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Z Rechtsmed (1983) 90 : 137-145 Zeitschriff for Rechtsmedizin © Springer-Verlag "1983 Ringfrakturen der Sch idelbasis* E. Schulz und R. Jahn Institut for Rechtsmedizin der Universit~it Wiirzburg, Versbacher Str. 3, D-8700 Wtirzburg, Bundesrepublik Deutschland Ring Fractures of the Base of the Skull Summary. Besides complete ring fracture, also incomplete fractures open to the front, back, or side(s) are discussed on the basis of 61 ring fractures of the base of the skull. The fractures were found in casualties from traffic accidents (car passengers, cyclists and motorcyclists, pedestrians), after falls and other accidents. In traffic accidents, compression, traction, hyperextension, ex- treme lateral movements, and torsional forces can lead to ring fractures. In falls, compression and traction are the main forces. A fall in one plane is also capable of producing an incomplete ring fracture. Incomplete ring fractures may show lateral emphasis. The greater fracture length is found on the impact side (e.g., in falls). In contrast to complete ring fractures, incomplete ring frac- tures are compatible with longer survival times. Ring fractures are to be clas- sified under direct fractures. This does not exclude the possibility that overall deformations of the skull with bursts can partly determine the course of the fracture. Key words: Ring fractures, base of the skull - Traffic accident, ring fractures Zusammenfassung. Am Beipiel von 61 Ringfrakturen der Sch/idelbasis werden neben dem vollst/indigen Ringbruch auch unvollst/indige, nach vorn, hinten oder seitlich offene Frakturen er6rtert. Die Briiche fanden sich bei Unfall- opfern im Stral3enverkehr (Pkw-Insassen, Fahrrad- und Motoradfahrer, Ful3- ganger), nach Stfirzen und sonstigen Unf~illen. Bei Verkehrsunf~illen k6nnen Stauchung, Traktion, Hyperextension, late- tale Extrembewegungen und Torsionskr/ifte zu Ringfrakturen f'tihren. Beim Sturz sind Stauchung und Traktion die beherrschenden Kr/ifte. Auch ein Sturz in der Ebene ist geeignet, zu einer unvollst/indigen Ringfraktur zu ffihren. Unvollst/indige RingbriJche k6nnen eine Seitenbetonung zeigen. Die gr6- 13ere Frakturschenkellgnge findet sich (z. B. beim Sturz) auf der Einwirkungs- * Herrn Prof. Dr. G. Schmidt zum 60. Geburtstag gewidmet Sonderdruckanfragen an: Dr. E. Schulz (Adresse siehe oben)

Ringfrakturen der Schädelbasis

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Z Rechtsmed (1983) 90 : 137-145 Zeitschriff for

Rechtsmedizin © Springer-Verlag "1983

Ringfrakturen der Sch idelbasis*

E. Schulz und R. Jahn

Institut for Rechtsmedizin der Universit~it Wiirzburg, Versbacher Str. 3, D-8700 Wtirzburg, Bundesrepublik Deutschland

Ring Fractures of the Base of the Skull

Summary. Besides complete ring fracture, also incomplete fractures open to the front, back, or side(s) are discussed on the basis of 61 ring fractures of the base of the skull. The fractures were found in casualties from traffic accidents (car passengers, cyclists and motorcyclists, pedestrians), after falls and other accidents. In traffic accidents, compression, traction, hyperextension, ex- treme lateral movements, and torsional forces can lead to ring fractures. In falls, compression and traction are the main forces. A fall in one plane is also capable of producing an incomplete ring fracture. Incomplete ring fractures may show lateral emphasis. The greater fracture length is found on the impact side (e.g., in falls). In contrast to complete ring fractures, incomplete ring frac- tures are compatible with longer survival times. Ring fractures are to be clas- sified under direct fractures. This does not exclude the possibility that overall deformations of the skull with bursts can partly determine the course of the fracture.

Key words: Ring fractures, base of the skull - Traffic accident, ring fractures

Zusammenfassung. Am Beipiel von 61 Ringfrakturen der Sch/idelbasis werden neben dem vollst/indigen Ringbruch auch unvollst/indige, nach vorn, hinten oder seitlich offene Frakturen er6rtert. Die Briiche fanden sich bei Unfall- opfern im Stral3enverkehr (Pkw-Insassen, Fahrrad- und Motoradfahrer, Ful3- ganger), nach Stfirzen und sonstigen Unf~illen.

Bei Verkehrsunf~illen k6nnen Stauchung, Traktion, Hyperextension, late- tale Extrembewegungen und Torsionskr/ifte zu Ringfrakturen f'tihren. Beim Sturz sind Stauchung und Traktion die beherrschenden Kr/ifte. Auch ein Sturz in der Ebene ist geeignet, zu einer unvollst/indigen Ringfraktur zu ffihren.

Unvollst/indige RingbriJche k6nnen eine Seitenbetonung zeigen. Die gr6- 13ere Frakturschenkellgnge findet sich (z. B. beim Sturz) auf der Einwirkungs-

* Herrn Prof. Dr. G. Schmidt zum 60. Geburtstag gewidmet Sonderdruckanfragen an: Dr. E. Schulz (Adresse siehe oben)

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seite. Unvollst/indige Ringbrfiche sind im Gegensatz zu den vollst~indigen mit 1/ingeren Uberlebenszeiten vereinbar. Ringfrakturen sind den direkten Brtichen zuzuordnen. Dies schliegt nicht aus, dab Gesamtverformungen des Sch~idels mit Berstungen den Frakturverlauf mitbestimmen k6nnen.

Schliisselwiirter: Ringfrakturen, Schfidelbasis - Verkehrsunfall, Ringfrak- turen der Sch/idelbasis

Einleitung

Ein Ringbruch der Sch/idelbasis verlfiuft um das Foramen occipitale magnum herum und erstreckt sich im typischen Fall auf das Lager der Hypophyse, beide Felsenbeine und auf die hinteren Schfidelgruben. Derartige Frakturen sind im Vergleich zu einfachen Quer- und L/ingsbrtichen der Sch/idelbasis selten. Von klinischer Seite werden sie kaum ausf'tihrlicher behandelt, weft die Oberlebens- zeiten der Betroffenen wegen der ausnahmslos vorhandenen schweren Him- schfidigung in der Regel kurz sind.

Aus der Sicht einer forensisch orientierten Traumatologie sind die Ring- briiche deshalb yon Interesse, well biomechanische Gegebenheiten, insbeson- dere Zug, Stauchung und Extrembewegungen des Kopfes hfiufig am Verlet- zungsbild erkennbar sind. Das Erfassen solcher Vorgfinge erleichtert oder erm6glicht erst das Verst~indnis f'tir Bewegungsabl/iufe bei Unf~illen.

Die vorliegende Arbeit besch/iftigt sich insbesondere mit Formen bzw. Arten der Ringfrakturen, den Geschehensabl/iufen und Gewalteinwirkungen, mit Obergangsformen zu anderen Frakturarten und der Oberlebenszeit der Unfall- opfer.

Literaturiiberblick

Nach Le Count und Hockzema (1934) soll Bell als erster im Jahre 1816 einen Ringbruch der Sch~idelbasis beschrieben haben. Die erste eindeutige Schilde- rung einer vollst/indigen Ringfraktur dfirfte von Berchon (1862) stammen. Der Ringbruch wurde als ein direkter, durch Stauchung des Sch~idels entstandener Bruch angesehen.

In der Folgezeit gab es zahlreiche .~ul3erungen zur Frage der direkten oder indirekten Entstehung. Baum (1876) vertrat die Auffassung, dab die typischen Ringbrache indirekt entstehen wfirden. Als ,,typisch" bezeichnet er eine mit dem horizontalen Umfang des Sch~dels verlaufende Bruchlinie. Die Wirbels~iule dient als Vermittlerin zur Kraftfibertragung bei Sturz auf den Scheitel oder auf die Ffil3e, wobei die Kondylen des Hinterhauptbeines mit Tiirkensattel und Fel- senbein ins Sch~idelinnere getrieben werden. Gleiche oder ~ihnliche Deutungen finden sich bei Messerer (1880), Weft (1881) und Strassmann (1895). Kratter (1921) verweist sp~iter auf Messerer (1885), der yon ,,uneigentlich indirekten" Briichen spricht. Schliel31ich traten auch Merkel und Walcher (1936) und Spasi6 und Re2i6 (1970) fiir die indirekte Entstehungsart der Ringbriiche ein.

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Fiir einen direkten Entstehungsmechanismus sprachen sich wiederum aus: Herrmann (1881), von Wahl (1883), Greder (1885), K6rber (1889), Miiller (1898), Schlesinger (1900) und Hoppe (1904). Reimann (1961) spricht in neuerer Zeit yon Biegungsbrtichen, wobei er in den oft unvollst/indigen Bruchlinien beidseits des groBen Hinterhauptloches ,,Entlastungsbrfiche" sieht.

Zusammenfassend werden als wesentliche Ursachen der Ringbr~che genannt:

1. Stauchung: Die Wirbels/iule wird in die Sch~idelbasis hineingetrieben beim Fall auf Ges/il3, Knie oder Fiil3e. Andererseits kann der Sch/idel beim Sturz oder bei anderen stumpfen Einwirkungen auf die Sch/idelkonvexit/it auf die Wirbel- s/iule aufgesttilpt werden.

2. Traktion: Der Sch/idel wird gewaltsam vonder Wirbels~iule weggerissen. Urs~ichlich f'tir eine Traktion k6nnen sein: (a) Sturz nach riickw~irts mit Auf- schlag des Hinterhauptes und gleichzeitigem Schereffekt (Le Count und Hock- zema 1934; Moritz 1942). (b) P16tzliche Uberstreckung tier Wirbels/iule mit ex- tremer Rfickw~irtsbeugung des Kopfes (Patscheider 1961; Wfirmeling und Stock 1965; Bardzig 1968). (c) Retroflexion-Hyperextension (Jarosch und Hinz 1969). (d) Gewalteinwirkung auf den Gesichtssch/idel (Nagy und Haferland 1969; Spasi~ und Re~i~ 1970): Die Traktion wird verursacht durch direkte Gewalt auf das Gesicht. So kann ein starker Schlag auf das Kinn einen Ringbruch ver- ursachen. Nagy (1973) weist darauf hin, dal3 das Ausmal3 der Retroflexion des Kopfes beim Motorradfahrer verst/irkt werden kann durch alas Fixationsband eines getragenen Sturzhelmes.

3. Torsion: Nach Voigt und Sk61d (1974) erf~hrt die Kalotte in bezug zur Sch/idelbasis eine Drehung um eine vertikale Achse. Typisch sei, dab die Gewalt in schr/iger Richtung yon der Seite oder von vorn komme, manchmal auch von schr/ig hinten und vonder Seite einwirke.

4. Schleuderung und Aufprall des Kopfes: Patscheider (1969) beschreibt eine Form des Ringbruches, die nur unvollst/indig mit den Er6rterungen von Stau- chung, Traktion und Torsion erfal3t werden kann. Es sind dies die ,,Diagonal- brfiche". Sie bestehen aus einer basalen Scharnierfraktur und einem nahezu halbkreisf6rmigen Bruch des Sch/ideldaches am Hinterkopf aul3erhalb der Sch/idelbasis.

Eigene Untersuchungen

Untersucht wurden 61 vollst/indige oder unvollst/indige Ringbriiche der Sch/idel- basis. Mal3gebend ftir die Zuordnung zur Gruppe der Sch/idelbasisringfrakturen waren Brtiche mit einem r ing-oder bogenf6rmigen nach innen konkaven Verlauf in den mittleren und hinteren Sch/idelgruben. Wir sprechen von ,,voll- st/indigen" und ,,unvollst/indigen" Ringbriichen. Zur weiteren Unterteilung wur- den die Bezeichnungen nach ,,vorne often" und nach ,,hinten often" gew/ihlt (abb. 1-3).

Ereignisse, bei denen Ringbriiche gefunden wurden, waren Verkehrsunf/ille, Stfirze und sonstige Unf~ille wie Aufprall eines Wasserskifahrers, Kollision einer Skifahrerin mit einer Schneekatze und Flugzeugabsturz.

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Abb. 1. Vollstfindiger Ringbruch durch Hyperextensionstrauma einer Pkw-Beifahrerin. Die bei dieser Bruchart wirksame Traktion ist an der Verschiebung der Frakturfl/iche zueinander deutlich erkennbar

i 2

Abb. 2. Unvollst~indiger Ringbruch, nach hinten often - schematisch Abb. 3. Unvollst~indiger Ringbruch, nach vorn often (selten) - schematisch Abb. 4. Unvollst~indiger nach hinten oftener Ringbruch tier Sch/idelbasis durch links-parietale Stauchung, Frakturschenkel links li~nger als rechts

Im Einzelnen erfolgten Deutung und Zuordnung der Frakturen nach Ursache, Unfallmechanik und Frakturtyp anhand der Frakturen selbst, in Ver- bindung mit sonstigen Verletzungen sowie unter Beriicksichtigung yon Be- sch~idigungen unfallbeteiligter Fahrzeuge beim Verkehrsunfall. Beim Ful3- g/inger-Pkw-Unfall standen neben dem Obduktionsbefund h/iufig Beschreibun-

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Ringfrakturen der Sch~idelbasis

Tabelle 1. Ergebnisse 1 Unfallereignisse und Ringfrakturen 61

Verkehrsunl~alle Insassen von Personenkraftwagen 18 Fahrrad- und Motorradfahrer 17 Ful3g/inger 14 Stfirze 9 Sonstige Unfalle 3

141

Tabelle 2. Formen des Ringbruches Vollst~indig (geschlossener Ring) 41

Unvollst/indig 18 Davon hinten often 14 Vorn often 2 Seitlich often 2 Unklar, ob often oder nicht (Dokumentation nicht eindeutig) 2

gen und eigene Beobachtungen der am Kraftfahrzeug entstandenen Beschfidi- gungen zur Verfiigung. Es wurden auch Ergebnisse kraftfahrzeugtechnischer Untersuchungen berticksichtigt. Bei Stiirzen waren zum groBen Teil der Unfall- ort und sonstige Umstfinde bekannt.

Bei den Insassen von Personenkraftwagen fand h/iufig eine mehrfache Gewalteinwirkung auf den Kopf statt. Folgen f'tir Kopf und Halswirbels~iule waren z. T. isoliert, z. T. in Kombination: Stauchung, Traktion, Hyperextension, laterale Extrembewegungen und auch Torsionskr/ifte. FuBg~nger waren beim Pkw-FuBg~nger-Unfall ganz tiberwiegend Stauchungen und fJberstreckungen ausgesetzt. Grunds/itzlich/ihnlichen Wirkungen waren Fahrrad- und Motorrad- fahrer ausgesetzt.

Beim Sturz sind Stauchung und Trakti0n die beherrschenden Faktoren. Traktionskrfifte wurden ausnahmslos bedingt durch Aufschlag auf die tiefe Hin- terhauptsregion, wobei dieser Vorgang eine mehr oder weniger starke Hyper- flexion beinhaltete.

Kennzeichnend fiir Stauchung ist ein l~lberragen der medialen Bruchfl~iche gegeniJber der lateralen, f'tir Zug das gegenteilige Verhalten (Abb. 1).

Diskuss ion

Die verschiedenen bekannten urs/ichlichen Wirkungen, die zu Ringfrakturen ftihren k6nnen, haben wir im Literaturtiberblick erSrtert. Morphologisch wird in unserer Untersuchung zwischen vollst~indigen und unvollst/indigen Ring-

1 Eine eingehende Darstellung einzelner F/ille nach Art tier Gewalteinwirkung, weiteren Verletzungen an Halswirbelsgule und Kopf sowie auch der Form der Frakturen findet sich in der Dissertation ,,Ringbriiche der Sch~idelbasis" yon R. Jahn, Wfirzburg 1981

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briJchen unterschieden. Die unvollst/indigen sind nach vorn, hinten oder seitlich often.

Beide Frakturformen sind bis auf wenige Ausnahmen den gleichen Inter- pretationen zug/inglich. Ausnahmen sind z. B. Stiirze, bei denen eine traktions- bedingte Ringfraktur und eine typische occipitale Sturzfraktur miteinander kom- biniert das Frakturbild bestimmen k6nnen.

Uber die bekannte Feststellung hinaus, dab Ringbriiche auch inkomplett sein k6nnen (Messerer 1880, 1885; Hoffmann 1902; Reimann 1961; Nagy 1973), gibt es M6glichkeiten der Zuordnung bestimmter Frakturverl~iufe zur Lokalisation der Einwirkung bzw. zu Extrembewegungen des Kopfes. Hierzu zwei Bei- spiele:

1. Pkw-Fahrer, linksseitige Kollision. Frakturtyp: Unvollst~indiger hinten rechts oftener Ringbruch nach Anprall des Kopfes links parietal.

Deutung: Stauchung durch links-parietale Einwirkung, asymmetrischer Frakturverlauf und l~ingerer Frakturschenkel auf der Seite der Einwirkung (Abb. 4).

2. Sturz auf der Standfl/iche in der Ebene mit Aufschlag occipito-temporal rechts. Fraktur- typ: Unvollst~indiger nach vorn oftener Ringbruch.

Deutung: Traktion durch occipito-temporale Einwirkung mit prim~ir rechtsseitiger Trak- tionswirkung auf die Sch~idelbasis. Frakturschenkel rechts lfinger als links.

Die mit der Einwirkungsseite korrespondierende gr6Bere Frakturschenkel- lfinge bei unvollst/indigen Ringbriichen weist auf einseitig betonte Stauchung oder Traktion der Basis bin.

Von den typischen Ringfrakturen lassen sich zusfitzliche Briiche in den vor- deren, mittleren und hinteren Sch~idelgruben abgrenzen. Auch sie sind ein Hin- weis auf die komplexen Kr~ifte, denen der Schfidel ausgesetzt sein kann.

Ringbriiche, die auf das Sch/ideldach tibergreifen, setzen eine besonders massive Gewalteinwirkung voraus, wobei neben indirekten Kr/iften wie Hyper- extension und seitliche Extrembewegungen auch direkte Kopftraumen niemals fehlen. Drei unserer neun F~ille mit derartigen nicht auf die Basis beschr/inkten Frakturen lassen eine Hyperextension durch Gesichtsanprall erkennen. H/iu- tiger dtirften aber occipitale und occipito-laterale Einwirkungen in Verbindung mit Gesamtdeformierungen des Sch/idels Ursache solcher Frakturen sein. Pat- scheider (1969) nennt diese Brtiche ,,Diagonalbrtiche". 2

Betrachten wir die Ringfrakturen unseres Untersuchungsgutes unter dem Aspekt der Torsion, also der Drehung des Sch/idels um eine vertikale Achse, so kann dieser Begriff fiir einen Teil unserer Beobachtungen zur Erkl~rung heran- gezogen werden. Die von Voigt und Sk61d (1974) gebrauchte Wendung ,,rotating compression" diirfte zumindest teilweise das umfassen, was von uns als bio- mechanische Teilkr~ifte (Stauchung, Traktion, Abschereffekte) bei tier Ent- stehung yon Ringfrakturen angesehen wird.

Dem Obduzenten fallen beim Ringbruch h~iufig bereits makroskopisch Ver- letzungen des Stammhirns auf. Fiinfundsiebzig Prozent der F~ille, in denen Traktion im Vordergrund stand, zeigten Zerrung bzw. AbriB der Medulla oblon- gata. Ringbrfiche miissen jedoch nicht zwangsl~iufig mit akut t6dlichen Sch~idi- gungen einhergehen. In neun F~illen (Gesamtzahl: 61) wurden in klinischen

2 Der Begriff,,Diagonalbruch" findet sich auch bei Herrmann (1881). Nach diesem Autor ent- stehen ,,Diagonalfrakturen" durch diagonale Kompression des Sch~idels, w~ihrend L~ings- frakturen durch L/ingsdruck, Querfrakturen durch Querdruck zustande kommen

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Abb. 5. a Unvollst~indiger nach hinten oftener Ringbruch mit Einstrahlen in die basisnahen Abschnitte der Lambdanaht. Treppensturz eines 7@ihrigen Mannes mit occipitalem Auf- schlag, b Gehirnverletzung zu a, Kontusionsherd occipital rechts,Contrecoupverletzungen frontobasal beidseits

Berichten 1Jberlebenszeiten zwischen einem Tag und zweiundzwanzig Tagen angegeben. Bei einer differenzierten Betrachtung zeigt sich aber, dal3 geschlos- sene Ringfrakturen (sechs F~ille) zwar bis zu drei Tagen ,,fiberlebt" werden, doch kamen die Unfallopfer mit insuffizienter Atmung und weiten reaktionslosen Pupillen zur Aufnahme und wurden anschliegend kontrolliert beatmet. So geben die Uberlebenszeiten den Zeitraum zwischen Unfall und Beendigung der kontrollierten Beatmung wieder.

Unvollstfindige Ringbriiche sind im Gegensatz zu den vollst~indigen durch- aus mit l~ingeren/Jberlebenszeiten vereinbar, da es nicht oder nur in geringem Umfang zu einer Verschiebung der Bruchfl/ichen zueinander kommt. Hierzu wiederum ein Beipiel:

Treppensturz eines 7@ihrigen Mannes mit occipitalem Aufschlag. Klinische Diagnose: Subduralh~imatom rechts parietal. Zweimalige Blutentleerung durch Bohrl6cher, anschlie- 3end Drainageentlastung. Bewul3tseinslage i, iberwiegend delirant bei Verdacht auf Alkohol- entzugsdelir, zweitweise wach, ansprechbar. Entwicklung einer Pneumonie. Uberlebenszeit: 22 Tage.

Befund: Unvollst~indiger nach hinten oftener Ringbruch. Kontusionsherd rechts occi- pital, Contrecoupherde frontobasal beidseits (Abb. 5).

Die klinische r6ntgenologische Diagnose ,,Ringbruch der Sch/idelbasis" fand sich niemals. Bei den akut t6dlichen Ereignissen ist dies selbstverst/indlich. Die r6ntgenologische Erfassung yon Ringbrfichen dfirfte aber generell schwierig sein, da Spezialaufnahmetechniken notwendig sind (Vondra und Blaha 1957).

Ringbrtiche der Schfidelbasis sind eher den direkten als den indirekten Frak- turen zuzuordnen. Die an der Sch~idelbasis fixierte Wirbels~iule wirkt umschrie- ben - sei es durch Stauchung, Zug oder Abscherkr/ifte - auf die Basis ein. Ein- deutig besteht die Situation einer direkten Fraktur, wenn durch Stauchung eine ringf6rmige Impression tier Umgebung des Foramen magnum im Sinne eines Biegungsbruches verursacht wird. Aber auch dann, wenn die Wirbels/~ule (z. B. beim Hyperextensionstrauma) nur Ubertr~igerin einer Kraft sein kann, ist die Wirkung auf den Sch~idel doch direkter Natur, 0hne dab eine Gesamtverfor-

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m u n g mi t der Fo lge e ine r Bers tung e ine Rol le spielt. Dies sch l ieg t n i ch t aus, dab b e i m R i n g b r u c h durch Sturz a u f die H i n t e r h a u p t s r e g i o n u n d gene re l l be i Ring- b r t i chen mi t F rak tu raus l f iu fe rn in die U m g e b u n g A l l g e m e i n v e r f o r m u n g e n ebenfa l l s von B e d e u t u n g sind.

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