20
Rheinische Viertelj uhr sblötter JAHRGANG 27 1962 HERAUSGEBER: F. PETRI . L. WEISGERBER • M. ZENDER SCHRIFTLEITUNG: U. LEWALD . G. WIEGELMANN MITTEILUNGEN DES INSTITUTS FUR GESCHICHTLICHE LANDESKUNDE DER RHEINLANDE AN DER UNIVERSITÄT BONN LUDWIGROHRSCHEIDVERLAG· BONN

Rheinische Vierteljuhrsblötter · Westfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrhein 19 Bischofssitze blieben in den bedrohten Gebieten konstant. So verlegten die Bischöfe von

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

RheinischeViertelj uhr sblötterJAHRGANG 27 1962

HERAUSGEBER:

F. PETRI . L. WEISGERBER • M. ZENDER

SCHRIFTLEITUNG: U. LEWALD . G. WIEGELMANN

MITTEILUNGENDES INSTITUTS FUR GESCHICHTLICHE LANDESKUNDE

DER RHEINLANDEAN DER UNIVERSITÄT BONN

LUDWIGROHRSCHEIDVERLAG· BONN

Westfrönkischer Klosterbesitz um unteren NiederrheinVon Gregor Hövelmann

Mit einer Karte

Vorbemerkungen

In dem Vortrag über "Die Grundlagen der deutschen Einheit im frühenMittelalter" 1, mit dem Walter Schlesinger 1958 eine Vortragsreihe der Histo-rischen Gesellschaft zu Berlin über "Die deutsche Einheit als Problem der euro-päischen Geschichte" eröffnete und in dem er zeigt, wie die gentes ultra Rhenumsich allmählich vom Fränkischen Reiche absondern und sich auf den Weg zueinem geeinten deutschen Volk begeben, spielt Lothringen als "ein Gebiet derBegegnung und der Schwankung" 2 eine bedeutende Rolle. Vor allem auf Loth-ringen, "dessen Einbeziehung in das Reich Heinrichs I. die deutsche Einheit imWesten vollendete, das aber nur zum geringen Teile dem deutschen Volk auf dieDauer erhalten blieb", habe sich künftige Forschung zu erstrecken 3.

Welche Kräfte waren es, die Lothringen mehrfach zum Westen, dann wiederzum Osten hin schwanken ließen? Die Bindungen nach Osten haben naturgemäßin der deutschen Forschung im Vordergrund gestanden. Ober die Bindungen nachWesten hat etwa seinerzeit Parisot ausführlich gehandelt. Ihnen gilt auch diefolgende Studie, in der versucht wird, in Beschränkung auf das nördliche Gebiet,den Besitz westfränkischer Klöster in diesem unteren Niederrheinland - dasetwa dem Gebiet von Hattuarier-, Mühl- und Düffelgau sowie der Gaue Be-tuwe, Teisterbant und Hamaland entspricht - namhaft zu machen und in seinerhistorischen Bedeutung zu interpretieren. Das Untersuchungsgebiet deckt sich alsonicht mit einem oder mehreren Bistümern. Dazu läge auch keine historische Be-rechtigung vor. Denn während weiter rheinaufwärts Bistumsorganisation und-grenzen sich "restaurativ" an römische Verhältnisse anschließen konnten, ist dashier nicht mehr möglich. Die römischen Organisationsverhältnisse nördlich derCivitates Agrippinensium und Tungrorum gingen unter. Ja sogar deren eigeneNordgrenzen gerieten anscheinend in Vergessenheit. Die Versuche der KölnerBischöfe, in diesen Raum auszugreifen, sind zaghaft, der Sprung nach Utrechtund der Versuch einer Friesenrnission schlugen gänzlich fehl '. Nicht einmal die

1 In: Hin r ich s u, Be r g e s (Hrsg.), Die deutsdie Einheit als Problem der europäischenGeschimte. Stuttgart o, J., S. 5-45.

2 Ebda. S. 45.S Ebda. Siehe ferner S chi e f £ er, Die rheinischen Lande an der Schwelle der deutsdien

Geschichte,Ges. f.,hein. Gesdiiduskunde, Wiesbaden 1960., 0 e dig e r (Bearb.), Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter. (= Pub!. d.

Ges. t. Rhein. Geschichtskunde XXI) I. Bd. 313-1099 I 1. Lieferg. Bonn 1954, Nr. 32, S. 21und Nr. 74, S. 33; F 1ich e et M art i n (Hsg.), Histoire de l'~glise. Bd. 5 B r ~hie r-Ai g r a in, Gr~goire le Grand, les ~tats barbares et la conqußte arabe (590-757). 1938,S. 348; B ü t t n er, Die Franken und die Ausbreitung des Christentums bis zu den Tagenvon Bonifatius (= Hess. Jb. f. Landesgeschichte 1) 1951, S. 14£.; Schieffer, Winfrid-Bonifatius und die diristliehe Grundlegung Europas. Freiburg 1954, S. 88 H.; J u n g - Die-£ e n b a c h , Die Friesenbekehrung bis zum Martertode des hI. Bonifatius. (= Missionswiss.Studien, Neue Reihe I) Mödling b. München 1931, S. 9 fE.

Westfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrhein 19

Bischofssitze blieben in den bedrohten Gebieten konstant. So verlegten dieBischöfe von Tournai ihre Residenz nach Noyon, die von Tongern die ihre nachMaastricht 5. Nur an diesen Zentren kann man mit einer stärkeren christlichenBevölkerung rechnen, das flache Land dagegen war noch weithin heidnisch. Eshat sehr lange gedauert, bis Utrecht seinen Charakter als Sitz eines Missions-bischofs allmählich wandelte zum Zentrum eines Bistumssprengels mit festenGrenzen G.

Mit dem Besitz westfränkischer Klöster im Rheinland hat sich vor einigenJahren Eugen Ewig in zwei Aufsätzen des näheren beschäftigt 7. Zwei Ergebnisseseiner Untersuchung werden sich im Folgenden nicht bestätigen, nämlich:

1. ..Während Ribuarien durch den Fernbesitz der Reichskirchen und -klöstervon Metz, Lüttich-Maastricht und Trier, darüber hinaus noch von Cambrai,St. Om er und wahrscheinlich von St. Amand in lebhaften Beziehungen zu denfränkischen Kernlandschaften stand, bl i e b Hat tu a r i e nab sei t s.U 8

2... Vom Fernbesitz der auswärtigen Kirchen her gesehen, tritt auch die Rhein-grenze in Erscheinung. Nur Nivelles ist, soweit wir sehen, ins Rechtsrheinischevorgedrungen. « 9

Neun westfränkische Abteien, nämlich St. Amand, St. Bertin/St. Omer, Corbie,Denain, St. Germain, St. Quentin, St. Remy, St. Vaast und St. Valery sind mitBesitzrechten im Untersuchungsgebiet vertreten. Diese neun, denen der Leseretwa der Berichte über die Normanneneinfälle fast auf jeder Seite begegnet, sindmehr als eine nur zufällige Auswahl, sie stellen die fast geschlossene Reihe dergroßen Abteien Nordgalliens im frühen Mittelalter dar 10.

Wurden sie im unteren Niederrheingebiet zu Konkurrenten der übrigen Trägerder Christianisierung?

St. Amand

Das "FuIda" des hl. Amandus, des 675 oder 676 gestorbenen Apostels Bel-giens u, war die Abtei Elno, die später den Namen ihres Gründers übernahm.St. Amand wiederum lebt in dem Städtchen Saint-Amand-les-Eaux fort, das heute

li S t ein b ach, Das Frankenreich, in: Just, Hdb. d. dt. Geschichte I 2, Konstanz 1956,

S.24.G Der ..Geschiedkundige Atlas van Nederland" nimmt deswegen für die Darstellung der

Frühzeit Urredits seine Zuflucht zu einern nach allen Seiten ausstrahlenden Stern: Bio k,De frankische tijd. 's-Gravenhage 1929 S. 30; vgl. auch Not tar p, Die Bistumserrichtung inDeutschland im 8. Jhd. (= Kirdienredul. Abhdlg, 96) Stuttgart 1920, S. 10 H.

7 Das Bistum Köln im Frühmittelalter. Ursprung und Neuanfang. (= Annalen des Histo-rischen Vereins f. d. Niederrhein 155/156) 1954, S. 205-243; Rheinischer Besitz westfränkischerKirchen. (= Archiv f. mittelrhein. Kirchengeschichte 10) 1958, S. 341-346.

8 Bistum Köln S. 224 f.; 1958 im Vordersatz ergänzt (Rhein. Besitz S. 345), nicht aber in dem(vorn Verf. gesperrten) Schlußsatz, der sich auf unser Untersuchungsgebiet bezieht.

11 Bistum Köln S. 225; 1958 in Bezug auf Niederkassel (St. Bertin/St. Omer) ergänzt (Rhein.Besitz S. 343 f.).

10 So etwa H ~ 1 i 0 r , Die Abtei Corbie vor den normännischen Einfällen. (= Westfalen.Hefte f. Geschichte, Kunst u. Volkskunde 34) 1956, S. 133.

11 de M 0 rea u , Saint Amand. Ap8tre de la Belgique et du nord de la France. (=Museum Lessianum. Section missiologique 7) Löwen 1927, S. 115 und 166.

20 Gregor Hävelmann

wenige Kilometer südlich der belgisch-französischen Grenze an der Straße Tour-nai-Valenciennes in der Landschaft PeveIe, ehemals pagus Pabula, liegt. Elnoliegt an dem gleichnamigen Flüßchen, das in die Scarpe, einen linken Nebenflußder Scheide, mündet. Seit den karolingischen Reichsteilungen, durch das ganze Mit-telalter hindurch, gehörte Elno/St. Amand also zum westfränkisch-französischenKönigreich, verdankt aber seine Bedeutung nicht zuletzt seiner grenznahen Lage.Die Bibliothek, in der Vergil und Cicero, Cassiodor, Isidor, Beda und Alcuinabgeschrieben und mit berühmten Buchmalereien ausgestattet wurden, besaßnicht nur die Sequence de Ste. Eulalie, das älteste Werk der romanischen Litera-tur, sondern auch das Ludwigslied, das zu den schönsten der althochdeutschenDichtung zählt und wahrscheinlich von einem Rheinländer verfaßt wurde 12.

Die Abtei St. Amand - ein Musterbeispiel für reichen, weitauseinandergelege-nen Streubesitz 13 - war schon früh am Niederrhein begütert. In der Bestätigungs-urkunde Karls (Ill.) des Einfältigen vom 17. März 89914 werden aufgezähltin pago Moria villa Heringa; ultra Renum villa Escreda; donationes insaperbonorum hominum super [luoium Renum Campos et Merulas dictas 15. DieserPassus ist in den Vorgängerurkunden Karls des Kahlen, Ludwigs des Frommenund allen übrigen noch nicht enthalten 18. Möglicherweise umfaßt er also Neu-erwerbungen.

Die villa H eringa ist seit je mit dem heutigen Ort Her 0 n gen (Kr. Geldern,an der Straße nach Venlo) identifiziert worden 11. So trägt denn auch die heutigeKirche von Herongen noch das Amanduspatrozinium 18.

Die villa Escreda ultra Renum könnte auf das heutige E s s erd e n b. Reesbezogen werden, wie es Ilgen 19 für möglich gehalten hat. Sprachlich wäre es

12 Ga n s hof, in: van Ho u t t e, Nie r m eye r (Red.), Algemene Geschiedenis derNederlanden. DeeI I (Oudheid en vroege MiddeIeeuwen tot het jaar 925) Utrecht usw. 1949,5. 364 f. und 369.

13 Ga n s hof a.a.O. 5. 336.14 Lot - Lau er, RecueiI des actes de Charles III le Simple, roi de France (893-923).

Paris 19(40-)49, Nr. XVIII, S. 29-33.15 Ebda. S. 32.18 Vgl, Lot-Lauer a.a.O.17 50 eIe men (Hsg.), Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Kreis Geldern. Düsseldorf

1891, S. 32 H.; Fa b r i c ius, Erläuterungen zum gesdiichrl. Atlas der Rheinprovinz. V. Bd.Die beiden Karten der kirchI. Organisation, 1450 und 1610. 1. Hälfte. Die kölnische Kirchen-provinz. (= Publ. d. Ges. f. Rhein. Geschichtskunde XIII, 5, 1) Bonn 1909, S. 280; 0 e d i-ger, Die ältesten niederrheinischen Kirchen. Möglichkeiten und Grenzen der Forschung.(= Das goldblaue Buch geldrisdier Geschichte) 1951, 5. 20, 35, 45. Anders das Register beiLot - Lau er, das in Verbindung mit der Lesart in pago Moria (anstatt wie bisher Moila)das westflandrische Haringhe vorschlägt; es liegt hier also ein ähnlicher Fall vor wie dervon E wig, Rhein. Besitz S. 341 angegebene, wo der französische Historiker BruneI Besit-zungen der Medardusabtei (Soisson) in pago Magonciacense auf die westfränkische LandschaftMaine anstatt auf das Mainzer Land bezogen hat.

18 5 t üwer, Die Patrozinien im Kölner Großarchidiakonat Xanten. Beiträge zur Kult-geschichtedes Niederrheins. Bonn 1938, S. 132.

11 I I gen, Quellen zur inneren Geschichte der rheinischen Territorien. (Pub!. d. Ges. f.rhein. Geschichtskunde XXXVIII). Herzogtum Kleve. I. ltmter und Gerichte. Bd. I Darstel-lung. Bonn 1921, S. 356 Anm. 5 und S. 359.

I1?'estfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrbein 21

denkbar, um 1066 ist die Schreihung villa que dicltur Escherde in pago Hatteronbelegt20• Der Rhein hat möglicherweiseTeile einer ehemals größeren Ortsansied-lung weggeschwemmt, so daß das nur 1,5 km entfernte Rees Esserden über-flügelte.

Wo lagen die des weiteren genannten donationes insaper bonorum hominumsuper fluvium Renum Campos et Merulas dictas? Ist hier dem Register vonLot-Lauer folgend wirklichan Kempen und Merl zu denken? Der Frage sollhier nicht weiter nachgegangenwerden.

Alle bisher genannten Besitzungen bestimmt Karl Ill. ad usus fratrum 21; siegehören also zur sogenannten mensa conventualis, jenem Teil des Klosterguts,der im Gegensatz zur mensa abbatialis den in der Karolingerzeit immer bedroh-licher werdenden Eingriffen der Laienäbte, welche sich die Abteien vornehmlichals Einnahmequelle übertragen ließen, entzogen, wurde 22. Die portio ad ususfratrum (das Konventsgut) ist also gerade der beständige, politisch kaum antast-bare Teil des Klosterguts, und ihm wird durch den König der rheinische Fern-besitz einverleibt.

Papst Paschalis 11. bestätigte mit einer Urkunde vom 24. Mai 1107 der Abteiihren Besitz, u, a. super fluvium Mosam villam haryngas cum familia, ecclesiaet appenditiis suls; super fluvium Rhenum terram de Sula et de Bobarga'", Hierist zunächst der erste Beleg für die Kirche von Herongen als einer Eigenkircheder Abtei St. Amand. Ferner aber werden Ländereien am Rhein namhaft ge-macht, die an die 899 genannten donationes super fluvium Renum denken lassen.Fabricius 2' und ligen 25 halten Sula für SuI en, das spätere Pr a est Kr. Rees;Sulen war im 15. Jahrhundert vom Rhein zerstört und zweimal nach Nordenverlegt worden. Da die alte Pfarrkirche Sulen bei dem heutigen Gut Rosau, inder Mitte zwischen Esserden und dem heutigen Praest, gelegen hat, da fernerSulen füher auch die Bauerschaft Esserden umfaßte 28, ist es auch denkbar, daßdieser Besitz mit dem 899 unter dem Namen Escreda genannten in irgend-einem Zusammenhang steht. Bobarga ist von Fabricius 27 und Keussen28 auf

20 MG DD H IV., Nr. 86; vgl, dazu 0 e dig er, Regesten 1/4. Liefrg. Bonn 1958, Nr. 960,S.277.

21 Lot-Lauer, S.31.22 Vgl. hierzu Ga n 5 b o f , a.a.O. S. 359 f.!3 Mir a e us, Opera diplom. suppt. III, p. 1151; = Sloe e , Oorkondenboek der graaf-

schappen Gelre en Zutfen tot op den slag van Woeringen, 5 juni 1288. Deel I. 's-Gravenhage1872, Nr. 212, S. 211; = K e u 5 sen (bearb. u. hsg.), Urkundenbuch der Stadt Krefeld und deralten Grafschaft Mörs. Bd. I 799-1430. Krefeld 1938, Nr. 21.!4 a.a.O. S. 280 und 303.!5 a.a.O. S. 356.ZII Ti bus, Der Gau Leomerike und der Archidiakonat von Emmerich in seiner ursprüng-

limen Ausdehnung und kirchlichen Einrichtung, Münster 1877, S. 59.!7 a.a.O. S. 280.28 a.a.O. Nr. 21.

22 Gregor Hävelmann

Budberg bezogen worden; wahrscheinlich aber bezieht es sich auf B ab b e r ich 29

bei Zevenaar (Nd1.), das 1534 noch Babbergen 30 hieß.Weitere Bestätigungen: Papst Calixtus H. am 20.11.111931; Urban HI. am

24.10.1186 u. a. für Sula et Bobarga 32; Clemens IH. am 25.2.1188 desgleichen 33.

Die Urkunde von 899 gibt die Frage auf, wie Karl der Einfältige darin überLand verfügen konnte, das nicht zu seinem Königreiche gehörte. Die Antwortist in seinen Bestrebungen zu suchen, sich ganz Lothringens zu bemächtigen.Schon im Vorjahre hatte Karl auf Anraten des durch Zwentibold brüskiertenLothringers Reginar einen Kriegszug an den Niederrhein unternommen. N amVerhandlungen mit Zwentibold war er zurückgekehrt. Im folgenden Jahre, 899,lädt Arnulf Zwentibold und Karl zu Verhandlungen nach St. Goar ein. Karl,durch seinen Kampf mit Balduin H. von Flandern um das Kloster St. Vaastgefesselt at, schickt Vertreter. Man darf aber in der bei diesem Stand der Dingein Reims ausgestellten Urkunde für St. Amand, der eine ähnliche für St. Mihielan die Seite zu stellen ist, Zeugnisse seines aufrechterhaltenen Anspruchs aufLothringen, "die Stammheimat seiner Dynastie" 3., sehen 36.

Seit wann die Abtei St. Amand am Niederrhein begütert ist, ließ sich bishernicht nachweisen.

St. Bertin - St. Omer

Sithiu ist der ursprüngliche Name der Abtei, die der 698 gestorbene hI. Ber-tinus, Mönch aus dem Columban-Kloster Luxeuil, 649 gegründet hat, derenzweiter Abt er bis zu seinem Tode war und die später seinen Namen über-nommen hat 87. 820 ging aus einer Teilung des Klosterguts das KollegiatstiftSt. Omer hervor 88, und seitdem treten Mönche und Kanoniker meist gemeinsamauf.

Dieses flandrische Klosterzentrum stand in vielfältigen Beziehungen zumNiederrhein.

Z9 So schlägt I I gen a.a.D. S. 356 vor.so Gall ~e, De namen van plaatsen in Gelderland en Overijssel (= Nomina Geographiea

Neerlandiea Ill) 1893, S. 325; urn 1612 Babborgen: I I gen Bd. Ill, S. 214.31 Sloe t Nr. 234, S. 230.82 Keussen Nr. 47; = Pflugk-Harttung (ges. u. hsg.), Aeta Pontificum Roma-

norum inedita. I.Tübingen 1881, Nr. 378.as K e U s 5 e n Nr. 48; = P flu g k - H art tun g Nr. 393.3! D üm m 1er, Geschichte des ostfränkischen Reimes 3, 1888, S. 469 f.; Vo i g e , Die

karolingische Klosterpolitik und der Niedergang des westfränkischen Königtums. Laienäbteund Klosterinhaber. (= Kirchenrechtliche Abhandlungen. Hsg. v. U. Stutz. 90.191. Heft)Stuttgart 1917, S. 122.

35 Se hie f fer, MG. Die Urkunden der dr, Karol. IV. Bd., Berlin 1960, S. 4.38 Zum ganzen Par iso r , Le royaume de Lorraine sous les Carolingiens (843-943). Paris

1899, S. 545 ff. u. 578 ff.87 Red lie h, in: H ö f e r-R ahn er, Lexikon für Theologie und Kirdie. Bd. 11.

1958, Sp. 269 f.; Ga n s hof a.a.O. S. 300.38 Coo I en, Frechen et Ies Possessions audomaroises en Rhenanie. (= Bulletin de la

soeith~ des antiquaires de la Morinie. Tom. XVII, fase. 331, Juni 1952, S. 585-592) S. 587.

Westfrankiscber Klosterbesitz am unteren Niederrhein 23

Am 20. 6. 877 bestätigte Karl der Kahle der Abtei ihren reichen Besitz 39 -

er wird auf etwa 11 000 ha geschätzt 40 -; die Urkunde enthält die erste Erwäh-nung von Gütern an Niederrhein und IJssel: Ad kamaram /ratrum in vestiarioadicimus ... in Gelwaldastorp ecclesiam et vineas et mansa XII cum hominibus,item in Casello ultra Hrenum mansa similiter XII, in Frekena mansaX cummatre ecclesia et decimam illic ordinatam cum hominibus, in Duoentre portumansa VIl4l.

Der im Kölner Raum gelegene Teil des hier aufgezählten Besitzes - Kirche,Weinberge und 12 Mansen in Gel s do r f, 12 Mansen in Nie der k ass e 1und Kirche, Zehnt und 10 Mansen in Fr e ehe n - ist häufig genannt undgewürdigt worden 42. Hier soll auf den Fall De v e n te r besonders hingewie-sen werden. Der Portus Deventer hatte im 9. Jahrhundert zusammen mit Tiel'an der Waal das Erbe des weitberühmten friesischen Handelsplatzes Dorestad,einer karolingischen Reichszoll- und Münzstätte, angetreten 43. Es liegt auf derHand, daß ein Kloster, von dem im 9. Jahrhundert Tuch- und Bleihandel mitEngland bekannt ist 4\ auch nach Deventer durch Handelsinteressen wird ge-führt worden sein. Deventer war Landeplatz des' Seehandels 45 mit dem skan-dinavischen Norden. Deventer gewährte 50 Jahre lang (bis 920) dem von denNormannen vertriebenen Bischof von Utrecht Zuflucht 40. Es ist wahrscheinlichkarolingisches Krongut gewesen, auf dem die Mönche der Bertinus-Abtei inDeventer Fuß fassen konnten 47.

Die Urkunde von 877 wurde zu Compiegne ausgestellt, wohl nach Abschlußder Reichsversammlung von Quierzy. Kaiser Karl der Kahle hatte im Vorjahreversucht, die Grenzregelung des Vertrags von Meersen umzuwerfen und auch dieöstliche Hälfte Lotharingiens in Besitz zu nehmen. Er war jedoch hi der Schlachtbei Andernach am 8. 10. 876 gescheitert. Trotzdem nimmt er 877 in die Urkunde

39 Te 5 sie r (Hsg.), Recueil des acres de Charles II le Chauve roi de France. T. 11, Paris1952, Nr. 430, S. 458-463; = Hai g n e r ~, Les chartes de Saint-Berein T. I 648-1240.Saint-Omer 1886, Nr. 51; = Muller-Bouman, Oorkondenboek Sticht Utrecht. Deel I,1. afd. 695-1000. Utrecht 1920, Nr. 81; = Gy s seI i n g - Ko ch, Diplomara Belgica anteannum millcsimum centesimum scripta. Brüssel 1950, Nr. 44.

40 Ga n 5 hof a.a.O. S. 335.41 Te s sie r S. 462.4% Fa b r i c ius S. 28 f. u. 137; Le vis 0 n, Das Werden der Ursula-Legende (= Bonner

Jbb. 132, Bonn 1927), S. 84 ff.; CO'o I e n a.a.O.; E wig, Köln S. 221 und Rhein. BesitzS. 343.

43 Pet ri, Die Anfänge des mittelalterlichen Städtewesens in den Niederlanden und demangrenzenden Frankreich (in: Studien zu den Anfängen des europäischen Städtcwesens.Reichenau-Vorträge 1955-1956. = Vorträge und Forschungen. Hsg. v. Th. Mayer. Bd. IV)Lindau u. Konstanz 1958, S. 250; Ko ch, Die Anfänge der Stadt Deventer (= Westf. Forsch.10) 1957, S. 167 H. bes. 172.

44 Pet r i a.a.O. S. 273.4S Die Urkunde Zwentibolds für Utrecht vom 24. 6. 896 (MG Die Urk. d. dt. KaroI. IV,

Nr. 9, S. 33 ff.) spricht, auf Tiel und Deventer sich beziehend, von cum navibus adripantibus.48 Ga n s hof a.a.O. S. 353 u. 383.47 Rot t hof f. Studien zur Geschichte des Reichsguts in Niederlothringen und Friesland

während der sädisisdi-salisdien Kaiserzeit. (= Rhein. Archiv 44) Bonn 1953, S. 61 Anm. 241.

24 Gregor Hävelmann

für Sithiu/St. Bertin auch die rheinischen Güter auf 48. Es war freilich erst achtJahre her, daß sie noch zum Reiche Lothars II. gehört hatten. Wie unbeeindrucktvon der Andernacher Niederlage, hält Karl anscheinend unbeirrt an seinemAnspruch auf Lotharingien fest 49.

Wiederum, wie in der obenerwähnten Urkunde für St. Amand von 899,wird der hier aufgezählte Fernbesitz von St. Bertin/St. Omer dem den wechseln-den Laienäbten nicht verfügbaren Konventsgut zugeschlagen (ad kamaram/ratrum in oestiario).

Wie alt waren denn die niederrheinischen Besitzungen des flandrischenKlosters, die 877 zum erstenmal urkundlich genannt werden? Die Vermutung istbegründet, daß sie bereits vor 820, in "der Zeit des ungeteilten Karolinger-reichs" 50, durch Schenkung an die Abtei gekommen sind 51.

Die Geschichte der weitentfernten Klosterbesitzungen ist eine Kette vonGefährdungen durch übergriffe benachbarter Interessenten und von Bemühun-gen zur Sicherung. Schon 892 oder wenig später bittet Erzbischof Fulco vonReims, soeben durch den (Kapetinger-) König Odo in den Besitz des Sithiu-Klosters gelangt 52, den Erzbischof Hermann von Köln um Schutz für die imKölner Sprengel gelegenen Teile des Klostergutes 53. Dramatischer aber geht es956 zu. Wieder gibt es in St. Bertin/St. Omer Anlaß zu Klagen über schlechteZahlungsmoral und übergriffe benachbarter Großer auf den rheinischen Besitz.Mönche und Kanoniker in großer Zahl reisen ab, die Gebeine des hI. Audomarusbei sich führend, um ein Exempel zu statuieren. Im Portus Tiel angekommen,sehen sie Gelegenheit, sich vielleicht von den Reisestrapazen zu erholen, jedochauch, in der Kirche ihre Reliquien verehren zu lassen. Aber der Kustos derKirche von Tiel verweigert ihnen den Eintritt. Als er gegen den Heiligen Ver-wünschungen ausstößt, öffnet man mit Gewalt das Kirchenportal; aber der hart-näckige Mann läßt sich zu übergriffen hinreißen. Er soll in der folgenden Nachtgestorben sein. Die Abgesandten der Abtei wenden sich dann nach Nimwegen,nicht ohne vorher den Kustos liebevoll beerdigt zu haben. In der Pfalz Nim-wegen hielt Otto I. Hof, er empfängt die geistliche Gesandtschaft mit Wohl-wollen, und sie trägt ihre Beschwerden vor. Der anwesende Erzbischof Brunvon Köln aber faßt den Plan, ihnen ihren Reliquienschatz abzunehmen und sie

48 Aum in die Urkunde für Nivelles vom 9. 7. desselben Jahres sind Güter im Gebiet desehemaligen Lotharingien aufgenommen ( Te s sie r Nr. 433).

49 Ein weiteres Moment wird auch mitgewirkt haben: Karl rüstete sich zu einem Italienzuge.Für die Zeit seiner Abwesenheit bestellte er einen Regentsdiaftsrat, in den er u. a. aum den Abtvon St. Bertin/St. Omer berief; es war übrigens Fulco, der spätere Erzbischof von Reims(V 0 ig t a.a.O. S. 103 f.).

~o L e vis 0 n a.a.O. S. 85.51 Coo I enS. 587.62 V 0 ig t S. 111. Fulco bleibt Abt von Sithiu bis zu seiner Ermordung im Juni 900

(Voigt S.122f.).53 Flodoardi hist. eecl. Rem. IV c. 6 (MG SS XIII, S. 568); = 0 e dig er, Regesten 112

Nr. 287, S. 95; die von Oediger neben St. Bertin in Betracht gezogene Abtei St. Vaast kommtnicht in Frage, da sie 892 nach dem Tode des Abtes Rodulf - am 5. 1. 892 beerdigt (Ann.Vedast. 892) - in den Besitz Balduins 11. von Flandern übergeht (V 0 i g t S. 111 f.).

Westfränkiscber Klosterbesitz am unteren Niederrhein 25

dann wegzuschicken. Obwohl er noch gesund vom Mahle aufgestanden war,befällt ihn in der Nacht ein so bedrohliches Nasenbluten, daß ihm nichts anderesübrigbleibt, als dem Heiligen zu versprechen, sich bei seinem königlichen Bruderfür die Forderungen der Mönche und Kanoniker einzusetzen. Daraufhin wird erwieder gesund, die Abtei erhält ihren seit langem entfremdeten Besitz zurück,und Otto bestellt überdies Hermann und den Grafen Wichmann von Hama-land, den Vater der ersten Kbtissin von Hochelten und Großvater BischofMeinwerks von Paderborn 54, zu Vögten über die niederländischen Besitzungender Abtei 55. Eine Nachricht aus dem Jahre 961 erzählt, wie der Dekan vonSt. Bertin zur Weinernte an den Rhein geschickt wird und dann mit dem Weinnach Flandern zurückkehrt 56.

Eine wichtige Etappe in der Geschichte des rheinischen Fernbesitzes vonSt. Bertin geht aus der Besitzbestätigung Kaiser Heinrichs n. vom 28. 11. 1015hervor 57. Neue Namen tauchen hier auf: Goi z h e im, H 0 r b ach, B rut -t ig und H u iss e n (Hosanheim 58), später klevische Zollstätte 59, wenigeKilometer südlich von Arnheim, links des Nieder-Rheins in der Betuwe. Da-neben gewährt der Kaiser den Klosterleuten in seinem ganzen Reich Zollfrei-heit 60.

1056 erneuert Heinrich IV. diese Bestätigung 81. Der Besitz in Deventer istinzwischen auf 12 Mansen angewachsen, in Huissen sind es deren 2. Auch dieZollfreiheit wird erneuert.

Es folgt noch eine Kette päpstlicher Bestätigungen, zunächst 1095 Urban n. 62,

1107 Paschalis n. 68, 1119 Kalixt n. 64, später weitere 65.

Es sind schließlich auch andere Beziehungen hin und her bekannt 66. So ist Ger-hard, ein Sohn des Grafen Diedrich IV. (1150-1172) von Kleve, Propst vonSr.Dmer ".

54 a e dig er, Adelas Kampf um Elten (996-1002). (= Ann. d. Hist. Ver. f. d. Niederrh.155/156, 1954), S. 68 H.

55 Vita III s. Audomari c. 4, 38 u. 39 (AA SS Sept. Ill, S. 414 f.); = a e dig er, Regesten1/2 Nr. 411, S. 128; = Coo Ien, S. 585 H. Eine Parallele bietet der Besitz von Montfaucon inWesseling, dessentwegen der Pfalzgraf Godefridus das gleiche Schicksal erlitt wie später Brunvon Köln (a e dig er, Regesten 1/2, Nr. 326, S. 107).

58 Le vis 0 n a.a.a. S. 85 f.57 Hai g n ere Nr. 67; = a edi g er, Regesten 1/3 Nr. 637, S. 189.58 Um 815: Hosenheim (S I 0 e t Nr. 27), 854: Hussenheim (S 10 e t Nr. 43).58 Sc hol z - B abi sc h, Zur Geschichte der klevischen Zölle in der Stadterhebungsurkunde

für die Stadt Kleve vom 25. April 1242 (= Rhein. Vjbll. 25, 1960), S. 244.80 Vgl. Hi r s c h - B re ß I a u , ]bb. d. dt. Reiches unter Heinrich n. Bd. 3 Leipzig 1875,

S. 27 Anm. 2.61 Hai g n ere Nr. 78, S. 28 f.; vgl. Coo IenS. 589.82 Hai g ne r e Nr. 92 u. 93.83 Ebda. Nr. 109 u. 120.84 Ebda. Nr. 138.85 Ebda. Nr. 176, 193, 223 und 238.86 Le vis 0 n a.a.a. S. 84 £f.87 Sc hol ten, Clevische Chronik des Gert van der Schuren. Cleve 1884, S. 187 u, 191.

26 Gregor Hävelmann

Die Kirche von Frechen trägt heute das Patrozinium des hl. Audomarus 68.

Corbie

Das Mutterkloster von Korvey a. d. Weser ist kürzlich in seiner Bedeutungneben St. Denis, Sankt Gallen und Monte Cassino gestellt worden 69. Es gehtzurück auf die hI. Bathilde, die Witwe Chlodwigs lI., die es zwischen 657 und661 auf staatlichem Boden gründete, auf eigene Kosten errichtete und mit Schen-kungen überhäufte. Die oberhalb von Amiens am rechten Somme-Ufer gelegeneAbtei wurde mit Mönchen aus dem Columban-Kloster Luxeuil besiedelt. Siebesaß zwei Kirchen, die eine Petrus und Paulus, die andere Stephanus geweiht.In karolingischer Zeit muß sie eine gewaltige Anlage gewesen sein, denn 822 istvon 300 Mönchenund 150Hilfskräften die Rede 70.

Corbie war am Niederrhein begütert; leider setzt die überlieferung erst sehrspät ein. So besaß das Kloster den Hof E s s mer (Essenberg) 71 in der ehemali-gen Grafschaft Mörs; die erste Nachricht, eine Urkunde vom 10. 3. 1285,berichtet über den Verkauf an das Stift Xanten 72.

Corbie war auch in H u i sb erd e n Kr. Kleve begütert 73. Hierüber fehlenfrühe Nachrichten völlig 74. Erst eine Urkunde von 1307 betrifft Güter einesgewissen Simon gen. de Murter, die im Kirchspiel Huysberden lagen und vonAbt und Konvent von Corbie abhingen 75. Im Urbar des Grafen Diedrich IX.von Kleve aus dem Jahre 1319 erscheint Huisberden als ein von Klevenoch unabhängiges Gericht oder eine besondere Herrlichkeit, welche dievon Bylant von Corbie zu Lehen trugen 78. In den 1390er Jahren gelangteder gesamte Besitz samt hohem und niederem Gericht allmählich in die HandAdolfs von Kleve 77, der die Lehnsoberhoheit der Abtei Corbie am 20.4. 1399ausdrücklich anerkannte 78. Corbie hatte an Ort und Stelle einen bevollmäch-tigten Prokurator; 1387, 1390 und 1395 ist das der Zyfflicher Kanoniker Hein-rich von Bylant, welcher gleichzeitig Kanoniker zu Cambrai war ". 1442 erteiltAbt Johann von Corbie seine Zustimmung dazu, daß die Pfarrkirche von Huis-

68 Fa b r i c ius S. 28 f.69 Heliot a.a.O. S. 134.70 Ebda. S. 133ff.; Fliche-Martin 5, S. 351f. und 514; Levillain, Examen

critique des diartes merovingiennes et carolingiennes de l'abbaye de Corbie (= Memoires etdocuments publ. par la socithe de I'ecole des diartes V) Paris 1902, S. IX; Pet r i a.a.O. S. 274.

71 Essmar angen Essenbergh (um 1680) bei W ilk e s (Bearb.), Quellen zur Rechts- undWirtschaftsgesmichte des Archidiakonats und Stifts Xanten, Bd. I, Bonn 1937, S. 402.

72 K e u s sen a.a.O. Nr. 153; = We i 1er, Urkundenbuch des Stiftes Xanten. 1. Bd.(vor 590-) 1359. Bonn 1935, Nr. 279, S. 18H.

73 Nicht Korvey, wie Fa b r i c ius S. 297 angibt.74 Das obenerwähnte Werk von Le viII a in, der die schriftliche überlieferung Corbies

vor dem Jahre 1000 erforscht hat, enthält keinerlei Hinweis auf niederrheinische Besitzungen.75 I 1gen I S. 50 f.76 Ebda. S. 17 und 48.77 Ebda. S. 49 f.78 Ebda. S. 50 und Bd. 11Quellen 1. Teil. Bonn 1921, Nr. 235, S. 254.79 I 1gen I S. 49 f.

Westfränkiscber Klosterbesitz am unteren Niederrhein 27

berden zusammen mit ihrer Filiale Warbeyen dem Antoniterkloster auf demHau bei Kleve inkorporiert werden SO. Die Kirche von Huisberden hat dasCorbie'sche Petruspatrozinium 81 und dürfte als Eigenkapelle auf dem Hofvon Corbie entstanden sein 82, weswegen Ilgen Kapelle und Liegenschaft "minde-stens in die karolingische Zeit" glaubt zurückdatieren zu können 83.

Denain

Die Abtei Denain, wenige Kilometer südwestlich von Valenciennes gelegen,wurde 764 durch einen Grafen Aldebertus, der eine Nichte König Pippins zurFrau hatte, für seine Tochter Reginfledis gestiftet, welche auch die erste .Äbtissinwurde 84. Denain wird 931 als castellum bezeichnet 85, später gehört es demGrafen Balduin von Flandern 86.

Denain war in H ö n n e p e 1 und H use n bei Niedermörmter, beidesKr. Kleve, begütert 87. Genau unterrichtet sind wir aber nur über den Verkaufdes Besitzes: Im März 1240 kommen die GUter an das Stift Xanten 88. Da dieheutige Pfarrkirche von Hönnepel - als einzige Kirche in Deutschland - dasDenain-Patrozinium Reginfledis trägt, ist der Schluß erlaubt, daß sie als Eigen-kirche oder -kapelle auf dem Abteigut entstanden ist 89, Ilgen nimmt an, inkarolingischer Zeit DO. Zur Kirche von Hönnepel gehörte ein Benediktinerinnen-kovent, der 1223 nach Horst bei Deventer verlegt wurde Ul.

St. Germain

Die Abtei St. German-des-Pres erhielt von Pippin d. J. Zollfreiheit zuDo res t ad, welche ihr am 27. 3. 779 durch Karl d. Gr. bestätigt wurde 92.

Die überragende Bedeutung Dorestads im 8. und 9. Jahrhundert lag in seinemEngland- und Skandinavienhandel ",

St. Quentin

Das Stift St. Quentin in Nordfrankreich besaß am Niederrhein ein Gut in

80 Ebda. S. 50; vgl. 0 e dig er, Niederrheinische Pfarrkirchen um 1500. Ein Erkundungs-buch des Archidiakonats Xanten (= Ann. Hist. V. f. d. Niederrh. 136, 1940), S. 21.

81 S t ü wer a.a.O. S. 55 und 58.8! I I gen I S. 50.83 Ebda.84 Sc hol ten, Zur Geschichte von HönnepeI und Niedermörmter (= Ann. Hist. Ver.

f. d. Niederrh. 51, 1891), S. 104-148.85 V 0 i g t a.a.O, S. 133 f. Anm. 3. Vgl. auch Te s sie r II Nr. 501, S. 657 f.: Fälschung

Karls des Kahlen vom 12. 8. 877.86 V 0 ig t S. 138 Anm. 1.87 0 e dig er, Die ältesten Kirchen, S. 35 u. 45; Sc hol ten a.a.O.88 We i I er, Nr. 132, S. 98 f.; vgl. auch Nr. 133; W ilk es, S. 60, 66 H., 449 f.8t Stüwer, S.137.90 Ll g e n I, S. 131.91 Sc h o l ten a.a.O.; I I gen I, S. 130; S t ü wer a.a.O.; Fa b r i c ius, S. 296 f.92 MG DD Karol I, Nr. 122; = Mull e r - B 0 u m an, a.a.O. Nr. 50.DS Vgl. Sc h l e sin ger, Städtische Frühformen :zwischen Rhein und EIbe (= Studien

usw., s, o. bei Petri) S. 306; En n en, Frühgeschichte der europäischen Stadt. Bonn 1953,S. 56 ff.

28 Gregor Hävelmann

R i n der n Kr. Kleve, zu dem Zinsgüter in M ehr und Don s b r ü g genKt. Kleve, De est und Spa 1d r 0 p südlich Kekerdom/Ndl. und H ü t humKr. Rees (oder Heukelom?) gehörten. Am 21. 3. 1212 verkauft es alle diese andas Kapitel von Xanten 94, das am 20. 4. 1224 durch Honorius Ill. in seinemBesitz bestätigt wird 95. Ilgen glaubt, der Güterkomplex stamme aus demursprünglichen Bestand der Abtei Echternach 91.

St. Remy

Die Abtei St. Remy zu Reims erhielt am 10. 2. 968 von Gerberga, derSchwester Ottos I. und Witwe Herzog Giselberts von Lothringen, den OrtLit h a. d. Maas zum Geschenk97. Lith, ursprünglich Königsgut wie die Pfalzzu Meersen, zu der es gehörte, scheint durch Karl den Einf. an den GrafenReginar gelangt zu sein 98, der es dann seinem Sohn Hg. Giselbert vererbte 99.

1145 werden der Abtei ihre Besitzungen u. a. in Lith durch Konrad Ill.bestätigt 100.

St. VaastDie Abtei St. Vaast wurde um 650 durch den hl, Aubertus, Bischof von Cam-

brai und Arras, in der unmittelbaren Nachbarschaft seiner civitas Arrasgegründet und erhielt den Namen des ersten Bischofs dieser Stadt, Vedastus 101.

Sie lag also an einem Brennpunkt des Wirtschaftslebens zur Merowinger- undKarolingerzeit 102. Nicht umsonst wird im Vertrage von Verdun 843 mit Arraseine Ausnahme gemacht; obwohl im (westfränkischen) Gebiete Karls des Kahlengelegen, wird es doch Lothar zugesprochen und bildete somit eine Enklave 103.

Aber 23 Jahre später, 866, kommt die Vedastus-Abtei als Geschenk Lotharsdoch an Karl den Kahlen 104, sie ist von nun an also westfränkisch. Zu ihrerfamilia gehörte auch ein Teil der Kaufleute von Arras, welche von der Zoll-

14 We i1 er, Nr. 63, S. 49; I I gen I, S. 28; vg!. auch We iI e r Nr. 61 und 62, S. 48.95 Sloe t , Nr. 473, S. 477.98 a.a.O. S. 31. Dies ist aber, worauf mich Frau Dr. Lewa I d freundlicherweise aufmerk-

sam macht, sehr unwahrscheinlich; wenn entfernt liegende Klöster Güter abstoßen, so sind dieKäufer dafür stets mehr oder weniger nahe Anlieger, die ihren eigenen Besitz abrundenwollen; vielleicht hat St. Quentin diese Güter etwa gleichzeitig mit Echternach zum Geschenkerhalten.

97 Gy ss e I in g - K 0 ch, Nr.222.IS Par iso e , S. 686 Anm. 1; S pro em b erg, Die lothringische Politik Ottos des Großen

(= Rhein. Vjbll. 11) 1941, S. 18.t9 Rotthoff a.a.O. S.107; Parisot, S.612f.100 Her m ans, Analytische Opgave der gedrukte charters .•. betr, die provincie Noord-

brabant. 's-Hertogenbosch 1844, S. 12; über die Einkünfte der Abtei in Lith vgl. G u ~rar d ,Polyptyque de l'abbaye de Saint-Remi de Reims. Paris 1853, S. 30 f. und 108 ff.

101 G ans hof, a.a.O. S. 300.102 D h 0 n d t , D~veloppement urbain et initiative comtale en Flandre au Xle siede

(= Revue du Nord XXX, 1948). S. 133 ff.; Pet r i, a.a.O. S. 273.103 Ann. Bertiniani 843.104 Ebda. 866; vg!. V 0 i g t, S. 34.

Westfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrhein 29

befreiung angelockt wurden, die mit der Zugehörigkeit zur familia gegebenwar 105.

St. Vaast ist unter allen westfränkischen Abteien diejenige mit dem umfang-reichsten Besitz am Niederrhein. Trotzdem ist sie in dieser Hinsicht von dendeutschen Historikern vernachlässigt worden 106. Besonders fällt auf, daßE. Ewig, der eine Darstellung des Bistums Köln im Frühmittelalter gegebenhat 107, St. Vaast unerwähnt läßt, obwohl die Kette der urkundlichen über-lieferung in die Zeit vor der Gründung des Bistums Utrecht zurückreicht, aufdessen heutigem Gebiet der St. Vaaster Fernbesitz zum größten Teil lag. Hater sich durch die heutige deutsch-niederländische Grenze irritieren lassen? Esscheint so; denn in seinem jüngsten Aufsatz 108 trägt er den St. Vaaster Besitzim Süden des Bistums Köln nach (H e i m b ach Kr. Schleiden; fraglich:E c h t z bei Düren, D h 0 rn, A m e l n und K 0 s 1a r bei ]ülich), schweigt sichaber weiterhin über die größeren Güter im Norden aus. Hatte doch schonO. Holder-Egger, als er 1887 in den Monumenta SS XV 109 die MonumentaVedastina minora herausgab, jenen Teil der Miracula Vedastini, der das Wunderin Wolferen i'11 Betuwe-Gau berichtet 110, nicht aufgenommen mit der Begrün-dung: nihil notatu dignum invenitur 111.

Am Anfang der Überlieferung steht eine in ihrem Wert umstrittene 112, aufden Namen Theuderichs (111., 673 - März/Mai 690113) ausgestellte Fälschung 114.

105 Pet r i a.a.O.106 Freilich hatte schon Ti bus (s. Anm. 25) S. 107 Anm. einen versteckten Hinweis ge-

geben: ..Man darf sich auch nicht zu beschränkte Begriffe machen von dem Verkehr, welchervor und um 700 schon zwischen der Gegend am Niederrhein und den Distrieren des jetzigenBelgien und dem angrenzenden franz. Gebiete bestand. Durch die Urkunde aus den Jahren673-691 (Sloet 1) bestätigt König Theoderich Ill. dem Kloster des h. Vedast bei Arras in derPikardie Schenkungen von Gütern zu Ressen, Wolferen und den beiden Rothern in derBetuwe, und unter den Wundern, die auf Anrufung des h. Vedast geschehen sind, wird vondessen Biographen auch eins erwähnt, welches in der Grafschaft Betuwe, in einem Dorfe desh. Vedast, Vulfera (Wolferen) genannt, gewirkt worden (Acta SS. Ball. zum 6. Febr.). Ineiner Kirche des h. Vedast war es auch, worin die h. Adelgundis vorn h. Amandus den Schleierempfing. Flammänder sind ja auch ein den Niederländern verwandter Stamm, und diefriesisch-flämisme Industrie war schon unter Karl d. Gr. berühmt. Die Friesen galten über-haupt bei den merowingischen und karolingischen Königen als die vornehmsten ausländischenKaufleute". Auch Ilgen geht ausführlich auf ihn ein (s. weiter unten).

107 S. Anm. 7.108 Ebda.109 Pars I, S. 396-405.110 AA SS Febr. I, 1658, S. 812 f.; vgl. Anm. 105.111 a.a.O. S. 397.m Gründe für die Unechtheit führte schon van Spa en, Oordeelkundige inleiding tot

de historie van Gelderland. Bd. Ill, Utrecht 1804, S. 370 f. an; das von van D r i val, Cartu-laire de l'abbaye de Saint-Vaast d'Arras redige au XlIe siede par Guimann. Arras 1875, S. 16 f.reproduzierte Facsimile ist von der selben Hand wie eine auf den Namen eines Grafen vonHennegau ausgestellte Originalurkunde aus dem Jahre 1150 (T e s sie r, S. 661 f.). VanDrival, (S. 425), dem sechs Abschriften der Urkunde vorgelegen haben, die z, T. älter seienals das von ihm benutzte Manuskript des Chartulars Guimanns (zwischen 1170 und 1192 ver-faßt: van Drival S. VIII ff.) plädiert für die Glaubwürdigkeit der Urkunde. Auch E wig

30 Gregor lIävelmann

Dort heißt es: in Batua Rexnam, Wlfaram cum capella, Rothem et aliamRotbem 115.

Ausführlicher sind die Angaben in einem Exemtionsprivileg Stephans Ill. ausdem Jahre 765116: villas etiam sitas in pago qui uocatur Batua, quem circum-fluit Renus bicornis fluvius, his nominibus Rexnam, Ulfaram una cum capellaibidem posita, Rotheim super /Iuvium Versiam sitam; item in altera Rotheimmansos VI; preterea etiam ultra Renum prelihatum /luvium manses numeroXXXVI. pariter cum suls appendentibus; ...

Diese Textfassung kehrt fast unverändert wieder in der Urkunde JohannsVIII. vom 28. 12. 875 m. Doch deutet jetzt die einleitende Formel aa cameramoero Fratrum 118 darauf hin, daß der gesamte niederrheinische Besitz, wie esschon bei den Abteien St. Amand und St. Bertin erläutert worden ist, nun zumKonventsgut gehörte UD.

Die Urkunde wurde ausgestellt während jenes Romaufenthalts Karls d.Kahlen (17. 12. 875 bis 5. 1. 87612°), der durch seine Kaiserkrönung bekannt-geworden ist und dem die Versuche zur Eroberung Ost-Lotharingiens folgten 121.

Indiese Zeit ist auch eine Fälschung Karls datiert, die sich ausdrücklich auf dieobengenannte Theuderich-Urkunde bezieht 122.

Soweit die Belege aus der Zeit vor 1000. Bei den aufgeführten Gütern 133

handelt es sich um Res sen und Wolf ere n in der Oberbetuwe, R 0 s suma. d. Waal und ein weiteres R 0 s sum 124. Wolferen besaß schon damals eineSt. Vaaster Eigenkapelle. Schließlich ist die Rede von einem umfangreichen(36 Mansen) rechtsrheinischen Besitz.

Sehr reich sind die Quellen zur weiteren Geschichte des niederrheinischenBesitzes der Vedastus-Abtei. Sie war inzwischen so tief heruntergekommen,daß 1008 der große Klosterreformer Richard von St. Vannes (Verdun) an ihre

hält den Inhalt für "nicht undenkbar- (Archiv S. 346). I I gen I, S. 408 u. 413 scheint garnicht zu zweifeln. - Durch einen Brand im Jahre 886 gingen u. a. Bücher und Urkunden zu-grunde (Ann. Vedast. 886); vielleicht befand sich auch die Originalfassung einer Theuderich-Urkunde darunter.

113 Le vis 0 n, Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit. Düsseldorf 1948, S. 478 Anm. 4.114 van D rival, S. 17 f.; == MG DD Merov. (Pertz) Spuria, Nr. 76, S. 192;

= Bon d a m, Charterboek der Hertogen van Gelderland en Graaven van Zutphen. Deel I,1 Utrecht 1783, Nr. 1, S. 1 f.; = Sloe t , Nr. 1, S. 1 f.

115 van Drival, S. 18.m Ebda. S. 22 H.m Ebda. S. 35H.; = Sloe r , Nr. 55, S. 56 f.; = Ja f f ~ - W a t ten b ach I, 3022.118 van D rival a.a.O.m Karl d. Kahle hatte 867 (T es sie r , Nr. 304, S. 170 If.) das Konventsgut gebildet.120 Ann. Bertin.121 Siehe oben S. 10. Vg!. Par iso e , S. 411 ff.122 Te s sie r , Nr. 502, S. 661H.; = van D r ival, S. 38 f.123 Ri c 0 u art, Les biens de l'abbaye de St. Vaast dans la Hollande, la Belgique et les

Plandres francaises, Anzin 1887 war in den westdeutschen Bibliotheken leider nicht nachweis-bar.

124 Vgl, van D r i val, S. 430 f.; Gall ~e a.a.O. sucht die beiden Orte in der Bommeler-ward, Mo e r m a n (Nederlandse plaatsnamen. Leiden 1956) S. 91 kann sie nicht lokalisieren.

Westfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrhein 31

Spitze treten mußte 125•. Er setzte sich stark für die Wiederherstellung desBesitzstandes der Abtei ein, um so einem neuen religiösen Leben erst dieGrundlage zu geben. Im Frühjahr 1015 sandte er den Propst Poppo, denspäteren großen Abt von Stablo, zu Heinrich n. nach Nimwegen, damit er sichum den dortigen Besitz der Abtei kümmere und vom Kaiser eine Bestätigungder Güter von St. Vannes erreiche 126. Auf dem Wege besuchte Poppo übrigensin der Betuwe einen Verwandten, der Güter von St. Vaast besaß, und wirktedort ein Wunder beim Fischfang 127. Als der Kaiser in Nimwegen einem grau-sigen Gauklerspiel mit Genuß zusah, trat ihm Poppo mannhaft entgegen; undals einige Jahre später eine Reform des Doppelklosters Stablo-Malmedy fälligwurde, erinnerte sich Heinrich dieses tüchtigen Mitarbeiters Richards vonSt. Vannes und betrieb 1020 seine Erhebung auf den Abtsstuhl des Ardennen-klosters 128.

Aus dem Jahre 1024 liegt eine Besitzbestätigung durch Papst Benedikt VIII. 129

vor, die sich textlich an die älteren Papstdiplerne anschließt.Sehr aufschlußreich ist der Bericht eines gewissen Mönches Richer, der ins

11. Jahrhundert datiert wird 130. Er enthält in allen Einzelheiten den Besitz-stand der Abtei im Niederrheingebiet und wurde offensichtlich aufgestellt zumZwecke der Kontrolle der Zahlungen. Das Gesamtaufkommen ist mit siebzehnPfund jährlich angegeben. Unter den Zeugen werden 10 Mitglieder der familias. Vedasti aufgezählt, darunter auch ein Dolmetscher. Es würde zu weit führen,hier alle Namen der mit ihrem Besitzstand aufgeführten Bauern aneinander-zureihen. Erwähnt sei lediglich, daß sich unter ihnen ein Stellmacher, ein Walkerund ein Weber befinden. Die Größe des Einzelbesitzes ist verschieden undschwankt zwischen 1/. und Il/! Mansen. Eine Manse bei Wolferen wird als ver-sunken bezeichnet. Für den bei Emmerich gelegenen Besitz ist in Deventer-Denaren zu zahlen. Folgende Ortsnamen werden genannt: villa Rexne inministerio Tehoderici (R e s sen), Vulfara (W 0 Ifer en), Rothem (R 0 s-sum), Tornacum (Doornik131), Redh (Reet132), Ambraveld (Ammer-vel d 133), Amba ( A a m 134), Barla ( B a a 1135), Angra ( A n ger e n 136), Sevelica

125 Hi r sc h - B re ß 1a u, a.a.O, S. 242 ff.126 Vita Popponis c. 12 (MG SS XI, S. 300 f.); vg!. Lad e wig, Poppo von Stablo und die

Klosterreformen unter den ersten Saliern. Berlin 1883, S. 34 f.127 Ebda.128 Ebda, S. 35; Hi r 5 ch - Br e ß I a u, S. 245ff.; De dig er, Regesten 113 Nr. 656,

S. 193 f.129 van D r i val, S. 59 H.130 Sloe e , Nr. 122, S. 123 f.131 Ein Weiler bei Randwijk (Nom. Geogr. Neerl. III S. 80 und S. 329).132 Bei EIst (M 0 e r m a n a.a.O, S. 189; NGN III S. 222 und S. 352).133 NGN III S. 322.134 Bei EIst (NGN III S. 322; vgl. Me i h u i zen, De rekening betreffende het graaf-

sdiap Gelre 1294/1295 = Werken Gelre 26, Arnhern 1953, S. 84 H.).135 Bei Ressen (M 0 e r m anS. 150) oder B a a Ire bei Bommel (NGN III S. 32 f.

und S. 324).138 NGN III S. 19 und S. 322; südöstl. Huissen, alte Reimszollstätte (S c hol z - Ba-

bis c h a.a.O, S. 244).

32 Gregor Hövelmalln

( Z y f f 1 ich Kr. Kleve), Balvara (B a I ver e n 137), Valburg (Val bur g),Rinishem (?), Legele 138, Welie (Well e 139), Hia (H i e n 140), Bura in Testre-ban to (B ure n ), Ostreholt (00 S t e rho ut), Embrica (E m mer ich ).

Die Nennung von Zyfflich hat den Bearbeiter des Kunstdenkmälerbandesund danach Fabricius zu der Vermutung veranlaßt, daß das dort von demGrafen Balderich und seiner Gemahlin Adela um das Jahr 1000 gestifteteKloster 141 mit Mönchen aus der Vedastus-Abtei besetzt worden sei 142.

Ein Brief, den Graf Arnold von Kleve am 7. 3. 1120 an den Abt Heinrichvon St. Vaast richtet 143, wirft ein weiteres Schlaglicht auf die im Wandel derZeit immer stärker werdende Gefährdung des Fernbesitzes. Der Graf von Kleve,inzwischen Inhaber der Vogtei, berichtet, daß er einen seit langem anhängigenStreit zwischen der Abtei und ihrem Verwalter am Niederrhein erfolgreichhabe schlichten können 144.

Ein paar Jahrzehnte später liegt der Graf von Kleve selbst mit der Abtei imStreit. Er hatte sich widerrechtlich der Kirche und des Altars in Wolferen be-mächtigt. Auf einem Aachener Hoftag am 26. 12. 1165 führt Erzbischof Rainaldvon Köln einen Ausgleich herbei: Graf Diedrich erstattet dem Abt Martin dasgeraubte Gut zurück 145.

Zwei Jahre später sieht sich die Abtei schließlich veranlaßt, den Besitz inRessen, Wolferen und Thele (T i e I?) an den Grafen Diedrich von Kleve zuverkaufen 148, ausgenommen cambas et ecclesiam de Wulfara in Batua cumappenditiis suis 147. Aus dem Verkaufserlös (de pecunia que data est pro Batua)erwarb sie in ihrer Nachbarschaft die Güter Mofflaines, Hamblain u. a. 148.

Die Zeit für Fernbesitz war endgültig vorüber.

St. V a l e r yDie Abtei St. Valery-sur-Somme besaß das zwischen Nimwegen und Overas-

selt gelegene Benediktinerpriorat St. Wal r ich; es soll aus der AbteiKaiserswerth hervorgegangen und dann der westfränkischen Abtei unterworfen

m Bei Oosterhout (M 0 e r m anS. 254; NGN III S. 35).138 .Irgendwo in der Betuwe" (M 0 e r m anS. 150).m Bei Dodewaard (M 0 e r m anS. 264; NGN III S. 274).140 Bei Dodewaard (NGN IIIS. 136).141 Lac 0 mb 1et, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins Bd. I. Düsseldorf

1840, Nr. 159.142 eIe men a.a.O. Kreis Kleve, 1892, S. 157 E.; Fa b r ic ius S. 316.us I Igen I111, Nr. 3, S. 4 H.144 11gen I, S. 408H.145 K nip pin g, Regesten der Erzbischöfe von Köln. 11. Bd. (= Publ. d. Ges. f. Rhein.

Geschichtskunde XXI). Bonn 1901, Nr. 828; 11 gen I, S. 410 f.140 Ebda. S. 411 und 11/1, Nr. 5; Gert van der Schuren (hsg. v. Sc hol ten), S. 51 und 237.147 Urkunde Alexanders Ill. vom 11. 1. 1170: van D r ival S. 91 H.; = JW 11709.

Kirche und 25 Hausstätten von Wolferen sind im späteren Mittelalter durch Hochwasserflutenweggespült worden, nur eine Ward an der Waal war übriggeblieben (Lehensbeschreibung 1410:ligen IS. 413).

148 van D r i val, S. 340, 357 und 437.

Westfränkiscber Klosterbesitz am unteren Niederrhein 33

worden sein 149. Wie groß der Besitz gewesen ist, ließ sich nicht feststellen;es ist möglich, daß die Ritter von Heumen einmal Ministerialen der Abtei waren.da ihre Zehnten nach einer Erkundigung aus dem Jahre 1436 mit denen desPriors von St. Walrich durcheinanderlagen 150. 1581 sollen zwei Höfe zumPriorat gehört haben, 1643 soll der Besitz verkauft worden sein 151. Im Jahre1950 sind in der Umgebung der Ruine der Walrichskapelle Grabungen unter-nommen worden, bei denen jedoch kein Vorgängerbau gefunden werdenkonnte 152.

Wie ist St. Valery zu seinem niederrheinischen Fernbesitz gekommen? Erkönnte aus dem Besitze Giselberts von Lothringen stammen; denn als dieser919 von Karl dem Einfältigen besiegt und bestraft wurde (so mußte er z. B.die Abtei St. Servatius zu Maastricht der Kirche von Trier abtreten), saß inHeristal unter seinen Richtern auch ein gewisser Hungerus, der wohl identisch istmit dem 922 als Laienabt von St. Valery genannten Grafen 153. War hier nichtfür Kar! eine günstige Gelegenheit, seinen treuen Gefolgsmann zu belohnen undLotharingien fester an den Westen zu binden?

Zusammenfassung und Fragen

Neun westfränkische Klöster sind am unteren Niederrhein vertreten. Dreivon ihnen (St. Amand, St. Bertin und St. Vaast) haben sicher auf das Rechts-rheinische hinübergegriffen; die Formel ultra Renum ist vor 900 viermal belegt.Diese drei sind es auch, deren Besitz nachweislich mindestens bis in karolingischeZeit zurückgeht, bei mehreren anderen ist dies wahrscheinlich. Aber keines derGüter ist mit Sicherheit erst nach 1000 erworben worden.

Zieht man zum Vergleich etwa die Diözese Trier heran, so sind hier nur zweiwestfränkische Abteien, nämlich Rebais (Meaux) und St. Ouen (Rouen), nachzu-weisen 15'.

Mehrfach hat sich das Kirchenpatrozinium als Indiz erwiesen, so in Herongen(Amandus), Frechen (Audomarus), Hönnepel (Reginfledis), Overasselt (Walrich)und wohl auch Huisberden (Petrus). Hier ist eine in ihrer Bedeutung weit-reichende Vermutung anzuschließen; wenn unterstellt werden darf, daß überden Gesamtumfang des westfränkischen Klosterbesitzes am Rhein die urkund-liche überlieferung nicht mehr vollständig ist, wofür die Größe des oben immer-hin Nachgewiesenen doch wohl spricht, dann berechtigen die eben genannten Fällekonstanter Patrozinien zu der Vermutung, daß auch in den zahlreichen Fällendes Typs Till Kr. Kleve, dessen sehr alte Kirche das auffällige, nach Paris

141 Bijdragen en Mededelingen ,Gelre' VII, 1904, im Jaarverslag der Gelderse ardieologisdieCommissie.

150 Gorissen, Nijmegen (= Werken ,Gelre' 29). Arnhem 1956, S. 31; vgl, auchS t ü wer, S. 132 f.

151 s, o, Anm. 149.m Bijdr. en Mededelg. ,Gelre' LI, 1951, S. 81 f.m Pari sot, S. 626; V 0 i g t, S. 215; vgl, auch S pro e m b erg a.a.O, S. 20.mEw i g, Trier im Merowingerreich. Trier 1954. Karte 6 und S. 190.

Rbelnilebe Vierteljahrsbillter. Jabrgang 27 (lieft 1/4) 3

34 Gregar H6velmann

weisende Doppelpatrozinium Vinzenz und Genovefa trug, westfränkischerKlosterbesitz bestanden hat.

Es fällt auf, daß ein großer Teil des in dieser Untersuchung festgestelltenFernbesitzes an oder nahe bei römischen Straßen liegt. Herongen, durch Ziegel-stempel belegte römische Benefiziarstation 155, liegt an der bei Heerlen von derStrecke Bavai-Köln abgezweigten Straße nach VeteTalXanten 156. Südlich VeteTaan der Straße nach Novaesium/Neuß liegt Essmer. Nördlich VeteTa an oderbei der Straße nach NoviomaguslNimwegen liegen Hönnepel, Huisberden, Rin-dern (Harenatium), Donsbrüggen, Mehr und Zyfflich. In der Betuwe, die vonrömerzeitlichen Siedlungsspuren übersät und in der der Verlauf der römischenStraßen und Wege noch ungeklärt ist 157, liegen u. a. Ressen, Wolferen, Reet,Angeren, Valburg, Balveren, Hien, Oosterhout und Buren. Lith und Rossum(Ad duodecimum) liegen an der waalabwärts führenden Straße Nooiomagus-Katwijk 158.

Die Vermutung liegt nahe, daß diese Ländereien zu dem Merowingerbesitzaus römischem Fiskalgut gehörten und daß sie von den Königen danndenKlöstern geschenkt worden sind, ähnlich wie es etwa für Stablo-Malmedy nach-zuweisen ist 159.

Schließlich: warum überhaupt derart reicher Fernbesitz am unteren Nieder-rhein? Die Antwort muß von einer zeitlichen und räumlichen Differenzierungausgehen.

1. Warum wurde in spätmerowingischer und karolingischer Zeit hier Fern-besitz erworben? Das untere Niederrheingebiet war damals Grenzland gegen dienoch heidnischen und dem fränkischen Reiche feindlichen Friesen und Sachsen.Ausbreitung von Glauben und politischer Herrschaft sind aber in der Vor-stellung der Zeit untrennbar. Der Auftrag Dagoberts an Bischof Kunibert vonKöln, "Auftakt der fränkischen Reichsmission in friesischen Grenzlanden" 160,

blieb ohne Erfolg. Gab es in der Folgezeit einen, vielleicht von mönchskirchlichenVorstellungen mitbestimmten, Christianisierungsauftrag an die westfränkischen(z. T. königlichen Eigen-) Klöster? Ging dem Missionsauftrag an die Angel-sachsen ein anderer voran oder parallel? War der Impuls der Eligius, Amandus,Bertinus, Bavo, Remaclus, Mummolenus, Audomarus in ihren Klöstern nochlebendig? Freilich, auf die Dauer hat sich die Kraft der angelsächsischen Glau-

m von Pet r ik 0 v its. Das römische Rheinland. Archäologische Forschungen seit 1945.(= AG f. Forsdig, d. Landes NRW. Geisteswss. Heft 86) Köln u. Opladen 1960, S. 74 u.Abb.23.m By van k , De Tabula Peuteringiana en Nederland volgens Ptolemaeus. (= Gesdiied-

kund. Ad. v. Nederl. De romeinsche tijd. S. 13 H.) S. 32.167 Mod der m an, Het probleem van de romeinse wegen in het rivierkleigebied (= BM

Gelre LIl, 1952, S. 21 H.).158 B y van k , S. 36 f.m Vgl, Wie r u s Z 0 W ski. Reichsbesitz und Reichsrechte im Rheinland (500-1300).

(= Bonner Jahrbücher 131) 1926, S. 114 fi.180 J U n g - Die fen b a e h , S. 9 H.

lI!lestfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrhein

benspredigt gegenüber dem stärker von grundherrschaftlichem Denken bestimm-ten Wirken der Abteien durchgesetzt.

Westfränkischer Klosterbesitz am unteren Niederrhein

I

Frie sen

Sachsen

St.Amand (Elno) ,St. Bertin - St.Omer (Sithiu)

Corbie

fjJ.@tEl

DenainSt.Germain-des-PresSt.auentinSt.RemySt. Vaast (Arras)St.Vah~ry-sur-Somme

Iii1 ID ~ usw .Eige.nkirche nach-I!!I'V' ..gewiesen

t ........ , .... I. laa'

2. In spätkarolingischer Zeit muß der Fernbesitz, wie oben mehrfach auf-gewiesen, anscheinend zur Fundierung westfränkischer Ansprüche auf Lotha-ringien herhalten.3. Ganz offensichtlich ist die wirtschaftliche Bedeutung des Fernbesitzes. DasZollprivileg für St. Germain und das im ganzen Reiche geltende für St. Bertin,die Weinberge in Gelsdorf, der Grundbesitz im Portus Deventer, auch diestraßennahe Lage der Güter im allgemeinen sprechen eine deutliche Sprache 161.

181 Herrn Stadtarchivar Dr. Gorissen, Kleve, bin ich für die Anregung zu dieser Unter-suchung, die Arbeitshypothese und mancherlei Förderung zu herzlichem Dank verpflichtet.

35

36 Gregor Hövelmann

Verzeichnis der genannten Orte mit Klosterbesitz

Aam 31, K Doornik 31, K Herbach 25 Ressen 30 H., 34, KAmeln 29 Dorestad 27, K Huisberden 26 f., Rindern 28, 34, KAmmerveld 31 Edirz 29 33 f.,K Rossum 30 f., 34, KAngeren 31, 34, K Emmerich 31 f., K Huissen 25, K Spaldrop 28, KBaal 31, K Esserden 20 f., K Hüthurn 28.K St. Walrich 32 f., KBabberich 22, K Essmer 26, 34, K Husen 27,K Sulen 21, KBalveren 32, 34, K Frechen 23,26,33 Koslar 29 Valburg 32,34, KBruttig 25 Gelsdorf 23,35 Lith 28, 34, K Welle 32,KBuren 32,34, K Golzheim 25 Mehr 28, 34, K Wolferen 30 H., 34, KDeest 28, K Heimbach 29 Niederkassel 23 Zyfflich 32,34, KDeventer 23, 25, 35, K Herongen 20 f., 33, K Oosterhout 32, 34, KDhorn 29 Hien 32, 34, K Praest 21, KDonsbrüggen 28,34, K Hönnepel 27,33 f., K Reet 31,34, K

K = lokalisiert und auf der Karte S. 35 verzeichnet.