschreibung, vor allem der bayeri-schen, zu einer schillernden Figur der Re-formationszeit im Süden des Reiches werden.Nach seiner Abdankung in Salzburg zog sichErnst in die von ihm spätestens 1549 erwor-bene Grafschaft Glatz zurück, wo er bereits

liche Brief- und Rechnungssammlungen ent-standen sind. Zusammen mit der Funktiondes Schwarzen Stadtbuches stellt die Autorinzudem eine Liste der in der RegensburgerKanzlei tätigen Schreiber inkl. kurzer Bio-gramme zusammen (70–78). Wie bereitserwähnt, liegt das Fundament dieses Werkesin der kritischen Edition, die nach den Richt-linien der Monumenta Germaniae Historicaund der Deutschen Reichstagsakten erstelltwurde. Kropač bevorzugt dabei die originaleFassung der mittelalterlichen Schreiber, dader Text so authentisch und nah an derHandschrift bleibt; auch Eingriffe spätererArchivare wurden nicht beachtet. Im kriti-schen Apparat finden sich nicht nur verschie-dene Rasuren, Durch- bzw. Unterstreichun-gen und Unterpunktierungen, sondern auchweitere Textmanipulationen und „Ergebnisseder Kollationierung mit dem zugrundeliegen-den Original einer Abschrift“ (95). Den Be-nutzerinnen und Benutzern stehen so – vorallem beim Erforschen der Konzepte – diesezum Teil wichtigen Informationen zur Ver-fügung. Die Autorin beruft sich auch auf einForschungsprojekt der Karl-Franzens-Uni-versität Graz mit dem Titel „IntegrierteComputergestützte Edition (ICE)“, welchesaber unter dem angegebenen Link leidernicht mehr aufrufbar ist. Zweifelsohne wirddiese grundlegende und anhand der Original-quellen erfasste kritische Edition als Stan-dardwerk in den Bibliotheken aller Forsche-rinnen und Forscher zur Regional- undStadtgeschichte Regensburgs dargestellt.Dazu zeigen die Quellenstudien tiefe Fach-kenntnisse der Autorin aus den Bereichen der

Historischen Hilfswissenschaften und desArchivwesens, aber für ein umfassenderesVerständnis wäre die Darstellung weitererZusammenhänge empfehlenswert: Erstensfehlt eine kurze Erläuterung sowie Einord-nung zu den weiteren Stadtbüchern (wie z.B.das Gelbe Stadtbuch oder weitere Bücher desVerwaltungsapparates) der reichsstädtischenKanzlei Regensburgs bis zum Ende des15. Jahrhunderts. Diese werden teilweiseimmer wieder genannt, ohne dabei aber dieZusammenhänge zum Schwarzen Stadtbuchzu erklären. Leider erschwert dieser fehlendeKontext das Verständnis der quellenkriti-schen Studien, da die notwendigen Infor-mationen oft nebenher erschlossen werdenmüssen. Dies gilt vor allem auch für das RotePrivilegienbuch, das für die Datierung desSchwarzen Stadtbuches maßgeblich ist.Zweitens mangelt es den Einführungskapitelnan einem strukturierten und logischen Auf-bau, da etliche Informationen mehrfach inverschiedenen Abschnitten dargestellt wer-den und zudem keine abschließende analyti-sche Zusammenfassung bzw. Bewertung zufinden ist, um die Arbeit so in einen größerenKontext zu stellen. Auch eine durchgängigeinheitliche Formatierung der Editionen wärewünschenswert gewesen. Demgegenüber lie-fern die ergänzenden Biogramme neue In-formationen über die Schreiber mit ihrenFunktionen und zum Teil auch mit ihrendiplomatischen Missionen. Abschließendstellen die quellenkritischen Studien – zwaretwas unübersichtlich, aber trotzdem hilf-reich – einen wunderbares Fundament für dieweitere Erforschung dieses Materials dar.

Jiří Petrášek

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Hans Kammermayer, H e r z o g E r n s t v o n B a y e r n ( 1 5 0 0 – 1 5 6 0 ) . G e i s t l i c h e rL a n d e s f ü r s t i m H o c h s t i f t P a s s a u , E r z s t i f t S a l z b u r g u n d d e r G r a f -s c h a f t G l a t z (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 167) München: Verlag C.H. Beck 2018; X, 492 S.; ISBN 978-3-406-10782-5.

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früher seinen Sohn Eustach in der HerrschaftLantfrid installiert hatte. Nach dem Tod Her-zog Ernsts am 7. Dezember 1560 spielte ineinem längst vorbereiteten Coup Kaiser Fer-dinand I., gleichzeitig König von Böhmenund damit Lehensherr der Grafschaft Glatz,seinem Schwiegersohn Herzog Albrecht V.,Neffe Herzog Ernsts, die Grafschaft Glatzund das gesamte übrige Erbe Ernsts zu.Während Eustach gänzlich ausgeschaltetwurde, musste der Bayerische Herzog auchdie Ansprüche seiner Tanten, der SchwesternErnsts bzw. deren Nachfahren abwehren. DieArbeit Kammermayers ist – entsprechenddem Lebensweg Herzog Ernsts – chronolo-gisch aufgebaut. Nach einem kurzen For-schungsüberblick und der Darstellung seinerArbeitsmethode (1–9), bietet er eine knappe,eher oberflächliche Darstellung von ErnstsJugend (10–31). In einem umfangreichenweiteren Kapitel stellt er das Wirken Ernst imHochstift Passau dar (32–112). Den Schwer-punkt dieser Studie aber bildet die Unter-suchung der Tätigkeit Herzog Ernsts im Erz-stift Salzburg (113–291). In einem übergrei-fenden Kapitel thematisiert KammermayerTeilaspekte der Tätigkeit Herzog Ernsts alsReichsfürst in Passau und Salzburg: vor allemRangstreitigkeiten und die Auseinanderset-zungen um die Doppelveranlagung der hoch-stiftischen Untertanen auf Habsburger Ter-ritorien bei der Türkensteuer. In diesemKapitel streift er auch die Rolle Ernsts imbayerischen Reichskreis (292–346). Schließ-lich wird noch Ernsts kurze Wirksamkeit inseiner Grafschaft Glatz abgehandelt (347–298). Den Abschluss dieses chronologischenDurchgangs durch das Leben von HerzogErnst bildet eine Art Exkurs zum Testamentdes Wittelsbachers (399–413) und eineWürdigung seiner Persönlichkeit (414–435).Vor den üblichen Verzeichnissen und demRegister findet sich noch ein Anhang, in demKammermayer den Erbverzicht HerzogErnsts von 1536 (438f) und Ernsts Testa-ment von 1550 (440–448) behandelt. Es seinoch darauf verwiesen, dass Kammermayer

bereits drei Kapitel seiner Dissertation ander-weitig publiziert hat3. Die sehr emsige Salz-burger Dissertation bietet viele neue Detailszum Wirken von Herzog Ernst von Bayern inseinen Bistümern, im kirchlichen wie im welt-lichen Bereich, aber es sind nur Splitter, diezum alten Bild, wie es etwa Muffat oderRiezler und zahlreiche moderne Autorengezeichnet haben, nichts wirklich Neues hin-zufügen. Dieses Bild wiederum ruht haupt-sächlich auf den Aussagen des Rates HerzogWilhelms, Leonhard Eck, wie z.B.: HerzogErnst „würde in seiner unersättlichen Be-sitzgier auch drei Bistümer statt einem neh-men“ (29). Herzog Ernst als geldgieriger wit-telsbachischer Fürstensohn, dessen egoisti-sche Machtspiele als Passauer Fürstbischofund später als Salzburger Erzbischof dembayerischen Herzogtum enorm schadeten.Dagegen schildert Kammermayer ausführlichErnst als rationalen, wirtschaftlich erfolgrei-chen und diszipliniert arbeitenden Landes-herrn, der auch immer auf das Wohl seinerUntertanen achtete. Religionspolitisch standErnst unnachgiebig auf der katholischenSeite, Zeit seines Lebens. Kammermayerstellt sich aber an keiner Stelle die Frage,warum Ernst als Landesfürst klaren rationa-len Einsichten folgte, und seine Untertanen inkeiner Weise ungebührlich ausbeutete, umseine Geldgier zu befriedigen, aber als bayeri-scher Prinz irrational große Geldsummenvom durch den Erbfolgekrieg stark gebeutel-ten Herzogtum erpresste. Kammermayerstellt sich auch nicht wirklich die Frage,warum Herzog Ernst nicht Kirchenfürst blei-ben wollte, und deshalb sowohl die Priester-und damit automatisch verbunden die Bi-schofsweihe verweigerte. Das Bild vomLeben Herzog Ernsts wird bis zur Über-nahme des Bistums Passau zuerst noch alsKoadjutor, dann aber als Administrator 1517in den archivalischen Quellen durch dieschweren Auseinandersetzung seiner beidenälteren Brüder seit 1511/14 bis 1516 starkgetrübt. Aber gänzlich unabhängig von feh-lenden Quellen über Ernst, wird aus den

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3 Hans KAMMERMAYER, Administrator und Erzbischof Ernst von Bayern als Reichsfürst imHochstift Passau und Erzstift Salzburg (1517–1554), in: Salzburg Archiv 34 (2010) S. 119–166; Ders., Herzog Ernst von Bayern, konfirmierter Erzbischof von Salzburg, als Pfand- undLandesherr der Grafschaft Glatz (1549–1560), in: Mitteilungen der Gesellschaft für SalzburgerLandeskunde 151 (2011) S. 161–205 sowie Ders., Testament, Tod und Verlassenschaft deskonfirmierten Erzbischofs von Salzburg, Herzog Ernst von Bayern, in: Mitteilungen derGesellschaft für Salzburger Landeskunde 152 (2012) S. 79–103.

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Landtagsverhandlungen 1514 deutlich er-hellt, dass sich die Beteiligten, Kaiser Maxi-milian, Herzogin Kunigunde, des KaisersSchwester und Mutter der drei Herzögesowie die Landstände, darüber im klarenwaren, dass Herzog Ernst, wenn er zu mann-baren Jahren kommen würde, dieselbenRechte eingeräumt werden müssten, wie seinem Bruder Herzog Ludwig X. (1495–1545). So war es sicher kein Zufall, dassErnst einen Monat vor Beginn des erstenLandtages 1514 Tonsur und niedere Weihenempfing. Auch wenn den Akteuren geläufigwar, dass es die beste Lösung wäre, wennErnst die geistliche Laufbahn einschlagenwürde, war allen einsichtig, dass die Ent-scheidung des Prinzen auch anders ausfallenkonnte. Dass dies nicht nur theoretischesGerede war, erhellt aus der Tatsache, dassKaiser Maximilian am 9. Januar 1518 seinenNeffen Herzog Ernst mit den Regalien für dasHochstift Passau nur begrenzt auf drei Jahrebelehnte. Er gewährte damit Herzog Ernst,der am 13. Juni 1518 volljährig werdenwürde, einen massiven zeitlichen Spielraum,um seinen eigenen Weg zu finden. Das sahwohl auch Herzog Ernst so. Was Ernst nichterkannte, war, dass diese Verhältnisse durchseine Mutter und deren Bruder, den Kaiser,getragen wurden und wahrscheinlich auchdurchgesetzt worden wären. Nachdem aberdie beiden verstorben waren, der Kaiser imJanuar 1519 und Kunigunde im August 1520,wurden die Karten neu gemischt. Und nuntaten die beiden großen Brüder so, als wärenihre Rechtsbrüche gegen die Primogenitur-ordnung legal, und alles was der kleineBruder wollte, nämlich Teilhabe an der welt-lichen Herrschaft im Herzogtum Bayern, zu-tiefst unrecht, dem Herzogtum äußerst unzu-träglich und anmaßend. Und dass ihnen dasernst war, ließen sie den Bruder ganz schnellspüren: Die Belehnung mit dem HerzogtumBayern durch König Karl V. (1500–1558) imFebruar 1521 am Wormser Reichstag erfolg-te nur für Herzog Wilhelm und HerzogLudwig, während Herzog Ernst nur mit denRegalien des Hochstiftes Passau belehntwurde. Jetzt wurde Herzog Ernst hellhörigund jetzt begann er, sich langsam steigernd,um die Durchsetzung seiner Rechte anBayern, die jenen Herzog Ludwigs entspra-chen, zu kümmern. Ein Ende fand dieserStreit noch nicht einmal mit dem Tod Ernsts1560, weil allen Beteiligten klar war, dass

Ernsts Ansprüche durchaus legal waren.Deshalb ruhte Herzog Albrecht V. (1528–1579) solange nicht, bis die legitime Nach-kommenschaft Herzog Ernsts ausgeschaltetwar. Diese Auseinandersetzungen waren aus-schlaggebend für Herzog Ernsts gesamtesLeben. Zumal Herzog Ernst wusste, dass ihndie Dynastie möglicherweise noch brauchenwürde. Herzog Ludwig hatte keine Kinder,und von den drei Söhnen Herzog Wilhelmsüberlebte nur einer, der 1528 geboreneHerzog Albrecht V. Das heißt, dass dieHauptlinie der ludowicianischen Wittels-bacher bis 1547, dem Geburtsjahr des erstenSohns Herzog Albrechts V. nur auf zweiKinderaugen stand. Aber auch dann war dieDynastie noch nicht gesichert. Dies alles warHerzog Ernst natürlich geläufig. So musste esihm mehr als billig erscheinen, dass seineBrüder ihn an der Herrschaft über dasHerzogtum Bayern teilhaben ließen. Aberseine Brüder hatten noch einiges parat, umHerzog Ernst das Leben als Bischof bzw. alsHochstiftsadministrator zu verleiden. Diebeiden Älteren verweigerten durch ihreStaatskirchenpolitik bereits sehr früh, 1523,dem Passauer Bistumsadministrator jedeMöglichkeit im geistlichen Bereich aufAugenhöhe als Kirchenfürst mit zu arbeiten,da sie die Bistümer ihres Herzogtums unterihre Kuratel bringen wollten. Genauso ver-hielten sich auch die habsburgischen Cousins.Damit machten ihm seine Brüder sehr frühklar, dass sie ihn nicht als fürstlichen Partnerin der kirchlichen Sphäre sahen, sondern alsBefehlsempfänger im Rahmen ihrer Staats-kirchenpolitik. Diese ins Kleinliche reichendeKirchenpolitik der beiden bayerischen Her-zöge gegenüber ihrem Bruder, traf seinenAdelsstolz wohl ebenso hart, wie ihre ableh-nende Haltung gegenüber Ernsts Ansprüchenauf weltliche Machtbeteiligung. Dies führte –das sei nur am Rande bemerkt – dazu, dassErnst Bayern um den Einfluss im BistumPassau wie auch im Erzbistum Salzburgbrachte – auf Jahrhunderte. Kokettierte Ernstin der ersten Hälfte der 20er Jahre noch damitgeistlicher Reichsfürst zu bleiben, vielleichtsogar die höheren Weihen zu empfangen,wurde ihm auf Grund der ständigen De-mütigungen seiner Brüder immer klarer, dassdas nicht seinem adelsstolzen Lebensentwurfentsprach. Und dies sollte sein ganzes Tun inden folgenden Jahrzehnten bestimmen unddeshalb begann er jetzt alle Register zu zie-

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hen, um seine Mitregierung in Bayern durch-zusetzen. Erster Erfolg war die Belehnungmit Bayern, gleichberechtigt mit den beidenBrüdern, durch Karl V. im Juni 1525. AberErnst war nicht zufrieden, er wollte welt-licher Fürst werden, und dieses Ziel verfolgteer eisern. Er schloss jetzt eine morganatischeEhe, bekam mindestens zwei Kinder, undtrieb jetzt, die wittelsbachisch-habsburgi-schen Gegensätze nutzend, seine Brüder vorsich her. Noch einen Tag vor dem sogenann-ten Linzer Vertrag vom 11. September 1534,in dem die Ehe zwischen dem bayerischenErbprinzen Albrecht V. und einer TochterKönig Ferdinands vereinbart wurde, aber indem auch übereinkam, dass Kaiser Karl V.auf weitere Unterstützung Herzog Ernsts ver-zichteten sollte, schloss Herzog Ernst mitKönig Ferdinand von Böhmen (seit 1521Erzherzog von Österreich, seit 1526 Königvon Ungarn, 1527 König von Böhmen, seit1531 römisch deutscher König, 1558 Kaiserdes Heiligen römischen Reiches, † 1564),dem Bruder Kaiser Karls V., und mit den bay-erischen Gesandten ebenfalls in Linz einenVertrag, der besagt, dass die bayerischenHerzöge Herzog Ernst den Erwerb der schle-sischen Fürstentümer Ratibor und Oppelnmit 250.000 Gulden bezahlen. Dafür verzich-tet Herzog Ernst auf seine Ansprüche aufBayern und König Ferdinand würde denErwerb der beiden Fürstentümer aus derPfandschaft Markgraf Georgs von Branden-burg (1484–1543) befördern. All dies kommtbei Kammermayer nicht vor, und so verwun-dert es auch nicht, dass die Folgen diesesVertrags nicht bei Kammermayer aufschei-nen. Ohne hier weiter auf Details einzugehensei festgestellt, dass die beiden Herzöge Wil-helm und Ludwig Herzog Ernst Mitte 1536tatsächlich 225.000 fl in bar, zur eigenenVerfügung, überwiesen. Zwar scheiterte derErwerb der beiden schlesischen Fürstentümeraus unbekannten Gründen, aber Ernst hättenun mit dieser stattlichen Summe Geldesgenügend Bewegungsfreiheit gewonnen, umseinen Zielen näherzukommen. Aber Ernsthält still, wir hören nichts mehr über entspre-chende Aktivitäten. Er lässt sich drei Jahrespäter von der bayerischen Diplomatie ohnegroßes eigenes Zutun auf den SalzburgerErzstuhl befördern, er wirkt als Adminis-trator dort genauso erfolgreich wie in Passau,so erfolgreich, dass das Domkapitel alles da-ran setzt ihn zu halten – erfolglos. Aber in sei-

ner Salzburger Zeit tickte für Ernst die Uhr.Der Papst hatte für den Salzburger Adminis-trator einen 10-jährigen Dispens erteilt, dannmusste er die entsprechenden Weihen emp-fangen haben. Hinzu kam, dass Herzog Al-brecht V. 1546 volljährig werden würde, unddann mit Erzherzogin Anna verheiratet wer-den würde. Er wusste, dass damit seine Zeitals ‚biologische Reserve‘ der wittelsbachi-schen Dynastie auslaufen würde, und damiter und seine Familie im Reich kein Bleibenmehr hatten. Er begann vielleicht schon 1545mit König Ferdinand über den Erwerb derGrafschaft Glatz zu verhandeln. Dann ließ erseinen ältesten Sohn Eustach durch KaiserKarl V. legitimieren und in den Ritterstanderheben. Er regelte die Versorgung seinerübrigen Kinder, und erwarb die GrafschaftGlatz in Böhmen und die Herrschaft Lantfridfür seinen Sohn Eustach. Er holte sich vonseinem Neffen Herzog Albrecht V. das ihmnoch zustehende Geld, und verließ 1554Salzburg, nachdem der Papst seinen Dispens,ohne höhere Weihen den Salzburger Bi-schofsstuhl zu versehen, nicht mehr verlän-gern konnte und wollte, und zog sich nachGlatz zurück. All dies hat Kammermayerdetailliert beschrieben, doch hat er wohl diepolitischen und dynastischen Implikationendieser Aktivitäten Herzog Ernsts nicht ver-standen. Durch die schnelle ResignationErnsts in Salzburg konnte die bayerischeDiplomatie in der Besetzung des Erzstuhlesnicht mehr erfolgreich tätig werden, um einengenehmen Nachfolger einsetzen zu lassen.Damit war das Erzstift Salzburg der bayeri-schen Einflussnahme für immer entzogen.Vermutlich war das die ‚kleine‘ Rache Ernstsfür das kleinliche Verhalten Herzog AlbrechtsV. in den Finanzfragen. Noch gewichtigeraber war die Legitimierung seines SohnesEustach von Lantfrid. Dadurch war einWittelsbacher entstanden, einer der durchausErbansprüche geltend machen konnte, dennErnst hatte ja nur auf seine persönlichenAnsprüche auf das Bayerische Erbe verzich-tet, nicht jedoch für seine Nachkommen. Diessollte für seinen Haupterben, Eustach, fataleFolgen haben. Herzog Albrecht V. bereitetenun von langer Hand einen Coup vor, der zurAuslöschung von Ernsts legitimen Nach-kommen führen wird. Bereits im Dezember1558 nimmt Albrecht bezüglich des GlatzerErbes Kontakt mit seinem Schwiegervater,Kaiser Ferdinand I., König von Böhmen, auf.

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Das 500-jährige Jubiläum der Markterhe-bung Mitterteichs hat Manfred Knedlik zumAnlass genommen, nicht allein dieses Ereig-nis zu betrachten, sondern die Entwicklung

der Gemeinde in der Frühen Neuzeit anhandder Privilegierungen Revue passieren zu las-sen. Hierfür blickt er zunächst auf die ersteMarkterhebung Mitterteichs von 1501 durch

Bereits im März des folgenden Jahres ist mansich handelseinig- König Ferdinand beurkun-det seinem Schwiegersohn, einziger Erbe derGrafschaft Glatz und anderer BesitzungenHerzog Ernsts zu sein – ein Willkürakt, zumalHerzog Ernst noch lebte. Als er dann eindrei-viertel Jahr später starb, wurde Albrecht mittatkräftiger Unterstützung Ferdinands binnenTagen tätig, und zog das Erbe Ernsts, inklu-sive der Herrschaft Lantdrid, an sich. AlleVersuche Eustachs nur an seine eigene, legiti-me Herrschaft Lantfrid zu kommen scheiter-ten am Kaiser. Seine Versuche mit seinemCousin Albrecht ins Reine zu kommen schei-terten ebenfalls – Eustach brachte sich ent-weder um, oder wurde wahnsinnig. Auch dasist Kammermayer gänzlich entgangen, ob-wohl er das zentrale Archivale, BayerischesHauptstaatsarchiv, Adels- und Wappenbriefe228, das übrigens seit 1905 auch publiziertvorliegt, kannte. Er schreibt viel über dasErbe Ernsts, aber die Motivationszusammen-hänge der einzelnen Beteiligten an diesemErbhandel erkennt er nicht, deshalb sindauch die Fragen nach einem zweiten Testa-ment Ernsts obsolet, denn wenn es ein sol-ches Testament gab, haben die Bevollmäch-tigen Herzog Albrechts V. und/oder KaiserFerdinand dieses Testament an sich genom-men, denn diese Partei hatte kein Interesse aneiner Publikation eines solchen Schrift-stückes, im Gegenteil, denn man hätte darauswahrscheinlich ohne Schwierigkeiten dieIllegitimität des Vorgehens von Herzog undKaiser ablesen können. Dass all dies nichtnur wegen des beträchtlichen Umfangs desErbes Herzog Ernsts geschah, ergibt sichauch aus dem Verhalten Herzog Albrechtsgegenüber den Nachkommen Ernsts. Wäh-rend Eustach gnadenlos verfolgt wurde, för-derte Albrecht jene Kinder Ernsts, die dieser

nicht legitimiert hatte, und die eigentlichunter der Vormundschaft Eustachs standen.Der zweite Sohn Ernsts, der das Erwach-senenalter erreichte, Justinianus, durchHerzog Albrecht V. reichlich mit Gütern aus-gestattet wurde so zum Stammvater einesAdelsgeschlechtes, der Peilensteiner. Wir sindjetzt am Ende unserer Rezension angekom-men, die dem geneigten Leser stellenweisewahrscheinlich als Koreferat zur Dissertationvon Kammermayer erschienen sein mag.Diese Ausführlichkeit war jedoch erforder-lich, da sonst das Wesen und die MotivationErnsts nicht verständlich sind. Ernsts Ver-halten gegenüber seinen Brüdern war nichtvon Geldgier geprägt, sondern von berechtig-ten Ansprüchen, deshalb konnte er sie auchweitestgehend durchsetzen. Seine Verweige-rung der Höheren Weihen hatte sicherlicheinen wesentlichen Grund im demütigendenVerhalten seiner herzoglichen Brüder im reli-gionspolitischen Bereich. Als er dann daranging sozusagen eine wittelsbachische Neben-linie zu begründen, die auf Ernsts eigenenlegitimen Herrschaftsansprüchen rekurrie-rend, Teilhabe am bayerischen Herzogtumeinfordern konnte, wurde Herzog Albrechtaktiv und vernichtete mit Hilfe seines kaiser-lichen Schwiegervaters Eustach von Lantfrid.Die Erbstreitigkeiten mit den Nachkommender Schwestern Herzog Ernsts waren dagegennur Marginalien zu den eben gezeichnetenVerhältnissen. Abschließend sei noch daraufverwiesen, dass der Rezensent, ehe diesesWerk von Kammermayer erschienen ist, dieinnerdynastischen Aspekte im Leben HerzogErnsts untersucht hat4. In diesem Aufsatzfinden sich auch die Belege für die hier vor-getragene Kritik an Kammermayers Disser-tation, die bis vor einiger Zeit als maschinen-schriftliche Dissertation im Netz verfügbarwar. Heinrich Wanderwitz

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4 Heinrich WANDERWITZ, Herzog Ernst von Bayern oder Flurbereinigung. MitteleuropäischeDynastien in schlesischen Fürstentümern Mitte des 16. Jahrhunderts – Archivstudien, in: SzkiceArchivalno-Historyczne 13 (2016) S. 11–54.

Manfred Knedlik, 5 0 0 J a h r e M a r k t r e c h t e M i t t e r t e i c h 1 5 1 6 – 2 0 1 6 (Schriften-reihe der Stadt Mitterteich 4) Pressath: Verlag der Buchhandlung Eckhard Bodner 2016; 55 S.:ill.; ISBN 978-3-939247-89-0.

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das Kloster Waldsassen zurück. Statt dererhofften wirtschaftlichen Belebung, zahltensich die mit der Stellung als Markt verbunde-nen Privilegien offenbar nicht aus. DieQuellenlage lässt keine definitiven Schlüssezu, urkundlich belegt ist lediglich die Rück-gabe der Marktrechte. Die erneute Markt-erhebung von 1516 stellte eine deutlicheVerbesserung und Erweiterung der Rechtefür die Gemeinde dar. Diesen Freiheitsbriefdes Klosters stuft Knedlik gewissermaßen alsein frühneuzeitliches Konjunkturprogrammfür Mitterteich ein. Der Ort konnte sich inder Folge zu einem wichtigen Handelsplatzentwickeln, da der regelmäßig abgehalteneMarkt über einen regional großen Einzugs-bereich verfügte. Daneben hatte man dassteuerfreie Brau- und Schankrecht erhalten,worauf im Übrigen die noch heute bestehen-de Tradition der Zoiglwirtschaften zurück-geht. Bald erfolgten der Bau eines Kommun-brauhauses und eine sich daraus entwickeln-de, rege Brautätigkeit. Daneben befreite dasKloster die Gemeinde von bestimmten Ab-gaben, die zuvor bei Erbschaften oder Grund-verkäufen angefallen waren. Zusätzlich er-hielt die Kommune das Recht seine Bürger zubesteuern. Die so erzielten Einnahmen kamenwiederum gemeinschaftlichen Einrichtungen,beispielsweise dem Kommunbrauhaus, zugu-te. Eine Kausalität ist mangels Quellen nichtzu belegen, aber die Verdoppelung der Bevöl-kerungszahl von Mitterteich bis zur Mitte des16. Jahrhunderts, steht gewiss in Zusammen-hang mit der geschilderten günstigen Ent-wicklung. Neben diesem wirtschaftlichenAufblühen Mitterteichs erfolgte auch eineverwaltungstechnische Aufwertung. Der Sitzdes Richteramts wurde vom benachbartenLeonberg nach Mitterteich verlegt, was dieseszu einem regionalen Verwaltungsmittelpunktwerden ließ. Ersichtlich ist dies, durch dasFühren eines eigenen Siegels und Wappens.In den folgenden Jahrzehnten war die Ge-meinde bestrebt, die gewonnene Stellung zuhalten und wenn möglich auszubauen. DieRechte der Privilegierung von 1525 warenjedoch auf Grund sich rasch verändernderHerrschaftsverhältnisse nur von kurzerDauer. Jeweils ein Stadtbrand bildete denAnlass für die Pfalzgrafen Richard undFriedrich IV. die Freiheitsrechte für Mitter-teich zu erweitern, um so die wirtschaftlicheSituation des Marktes zu verbessern. NebenMaßnahmen, die einen raschen Wiederauf-

bau begünstigten, waren mit den Rechten desSalzhandels (1568) und des Wollhandels(1593) dauerhafte und lukrative Einnahme-quellen gesichert. Knedlik beschäftigt sichferner mit dem Entzug sämtlicher Freiheits-rechte während des Dreißigjährigen Kriegesund dem anschließenden Ringen um derenWiedergewinnung. Über die konkreten Aus-wirkungen dieser Strafmaßnahme kann nurgemutmaßt werden, allerdings folgte einekonfliktträchtige Phase der Rechtsunsicher-heit. Erst im 18. Jahrhundert konnte eine er-neute Bestätigung der einstigen Freiheits-rechte erreicht werden. Ein eigenes Kapitelwidmet Knedlik dem Bierstreit, einem Kon-fliktherd, der aus den Marktrechten erwach-sen war. Mit dem Mitterteich zugestandenenBrau- und Schankrecht hatte man nämlichgewissermaßen eine Art exklusives Vorver-kaufsrecht für Bier erhalten. Die umliegendenGemeinden mussten ihren Bedarf zunächstmit Bier aus Mitterteicher Herstellung de-cken, sahen dadurch aber teils eigene ältereRechte verletzt. Verstöße wurden als Eingriffin die jeweils eigenen Rechte und Verdienst-möglichkeiten erachtet und führten mitunterzu gewalttätigen Exzessen. Ein Ende derStreitigkeiten erfolgt erst durch die Aufhe-bung des Bierzwangs Ende des 18. Jahrhun-derts. Ein umfangreicher Anhang liefertTranskriptionen der Freiheitsbriefe von 1516,1525 und 1568, der Marktordnung von1568, der Brauordnung von 1651 sowie derEhaftordnung von 1769. In Infokästen wer-den zusätzliche Aspekte zur wirtschaftlichenund verwaltungsrechtlichen EntwicklungMitterteichs mittels prägnanter Quellenbe-lege veranschaulicht. Unter den zahlreichenfarbigen Abbildungen stechen besonders jeneder Urkunden hervor, die trotz des kleinfor-matigen Bandes eine bemerkenswerte Quali-tät aufweisen. Dem Autor ist es gelungen, un-geachtet der kompakten Darstellung, die viel-fältigen Folgen, die sich aus den Freiheitsbrie-fen und Privilegierungen für die wirtschaft-liche, verwaltungstechnische und juristischeEntwicklung des Marktes Mitterteich erga-ben, aufzuzeigen. Knedlik schreibt dabei kei-ne zielgerichtete Erfolgsgeschichte, sondernrückt bewusst Schwierigkeiten und Konflikt-potentiale in den Fokus der Betrachtung. Da-mit ist mit dem vorliegenden Band keine blo-ße Würdigung des Marktjubiläums, sonderneine lesenswerte Entwicklungsgeschichte Mit-terteichs in der Frühen Neuzeit entstanden.

Konrad Zrenner

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Das anzuzeigende Pfarrerbuch hat einelange und komplexe Entstehungsgeschichte,die Volker Wappmann selbst knapp be-schreibt: Matthias Simon (1893–1972) hattefür den Bereich der bayerischen Landeskirchedamit begonnen, als adäquate Untersu-chungs- bzw. Darstellungsräume die – vordem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts –ehemals selbständigen Kirchen zu nehmen,die dann in die Landeskirche des neuenBayern eingegangen sind. 1930 hat er miteinem Band über die Pfarrer des FürstentumsBayreuth begonnen, dem später weitere folg-ten. Zu den verbliebenen Lücken gehörte dieKirche der Reichsstadt Regensburg. Vor-arbeiten für das Regensburger Pfarrerbuchbegann zuerst Pfarrer Friedrich Käppel(1884–1958), die von Hanns Bauer (1909-1981) und später vom Genealogen GerhardKorb (1906–1996) ergänzt, und von letzte-rem auch maschinenschriftlich erfasst wur-den. In den 1970er Jahren versuchte sichPfarrer Karl Graß (1911–1983) an einemeigenen Pfarrerbuch, der die KäppelschenVorarbeiten wohl gekannt und benutzt hat.Auch dieses wurde nicht vollendet und kamin den Besitz des Vereins für bayerischeKirchengeschichte. Dieses wurde für denDruck vorbereitet, als Gerhard Korb dieKäppel’schen Aufzeichnungen 1983 über-raschenderweise zum Druck brachte. DieWeiterarbeit am Manuskript Graß‘ wurde da-raufhin erst einmal auf Eis gelegt. 2005 ent-schloss man sich doch, dieses digital erfassenzu lassen und Wappmann zu beauftragen,dasselbe auf den neuesten Stand zu bringen.Diese mühevolle und langwierige Aufgabe istnunmehr zu einem Abschluss gekommen; umdie Leistung Wappmanns würdigen zu kön-nen, muss man in Erinnerung rufen, dass dieÜberarbeitung eines Manuskripts in wissen-schaftlicher Hinsicht in der Regel ebenso auf-wendig ist, wie dasselbe ganz von Grund aufneu zu schreiben. Das Pfarrerbuch ist so an-gelegt, dass es in alphabetischer Reihenfolgealle evangelischen Regensburger Pfarrererfasst von der Einführung der Reformation1542 bis zum Übergang der Stadt an Bayernund dem damit verbundenen Ende der kirch-lichen Selbständigkeit 1810. Die Biogramme

sind so aufgebaut, dass einer unterschiedlichausführlichen Lebensbeschreibung (mit denPfarrstellen bzw. wichtigsten Lebensstationenund genealogischen Angaben) jeweils Ver-zeichnisse der Quellen, der Literatur, zuetwaigen Portraits und schließlich – falls vor-handen – zu Werken der Pfarrer folgen. So istein wertvolles Nachschlagewerk entstanden,das auch ein wichtiger Ausgangspunkt fürgenealogische und kollektivbiographischeStudien sein kann. Eine historische Einlei-tung gibt einen Überblick über die Regens-burger protestantische Gemeinde von 1542bis 1810. Für Wappmann ist die Einführungder Reformation dabei primär eine Sache derBürger gewesen, nicht der RegensburgerObrigkeiten. Wichtige Faktoren waren dieseit den 1520er Jahren lebendigen evangeli-schen Bestrebungen, aber dann auch derReichstag und das Religionsgespräch von1541 (auch wenn man doch nicht davon spre-chen kann, dass der päpstliche Legat GasparoContarini die katholische Delegation bei die-sem angeführt habe, vgl. 45). Die Einführungder Reformation war dann maßgeblich dasWerk einiger von außerhalb berufener Geist-licher, so von Johann Forster aus Nürnbergund dem Flacianer Nikolaus Gallus, der vorallem nach dem Interim immer mehr demRegensburger Kirchenwesen seinen Stempelaufdrücken konnte. Flacius kam 1562 ausJena vertrieben nach Regensburg (und bliebdort vier Jahre, nicht ein Jahr, 48). Bis zumTod des Gallus war Regensburg eine Hoch-burg der gnesiolutheranischen Lehre, nachseinem Tod 1572 trennte man sich jedochvon den radikalen Flacianern. BartholomäusRosinus als Superintedent führte die Regens-burger Gemeinde nun in eine theologischeMittelposition. Für die österreichischenLutheraner war Regensburg mit seinemGymnasium poeticum – die Ausbaupläne desGallus zu einer Universität wurden nichtumgesetzt – ein wichtiger Ausbildungsort fürGeistliche und dann ebenso ein wichtigerZufluchtsort für Exulanten. 1627–1631wurde die Dreieinigkeitskirche erbaut. Mitder Rekatholisierung der Oberpfalz geriet derRegensburger Protestantismus freilich immermehr in eine Insellage; dieser wurde deshalb

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Volker Wappmann (Bearb.), R e g e n s b u r g e r P f a r r e r b u c h . D i e e v a n g e l i s c h e nG e i s t l i c h e n d e r R e i c h s s t a d t 1 5 4 2 b i s 1 8 1 0 (Arbeiten zur KirchengeschichteBayerns 96) Nürnberg: Verein für bayerische Kirchengeschichte 2017; 335 S.: ill.; ISBN 978-3-940803-13-9.

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zunehmend regionalisiert. Durch Zuzug leb-ten numerisch bald mehr Katholiken alsLutheraner in der Stadt, auch wenn seit 1651Katholiken das Bürgerreicht nicht mehr neuerwerben durften. Die Oberschicht blieb fastausschließlich protestantisch. Gegenüber pie-tistischen Strömungen grenzte man sich ab,so Georg Serpilius (1668–1723), der ab 1695in Regensburg wirkte und 1709 zum Su-perindenten aufstieg. Nach 1750 begann sichaber dann die Aufklärung durchzusetzen,wobei Superintendent Jakob Christian Schäf-fer (1718–1790, seit 1774 in Regensburg)vor allem Naturforscher und Erfinder warund theologisch einem gemäßigten Pietismusanhing. Das Dalbergsche Fürstentum Regens-burg vereinigte nun bislang eigenständige,verschiedenkonfessionelle Reichsstände. DieRegierung des aufgeklärten Katholiken Dal-berg scheint von der evangelischen Gemeinde

nicht als Problem empfunden worden zu sein(55). Der Übergang der Stadt an Bayern 1810bedeutete dann aber den Verlust der kirch-lichen Selbständigkeit. Dem Pfarrerbuch istein Verzeichnis der Regensburger Konsisto-rialgeistlichen (Superintendenten, Senioren,Consenioren) beigegeben, ebenso wertvolleRegister zu Personen und Orten und zahlrei-che Portraitgemälde (307–335). Die zahlrei-chen Vorarbeiten haben Volker Wappmannnicht davon entbunden, selbst die Angabenan den Archivalien noch einmal zu überprü-fen. Wer sich die Fülle von biographischenAngaben vor Augen hält, die überwiegendaus den Kirchenbüchern mühsam erst recher-chiert werden mussten, kann ermessen, wiesehr man dem Bearbeiter zum Abschluss desWerkes gratulieren kann und zu Dank ver-pflichtet ist.

Klaus Unterburger

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Georg Schrott, L e i b s p e i s e – S e e l e n s p e i s e . G e i s t i g e N a h r u n g a u s O b e r p f ä l -z e r K l o s t e r b i b l i o t h e k e n. Katalogbuch zur Ausstellung 21. Mai bis 28. Juli 2017, Kall-münz: Verlag Laßleben 2017; 147 S.: ill.; ISBN 978-3-7847-1237-6.

Seit vielen Jahren kuratiert Georg Schrottin der Staatlichen Bibliothek (Provinzial-bibliothek) Amberg höchst sehenswerte Aus-stellungen. Nun hat er sich des großen The-mas Essen angenommen. In einem wahrenParforceritt durch die Jahrhunderte zeigtSchrott im Katalogbuch zur Präsentation, wievielfältig die Zeugnisse für die Ernährung derVormoderne im historischen Bibliotheks-bestand Ambergs sind. Da Geist, Seele undLeib bekanntlich zusammengehören und die-ser „ganzheitliche Denkansatz“ keineswegsneu ist, finden sich in den frühneuzeitlichenJahrhunderten auch zahlreiche Nahrungs-metaphern in den verschiedensten Veröffent-lichungen. Sogar räumlich manifestiert sichdiese Haltung, nicht zuletzt in der Architek-tur. So brachte eine Reihe von Klöstern ihreBibliothek durchaus bewusst über demRefektorium unter, um so die Verbindungvon „Weisheit und Nahrung“ im Wortsinnezu „untermauern“ (15). Schrott beschreibteinzelne Nahrungsmittel und ihre Verwen-dung, geht aber auch immer wieder motivge-schichtlich vor. Der Ensdorfer KonventualeOdilo Schreger, der 1766 ein berühmtesKochbuch veröffentlichte, das gerade neuaufgelegt wurde5, kommt dabei ebenso zur

Sprache, wie der in Regensburg wirkendeJacob Christian Schaeffer (1718–1790). Die-ser entwickelte etwa in der Donaustadt einenBackofen, um Energie – in diesem Falle: Holz– einzusparen. Ein wahrhaft modern anmu-tender Ansatzpunkt. Der Mensch lebt be-kanntlich nicht vom Brot allein (Mt. 4,4),daher galt gerade der Barockzeit die Predigtauch als eine Art geistliche Speise. Fische,Wildpret, Gewürze, all das wird in diesemBuch ausführlich thematisiert. Für die Selbst-wahrnehmung der Oberpfalz von besondererBedeutung ist die Kartoffel. Dass die Regionzur vielbeschworenen „Erdäpfelpfalz“ wurde,ist allerdings eine vergleichsweise neue Ent-wicklung. Da die Kartoffel sich erst verhält-nismäßig spät durchsetzte, konnte sie imGegensatz zu anderen Nahrungsmitteln auchnicht mehr in religiöse Zusammenhänge ge-rückt werden, weshalb die Zeugnisse ent-sprechend selten sind (122). Schrott gelingtes Freude am Wissen rund um das ThemaNahrung zu vermitteln. Diejenigen, die sichmit Schrott auf die Reise in die Frühe Neuzeitund zu den Klöstern der Oberen Pfalz bege-ben, lernen ungemein viel. Das Buch ist, kurzgesagt, ein lehrreiches Vergnügen!

Bernhard Lübbers5 Odilo SCHREGER, Speiß-Meister Oder Nutzlicher Unterricht Von Essen und Trincken. Neu-

druck der Erstausgabe von 1766, hg. von Manfred KNEDLIK und Alfred WOLFSTEINER, Kallmünz22017.

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Die im Fürst Thurn und Taxis Zentral-archiv verwahrte Modellsammlung HeiligerStätten ist einzigartig und wurde um 1800durch den letzten Generalpostdirektor Alex-ander Freiherr von Vrints-Berberich erwor-ben, die Provenienz ist unbekannt. Erst imJahr 2009 rückten die 24 Architekturmodellewieder in den Fokus und wurden restaurato-risch konserviert, um schließlich in derFürstlichen Schatzkammer ausgestellt zuwerden. Die wissenschaftliche Aufarbeitungdieses „Schatzes“ stellt die nun veröffentlich-te Dissertation von Christina Pchaiek dar. Dieforschungsgeschichtliche und historische Er-fassung zu Beginn der opulenten Arbeit zeigt,dass sich die Rekonstruktion des Erwerbsund die historische Einordnung anhand derQuellenlage schwierig gestaltet hat. Aberdennoch konnte weitestgehend eine nachvoll-ziehbare und fundierte Sammlungsgeschichterekonstruiert werden. Das Phänomen derKulturstätten, hier vor allem ihre Bedeutung,Wahrnehmung und Wirkung, sowie die Ur-sprünge dieses „kunsthandwerklichen An-denkensgewerbes im Heiligen Land“ (45)erläutert die Autorin, um thematisch einzu-führen und gleichzeitig auf die funktionaleBestimmung überzuleiten. Primär waren dieModelle, die weitestgehend nach existentenGebäude aufwendig nachgebaut wurden,Pilgerandenken, um die erlebte Wallfahrt inder Heimat noch einmal ins Gedächtnis zurufen. Die kunsthistorische Aufarbeitung, diePchaiek detailreich und wissenschaftlich fun-diert im Hauptteil ihre Arbeit leistet, gelingtanhand eines stringenten Schemas, sodassder überblicksmäßige Charakter der Auf-arbeitung dennoch gewahrt bleibt. JedesModell wird einzeln vorgestellt, analysiertund interpretiert. Die Bauaufnahme des Mo-

dells und die zeitliche Bestimmung derModellarchitektur ergeben zusammen mit derbildlichen Darstellung bzw. Darstellungsformeine homogene Beschreibung und Präsen-tation des jeweiligen Modells. Ergänzend fin-den sich Abbildungen der Modelle und derKupferstiche bzw. der Pläne der originalenGebäude im Anhang der Dissertation. AmEnde der schematischen Analyse steht dieInterpretation und funktionale Bestimmungder Modellausstattung, um eine kunsthistori-sche Einordnung vorzunehmen; zudem wer-den fakultativ Besonderheiten der Modelledargestellt und erläutert. Die Einzigartigkeitder fürstlichen Sammlung hinsichtlich derModellvielfalt und der Quantität der Typenwird bei der Präsentation der einzelnenModelle deutlich, denn die Autorin kanndurch ihre Forschung 17 neue Modelle nach-weisen, die bis dato in der Forschung nichtbekannt waren. Dennoch umfasst sie „nichtalle früher gefertigten und vorhandenen Mo-delltypen“ (299). Die wissenschaftlicheAufarbeitung der Modelle schließt mit einerGegenüberstellung der Deutungs- und Aus-legungsmöglichkeiten zur funktionalen Be-stimmung der Sammlung Thurn und Taxis.Christina Pchaiek liefert einen beeindrucken-den Beitrag zu Erforschung der Modelle derHeiligen Stätten, indem sie umfangreich unddetailliert die Herkunft, Geschichte undBedeutung der fürstlichen Sammlung heraus-gearbeitet und anschließend anhand derErgebnisse eine kunsthistorische Einordnungvorgenommen hat. Ihre Erkenntnisse unter-mauert sie zudem mit zahlreiche Illustra-tionen, Übersichtstabellen und einer breitaufgestellten quellen- und sekundärliterari-schen Grundlage.

Raffael Parzefall

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Christina Pchaiek, D i e M o d e l l s a m m l u n g H e i l i g e r S t ä t t e n a u s d e r Z e i t v o n1 6 9 6 b i s 1 7 3 2 i m F ü r s t T h u r n u n d Ta x i s Z e n t r a l a r c h i v. Studien zu ihrerGeschichte, Funktion und Gestaltung (Thurn und Taxis Studien. N. F. 6) Regensburg: VerlagFriedrich Pustet 2017; 452 S.: ill.; ISBN 978-3-7917-2863-6.

Klemens Unger - Peter Styra - Wolfgang Neiser (Hg.), R e g e n s b u r g z u r Z e i t d e sI m m e r w ä h r e n d e n R e i c h s t a g s. Kultur-historische Aspekte einer Epoche der Stadt-geschichte. Begleitband zur Ausstellung „Von Prinzen, Bürgern und Hanswursten…!“Regensburg zur Zeit des Immerwährenden Reichstags, Regensburg: Schnell und Steiner 2013;327 S.: ill.; ISBN 978-3-7954-2807-5.Wilhelm Imkamp - Peter Styra (Hg.), G e s e l l s c h a f t l i c h e s L e b e n i n R e g e n s b u r gz u r Z e i t d e s I m m e r w ä h r e n d e n R e i c h s t a g s. Beiträge der Vortragsreihe „Das18. Jahrhundert in 45 Minuten“ der Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek (Thurn und Taxis

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Die Stadt Regensburg hat das Jahr 2013dem Jubiläum des Beginns des Immerwäh-renden Reichstages 1663 gewidmet. Aus derZusammenarbeit zwischen Stadt Regensburgund dem Haus Thurn und Taxis zu diesemJubiläum sind eine Ausstellung und zweiPublikationen erwachsen. Der Begleitbandzur Ausstellung „Von Prinzen, Bürgern undHanswursten ...!“ folgt im Wesentlichenjenem des Jahres 2003 (Peter Schmid undKlemens Unger (Hgg.), 1803 Wende inEuropas Mitte. Vom feudalen zum bürger-lichen Zeitalter, Regensburg 2003): Einge-leitet wird er durch die Abdrucke der Bei-träge einer Vortragsreihe der UniversitätRegensburg zum Thema Reichstag, die zumTeil weit über das Entstehen des Immer-währenden Reichstag zurückgreifen: KatjaKessel, Die sprachliche Bedeutung derReichsabschiede am Beispiel des Reichstagsin Regensburg 1532 (33–45) und MaximilianLanzinner. Facetten des periodischen Reichs-tags in Regensburg (47–61). Albrecht P.Luttenberger, Vom Westfälischen Friedenzum Immerwährenden Reichstag (73–85),beschäftigt sich mit dem Werden des Reichs-tages von 1663, während Martin Löhnig, ZurReichsidee im 17. und 18. Jahrhundert (63–71), den ideengeschichtlichen bzw. verfas-sungsrechtlichen Rahmen jenes eigenartigenGebildes „Reich“ in der Mitte Europas aus-leuchtet. Klaus Unterburger, Heilige Kämpfeund politisches Kalkül. Der Reichstag alsForum des Streits und des Ausgleichs zwi-schen den Konfessionen (101–113) schließ-lich thematisiert eines der wichtigsten Ar-beitsfelder des Immerwährenden Reichstags,die Konfessionsproblematik. Mit der musik-wissenschaftlichen Arbeit Christoph Meix-ners, Der politische Purzelbaum auf derReichstagsbühne. Ein Drama per musica infünf Akten (87 – 99), wird ein Teilaspekt desLebens am Regensburger Reichstag in denBlick genommen. Daniel Drasceks, Das»süße« Leben der Gesandten des Immerwäh-renden Reichstages in Regensburg. PopuläreMythen (15–31), beschäftigt sich mit denPersonen und ihrem Lebensstil, die denReichstag ausmachten, mit den Gesandten.

Anhand von Quellen zeichnet er erfolgreichein realistisches Bild dieser Gruppe, jenseitsjener gerne in populärwissenschaftlichen Ar-beiten, aber auch bei Fremdenführungen kol-portierten Geschichten von „sex and crime“.Von den folgenden drei lokalhistorischenAufsätzen ist besonders Peter Styras, DasPrinzipalkommissariat der Fürsten von Thurnund Taxis (145–155) hervorzuheben, dereinen straffen und fundierten Überblick überdas Amt des Stellvertreters des Kaisers amImmerwährenden Reichstag gibt, über denbzw. die Prinzipalkommissare. Der Kataloglässt eine gewisse Beliebigkeit bei derThemenwahl erkennen, die ihren Hinter-grund wohl in den Arbeitsschwerpunkten derBearbeiter hat. Dies erhellt auch der Ver-gleich mit der von Wilhelm Imkamp undPeter Styra herausgegebenen Publikation.Von den zehn ‚Abteilungen‘ der Ausstellungwerden fünf von Beiträgern des Sammel-bandes von Wilhelm Imkamp und Peter Styraverantwortet. Diese beträchtliche Schnitt-menge schadet aber weder dem Katalog nochdem Sammelband, da beide stark kulturwis-senschaftlich ausgerichtet sind und dadurchden Reichstag und seine Lebenswelt sehr pla-stisch erscheinen lassen.

Die Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothekveranstaltete eine Vortragsreihe „Das 18. Jahr-hundert in 45 Minuten“, deren Publikationhier zu besprechen ist. Die beiden Veranstal-ter bzw. Herausgeber beschreiben die Inten-tionen dieser Unternehmung folgender-maßen: Die Vortragsreihe war „in mehrfacherHinsicht innovativ …: 14 Referenten, größ-tenteils Nachwuchsforscher, die von derFranz-Marie-Christinen-Stiftung des fürst-lichen Hauses Thurn und Taxis mit Stipen-dien unterstützt werden, berichteten vonihren Forschungen in Archiv und Bibliothekdes Hauses Thurn und Taxis. Damit war jun-gen Nachwuchswissenschaftlern ein Forumgeboten, Ergebnisse ihres Forschens publi-kumswirksam und wissenschaftlich verant-wortbar darzubieten. … Das Haus Thurn undTaxis hat durch diese Vortragsreihe aucheiner breiteren Öffentlichkeit den Erfolg ihresWissenschaftsförderungsprogrammes präsen-

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Studien. Neue Folge 7) Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2016; 229 S.: ill.; ISBN 978-3-791-72681-6.Harriet Rudolph - Astrid von Schlachta (Hg.), R e i c h s s t a d t – R e i c h – E u r o p a. NeuePerspektiven auf den Immerwährenden Reichstag zu Regensburg (1663–1806) Regensburg:Schnell und Steiner 2015; 429 S.: ill.; ISBN 978-3-7954-2972-0.

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tiert.“ Man möchte sich für dieses Förde-rungsmodell möglichst viele Nachahmerwünschen. Allerdings bleibt im OberpfälzerRaum die Initiative der Fürst Thurn undTaxis Hofbibliothek und ihres Leiters Dr.Peter Styra über nachhaltige Förderung vonDissertationen die Forschungen zum fürst-lichen Haus und seiner Rolle am Immerwäh-renden Reichstag zu intensivieren, singulär.Nach den zitierten Vorworten der Heraus-geber (VII f.) und des Regensburger Kultur-referenten (IX f.), setzt sich Carolin Frisch-holz mit den Bedingtheiten und den Zufällenauseinander, die den ImmerwährendenReichstag nach Regensburg brachten (1–19).Alexandra Stöckl fasst die Repräsentations-verpflichtungen des Kaisers und in seinerVertretung des Prinzipalkommissars insAuge, die ein ausgeklügeltes Zeremoniell ver-langten, das zur Zeit der Thurn und Ta-xischen Prinzipalkommissare seinen Nieders-chlag in den Zeremonialprotokollbüchern desHof-Ceremoniarius fand (21–45). FabianFiederer setzt sich mit dem Phänomen derJagden, besonders der mit großem Pompdurchgeführten Hofjagden als adeliges Ver-gnügen, aber auch als Macht repräsentieren-des Spektakel auseinander (47–65). ElisabethBernsdorf beschreibt und typisiert dieLivreen der Dienerschaft des Hauses Thurnund Taxis, deren Prunk dem Repräsenta-tionsbedürfnis des Prinzipalkommissars ge-schuldet war (67–90). Miriam Sennfelder er-läutert an Hand der Siegesfeier anlässlich desSieges Prinz Eugens bei Belgrad 1717 überdie Türken durch den gerade frisch ernanntenPrinzipalkommissar Kardinal ChristianAugust von Sachsen-Zeitz die quantitativ undqualitativ höchst verfeinerte Esskultur derRepräsentanten am Regensburger Reichstagund deren zeremonielle Einbettung in dasrepräsentative Gefüge des Reichstages (91–144). Jonas Thanner richtet sein Augenmerkauf Belustigungen, die von verschiedenen so-zialen Schichten wahrgenommen wurden:Das Hatztheater in Stadtamhof, eine Tier-kampfarena, wie sie sonst nur noch in Wienexistierte, und die berühmten (studentischen)Schlittenfahrten. Er deutet die Entwicklungdieser Unterhaltungsformen als Indikatorenfür den Wandel von einer ständischen zueiner bürgerlichen Sozialordnung (115–131).Janina Pentlehner, Das Jahrhundert derKunst. Architekten und Künstler wirken inRegensburg (133–157), exemplifiziert diesen

Bereich an kurzen Biogrammen des Kupfer-stechers Andreas Geyer, den Malern MartinSpeer und Johann Zoffany, dem BildhauerSimon Sorg und dem Architekten MichaelBrunner. Viele Details des Reisens im 18.Jahrhundert breitet Peter Styra, Das Jahr-hundert der Bewegung. Reisen und Mobilitätim 18. Jahrhundert (159–178), aus. Er be-schreibt Reisehandbücher, Reiseapotheken,Reisetoiletten, die Reisegefährten, die Kut-schen usw. Hannah Ripperger, Das Jahrhun-dert des Dramas und der Komödien. Blütedes Regensburger Theaterlebens (179–202)bietet einen profunden Überblick über dasRegensburger Theaterleben des 18. Jahrhun-derts, das aufs engste mit dem Haus Thurnund Taxis verbunden war. Bernhard Lübbers,Das Jahrhundert der Bildung. Lesen wirdzum Zeitvertreib: Zeitungen, Bücher, Biblio-theken (203–224), bietet einen Überblicküber die reiche Bibliothekslandschaft Regens-burgs und deren Nutzung. Abgerundet wirddiese Vortragsreihe durch eine knappe Be-schreibung der Bestände zum Immerwäh-renden Reichstag im Fürst Thurn und TaxisZentralarchiv von Peter Styra (225–229).Reich bebildert bietet dieser Sammelband einkurzweiliges Lesebuch.

Inhaltlich gänzlich unabhängig von denbeiden vorherbesprochenen Publikationen istder von Harriet Rudolph und Astrid vonSchlachta herausgegebene Sammelband,Reichsstadt – Reich – Europa, der schon inseinem Titel die unterschiedlichen Perspekti-ven andeutet, unter denen der Immerwäh-rende Reichstag in Regensburg betrachtetwird. Grundlage für die Aufsätze diesesSammelbandes waren Vorträge, die auf einem2013 im Reichssaal des Regensburger Rat-hauses veranstalteten internationalen Sympo-sium gehalten worden sind. In der Einleitungbietet Harriet Rudolph eine Zusammenfas-sung über die Beiträge des Symposiums unddavon ausgehend einen Überblick über dendürftigen Forschungsstand und die sich dar-aus ergebenden Forschungsperspektivenunter modernen methodischen Ansätzen zumImmerwährenden Reichsstadt. Die 19 Bei-träge sind zu fünf Hauptgruppen zusammen-gefasst. Der erste Themenkomplex ist über-schrieben „Der Reichstag in der historischenForschung: Vergleichende Perspektiven“.Eine Rezension bietet nicht den Rahmen denBeitrag Joachim Whaley, The Legacy of theImmerwährende Reichstag in German His-

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tory (37–59), in der erforderlichen Aus-führlichkeit zu besprechen. Whaley fordert,den Reichstag und auch das Alte Reich nichtstetig unter der teleologischen Zuspitzungder historischen Entwicklung Deutschlandshin auf die Katastrophen des zweiten unddritten Reichs zu beurteilen. Er exemplifiziertanhand der Gesetzgebung des Reichstags,dass dieser zeitweise durchaus auf dem Standanderer vergleichbarer Institutionen arbeite-te, aber er weist auch darauf hin, dass hierabschließende Bewertungen nur schwer mög-lich sind, da der Forschungstand nicht hin-reicht. Auch Karl Härter, Permanenz,Partizipation, Verfahren und Kommunika-tion: Perspektiven einer europäisch verglei-chenden Analyse der Verfassung des Immer-währenden Reichstags (60–83), wendet sichgegen die These von der staatsrechtlichen„Sonderstellung“ und „Alterität“ der Reichs-verfassung, die wohl dem Vergleich desImmerwährenden Reichstag mit anderen vor-modernen Zentralversammlungen in Europamehr hindert als befördert, ebenso wie dieBeurteilung des Immerwährenden Reichstagunter verschiedenen modernen Theorie-modellen. Härter untersucht dann unter denGesichtspunkten Permanenz, Partizipation,Verfahren und Kommunikation vergleichendden Immerwährenden Reichstag mit der eid-genössischen Tagsatzung, den niederländi-schen ‚Staten Generaal‘, dem schwedischen‚Rikesdag‘, dem polnisch-litauischen ‚Sejm‘und dem englisch/britischen ‚Parliament‘. Erkommt dabei zu dem erstaunlichen Ergebnis,dass sich der Reichstag in diesen untersuch-ten Bereichen auf der Höhe der Zeit befand,sich nur graduell von den anderen Institu-tionen unterschied. Die Permanenz, dasImmerwährende des Regensburger Reichs-tags, ein europäisches „Alleinstellungsmerk-mal“ und sein „Logo“, ist der Untersuchungs-gegenstand des Aufsatzes von Johannes Burk-hardt, Seit wann ist der ImmerwährendeReichstag immerwährend? Bedeutung undWahrnehmung der Permanenz einer Reichs-institution (85–104). Im ersten Abschnittarbeitet er die Unterschiede zwischen Reichs-tag und insbesondere dem englischen Parla-ment heraus und kommt dabei zu demErgebnis, dass weder die englische Periodi-zität noch die deutsche Permanenz Regelbzw. Ausnahme sind, sondern, dass vor demHintergrund der gesamteuropäischen Ent-wicklung hier „zwei länderspezifische Wege

der Institutionalisierung in Rechnung zu stel-len“ sind. Im zweiten Abschnitt geht Burk-hardt der Verwendung des Begriffs Immer-währender Reichstag nach. Zur Zeit desBestehens dieser Institution wurde dieserTerminus oder vergleichbare, die Stetigkeitsignalisieren, nicht verwendet. Man nannteihn den ‚noch fortwährenden‘ oder einfachden Regensburger Reichstag. „Die Institutionaus Versehen blieb sprachlich eine auf Dauergestellte Institution unter Vorbehalt“ (98).Erst die historische Wissenschaft des 19. undvor allem des 20. Jahrhunderts, die ja denReichstag als negative Verfassungseinrich-tung definierte, kanonisierte dann den BegriffImmerwährender Reichstag, vor allem durchdie Verwendung in den Handbüchern, be-sonders im ‚Gebhardt‘. Peter H. Wilson, TheImmerwährende Reichstag in English andAmerican Historiography (105–122), zeigteinleitend das große Desinteresse der eng-lischsprachigen Historiographie diesseits undjenseits des Atlantik für den Immerwäh-renden Reichstag auf. Im Gegensatz dazuwurden die Landtage im Reich sehr wohl inden Blick genommen, da sie in der angelsäch-sischen historischen Wissenschaft als demo-kratische Vorformen deutscher Staatlichkeitgelten. Wilson ist allerdings der Meinung,dass man weder den Reichstag noch dieLandtage im Reich unter staatstheoretischenGesichtspunkten wie Gewaltmonopol oderParlament als Nationalrepräsentanz sehendarf. Er schlägt deshalb vor, das Reich undseine Institutionen nicht unter dem Blick-winkel zu sehen, ob sich daraus irgendwelcheparlamentarische Strukturen hätten bildenkönnen etc., sondern man sollte vor demHintergrund der Diskussion über Imperienund in diesem Zusammenhang speziell überdie demokratischen Strukturen der EU in denanglo-amerikanischen politischen Wissen-schaften, den umgekehrten Weg beschreiten,um das Reich besser verstehen zu können.Also nicht das Alte Reich ist die Blaupausefür die EU, sondern man sollte die Gründefür die Strukturen der EU mit denen desAlten Reichs vergleichen, um dieses besser zuverstehen. Diesen sehr informativen Ver-gleich arbeitet Wilson anhand von neunmodernen Begriffen, mit denen man einenStaat oder ein Imperium umschreiben kann,wie Staatsterritorium und Grenzen, Staats-volk, Identifizierung mit dem Staat usw. ab.Sie hier alle aufzuzählen und zu diskutieren

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würde den Rahmen einer Rezension spren-gen. Im zweiten Abschnitt „Tagen, Verhan-deln, Netzwerken: Strategien der politischenKommunikation auf dem Reichstag“ geht esum die inneren Kommunikationsstrukturen,die unter verschiedenen methodischen An-sätzen betrachtet werden. So analysiert Chris-toph Kampmann, Reichstagskrise als Reichs-krise? Kaiser, Reich und ImmerwährenderReichstag um 1700 (125–138) die Reichs-tagskommunikation sozusagen von oben her.Er beleuchtet, wie Kaiser Leopold I. imAngesicht des drohenden Spanischen Erb-folgekrieges zuerst durch konfrontativeKrisenkommunikation und dann durch Kom-munikationsverweigerung sein Ziel, denReichstag zu blockieren, durchsetzte. DieseKrise von 1700/1702, die gemeinhin alsBeispiel für die Bedeutungslosigkeit desReichstags steht, muss deshalb dahingehendgedeutet werden, dass der Kaiser demReichstag besondere Bedeutung zumaß undihn deshalb bewusst lahmlegte, um unkon-trollierte Aktivitäten dieses Gremiums zu ver-hindern. Ebenfalls aus der kaiserlichenPerspektive zeigt Michael Rohrschneider,Klientelpolitik auf dem ImmerwährendenReichstag: Das Beispiel der Introduktion desFürsten von Thurn und Taxis in den Reichs-fürstenrat 1754 (139–152), auf, wie der kai-serliche Hof mit viel Geschick und Aufwandeinen wichtigen Klienten im Reich,Alexander Ferdinand von Thurn und Taxis, inden Reichsfürstenrat am ImmerwährendenReichstag, nach dem Kurfürstenrat das be-deutendste Gremium, lancierte. Rohrschnei-der deutet das auch dahin, dass die Reichs-politik und die Reichstagspolitik um die Mittedes 18. Jahrhunderts durchaus noch ein nichtzu vernachlässigendes Aktionsfeld des kaiser-lichen Hofes bildete. Die Arbeit FabianSchulzes, Reziprokes Agenda Setting? Ko-operationsformen zwischen Kreistagen undImmerwährendem Reichstag auf den Gebie-ten des Münzwesens und der „securitas publi-ca“ 1663–1683 (153–177), beschäftigt sichdann mit den horizontalen Kommunika-tionsstrukturen zwischen dem RegensburgerReichstag und den Reichskreisen. Es werdenreziproke Strukturen im Münzwesen und imBereich der inneren Sicherheit zwischen denregional strukturierten Kreistagen und demständischen Reichstag angerissen, die vermu-ten lassen, dass die Standschaft am Reichstagnicht das einzig abstimmungstechnische

Element bildete. Ludolf Pelizaeus, Kommu-nikative Akte des Gesandten von Kurmainzund dem Reichserzkanzler am Immerwäh-renden Reichstag 1692–1737 (179–192),zeigt die kommunikativen Spielräume eineshohen Gesandten am Reichstag, Ignatz An-ton Freiherr von Otten (1644–1737), Ge-sandter von Kurmainz und für den Reichs-erzkanzler, auf. Anhand der Leichenpredigtfür diesen Gesandten wird auch der zeremo-nielle Rahmen in dem sich die Gesandtenbewegten, dargestellt. Der dritte Abschnitt istbetitelt: Die Präsenz europäischer Staaten aufdem Immerwährenden Reichstag. Zuerstwerden zwei Gesandtschaften abgehandelt,die bisher kaum beachtet wurden, die schwe-dische hauptsächlich für die Jahre 1674 und1675, Dorothee Goetze, „es so viel seye, alßwann das Reich angegriffen were“ – DasAuftreten Schwedens beim ImmerwährendenReichstag im schwedisch-brandenburgischenKrieg (195–214), und die russische in derzweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei Ma-ria Petrova, Auf verlorenem Posten? Diediplomatischen Vertreter Russlands in Regen-sburg im 18. Jahrhundert (215–234). TilmanHaug, „D’egal a egal?“ – Statuskommuni-kation französischer Gesandter auf demImmerwährenden Reichstag zwischen euro-päischen und reichsständischen Repräsenta-tionsformen (235–250), versucht die Stellungder französischen Gesandten am RegensburgReichstag über den zeremoniellen Status zudefinieren. Im vierten Abschnitt geht esschließlich um die Außenkommunikation desReichstages in Regensburg: „Information,Medien und Öffentlichkeit: Reichweiten desImmerwährenden Reichstags“. AnuschkaTischer, Der Immerwährende Reichstag alsForum öffentlicher Kriegsdiskurse in denersten Jahrzehnten seiner Entstehung (253–265), analysiert die öffentlichen Kriegsdis-kurse vor allem zur Zeit Kaiser Leopolds I.und wie gerade dieser Kaiser es verstanddiese in seinem Sinne zu manipulieren und zunutzen. Sie resümiert: „Der ImmerwährendeReichstag ist weniger ein historisches Beispieleines öffentlichen Forums europäischer Poli-tik als vielmehr ein historisches Beispiel, andem die Manipulation politischer Öffentlich-keit und politischer Kontrolle vielfältig unter-sucht werden kann.“ Und sie schließt nocheinen Satz an, den man in diesem Sammel-band öfters erwartet hätte: „Dazu bedürfte esallerdings vor allem einer Erschließung und

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Aufbereitung der Quellen des Immerwähren-den Reichstags, die derzeit noch nicht abseh-bar ist.“ Volker Bauer, Der Rang des Reichs-tags im Rahmen von Fürstenherrschaft undFürstengesellschaft: Auskünfte des Amts-verzeichniswesens (267–285), zeigt anhandder Hof- und Staatkalender, also offiziellerAmtsverzeichnisse, die im Reich auf allenherrschaftlichen bzw. staatlichen Ebenen seitdem Ende des 17. Jahrhunderts in Gebrauchkommen, „welcher gesellschaftliche Rang,welcher funktionale Stellenwert und welchepolitische Bedeutung dem Reichstag im18. Jahrhundert zugeschrieben wurde, unddies sowohl in der einzelstaatlichen Fürsten-herrschaft als auch im Gefüge der europäi-schen Fürstengesellschaft.“ Susanne Fried-rich, Zur rechten Zeit‘ – Die temporaleStruktur von Kommunikation am Immer-währenden Reichstag (287–308), beschäftigtsich mit den unterschiedlichen Kommunika-tionsebenen des Immerwährenden Reichstagsum 1700. Zum einen die institutionelleEbene am Reichstag selbst und zum anderendie ‚staatliche‘ Ebene außerhalb Regens-burgs. Zu Beginn des ImmerwährendenReichstags hatten beide Ebenen noch eherarkanischen Charakter, das heißt, der Reichs-tag war noch das Spielfeld der Politiker, dieauch den rechten Zeitpunkt für Kommunika-tionsaktivitäten bestimmen konnten. Mit demsich zunehmend entfaltenden Zeitungswesen,dessen immanenter investigativer Charakterzur ‚schnellen‘ Neuigkeit drängte, wurde derzeitliche Spielraum der Politik zunehmenddeutlich begrenzt, da die Hoheit über denZeitfaktor verloren ging. Dieser Zustand warum 1700 auch für die Akteure erkennbarerreicht. Mit dem monumentalen „Atlas His-torique“, dessen sieben Bände die Amster-damer Verlegerfamilie Châtelain zwischen1705 und 1720 auf den europäischen Buch-markt brachte, setzt sich Harriet Rudolph,Der Reichstag als Hort der „deutschen Frei-heit“. Reichsverfassungsbilder als Medien des

Wissenstransfers im „Atlas Historique“ derGebrüder Chatelain (309–336), auseinander.Dabei fasst sie den zweiten Band, der erst-mals 1708 erschienen ist, in den Blick, dessenTexte von Nicolas Geuedeville, eines ausFrankreich geflohenen Benediktiners, derzum Calvinismus konvertierte, stammen.Geuedeville stellt in den Mittelpunkt seinerAusführungen über das von ihm meist soge-nannte „Deutsche Reich“, die „deutscheFreiheit“, die „Liberté Germanique“, die sichseit den Zeiten der Germanen erhalten habe,und die „sowohl für die Bewahrung der stän-dischen Rechte und Privilegien gegenüberdem Kaiser im Innern, als auch für die Ver-teidigungsfähigkeit des Reiches nach außen“,stünde. Er sah das Reich nicht als Monarchie,sondern als „riesige Republik, in welcher derKaiser lediglich als Fürst unter Fürsten agie-re“. Als höchste Gewalt im Reich stellt er denReichstag dar. Diese Grundidee beschreibtRudolph anhand der Verfassungsbilder undder von Geuedeville dazu verfassten Texte,des „Atlas Historique“. Durch den unkom-mentierten Nachdruck dieser Verfassungs-bilder, fand diese Sicht auf das Reich einerelativ breite Rezeption. Der letzte Abschnitt„Erinnerungsort Immerwährender Reichs-tag? Das Gedächtnis einer untergegangenenInstitution“ nimmt noch Teilaspekte dessenwas vom Reichstag blieb, materiell und insti-tutionell, in den Blick. Astrid von Schlachta,Der Tod in Regensburg – Von Leichenpre-digten und Konversionsgeschichten beimImmerwährenden Reichstag (339–358), er-läutert den quellenwert der Leichenpredigtenfür verstorbene Gesandte, für die Geschichtedes Reichstages. Sie expliziert dies haupt-sächlich an der Leichenpredigt des Emme-ramer Mönches Joseph Flossmann für den1737 verstorbenen kurmainzischen Gesand-ten Ignatz Anton Freiherr von Otten. DiesePredigt ist auch im Beitrag von LudolfPelizaeus thematisiert.6 Ebenfalls mit demTod der Reichstagsgesandten und deren Ge-

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6 Hier sei darauf verwiesen, dass in Regensburg selbst eine nicht ganz unbeträchtliche Zahlan Leichenpredigten, auch von Gesandtschaftsmitgliedern überliefert ist. Auf Grund überliefe-rungsgeschichtlicher Zusammenhänge befindet sich ein Teil in der Staatlichen BibliothekRegensburg und ein weiterer Teil im Archiv des Historischen Vereins für Oberpfalz undRegensburg. Literatur: Otto FÜRNROHR, Die Leichenpredigten der Kreisbibliothek Regensburg,in: Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde Heft 2/1961, Heft 1/1962 undHeft 3/1963 (Sonderdruck mit durchgehender Seitenzählung: SBR Rat.civ 1146). ZumReichstag: „ca. 20 Mitglieder der beim Reichstag akkreditierten Gesandtschaften“ (1); Ders.,Die Leichenpredigten des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, in: Volks-

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dächtnis beschäftigt sich Gregor M. Metzig,Die Gesandten des Immerwährenden Reichs-tags im Spiegel ihrer Regensburger Grab-mäler (359–380). Der Verfasser arbeitet denQuellenwert dieser Denkmäler, als Manifes-tationen der Repräsentationsverpflichtungender Gesandten deutlich heraus.7 Josef Mem-minger, Eine „Maschine, die nur noch klap-perte“ oder „in vielen Staaten hochge-schätzt“? Der Immerwährende Reichstag inSchulbuchdarstellungen des Kaiserreichs undder Gegenwart (381–409), stellt die Frage ob die Schule dazu beitragen könnte, denReichstag zu einem Erinnerungsort deutscherGeschichte im Bewusstsein breiterer Bevölke-rungsschichten zu implementieren. Er ver-gleicht dazu die Haltung der Schulbücher imKaiserreich und in der Moderne zum Immer-währenden Reichstag. Dass im Kaiserreichder Regensburger Reichstag in den Schul-büchern nur negativ belegt ist, ist der Domi-nanz der borussisch-kleindeutschen Ge-schichtsschreibung jener Epoche geschuldet.Daran änderte sich während der WeimarerRepublik und des Dritten Reiches nichts.Inzwischen hat der Immerwährende Reichs-tag zumindest in den bayerischen Geschichts-büchern der Oberstufen seinen durchaus res-pektablen Platz. Allerdings wird er in denLehrbüchern der Sekundarstufe I nicht er-wähnt, lediglich in den Geschichtsbüchernfür die bayerischen Mittelschulen wird er the-matisiert. Das Fazit Memmingers: „Summasummarum ist festzustellen, dass der Immer-währende Reichstag noch kein Erinnerungs-ort ist, der über die Schulbuchangebote mitgroßer Breitenwirkung gefestigt werdenkann.“ Markus Friedrich, Das Alte Reich undseine Archive im Spiegel reichspublizistischerund reichsrechtlicher Literatur: Jus archivi,gerichtliche Beweiskraft und konfessionspoli-tische Indienstnahme (411–429), setzt sichzum Schluss des Tagungsbandes mit einem

äußerst selten behandelten Thema derReichs- und Reichstagsgeschichte auseinan-der: dem ius archivi. Er erläutert zuerst an-hand der theoretischen-juristischen Druck-werke ab dem späten 16. Jahrhundert, wemund auf welcher Rechtsgrundlage das iusarchivi im Reich zustand. Im Hauptteilbeschäftigt er sich dann mit der Bereitschaftder Reichsstände die Authentizität derReichsarchive, im speziellen Fall mit demkurerzkanzlerischen Archiv in Mainz, inReligionsfragen, anzuerkennen. Er erläutertdies jeweils an den Diskursen 1630 und 1730über die Authentizität der in Mainz nur inAbschrift überlieferten Confessio Augustana.

Alle drei hier besprochenen Werke sind derüblichen Jubiläums-Hatz geschuldet, wasnicht grundsätzlich schlecht ist, doch erschei-nen dadurch die Aktivitäten nicht seltenetwas kurzatmig. Dies ist beim Ausstellungs-katalog in der Beliebigkeit der behandelten„kulturhistorischen Aspekte“ erkennbar. Sehrgut gelöst ist die Bewältigung dieser Kurz-atmigkeit im Sammelband von Imkamp undStyrer, die ein ‚didaktisches‘ Konzept reali-siert haben, das den Autoren mit ihrenThemen eine interessierte Öffentlichkeiterschloss und gleichzeitig die Umsetzung derForschungen im Ausstellungsbereich ermög-lichte. Das Konzept das dem Kolloquiums-band von Rudolph und von Schlachtazugrunde liegt, sollte man aufgreifen und esverstetigen: Die Universität mit der Stadtoder dem Haus Thurn und Taxis oder auto-nom sollte alle drei oder vier Jahre einKolloquium über neue Forschungen zumReichstag im Reichssaal abhalten. Damitließe sich vielleicht eine Kontinuität in derwissenschaftlichen Öffentlichkeit zu denForschungen zum Immerwährenden Reichs-tag am angemessenen Ort erzeugen.

Heinrich Wanderwitz

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genealogische Beiträge, Beilage zu der Zeitschrift „Der Familienforscher in Bayern, Frankenund Schwaben, Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde Bd. 1 (1956) S. 152– 183; zusammenfassend: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland 12: BayernI-R, Hildesheim u.a. 1996, S. 226 f., Nr. 2.27 (Staatliche Bibliothek Regensburg) und S. 259–261 (Historischer Verein).

7 Hier ist darauf hinzuweisen, dass inzwischen eine Edition aller Denkmäler des sogenann-ten Gesandtenfriedhofs an der Dreieinigkeitskirche vorliegt: Albrecht KLOSE – Klaus-PeterRUESS, Die Grabinschriften auf dem Gesandtenfriedhof in Regensburg (Regensburger Studien22), Regensburg 2015.

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Die ländliche Bevölkerung Bayerns umfas-ste in der Vormoderne den Großteil derUntertanen des Kurfürstentums. Etwa 80Prozent der Menschen lebten damals auf dem„flachen Land“. Üblicherweise wird diesemTeil der Einwohner des Landes jeglicheMobilität abgesprochen. Gemeinhin wirdvielmehr angenommen, die Landbevölkerunghätte ein ausgesprochen statisches Lebengeführt. Die hier anzuzeigende Arbeit hatsich eine detaillierte Untersuchung der Land-bevölkerung in einem eng begrenzten Raum,der Herrschaft Falkenstein, zum Ziel gesetzt.Diese, im vorderen bayerischen Wald gele-gen, umfasste 13 Kilometer in west-östlichersowie acht Kilometer in nord-südlicherAusdehnung. Dass ausgerechnet diese Herr-schaft gewählt wurde, erfolgte nicht etwazufällig. Für diesen fast geschlossenen Raum,der 1829 vom Fürsten von Thurn und Taxisgekauft wurde, liegt eine außergewöhnlichdichte Überlieferung vor. Im Zentrum derArbeit, die 2015 von der Fakultät fürPhilosophie, Kunst-, Geschichte- und Gesell-schaftswissenschaften der Universität Re-gensburg als Dissertation angenommenwurde, steht die Kernfrage, wie „groß“ dieWelt für die Menschen jener Zeit tatsächlichwar. Welchen Bewegungsradius hatten dieUntertanen der Herrschaft Falkenstein imausgehenden 18. Jahrhundert bei ihren all-täglichen Verrichtungen, z.B. bei ihren Be-mühungen den Lebensunterhalt für sichselbst und ihre Angehörigen bestreiten zukönnen? In welchem Umkreis wählten sieihren Lebenspartner? Diese und zahlreicheandere Aspekte werden von Daschner näheruntersucht. Die Arbeit zerfällt in sieben grö-ßere Abschnitte. Nachdem zunächst Frage-stellung, Forschungsstand und die wichtig-sten Quellenbestände thematisiert werden(13–28), erläutert Daschner den Unter-suchungsraum, die Herrschaft Falkenstein(29–38). Die Herrschaft, für die im Unter-suchungszeitraum eine Bevölkerungszahl vonmaximal 2.200 Menschen angenommen wer-den darf (36), unterstand im ausgehenden18. Jahrhundert den Grafen von Toerring,einer der reichsten und einflussreichstenFamilien im Kurfürstentum Bayern. Es schlie-ßen sich Erläuterungen über die „Rahmen-

bedingungen der Mobilität“, also das Wege-netz, Fortbewegungsmittel sowie über dieKommunikationsmethoden der Bevölkerungan (39–51). Die folgenden drei Kapitel bildenden eigentlichen Kern der Arbeit. Zunächstuntersucht Daschner „Lebenswelt und Be-wegungsradius im Alltag“ (52–129). Dasch-ner erläutert, wie die Menschen wohnten undin welchem Umkreis die etwa die landwirt-schaftlichen Gründe um die jeweiligen Höfelagen. Dann wendet sie sich den Personen-netzen zu. Da die Kindersterblichkeit in jenerZeit sehr hoch war, hatte eine durchschnittli-che Familie gewöhnlich nicht mehr als dreibis fünf Kinder; Familien mit zehn Kindernwaren die „absolute Ausnahme“ (61). Geradefamiliäre und verwandtschaftliche Bandewaren in der Regel sehr eng; man half sichinnerhalb dieser Familienverbünde gewöhn-lich gegenseitig, wenn beispielsweise Not-lagen auftraten. Höchst unterschiedlich warhingegen, über welche Distanzen der Kontaktaufrechterhalten werden konnte. Währendeinige Familien untereinander auch über 100und mehr Kilometer Verbindung hielten,waren für andere bereits 25 Kilometer Ab-stand schon zu viel (68). Auch die Mecha-nismen, die bei der Auswahl von Taufpatenund Vormündern griffen, werden untersucht.Während bei den Taufpaten offenkundig diepersönliche Sympathie eine große Rolle spiel-te (78), etwa zwei Drittel der Eltern imUntersuchungsgebiet arrangierten sich miteinem anderen Paar, um gegen- und wechsel-seitig die Patenschaft für die Kinder zu über-nehmen, waren bei der Bestellung von Vor-mündern andere Kriterien ausschlaggebend.Allen Vormündern gemein war, dass sie vorOrt ansässig waren (81). Auch die Be-ziehungen zur Obrigkeit werden thematisiert(82–94). Die Grafen von Toerring übten inihrer Herrschaft Falkenstein die Hoch- unddie Niedergerichtsbarkeit aus (82). Um diesejedoch praktisch zur Wirkung bringen zukönnen, waren Beamte sowie Gerichtsschrei-ber und Amtmänner notwendig. Gerade dieletztgenannten Amtmänner sowie die Amts-knechte übten in vielerlei Hinsicht geradezuPolizeiaufgaben aus; sie patrouillierten in derHerrschaft, beaufsichtigten die Abgaben derUntertanen und überwachten die Einhaltung

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Manuela Daschner, M o b i l i t ä t u n d L e b e n s w e l t d e r l ä n d l i c h e n B e v ö l k e r u n g.Die Herrschaft Falkenstein im ausgehenden 18. Jahrhundert (Thurn und Taxis Studien. N. F. 9)Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2017; 246 S.: ill.; ISBN 978-3-7917-2925-1.

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der Sperrstunde (86). Eine zentrale Stellungnahmen die Seelsorger ein. Insbesondere dieErreichbarkeit der Priester in Not- und To-desfällen sowie die Abhaltung regelmäßigerGottesdienste mussten sichergestellt werden.War so die geistliche Versorgung der Bevöl-kerung gewährleistet, waren erste Ansprech-partner bei körperlichen Beschwerden undVerletzungen die Bader. Nur selten wurdenApotheker oder gar Ärzte herangezogen.Obgleich die autonome Versorgung ange-strebt war, benötigte man für einige Güterauch den Krämer. Gerade Waren für den„Haushalts- und Kleidungsbedarf“ wurdenvon diesen geführt, hinzukamen Genuss-mittel, etwa der Tabak, der gerne konsumiertwurde (107f.). Die arbeitsfreie Zeit ver-brachten viele Männer in Wirtshäusern und -stuben, wo es infolge oft übermäßigen Alko-holkonsums jedoch häufig zu Streitereienkam. Oft und gerne wurden auch die Märkteder Umgebung aufgesucht, wo man verschie-dene Güter, wie Nahrungsmittel, Kleidungoder Werkzeug, aber auch Vieh kaufen konn-te (118–122). Distanzen von 20 oder 30Kilometern wurden dabei gerne in Kaufgenommen. Beliebt waren ferner Wallfahrtenund Bittgänge, auch wenn die Obrigkeitimmer wieder versuchte, diese Formen derVolksfrömmigkeit einzudämmen. Um 1800gab es im Untersuchungsgebiet 372 Häuserund Hofstellen. Jeweils die Hälfte warenganze oder halbe Höfe bzw. kleinere Ein-heiten (132). Während üblicherweise Viertel-höfe ausreichten, um eine Familie zu ernäh-ren, mussten bei kleineren Hofstellen nochandere Formen des Verdienstes hinzutreten.Im Markt Falkenstein wurden in 85 Prozentder Häuser ein Handwerk oder Gewerbe aus-geübt (133). Zentrale Ereignisse waren auchdie Hofübergaben, für die es keine Alters-grenzen gab. Diese fanden immer nur an einKind statt, eine Aufteilung des Besitzes analle Nachkommen, wie in anderen Regionenüblich, gab es in Bayern nicht (137). No-minell hatten Söhne und Töchter zwar glei-che Rechte, in der Praxis überwogen dieÜbergaben an die Söhne mit 75 Prozent deruntersuchten Fälle aber bei weitem (138).Wer weder ein Erbe antreten, noch in einenHof einheiraten konnte, musste sich eineandere Möglichkeit suchen. Hierzu mussteder räumliche Radius oft deutlich ausgeweitetwerden; einige Personen aus der HerrschaftFalkenstein suchten ihr Glück in Gebieten

des heutigen Ungarn oder der Slowakei(143). Wer sich eine Ansässigmachung nichtleisten konnte, musste als „Taglöhner“ oder„Inwohner“ seinen Lebensunterhalt fristen.Diese Personengruppen mussten zumeist dortarbeiten, wo gerade Hilfe benötigt wurde,beispielsweise weil Ausfälle zu verzeichnenwaren oder Arbeitsspitzen auftraten (145).Diese Menschen wohnten oft in leerstehen-den Austragshäusern oder auch gewisserma-ßen als „Untermieter“ (148). Im Gegensatzzu diesen oft als „Inwohner“ bezeichnetenPersonen, waren Knechte und Mägde zwarebenfalls nichtansässig, unterschieden sichvon den „Inwohnern“ aber, weil sie ledigwaren (152). Oft arbeiteten Knechte undMägde bei größeren Bauern. Wer hingegenein Handwerk lernen wollte, ging bei einemMeister in die Lehre (159); in der Hälfte derhier untersuchten Fälle, war das der eigeneVater (161). Dabei waren die unterschied-lichen Handwerksberufe durchaus unter-schiedlich bereit auch Söhne von Nichthand-werkern als Lehrlinge aufzunehmen. Kirch-liche und weltliche Funktionsträger (z.B.Lehrer) in der Herrschaft hoben sich nichtnur durch ihre Aufgaben von der übrigenBevölkerung ab, sondern zumeist auch durchihre Herkunft. Aufschlussreich sind auch dieUntersuchungen zum Heiratsverhalten derBevölkerung in der Herrschaft Falkenstein.Üblicherweise wurde, wenn die Heirats-erlaubnis des Gerichtsherren und des Pfarrersvorlag, innerhalb derselben Schicht geheira-tet. Gerade für die bäuerliche Oberschichtblieb weitgehend unter sich. Ein Aufstieg fürdie nichtansässige, zumeist arme Bevölke-rungsschicht war mit Hilfe einer passendenHeirat praktisch nicht möglich. WelcheKriterien weiterhin ausschlaggebend waren,lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen.Oft werden es schlicht ökonomische Erwä-gungen gewesen sein. Zuweilen kann manjedoch die Zuneigung der Partner „erahnen“(191). Scheiterte eine Ehe, war eine Schei-dung im kirchenrechtlichen Sinne zwarunmöglich, allerdings war eine „Separation“des Paares ein möglicher Weg, der gesell-schaftlich auch geduldet wurde (187). Inräumlicher Hinsicht war die untersuchteBevölkerung in Falkenstein nur wenig mobil;zwar wurde selten im selben Dorf geheiratet,in 80 Prozent der untersuchten Fälle stamm-te der Partner aber aus einem Radius von nurneun Kilometern (203). Eine Zusammen-

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fassung der wichtigsten Ergebnisse, einAnhang mit Quellen- und Literaturverzeich-nis sowie ein Personen- und Ortsregisterbeschließen den Band. Manuela Daschner hateine exzellente, sehr gut zu lesende Mikro-studie über die Herrschaft Falkenstein imausgehenden 18. Jahrhundert vorgelegt, dieeinen intensiven, ja geradezu intim zu nen-nenden Blick auf die Lebenswelt der länd-lichen Bevölkerung in dieser Herrschafterlaubt. Zugleich zeigt sich hier die Bedeu-tung der seriellen Quelle der so genannten„Briefprotokolle“, die – obgleich gerade in

Bayern sehr weit verbreitet – bisher haupt-sächlich für heimatkundliche und genealogi-sche Fragen herangezogen, für wissenschaftli-che Auswertungen indes kaum genutzt wur-den. Die Arbeit wurde im Herbst 2016 zu-recht mit dem Kulturpreis des Bezirks Ober-pfalz ausgezeichnet. Hoffentlich findet dieseStudie zahlreiche Nachahmer, die andere Ge-biete Bayerns in ähnlicher Akribie undQualität untersuchen. Es würde unsereKenntnis über das Leben der Menschen jenerZeit entscheidend erweitern.

Bernhard Lübbers

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Michael Drucker, D i e G e s c h i c h t e d e r S t a a t l i c h e n B i b l i o t h e k R e g e n s b u r g.Von den Anfängen bis 1968 (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg 14)Regensburg: Dr. Peter Morsbach Verlag 2016; 231 S.: ill.; ISBN 978-3-96018-013-5.

Im Jahr 2016 feierte die Staatliche Biblio-thek in Regensburg ihr 200. Gründungs-jubiläum. Zu diesem Anlass, der mit einemFestakt im Juli 2016 begangen wurde, er-schien der 14. Band der Reihe der Schriftender Staatlichen Bibliothek, der sich derGeschichte der Königlichen Kreisbibliothekin den Jahren seit ihrer Gründung 1816 biszum Jahr 1968 widmet. Es ist dies der bislangumfangreichste und der einzige Band derSchriften, der als Monographie verfasstwurde. Autor Michael Drucker, der als lang-jähriger Leiter der Staatlichen Bibliothek bis2008 der beste Kenner der Geschichte dieserEinrichtung ist, zeigt hierin die große Be-deutung der Bibliothek für Wissenschaft undkulturelles Leben in Regensburg auf. Struk-turiert ist das Werk nach den Amtszeiten derjeweiligen Leiter der Einrichtung, zunächstdie Anfangsjahre von 1816 bis 1847 (CustosMaximilian Pailler 1825–1847), dann dieAmtszeiten von Friedrich Harrer (1847–1876), Anton Obermaier (1877–1911), Jo-seph Schmatz (1911–1927), Egid Ruhl(1927–1930) und Walter Boll (1930–1945).Die Zeit ab Kriegsende ist in zwei Phasenunterteilt, die Konsolidierung bis 1960 unddie Zeit Rudolf Hauschkas als Leiter (1960–1968). Die einzelnen Kapitel sind dann sach-thematisch weiter untergliedert. Diese Glie-derungsweise erklärt sich auch aus denjeweils sehr langen Amtszeiten der Custoden,die einen prägenden Einfluss auf die Ent-wicklung der Bibliothek hatten, zumal dieEinrichtung außer dem nebenamtlichen Cus-tos lediglich aus einem Bibliotheksdiener

bestand, der für Öffnung und Ausleihe zusorgen hatte. Es zeigt aber auch auf, dass dieBibliothek bis in die 1950er Jahre in der mei-sten Zeit nebenamtlich geführt wurde.Friedrich Harrer, der 30 Jahre bis 1876 alsBibliothekar fungierte, war beispielsweiseGymnasiallehrer, die folgenden Custodenebenfalls, Walter Boll zugleich Stadtarchivarund Leiter des Historischen Museums. In-haltlich befasst sich das Buch mit dem Etat,der Katalogisierung, der Aufstellung, derAuslagerung im Zweiten Weltkrieg, demGebäude sowie dem Rechtsstatus und denschwierigen Eigentumsverhältnissen (Frageeines gemischten Besitzes zwischen Stadt undStaat) der Bibliothek. Dies alles hat der Autorerforscht und so eine allumfassende, alleAspekte der Bibliotheksgeschichte berük-ksichtigende Arbeit vorgelegt. Ein weitererroter Faden der Bibliotheksgeschichte ist derStandort der Einrichtung. Zunächst war dieKreisbibliothek seit ihrer Gründung bis 1875in der Neuen Waag am Haidplatz beheimatet.Deshalb zeigt die Titelansicht des Werkesauch einen Blick auf dieses Gebäude. Dannerfolgte der Umzug der Bibliothek in dasGymnasium Poeticum, den heutigen Stand-ort. Einflussfaktoren auf die Bibliotheks-geschichte waren aber auch die ständige pre-käre Etatsituation, die kaum Möglichkeitenzu Neuerwerbungen ließ, dann die Abgabender 1812 nicht nach München fortgeschafftenHandschriften im Jahr 1875 sowie von Teilender Inkunabeln 1927. Die Phase währendund nach dem Ersten Weltkrieg brachte eineVerringerung der Benutzerzahlen, 1925 er-

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richtete man deshalb einen eigenen Lesesaal,die Schaffung einer Regensburger Zentral-bibliothek scheiterte jedoch. Der Bandschließt mit dem 150jährigen Jubiläum derKreisbibliothek, als mit der Gründung derUniversität Regensburg und der Einrichtungder Universitätsbibliothek neue Vorausset-zungen für die Regensburger Bibliotheks-landschaft entstanden und die zunächst dieExistenz der Staatlichen Bibliothek als eigen-ständige Einrichtung bedrohten, ihr aber inder Folgezeit das Profil einer wichtigenGeschichtsbibliothek und Forschungsbiblio-thek für die Oberpfalz gaben. Bisher existier-te zu dieser Thematik – außer zu Arbeiten zurehemaligen Reichstädtischen Bibliothek –keine einschlägige Literatur. Die ausgespro-chen umfangreiche, ausführliche Quellen-arbeit führte den Autor in die Archive desBayerischen Hauptstaatsarchivs, des Staats-archivs Amberg, des Stadtarchivs Regens-burg und der Registratur der StaatlichenBibliothek. Ein Blick auf den aus 1.100 Angaben bestehenden Anmerkungsapparat

offenbart die ungeheure Fülle an Akten, dieausgewertet wurden. Michael Drucker hathier eine äußerst interessante Geschichtejener Einrichtung verfasst, die über denUmbruch nach 1810 hinweg die bedeutendenBücherschätze der Reichsstadt und der in ihrgelegenen Klöster bewahrt und gerettet hat –zunächst am Standort der alten Reichs-städtischen Bibliothek, dann am heutigenHaus in der Gesandtenstraße. Sie wurdedamit neben der Königlichen Bibliothek inMünchen zum Hauptüberlieferungsträger derweiten Regensburger Bibliothekslandschaftdes 18. Jahrhunderts. Trotz der geringenMittel konnte im 19. Jahrhundert gerade diezu Regensburg erschienene Literatur gesam-melt werden (für manche Werke ist dieBibliothek heute Alleinbesitzer). Geradezufolgerichtig ist die Staatliche Bibliothek heutedie zentrale Sammeleinrichtung für alles inund über die Oberpfalz erscheinende Schrift-gut und ein wichtiger Faktor in der inzwi-schen ausgedehnten BibliothekslandschaftRegensburgs.

Bernhard Fuchs

Im Abstand von je etwa zwei bis dreiJahren organisiert die ArbeitsgemeinschaftAusstellung Süddeutscher Freilichtmuseeneine Wanderausstellung und publiziert einendazugehörigen Katalog. 2016 lautete derAusstellungstitel „Volk, Heimat, Dorf –Ideologie und Wirklichkeit im ländlichenBayern der 1930er und 1940er Jahre“. Dervorliegende Band begleitet die unter Feder-führung des Freilandmuseums Bad Winds-heim entstandene Ausstellung und bietet auf288 Seiten nicht weniger als fünfundzwanzigpointiert gehaltene Aufsätze. Bei einer solchgroßen Zahl liegt es auf der Hand, dass nichtalle Beiträge an dieser Stelle besprochen wer-den können, obwohl es die zugrundeliegen-den Themen verdient hätten: Der Katalogbeschäftigt sich vorwiegend mit Aspekten derAlltags-, Agrar- und Wirtschaftsgeschichte inder bayerischen Provinz während der Zeit desNationalsozialismus – also Themen, die in derForschung bislang zwar nicht unbehandeltgeblieben sind, aber doch eine gewisse Rand-position einnehmen. Ergänzt wird dieses breit

angelegte Themenspektrum von Beiträgenzur Geschichte der Verfolgung von ethni-schen Minderheiten sowie biografischen undkulturwissenschaftlichen Aufsätzen. Stellver-tretend für diesen vielfältigen thematischenAnsatz seien im Folgenden drei Beiträge ausverschiedenen Themenfeldern exemplarischherausgegriffen und vorgestellt.

Die Schwierigkeit, im Zuge der Kriegs-vorbereitungen international wirtschaftlichautark zu werden und die dabei von denNationalsozialisten an den Tag gelegte Igno-ranz gegenüber den Bedingungen der Realitätdemonstriert der Beitrag von Renate Bärntholam Beginn des Katalogs (27–37) zu denBemühungen des Reichsministeriums fürErnährung und Landwirtschaft, durch ver-stärkten Anbau von ölhaltigen Pflanzen, ins-besondere Raps, die „Fettlücke“ der deut-schen Landwirtschaft zu schließen. Da derRapsanbau im Vergleich zur tierischen Fett-produktion als effektiver galt, sollte dieAnbaufläche von Raps auch in Gebietengesteigert werden, wo dessen Anbau bis

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Birgit Angerer u.a. (Hg.), Vo l k – H e i m a t – D o r f. Ideologie und Wirklichkeit im länd-lichen Bayern der 1930er und 1940er Jahre (Schriften Süddeutscher Freilichtmuseen 6)Petersberg: Michael Imhof Verlag 2016; 288 S.: ill.; ISBN 978-3-7319-0349-9.

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dahin kaum eine Rolle gespielt hatte. DiesesVorgehen brachte eine Reihe an Problemenmit sich. Neben der mangelnden Eignung vonBöden und Klima war der Rapsanbau imgeforderten großen Maßstab allenfalls mitverstärkten Düngereinsatz und durchVerwendung von Maschinen zu leisten, wel-che vielerorts schlichtweg noch nicht vorhan-den waren und aufgrund des Schulden-verbots für Erbhöfe auch nicht beschafft wer-den konnten. Hinzu traten während desKrieges massiver Arbeitskräftemangel undschließlich die mangelnde Erfahrung mitRaps, welcher durch die Verteilung der heutereichlich skurril anmutenden, damals aberdurchaus zeittypischen „lustigen Rapsfibel“als Anleitung zum korrekten Anbau ent-gegengewirkt werden sollte. Die Absurditätund Aussichtlosigkeit dieses Projektes ver-deutlicht die Tatsache, dass der Rapsanteil ander reichsweiten Fettproduktion nur um dreiProzent gesteigert werden konnte und dassder Rapsanteil in der landwirtschaftlichenProduktion im hier gewählten Untersu-chungsraum, nämlich dem nordwestlichenMittelfranken, unmittelbar nach Kriegsendeauf unter ein Prozent absank.

Hervorzuheben sind unter den zahlreichenanderen Beiträgen die Aufsätze von GeorgWaldemer, Markus Rodenberg, Lorenz Bur-ger, Lisa Ornezeder und Angela Treiber, dieeinen thematischen Block zu architekturge-schichtlichen Aspekten nationalsozialisti-scher Geschichte im ländlichen Raum bilden.Während wir über die megalomanen Riesen-bauten der NS-Zeit ausführlich informiertsind und auch mittelgroße Bauprojekte ausstädtischem Kontext wie Kasernen, Rat-häuser und dergleichen das Interesse derArchitekturgeschichte gefunden haben, istüber NS-Bauten von kleinerem und kleinstemMaßstab wie Hitlerjugendheime und Ba-rackenbauten nur wenig bekannt, obwohl esdoch gerade diese sehr zahlreichen Bautenwaren, die den Nationalsozialismus bzw. des-sen Folgen auch in der Fläche der ländlichenProvinz in architektonischer Form präsenthielten. Lorenz Burger etwa beschäftigt sichmit Barackenbauten am Beispiel der Ober-pfalz (147–154). Spätestens seit dem ErstenWeltkrieg war dieser modulare, schnell zuerrichtende Bautyp allgegenwärtig und zumSinnbild für die Industrialisierung und Mo-bilisierung des modernen Krieges geworden.Gemeinhin wird die Baracke primär mit

Konzentrationslagern assoziiert. Burger be-handelt vor allem die anderen Verwendungs-möglichkeiten, etwa als provisorische Flücht-lingsunterkunft in der Nachkriegszeit. InAmberg ist beispielsweise eine originale, nunals Kirche genutzte Baracke bis heute erhal-ten geblieben. Großer Beliebtheit erfreutensich Barackenlager beim Reichsarbeitsdienst,da diese Bauten schnell und einfach an denjeweiligen Einsatzorten errichtet werdenkonnten (vgl. dazu auch den Beitrag vonSabine Fechter). Der Blick auf die herangezo-gene Literatur in den genannten Beiträgenzeigt, dass bei der Erforschung von solchennationalsozialistischen Kleinbauprojektennoch viel Pionierarbeit zu leisten ist, wobeisich insbesondere die vermutlich recht uner-giebige Quellenlage als methodisches Pro-blem herausstellen dürfte. Lohnenswert wärein diesem Kontext der Blick auf die zahlrei-chen Hitlerjugendheime im ländlichen Raumgewesen.

Die skrupellose Rücksichtslosigkeit bei derDurchsetzung des nationalsozialistischenWeltbildes zeigt insbesondere das Vorgehengegen Juden auf kommunaler Ebene, darge-stellt von Sebastian Schott am Beispiel desSchicksals des jüdischen Viehhändlers Leo-pold Engelmann in Weiden (245–256). DerFamilienbetrieb der Engelmanns zählte seitseiner Ansiedlung 1871 zu einer der erfolg-reichsten Viehhändlerfirmen in Weiden, ver-trieb Vieh bis nach Norddeutschland undstand im Begriff, sich als überregional bedeu-tender Großhandel zu etablieren. Paralleldazu hatte die Firma in die Erweiterung ihrerGrundstücke investiert und einen bedeuten-den Grundbesitz im Umland der Stadt ange-sammelt. Seit 1933 versuchten Reichs-nährstand und Kreisbauernschaften durchPropagandamaßnahmen und wirtschaftlichenSanktionen Juden auch aus dem Viehhandelzu verdrängen. In Weiden konnten die Na-tionalsozialisten wegen des treuen Kunden-stamms der Firma Engelmann zunächst keineErfolge verzeichnen, so dass in Folge derReichspogromnacht 1938 der Weidener Bür-germeister Hans Harbauer zu brachialerenMethoden griff. Im Gestapo-Gefängnis inMünchen musste der nach einem Aufenthaltim KZ Dachau völlig erschöpfte und veräng-stige Engelmann einen vorgefertigten Vertragmit dem extra nach München gereistenBürgermeister unterzeichnen, in dem er nahe-zu alle seine Immobilien und seinen Grund-

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besitz zu einem niedrigen Preis an die StadtWeiden verkaufte. Den verbleibenden Rest anlandwirtschaftlichem Gerät eignete sich dieStadt auch ohne Vertrag an. Engelmann ge-lang es später nach Kenia zu emigrieren,nachdem er auf Betreiben BürgermeisterHarbauers fast sein gesamtes Vermögen ver-loren hatte. Als Ergebnis der nationalsoziali-stischen Zwangsmaßnahmen war der gesam-te regionale Viehhandel in Weiden, welchesbis dahin zu den größten deutschen Ochsen-lieferanten gezählt hatte, nachhaltig ruiniertworden und konnte sich nach 1945 nichtmehr etablieren.

Hervorragend ergänzt und illustriert wirddie Publikation durch eine große Zahl vonaussagekräftigen historischen Fotografiensowie Abbildungen von Objekten aus demBestand der beteiligten Freilichtmuseen, diedas in den Texten dargestellte eindrucksvollfassbar machen. Etwas aus dem durchwegspositiven Gesamtbild heraus fallen lediglicheinige eher anekdotisch zu verstehende Bei-

träge auf recht marginaler Quellenbasis.Auch bei Thomas Huonkers sehr überblicks-haft gehaltenem Beitrag zur Verfolgung undAusgrenzung der Minderheit der Jenischenhätte man im Sinne des Ausstellungsthemaseine stärkere Berücksichtigung der bayeri-schen Verhältnisse erwartet. Der Katalog ins-gesamt demonstriert vor allem eines: denallumfassenden Anspruch eines totalitärenRegimes, noch auf das letzte Detail im letztenWinkel von Alltag und Gesellschaft Einflusszu nehmen, von der Regulierung der Ziegen-, Pferde- und Fischzucht, der ideologischenVereinnahmung von bemaltem bäuerlichenMobiliar bis hin zur Verfolgung der Minder-heit der Jenischen. Nach der Lektüre diesesBandes wird der Leser der Feststellung imVorwort des Katalogs zustimmen: „Dieschreckliche Banalität dieser Zeit zeigt sichbesonders deutlich, wenn man den Blick vonden großen Ereignissen abwendet und ihnaufs Land richtet“ (20).

Johannes Hauer

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